A. E. JOHANN (1901-1996)
Adolf (seit 1945: Alfred) Ernst Johann Wollschläger
"Je unwahrscheinlicher und merkwürdiger die Geschichten klingen,
desto sicherer mag indes der Leser davon überzeugt sein,
daß sie sich so und nicht anders abgespielt haben . . .
Denn erfinden kann man nur Wahrscheinliches;
das Unwahrscheinliche - passiert . . ."


[A. E. Johann 1985]
[A. E. Johann Unterschrift 1985]

FORTSETZUNG VON TEIL I

Dann ließ Wollschläger ganz offiziell seinen ersten Vornamen in "Alfred" ändern, denn "der Ausweis ist es, der Ausweis allein, der den Menschen vom Tier unterscheidet. Erst der Ausweis macht aus ihm einen Menschen; ohne Ausweis ist er ein völlig wesenloses Nichts und könnte ebensogut jemand ganz andres sein" - eben. Und obwohl das Publikationsverbot für "A. E. Johann" Ende 1950 aufgehoben wurde, kleidete er seine nächsten Bücher vorsichtshalber weiter in Roman-Form. Am bekanntesten (wenn auch - wohl mangels Verfilmung - nicht ganz so bekannt wie "So weit die Füße tragen" von J. M. Bauer oder wie nach dem Ersten Weltkrieg "Die deutsche Passion" Dwingers) wurde A. E. Johanns Kriegsheimkehrer-Trilogie "Schneesturm", "Weiße Sonne" und "Steppenwind" (insgesamt knapp 1.500 Seiten, 1962 für die erste Taschenbuchausgabe auf knapp 1.000 Seiten gekürzt, 2000 für die einbändige Ausgabe unter dem Titel "Wind der Freiheit" des Weltbild-Verlags noch einmal scharf zensiert, pardon geglättet), in der er die abenteuerliche Flucht zweier deutscher Kriegsgefangener aus einem nordamerikanischen Todeslager (von dem wir in den späteren Auflagen nichts mehr erfahren) über Asien zurück in die Heimat schilderte. ["Heimat" ist übrigens eines jener fascistoïden Wörter, die aus den späteren Auflagen entfernt wurden. Der Titel von "Schneesturm" lautete ursprünglich, noch ganz im plakativen "Drei-Substantive-Stil" der 30er-Jahre-Bestseller: "Schneesturm, Heimweh und nächtlicher Bambus", und der Untertitel: "Roman einer Flucht nach Hause". Jetzt heißt es nur noch: "Schneesturm. Roman." Merke: Ein braver deutscher, pardon bundesrepublikanischer Gutmensch hat kein Heimweh nach Deutschland zu haben und auch nicht nach Hause zu wollen - sonst hätten womöglich all die falschen Asylanten, Wirtschafts-Flüchtlinge und sonstige kriminelle Schmarotzer aus aller Welt - vor allem der so genannten "dritten" - nicht mehr genug Platz bei uns!] Bereits 1930 hatte sich A. E. Johann - wohl in Anlehnung an Dwingers Erfolge - an einem Roman mit dem Titel "Der unvollkommene Abenteuerer" versucht, der die Flucht eines Geschwisterpaares aus dem Rußland der Oktober-Revolution schildert. Hatte Dikigoros schon erwähnt, daß A. E. Johanns Lieblingsfilm - jedenfalls bis 1945 - Gustav Ucickys "Flüchtlinge" von 1933 war, der just in der gleichen Ecke spielte, mit Hans Albers in der Hauptrolle und dem Evergreen "Weit ist der Weg zurück ins Heimatland" als Titelmelodie? Die französischen Filmkritiker Courtade und Cadars sollten ihn 40 Jahre später "wegen seines vorbildlichen Helden" als "Nazi-Film" bezeichnen. Nun wissen wir es endlich, liebe Leser: Ein vorbildlicher Held ist immer ein Nazi, denn nur ein Nazi kann ein vorbildlicher Held sein (so sehen jedenfalls die Franzosen ihre deutschen Nachbarn :-) Nein, im Gegensatz zu den Büchern Dwingers und Bauers gingen diese nicht auf wahre Begebenheiten zurück - jedenfalls nicht auf eine wahre Flucht aus der Kriegsgefangenschaft. Wer die früheren Bücher A. E. Johanns gelesen hat, erkennt unschwer die Orte der Handlung wieder - ja sogar die Reiseroute! Kein deutscher Kriegsgefangener, der in einem Lager am Ohio lag, wäre so dumm gewesen, ausgerechnet Richtung Nordwest nach Kanada und von dort in das amerikanisch besetzte Japan zu flüchten. Er hätte sich vielmehr schnurstracks Richtung Süden nach Mexiko abgesetzt, und von dort vielleicht weiter nach Südamerika. Aber Lateinamerika war - wie Indien - ein weißer Fleck auf A. E. Johanns geistiger Landkarte, und ist es immer geblieben, auch wenn er später noch ein paar Mal drüber hinweg reisen sollte. Das unterscheidet ihn von Colin Ross und Kasimir Edschmid, die ausgesprochene Lateinamerika-Experten waren, und erst recht von Richard Katz und E. E. Kisch, die es dorthin sogar ins Exil verschlug. Das ist schade, denn Lateinamerika ist - oder war zumindest noch bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein - neben Indien das interessanteste Reiseziel für einen Europäer, der halt nie ganz in das tiefste Innere der arabischen, der schwarzafrikanischen oder der fernöstlichen Welt vordringen kann, auch wenn er sie noch so aufmerksam von außen betrachten mag.

