1Lawrence Gains ("Larry Gaines") war - neben Cecil Harris ("The Seal"), Harry Wills ("The Black Panther") und George Godfrey ("The Leiperville Shadow") - einer der stärksten Boxer der 1920er Jahre. Als Neger durfte jedoch keiner von ihnen um die - von den USA monopolisierte - Weltmeisterschaft kämpfen; von September 1923 bis September 1926 wurden drei Jahre lang keine WM-Titelkämpfe im Schwergewicht ausgetragen, da der Weltmeister Jack Dempsey sich weigerte, gegen "Nigger" zu boxen; statt dessen wurde eine (US-amerikanische) "Weltmeisterschaft der Schwarzen" ausgetragen; seinen ersten Kampf um diesen Titel verlor Gaines 1926 gegen Godfrey. 1927 wurde Gaines kanadischer Meister, 1928 schwarzer Weltmeister (Godfrey wurde wegen Tiefschlags disqualifiziert) und 1931 Empire-Meister im Schwergewicht. 1932 schlug er Primo Carnera klar nach Punkten; dennoch bekam im folgenden Jahr nicht er, sondern der Italiener den WM-Kampf gegen Sharkey.
2Es gab allerdings Präzedenzfälle in anderen Gewichtsklassen: 1906 wurde Joseph Gaines ("Joe Gans") durch Disqualifikations des dänischen Titelverteidigers Oscar Nielsen ("Battling Nelson") wegen Tiefschlags Weltmeister im Leichtgewicht; 1928 wurde Gaines durch Disqualifikation des Titelverteidigers Godfrey schwarzer Weltmeister im Schwergewicht - s.o. -, und 1929 wurde Jakob Finkelstein ("Jackie Fields") durch Disqualifikation des Titelverteidigers Joe Dundee wegen Tiefschlags Weltmeister im Weltergewicht. Keine dieser Entscheidungen - einschließlich der Titelvergabe - wurde je angefochten oder auch nur angezweifelt. Freilich fielen sie zugunsten von US-Amerikanern; 1930 war es umgekehrt - Schmeling hatte das Angebot, sich einbürgern zu lassen, kurz vor dem WM-Kampf ausgeschlagen.
3Schmeling behauptete später wenig glaubhaft, dies sei geschehen, weil Joe Jacobs Jude war. Richtig ist, daß Schmeling in den USA offenbar keinen Manager mehr benötigte und deshalb nicht einzusehen war, einen solchen noch an seinen außerhalb der USA erzielten Einnahmen zu beteiligen, zu allem Überfluß auch noch in US-$. In Deutschland, wo Devisen knapp waren, wurden Schmelings Interessen längst von Walter Rothenburg vertreten - der auch den Rückkampf gegen Hamas zustande gebracht hatte -, der ebenfalls jüdischer Abstammung war, ohne daß irgend jemand daran Anstoß genommen hätte. Auch Neusels Manager Paul Damski war Jude.
4So die offizielle Darstellung, die wahrscheinlich ebenso falsch ist wie die heute oft anzutreffende Behauptung, ein Kampf zwischen Schmeling und Baer hätte nicht in Deutschland statt finden können, weil der letztere Jude gewesen sei. Richtig ist, daß Baer zwar in "Jew York" zu Propagandazwecken demonstrativ mit einem Davidsstern an der Hose auftrat, aber Katholik war. Baers Mutter war unstreitig Deutsch-Irin; von Baers Vater wird zwar bisweilen behauptet, daß er von einem Elsässer Juden und/oder einer böhmischen Jüdin abstammte; er war jedoch unstreitig Schweinezüchter - ein Beruf, der für Juden absolut tabu gewesen wäre. (Solches "Segeln unter falscher Flagge" war damals im Boxsport durchaus nicht einmalig. So trat der Neuseeländer Tom Heeney vor dem WM-Kampf gegen Gene Tunney 1928 in einem Maori-Kostüm auf, obwohl er reinrassiger Weißer war. "Gipsy" Daniels verkleidete sich zwar gern als Zigeuner - mit einem malerischen Kopftuch und überdimensionalen Ohrringen -, war jedoch ein waschechter Waliser.) Baer war - anders als Schmeling - groß, blond und blauäugig, also geradezu ein "Muster-Arier". Ausschlaggebend für den geplanten Austragungsort Amsterdam