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  Der Schein der Macht
Machiavelli - Die Geschichte als Lehrmeisterin
Machiavelli - Die Determinanten politischen Handelns
Machiavelli - Die Republik als beste Staatsform
Wie würde Machiavelli die aktuelle politische Lage kommentieren?
Machiavellis Theorie zur Erhaltung von Herrschaft
Eine Analyse des XVII. Kapitel des "Fürsten"
Xenophon in Machiavellis politischen Schriften
to be continued...

Patrick Horvath

Machiavellis Discorsi unter besonderer Berücksichtigung der Frage:

"Wie würde Machiavelli die aktuelle politische Lage kommentieren?

 

"Der Größe dieses Namens wird kein Lob gerecht"

("Tanto nomini nullum par elogium")

Inschrift auf dem Grabmal Machiavellis in der Kirche Santa Croce in Florenz, gesetzt von einem britischen Bewunderer des Philosophen

 

1. Einleitung
2. Der Einfluß des Titus Livius
3. Machiavellis Republikbegriff
   3.1 Die starke Republik
   3.2 Die Überlegenheit der Republik gegenüber der Autokratie
   3.3 Aut Caesar aut Brutus
   3.4 Vom Erhalt der republikanischen Freiheit
   3.5 Von der Vergrößerung einer Republik
4. Machiavelli und die Religion
   4.1 Die Religion als Mittel der Politik
   4.2 Die Kritik an der christlichen Lehre
   4.3 Die Kritik an der Katholischen Kirche
5. Ratschläge zu Machtgewinn und Machterhalt
   5.1 Entweder gut oder böse handeln - kein Mittelweg
   5.2 Bescheidenheit - keine erfolgreiche Strategie
   5.3 Mit Ungestüm und Kühnheit ist man oft erfolgreich
6. Wie würde Machiavelli die aktuelle politische Lage kommentieren?
   6.1 Allgemeines
   6.2 Machiavelli und die USA
   6.3 Machiavelli und die NATO
   6.4 Machiavelli und die Europäische Union
   6.5 Machiavelli und die gegenwärtige österreichische Neutralitätsdebatte
   6.6 Machiavelli über Jörg Haider
   6.7 Machiavellis Urteil über die Lewinsky-Affäre
   6.8 Machiavellis Urteil über den Kosovo-Konflikt

 

I. Einleitung

Niccolo Machiavelli unterscheidet in seinem Werk zwei Staatsformen: den Fürstenherrschaften einerseits, in denen ein einzelner Machthaber herrscht und den Republiken andererseits, in denen alle Staatsbürger an der Herrschaft beteiligt werden. Und so schrieb er auch zwei Bücher zur jeweiligen Staatsform: Der "Fürst" handelt von der Monarchie, die "Discorsi" handeln von der Republik.

Die Rezeptionsgeschichte von Machiavellis Werk verlief leider sehr unausgewogen. So ist dem meisten Gebildeten nur der "Fürst" bekannt, die "Discorsi" kennt kaum jemand. Dieser Umstand ist aus zwei Gründen bedauerlich:

Erstens sind die "Discorsi" das bessere Buch. Der "Fürst" ist knapper, mitreißender, voll von provokanten Formulierungen - was alles sehr reizvoll ist. Aber er provoziert vielleicht auch deshalb mehr Mißverständnisse. Die "Discorsi" sind umfangreicher, ausführlicher. Machiavelli erklärt mehr, geht mehr in die Tiefe, behandelt zahlreichere Facetten der Politik. Er beschäftigt sich dort "mit den meisten Problemen der inneren und äußeren Politik, der Staatsführung, der Verfassung und Verwaltung, der Volkswirtschaft, Kolonialpolitik und Kriegsführung".

Da heute zudem in der westlichen Welt die Republik die am häufigsten anzutreffende Staatsform ist, kann man die "Discorsi" auch als durchwegs aktueller bezeichnen. Der Rat an den Fürsten, seinen Statthalter in Stücke zu hauen, nachdem dieser die Drecksarbeit für ihn erledigt hat, wird für einen Monarchen oder Diktator für den Machterhalt - auch in Zukunft - wichtig und durchführbar bleiben, aber was bitte sollen der amerikanische Präsident oder der österreichische Bundeskanzler mit diesem Tip anfangen, wo sie eine solche Tat aufgrund unseres Rechtsstaats nicht ausführen könnten? Hinweise Machiavellis aber, wie man z.B. in einer Republik einem aufsteigenden Demagogen das Handwerk legt, der im Begriff ist, das ganze Volk zu verführen, sind in der heutigen Zeit sicherlich besser anwendbar.

Zweitens führte die ausschließliche Kenntnis des "Fürsten" zu einer einseitigen Sichtweise Machiavellis. Er erscheint dann der Nachwelt als bloßer Lobredner der Tyrannis. Nun hat Machiavelli im "Fürsten" den Machthabern wirklich möglichst unvoreingenommen Ratschläge zu Machtgewinn und Machterhalt erteilt. In den "Discorsi" enthüllt er aber seine eigentliche Gesinnung: Er ist überzeugter Republikaner und hält die Autokratie für eine verwerfliche und außerdem unkluge Staatsform. Machiavelli war kein Machiavellist.

 

II. Der Einfluß des Titus Livius

Die "Discorsi" beziehen sich stark auf das Geschichtswerk des Titus Livius.

Titus Livius wurde 59 v.Chr. in Padua geboren; in römischer Zeit war dies eine der reichsten und mächtigsten Städte Italiens. Die Sittenstrenge seiner Bewohner, die durchwegs republikanisch gesinnt waren, haben ihn entscheidend geprägt. Seine Kindheit fällt in die Zeit, als Caesar Gallien eroberte. Auf den Heranwachsenden machten der 49 v.Chr. ausbrechende Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius, Caesars Diktatur und seine Ermordung in den Iden des März 44 einen prägenden Eindruck. Daraufhin brachen wieder Bürgerkriege aus. Livius zog wahrscheinlich in den 30er Jahren nach Rom. Livius begegnete dem Putschisten und Diktator Caesar mit einer großen Skepsis. Pompeius hingegen soll er bewundert haben. Noch Augustus nannte ihn spaßenshalber einen Pompeianer.

Da Livius aus einer begüterten Familie stammte, konnte er sich ganz dem geistigen Leben widmen. Als Augustus die Macht übernahm, arbeitete Livius an einer römischen Geschichte "ab urbe condita", also von der Stadtgründung bis zur damaligen Gegenwart. Uns sind (und Machiavelli waren damals auch) nur die ersten zehn der ursprünglich 142 (!) Bücher erhalten. In diesen werden die Anfänge Roms behandelt. Das Geschichtsbild des Titus Livius orientiert sich u.a. an Sallust. Er bemüht sich, vor allem die reine, republikanische Gesinnung der Vorfahren herauszuarbeiten, die den Römern seiner Zeit verloren gegangen war. Er versucht schillernde Beispiele der alten, republikanischen Tatkraft, die Rom groß gemacht hat, wieder vor die Augen seiner Zeitgenossen zu führen. Diese sollten erneut für die alte Tüchtigkeit begeistert werden, die ihnen mittlerweile abhanden gekommen war; die glorreiche Vergangenheit sollte neu belebt werden.

Kaiser Augustus, der im Sinne seiner konservativen Politik die res publica zu erneuern gedachte, kam dieses Geschichtswerk recht; er förderte Livius nach Kräften und ehrte ihn durch persönlichen Umgang. Livius konnte aufgrund seiner Kontakte zur kaiserlichen Familie auch den jungen Claudius (den späteren Kaiser) zur Geschichtsschreibung ermuntern. Livius war schon zu Lebzeiten berühmt; wir wissen von einem Mann aus der spanischen Stadt Gades, der nach Rom reiste, nur um Livius zu sehen; als er sein Ziel erreicht hatte, kehrte er sogleich wieder um. Livius starb 17 n.Chr. in Padua.

Machiavelli hat aber mit den "Discorsi" nicht einfach ein "bloßes" Kommentar zum Werk des Livius geschrieben. Die römische Geschichte "ist vielmehr der Stoff, an dem sich das politische Ingenium Machiavellis entzündet, und zugleich das Mittel, um seine Gedanken, Erkenntnisse, Thesen, die ihm zum guten Teil auch die eigene Erfahrung eingab, seinen Zeitgenossen in einer ihrem Bildungsstand angemessenen Weise verständlich zu machen".

Gleichwohl übernahm Machiavelli vieles von Livius. Wie ihm erschien Machiavelli die römische Kaiserzeit als Zeit des Verfalls, nicht als einzigartige Blüte, wie augusteische Propaganda dies beschwor. Und er entwickelt seinen Republik-Begriff anhand des historischen Vorbilds der römischen Republik.

 

III. Machiavellis Republikbegriff

Die starke Republik

Bei einem Vorbild wie der römischen Republik ist es nicht verwunderlich, daß Machiavelli in seinen "Discorsi" keineswegs den Begriff eines pazifistischen, schwachen, braven, jedem Krieg und jeder Machtpolitik abgeneigten Staat entwickelt (das wäre nämlich der heute in Europa vorherrschende Demokratiebegriff), sondern daß Machiavellis Republik selbstbewußt ihre Interessen durchsetzt und unter Umständen auch Eroberungen durchführt.

Von dieser Grundhaltung zeugen viele Zitate aus den Discorsi. Er meint zum Beispiel in einer Kapitelüberschrift: "Die unmittelbare Aufeinanderfolge zweier tüchtiger Staatsführer bringt große Erfolge hervor. In gut geordneten Freistaaten folgen mit Notwendigkeit immer tüchtige Männer einander in der Macht nach; deshalb machen solche Staaten große Eroberungen und wachsen zu mächtigen Reichen an." Wenn das kein imperialistisches Programm für eine Republik ist...

An einer anderen Stelle meint Machiavelli: "Ein Staat mit einer freien Verfassung hat zwei Ziele: das eine ist, neues Land zu erobern, das andere, seine Freiheit zu erhalten." Er gibt in den Discorsi Ratschläge zu beidem; doch darauf komme ich später zurück (siehe Kap. Vom Erhalt der republikanischen Freiheit und Von der Vergrößerung einer Republik).

Daß Machiavellis Republik sicher nicht pazifistisch ist, sieht man auch z.B. an dem Kapitel: "Der Machthaber oder der Freistaat, der nicht gerüstet ist, verdient schärfsten Tadel."

Dort schreibt er: "Die heutigen Machthaber und neueren Freistaaten, die zu ihrer Verteidigung und zum Angriff kein eigenes Heer haben, sollten sich vor sich selber schämen und nach dem Beispiel des Tullus bedenken, daß ein solcher Fehler nicht daher rührt, daß waffenfähige Männer fehlen, sondern daher, daß sie es aus eigenem Verschulden nicht verstanden haben, ihre Untertanen militärisch zu erziehen."

Man kann, meint Machiavelli im selben Kapitel, auch ein verweichlichtes Volk in kurzer Zeit zu guten Soldaten; man muß es nur geschickt anstellen. Machiavelli hält es für notwendig, auch im Frieden die Kriegskunst nicht zu vernachlässigen. Wer nicht für den Krieg gerüstet ist, sei es materiell, militärisch oder philosophisch, wird sich seiner Meinung nach nicht lange auf dem oft brutalen Feld der Politik behaupten können.

 

Die Überlegenheit der Republik gegenüber der Autokratie

Machiavelli hält die Republik sowohl in Hinblick auf die Moral, als auch in Hinblick auf die Selbstbehauptung der Autokratie für überlegen.

Davon zeugt z.B. schon eine Kapitelüberschrift wie: "Das Volk ist weiser und beständiger als ein Alleinherrscher".