Exkurs. Kleines Beispiel gefällig für die bei A. E. Johann typische, nur zu oberflächliche "Kenntnis" der Japaner und des Japanischen? In "Schneesturm" schreibt er über einen in Kanada lebenden Japaner, der sich und seiner Familie in der "Wohnhütte des Wahns [Genjuan]" ein kleines Stückchen Heimat geschaffen hat, und über den Lyriker Matsuo Basho. [So schreibt ihn jedenfalls A. E. Johann. Für alle, die Dikigoros' Reisen über den Pazifik noch nicht gelesen haben: Das schreibt sich auf Japanisch "Bashou", wird im Westen meist mit "Bashō" transkribiert und spricht sich mit langem "o", aber beide Silben sind gleichmäßig betont.] Bashō gilt als der Erfinder des "Haiku", des japanischen Kurzgedichts - wahrscheinlich zu Unrecht. Er mag ein großer Meister desselben gewesen sein - er war es sogar ganz bestimmt -, doch diese Kunstform ist sicher älter als nur 300 Jahre. Das ist aber nicht der Punkt, auf den Dikigoros hier hinaus will, sondern vielmehr A. E. Johanns vollkommen verhunzte Wiedergabe eines seiner bekanntesten Haiku, dem von der Eiche:

kado-guchi ni
nara-no shita eda-no
shigeri kana

A. E. Johann gibt das wie folgt wieder:

So endet mein Grübeln*, ich sinke ruhig in Schlummer, denn:
*[ja ja, der Deutsche braucht nicht nur Wahn, er muß auch ständig grübeln! Anm. Dikigoros]
Auch ich fand einer Eiche schützend Blätterdach im Sonnenwalde!