war vielmehr, daß die Niederlande im Gegensatz zum Deutschen Reich keine Devisenprobleme hatten - Baer verlangte eine Garantiebörse von 300.000 US-$, Schmeling eine von 150.000 US-$, zusammen fast 2 Mio RM. Auch zur Titelverteidigung gegen Braddock wurde Baer wohl nicht von der NYBC gezwungen; letztere hatte vielmehr, nachdem der Kampf Schmeling vs. Braddock nicht zustande gekommen war - einen offiziellen Ausscheidungskampf zwischen Carnera und dem ebenso großen und schweren Ray Impelletiere angesetzt, den Carnera am 15.03.1935 durch t.k.o. gewann, also eine Woche vor dem Kampf Braddock vs. Lasky. Es war vielmehr Baer, der sich für eine Titelverteidigung gegen Braddock statt gegen Carnera entschied und dafür sogar eine Titelaberkennung durch die International Boxing Union riskierte. [Die 1911 in Paris gegründete IBU, die heute nur noch als ehemalige Europäische Box-Union gilt, war theoretisch der Welt-Dachverband des Boxsports, dem z.B. auch die New York State Athletic Commission ("NYSAC") angehörte; die National Boxing Association ("NBA") wurde erst 1921 als Konkurrenzverband gegründet, um den Kampf zwischen Dempsey und Carpentier als "Weltmeisterschaft" vermarkten zu können; sie wurde 1962 in World Boxing Association ("WBA") umbenannt.] Diese pochte auf eine Titelverteidigung Baers gegen den belgischen Europameister Pierre Charles, der etwa gleich stark wie Schmeling war, auch überwiegend gegen die selben Gegner geboxt hatte (gegen Gaines und Uzcudun verloren, gegen Daniels gewonnen und verloren, gegen Santa, Diener, Neusel und Stribling gewonnen), jedoch im Gegensatz zu diesem kein Kassenmagnet war, weshalb ein Kampf gegen ihn finanziell uninteressant war. Baer hoffte vielmehr auf einen großen Zahltag bei einem Kampf gegen Joe Louis. Da er jedoch als NBA-Weltmeister zum einen seinen Titel nicht gegen einen Neger verteidigen durfte und zum anderen bei der Madison Square Garden Corporation unter Vertrag stand, mußte er, um aus diesem Vertrag ohne Schadensersatzansprüche heraus zu kommen, zunächst seinen Titel verlieren, und zwar gegen jemanden, der ihm später beim Rückkampf keine ernsthaften Probleme bereiten würde. Baer suchte sich dafür den "abgehalfterten" Braddock aus und verlor absichtlich gegen ihn, um anschließend einen Nicht-Titelkampf gegen Louis - der inzwischen Carnera geschlagen hatte - auszutragen. Finanziell spekulierte Baer richtig: Der Kampf am 24.09.1935 zog fast 90.000 zahlende Zuschauer an - so viele wie der Boxsport in den USA seit den Titelkämpfen zwischen Dempsey und Tunney nicht mehr gesehen hatte - und brachte entsprechend hohe Einnahmen. Sportlich brach er Baer jedoch das Genick: Er unterlag Louis durch k.o. und bekam danach in den USA keinen "großen" Kampf mehr, geschweige denn in Europa - die IBU hatte ihm schon vor dem Braddock-Kampf den WM-Titel aberkannt. Da Schmeling an einem Kampf gegen Charles ebenso wenig interessiert war wie Baer, ließ die IBU den Belgier gegen Godfrey um die Weltmeisterschaft kämpfen. Letzterer gewann, wurde jedoch als Neger in den USA nicht anerkannt und trat ungeschlagen zurück, woraufhin auch die IBU Braddock als neuen Weltmeister anerkannte.
5Anders als in gewissen politischen Kreisen der USA stand ein Boykott bei den Sportfunktionären nie ernsthaft zur Debatte. Brundage - der selber Rassist und Anti-Semit war -, entgegnete Reportern auf die - unzutreffende - Behauptung, daß die Nazis jüdische Sportler von den Olympischen Spielen in Berlin ausschließen würden: "Na und? In meinem Sportclub sind Juden auch ausgeschlossen!"