Dort schreibt er:

"Sowohl Livius als auch alle anderen Geschichtsschreiber behaupten, daß es nichts Eitleres und Unbeständigeres gebe als das Volk. (...Machiavelli sagt aber, daß er anderer Meinung ist...) Ich sage also: Dieser Fehler, den die Schriftsteller dem Volk zur Last legen, kann allen Menschen und besonders allen Machthabern zur Last gelegt werden. (...) Die Natur der Volksmassen ist daher nicht schlechter zu beurteilen als die eines Machthabers. Beide lassen sich in demselben Maß Verfehlungen zuschulden kommen, wenn sie es können, ohne die Gesetze fürchten zu müssen. Hierfür sprechen (...) viele Beispiele aus der Geschichte der römischen Kaiser und anderer Tyrannen und Alleinherrscher, bei denen man größere Unbeständigkeit und jäheren Wechsel in ihrem Verhalten beobachtet, als man je bei irgendeiner Volksmenge finden wird."

Das Volk ist also weniger oder zumindest nicht mehr der Unbeständigkeit und des Wankelmuts zu bezichtigen als der Alleinherrscher. Ferner trifft es bessere Urteile und Personalentscheidungen:

"Und was die Klugheit und Beständigkeit angeht, so behaupte ich, daß das Volk klüger und beständiger ist und ein richtigeres Urteil hat als ein Alleinherrscher. Nicht ohne Grund vergleicht man die Stimme des Volkes mit der Stimme Gottes; denn die öffentliche Meinung prophezeit so unmittelbar richtig, was geschehen wird, daß es den Anschein hat, als sähe sie vermöge geheimer Kräfte ihr Wohl und Wehe voraus. (...) Ferner sieht man, daß das Volk bei der Besetzung von Ämtern eine viel bessere Auswahl trifft als ein Alleinherrscher. Nie wird man das Volk überzeugen können, daß es von Vorteil sei, einen minderwertigen, verderbten Menschen mit einer hohen Würde zu bekleiden, während man einen Alleinherrscher mit tausend Mitteln dazu überreden kann."

Kenner des "Fürsten" wird diese Stelle, in der das Volk und sein Urteil so hoch gelobt wird, auf den ersten Blick verwundern. Spricht Machiavelli im "Fürsten" doch verächtlich vom sogenannten "Pöbel". So schreibt er:

"Alle sehen, was du scheinst, aber nur wenige erfassen, was du bist; (...) und bei den Handlungen der Menschen, zumal bei den Fürsten, sieht man auf den Enderfolg. Laß nur einen Fürsten siegen und seine Herrschaft behaupten, so werden die Mittel dazu stets für ehrenvoll gehalten und von jedermann gelobt werden; denn der Pöbel läßt sich immer von dem Schein und dem Erfolg mitreißen;..."

Ist dies nicht ein Widerspruch zu vorhin? Einerseits redet Machiavelli in den "Discorsi" lobend vom Volk, andererseits kommt der "Pöbel" im "Fürsten" gar nicht gut weg. Der renommierte Machiavelli-Forscher Herfried Münkler würde sagen, daß nur scheinbar ein solcher Widerspruch entsteht. So meint er zu der oben zitierten Stelle aus dem "Fürsten":

"Aber was auf den ersten Blick wie eine verächtliche Bemerkung über die Kurzsichtigkeit des Pöbels aussieht, entpuppt sich aber bei genauem Hinsehen als dessen Gegenteil. Machiavelli nimmt zwar die offenbar verbreitete Vorstellung auf, der Pöbel halte es mit dem äußeren Schein und dem Erfolg, entkleidet sie jedoch ihrer sozialdenunziatorischen Pointe, indem er, ausgehend von dieser Charakterisierung, alle Menschen als Pöbel bezeichnet."

Und tatsächlich gibt es bei genauem Hinsehen noch einen Nachsatz zu der oben zitierten Stelle aus Kapitel XVIII des "Fürsten"; so schreibt er im selben Atemzug: "...; und auf der Welt gibt es nur Pöbel;..."

Der Adel steht also in keinster Weise über dem Volk; bei genauem Hinsehen ist diese Stelle also durchaus republikanisch.

Noch eine kleinere Bemerkung zum Urteil des Volkes bei Wahlen. Machiavelli entwickelt hier auch noch sehr interessante Gedanken in dem Kapitel: "Die Menschen mögen sich im ganzen täuschen, im einzelnen täuschen sie sich nie".

Dort schreibt er, daß das Volk zwar irrt, wenn es um ein abstraktes Prinzip gefragt wird, im konkreten Einzelfall ist sein Urteil aber fast unfehlbar. Als Beispiel führt er eine Wahl an, wie sie im alten Rom stattfand. Als Souverän konnte das römische Volk die höchsten und wichtigsten Ämter nach freier Wahl besetzen; die Plebejer waren im Volk bei weitem in der Mehrheit. Alle waren sich im Prinzip einig, daß man mehr Plebejer in hohe Ämter setzen sollte. Doch nun kam es zur Wahl, in der die einzelnen Posten besetzt werden sollten; um diese Ämter bewarben sich nun bestimmte Einzelpersonen, Patrizier wie auch Plebejer. Und nun zeigte sich die erstaunliche Tatsache, daß in jeder Wahl ein Patrizier gewannen, sodaß schließlich wieder alle Posten an den Adel fielen. Im konkreten Vergleich hate sich das Volk nämlich für die plebejischen Kandidaten geschämt, die hinsichtlich Auftreten, politischem Programm, Bildung und Fähigkeit den Patriziern einfach nicht gewachsen waren. Und während sich so alle prinzipiell einig waren, man solle nur oder hauptsächlich Plebejer wählen, wurden konkret nur Patrizier gewählt, trotz der überwältigenden plebejischen Mehrheit im Wahlvolk.

Man könnte nun, um einen aktuellen Bezug zu finden, die Frage stellen, ob dies vielleicht auch der Grund ist, warum man sich hierzulande zwar prinzipiell einig ist, daß eine Frau einmal österreichischer Bundespräsident oder Kanzler werden sollte, die Frauen ferner die absolute Mehrheit der Wähler stellen (da Frauen im Durchschnitt älter werden als Männer, gibt es mehr von ihnen), trotzdem aber im konkreten Fall bis jetzt immer ein Mann in das jeweilige Amt gewählt wurde - trotz zahlreicher weiblicher Gegenkandidaten.

Machiavelli macht sich auch Gedanken über die moralische Qualität von Republiken und Alleinherrschaften; und er beschäftigt sich u.a. auch mit der Frage, wer eher Bündnisse und Verträge bricht, Republiken oder Alleinherrscher. Er kommt zu dem Ergebnis, daß unerfüllbare Verträge von niemandem eingehalten werden; auch in der höchsten Not, wenn der ganze Staat gefährdet ist, wählen sowohl Republiken als auch Alleinherrscher meistens eher den Weg des Treuebruchs als des Untergangs.

Trotzdem meint er, daß Republiken tendentiell ehrlicher und treuer sind als Alleinherrscher. Es gibt seiner Meinung nach viele Beispiele dafür, daß Alleinherrscher um geringster Vorteile willen Verträge brechen. Das Volk tut dies hingegen nicht, wofür er auch historische Beispiele anführt. Und so kommt er zur Schlußfolgerung:

"Da glaube ich nach dem oben Gesagten, daß sich hierin das Volk geringere Verfehlungen zuschulde kommen läßt als der Alleinherrscher, und daß man sich deshalb auf dieses mehr verlassen kann als auf den Alleinherrscher."

Ein weiteres Argument für die Überlegenheit der Republik über die Autokratie ist die Beobachtung Machiavellis, daß entartete und verdorbene Republiken immer noch besser sind als entartete und verdorbene Diktaturen. Man könne, meint Machiavelli, verdorbene Republiken auch leichter wieder bessern; in der Autokratie sei das schwieriger.

"Vergleicht man beide im gesetzlosen Zustand, so wird man beim Volk weniger, kleinere und leichter zu bessernde Fehler finden als bei einem Alleinherrscher. Denn zu einem zügellosen, aufrührerischen Volk kann ein Mann mit rechter Gesinnung sprechen und es leicht wieder auf den rechten Weg zurückführen, mit einem schlechten Alleinherrscher aber kann niemand reden, gegen ihn gibt es kein anderes Mittel als den Dolch. Hierauf läßt sich auf die Bedeutung der Krankheit bei beiden schließen: Wenn zur Heilung der Krankheit des Volkes Worte ausreichen und zur Heilung der Krankheit eines Alleinherrschers der Dolch nötig ist, so wird jeder sagen, daß da, wo es einer kräftigeren Kur bedarf, auch schwere Fehler sein müssen."

Dieses Zitat ist nach Herfried Münkler insoferne besonders bemerkenswert, weil Machiavelli damit auch die in anderen Schriften auftauchende Metapher vom Politiker als Arzt, der Mißstände im Staat wie Krankheiten kuriert, entwirft. Doch dazu mehr im Kapitel "Vom Erhalt der republikanischen Freiheit".

 

Aut Caesar aut Brutus

Herfried Münkler schreibt in seinem Buch "Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsraison in der Frühen Neuzeit", daß die Frage, wie die Handlungen von Caesar und Brutus zu bewerten waren, und wer von beiden der Bessere war ("Aut Caesar aut Brutus") die Geister in der Renaissance geschieden hat. Diese Frage hatte eine große Bedeutung in der gelehrten Diskussion der damaligen Zeit.

Noch im Mittelalter hätte man diese Frage klar beantwortet: Dante z.B., neben Machiavelli sicher der berühmteste Florentiner, verbannt in seiner "Göttlichen Komödie" die beiden Anführer der Caesarenmörder, Brutus und Cassius, in den siebten Höllenkreis. Dort müssen sie schmachten, von den Zähnen Luzifers zerfleischt. Ihr Verrat am erhabenen Caesar ist an Sündhaftigkeit nur noch eine Tat zur Seite zu stellen, nämlich der Verrat des Judas an Jesus Christus.

Münkler skizziert in seinem Buch den völlig anderen Diskurs, der sich gerade zu Machiavellis Zeit entfaltete. Da gab es Verteidiger Caesars, die einerseits den Verrat und Mord als sündhafte Gewalttat anprangerten, andererseits Caesars unzweifelhaft große Leistungen um Rom lobten, seine überragenden Erfolge und seinen politischen Weitblick in Rechnung stellten. Es gab aber auch Kritiker Caesars, die meinten, er hätte immerhin die Republik in einem rechtswidrigen Putsch gestürzt, hingegen Brutus und Cassius hätten durch einen Tyrannenmord die ehrenwerte Absicht gehabt, dem Vaterland die Freiheit zurückzugeben. Dagegen wurde damals von manchen eingewendet, die gute Absicht in Ehren, aber: Caesar wurde zu dem rechtswidrigen Akt gezwungen, weil ihn sonst seine Feinde, die Pompeianer, durch ähnlich rechtswidrige Mittel vernichtet hätten. Außerdem meinten manche, die Republik war damals in einer heftigen Krise und unfähig, ihre Probleme zu lösen - und dann es sei legitim, wenn ein überragender Einzelner zum allgemeinen Wohl die Macht an sich bringt und den Staat neu ordnet. Und was hätten Brutus und Cassius denn schon erreicht? Nach dem Mord Caesars brach wieder ein Bürgerkrieg aus, der dem Volk viel Leid brachte - und letztlich setzte sich wieder ein Militärmonarch durch. Die Ermordung Caesars brachte dem Vaterland kein bißchen Freiheit, sondern nichts außer einen neuen Bürgerkrieg.

Machiavelli konnte sich dieser heftigen Diskussion natürlich nicht entziehen. Es ist interessant zu sehen, und es zeigt Machiavellis wahre republikanische Gesinnung, wenn er ohne Einschränkungen die Partei von Brutus und Cassius ergreift. Man sieht an seinen Aussagen diesbezüglich, nebenbei bemerkt, auch, wie grundfalsch die faschistische Vereinnahmung Machiavellis ist, die ihm heute noch manchmal angelastet wird.

So gibt Machiavelli einem Kapitel die Überschrift: "So lobenswert die Gründer eines Freistaats oder eines Königreichs sind, so schimpflich sind die Begründer einer Gewaltherrschaft". Darin schreibt er:

"Man darf sich nicht vom Ruhm Caesars blenden lassen, der von den Schriftstellern besonders gefeiert wird; die, die ihn loben, werden nur durch sein Glück verführt und durch die lange Zeit der kaiserlichen Gewalt eingeschüchtert, die unter Caesars Namen ausgeübt wurde und den Schriftstellern nicht gestattete, sich mit Freimut über ihn zu äußern. Will man jedoch wissen, was freie Schriftsteller über ihn sagen würden, so lese man nach, wie sie sich über Catilina äußern. Ja, Caesar ist noch verabscheuungswürdiger, weil der, der Unrecht getan, mehr Tadel verdient als der, der Unrecht nur tun wollte."