Ach Du lieber Buddh... Das stimmt weder wörtlich noch sinngemäß mit dem Original überein, vom Versmaß ganz zu schweigen! Ein Haiku ist ein Dreizeiler mit 5+7+5 Silben (das "i" in "shita" ist stumm), und was es meint, darf nur angedeutet werden - was bleibt denn noch der Fantasie des Lesers überlassen, wenn er vor die vollendete Tatsache gestellt wird, daß der brave Wanderer einen Platz zum Schlafen gefunden hat und gleich eingepennt ist? Im Original sieht der Wanderer da nur eine Eiche stehen, an deren Zweigen Knospen sprießen, woraus wir schließen dürfen, daß Frühling ist - mehr aber auch nicht. [Streng genommen nicht einmal so viel - es könnte auch sein, daß jemand nur einen Eichenzweig abgebrochen und ans Hoftor gesteckt hat, wie man es in Japan sonst zu Neujahr mit den Kiefern tut - weshalb sie dann auch "kado-matsu" heißen - oder in Deutschland mit den Mai-Birken, wo er nur kurz und vergänglich sprießt.] Und die "Wohnhütte des Wahns"? Da hat A. E. Johann wohl etwas zu lange an das "Haus Wahnfried" Richard Wagners in Bayreuth gedacht, denn "Genjuan" [richtig: Gen Jū An, mit langem "u"] bedeutet nichts dergleichen. Ihr dürft Dikigoros - auch wenn Ihr "Welchen Frieden bringt das Meer?" nicht gelesen habt - getrost glauben, daß AN nicht "Wahn", sondern "Friede" heißt und nichts weiter, ohne jede Nebenbedeutung - es ist keiner der vielen zweideutigen Begriffe, die der Japaner nur uns Westlern so übersetzt, es ist das Wort, das er mit dem Kanji "Frau unter Dach" schreibt (woraus Ihr, liebe verheiratete Leser, erkennen könnt, daß das - jedenfalls ursprünglich - die Vorstellung des Japaners von häuslichem Frieden ist, auch wenn Euch das schwer fallen sollte zu glauben :-), und die Umkehrung AN JŪ bedeutet "friedliches (ruhiges, beschauliches) Leben". Eigentlich bedeuten die drei Silben noch etwas mehr, denn GEN ist die Quelle, im übertragenen Sinne der Ursprung. "Gen Jū An" heißt also ungefähr so viel wie: "Quell des Wohnens in Frieden". Schrieb Dikigoros gerade, daß das "Eiche"-Haiku eines der bekanntesten Bashō's sei? Nun ja, jedenfalls bei seinen wenigen westlichen Fans, insbesondere den deutschen, die ja von je her eine merkwürdige Vorliebe für jenen Baum hegen. Die überwiegende Mehrheit der Japaner findet den Kirschblütenbaum [Sakura - so heißt auch der kanadische Japaner in "Schneesturm"], die Zierkiefer [Matsu] und den Zimtbaum [Katsura - aus dessen Blättern, nicht wie bei uns aus Lorbeer, werden in Fernost Siegerkränze geflochten] viel schöner - und dem kann sich Dikigoros nur anschließen. Aber man muß einen Baum ja nicht nur wegen seiner Schönheit lieben, denn die allein kann man nicht essen. Eichen dagegen tragen Eicheln, und damit kann man Schweine füttern, und aus denen wiederum einen schönen, fetten Braten machen - wenn man denn darauf steht, wie A. E. Johann, der in "Groß ist Afrika" das hohe Lied des deutsch-südwest-afrikanischen Schweinebratens mit Rotkohl singt. Wenn man jedoch andere als fleischliche Genüsse bevorzugt, dann dürften ihr andere Nutzbäume eindeutig den Rang ablaufen: Die Kanadier z.B. haben den Ahornbaum zu ihrem Fetisch, pardon Wappen erkoren, denn er liefert ihnen den Sirop für ihre Pancakes [Pfannekuchen]. Dikigoros' Vater bevorzugte den Apfelbaum, und sein Lieblings-Haiku, pardon -Gedicht war folgerichtig Ludwig Uhlands "Bei einem Wirte wundermild". Die Chinesen lieben den Pflaumenbaum (es gibt einen, der rosarote Blüten hat, fast wie ein Sakura - ebenso einen Pfirsichbaum, welcher sogar zur Bezeichnung der Farbe verwendet wird, die wir "rosa" nennen), den sie "Jedermannsbaum" nennen (deshalb heißen in alten chinesischen Romanen die leichten Mädchen oft "Fräulein Pflaumenblüte" [und die Sifilis "Pflaumenkrankheit"]; die Esperantisten haben das fast wörtlich übersetzt in "ĉuesulino [Jedermannsine]", die einzige Parallele zwischen diesen beiden Sprachen :-) Die Auslandschinesen lieben den Maulbeerbaum, der die Seidenraupe ernährt, mit der einige von ihnen reich geworden sind, und nach dem sie z.B. San Francisco "Sōkō" nennen. Matsuo dagegen schlug völlig aus der Art: sein liebster Nutzbaum war die Bananenstaude [Bashō, wörtlich "Pferdefraß" - Japaner mögen aus unerfindlichen Gründen keine Bananen], nach der er sich nannte (eigentlich hieß er Matsuo Munefusa) - und auch dem kann sich Dikigoros nur anschließen (obwohl er kein Ossi ist :-). Exkurs Ende.

Ein paar Jahre später schrieb A. E. Johann - immer noch in "Roman"-Form - auch über die Flucht und Vertreibung der Ost- und Westpreußen aus ihrer alten Heimat und ihr Wieder-Fuß-Fassen in der neuen: "Sehnsucht nach der Dobrinka" und "Am Ende ein Anfang". Das erstere dieser beiden Bücher war noch weit mehr; es war eine Chronik von mehr als sieben Jahrhunderten letztlich vergeblicher deutscher Aufbauarbeit in Preußen, deren Früchte in weniger als sieben Monaten restlos zerstört worden waren; das letztere stand ein wenig im Schatten von Dwingers "Wenn die Dämme brechen" zum gleichen Thema. Reisebücher? A. E. Johann ging wohl davon aus, daß es für ihn als "belasteten" Angehörigen eines geschlagenen, verfemten und von den Besatzern unterdrückten Volkes auf absehbare Zeit keine Reisemöglichkeiten mehr geben würde. (Nein, liebe Leser, damals kam noch kein Deutscher auf die Schnaps-Idee, Besatzung mit "Befreiung" zu verwechseln - dazu bedurfte es erst Jahrzehnte langer Umerziehung, pardon "re-education"!) "Deutschland ist ein Trümmerfeld," läßt er Paul Knapsack, den Helden von "Schneesturm" sagen, "da machen die Alliierten ein großes Gefängnis draus, mit Stacheldraht ringsherum. Dieses Zeitalter wird als das Zeitalter des Stacheldrahts in die Geschichte eingehen. Es wird noch Jahre lang dauern, ehe die Sieger eine Maus aus Deutschland heraus lassen." Also verlegte sich A. E. Johann für's erste ganz auf's Romanfach - Dikigoros erspart Euch seine nächsten Bücher, sie taugen nicht viel.

