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Machiavelli - Die Determinanten politischen Handelns
Machiavelli - Die Republik als beste Staatsform
Wie würde Machiavelli die aktuelle politische Lage kommentieren?
Machiavellis Theorie zur Erhaltung von Herrschaft
Eine Analyse des XVII. Kapitel des "Fürsten"
Xenophon in Machiavellis politischen Schriften
to be continued...

Hendrik Rasehorn

Machiavellis Theorie zur Erhaltung von Herrschaft

 

Gliederung:

1. Einleitung
2. Die Biographie von Niccolò Machiavelli und die damalige politische Situation Italiens
3. Machiavellis Theorie zur Erhaltung von Herrschaft
   3.1. Das politische Denken Machiavellis
   3.2. Das Menschenbild Machiavellis
   3.3. Der "uomo virtuoso" 
   3.4. Die Machtübernahme und -Erhaltung des "uomo virtuoso"
   3.5. Die Festigung der Herrschaft
   3.6. Der Abtritt des "uomo virtuso"
   3.7. Der Kreislauf der Geschichte
4. War Machiavelli ein Machiavellist?
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis

 

1. Einleitung

Machiavelli steht mit seinen politischen Schriften bis in die heutige Zeit im Verruf, nur der fahrlässige Begründer einer Politik zu sein, die mit dem Ausdruck "Machiavellismus" bezeichnet wird. Mit diesem Terminus wird gemeinhin der rücksichtslose Mißbrauch des oder der Regierenden seiner beziehungsweise ihrer Herrschaft zum alleinigen Ziel der Machtsicherung charakterisiert.

Bei der Würdigung seiner Schriften schieden sich über Genrationen hinweg die Geister. Die katholische Kirche setzte seine Werke auf den Index. Die erste deutsche Übersetzung des "Il principe" erschien erst knapp 200 Jahre nach seinem Tod mit einem fingierten Drucker- und Erscheinungsortnamen. Friedrich der Große sah sich genötigt, mit einer Schrift die Menschlichkeit zur verteidigen, von der er überzeugt war, daß Machiavelli sie vernichten wollte. Nietzsche sah hingegen in dem Werk Machiavellis ein Ideal politischen Handelns.[1]

Diese Arbeit setzt sich mit Machiavellis Hauptwerken "Il principe" und die "Discorsi sopra la prima deca Tito Livio" auseinander. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit Machiavelli machiavellistisch ist. Anders gesagt: Wollte Machiavelli mit seinen Werken Alleinherrschern und Tyrannen eine Rechtfertigungstheorie für ihr Handeln zur Verfügung stellen oder verfolgte er vielmehr ein anderes Anliegen.

Um diese Fragen zu beantworten ist es unumgänglich in einem ersten Schritt die Biographie Machiavellis und die zu seinen Lebzeiten vorliegende politische Situation in seinem Heimatland zu beschreiben. Jede Theorie, die sich mit dem politischen Zusammenleben in einem realen oder fiktiven Gemeinwesen befaßt, ist in der Regel niemals losgelöst von der Biographie des Autors zu betrachten. Die realen Gegebenheiten und Lebensumstände haben vielmehr einen wesentlichen Einfluß auf die Denkstrukturen eines jeden Theoretikers, das Sein bestimmt das Bewußtsein.

Erst mit dem Wissen um die Biographie Machiavellis läßt sich nun auch sein politisches Denken verstehen. Dabei soll eingangs geklärt werden, auf welche Weise Machiavelli zu seinen Annahmen gekommen ist und was er für ein Bild von seinen Mitmenschen hatte. Nachdem auch dieses geklärt wurde, kann seine politische Theorie zur Erhaltung von Herrschaft erläutert werden. Dabei soll an Hand von ausgewählten Zitaten aus seinen Werken dem Leser das Denken Machiavellis anschaulicher gemacht werden.

Im Abschluß wird die eingangs gestellte Frage, ob Machiavelli ein Machiavellist war, wieder aufgegriffen und unter Berücksichtigung der gewonnenen Ergebnisse beantwortet werden.

 

2. Die Biographie von Niccolò Machiavelli und die damalige politische Situation Italiens

Niccolò Pietro Michele Machiavelli wurde am 3. Mai 1469 in Florenz als Sohn eines Rechtsgelehrten geboren. Seine Familie, die schon seit Generationen in Florenz lebte, waren  republikanisch gesinnte Bürger. Der Großteil der männlichen Familienangehörigen schlug eine Laufbahn im Staatsdienst ein. Der Vater war anfangs in der päpstlichen Finanzverwaltung tätig und arbeitete später in Florenz als Anwalt.

Machiavelli genoß eine übliche Schulbildung und wurde in Latein unterrichtet. Auf Grund der Bücherleidenschaft des Vaters, die breiten humanistischen Interessen folgte,[2] wurde Machiavelli schon früh mit der antiken Literatur vertraut gemacht. Der Besuch einer Universität blieb ihn aber wahrscheinlich auf Grund familiären Geldmangels nicht vergönnt.

In dem Florenz dieser Zeit herrschte die Familie der Medici, genauer Lorenzo de Medici. Die Medici waren bedeutende Kaufleute, die das damals größte europäische Bank- und Handelshaus gründeten.

Der florentinische Stadtstaat war zwar offiziell eine Republik, jedoch erreichte es Lorenzo durch eine geschickte Verteilung aller politisch wichtigen Ämter an Medici - Getreue de facto eine Monarchie zu installieren.

Das Italien des 15. Jahrhunderts war nicht in einem einheitlichen Nationalstaat geordnet. Es existierte vielmehr ein labiles Staatensystem mit den Hauptmächten Mailand, Neapel, Venedig, Kirchenstaat und schließlich Florenz selbst. Lorenzo erreichte durch eine geschickte Außenpolitik unter der Führung seines Staates ein Gleichgewicht der Mächte in Italien und sicherte somit den Frieden nach innen und außen.

Florenz erlebte in dieser Zeit eine kulturelle Hochphase, mit der sich kein anderer Stadtstaat in Europa messen konnte. Bedeutende italienische Künstler der Renaissance wie Michelangelo, da Vinci, oder Botticelli wirkten am Hof Lorenzos, der auf Grund seiner Förderung der Künste den Beinamen "der Prächtige" erhielt. 

Der Status quo der italienischen Staatenwelt hielt die gesamte Amtszeit von Lorenzo an. Mit seinem Tod 1492 und der Machtübernahme durch seinen Sohn Piero de Medici änderte sich jedoch die politische Lage in Italien vollkommen. Piero lockerte die unter seinem Vater gepflegten Beziehungen zu Mailand und verbündete sich mit dem Königreich Neapel. Mailand, das sich unter diesen Umständen von der Gefahr der politischen Isolation bedroht sah, wendete sich infolgedessen an Frankreich, daß selbst Ansprüche auf Neapel verfolgte. Der französische König Karl VIII. marschierte mit Truppen in Italien ein, was zu Auseinandersetzungen mit Österreich und Spanien führte. Italien wurde dadurch zum Objekt der Streitigkeiten. Der Staatenbund zerfiel und die italienischen Staaten wurden gezwungen, sich zu wechselnden Allianzen mit den beiden Streitparteien zu bekennen. Dieses hatte zur Folge, daß sich die einstmals verbündeten Fürstentümer untereinander bekriegten.

Um die Auseinandersetzung für zu ihren Gunsten zu entschieden heuerten die italienischen Staaten unter anderem sogenannte "Condottiere" an, die Söldnerheere befehligten. Diese Männer handelten im Stile eines Unternehmers, denn sie mieden so oft es ging offene Schlachten, was einen möglichen Verlust von Teilen ihres Heeres bedeutetet hätte. Statt dessen bevorzugten sie Manövrierungs- und Belagerungstechniken und wechselten je nach Angebot die Streitparteien.

Der Sohn und Nachfolger Lorenzos, Piero de Medici, konnte das Werk seines Vaters nicht fortführen und auch den Einmarsch der französischen Truppen verhindern. Ehemalige Anhänger der Medici sahen sich gezwungen, sich unter diesen Umständen von ihrem Staatsoberhaupt zu trennen. Die geschlossene Haltung der Gegner Pieros sowie die Mobilisierung des Volkes gegen ihn führten schließlich 1494 zur Vertreibung der Familie aus der Stadt Florenz.