6Für "echte" US-Amerikaner, d.h. für weiße, angelsächsische Protestanten, galt es auch in den 1930er Jahren noch als ehrenrührig, "to cross the color line [die Hautfarbengrenze zu überschreiten]"; so lehnten dies u.a. die Ex-Weltmeister Jack Dempsey und Gene Tunney trotz äußerst lukrativer Comeback-Angebote kategorisch ab. Gegen Louis kämpften - neben anderen Negern - ausschließlich Juden und Katholiken, "Fascio-Italiener" - wie Carnera - und "Nazi-Deutsche" - wie Schmeling, der nach dem Krieg behauptete, Hitler und "die Nazis" seien dagegen gewesen, daß er gegen einen Schwarzen boxte, weil sie eine Niederlage fürchteten. Richtig ist, daß Hitler persönlich verfügte, die Transatlantik-Passagepreise für die Bremen und die Europa zum Kampftermin zu senken, damit einige tausend deutsche Schlachtenbummler Schmeling billiger begleiten konnten. Im übrigen war es ausgesprochen albern, den Kampf zu einer Auseinandersetzung zwischen dem "Weißen" Schmeling und dem "Schwarzen" Louis zu machen, wie es auf einigen Plakaten geschah: Louis' Hautfarbe war nicht viel dunkler als Schmelings, weshalb er ursprünglich auch das "Lehmgesicht aus Alabama" genannt wurde; erst später machte die Journaille daraus den "Braunen Bomber aus Detroit", so wie sie aus Schmeling den "Schwarzen Ulan vom Rhein" machte, obwohl er - wie Arno Hellmis einmal treffend bemerkte - weder schwarz noch Ulan noch vom Rhein war.
7In den USA war es verboten, Filme über Boxkämpfe zu zeigen, in denen Weiße gegen Schwarze unterlagen; daher war der Film dort vermeintlich wertlos. Durch Schmelings Sieg wurde er für diesen zur Goldgrube - während von seiner Kampfbörse kaum ein Nettoüberschuß blieb, da statt der erwarteten 80.000 nur 45.000 Zuschauer kamen. (Im Hinblick darauf erließ ihm der deutsche Fiskus sogar "großzügig" die diesbezügliche Einkommenssteuer - obwohl es damals kein Doppelbesteuerungs-Abkommen mit den USA gab.) Auch aus den Mitschnitten der späteren Schmeling-Kämpfe gegen Foord und Dudas wurden Kinofilme gemacht, die allerdings nicht so erfolgreich waren.
8Auch dafür gab es einen Präzedenzfall: 1926 hatte der damalige Weltmeister Jack Dempsey einen Vertrag zur Titelverteidigung gegen Harry Wills geschlossen; als ihm jedoch 1 Million US-$ geboten wurden, wenn er statt dessen gegen Gene Tunney antrat, ließ er die 50.000 US-$ Reuegeld verfallen und brach den Vertrag. Auch er wurde dafür in New York gesperrt und kämpfte statt dessen in Philadelphia, wo er seinen Titel an Tunney verlor.
9Diese Vereinbarung mußte zunächst geheim bleiben, da sie damal noch als Bestechung empfunden worden wäre. Heutzutage gelten derartige Abmachungen im Profi-Boxsport als völlig legal - wobei die abgetretenen Anteile allerdings nicht mehr bei "nur" 10%, sondern bei bis zu 50% liegen. Dem verdankten z.B. der "Neanderthaler" Nikolaj Walujew und der "Fallobstler" David Haye ihre "Weltmeister"-Titel.
10Schmeling war auch in diesem Punkt kein Einzelfall. Selbst die ausgewiesenen Rassisten Dempsey und Tunney entblödeten sich nicht, nach dem Krieg zu behaupten, sie seien enge persönliche Freunde von Joe Louis gewesen und hätten ihm vor seinem zweiten Kampf gegen Schmeling wertvolle Tips gegeben, ohne die er noch einmal verloren hätte.
11Für diese wenig anspruchsvolle Tätigkeit wurde Louis allerdings fürstlich entlohnt, mit 50.000 US-$ p.a. - nach heutiger Kaufkraft ca. 2,5 Mio US-$.
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