Catilina, der 63 v.Chr. in Rom einen Putsch versuchte, der aber an der Aufmerksamkeit des damaligen Konsuls Cicero scheiterte - vgl. Sallust "Die Verschwörung des Catilina" - wird von den Historikern als eindeutig schlecht und verdorben charakterisiert. Caesar hat aber eigentlich nichts anderes gemacht als er - mit dem Unterschied, daß er erfolgreich war. Machiavelli argumentiert im oben angeführten Zitat, daß die böse Handlung nicht besser wird, wenn sie erfolgreich ist (die Menschen glauben es nur). Für Machiavelli ist auch das Motiv von Brutus und Cassius zum Caesarenmord gerechtfertigt und ehrenwert. Sie wollten, schreibt er, das von Caesar "geknechtete Vaterland" befreien.

Machiavelli meint auch sinngemäß, Männer, die einen freien Staat zugrunde richten und eine Diktatur aufrichten, würden sich der ewigen Schande der Nachwelt preisgeben und zudem noch ihr eigenes Leben verderben; denn ein Diktator wird von allen gefürchtet, muß aber auch alle fürchten. Ein demokratischer Politiker braucht keine Leibwache, die ihn vor den eigenen Bürgern schützt. Bei schlechten Herrschern wie Nero hingegen reichen nicht einmal alle Armeen des Morgen- und Abendlandes aus, um sie gegen Aufstände zu verteidigen. Zudem hätten angesehen demokratische Politiker in ihrem Staat oftmals nicht weniger Macht als manche Diktatoren.

Betrachte der Unvoreingenommene zudem, was die von Caesar begründete Militärmonarchie in den kommenden Jahrhunderten angerichtet hat, "so wird er gewahr, daß diese Zeiten durch Kriege verwildert, durch Aufstände zerrissen, grausam im Frieden und im Krieg sind: daß so viele Herrscher ermordet wurden, so viele Bürgerkriege und auswärtige Kriege geführt wurden, Italien gequält und von immer neuen Unglücksfällen heimgesucht, die Städte zerstört und geplündert wurden. Er wird sehen, daß Rom gebrandschatzt, das Capitol von den eigenen Bürgern zerstört, die alten Tempel verwüstet, die alten Gebräuche entweiht wurden und die Städte voller Ehebrecher waren. Er wird das Meer voller Verbannter und die Felsenriffe voller Blut sehen; er wird sehen, daß in Rom zahllose Grausamkeiten verübt wurden, daß Adel, Reichtum und einst verdiente Ehre und vor allem jede Art Tüchtigkeit als Kapitalverbrechen gegolten haben. Er wird sehen, daß die Angeber belohnt wurden, die Sklaven gegen ihre Herrn und die Freigelassenen gegen ihren Patron aufgewiegelt wurden, und die, die keine Feinde hatten, von ihren Freunden ermordet wurden. Dann wird er am besten erkennen, was Rom, Italien und die Welt Caesar zu danken haben."

 

Vom Erhalt der republikanischen Freiheit

Wie oben bereits zitiert, hat eine Republik nach Machiavelli zwei Ziele: Den Erhalt der eigenen Freiheit und die Eroberung neuer Gebiete.

Zunächst soll auf ersteres eingegangen werden. Dazu muß gesagt werden, daß Machiavellis politische Theorie von der Annahme ausgeht, daß alle Staaten, sowohl Autokratien als auch Republiken verderben können.

So schreibt er in den "Discorsi":

"Es ist unbedingt richtig, daß alle Dinge auf der Welt ihre Lebensgrenze haben. Doch nur diejenigen vollenden den ganzen, ihnen vom Himmel vorgezeichneten Weg, die ihren Körper nicht in Unordnung bringen, sondern ihn so in Ordnung halten, daß er sich nicht ändert, oder, wenn er sich ändert, zu seinem Wohl und nicht zum Schaden. (...) Da aber das Gute im Lauf der Zeit verdirbt, so muß der betroffene Körper notwendigerweise absterben, wenn nichts eintritt, das das ursprünglich Gute wiederherstellt."

In einem Staatswesen besteht nach Machiavelli die Tendenz, daß Mißstände aller Art nach und nach einreißen; zuerst merkt man davon kaum etwas, allmählich vergrößert sich aber die Gefahr für die Gesamtheit. Aus diesem Grund muß man Mißstände rechtzeitig bekämpfen.

Nach Machiavelli gilt dabei auch folgende Regel: "Sollen eine Religionsgemeinschaft oder ein Staat lange bestehen, so muß man sie häufig zu ihren Anfängen zurückführen". Als Begründung für diesen Ratschlag gibt er an, daß ein Staat ursprünglich immer gut gewesen sein muß - sonst hätte man diese Ordnung nicht eingeführt. Idealerweise sollten immer wieder große Einzelne auftauchen und einen Staat wieder zu ihren Ursprung zurückführen, die nach und nach entstandenen Mißstände beseitigend.

Machiavelli meint im oben zitierten Kapitel auch, daß eine solche Neuordnung sehr oft im Gefolge einer heftigen Krise auftritt - dann sind Machthaber und Staaten gezwungen, Reformen durchzuführen. Krisen können nach Machiavelli also eine sehr heilsame Wirkung haben; sie eröffnen auch begabten Menschen den Zugang zu hohen Ämtern und glorreichen Nachruhm.

Das Wirken eines großen Reformers gleicht durchaus dem des umsichtigen Arztes. Auch im "Fürsten" findet man zu Mißständen eine ähnliche Stelle. Es steht mit Mißständen aller Art, schreibt Machiavelli, "wie mit der Schwindsucht, die - wie kluge Ärzte sagen - am Beginn der Erkrankung leicht zu heilen und schwer zu erkennen ist, aber im Laufe der Zeit, wenn sie anfangs nicht erkannt und behandelt wurde, sich leicht erkennen und nur schwer heilen läßt. Ebenso verhält es sich mit dem Staatswesen; wenn man im voraus die darin aufkeimenden Übel erkennt (was nur dem Klugen gegeben ist), so kann man sie rasch kurieren; läßt man sie jedoch, weil man sie nicht erkannt hat, auswachsen, bis jeder sie wahrnimmt, dann gibt es kein Mittel mehr dagegen."

Soweit zur Erhaltung von Staaten allgemein. Nun einige konkrete Gedanken zum Erhalt der republikanischen Freiheit.

Dieser ist nach Machiavelli sehr schwierig, wenn das Volk vor Einführung der Republik es lange Zeit gewohnt war, unter einem Alleinherrscher zu leben.

"Diese Schwierigkeit ist leicht verständlich, denn ein solches Volk ist in der gleichen Lage wie ein Raubtier, das zwar von Natur wild und unbändig, aber immer im Käfig und unter der Peitsche gehalten, durch einen Zufall ins Freie gelassen wird: Da es nicht gewohnt ist, sich seine Nahrung zu suchen, und die Schlupfwinkel nicht kennt, in denen es sich verbergen könnte, wird es die Beute des ersten besten, der es wieder an die Kette legen will."

Ich bin der Ansicht, daß die Einschätzung Machiavellis zu diesem Punkt völlig richtig ist; als modernes Beispiel fallen mir die Weimarer Republik in Deutschland und die 1.Republik in Österreich ein. In beiden Staaten gab es zuvor jahrhundertelang eine Monarchie und kaum demokratische Traditionen. Weite Teile der Bevölkerung konnten mit den Freistaaten nichts anfangen und sehnten sich nach einem "Ersatzkaiser" - der in Gestalt eines Diktators bald auch über uns hereinbrach. Den republikanisch gesinnten Politikern fehlte damals u.a. die demokratische Erfahrung und Routine, diese Tendenzen abwehren zu können.

Die Aufrechterhaltung einer Demokratie wird nach Machiavelli auch bei allgemeiner Sittenverderbnis in einem Volk praktisch unmöglich. Dabei schwebt Machiavelli natürlich das Beispiel der römischen Republik vor. Die nichtstuenden römischen Massen, die es nur noch gewohnt waren, von den Sozialbeihilfen des Staates zu schmarotzen und sich an politischen und sportlichen Spektakeln zu amüsieren, ließen sich nach und nach von skrupellosen Demagogen wie Caesar verführen; gleichzeitig wurde im zunehmenden Egoismus und Parteienhader die römische Republik von Leuten zu Tode gehetzt, die nicht mehr das Gesamtwohl des Staates im Auge hatten, sondern nur mehr den Wunsch nach persönlicher Bereicherung. Der Verfall der Sitten, der Sexualmoral und der Religion tat wahrscheinlich noch ein übriges, um ein Klima zu schaffen, in dem nur mehr Bürgerkrieg, und um diesen zu beenden, die abscheulichste Diktatur blühen konnte.

(Ich kann übrigens nicht umhin, die Zustände in Rom in gewisser Paralelle zu manchen heutigen Tendenzen zu sehen: Uns ist heute weder der ausufernde Sozialstaat, noch das politische Spektakel, noch der Verfall von Sitten und Religion, noch der Parteienhader fremd. Hoffentlich kommt es bei uns nicht so weit wie in der römischen Republik!)

"Ein Volk aber, bei dem völlige Sittenverderbnis eingerissen ist, vermag nicht einmal kurze Zeit, ja keinen Augenblick in Freiheit zu leben,..."

Die Römer waren nach Machiavelli ursprünglich unverdorben, daher freiheitsliebend.

"Später aber reichten das Ansehen und die Strenge des Brutus mit allen Legionen des Ostens nicht aus, um es zur Erhaltung der Freiheit zu bewegen (...) Dies kam von der Verderbtheit der Sitten, die die Partei des Marius im Volk verbreitet hatte; dadurch konnte Caesar, der Führer dieser Partei, die Massen derart verblenden, daß sie das Joch nicht gewahr wurden, das sie sich selbst auf den Nacken legten."

Machiavelli sah auch ganz klar, daß die Gefahr für eine Republik oft auch von einem Damagogen ausgeht, der das Volk verführt, von ihm groß gemacht wird und der dann die Macht an sich reißt. Machiavelli gibt daher auch Ratschläge, wie man solche Demagogen am besten bekämpft. Er kommt dabei auf das Ergebnis, daß man einen aufsteigenden Demagogen nicht durch Ächtung, Isolation oder reine Gegnerschaft bezwingen kann, sondern indem man ihm seine erfolgreichen Methoden der Volksgewinnung stiehlt. Dann verliert er Wähler und wird geschwächt.

So schreibt Machiavelli ein Kapitel mit der Überschrift: "Um den Übergriffen eines Mannes, der in einem Freistaat zur Macht emporsteigt, Einhalt zu gebieten, gibt es kein sichereres und weniger beunruhigenderes Mittel, als ihm die Wege abzuschneiden, auf denen er zur Macht gelangt ist." In diesem Kapitel meint er:

"Hätte man dieses Verfahren bei Cosimo Medici angewandt, so wäre dies für seine Gegener eine viel bessere Maßnahme gewesen, als ihn aus Florenz zu vertreiben. Hätten nämlich die Bürger, die sich mit ihm um die Macht bewarben, seine Methode der Volksbegünstigung angewandt, so hätten sie ihm ohne Aufruhr und ohne Gewaltanwendung die Waffen entwunden, deren er sich am meisten bediente. (...Dasselbe gilt auch für Piero Soderini...) Sicher war es für die Bürger (...) viel leichter, viel ehrbarer und weniger gefährlich (...), ihm die Wege zu verlegen, auf denen er groß wurde, als sich ihm entgegenzustellen und damit die ganze Republik in seinen Sturz zu verwickeln."

Das letzte Kapitel der "Discorsi" trägt die Überschrift: "Um einer Republik die Freiheit zu erhalten, bedarf es jeden Tag neuer Maßnahmen; und für welche Verdienste Quintus Fabius den Beinamen Maximus erhielt".