Doch irgendwann durften auch Mäuse und sogar Deutsche wieder ins Ausland reisen, jedenfalls in der Theorie - in der Praxis wurden sie zunächst nur von Ländern herein gelassen, die im Krieg neutral geblieben waren (und das waren verdammt wenige), nicht von ehemaligen (?) Feindstaaten. Auch A. E. Johann begann wieder zu reisen, zunächst nach Irland, über das er 1952 "Heimat der Regenbogen. Insel am Rande der Welt" schrieb. Irland ist ein furchtbar schwieriges Kapitel, liebe Leser, gerade für einen deutschen Katholiken. Dikigoros weiß, daß die Iren die Deutschen lieben, er hat es selber in Irland erfahren; und mit dem Kopf erwidert er dieses Gefühl durchaus; aber mit dem Herzen kann er es - anders als etwa bei den Finnen oder den Basken - nicht so recht nachvollziehen (vielleicht weil Liebe durch den Magen geht und ihm das irische Essen nicht sonderlich schmeckt - anders als A. E. Johann war er nie ein Freund von Kartoffeln, sondern von Reis und Nudeln). A. E. Johann hatte da wohl auch gewisse Probleme - wenngleich aus anderen Gründen -, denn er schreibt im Nachwort: "Vielleicht habe ich das Land und seine Menschen mit allzu viel Sympathie [ja, dieses griechische Wort - das ja ursprünglich "Mitleid, Mitgefühl" bedeutet - trifft es wohl besser als "Liebe", Anm. Dikigoros] geschildert, trotz aller Mühe, auch die weniger erfreulichen Züge nicht zu verschweigen." Seht Ihr, liebe Leser, deshalb schreibt Dikigoros auf seinen Reisen durch die Vergangenheit fast nichts über seine Reisen nach Irland, und deshalb will er auch nicht viel über "Heimat der Regenbogen" schreiben. Besorgt es Euch selber, es ist eines der besseren Reisebücher, die A. E. Johann nach dem Krieg noch geschrieben hat - wenngleich Dikigoros seine Grundaussage gewaltig gegen den Strich geht: "Die Sprache hat wenig mit Freiheit zu tun!" So so, hat sie nicht? Dikigoros war so frei, Gaelisch zu lernen, ein wenig nur, aber immer noch mehr als die meisten Iren, die er kennen gelernt hat - und er verachtet sie darob insgeheim (so wie er Inder und Indonesier verachtet, die weniger Hindi und Bahasa sprechen als er - obwohl das noch etwas anderes ist, da dies für viele Menschen dort nicht die Muttersprache ist); und das umso mehr, als den Iren - anders als etwa den Elsässern, den Flamen, den Bretonen, den Basken, den Okzitaniern und den Korsen in Frankreich, den Ukraïnern, Weißrussen, Esten, Letten und Litauern in der Sowjet-Union oder den Aschkenasim in Israel - niemand mehr den Gebrauch ihrer Sprache verbietet; sie haben ihn aus Bequemlichkeit, ach was, aus purer Faulheit verloren, und damit ein Stück Freiheit, auch wenn sie selber - und A. E. Johann - das nicht bemerkt haben. Vier Jahrzehnte später sollte A. E. Johann den Mut finden, für die Taschenbuchausgabe ein neues, böses Nachwort zu schreiben, wie übel die Engländer den Iren im Laufe der Jahrhunderte mitgespielt hatten - da fühlt man sich beinahe an den alten A. E. Johann von 1942 aus "Land ohne Herz" erinnert. Lag es daran, daß Deutschland nach dem 2+4-Vertrag nicht mehr dem alliierten Besatzungsstatut unterlag? Oder hatte er einfach im Alter von über 90 Jahren keine Angst mehr, die Wahrheit zu schreiben? Dikigoros weiß es nicht. Aber er weiß, daß A. E. Johann log, als er weiter schrieb, daß sich Irland in den letzten 40 Jahren "nicht wesentlich" geändert habe. Wie schrieb er einst: "Dies kleine Inselvolk hat seinen einmaligen irischen Charakter mit solcher Zähigkeit und Treue bewahrt, daß es ganz unverwechselbar unter den Völkern weißer Rasse dasteht, stolz, liebenswert, gesprächig, fromm, wunderbar altmodisch und den sogenannten Fortschritt bisweilen ein wenig belächelnd, versponnen und versonnen, nicht sehr tüchtig, aber ungeheuer lebenszäh, zurückhaltend, selbstbewußt und mühelos liebenswürdig und chevaleresk." Irland hat mit seiner Sprache viel von dieser Einzigartigkeit verloren; man könnte fast sagen, daß es heute eines der "fortschrittlichsten" Länder Europas ist, was die meisten Leute positiv finden - Dikigoros enthält sich jeglicher Bewertung.