Das Aufkommen einer innenpolitischen Krise konnte dieses jedoch nicht verhindern. Der Dominikanermönch Girolamo Savonarola versuchte zwar ab 1496 die Krise mit einer auf strengen Gottesglauben und Entsagung allen Luxus beruhenden Theokratie zu überwinden. Zum Verhängnis wurde ihm jedoch sein fanatischer und waffenloser Kampf gegen die Kirche und den Papst. Dieser exkommunizierte Savonarola 1498 und ließ ihn hinrichten. Seine Anhänger wurden aus allen politischen Ämtern entfernt.

Im gleichen Jahr wurde der nunmehr 29jährige Machiavelli von der florentiner Bürgervertretung zum "Segrataro della Republica" gewählt und mit der Leitung der "Seconda Cancellaria" (2. Kanzelei) beauftragt. Er war für Schreib- und Verwaltungsaufgaben zuständig, die die inneren Angelegenheiten der Stadt betrafen. Da aber die Geschäftsbereiche der Innen- und Außenpolitik keiner strikten Trennung unterlagen, war Machiavelli auch über die innen- und außenpolitische Lage von Florenz informiert. Kurze Zeit später wurde er zusätzlich als Sekretär in den "Rat der Zehn" einberufen, einem Ausschuß für militärische Angelegenheiten. In dieser Position arbeitete er den Gremien zu, bei denen die Entscheidungsbefugnisse lagen.

Seine politische Karriere dauerte 14 Jahre an. Sein größter Erfolg in diesem Zeitraum war die Rückeroberung von Pisa unter seiner Leitung. Pisa, das mit Hilfe Karls VIII. von Florenz gelöst hatte, stellte auf Grund des verfügbaren Seehafens eine besondere Bedeutung für den florentinischen Handel dar. Florenz versuchte lange Zeit vergeblich, Pisa mit Hilfe von Söldnertruppen wieder einzunehmen. Machiavelli, der den Söldnern den Sieg nicht zutraute, regte die Aufstellung einer Bürgermiliz an, der 1509 die Einnahme der abtrünnigen Stadt gelang.

Machiavellis Position führte viele Auslandsreisen im Namen von Florenz mit sich, zum Beispiel an den Hof der römischen Kurie, nach Frankreich zu Ludwig dem XII, zu Kaiser Maximilian aus dem Haus Hapsburg, oder zu italienischen Kleinfürsten wie dem Sohn von Papst Alexander des VI, Cesare Borgia. Alle diese diplomatischen Reisen prägten Machiavelli in seinem Denken, besonders die zu dem " Condottiero" Borgia. Dessen skrupellose und vor keiner Tat zurückschreckende Handlungsweise, die es bewerkstelligte, jeden Widerstand in den eigenen Reihen gegen seine Person zu brechen und so seine Macht zu sichern, beeindruckte Machiavelli nachhaltig.  

Während 1509 der Papst noch mit Frankreich um die Aufteilung des Festlandbesitzes von Venedig verhandelte, wendete er sich 1511 gegen Frankreich. Florenz, welches trotz einiger Unstimmigkeiten immer noch an Frankreich gebunden war, mußte in sich gegen den Papst stellen. Das französische Heer wurde jedoch aus Italien vertrieben und so stand Florenz den Gegnern alleine gegenüber. Der Stadtstaat konnte infolgedessen dem Druck nicht standhalten. Die republikanische Regierung wurde 1512 gestürzt und die Medici konnten erneut die Macht erlangen.

Im folgenden Jahr wurde Machiavelli aller seiner Ämter enthoben und unter dem Vorwurf der Verschwörung ins Gefängnis geworfen, wo man ihn foltern ließ. Im Rahmen einer allgemeinen Amnestie wurde er aber aus der Haft wieder entlassen, gleichwohl aber aus der Stadt verbannt. Er zog sich auf sein Landgut zurück. Da für Machiavelli mittelfristig keine Möglichkeit bestand, eine von ihm so sehr begehrte Position im Staatsdienst zu erlangen, betätigte er sich mit Schriftstellerei und begann unter anderem mit der Arbeit an seinen beiden Hauptwerken "Discorsi sopra la prima deca Tito Livio" und den "Il principe". In den "Discorsi" reflektierte Machiavelli die Anfänge der römischen Republik an Hand des Geschichtswerkes des Livius und verglich sie mit gegenwärtigen politischen Abläufen. Die Hervorhebung der republikanischen Staatsordnung des alten römischen Reiches bildete hierbei den zentralen Kern. Im "Il principe" setzte er sich dagegen mehr mit der aktuellen politischen Situation  und seinen Erfahrungen in der italienischen Politik auseinander.

Die Hauptmotivation Machiavellis für das Verfassen dieser Werke war, sich auf diese Weise bei den Medicis wieder für ein politisches Amt zu empfehlen. Die alten und neuen Herrscher hatten aber bezüglich seiner Tätigkeit für die abgesetzte republikanische Regierung ihre Zweifel an der Integrität Machiavellis. So wurde er nur 1519 von den Medicis mit der Niederschrift der Geschichte von Florenz beauftragt. Diese Arbeit beendete er 1525.

1526 wurde Machiavelli noch einmal eine kleine politische Aufgabe zu Teil, als er Mitglied in einem Gremium wurde, das den Ausbau der Stadtmauer von Florenz überwachte. Ein möglicher Beginn einer neuen politischen Karriere blieb ihm aber versagt, da 1527 sich die Bürger der Stadt Florenz von der Herrschaft der Medici befreiten. Die republikanische Verfassung trat wieder in Kraft. Machiavelli bewarb sich wieder um die vakante Stelle als Sekretär, die er schon einmal besaß. Ihm wurde aber unterstellt, ein Sympathisant der Medicis und somit republikfeindlich zu sein. So wurde seine Bewerbung abgelehnt und sein Schicksal wiederholte sich damit ein zweites mal.

Machiavelli starb kurze Zeit später am 21. Juni 1527. Erst nach seinem Tod wurden seine Werke veröffentlicht: die "Discorsi" 1531, der "Principe" ein Jahr später.

 

3. Machiavellis Theorie zur Erhaltung von Herrschaft

Machiavelli wurde durch das Zeitgeschehen sowie seinen eigenen politischen Erfahrungen, die er während seiner politischen Tätigkeit sammeln konnte, in einem hohen Maß geprägt. Der Verlust seiner politischen Ämter wirkte sich schmerzlich auf ihn aus. Seine politischen Schriften, die er auf seinem Landgut verfaßte, sollten ihn wieder zu Amt und Würden im Stadtstaat Florenz verhelfen.

Sowohl seine Heimatstadt als auch das restliche Italien befanden sich in einer tiefen Krise. Sie waren nur ein Spielball der Interessen von ausländischen Mächten. Machiavelli suchte nach Mitteln und Wegen, die aus dieser Lage herausführen würden. Für ihn stand fest, daß sich die Stadtstaaten aus der Umklammerung der fremden Mächte wieder lösen mußten. Da die Regierungen nur noch als Befehlsempfänger fungierten und im Grunde genommen kein Machtpotential mehr besaßen, war die Errichtung einer neuen und starken Herrschaft unumgänglich. Sie zu erhalten und somit den Frieden für das Gemeinwesen zu sichern war die dringendste Aufgabe.

 

3.1. Das politische Denken Machiavellis

Machiavellis Untersuchungsansatz und somit sein politisches Denken basiert auf den Fragen "was ist das oberste Amt?", "wieviele Arten gibt es davon?" und "wie behält beziehungsweise verliert man es?". Um dieses zu klären, erfaßte er die Wirklichkeit der Vergangenheit mittels der Literatur der griechisch-römischen Antike und stellte diese seinen zeitgenössischen Erfahrungen gegenüber. In gleicher Weise taten dieses auch die Humanisten, die in der Zeit der Renaissance die Bildungsbewegung bildeten. Jedoch war ihr Anliegen darauf gerichtet, Politik und Moral zu verflechten. Ihnen schwebte ein idealer Herrscher vor, der bei seinem politischen Handeln in erster Linie seiner Menschlichkeit folgen sollte.[3]

Das Interesse Machiavellis besteht aber darin, mit seinen Schriften Handlungsregeln aufzustellen, um damit diejenigen zu beraten, die für die politischen Geschicke verantwortlich sind. Sein Wunsch ist es, daß die Herrscher durch ihr neu erlangtes Wissen letztendlich Florenz und die anderen italienischen Staaten aus der Krise hin zu einer Unabhängigkeit führen sollen. So lautet die Überschrift des 26. und letzten Kapitels des "Il principe" "Aufruf, Italien in die Freiheit zu führen und es vor den Barbaren zu retten".