Machiavelli vertritt auch dort das Konzept einer "wehrhaften Demokratie", die nicht vor ihren Gegnern widerstandslos kapituliert (wie z.B. manche Republiken in unserer jüngsten Vergangenheit), sondern sich allen äußeren und inneren Gefahren entschlossen entgegenstellt.

Und so lobt er die unseren heutigen, verweichlichten Sitten als drakonisch erscheinenden Strafmaßnahmen der Römer, die er allesamt als Vorbild sieht.

Einmal war die Republik gefährdet durch eine merkwürdige und unvorhergesehene Verschwörung, in die zahllose römische Frauen verwickelt waren - diese hatten sich verschworen, ihre Männer umzubringen. Viele hatten ihre Männer bereits vergiftet, andere hatten das Gift schon zubereitet. Ein andernmal drohte der Staat gestürzt zu werden durch die immer mehr überhandnehmenden Sektierer des Dionysos-Kultes, gegen den der Senat schließlich einschreiten mußte.

Die römische Republik meisterte aufgrund ihrer Größe und Durchschlagskraft alle Probleme, denn sie

"zögerte nicht, gelegentlich eine ganze Legion und eine ganze Stadt zum Tode zu verurteilen und acht- bis zehntausend Menschen unter außerordentlich harten Bedingungen zu verbannen (...) So erging es den Soldaten, die das Unglück hatten, bei Cannae geschlagen zu werden. Man verbannte sie nach Sizilien, wo sie sich nirgends niederlassen durften und stehend ihre Mahlzeiten einnehmen mußten.

Von allen Strafen aber war die schrecklichste das Dezimieren der Heere, wo, vom Los bestimmt, jeder zehnte Mann im ganzen Heer sterben mußte. Man konnte zur Züchtigung einer Masse von Menschen keine abschreckendere Strafe ersinnen. Denn wenn eine unbestimmbare Menge gemeinsam ein Verbrechen begeht und der Urheber unbekannt sind, so kann man nicht alle strafen, weil ihrer zu viele sind. Würde man aber einen Teil bestrafen und die übrigen frei ausgehen lassen, so würde man den Bestraften unrecht tun und die Unbestraften zu neuen Verbrechen ermutigen. Wird dagegen der zehnte Teil durch das Los zum Tode bestimmt, den an sich alle verdient haben, so beklagt sich der, den die Strafe trifft, über das Schicksal, und wer straflos ausgeht, fürchtet, die Strafe könnte ihn ein anderes Mal treffen und hütet sich künftig vor einer Verfehlung. Die Giftmischerinnen und die Verschwörer der Bacchanalien wurden so bestraft, wie es ihre Verbrechen verdienten. Obgleich solche Verbrechen üble Folgen für die Republik haben, sind sie für sie doch nicht tödlich, da man fast immer Zeit hat, sie auszumerzen. Bei Staatsverbrechen aber hat man keine Zeit, denn diese richten einen Staat zugrunde, wenn nicht ein kluger Mann dagegen einschreitet."

Schließlich stellt Machiavelli als Vorbild für jeden republikanisch gesinnten Politiker den Quintus Fabius dar. Als dieser merkte, daß durch die vielen Fremden, die das Bürgerrecht erhielten, sich die Regierung zu verändern und von ihren guten, alten Grundsätzen abzuweichen drohte, "teilte er alle neuen Leute, von denen dieser Mißstand herrührte, in vier Wahlbezirke, damit sie, auf so kleinen Raum beschränkt, nicht ganz Rom verderben konnten. Fabius hatte das Übel richtig erkannt und kaltblütig das geeignete Mittel dagegen angeordnet. Dies war der Bürgerschaft so willkommen, daß er den Beinamen Maximus verdiente".

Machiavellis Republik ist in der Lage, kaltblütig und skrupellos gegen alle inneren und äußeren Feind aufzutreten - mit an sich undemokratischen Mitteln wird die demokratische Freiheit gewahrt. Machiavelli wäre sicher ein Befürworter der Verbotsgesetze der nationalsozialistischen Wiederbetätigung; wahrscheinlich träte er auch für das Verbot und die Bekämpfung von umstürzlerischen Sekten wie Scientology ein.

 

Von der Vergrößerung einer Republik

Nach Machiavelli haben Republiken drei Möglichkeiten, sich zu vergrößern. Die erste Methode, die der Römer, ist für ihn die beste. Eine mächtige Republik sucht kleinere und schwächere Verbündete, schließt mit ihnen einen engen Militärbund, behält sich aber den Oberbefehl über die gemeinsamen Truppen vor. So kann man seine Kräfte vervielfachen, große Eroberungen machen und alle Gefahren abwehren. Die Bundesgenossen aber geraten erfahrungsgemäß im Laufe der Zeit in immer größere Abhängigkeit, wie man am Beispiel Roms und seiner Bundesgenossen sieht. Eines Tages waren diese mit ihrer Stellung dermaßen unzufrieden, daß sie sich gegen Rom verschworen - doch Rom war bereits zu stark geworden und unterwarf die Bundesgenossen wieder.

Die zweite Möglichkeit ist die Methode der Etrusker. Sie ist für Machiavelli die zweitbeste Möglichkeit. Diese besteht darin, daß sich mehrere gleichstarke Republiken zu einem Bund zusammenschließen - jede Republik hat in diesem Staatenbund gleiche Rechte. So kann eine effiziente militärische Schlagkraft und eine bedeutende Stellung erreicht werden. Das einzige Problem besteht darin, daß die Expansionsfähigkeit des Bundes begrenzt ist. Denn wenn die Mitgliederzahl 13 oder 14 übersteigen sollte, würde die Vielzahl der Bundesgenossen, von denen jeder gleiches Mitspracherecht hat, nur Verwirrung stiften und die Handlungsfähigkeit des Bundes ernsthaft gefährden.

Diese besagten Bünde sind auch friedlicher; denn da die Mitglieder ihre Entscheidungen mühsam untereinander absprechen müssen, sind sie schwerfälliger, was sie zum Krieg nicht unbedingt geeignet macht; auch müßte die eventuelle Beute unter so vielen Mitgliedern geteilt werden, was die Eroberungslust beträchtlich mindert.

Die dritte Methode taugt nach Machiavelli überhaupt nichts; es ist jene, die schon in der Antike Athen und Sparta zugrunde richtete. Sie besteht darin, andere Staaten zu erobern und das dortige Volk als Untertanen zu behandeln. Machiavelli ist der Ansicht, daß es fast unmöglich ist, ein fremdes Volk mit Gewalt und gegen seinen Willen zu regieren; ständig muß man Aufstände unterdrücken, erneut Kriege führen, riesige und teure Streitkräfte im betreffenden Land stationiert halten etc. Wenn man nicht starrt vor Waffen, läßt sich so ein Unternehmen kaum durchführen; und beim kleinsten Moment der äußeren oder inneren Schwäche würde es erneut zu Problemen kommen.

Machiavelli rät also allen Republiken zum Abschluß von engen Staatenbunden als zweckmäßigste und gangbarste Methode ihrer Vergrößerung. Zu seiner Zeit war diese Forderung revolutionär, weil kaum praktiziert; heute ist dieses Modell weitverbreitet (siehe NATO oder EU).

 

IV. Machiavelli und die Religion

Die Religion als Mittel der Politik

In vielen Kapiteln der "Discorsi" lobt Machiavelli die Religion als Grundlage des Staates.

"Monarchien oder Freistaaten, die sich unverdorben halten wollen, müssen vor allem die religiösen Gebräuche rein erhalten und immer Ehrfurcht vor ihnen bezeigen; denn es gibt kein schlimmeres Zeichen für den Verfall eines Landes als die Mißachtung des religiösen Kultes. (...) Die Häupter eines Freistaates oder eines Königsreiches müssen daher die Grundlagen der Religion, zu der sich ihre Völker bekennen, bewahren; dann wird es ihnen leicht sein, ihren Staat in Gottesfurcht und damit gut und einträchtig zu halten."

Auf den ersten Blick scheint sich Machiavelli in rein traditionellen Bahnen zu bewegen und ganz fromm und konservativ die Religion als Grundlage des Staates und der Gesellschaft zu preisen. Doch Machiavellis Lob entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als wenig schmeichelhaft für die Religion. Denn sie wird von Machiavelli zwar gelobt, aber völlig der weltlichen Gewalt untergeordnet. Er begründet sein positives Urteil über die Religion nämlich damit, daß man sie als Mittel der Politik einsetzen kann. Mit ihr kann man das Volk manipulieren und so zu Handlungen bewegen, die man sonst von ihm nicht erreichen würde. Man kann unter Berufung auf himmlische Kräfte die Soldaten der eigenen Armee motivieren und zum Durchhalten in schwierigen Situationen bewegen. Ferner lassen sich durch die Religion Aufstände unterdrücken; die Stellung des Machthabers kann somit genauso wie der soziale Friede gestärkt werden.

Machiavelli vertritt also sinngemäß etwa jene Argumentationslinie: Die Religion ist gut, man muß sie fördern und stärken, aber nicht, weil sie etwa wahr ist, sondern weil sie ein gutes Werkzeug für politische Ziele abgibt. Wie wenig die Wahrheit der Religion für Machiavelli zur Debatte steht, zeigt seine Aussage, die Machhaber müßten alles, was für die Religion spricht, unterstützen und fördern, "selbst wenn sie es für falsch halten". Machiavelli verwandelt so, meint Herfried Münkler, die Religion von der Norm der Politik zu ihrem Mittel.

Die alten Römer sind für Machiavelli das Vorbild in des instrumentellen Einsatzes Religion. Sie benutzten z.B. religiöse Vorzeichen dazu, um die Soldaten zum Kampf zu motivieren. Es wurde keine Schlacht geführt, ohne daß günstige Vorzeichen den Sieg verheißen hätten. Dies hatte aber vor allem psychologische Gründe; man wollte die Zuversicht der Soldaten stärken. Wie wenig die Feldherren an diese Vorzeichen selbst glaubten, zeigt schon allein der Umstand, daß sie diese nach dem Gebot der Stunde auslegten.

So hatten die Römer heilige Hühner, denen vor jeder Schlacht Futter vorgeworfen wurden. Fraßen die Hühner gierig, galt dies als Verheißung des Siegs. Wenn die Hühner nicht fressen wollten, war dies ein schlechtes Zeichen. Einmal führte Konsul Papirius einen großen Krieg gegen die Samniten; und vor der Entscheidungsschlacht wollten die Hühner nicht fressen. Er ließ aber überall herumerzählen, die Hühner hätten gierig gefressen; die Soldaten wurden so begeistert und erkämpften einen Sieg - nicht zuletzt wegen ihrer Begeisterung. Man sieht also, daß Papirius wohl wußte, daß die heiligen Hühner ein Unfug sind; aber er hütete sich, dies offen zu sagen; vielmehr benutzte er diesen Umstand zu seinem und des Staates Vorteil.

Ein anderer Feldherr, Appius Pulcher, handelte nicht so klug und besonnen. Als ihm gemeldet wurde, daß die Hühner vor der Schlacht gegen die Karthager nicht fressen wollten, ließ er sie ins Meer werfen und rief erbost: "Nun wollen wir sehen, ob sie saufen können!" Appius Pulcher verlor die Schlacht, nicht zuletzt, weil sein Verhalten die Soldaten verunsicherte oder zumindest nicht motivierte. Machiavelli kritisiert Pulchers Verhalten, natürlich aber nicht, weil das Federvieh wirklich in Verbindung mit den Göttern stand, sondern weil Pulcher eine Möglichkeit der Beeinflußung des Heeres leichtfertig aus der Hand gab.

Nicht zuletzt Machiavellis Unterordnung der Religion unter politische Zwecke führte zur heftigen Polemik der Jesuiten gegen ihn. Auf deren Drängen wurde Machiavelli von Papst Paul VI. auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt.

 

Die Kritik an der christlichen Lehre

Machiavelli hält den christlichen Glauben nicht für die optimale Staatsreligion. Dies kommt schon zum Ausdruck, wenn er im Vorwort zu den "Discorsi" die "Kraftlosigkeit" beklagt, "die unsere gegenwärtige Religion der Welt anerzogen hat".