* * * * *

1955 - zehn Jahre nachdem die Wehrmacht die Waffen gestreckt hatte - geruhten die Alliierten gnädiglich, den Kriegszustand mit den Deutschen für beendet zu erklären (was freilich noch nicht bedeutete, daß sie ihnen einen Friedensvertrag gewährt hätten - sie sollten nur wieder Soldaten spielen), und sie durften wieder in die Feindstaaten (und deren Kolonien) reisen. A. E. Johann unternahm gleich eine "Große Weltreise" (die letzte per Schiff); im Untertitel befleißigt er sich zu versichern, daß dies ein ganz "unpolitischer Führer zu Ländern und Völkern dieser Erde" sei. (Er war noch immer vorsichtig; schon 1943 - zwei Jahre nach seinen forschen Aufsätzen für "Signal" sah die Kriegslage für Deutschland merklich schlechter aus - hatte er sich in einem Aufsatz in der "Zeitschrift für Geopolitik" als "Nur-Journalist" bezeichnet und nur eine ganz harmlose Laudatio auf Karl Haushofer geschrieben.) Doch Ende der 50er Jahre begab er sich dann doch auf das Glatteis der geopolitischen Hellseherei: In 16 Monaten hetzte er fast 180.000 km um die Welt (erstmals im Flugzeug, denn seit dem Untergang der Andrea Doria anno 1956, als die - italienische - Besatzung die Passagiere im Stich gelassen hatte, um sich selber auf den viel zu wenigen Rettungsbooten in Sicherheit zu bringen, war die Passagier-Schiffahrt fast so mausetot wie die Luftschiffahrt seit der Zerstörung des Zeppelin Hindenburg 1937 in Lakehurst) und widmete "Wohin die Erde rollt" dem Ex-Präsidenten der KLM. "Dies Buch ist keine Reisebeschreibung", schrieb A. E. Johann im Vorwort, sondern "ordnet sich" in "eine ganze Fülle von Einsichten" und Prognosen. Die waren freilich so hanebüchend falsch und peinlich, daß man das ganze heute nur noch kuriosumshalber lesen kann - oder wenn man auf "Motivsuche" für seine früheren Bücher gehen will. Gewiß, es war eine Zeit des Umbruchs, in der hellsehen besonders schwierig war; aber einiges hätte ein aufmerksamer Reisender erkennen können, ja müssen: Südamerika - das Colin Ross, der es 1919-1920 bereist hatte und es, zumal im Vergleich mit dem durch den Ersten Weltkrieg ruinierten Europa, noch für "die aufsteigende Welt" halten durfte - war auf dem absteigenden Ast; es hatte seine Kriegsgewinne verfrühstückt und den "Bankrott der Illusionen" erlebt; zu erwarten, daß sich dort noch einmal etwas zum Besseren wenden würde, war schlicht dumm und naïv. Dies umso mehr, als A. E. Johann durchaus sah, daß zunehmend Eingeborene an die Macht drängten, die es weder an Bildung noch an Fleiß mit der immer dünner werdenden weißen Oberschicht aufnehmen konnten. (Eine Entwicklung, deren Nichteintritt der weitaus realistischere Colin Ross bereits 1937 im Vorwort zur Neuauflage von "Die aufsteigende Welt" zur Voraussetzung für seine nur noch eingeschränkt optimistische Prognose gemacht hatte.)