Für die Realisierung dieses Ziel sieht es Machiavelli als falsch an, nur eine neue Theorie den vielen anderen Abhandlungen hinzuzufügen, die sich damit beschäftigten, wie ein idealer illusionärer Staat aussehen sollte.

"Da ich aber etwas Nützliches für die Unterrichteten schreiben will, so dürfte es, nach meinem Dafürhalten, besser sein, wenn ich dem wirklichen Wesen der Sache nachgehe als einem Phantasiebild von ihr. Und viele haben sich Republiken und Alleinherrschaften zusammenphantasiert, die nie existiert haben. Es ist ein so außerordentlicher Unterschied zwischen der Art, wie man wirklich lebt und wie man leben sollte, daß alle, welche bloß darauf sehen, was geschehen sollte, und nicht auf das, was wirklich geschieht, eher ihren Untergang als ihre Erhaltung erleben. "[4]

"Die Leser meiner Betrachtungen mögen daraus den Nutzen ziehen, um dessentwillen man die Kenntnis der Geschichte erlangen suchen soll."[5]

Für Machiavelli ist das Ideal für ein politisches Gemeinwesen die antike römische Republik. Dieses Reich ist für ihn ein Paradebeispiel an vorbildlichen politischen Handeln und politischer Lebensgestaltung, die man nicht überbieten kann. Deshalb versucht er aus der Geschichte Handlungsmaximen herauszuarbeiten, die seiner Meinung nach für die Größe des römischen Reichs verantwortlich und somit nachahmenswert sind.[6]

Zwar widmet sich Machiavelli sowohl Fürstentümer (im "Il principe") als auch Republiken (in den "Discorsi) gleichermaßen, seine Sympathie gehört aber dem Typus der Republik. Die Errichtung einer solchen räumt er deshalb einen Vorzug ein.

Einschränkend muß man dabei aber gleichzeitig sagen, daß er die Republik nicht im allgemeinen gutheißt.[7] Zwar sorge die Republik für die Förderung des Gemeinwohls, gleichwohl könne sie aber auch nicht verhindern, daß Einzelne benachteiligt werden könnten. Es ist daher bei der Errichtung eines Herrschaftstypus immer darauf zu achten, wie die augenblickliche innenpolitische Situation beschaffen ist.

"Wo also große Gleichheit ist oder hergestellt werden kann, errichte man eine Republik, wo große Ungleichheit ist, eine Monarchie, sonst führt man ein Werk ohne Verhältnis und von kurzer Dauer auf."[8]

Auf den ersten Blick scheint sich hier ein Widerspruch in der Logik Machiavellis aufzutun. Gemeinhin ist von einem politischen Schriftsteller zu erwarten, daß er sich gerade bei so unterschiedlichen Staatsmodellen wie Republik und Monarchie entweder für die eine oder andere Regierungsform entscheidet. Machiavelli aber stellt seine Betrachtungen und die Wahl der zu errichtenden Staatsform nicht unter der Prämisse der Einhaltung von moralischen Normen an, sondern macht seine Beurteilung von konkreten Lagen und Aufgaben aus abhängig.[9]

Sein Anliegen ist es, "Bedingungen für die Errichtung wie die Erhaltung von Republiken und Fürstentümern aufzuzeigen"[10]. Oberste Priorität hat für ihn dabei die Schaffung einer Ordnung im Gemeinwesen. Ist dies geschehen, so ist die Errichtung einer Republik in Betracht zu ziehen, so fern es die politische Situation zuläßt.

Die verschiedenen Formen von Staaten sind sicherlich in vielerlei Hinsicht im Vergleich zueinander differierend, jedoch haben sie zumindest einen gemeinsamen Nenner: Menschen, also Regierende wie auch Regierte, leben in diesen künstlichen Gebilden. Ein jedes Gemeinwesen kann nur so gut sein, wie es auch um die moralischen Werte der Bürger bestellt ist. Aus diesem Grund ist es grundlegend Machiavellis Bild vom Menschen aufzuzeigen.

 

3.2. Das Menschenbild Machiavellis

Machiavelli erhebt in seinen Schriften niemals den Anspruch, "feste Regeln, ein System oder absolute Wahrheiten über die Gesellschaft zu äußern"[11]. Durch das Studium der Antike und dem Vergleich mit der Gegenwart gelangte er aber zu zwei Prämissen, die für seine Denkweise grundlegend verantwortlich sind.[12] Ohne die Kenntnis um diese beiden Voraussetzungen ist sein gesamtes Werk sicherlich nur vermutlich nicht so zu interpretieren, wie es Machiavelli verstanden haben will.

Die erste Annahme Machiavellis lautet, daß der Lauf der Weltgeschichte immer in den gleichen Bahnen verlief. In jedem Gemeinwesen kam es aber konstant über kurz oder lang zu einem Wechsel von einem Hoch- hin zu einem Tiefpunkt.

"Wenn ich den Lauf der Welt bedenke," (...) "so finde ich, daß die Welt stets die gleiches war. Es gab immer soviel Böses wie Gutes, aber beides wechselte von Land zu Land. So wissen wir aus der Geschichte, daß die alten Reiche durch den Wechsel der Sitten bald stiegen, bald sanken; die Welt aber blieb die gleiche."[13]

Als zweites nimmt Machiavelli an, daß trotz des Laufs der Geschichte und der Veränderung in den politischen Konstellationen die Natur des Menschen unveränderlich ist. Er sieht die Menschen als asoziale, unpolitische Triebwesen an, die unaufhörlich vom blinden, unstillbaren Ehrgeiz ("ambizione") besessen sind. Die Menschen sind freiwillig nicht bereit, friedlich mit anderen zu existieren und stellen somit ein Ordnungsrisiko für das Gemeinwesen dar.[14]

 "Alle Schriftsteller, die sich mit politischen Dingen beschäftigt haben, stimmen darin überein, und die Geschichte belegt es durch eine Menge Beispiele, daß, wer einer Republik Verfassung und Gesetze gibt, alle Menschen als böse voraussetzen muß, daß sie so oft ihre üblen Neigungen zeigen werden, wie ihnen Gelegenheit dazu geboten wird."[15]

Dieses pessimistische Menschenbild Machiavellis unterscheidet sich grundlegend von dem des Großteils seiner Zeitgenossen.[16] Diese vertraten eher ein optimistisches Bild vom Menschen, wie es schon Aristoteles getan hatte. Der griechische Philosoph sah den Menschen als ein vernünftiges, zumindest vernunftbegabtes Wesen an, das die Tugenden der Gerechtigkeit, Freundschaft und Einsicht besitzt.

Damit haben nach Machiavelli aber die Menschen in der Realität nichts gemein. Er bezeichnet sie vielmehr als ehrgeizig, mißtrauisch, maßlos, verführbar und treulos. Sie schätzen Besitz höher ein als die Ehre und vergessen den Tod des Vaters schneller als den Verlust des väterlichen Erbes.[17] Diese Eigenschaften des Menschen sind unabänderlich. Sie können nicht durch den freien Willen oder durch die Vernunft des Einzelnen verändert werden.

Überdies ist noch eine weitere Prämisse zu nennen. Diese hat zwar nicht direkt etwas mit dem Menschenbild Machiavellis zu tun, sie zieht sich jedoch durch sein gesamtes Werk. Er geht nämlich davon aus, daß die Ordnung und die Erhaltung eines Gemeinwesens allem anderen vorzuziehen sei. Diesem Ziel hat sich alles andere, wie beispielsweise die Moral, unterzuordnen.[18]

Die "ambizione" des Menschen stellt für ihn die größte Gefahr für die Erhaltung der Ordnung eines Gemeinwesens dar. Sie ist der Inbegriff aller menschlichen Begierden und Leidenschaften, die sich zerstörerisch auf das Zusammenleben auswirken. Auftreten tut die "ambizione" immer in Zeiten der Krise und befällt den Menschen immer mehr, je schlechter es um das Gemeinwesen bestellt ist.[19]

Die Menschen selbst werden laut Machiavelli vor allem durch das politische Umfeld, in dem sie leben, geprägt.[20] Ausschlaggebend sind die Eigenschaften des (oder auch der) Regierenden. Ist dieser unfähig und die von ihm errichteten politischen Institutionen mangelhaft, gerät das Gemeinwesen über kurz oder lang in eine politischen Krise. Im Zuge dieser kritischen Situation geht als erstes die Integrationskraft des Gemeinwesens verloren. Es folgt ein Schwinden der Autorität der politischen Führung der Institutionen. Schließlich löst sich die Bürgerschaft auf. Es folgen Bürgerkrieg und Verteilungskämpfe. Die Menschen verfallen zuletzt der hemmungslosen "ambizione".