Erklärbar wird diese Wendung vor allem durch Passagen aus Discorsi II,2. Er versucht darin zu erklären, warum in der Antike so viele Völker in Freiheit lebten, die republikanische Staatsform wählten und Monarchie und Diktatur leidenschaftlich ablehnten, während zu seiner Zeit die Republik die Ausnahme, die Autokratie die Regel war. Er führt dies auf den knechtenden Einfluß der christlichen Religion zurück, die er als weit schlechter bewertet als die heidnischen Kulte.

Machiavellis Kritik spricht für sich selbst:

"Wenn ich bedenke, woher es kommen konnte, daß im Altertum die Völker die Freiheit mehr liebten als je, so scheint mir dies aus derselben Ursache herzurühren, welche heute die Menschen weniger kraftvoll macht. Sie liegt nach meiner Meinung in der Verschiedenheit der heutigen und der antiken Erziehung, die wiederum in der Verschiedenheit der heutigen und der antiken Religion begründet liegt. Unsere Religion (...) läßt uns die Ehren dieser Welt weniger schätzen, während die Heiden diese sehr hoch schätzten, ihr höchstes Gut darin erblicken und deshalb in ihrer Tat viel kühner waren. (...)

Die Religion der Alten sprach ferner nur Männer von großem weltlichen Ruhm heilig wie Feldherrn und Staatsmänner. Unsere Religion hat mehr die demütigen und in Betrachtung versunkenen Menschen verherrlicht als die tatkräftigen. Sie sieht das höchste Gut in Demut, Selbstverleugnung und in der Geringschätzung der weltlichen Dinge. Die Religion der Alten dagegen sah es in der Größe des Muts, in der Kraft des Körpers und überhaupt in allen Eigenschaften, die die Menschen möglichst tapfer machen. Wenn auch unsere Religion fordert, daß man stark sei, so will sie dabei mehr die Stärke des Duldens als die der Tat. Diese Regel hat, wie mir scheint, die Weltgeschichte den Bösewichten ausgeliefert, die ungefährdet ihr Unwesen treiben können; denn sie sehen, daß die große Mehrheit der Menschen, um ins Paradies einzugehen, mehr darauf bedacht ist, Schläge zu ertragen als zu rächen."

Machiavellis Kritik am Christentum stößt sich vor allem an der zu großen Jenseitigkeit dieser Religion, die die Gläubigen so für Staat und Gesellschaft wenig brauchbar macht. Außerdem kritisiert er die Werte der Demut und Duldung, die zu einer Untertanengesinnung beitragen. Nietzsche hat das Christentum später als "Sklavenmoral" bezeichnet; Machiavelli würde diese Einschätzung teilen. Er schränkt aber auch ein, daß man das Christentum durch eine weltlichere Interpretation aber auch verbessern könnte. Machiavellis Religionskritik ist im Zusammenhang mit der in der Rennaisance verstärkt einsetzenden Säkularisierung zu sehen.

 

Die Kritik an der Katholischen Kirche

An der Katholischen Kirche läßt Machiavelli kein gutes Haar. Sein Urteil ist vernichtend. Dies hängt auch damit zusammen, daß es in der Katholischen Kirche des 16.Jahrhunderts besonders viele Mißstände gab - was zu jener Zeit auch zu der von Luther initiierten Reformation führte.

Zunächst kritisiert er, daß die Kirche nicht nach der Lehre lebt, die sie predigt. Das mag erstaunen, da er ja, wie oben beschrieben, die christliche Lehre auch ablehnt. Kritiker können Machiavelli dies vielleicht als Widerspruch ankreiden: Er kritisiert eine gewisse Lehre und stößt sich dann daran, daß die Prediger dieser Lehre nicht danach leben. Ich persönlich bin aber der Meinung, daß Machiavelli gegen diesen Vorwurf zu verteidigen ist, da falsch und falsch sich ja nicht notwendigerweise aufheben. Man kann eine falsche Meinung haben und diese dann noch inkonsequent umsetzen; durch die Inkonsequenz der Tat wird die Falschheit der Lehre ja nicht bekämpft, sondern verstärkt; außerdem erkennt ein jeder dann die dem jeweiligen Charakter zugrundeliegende Heuchelei.

"Wäre von den Spitzen der Christenheit die christliche Religion erhalten worden, wie sie ihr Stifter gegründet hat, dann wären die christlichen Staaten und Länder einträchtiger und glücklicher, als sie es jetzt sind. Nichts spricht mehr für den Verfall des christlichen Glaubens als die Tatsache, daß die Völker, die der römischen Kirche, dem Haupt unseres Bekenntnisses, am nächsten sind, am wenigsten Religion haben."

Machiavelli meint ferner, "daß unser Land durch das böse Beispiel des päpstlichen Hofes alle Gottesfurcht und alle Religion verloren hat. (...) Wir Italiener verdanken es also in erster Linie der Kirche, daß wir so religionslos und schlecht geworden sind."

Er geht sogar so weit, zu behaupten, daß wer sich von der Verderbnis der Kirche überzeugen wolle, die Macht haben müßte, "den päpstlichen Hof mit der ganzen Autorität die er in Italien hat, ins Land der Schweizer zu versetzen, dem einzigen Volk, das heute noch hinsichtlich der Religion und hinsichtlich des Kriegswesens nach den Regeln der Alten lebt; dann würde er sehen, daß die schlechten Sitten des päpstlichen Hofs diesem Land binne kurzem mehr Mißwirtschaft brächten als irgendein unglückliches Ereignis dort je hätte ausrichten können."

Machiavelli erhebt aber auch einen anderen schweren Vorwurf gegen die Kirche: Seiner Meinung nach trägt sie und ihr die Mitte Italiens umfassender Kirchenstaat die Schuld an der Zersplitterung Italiens. Und tatsächlich war der Kirchenstaat lange Zeit ein Haupthindernis der italienischen Einigungsbewegung, die erst im 19.Jahrhundert erfolgreich war.

Machiavelli aber ist ein Vordenker der italienischen Einigung; dieses Ziel ist bereits im "Fürst" ausgesprochen. Die Kirche habe, meint Machiavelli in den "Discorsi", "unser Land immer in Zersplitterung gehalten".

Denn: "Obwohl die Kirche in Italien Sitz und weltliche Macht hat, war sie doch nicht mächtig und mutig genug, um die italienischen Gewaltherrschaften selbst zu erobern und selber die Macht zu ergreifen. Andererseits war sie aber auch nicht so schwach, daß sie nicht aus Furcht, ihre weltliche Macht zu verlieren, einen Mächtigeren hätte herbeirufen können, der sie gegen jeden verteidigte, der in Italien zu mächtig geworden war." Daher sei sie schuld daran, daß Italien "nicht unter ein einziges Oberhaupt kommen konnte, sondern von vielen Machthabern und Herrn regiert wird. Dies hatte solche Uneinigkeit und Machtlosigkeit zur Folge, daß Italien nicht nur zur Beute mächtiger Barbaren, sondern überhaupt eines jeden wurde, der es angriff. Dies haben wir Italiener allein der Kirche zu verdanken und sonst niemandem."

 

V. Ratschläge zu Machtgewinn und Machterhalt

In dieser Arbeit kann aus Platzgründen nicht die ganze Vielfalt der allgemeinen strategischen Ratschläge dargestellt werden, die Machiavelli in den "Discorsi" erteilt. In einer Auswahl möchte ich aber auf jene Passagen eingehen, die mir besonders bemerkenswert erscheinten.

 

Entweder gut oder böse handeln - kein Mittelweg

In den "Discorsi" steht ein Kapitel mit dem Titel: "Die Menschen verstehen in den seltensten Fällen, ganz schlecht oder ganz gut zu sein". In dem Kapitel beschreibt Machiavelli, wie Papst Julius II. nach Perugia zog, um den dortigen Tyrannen Giovanni Pagolo abzusetzen. Er zog dabei ohne den Schutz seines Heeres, nur mit seiner Leibwache begleitet, in die feindliche Stadt ein und nahm Pagolo gefangen; dieser leistete keinen nennenswerten Widerstand, obwohl es ihm leicht möglich gewesen wäre, den Papst zu vernichten. Dies wagte er aber nicht; religiöse Scheu kann es aber kaum gewesen sein, die ihn abhielt, denn er war ein skrupelloser Mörder und lebte sogar mit der eigenen Schwester in Blutschande zusammen. Auch hätte ihn die Ermordung dieses Papstes nach Meinung Machiavellis eher beliebt als unbeliebt gemacht. Pagolos Fehler war der verderbliche Mittelweg zwischen Gut und Böse: Er war nicht stark genug, gut zu sein, sondern beging viele Verbrechen und schuf sich Feinde; er war aber auch nicht stark genug, böse zu sein, weil ihn plötzlich doch die moralischen Skrupel überfielen.

Ich erlaube mir an dieser Stelle, eine Episode aus meiner Schulzeit zu erzählen, die sich zur selben Zeit ereignete, als ich diese Passage zum ersten Mal las; darum blieb sie mir so gut in Erinnerung. Einer meiner Kollegen hatte das Klassenbuch heimlich verschwinden lassen, um seine zahlreichen Fehlstunden zu vertuschen. Niemand hatte ihn dabei gesehen, kein Lehrer hätte ihm irgendetwas nachweisen können. Als einige Lehrer der Klasse aber ins Gewissen redeten und die Unmoral dieses Verhaltens betonten, überfielen ihn Gewissensbisse - und er gab kurze Zeit später sein Vergehen aus freien Stücken zu. Dies hatte zur Folge, daß ihn die Lehrer, die vorher dem Reuigen Straffreiheit zugesichert hatten, von der Schule ausschlossen. Dies wäre ihm nicht passiert, wenn er entweder völlig gut oder völlig böse gehandelt hätte (also entweder das Klassenbuch nicht entwendet oder sein Vergehen niemals zugegeben hätte). Der Mittelweg, das Böse zu beginnen und es dann, von Skrupeln überfallen, nicht zu beenden, war sein Verderben.

 

Bescheidenheit - keine erfolgreiche Strategie

"Die Menschen täuschen sich häufig, wenn sie glauben, durch Bescheidenheit den Hochmut bezwingen zu können", betitelt Machiavelli ein Kapitel der "Discorsi".

Darin meint er:

"Man sieht oft, daß Bescheidenheit gar nichts nützt, ja daß sie nur schadet, besonders wenn man es mit unverschämten Menschen zu tun hat, die einen aus Neid oder einem anderen Grunde mit ihrem Haß verfolgen. (...) Ein Herrscher darf daher nie seiner Würde etwas vergeben und nie freiwillig, wenn es in Ehren geschehen soll, auf etwas verzichten, es sei denn, daß er in der Lage ist, seinen Besitz tatsächlich zu halten, oder daß man es wenigstens von ihm glaubt. Ist es soweit gekommen daß er nicht ehrenvoll auf seinen Besitz verzichten kann, so ist es fast immer besser, sich ihn mit Gewalt entreißen zu lassen, als ihn aus Furcht vor Gewalt abzutreten. Denn wenn du aus Furcht einen Verzicht leistest, so tust du es, um einen Krieg zu vermeiden. Meistenteils vermeidest du aber dadurch den Krieg nicht; denn der Feind, dem du aus offensichtlicher Feigheit dieses Zugeständnis gemacht hast, wird sich damit nicht zufrieden geben, er wird dir vielmehr alles entreißen wollen und noch heftiger auf dich erpicht sein, da er dich weniger achtet. Andererseits wirst du deine Verteidiger kühler gegen dich gesinnt finden, da du ihnen schwach und feige erscheinst. Rüstest du aber sofort, wenn die Absichten deines Gegners offenbar wird, deine Streitkräfte, obwohl sie den seinigen unterlegen sind, so wirst du in seiner Achtung steigen. Auch die anderen Herrscher ringsum achten dich höher, und mancher bekommt, wenn du unter Waffen stehst, Lust, dir zu helfen, während er dir nie beistehen würde, wenn du dich selbst aufgibst. Dies gilt für den Fall, daß du nur einen Gegner hast. Hast du deren mehrere, so ist es immer klug, einem von ihnen, auch wenn der Krieg schon ausgebrochen ist, einen Teil deiner Besitzungen abzutreten, um ihn für dich zu gewinnen und ihn von den anderen gegen dich verbündeten Feinden zu trennen."