In Afrika, wo die ersten Kolonien bald in die politische Unabhängigkeit entlassen werden sollten (die wirtschaftliche haben sie ja bis heute nicht zu erlangen vermocht - es war dies seitens der Kolonialmächte wohl auch nie ernsthaft beabsichtigt), glaubte A. E. Johann allen Ernstes (?) an ein friedliches Nebeneinander oder gar Miteinander (!) von Schwarzen und Weißen (er gebrauchte dafür das Bild vom "Zebra"). Das war schon mehr als dumm - es war verbrecherisch gegenüber all denen, die in diesem irrigen Glauben womöglich nach Afrika auswanderten (und das waren nach dem Krieg gar nicht so wenige). Asien leckte sich noch die Wunden, die der Krieg geschlagen hatte (der ja - außer für Japan - nicht 1945 zuende gegangen war, sondern noch viele Jahre danach als Bürgerkrieg weiter getobt hatte, in China, Indien, Indonesien, Malaysia, Korea und Indochina). Auf dem indischen Subkontinent setzte A. E. Johann (wie so viele im Westen) auf Pakistan statt auf Indien - er war ein großer Bewunderer des "korrekten, geradlinigen und unbestechlichen" Militär-Diktators Ayub Khan, der endlich die "Pseudodemokratie der ersten elf Jahre der Republik" beseitigt hatte, in der es nur Korruption, Spekulation und Inflation gegeben habe. Das mag verzeihlich sein. Aber in Ostasien setzte A. E. Johann (wiederum nicht als einziger - man denke nur an Abshagens "Im Lande Arimasen [gibt es nicht]") auf China statt auf Japan. (Wie läßt er einen seiner fiktiven Gesprächspartner sagen: "China ist die größte Nation der Erde. China wird eine Weltmacht. China ist schon eine Weltmacht. Weder die Russen noch die Amerikaner können das verhindern. Es wäre gut, wenn der Westen sich rechtzeitig an diese Tatsachen gewöhnte." [Gewiß - aber China war auch schon im 19. Jahrhundert von der Bevölkerungszahl her "die größte Nation der Erde" - als ob es allein darauf ankäme! Ein Land, das weder Güter noch Ideen in die Welt exportiert - mal abgesehen von "Mao-Bibeln" und anderen Raubkopien, ja Raubkopien, denn fast alle Sprüche aus jenem Buch sind Plagiate aus den Schriften alter chinesischer Filosofen, die anschließend vernichtet wurden - kann keine "Weltmacht" sein, Anm. Dikigoros.]) Das war unverzeihlich. Was verleitete A. E. Johann zu dieser Fehleinschätzung? Nun, er sah, daß die japanischen Arbeiter bereit waren, bis in die Nacht für wenig Lohn hart zu arbeiten, und die japanischen Studenten, bis in die Nacht zu lernen, "ewig hungernd und frierend"; aber all das erregte nicht seine Bewunderung, sondern nur seine Verwunderung, bestenfalls sein Mitleid. Er sah nicht, daß ein solches Volk seinen Aufstieg einfach machen mußte (ebenso wie ein Volk, dessen Angehörige dazu nicht mehr bereit sind, wie die übernächste Generation der Japaner - und der Deutschen - für den Abstieg und, wenn es die Wende nicht schafft, für den Untergang nominiert ist). Für ihn war Japan "vorwiegend eine agrarische Nation", mit großem "Überfluß an Menschen", die es gar nicht nötig hatte, menschliche Arbeitskraft durch Maschinen zu ersetzen. Dagegen hatten die Chinesen jetzt alle ihre tägliche "Handvoll Reis" - sagte jedenfalls die maoïstische Propaganda, und A. E. Johann glaubte ihr.

1960 schrieb A. E. Johann seine Reise-Memoiren: "Wo ich die Erde am schönsten fand". Wo war das nun, nach allem, was er bereist hatte? In Amerika der Westen Kanadas, das Hochland von Perú und die Pampas von Argentinien. Auf dem dunklen Kontinent Deutsch-Südwest-Afrika (das zugleich sein erklärtes Lieblings-Reiseland überhaupt war), Deutsch-Ostafrika, Belgisch-Kongo und Rhodesien. In Asien Kashmir und Thailand (A. E. Johann macht keinen Hehl daraus, daß das beide Male etwas mit den Frauen dort zu tun hat :-) - aber er kannte halt weder das restliche Indien noch das restliche Hinterindien. In Europa - gewissermaßen "außer Konkorrenz", denn A. E. Johann fühlte sich als "Europäer" und dort zuhause - Irland und Griechenland. Zusammenfassend meinte er: "halt überall dort, wo Friede und Freiheit herrschen". Ach, liebe Leser, Ihr werdet es schon selber bemerkt haben: Diese Worte lesen sich heute fast tragikomisch, denn in den meisten der genannten Länder findet sich heute weder das eine noch das andere: Entweder haben - nach oft Jahre langen grausamen Bürgerkriegen - unfähige Eingeborene die Macht an sich gerissen, Terror-Regime errichtet und die Wirtschaft ruiniert; oder aber - und das wollen wir, liebe Europäer, doch auch nicht verschweigen - die Länder wurden von den Brüsseler EU-Bürokraten wirtschaftlich und von den Pauschal-Touristen menschlich verdorben. Außer nach Kanada kann man sich heute als "normaler" Reisenden kaum noch irgendwo hin trauen.