Das politische Umfeld und damit verbunden die Ordnung in einem Land hängen vor allem von der Charaktereigenschaft der politischen Führer und der Güte der Institutionen ab. Der Niedergang seiner Heimatstadt Florenz und der Krisenzustand in Italien zu seinen Lebzeiten ist für Machiavelli in der Inkompetenz der politischen Führer begründet, deren Politik es nicht schaffte, die "ambizione" sorgsam genug zu beaufsichtigen.[21]

Seiner Meinung nach sind auch alle weiteren Krisen von Staaten nicht das Produkt von transzendentaler Vorherbestimmung oder Naturereignissen, sondern allein durch eine schlechte Politik verschuldet. Leidet ein Gemeinwesen erst einmal unter einem politischen Chaos, werden die Menschen immer von der "ambizione" ergriffen werden und sich miserabel verhalten. Sorgt hingegen der Herrscher dafür, daß die Ordnung aufrechterhalten und damit die "ambizione" diszipliniert wird, identifizieren sich die Menschen mit dem Gemeinwesen.

Auch wenn die "ambizione" auf Grund der unveränderlichen Natur des Menschen immer in ihm wohnt, so kann sie doch durch Disziplinierung so stark unterdrückt werden, daß die Schaffung einer gemeinschaftlichen Existenz für alle Menschen ermöglicht werden kann.

Die Menschen können also auf Grund ihrer schweren charakterlichen Mängel nicht friedlich miteinander zu leben. Die Krisensituation ist also vorprogrammiert, die Machiavelli unter allen Umständen abschaffen will. Die einzige Möglichkeit der Unordung Herr zu werden, sieht er in der Person des "uomo virtuoso".

 

3.3. Der "uomo virtuoso"

Kommt jedoch die Krise in einem Gemeinwesen an einem Punkt, an dem das reine Chaos herrscht und die Bürger selbst nicht mehr in der Lage sind, diesem Zustand ein Ende zu setzen, kann nur noch ein "uomo virtuoso" die Ordnung wiederherstellen. Dieser Mann stellt für Machiavelli eine Persönlichkeit dar, die eine Vielzahl von außergewöhnlichen Charaktereigenschaften besitzt und sich deshalb von dem Bild der normalen Menschen abhebt. Was diesen Mann besonders auszeichnet ist seine "virtu".

 Unter "virtu" versteht Machiavelli neben Mut, Tapferkeit und Durchsetzungsvermögen vor allem politische Tüchtigkeit. Diese politische Tüchtigkeit meint alle Eigenschaften und Fähigkeiten, die für den Herrschaftserwerb, die Begründung, Stabilisierung und Sicherung des politischen Lebens sowie der bürgerlichen Ordnung einer Republik notwendig sind.

"Da den Ehrgeiz der Mensch nicht verjagen kann, so soll gesundes Urteil und Verstand ihm Tapferkeit (virtu) und Ordnung beigesellen."[22]

Die "virtu" befindet sich in einem dauerndem Kampf mit der "fortuna", der Göttin des Schicksals und des Glücks. Sie begünstigt unerwartet Handlungen, wie sie auch gleichsam sich dieser in den Weg stellen kann. Machiavelli macht sie verantwortlich für den Zerfall des Gemeinwesens. Aus diesem Grund muß sie fortdauernd bekämpft werden, ohne dabei eine Gelegenheit (Machiavelli spricht in diesem Zusammenhang von der "occasione") auszulassen.

"Schließlich, glaube ich, ist es besser, ungestüm als vorsichtig zu sein, weil das Glück ein Weib ist, mit dem man nicht auskommen kann, wenn man es nicht prügelt und stößt."[23]

Der Kampf zwischen der "virtu" und der "fortuna" zieht sich durch die gesamte Geschichte der Menschheit. Ein klaren Sieger gibt es dabei nicht. So ist zeitweise die "virtu", dann wieder die "fortuna" stärker (à dazu mehr bei dem Punkt "Kreislauf der Geschichte").

 

3.4. Die Machtübernahme und -erhaltung des "uomo virtuoso"

Herrscht in einem Gemeinwesen die totale Unordnung, kann wie beschrieben nur der "uomo virtuoso" diese beseitigen. Ihm fällt nach Machiavelli die Aufgabe zu, die Herrschaft an sich zu reißen und sie unter allen Umständen zu verteidigen, wenn es sein muß auch gewaltsam und ohne Rücksicht auf Verluste. Dabei soll er nicht die Macht auf Mitstreiter verteilen, sondern die Macht muß gebündelt in seinen Händen liegen, damit er unangefochten an der Spitze steht.

Der "uomo virtuoso" besitzt keinen Legitimitätsanspruch auf die Herrschaft. Er ist aber auch kein Thronräuber, weil er sich die Macht zu einem Zeitpunkt greift, an dem es keine Herrschaft und keinen Herrscher gibt. Der "uomo virtuoso" ist folglich ein "principe nuovo", ein neuer Herrscher.

Für das Gelingen der Machtergreifung ist es laut Machiavelli unerläßlich, daß sich der "uomo virtusos" auf ein Gewaltpotential in Form von eigenen Truppen zurückgreifen kann, die seinem Befehl ohne Widerspruch gehorchen. Die Zuhilfenahme von Söldnertruppen gilt Machiavelli als zu unsicher, da man nicht auf ihre Loyalität setzen kann, wie er selbst in seiner Position als Staatsdiener selbst feststellen mußte. Die Übernahme der Macht ohne jegliche Rückendeckung durch eigene Truppen lehnt er gleichermaßen ab. In diesem Falle wäre ein schnelles Ende der Herrschaft vorgezeichnet, wie es Savonarola erleiden mußte.

"Daher haben alle bewaffneten Propheten gesiegt, während die unbewaffneten zugrunde gingen."[24]

Zur Sicherung der Macht muß der neue Herrscher die Bürger einschüchtern, konsequente Strafen verfügen und mit einer unerbittlichen Ordnungsmacht herrschen.

"Man kann als richtig voraussetzen: Ein Fürst, und namentlich ein neuer Fürst , kann nicht so handeln, wie die Menschen gewöhnlich handeln sollten, um rechtschaffen genannt zu werden; das Staatserfordernis nötigt ihn oft, Treue und Glauben zu brechen und der Menschenliebe, der Menschlichkeit und Religion entgegen zu handeln."[25]

Ein Widerstandsrecht für die Bürger gegen die Herrschaft des "uomo virtuoso" besteht nicht. Vielmehr muß der Herrscher Widerstand jeglicher Art brechen.

Das Besitzen von einigen moralischen Tugenden ist zwar löblich, bei der Machtübernahme und Sicherung sind sie jedoch nur hinderlich, weil dadurch die Handlungsmöglichkeiten des Herrschers im Kampf gegen die "fortuna" eingeschränkt werden. Um dagegen ein größeres Handlungsrepertoire zur Verfügung zu haben muß der Herrscher die Fähigkeit besitzen, gut wie auch böse zu sein, je nachdem, was die Situation erfordert.

"Er muß also nach dem Winde segeln, aber nicht ganz vom Wege des Guten ablenken, solange dies nur möglich ist; erst dann muß er ohne Bedenken Verbrechen begehen, wenn es die äußerste Not erfordert."[26]

Befolgt der Herrscher diese Regeln nicht, so droht ihm laut Machiavelli der Untergang, denn die Menschen sind auf Grund ihrer unveränderlichen asozialen Natur immer in Begriff sich gegen ihn zu wenden.

"Es ist daher unvermeidlich, daß ein Mann, der überall rein moralisch handeln will, unter so vielen anderen, die nicht so handeln, früher oder später zugrunde gehen muß."[27]

Falls er nicht böse ist, so muß er es lernen. Tugendhafte Männer, die ihr Handeln an den Maßstäben der Moral ausrichten, sind im Kampf gegen die "fortuna" hoffnungslos im Nachteil.