Wie sehr die Kenntnis Machiavellis der Selbstbehauptung der Demokratien im 20.Jahrhundert genutzt hätte, sieht man an diesem Zitat. Als das "Dritte Reich" die Tschechoslowakei zu verschlucken drohte, konnte sich der britische Premier nicht entschließen, dem mit Gewalt entgegenzutreten - offensichtlich aus als Pazifismus getarnte Feigheit. Und so versuchte er durch eine Beschwichtigungspolitik ("appeasement policy"), den Krieg mit Hitler durch Einlenken zu vermeiden. Er wollte durch sein Nachgeben eine mäßigende Wirkung erreichen.

Hätte er Machiavelli gekannt, dann hätte er gewußt, daß man durch Bescheidenheit den Hochmut nicht bezwingen kann, sondern den Gegner nur noch übermütiger macht. Auch wurde der 2.Weltkrieg nicht vermieden, durch Zögern und mangelnde Entschlossenheit wurde er aber zuungunsten der Allierten aufgeschoben. Machiavellis Grundüberzeugung ist, daß man nicht zögern sollte, einen notwendigen Krieg zu führen, denn manchmal kann man eben den Krieg nicht vermeiden, sondern nur zum eigenen Nachteil aufschieben, wie er u.a. auch im "Fürsten", Kap.III schreibt.

Was auf den ersten Blick als Kriegstreiberei erscheint, entpuppt sich auf den zweiten Blick 1.) als richtige Einschätzung und 2.) sogar als menschlich. Wären die Alliierten Hitler bereits bei seinen ersten Völkerrechtsbrüchen entgegengetreten, hätten sie ihn ohne größere Gefahr stürzen können. Doch durch das alliierte Zögern wurde die Sache immer schlimmer; schließlich mußten sie doch Krieg führen, diesmal aber unter wesentlich mehr Risken gegen eine mittlerweile hochgerüstete Deutsche Wehrmacht. Statt vielleicht einiger zehntausend Tote hatte man am Ende derer 55 Millionen zu beklagen.

 

Mit Ungestüm und Kühnheit ist man oft erfolgreich

Machiavelli führt in den "Discorsi" das Beispiel der gegen die Römer kämpfenden Samniten an, die mit den Etruskern verbündet waren. Die Etrusker hatten jedoch einen Waffenstillstand mit den Römern geschlossen, was die Samniten entscheidend schwächte; also marschierten diese, nach einer schnellen Entscheidung, mit ihrem gesamten Heer auf etruskisches Gebiet. Dort verlangten sie von den Etruskern, wieder die Waffen zu ergreifen, und legten ihre Gründe für den Krieg dar. Die Etrusker nahmen, durch die kühne Handlung gedrängt, den Kampf gegen Rom wieder auf. Daraus schließt Machiavelli: "Mit Ungestüm und Kühnheit erreicht man oft, was man mit gewöhnlichen Mitteln nie erreichen würde". Und weiters, daß "wenn ein Machthaber bei einem anderen etwas erreichen will, so darf er ihm, wenn es irgendwie möglich ist, keine Zeit zur Überlegung lassen und muß alles tun, damit der Gebetene die Notwendigkeit eines schnellen Entschlusses einsieht und erkennt, daß Weigerung oder auch nur Aufschub den gefährlichen Unwillen des Bittenden hervorrufen würde". Machiavelli führt weitere historische Beispiele an, die diese Einschätzung bestätigen.

 

VI. Wie würde Machiavelli die aktuelle politische Lage kommentieren?

Allgemeines

Ich habe schon in der Einleitung zu dieser Arbeit gesagt, daß meiner Meinung nach die "Discorsi" das aktuellste Buch Machiavellis sind; nicht zuletzt deswegen, weil die Republiken, zu Machiavellis Zeit eine rare Ausnahme, heute in der westlichen Welt die am häufigsten anzutreffende Staatsform sind.

"Der Fürst" enthält Machiavellis Ratschläge an Autokraten; diese sind aber oft nur in Autokratien ausführbar, in den heutigen Republiken aber nicht unbedingt. Oder soll z.B. der österreichische Bundeskanzler, der gegenwärtig im Streit mit seinem Vizekanzler im Streit um Fragen der Sicherheitspolitik liegt ("Berufsheer ja oder nein?"), diesen zu einem scheinbaren Freundschafts-Treffen einladen und dann von Soldaten niedermachen lassen, wie Cesare Borgia es mit seinen abtrünnigen Offizieren tat? In einer geordneten Republik ist dies nicht möglich, weil bei uns auch die höchsten Politiker vor dem Gesetz verantwortlich sind und nicht alles tun dürfen, sei es auch noch so zweckmäßig.

Das soll nicht heißen, daß ich den "Fürst" für überholt halte. Sollte es in Zukunft in Europa und Nordamerika einmal Autokratien geben (was ich übrigens, im Gegensatz zu vielen meiner Zeitgenossen, nicht ausschließen will), würde diese Schrift wieder wichtig werden. Auch gibt es gegenwärtig weltweit viele Autokratien. Doch in der westlichen Welt ist es eben, besonders Machiavelli würde sagen: zum Glück, momentan nicht so.

Nun möchte ich in diesem Kapitel Stellung zu der Frage nehmen, wie meiner Meinung nach Machiavelli bestimmte aktuelle politische Vorgänge kommentieren würde. Dabei äußere ich vielfach meine eigene Machiavelli-Interpretation; meine ganz persönliche Meinung zu einer politischen Frage wird oft sicher auch durchschimmern. Trotzdem glaube ich, daß man alles, was ich Machiavelli "unterstelle", doch objektiv anhand seiner Schriften begründen kann - innerhalb gewisser Grenzen.

Auch berufe ich mich hier auf keine Sekundärliteratur zu diesem Thema, alles ist sozusagen "auf meinem Mist gewachsen". Ich erlaube mir dies, nicht weil ich mich für so großartig und weise halte, sondern weil es meiner Meinung nach der Sinn einer Beschäftigung mit politischen Klassikern ist, die Frage zu stellen, was sie uns für unsere Zeit mitteilen können. Außerdem gibt es meines Wissens keine Sekundärliteratur vergleichbaren Inhalts.

 

Machiavelli und die USA

Ich glaube, daß Machiavelli heute ein großer Amerika-Fan wäre. Denn wenn es heute eine machtvolle und zeitweise auch imperialistische Republik gibt, dann sind es die USA. Diese sind eindeutig ein demokratischer Freistaat, besitzen aber trotzdem eine der mächtigsten Armeen der Welt und setzen ihre Standpunkte durchaus selbstbewußt und unter Umständen auch mit Wirtschaftssanktionen und militärischer Macht durch. Dieses augenfällige Beispiel allein zeigt, daß der in Europa weitverbreitete Irrtum, eine Republik müsse auch gleichzeitig pazifistisch, friedlich und brav sein, nicht richtig ist. Wahr ist vielmehr, daß sowohl Autokratien als auch Republiken stark sein können - oder auch nicht.

Ich habe einmal gehört, daß in den USA die "Discorsi" häufiger gelesen werden als bei uns; und es würde mich aus den oben genannten Gründen nicht wundern. Die Amerikaner ähneln auch den von mir und Machiavelli verehrten Römern in vielfacher Weise, schon allein aufgrund ihres aufs Praktische gerichteten Sinns, ihrer Tüchtigkeit und Flexibilität, ihrer Freiheitsliebe und ihres machtvollen Selbstbewußtseins. Erst kürzlich hielt der amerikanische Präsident Bill Clinton eine Rede im Fernsehen, hinter ihm war ein Plakat angebracht, auf dem stand: "American leadership for peace, prosperity and freedom!"

Ich will nicht behaupten, daß diese "message" objektiv stimmt, bin aber überzeugt, daß viele Amerikaner das wirklich glauben. Ihr Glaube, daß ihre Führerschaft in der Welt mit allem Guten gleichzusetzen ist, mag ein Irrtum sein; es ist aber ein bewunderswerter Irrtum, der ihnen Stärke verleiht, genauso wie den Römern, die im Sinne der "pax Romana" - eines Weltfriedens unter Roms Herrschaft - die Welt ordnen wollten. Uns Europäern ist ein solches Sendungsbewußtsein leider abhanden gekommen, was uns schwach, feige und unentschlossen macht.

Wir können nicht einmal aus eigener Kraft die Probleme lösen, die sich auf unserem eigenen Kontinent stellen, wie die Kosovo-Krise deutlich gezeigt hat, sondern hängen wie ein kleines Kind am Rockzipfel außereuropäischer Mächte (wie der USA), die unsere Probleme für uns lösen müssen. Es ist aber nicht zuletzt Machiavelli, der uns lehrt, daß man die eigenen Probleme selbst lösen muß - sonst gerät man in Abhängigkeit und ist verloren.

Meine Aussagen sollen nicht als Amerika-Feindschaft ausgelegt werden. Ganz im Gegenteil, ich bewundere die Amerikaner genauso wie die Römer. Ich bin auch für eine Zusammenarbeit mit ihnen, wie sie ja Gott sei Dank militärisch besteht. Aber die USA rufen uns auch nicht um Hilfe an, wenn es in Mittelamerika ein kleines Problem gibt. Sie sind stark genug, um für ihre Angelegenheiten selbst zu sorgen; und das sollten wir auch sein, trotz Partnerschaft mit ihnen. Ich glaube auch, daß ein starkes Europa nicht unbedingt in den Gegensatz der USA geraten muß, sondern vielmehr, daß es ihnen dann als Partner umso nützlicher sein kann. Denn was ist besser: Einen Partner zu haben, der auch stark genug ist, eine große Hilfe zu sein - oder einen, der aufgrund seiner Unfähigkeit dauernd Hilfe benötigt und der nie nützt, sondern immer nur schmarotzt und lästig ist?

 

Machiavelli und die NATO

Wie dem auch sei, Machiavelli wäre auch ein Befürworter der NATO - zumindest würde er sie aus amerikanischer Perspektive gutheißen. Er rät in den "Discorsi" ja den Republiken auch zu engen politischen und militärischen Bündnissen. Er schreibt, wie oben erläutert, mächtige Republiken sollen mit kleineren Bündnisse schließen, sich aber den Oberbefehl vorbehalten; so könne man einerseits Eroberungen machen, die verbündeten Staaten aber würde man so schleichend in die Abhängigkeit bringen.

Rom stand auch einem Bund anderer Staaten vor, die an seiner Seite kämpften, behielt sich aber immer den Oberbefehl vor. Nicht zuletzt durch eine solche Vorgehensweise ist Rom groß und mächtig geworden. Die NATO, deren Haupt die USA ist, gleicht in manchem dem latinischen Bund, dessen Haupt Rom war. Die Bundesgenossen Roms freilich waren damals die Dummen: Sie kämpften mit ihren Waffen an der Seite Roms, um dafür immer mehr unter römischen Einfluß und römische Macht zu geraten. Ist es nicht auch so bei den europäischen NATO-Partnern? Sind diese so nicht, ohne es zu merken, zu amerikanischen Satelliten geworden?

Aber umgekehrt, soll Europa darauf hinarbeiten, die NATO zu verlassen? Die römischen Bundesgenossen haben ähnliches versucht und wurden von den Römern im Bundesgenossenkrieg 91-88 v.Chr. mit Gewalt davon abgehalten und vernichtend geschlagen; so verloren sie noch ihren letzten Rest von Eigenständigkeit und Mitspracherecht. Würden uns die Amerikaner einfach so ziehen lassen? Ich bin mir nicht sicher. Oder sollte Europa nicht eher versuchen, auf friedlichem Weg mehr Mitsprache innerhalb der NATO zu gewinnen? Denn Kooperation und gegenseitige Hilfe sind ja prinzipiell nicht schlecht. Und auf der Grundlage der NATO könnte vielleicht einmal das größte Imperium aller Zeiten entstehen, das sogar jenes der Römer bei weitem übertreffen könnte. Warum daran keinen Anteil haben? Warum sollte man die Zusammenarbeit auf partnerschaftlicher und gleichberechtigter Grundlage nicht vertiefen und so ein Reich schaffen, das allen anderen Staaten der Welt Bedingungen diktiert, wie der amerikanische Philosoph Samuel P.Huntington es fordert? Es würde mich stolz machen, einem solchen Reich als freier Bürger anzugehören, anstatt in einem kleinen und unbedeutenden Staat wie Österreich zu vermodern.