Das gilt leider auch für eine Region, die A. E. Johann offenbar beim Abfassen seiner Reise-Memoiren noch nicht besucht hatte, und der er seine nächsten beiden Reisebücher widmete: "A la Indonesia. Sorgen und Hoffnungen eines unfertigen Landes" (1961) und "Die wunderbare Welt der Malaien. Eine ganz unwissenschaftliche Liebeserklärung" (1962) an "die zierlichen, zähen, braunen Leute, die das Leben leicht nehmen und mit einer sanften Heiterkeit den Tag verschwätzen, wenn der Tag es erlaubt, die aber ebenso hart und unermüdlich arbeiten, wenn die Umstände es erfordern, die geduldig, freundlich und gastfrei sind, aber auch kühn, empfindlich und keinen Tort vergessen, dies wunderbar in sich ausgewogene Menschentum..." Nun ja, wer Indonesien allen Ernstes als "ein Land" bezeichnet und nicht sieht, daß seine Sorgen vor allem daraus resultieren, daß es eben das nicht ist, muß wohl selber noch etwas unfertig sein; aber Liebe macht bekanntlich blind, und A. E. Johann hatte - ebenso wie Richard Katz - eine merkwürdige Liebe zu den malaiischen Völkern entwickelt, die Dikigoros persönlich nicht nachvollziehen kann (vielleicht weil er sie sehr viel besser kennt). Einen Unterschied machten die beiden Liebenden allerdings - und der war diametral: Katz hatte erkannt, daß die Malaien sich immer gleich geblieben sind und von den Europäern nichts wissen wollen - wofür er durchaus Verständnis hatte, wobei Erkenntnis und Verständnis in den 30er Jahren, als er Insulinde bereiste, gar nicht so leicht zu gewinnen waren. A. E. Johann dagegen hätte es leichter haben können, da er es auch noch in den späten 50er Jahren, also ein Jahrzehnt nach Revolution und Unabhängigkeit, bereiste - wenn er seine Informationen nicht einseitig von einer verwestlichten Adelsfamilie aus Mittel-Java bezogen hätte, von einer "Prinzessin", die in Leyden studiert, mit dem Islam nur wenig am Hut hatte, und ihm allerlei Märchen über die Geschichte "ihres" Landes auftischte: Wie gut es dem einfachen Volk unter den edlen Sultanen gegangen war, bis die bösen Holländer kamen und sie unterjochten, korrumpierten, ausbeuteten usw. Aber damit ist ja nun endlich Schluß. "Bhinneka tunggal ika [Einheit in der Vielfalt]" lautet der Wahlspruch des 1949 gegründeten neuen Staates "Indonesia". A. E. Johann umschreibt es poëtisch mit "Viele Farben, aber nur ein Regenbogen". In seinen Augen umschlingt alle Malaien, egal ob Mohammedaner, Christen, Hinduisten oder Animisten, "ein starkes Band", das des Gewohnheitsrechts [Adat], das stärker sei als Islam und Hinduïsmus, weshalb es keine Benachteiligung der Frauen gebe wie bei den Arabern und kein "bösartiges" Kastenwesen wie in Indien, nur die von der Verfassung garantierte "religiöse Toleranz". So gelangte er denn zu der völlig verfehlten Prognose: "Unsere Generation ist wahrscheinlich die letzte, die noch die Möglichkeit hat, das unverfälschte malaiische Wesen im wirklich gelebten Leben mitzuspielen, mitzuerleben, mitzufühlen. (Gefühl? Woher will der Nicht-Malaie wissen, was der Malaie unter "rasa" versteht? Oder unter "asli", "bumiputra" und "bangsa"? [Spart Euch die Mühe, es in einem westlichen Wörterbuch nachzuschlagen, liebe Leser, die Übersetzungen sind allesamt oberflächlich und ungenau.] "Es ist so schwer, über japanische Dinge zu schreiben, weil die Begriffe Japans im Geistigen wie im Gefühlsmäßigen sich mit den unseren nicht decken" schrieb Johann einmal - ja, meinte er denn, das gälte anderswo nicht?) Nach uns wird man es nur noch aus Büchern kennen. Die malaiische Wirklichkeit durchsetzt sich jeden Tag stärker mit Zügen europäischer Herkunft, so daß Fremdes und Eigenes bald kaum noch zu trennen sein werden." Vergeßt es, liebe Leser, denn nichts könnte falscher sein; nirgendwo sonst auf der Welt ist die Rückkehr zu den (vermeintlichen) Wurzeln, zum Nationalismus und zur Fremdenfeindlichkeit, zum radikalen Islam (der nun weiß Gott, pardon Allah, nichts "Eigenes" ist, sondern auch bloß ein Erbe des Kolonialiamus - halt des arabischen) und zur religiösen Intoleranz so augenfällig gewesen wie in Südostasien, der Welt der Malaien. Der "Regenbogen" des heutigen Indonesien ist rot wie das Blut, grün wie der Islamismus (von wegen "das grüne Band der Sympathie" :-) und schwarz wie die Zukunft von Malaysia, Indonesien und den Filipinen. Insbesondere Insul-Inde wird nie wieder das Paradies werden, das es unter der toleranten, segensreichen Kolonialherrschaft der Niederländer für relativ kurze Zeit wurde - aber das ist eine andere Geschichte.