"Es ist also notwendig, daß ein Fürst, der sich behaupten will, auch lernen muß, nicht gut zu handeln, um erforderlichenfalls hiervon Gebrauch zu machen."[28]

Neben dem Gewalthandeln, das dadurch legitimiert wird, daß es den Verfall eines Gemeinwesens in Notlagen verhindert, scheut Machiavelli auch nicht vor dem Vertragsbruch zurück, wenn dieser für das Wohl des Landes dienlich ist.

Die Art und Weise, wie regiert wird, soll aber nicht nur einen destruktiven Charakter besitzen. Wie es Machiavelli nötig hält, in bestimmten Situationen Gewalt anzuwenden, so hält er es gleichsam für unabdingbar, auch Milde zu zeigen. Ein Herrscher sollte geliebt, wie auch gefürchtet werden. Da aber beides schwerlich vereinen läßt, ist es für ihn sicherer gefürchtet zu werden, da die Menschen weniger Angst davor haben, einen Herrscher anzugreifen, der geliebt wird. Die Liebe ist an die Dankbarkeit gebunden, die in der Not aber leicht verschwindet. Grausamkeit ist dagegen ein Ruf, der sich lange hält.

Allerdings soll der Fürst versuchen, dem Haß zu entgehen. Gefürchtet zu werden, ohne Haß hervorzurufen, ist ideal. Haß entsteht, wenn man sich am Eigentum oder an den Frauen der Bürger vergreift. Grausamkeiten dürfen nur im Schutze des Gesetzes stattfinden. Vor allem der Besitz der Menschen muß unangetastet bleiben.  

"Wird er auch hier und da in die Notwendigkeit versetzt, jemand das Leben zu nehmen, so darf dieses doch nicht eher geschehen, als bis ein hinreichender Grund und offenkundiger Rechtsfall vorliegt, und nie darf er das Vermögen dieser Opfer angreifen; denn leichter vergißt der Mensch die Ermordung seines Vaters, als er den Raub und Verlust seines Erbteils verzeiht."[29]

Der "uomo virtuoso" soll sich beim Gebrauch seiner Macht ausschließlich von politischen Absichten und Notwendigkeiten (Machiavelli benutzt dazu den Begriff der "necessita") leiten lassen. Tyrannen, die moralisch mißraten sind und die Gewalt zum Selbstzweck verkommen lassen, werden von ihm verachtet. Die Gewalt, mit welcher der Herrscher über die Menschen herrscht, soll nicht dazu dienen, daß Volk ohne Sinn und Verstand zu knechten. Vielmehr soll auf diese Weise die "ambizione" eingedämmt sowie alle Widerstände gegen seine Person und seine Politik beseitigt werden. Auf diese Weise soll die Bevölkerung beruhigt werden.

"Wenn ihn die Tat anklagt, so muß ihn der Erfolg entschuldigen; und ist dieser gut, wie bei Romulus, so wird er ihn auch immer entschuldigen; denn wer gewalttätig ist, um zu zerstören, nicht wer es ist, um aufzubauen, verdient Tadel."[30]  

Trotzdem muß der "uomo virtuoso" immerfort den Menschen gegenüber mißtrauisch sein. Da sie wie beschrieben durchweg einen schlechten Charakter besitzen, besteht jederzeit die Gefahr eines Umsturzes. Um einer solchen Handlung zuvorzukommen, sollte ihm jedes Mittel recht sein, wenn er dadurch erfolgreich ist und seine Macht erhalten kann.

"Ein kluger Fürst darf daher sein Versprechen nie halten, wenn es ihm schädlich ist oder die Umstände, unter denen er es gegeben hat, sich geändert haben. Diese Grundregel würde nicht gut sein, wenn alle Menschen gut wären. Weil aber alle böse und schlecht sind und in dem gegebenen Falle dem Fürsten ihr Versprechen auch nicht halten würden, so berechtigt ihn dieses, auch wortbrüchig zu werden."[31]

Machiavelli räumt der Überwindung der Krisensituation, der Ordnungsstiftung, der Verfassungsgebung und der verfallsverhindernde politischen Erneuerung in jedem Fall eine höhere Priorität ein, als die Einhaltung moralischer Werte.

"... und niemals wird der klare Verstand einen Mann wegen einer außerordentlichen Handlung tadeln, die er zur Gründung eines Königreichs oder einer Republik ausgeführt hat. Wenn ihn die Tat anklagt, so muß ich der Erfolg entschuldigen; und ist dieser gut, wie bei Romulus, so wird er ihn auch immer entschuldigen; denn wer gewalttätig ist, um zu zerstören, nicht wer es ist, um aufzubauen, verdient Tadel."[32]

Auch wenn eine Tat für den Bürger im Augenblick nicht durchschaubar scheint und eher Ablehnung als Verständnis hervorruft, so wird laut Machiavelli doch die Geschichte zeigen, daß Ergebnis diese Tat rechtfertigt.

 

3.5. Die Festigung der Herrschaft

Nach der anfänglichen repressiven-autoriären Frühphase, in welcher der Herrscher alle Widerstände beseitigt hat, muß der "uomo virtuoso" seine Macht festigen. Dafür ist es nötig, eine kluge Gesetzgebung zu erlassen. Die Kompetenz und die verfassungspolitische Phantasie, die für dieses Werk gebraucht werden, sind ebenfalls wichtige Charaktereigenschaften, die aus dem Herrscher einen Mann mit "virtu" machen.

Die Menschen handeln laut Machiavelli nur aus zwei Antriebsmotiven, aus Liebe oder aus Furcht. Das seiner Meinung nach Menschen nur Gutes im Angesicht einer zwingenden Notwendigkeit tun würden, bedarf es Gesetze, um sie zum Vorteil des Gemeinwesens dazu zu veranlassen. Es gibt nichts schädlicheres für die Ordnung als den Erlaß von Gesetzen, die nicht eingehalten werden. Dieses würde nur noch dadurch überboten werden, daß der "uomo virtuoso" trotz seiner Funktion als Gesetzgeber sich selbst nicht an diese halten würde. Wenn das Gesetz nicht mehr greift, so ist unvermeidlich die Unordnung die Folge. Das Erlassen von Gesetzen ist somit notwendig für das Überleben des Gemeinwesens, denn je weniger sich den Menschen eine Möglichkeit zur Willkür bietet, um so besser ist es für das Gemeinwesen und folglich auch ihn selbst. Die Gesetzgebung bildet somit die wichtigste Grundlage des Gemeinwesens. 

Eine wichtige Rolle für die Stabilisierung der Ordnung spielt die Religion.[33] Sie trägt dazu bei, daß die Bürger eines Gemeinwesens sozial aneinander gebunden werden und das Heer durch sie in Gehorsam gehalten wird. Der Herrscher in seiner Funktion als Gesetzgeber sollte sich stets auf Gott berufen, damit die erlassenen Gesetze vom Volk angenommen werden. Es genügt aber, wenn er der Herrscher in der Lage ist, den religiösen und moralischen Schein zu wahren.

"Wirklich gab auch niemals ein Mann, ohne zur Gottheit seine Zuflucht zu nehmen, einem Volke außergewöhnliche Gesetze, da sie sonst nicht angenommen worden wären; denn es gibt viel Gutes und in seinen Folgen Wohltätiges, das ein weiser Mann erkennt, das aber keine so in die Augen springenden Gründe hat, um andere davon zu überzeugen zu können. Kluge Männer nehmen daher zur Gottheit ihre Zuflucht, um diese Schwierigkeit zu beheben."[34]

Wird die Religiösität mißachtet, muß es zwangsläufig zum Verfall eines Gemeinwesens kommen. Aus diesem Sachverhalt heraus führt Machiavelli dann auch den Verfall Italiens auf die römische Kirche zurück, da unter anderem der päpstliche Hof auf Grund seiner unsittlichen Beispiele den Verlust der Gottesfurcht und der Religion in Italien zu verantworten hat.

Die Religion bekommt bei Machiavelli einen instrumentalen Charakter. Zwar ist sie ein wichtiger Garant für das Gelingen der Politik des "uomo virtuoso", sie ist aber unter der Politik angesiedelt.