 

Machiavelli und die Europäische Union

Befragt zu seiner Meinung über die Europäische Union würde Machiavelli diese zweifellos gutheißen. Mit welcher Verachtung würde er die reaktionäre und kleinbürgerliche Gesinnung betrachten, die die EU-Gegner, sei es in Österreich oder auch in England an den Tag legen! Machiavelli trat damals leidenschaftlich für die politische Einigung Italiens ein, sowohl im "Fürst" als auch in den "Discorsi". Damals war das noch Illusion und Utopie; und noch Metternich konnte Jahrhunderte nach Machiavelli sagen: "Italien ist ein geographischer, kein politischer Begriff." Heute ist die Einheit Italiens verwirklicht. Doch das macht Machiavellis Schrift nicht für einen Augenblick überholt.

Denn was Machiavelli über ein einstmals zersplittertes Italien sagte, kann man heute nahtlos auf ein zersplittertes Europa übertragen. Die nationalistische Kleinstaaterei, das blödsinnige Beharren darauf, Europa in unwichtige Fliegendreck-Staaten wie England, Frankreich oder Deutschland aufzuspalten und die Landkarte Europas als buntgescheckerten Fleckerlteppich statt eines einfärbigen Ganzen zu gestalten, ist meiner Meinung nach, und Machiavelli gäbe mir recht, eine an Gemeinheit und Dummheit grenzende Unverantwortlichkeit späterer Generationen gegenüber. Europa in Zersplitterung zu halten heißt, es in Schwäche und Abhängigkeit zu halten. Ein Festhalten am längst überholten Nationalismus ist meiner Meinung nach eine Rückständigkeit, die man getrost als gemeingefährlich, verächtlich und reaktionär bezeichnen kann. Ich bin der Meinung, daß man jeden prinzipiellen Gegner der Europäischen Union aufgrund ihres Verrats an der Heimat - und diese ist Europa und nichts sonst! - ächten, ferner aus allen politischen Ämtern verdrängen sollte.

Machiavelli war der Ansicht, daß ein Mann mit der politischen Begabung und dem bewunderswerten Weitblick Cesare Borgias die italienische Einigung betreiben und vollenden sollte. Ich bin heute der Meinung, daß es eines neuen Cesare Borgias bedürfte, um die europäische Einigung, für die schon positive Ansätze vorhanden sind, zu einem krönenden Abschluß zu führen. Die "Vereinigten Staaten von Europa" sollten als festgefügter Bundesstaat den losen Staatenbund der Europäischen Union ersetzen; eine der großen Aufgaben des 21.Jahrhunderts wird es sein, die momentanen Machtverhältnisse in Europa umzukehren - in dem Sinne, daß nicht mehr die einzelnen nationalen Regierungen die europäischen Institutionen kontrollieren, die wichtigsten Entscheidungen von den nationalen Ministern im Rat mühsam und zäh ausverhandelt werden und jeder Nationalstaat die Union nur als Mittel betrachtet, für sich selbst die größten Vorteile zu erlangen. Es sollte nicht mehr möglich sein dürfen, daß nationale Zwerge Entscheidungen der Union boykottieren und lähmen können, nur weil diese ihrem beschränkten Gesichtskreis widersprechen. Vielmehr sollte Europa über eine gemeinsame Regierung verfügen, mit einem vom Volk direkt gewählten Präsidenten, der dann die nationalen Regierungschefs nach seinem Gutdünken als weisungsgebundene Statthalter einsetzt. Und die einzelnen europäischen Ministerien sollten auch keine "Fahne" haben, wie die heutigen EU-Kommissionsposten, d.h. von den einzelnen Ländern besetzt und vereinnahmt werden dürfen; vielmehr für die Besetzung eines EU-Posten nur maßgeblich sein, daß man Europäer ist - nationale Reservierungen sollte es nicht mehr geben.

Wir brauchen ferner eine eigene europäische Verfassung, ein europäisches Heer (ob im Rahmen der NATO oder nicht, wäre eine in Zukunft klärungsbedürftige Frage) und ein europäisches Nationalbewußtsein. Die bisherigen nationalen Feiertage sollten gestrichen und durch einen einheitlichen europäischen Nationalfeiertag ersetzt werden. An den Schulen sollte den Kindern und Jugendlichen die Wichtigkeit von europäischem Zusammenhalt genauso klar gemacht werden wie die Verderblichkeit der europäischen Zersplitterung. Ein verpflichtendes Fach wie "Europakunde" wäre nicht schlecht - am besten statt der sinnlosen Mathematik, die 99% der Schüler sowieso nicht begreifen und die uns doch nur zu bornierten Rechenknechten anstatt zu freien Europäern macht.

Man sollte die jungen Leute auch ermuntern, andere Sprachen zu lernen, die anderen europäischen Länder kennenzulernen und einmal im Leben einige Zeit dort zuzubringen. Ich bin der Meinung, daß Bildungsprogramme wie SOKRATES oder ERASMUS oder auch das KALEIDOSKOP-Programm (in dessen Rahmen ich übrigens 1996 an der Universität Saloniki mit einem Wissenschaftspreis für eine Arbeit über die griechisch-römische Antike ausgezeichnet wurde) in diesem Sinne eine wichtige Aufgabe erfüllen.

 

Machiavelli und die gegenwärtige österreichische Neutralitätsdebatte

Was Machiavelli von der gegenwärtigen österreichischen Debatte NATO oder Neutralität halten würde, ist ziemlich klar. Für ihn, und das äußert er in seinen Schriften ziemlich deutlich, ist die Neutralität überhaupt kein diskutables sicherheitspolitisches Konzept. Es gibt für ihn überhaupt nichts verderblicheres als Neutralität; und zwar ganz einfach, weil man sich selbst dadurch isoliert. Jeder ist mißtrauisch gegenüber sogenannten Freunden, die sich in Zeiten der Not von der Verantwortung des Beistands drücken.

Ein Beispiel aus der neueren Geschichte illustriert, was Machiavelli schon damals prinzipiell klar gesehen hat. Österreich-Ungarns Untergang war 1873 seine Neutralität im Krimkrieg; es versagte Rußland den Beistand gegen England und Frankreich, half aber auch letzterem nicht. So wurde der Besiegte auf Österreich-Ungarn verbittert, der Sieger aber nicht gewonnen. Hätte Österreich sich mit Rußland verbündet, hätte es selbst bei einer russischen Niederlage sein Vertrauen erhalten; es wären wieder bessere Zeiten für den Verlierer herangebrochen, mit dem man das eigene Schicksal verschweißt hätte. Eine Unterstützung Englands und Frankreichs hätte das Ansehen Österreich-Ungarns bei diesen wiederum gehoben. Durch seine Neutralität kam Österreich-Ungarn unter die Räder, weil ihm keine von beiden Seiten gewogen war. Im 1.Weltkrieg, der aus den Bündniskonstellationen des 19.Jahrhunderts hervorgegangen war, kam es zwischen die Fronten und wurde zermalmt. Machiavelli würde die österreichische Neutralität auch heute ablehnen. Niemand traut einem Partner, der ihm nicht beisteht, wenn es nötig ist - und der sich vor der internationalen Verantwortung drückt.

 

Machiavelli über Jörg Haider

Wie oben besprochen (Kap. "Vom Erhalt der republikanischen Freiheit"), beschäftigt sich Machiavelli in Discorsi I, 52 mit aufstrebenden Volksführern und Demagogen, deren Macht immer bedrohlicher anwächst und bei denen Befürchtungen bestehen, sie würden die Republik gefährden. Machiavelli rät zu einem relativ einfachen Trick, wie man diese loswerden kann: Man soll, meint er sinngemäß, ihnen ihre Methoden und Wahlkamofthemen klauen. Dies sei sehr viel wirkungsvoller als eine reine Gegnerschaft.

Im Falle des Aufstiegs von Jörg Haiders FPÖ von einer Kleinpartei zu einer ernstzunehmenden Macht im Staat sieht man deutlich, wie richtig der von Machiavelli gegebene Rat ist. Denn die sogenannte "Ausgrenzung" Haiders durch alle anderen Parteien, seine Ächtung und die bloße Gegnerschaft der Regierungsparteien zu ihm, die vor ihm hysterisch warnten, hat ihm nicht ernsthaft geschadet, sondern nur genützt. Das sieht man auch anhand des Wahlergebnis bei der Landtagswahl in Kärnten 1999, wo Haider mit 42% der Stimmen zur stärksten Kraft in diesem Bundesland wurde. Der Versuch der anderen Parteien, ihn mit Anti-Haider-Parolen ("Stoppt Haider!", lautete z.B. eine Inseratenkampagne der SPÖ) aufzuhalten, schlug offenkundig fehl, ja gereichte Haider zum Vorteil, weil er so nur noch häufiger ins Gespräch kam und die anderen als bloße rückständige "Verhinderer" des Neuen darstellen konnte.

Wenn man Haider wirklich stoppen wollte, müßte man dies mit machiavellistischen Methoden angehen: Man müßte ihm seine bewährten Methoden einfach stehlen, d.h. einen jungen, dynamischen Spitzenkandidaten aufstellen, der gegen Ausländer wettert, für mehr Geld für junge Mütter, gegen Arbeitslosigkeit und gegen Korruption auftritt. Ich bin der Meinung, daß Haiders größte Gefahr nicht etwa die Ausgrenzungspolitik der Vergangenheit, sondern der neue Chef der SPÖ, Bundeskanzler Viktor Klima ist, der nicht umsonst von den Medien oft als "roter Jörg" bezeichnet wird. Er kopiert Haiders erfolgreiche Methoden perfekt und macht ihm die Wähler wiederum abspenstig, die zu den alten Parteien zurückkehren. Das Ergebnis der letzten Europa-Wahl im Juni 1999, bei der Haider kräftige Verluste hinnehmen mußte, zeigt, wie sehr ihn das neue Verhalten seiner Gegner trifft. Machiavelli hätte als Wahlkampfberater der SPÖ schon sehr viel früher zu dieser Strategie geraten und ihr damit so manche schmerzvolle Niederlage der Vergangenheit erspart.

 

Machiavellis Urteil über die Lewinsky-Affäre

In Discorsi I, 50 vertritt Machiavelli schon im Titel die Ansicht: "Kein Rat und keine Behörde dürfen den Gang der Staatsgeschäfte hemmen können". Er ist in diesem Kapitel der Meinung, daß es äußerst schädlich für einen Staat ist, wenn eine gewisse Institution die Möglichkeit besitzt, die regulären Staatsgeschäfte aufgrund von Machtkämpfen lahmlegen zu können. In der Republik Venedig, schreibt er, sei es zum Beispiel einmal vorgekommen, daß der Große Rat, dem die Besetzung aller Ämter oblag, aus Groll keinen Nachfolger für die hohen Beamten ernannte, deren Amtszeit auslief. Damit war der ganze Staat gelähmt und handlungsunfähig, was furchtbare Folgen hatte. Man tat daher das einzig richtige und verfügte, daß die Beamten selbst nach abgelaufener Amtszeit so lange auf ihrem Posten zu verbleiben hatten, bis der Nachfolger bestellt war. Dem Großen Rat wurde also seine Boykott-Möglichkeit zum Wohl des Ganzen entzogen; denn die laufenden Geschäfte müssen nun mal erledigt werden.