Man muß an dieser Stelle zu bedenken geben, daß zur Zeit der Niederschrift die Kirche die oberste Instanz in fast allen europäischen Ländern darstellte und Feindes des rechte Glaubens radikal verfolgte. Machiavellis Ansichten bezüglich der Rolle der Religion und die obengenannte Kritik an der katholischen Kirche dürften maßgeblich dafür verantwortlich gewesen sein, daß seine Schriften von der Kirche auf den Index gesetzt wurden. Daß er nicht selbst für seine Schriften persönlich "haftbar" gemacht wurde, war wahrscheinlich nur glücklichen Umständen zu verdanken.

Die Art und Weise, wie der "uomo virtuoso" herrscht, sollte in dieser Phase nobler und rücksichtsvoller werden. Den Menschen sollen seine Person, seine charakterlichen Eigenschaften und seine politischen Taten als ein Vorbild dienen. Von dieser Maßnahme  verspricht sich Machiavelli eine politische Erziehung, die eine Eindämmung der gefährlichen "ambizione" zur Folge hat. Der Herrscher aber weiterhin die Gefahr der Instabilität im Auge behalten, denn ein Rückfall in das politische Chaos droht nach wie vor.

Laut Machiavelli werden die Bürger die politische Ordnung anerkennen, wenn die Gesetze sowie die Ausübung der Herrschaft von guter Beschaffenheit sind. In einem günstigen politischen Klima besteht ferner die Möglichkeit, daß die Menschen schließlich einen Gemeinschaftssinn mit sozialen Verhaltensweisen und einer hohen Moral entwickeln, denn nach Machiavelli erzeugt eine gute Regierung auch gute Menschen.

 

3.6. Der Abtritt des "uomo virtuoso"

Das Ziel des politischen Handeln des "uomo virtuoso" ist aber nicht die Begründung einer dauerhaften Herrschaft über das Volk, die womöglich auf Grund der Einrichtung einer Thronfolge von seinen Nachkommen weitergeführt wird. Machiavelli bezweifelt es nämlich, daß ein die "virtu" vererbbar ist. Es besteht vielmehr die Gefahr, daß der Nachkomme des "uomo virtuoso" ein gewöhnlicher, schlechter Mensch ist, der wie alle anderen auch vom Ehrgeiz besessen ist. Eine konsequente Folgerung aus dieser Feststellung wäre, daß die Herrschaft lediglich zum eigenen Vorteil mißbraucht werden könnte.

Machiavelli verlangt von dem Herrscher die von ihm geschaffene Ordnung dahingehend zu entwickeln, daß sie die Fähigkeit zur Selbsterhaltung erlangt, also einzelne Bürger die Aufgaben des Herrschers übernehmen. Tritt dieses ein, so soll dieser zurücktreten und das Gemeinwesen in die Selbständigkeit entlassen.

"Wenn ferner es auch ein einzelner Mann vermag, eine Verfassung zu geben, so ist diese nicht von langer Dauer, wenn ihre Erhaltung auf den Schultern eines einzelnen Mannes ruht; wohl aber wenn viele dafür Sorge tragen. So wie nämlich viele nicht geeignet sind, ein Staatswesen zu ordnen, weil sie bei ihrer Meinungsverschiedenheit das Beste desselben nicht erkennen, ebensowenig vereinigen sie sich dazu, es wieder zu verlieren, wenn sie es einmal erkannt haben."[35]

Hat der "uomo virtuoso" seiner Herrschaft in der richtigen Weise ausgeübt, sind seine Gesetze und die von ihm geschaffenen Institutionen gut, besteht die Möglichkeit, daß aus der von ihm geschaffenen Ordnung eine Republik entstehen kann. Die Republik ist nach Machiavelli die erstrebenswerteste Herrschaftsform, weil diese sich am erfolgreichsten selbsterhalten und der "fortuna" am meisten Widerstand leisten kann. Denn in einer Republik ist die Verantwortung für das Gemeinwesen statt auf einen auf mehreren Personen verteilt. Durch die persönlichen Fähigkeiten, das Wissen und die Erfahrungen jedes Einzelnen ergibt sich somit ein reichhaltigeres Handlungsrepertoire.

Ist schließlich eine dauerhafte Republik entstanden, dann ist der Herrscher ein Held der Politik, weil es nur wenige gibt, die gleiches vollbringen konnten. Als Lohn für seine Anstrengungen, sein Werk und seinen Verzicht auf die Herrschaft erhält er einen Platz in der Geschichte der Menschheit.

Machiavelli liefert dem "uomo virtuso" Handlungsregeln, wie dieser die Herrschaft erwerben und erhalten kann. Diese Regeln entwickelte er auf Grund seines Geschichtsverständnisses, welches auf dem Prinzip beruht, daß die Menschen immer gleich sind und die typischen Situationen in der Geschichte immer wiederkehren. Das Wissen um diesen Geschichtskreislauf ermöglicht es nun dem "uomo virtuoso" in einer bestimmten Situation die richtigen Maßnahmen zu wählen. Diesen Geschichtskreislauf gilt es nun näher zu betrachten.

 

3.7. Der Kreislauf der Geschichte

Machiavelli untersuchte die Geschichte des Aufstiegs und Fall von Staaten und analysierte die verschiedenen Handlungen und Schicksale von Potentaten zur Zeit der Antike. Dazu zog er einen Vergleich zu der Zeit, in der er lebte. Er kam dabei zu dem Schluß, daß die Geschichte kein sich ständig verändernder Prozeß ist, in dem eine Entwicklung hin zum Guten stattfindet. Er faßte die Geschichte vielmehr als einen Kreislauf von Ereignissen auf, in dem sich ein Gemeinwesen und die darin lebenden Menschen in die totale Unordnung verfallen. Jedoch entwickelt sich aus diesem Chaos, das von einem Höchstmaß an sittlich-politischen Verfall gekennzeichnet ist, wieder ein Gemeinwesen von hoher Güte.

"In einem Kreislauf pflegen die meisten Staaten von Ordnung zu Unordnung überzugehn, um dann von der Unordnung zur Ordnung zurückzukehren. Denn da die Natur den menschlichen Dingen keinen Stillstand gestattet, so müssen sie notwendig abwärts steigen, nachdem sie den Gipfel der Vollkommenheit erreicht haben, so sie nicht ferner aufwärts zu steigen vermögen. Sind sie nun herabgestiegen und durch Zerrüttung aufs tiefste gesunken, so müssen sie, da ferneres Sinken unmöglich, notwendig wieder aufwärts steigen. So in stetem Wechsel geht es abwärts zum Bösen, aufwärts zum Guten. Denn Tugend zeugt Ruhe, Ruhe Trägheit, Trägheit Unordnung, Unordnung Zerrüttung , wie hinwieder aus der Zerrüttung Ordnung entsteht, aus der Ordnung Tugend, aus der Tugend Ruhm und Glück."[36]

Machiavelli behauptete, daß es in der Entwicklungsgeschichte eines Gemeinwesen 8 Abschnitte gibt:[37]

·in der ersten Phase wird die krisenhafte Situation, von dem ein Gemeinwesen betroffen ist, durch die Errichtung einer Herrschaft des "uomo virtuoso" überwunden.

·in der zweiten Phase festigt der "uomo virtuoso" seine Herrschaft und schafft mittels der Erlassung von Gesetzen eine institutionelle Ordnung.

·in der dritten Phase stabilisiert sich die Ordnung. Durch die Vorbildfunktion des Herrschers und seiner "virtu" werden gleichzeitig die Menschen politisch erzogen und entwickeln so ein Gemeinschaftsgefühl .

·in der vierten Phase entwickelt sich aus der Herrschaft des "uomo virtuoso" eine Republik, die selbsterhaltungsfähig ist. Mit deren Schaffung tritt gleichzeitig der "uomo virtuoso" ab.

·in der fünften Phase stabilisiert sich schließlich die Republik. Jeder Mensch versteht sich selbst als ein Teil der Gemeinschaft und identifiziert sich mit dessen Schicksal. Das Gemeinwesen hat den Gipfel der Vollkommenheit erreicht. 

·in der sechsten Phase zerbricht das Gefüge des Gemeinwesens auf Grund eines einsetzenden sittlich-politischen Verfalls.

·in der siebten Phase verlieren die Institutionen ihre Macht und die Ordnung zerfällt.

·in der achten Phase kommt es zu einer Krise. Es herrscht Bürgerkrieg und ein allgemeines Chaos. Der Tiefpunkt der Zerrüttung ist erreicht, da nun die "fortuna" uneingeschränkt herrscht..

Laut Machiavelli wiederholen sich immer die gleichen Probleme, Situationen und Handlungsstrukturen im Lauf der Menschheitsgeschichte. Der Grund dafür liegt in der Unveränderlichkeit der menschlichen Natur und den Gesetzmäßigkeiten begründet

Dem Herrscher soll nun seine Regeln dazu dienen, aus den geschichtlichen Ereignissen von fremden Schaden zu lernen, ohne selbst eigenen zu erleiden. So läßt sich aus der Gegenwart die Zukunft und die Gegenwart aus der Vergangenheit erklären.

"Wer sich mit der gegenwärtigen und antiken Geschichte beschäftigt, erkennt leicht, daß alle Staaten und alle Völker von jeher die gleichen Wünsche und die gleichen Launen hatten. Untersucht man also sorgfältig die Vergangenheit, so ist es ein leichtes, in jedem Staat die Zukunft vorherzusehen und die gleichen Mittel anzuwenden, die auch von den Alten angewandt wurden, oder bei ähnlichen Ereignissen neue auszudenken, wenn bereits erprobte Mittel nicht zur Hand sind."[38]

Jedes historische Ereignis kann dem Betrachter als ein Beispiel dienen, aus dem er politisch verwertbare Handlungsweisen ziehen kann. Er muß nur exakt den Entwicklungstand feststellen, in dem sich das Gemeinwesen befindet und die richtige Handlung in der jeweiligen Situation vollziehen.

Die Geschichte zeigte, daß in den historischen Situationen A und B eine Handlung H begangen werden mußte, um ein bestimmten Zweck Z zu erzielen. Befindet sich nun der Herrscher in einer ähnlichen Lage wie A oder B und verfolgt einen ähnlichen Zweck, so muß er nur die gleiche Handlung H durchführen, um das Ziel zu erreichen. Will er dagegen ein bestimmtes Ziel erreichen, ohne sich in der Situation A oder B zu befinden, so muß er die Situation dahingehend verändern, daß die vielversprechend Handlung H zu vollziehen.

Hält sich der Herrscher nicht an diese Regeln, so droht ihm Schaden. Das Erkennen der Situation und die Wahl der richtigen Mittel sind ebenfalls Charaktereigenschaften, die der Herrscher besitzen muß.

 

4. War Machiavelli ein Machiavellist?

In dieser Arbeit wurde versucht, mittels der Biographie und der Werke "Il principe" und "Discorsi sopra la prima deca Tito Livio" die Denkweise Machiavellis. Zum Abschluß soll nun die Frage geklärt werden, inwieweit seine Schriften vom heutigen Standpunkt aus zu werten sind: Wie "machiavellistisch" ist also Machiavelli?

Unter Machiavellismus wird gemeinhin eine Lehre von der Macht verstanden. Macht wird von den politischen Eliten dazu benutzt, ihre Interessen durchzusetzen. Der Gebrauch wird dabei von den ethischen Werten abgekoppelt. Dieses hat zur Folge, daß das vorrangige Ziel der Politik kraft des Mittels der Staatsraison die Machterhaltung wird, die sich rücksichtslos über Gesetz und Moral hinwegsetzt. Macht erhalt und Staatsraison werden somit zum Selbstzweck.[39]

Staatsraison ist im Sinne eines Vorrecht des Staates zu verstehen. Das Interesse des Staates ist gegenüber partikularen beziehungsweise individuellen Interessen der Gesellschaft vorrangig. Weiterhin ist unter dem Begriff Staatsraison zu verstehen, daß die Erhaltung von staatlicher Macht, Einheit und Fortexistenz einen Wert an sich darstellen, mit dem Gemeinwohl identisch sind und deshalb den Einsatz von außerordentlichen Mitteln legitimiert. Die Berufung auf die Staatsraison diente absolutistischen Staaten wie auch in heutiger Zeit Obrigkeitsstaaten dazu, ihre Politik zu rechtfertigen, die sich über Gesetz und Moral hinwegsetzt.[40]

Der "uomo virtuoso" wird von Machiavelli dazu berechtigt, teilweise sogar verpflichtet, sich über Gesetz und Moral hinwegzusetzen, wenn es für die Aufrechterhaltung der politischen Stabilität eines Gemeinwesens dienlich ist. Damit kann man ihn zweifelsohne als ein Vordenker des heutigen Begriffs der Staatsraison bezeichnen.[41]

Als Begründer dieses Terminus darf man Machiavelli aber nicht bezeichnen, da es ihm darum ging, Handlungsregeln zur Erhaltung der Macht des einzelnen Herrschers und nicht zur Selbsterhaltung des Staates aufzustellen. Zwar benutzt Machiavelli den Begriff "stato". Er verbindet damit aber nicht den neuzeitlichen Begriff des Staates, sondern die individuelle Position Machtposition des Herrschers. "Der neue Fürst versucht sich politisch zu behaupten, bemüht sich um seinen Herrschaftsbesitz, seine Machtposition, will eben seinen stato aufrechterhalten".[42]

Auch als ein Vordenker des Begriffs der Staatssouveränität, also die Unabhängigkeit des Staates von jedweden inneren oder äußeren Interessen,[43] kann man Machiavelli bezeichnen. Er mußte zusehen, wie sein Heimatland zu einem politischen Spielball der Machtinteressen von fremden Staaten wurde und dabei moralisch immer mehr verrohte. Aus diesem Grund fordert er einen starken und stabilen Staat (auch an dieser Stelle bedeutet "Staat" die Herrschaft des "uomo virtuoso"). Dieser konnte den Bösartigkeiten der Menschen am besten entgegenwirken und so das Gemeinwohl, worunter Machiavelli die politische Stabilität eines Gemeinwesens versteht, sichern. Um dieses zu verwirklichen, muß aber nach seiner Ansicht der Staat nach Innen gegenüber den Menschen und nach Außen gegenüber fremden Staaten

Zwar beschreibt Machiavelli im "Il principe" als praktikable Herrschaftsform die Alleinherrschaft eines Fürsten, in den "Discorsi" dagegen die Republik, eine einzig wahre Regierungsform gibt es für ihn aber nicht. Er macht die Herrschaftsform von der politischen Situation abhängig: Ist das Gemeinwesen befriedet und die Menschen diszipliniert, sollte mehrere qualifizierte Männer an der Spitze einer Republik stehen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Ist dagegen eine politische Krise ausgebrochen und die Menschen hemmungslos verkommen, so kann nur ein absolutistischer Herrscher das Land regieren. Wichtig ist allein für Machiavelli, daß die Ordnung gesichert wird und dieses traut er nur einer starken Regierung zu.

Das zur für den Erhalt der Ordnung Opfer zu bringen sind, sieht Machiavelli als selbstverständlich an. Er stellt dem "uomo virtuoso" ein ganzes Handlungsrepertoire zur Verfügung, wie dieser seine Herrschaft absichern kann. Der Herrscher darf verlogen und grausam sein, wenn es ihm hilft. Aber Machiavelli betont, daß eine Lüge stets eine Lüge und ein Mord stets ein Mord bleibt.[44] Tyrannen, die das Volk nur zu ihrem eigenen Vorteil knechten, verachtet er zutiefst.

Gleichwohl kann man Machiavelli die indirekte Befürwortung einer Willkürherrschaft unterstellen. Sein Herrscher hat keine übergeordnete Macht über sich. Er kann somit frei darüber entscheiden, was als Gefährdung der Ordnung des Landes gilt oder nicht. Gleiches gilt für die Funktion des Herrschers als Gesetzgeber. Dadurch, daß er sich bei der Gesetzgebung auf Gott beruft, legitimiert er sein Handeln nachträglich legitimieren.

Auch wenn Machiavelli es wahrscheinlich nicht so verstanden haben wissen will, so würde sich doch jeder Diktator, der sein Volk quälen läßt, seine Taten mit der Berufung auf Machiavelli dahingehend rechtfertigen können, daß seine Maßnahmen allein zur Erhaltung der Ordnung und zum Wohle aller dienen würde.

Ebenso könnten Machiavellis Schriften als eine Legitimation der Politik des Imperialismus dienen. Da Republiken für ihn einen Idealzustand darstellen, müßten folglich alle anderen Gesellschaften eine potentielle Gefahr darstellen, die nicht dieses Stadium erreicht haben, da beispielsweise dort lebenden Menschen noch voll von der "ambizione" besessen sind. Dieses könnte als eine Rechtfertigung für eine Besetzung, wenn nicht sogar für die Vernichtung des "feindlichen" Gemeinwesens dienen.