Das ganze Jahr 1998 hindurch wurde in den USA nun Präsident Bill Clinton von Sonderermittler Kenneth Starr in riesige Prozesse verwickelt, ferner leitete Starr sogar ein Amtsenthebungsverfahren gegen Clinton ein. Starr mißbrauchte dabei das Amt des Sonderermittlers; denn vieles spricht dafür, daß er in seinen Handlungen politisch motiviert war. Das Amt des Sonderermittlers hätte eigentlich den Sinn, den Präsidenten zu kontrollieren, aber nicht ihn ständig in gewaltige und zeitraubende Prozesse zu verwickeln, die auf falschen Anklagen beruhen (Starr verfolgte Clinton einmal sogar wegen eines angeblichben Mordes, den Clinton aber niemals begangen hatte), schließlich setzte Starr ein Amtenthebungsverfahren gegen Clinton mit zweifelhafter Begründung durch. Der Präsident und damit die ganze Regierung wurde durch Starrs Verhalten ein Jahr lang lahmgelegt und außen- wie innenpolitisch fast handlungsunfähig. Der ganze Senat sowie das höchste Gericht waren durch den Impeachment-Prozeß auf Monate blockiert und von der eigentlichen Tagesordnung abgelenkt. Machiavelli würde darauf drängen, die Kompetenzen des Sonderermittlers zu beschneiden, damit dies alles nie wieder passiert.

 

Machiavellis Urteil über den Kosovo-Konflikt

Wie würde Machiavelli den aktuellen Kosovo-Konflikt kommentieren?

Zunächst würde er sicherlich nicht kritisieren, daß sich die NATO in Jugoslawien einmischt. Eher verwerflich würde er finden, daß man so spät in der Jugoslawien-Krise aktiv wird. Der Kosovo-Konflikt steht ja nicht isoliert da, sondern ist eine konsequente Fortsetzung der jugoslawischen Bürgerkriege, die 1991 begannen. Daß der Westen zuvor acht Jahre lang versucht hatte, mit dem Mörder-Regime Milosevics zu verhandeln, grenzt an Wahnsinn und Feigheit. Man soll, sagt Machiavelli im "Fürst" und den "Discorsi", eine kriegerische Entscheidung aus Angst vor dem Risiko nicht unnötig hinauszögern (z.B. Der Fürst, Kap.III). Denn früher oder später muß man ja doch eingreifen; aber je später, umso schlechter ist es erfahrungsgemäß. Hätte die NATO bereits 1991 entschlossen eingegriffen, wäre nach dem Krieg Serbiens gegen Slowenien und Kroatien kein Krieg um Bosnien, nach dem Krieg in Bosnien kein Krieg im Kosovo entstanden. Man hätte sich den Problemen schon viel früher stellen müssen; und man hätte schon früher den Mut haben sollen, mit Entschlossenheit vorzugehen.

Machiavelli würde an der Vorgehensweise der NATO kritisieren, daß sie von vornherein den Einsatz von Bodentruppen in offiziellen Erklärungen ausgeschlossen hatte und den Krieg ausschließlich von der Luft aus zu entscheiden versuchte. Machiavelli, der immer die zentrale Bedeutung der Infanterie für eine Armee betont hatte (und sowohl der Kavalierie als auch der damals technisch neuen Artillerie nur unterstützende Bedeutung zuerkannte (siehe Discorsi II,17 und II, 18), wäre heute klar gewesen, daß man einer feindlichen Armee zwar von der Luft aus sehr schaden kann, sie aber nicht völlig zu zerstören in der Lage ist; und daß man Milosevics Regierung nicht durch Bombardements aus der Luft stürzen kann.

Die NATO irrte, als sie dies glaubte. Und der amerikanische Präsident irrt jetzt, wenn er meint, man könne Milosevic stürzen, indem man Wirtschaftssanktionen (moderne Belagerungen) verhängt und Wiederaufbauhilfe verweigert, in der törichten Hoffnung, das jugoslawische Volk würde sich dann gegen Milosevic stellen. Machiavelli würde sagen, daß es das nicht wird. Und wenn, dann aus anderen Gründen.

"Dagegen mag man einwenden, daß das Volk, wenn es seine (...) Besitzungen in Flammen aufgehen sieht, die Geduld verlieren wird, und daß es durch die lange Belagerung und aus Eigeninteresse den Fürsten vergessen wird; doch darauf erwidere ich, daß ein mächtiger und mutiger Fürst stets alle diese Schwierigkeiten überwinden wird, indem er den Untertanen bald Hoffnung macht, das Unglück werde nicht mehr lange dauern, bald unter ihnen Furcht vor der Grausamkeit des Feindes verbreitet, sodann sich geschickt derer bemächtigt, die ihm zu dreist erscheinen. Außerdem muß der Feind zweckmäßigerweise bei seiner Ankunft das Land verheeren und verbrennen, d.h. zu einer Zeit, da die Bürger noch eine kämpferische und verteidigungsbereits Gesinnung haben; der Fürst braucht daher um so weniger zu befürchten, denn nach einigen Tagen, wenn die Gemüter ernüchtert sind, ist der Schaden schon eingetreten und das Unheil hereingebrochen, und es gibt auch keine Abhilfe mehr; dann aber werden sie sich umso enger mit dem Fürsten zusammentun in dem Glauben, daß er ihnen verpflichtet ist, weil ihnen die Häuser niedergebrannt sind und die Besitzungen verwüstet worden sind um seiner Verteidigung willen" (Der Fürst, Kap.XI).

Clinton sollte sich diese Stelle einmal durchlesen und statt "Fürst" doch "Milosevic" einsetzen; dann hätte er eine Erklärung dafür, warum die Bomben und Sanktionen Milosevic innenpolitisch bis jetzt nur gestärkt haben; und dann würde er wissen, warum Milosevic in nächster Zeit genausowenig stürzen wird wie Saddam Hussein, den man mit den gleichen falschen Mitteln bekämpft und der daher schon seit einem Jahrzehnt Katz und Maus mit den Amerikanern spielt.

Die NATO hat zwar Milosevic in wichtigen Punkten tatsächlich zum Nachgeben zwingen können. Aber der Sieg der NATO hat vom gegenwärtigen Standpunkt (Juli 1999) aus einige Wermutstropfen. Milosevic ist noch immer im Amt und setzt seine alte Politik fort. Bald wird (vielleicht) in Montenegro ein ähnlicher Krieg ausbrechen wie im Kosovo. Dann wird man endgültig sehen, daß mangelnde Entschlossenheit und halbe Lösungen immer mehr und mehr Kriege produzieren anstatt den erhofften Frieden zu schaffen.

Die jugoslawische Bundesarmee ist im Kern noch immer intakt. Die NATO konnte auch nicht verhindern, daß Milosevic den Kosovo fast völlig entvölkerte. Bodentruppen und von ihr geschaffene Sicherheitszonen hätten die Massaker und Vertreibungen an Kosovo-Albanern verhindern können.

Außerdem hätte Milosevic sich vielleicht anders verhalten, wenn er nicht von den NATO-Ankündigungen, man werde nur Luftstreitkräfte einsetzen, in Sicherheit gewogen worden wäre. Und wenn man sagt, die NATO wollte eben keine Verluste durch den Einsatz von Bodentruppen riskieren, aus Angst vor Protesten der Friedensbewegung, dann sage ich: Wenn dies so ist, dann waren die Pazifisten die besten Verbündeten Milosevics, weil sie so viel zu seinen Gunsten erreicht haben.

Machiavelli hält einen Pazifismus, der Kriege nur zum eigenen Nachteil hinauszögert oder der zu mangelnder Entschlossenheit in einem notwendigen Krieg führt (und ein Krieg ist notwendig, wenn eigene Sicherheitsinteressen berührt werden), für nicht nur taktisch unklug, sondern auch insoferne für verfehlt, weil er sein Ziel, den Frieden, nicht erreicht. Eine entschlossene Vorgehensweise gegen Milosevic 1991 - ohne Rücksicht auf pazifistische Bedenken - hätte den Krieg in Bosnien vermieden, eine entschlossene Vorgehensweise in Bosnien den Krieg im Kosovo, eine entschlossene Vorgehensweise im Kosovo (= Sturz der Regierung Milosevics mit Bodentruppen und Vernichtung der jugoslawischen Bundesarmee) den Krieg in Montenegro, den Milosevic noch führen wird. Sollte dieser Krieg wirklich noch kommen, dann haben die Pazifisten daran Schuld und sonst niemand.

Aber auch die Vorgehensweise von Milosevic hielte Machiavelli für schlichtweg falsch. Milosevic hätte das, was jetzt erreicht wurde (Der Kosovo bleibt bei Jugoslawien, aber autonom; ferner wird er von einer NATO-Friedenstruppe besetzt; die UCK wird entwaffnet), auch vor dem Bombardement erreichen können - nur ohne das von ihm eingegangene Risiko. Er hat sich törichterweise mit einem weitaus größeren Machthaber angelegt und den Untergang seines Staates riskiert. Zu diesem Vorgehen meint Machiavelli folgendes:

"Der Leiter eines Staatswesens, der von einem Gegner, der ihn an Macht bedeutend übertrifft, angegriffen wird, kann keinen größeren Fehler begehen als jeden Vergleich abzulehnen, besonders wenn er ihm angeboten wird; denn nie wird ein Angebot so unvorteilhaft sein, daß es nicht einigermaßen das Wohl dessen, der es annimmt, berücksichtigt. Es wird immer einen Teil dessen enthalten, was durch einen Sieg erreicht werden kann. (...So hätte sich das von den übermächigten Spaniern bedrängte Florenz mit dem spanischen Friedensangebot zufrieden geben sollen...); sein Sieg war groß genug, wenn das spanische Heer einem ihrer Wünsche nachgab und die seinen nicht sämtlich erfüllt sah. Denn die Absicht des spanischen Heeres ging dahin, die Regierung in Florenz zu wechseln, es von der Ergebenheit gegenüber Frankreich abzubringen und Geld von der Stadt zu bekommen. Hätte es von diesen Forderungen nur zwei erreicht, nämlich die beiden letzten, und wäre dem florentinischen Teil nur eines verblieben, nämlich eine Beibehaltung seiner Regierung, so wäre dies für beide Teile ehrenvoll und befriedigend gewesen. (...) Es durfte diesen (Punkt) auch nicht der Laune des Glücks anvertrauen, da sein letzter Einsatz auf dem Spiel stand, den kein kluger Mann ohne Not wagen wird." (Disc. II, 27)

Mit anderen Worten: Milosevic hätte den Vertrag von Rambouillet unterzeichnen sollen. Denn einer übermächtigen NATO, die mit gewaltiger Heereskraft droht, die jugoslawische Oberherrschaft im Kosovo abzutrotzen, der lediglich autonom werden sollte, wäre schon genug des Sieges gewesen. Auch wenn Milosevic momentan wahrscheinlich dasselbe erreicht hat - vielleicht auch nicht -, so hätte er seinen Sturz und den seines Landes nicht riskieren dürfen. Milosevic ist also kein Machiavellist, sondern nur ein verstockter Ideologe.

 

Literatur:

Michael Crawford: Die römische Republik. dtv, München (5.Auflage) 1994.

Marion Giebel: Augustus. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg (6.Auflage) 1998.

Bernd Jordan, Alexander Lenz: Weltpolitik im 20.Jahrhundert. Lexikon der Ereignisse und Begriffe. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1996.

Titus Livius: Die Anfänge Roms. dtv/Artemis, München 1991.

Emil Nack, Wilhelm Wägner: Rom. Land und Volk der alten Römer. Ueberreuter, Wien 1969.

Niccolo Machiavelli: Discorsi. Kröner Verlag, Stuttgart 1977.

Niccolo Machiavelli: Der Fürst. Reclam, Stuttgart 1986.

Niccolo Machiavelli: Geschichte von Florenz. Manesse Verlag, Stuttgart 1986.

Herfried Münkler: Politische Bilder, Politik der Metaphern. Fischer, Frankfurt a.M. 1994.

Herfried Münkler: Im Namen des Staates, Die Begründung der Staatsräson in der Frühen Neuzeit. Fischer, Frankfurt a.M. 1987.

Heinrich Pleticha (Hg.): Diktatoren und Ideologien. Die Welt zwischen zwei Kriegen. In: Weltgeschichte in zwölf Bänden, Bd.11. Bertelsmann, Gütersloh 1996.

Josef Scheipl u.a.: Zeitbilder 6. Geschichte und Sozialkunde. Österreichischer Bundesverlag 1992.

© Patrick Horvath


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