Will man Machiavellis Werke in seinem Sinne richtig interpretieren, so darf man dabei nie den zeitlichen Kontext außer acht lassen, in dem sie entstanden. Sein Anliegen war es nicht, eine Theorie zur Erhaltung von Herrschaft zu liefern, die für alle Zeiten gelten sollte. Die Pervertierung seiner Idee, die als "Machiavellismus" bezeichnet wird und worunter der hemmungslose Mißbrauch der Herrschaft zum alleinigen Ziel der Machtsicherung zu verstehen ist, wäre sicherlich von ihm auf das schärfste verurteilt worden.

Vielmehr lag es ihm mit seiner Arbeit daran, den Krisenzustand, von dem sein Heimatland betroffen war, zu überwinden. Seine Vision für die Zukunft des Landes ist eine Republik. Bezogen aber auf die Zeitumstände läßt sich das nach seiner Meinung nur über eine Alleinherrschaft erreichen.

Es läßt sich natürlich nicht von der Hand weisen, daß Machiavelli mit seinen Werken auch das Ziel verfolgte, wieder in den von ihm ersehnten Staatsdienst aufgenommen zu werden. So adressierte er den "Principe" zuerst an Giuliano de Medici. Da dieser aber verstarb, schrieb er den "Principe" für den Neffen Guilianos Lorenzo.[45]

An dieser, wie an vielen anderen Stellen kann man Widersprüche in Machiavellis Logik feststellen. Laut Machiavelli gibt es nur wenige Menschen, die eine Befähigung vom Format eines "uomo virtuoso" aufweisen können. Es lehnt es ferner auch ab, daß die Herrschaft in Form einer Thronfolge weitervererbt werden soll. An dieser Stelle drängt sich aber die Frage auf, ob Machiavelli der Familie der Medicis zutraute, zwei Männer mit so hervorragenden Qualitäten hervorzubringen.

Weiterhin scheint auch beispielsweise nicht schlüssig zu sein, daß Machiavelli im Grunde genommen alle Menschen als asoziale Ordnungsstörer abqualifiziert, es aber trotzdem einem Menschen zutraut, die Ordnung wiederherzustellen.

Als einen letzten Punkt kann man Machiavellis verklärende Analyse der römischen Republik anführen. Für ihn stellte dieses System das Ideal an, das seines gleichen suchte und unbedingt nachahmenswert war. Es stütze sich bei seinem Urteil vor allem auf die Schriften des Titus Livius. Es ist anzunehmen, daß dieser in seinen Werken keinesfalls objektiv die realen Gegebenheiten 

Ob man bei den Schriften von Machiavelli schon von einer Staatstheorie sprechen kann, ist nicht eindeutig zu beantworten. Zwar benutzt Machiavelli den Begriff Staat, er meint damit aber nicht den heutigen Staatsbegriff. Unter Staat versteht man heutzutage eine politische Ordnung, in der eine größere Gruppe von durch gemeinsame Merkmale verbundenes Staatsvolk innerhalb eines bestimmten räumlichen Staatsgebietes zur Befriedigung bestimmter materieller und immaterieller Güter und zur Verfolgung bestimmter Interessen und Zwecke auf Dauer verbindet und einer einheitlichen Herrschafts- oder Staatsgewalt unterwirft.[46]

Der Staat, von dem Machiavelli dagegen spricht, meint, wie eingangs erläutert, die individuelle Machtposition des Herrschers.

 Würde es sich um eine politische Theorie im heutigen strengen Sinne handeln, müßte ein überprüfbares methodisches Vorgehen vorliegen. An diesem mangelt es jedoch in allen Werken von Machiavelli.[47] So dienten ihm beispielsweise als Erkenntnisquellen neben den Schriften der Antike und seinen eigenen Erfahrungen auch Gespräche über die politische Situation mit beliebigen Mitbürgern. Auch zentrale Begriffe wie die "ambizione" werden nicht näher definiert, sondern gewinnen kaum ein "begrifflich theoretische Kontur"[48].

Dagegen kann man aber auch die Aufstellung von Handlungsrichtlinien, die einem Herrscher dazu dienen sollen, in bestimmten Situationen der Politik das richtige Mittel anzuwenden, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, durchaus als eine Staatstheorie ansehen. Es kommt bei der Entscheidung, ob es sich um eine Staatstheorie handelt oder nicht darauf an, wie man diese definiert, beziehungsweise ab wann eine Staatstheorie eine solche ist.

In diesem Fall ist es wie beschrieben schwierig, eine klare Antwort auf die Frage zu finden. Sollte es sich jedoch noch nicht um eine Staatstheorie handeln, so stellen die Schriften von Machiavelli auf jeden Fall den Beginn der politischen Theorie dar.

Die Frage, ob Machiavellis Schriften heutzutage noch irgendeine konkrete politische Relevanz besitzen, muß man verneinen. "Il principe", die "Discorsi" wie auch die weiteren Werke von Machiavelli waren "Kinder" ihrer Zeit, die sie maßgeblich prägte.

Man muß beim Studium dieser Schriften bedenken, daß der Großteil der damals lebenden Zeitgenossen sicherlich in den Augen des gebildeten Machiavellis ein trauriges Bild abgab. Das Land befand sich in einer schweren Krise und so versuchte jeder nur für sich selbst einen Vorteil rauszuschlagen. In Zeiten wie diesen war kein Platz für hochtrabende Wunschträume von einer besseren Welt, in der alle glücklich und zufrieden waren. Seiner Ansicht nach konnte nur ein radikaler Schnitt in der Politik die Ordnung wiederherstellen. Die Verletzung von Rechten des Einzelnen nahm er dabei billigend in Kauf und entschuldigte sie mit dem Verweis auf das übergeordnete Ziel.

Auf Grund der Lehren aus der nahen Geschichte muß man aber heutzutage behaupten, daß es in einem Gemeinwesen, gleich welcher politischer Beschaffenheit es auch ist, kein höheres Gut gibt als die Rechte des Einzelnen und dabei vor allem die Menschenrechte. Das Wohl des Einzelnen ist wichtiger als das Wohl der Gemeinschaft. Politischen Krisen, ein Krieg innerhalb eines Landes oder eine Kriegshandlungen mit einem anderen Land dürfen nicht als Vorwand dafür dienen, Grundrechte außer Kraft zu setzen.

In diesem Sinne sind auch die Artikel 1 bis 20 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland zu sehen. So handelt es sich bei den Artikeln 1 bis 19 um die unveräußerlichen Grundrechte eines jeden Menschen. Diese, wie auch der Artikel 20 des Grundgesetzes, dürfen auch im Falle einer wie auch immer gearteten Mehrheit nicht geändert werden.

 

5. Fazit

Wie diese Arbeit darlegen konnte, war Machiavelli kein Machiavellist, sondern ein Mensch, der allein sein Heimatland aus einer schweren Krise herausführen wollte. Allein zu diesem Zweck verfaßte er seine Schriften. Das diese Jahrhunderte später noch Anlaß zu Diskussionen geben würden, konnte Machiavelli wahrscheinlich nicht ahnen. So muß man ihn gegenüber Anfeindungen in Schutz nehmen, die ihn lediglich auf verteufeln wollen.

Trotzdem muß man aber feststellen, daß Machiavelli den Anstoß zum Machiavellismus gab. Hätte er bei der Verfassung seiner Schriften durchgängig darauf geachtet, daß seine politischen Ansichten nur in seinem Sinne zu interpretieren sein würden, wäre eine Fehlinterpretation nicht möglich gewesen.

 

6. Literaturverzeichnis

Deutscher Taschenbuch Verlag. DTV - Atlas zur Weltgeschichte. Band 1. 21. Auflage. München 1986.

Freyer, Hans. Machiavelli. 2. Auflage. Weinheim 1986.

Holtmann, Everhard (Herausgeber). Politiklexikon. München, Wien, Oldenburg 1991.

Kersting, Wolfgang. Niccolò Machiavelli. München 1988.

Lompe, Klaus. Script zur Vorlesung: Politisches System der Bundesrepublik Deutschland. Braunschweig ?.

Miethke, Jürgen. Politische Theorien im Mittelalter. In: Lieber, Hans-Joachim (Hrsg.). Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart. 2. Auflage. Bonn 1993. Seite 142–152.

Münkler, Herfried. Machiavelli. Politische Schriften. Frankfurt am Main 1991.

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