Exkurs. Da Dikigoros gerade dabei ist, Nachträge zu schreiben: Er hat sich oft gefragt, wie es mit Indonesien so weit kommen konnte; und er hat sich die Antwort beileibe nicht so leicht gemacht, wie einige seiner Kritiker meinen, die ihm unterstellen, er verurteile den Islām pauschal und werfe dabei alle Muslime in einen Topf. Die erste Aussage trifft zu - aber nur mit der Einschränkung, daß Dikigoros jeden fundamentalen Monotheïsmus verurteilt. Gewiß, auf dem Papier gebieten auch das Judentum und das Christentum ihren Gläubigen, ihren Glauben über die ganze Welt auszubreiten, und durchaus auch unter Einsatz von Gewalt und Terror; aber zum Glück sind die Fundamentalisten dieser beiden Religionen heute nur noch eine verschwindende Minderheit, die nicht bereit - oder jedenfalls nicht in der Lage - sind, dies ernsthaft zu versuchen. Ganz anders der Islām, der seinen Auftrag zur Unterwerfung der Menschheit unter Allāh noch ernst nimmt, und dafür Millionen Gläubige in aller Welt mobilisieren kann - Tendenz steigend -, die bereit sind, für dieses Ziel ihr Leben - und vor allem das Leben anderer - einzusetzen, d.h. zu morden und dabei auch selber zu sterben. (Wohlgemerkt, liebe Leser, es geht Dikigoros nicht allein um die dabei eingesetzten Mittel - er würde den "Terror" der Nordiren in Ulster nicht verurteilen, solange er sich lediglich gegen die britische Besatzungsmacht richtet, nicht gegen Zivilisten -, sondern um das Ziel: Er will, daß möglichst viele unterschiedliche Religionen auf der Welt erhalten bleiben, und innerhalb derselben möglichst viele Gottheiten - die Dewen und Dewi der Inder, die Kami der Japaner, die Heiligen der Katholiken und die Fetische der Afrikaner -; er hätte auch gar nichts dagegen, die alten Götter der Griechen, Römer, Germanen, Kelten und Slawen wieder zu beleben, solange sie ihm nicht als allein selig machende Doktrin aufgezwungen würden.) Die zweite Aussage trifft dagegen nicht zu: Dikigoros ist durchaus klar, daß man nicht alle Muslime über einen Kamm scheren kann. Der Islām im Nahen Osten ist autochthon und dem Leben in der Wüste dort angemessen - mögen die Araber damit glücklich werden. Die Turkvölker haben den Islām freiwillig angenommen - selber schuld, mögen sie in ihrem eigenen Saft (und später in der Hölle :-) schmoren. Nach Afrika haben die Muslime ihren Glauben gewaltsam getragen - der Kampf dauert noch an, und obwohl es im Moment ganz so aussieht, als sollte er triumfieren, ist das letzte Wort da wohl noch nicht gesprochen, deshalb will sich Dikigoros dazu an dieser Stelle nicht weiter auslassen. Nach Europa haben die Muslime ihren Glauben nicht zu exportieren vermocht, sondern lediglich einige Millionen Träger desselben - sobald man die hinaus wirft (hoffentlich bald :-) ist der Spuk beendet. Nach Persien und Indien haben die Muslime ihren Glauben ebenfalls mit Gewalt getragen - und zwar unter systematischer Zerstörung der dort angetroffenen älteren Religionen. Die Hauptschuld daran tragen die Briten, die in den Jahrhunderten ihrer Kolonialherrschaft stets die monotheïstischen Muslime gegenüber den "heidnischen" Hindus bevorzugt haben, ebenso in Malaya. Diesen Vorwurf kann man den Niederländern in Insulinde nicht machen - sie förderten dort vielmehr das Christentum. Mit ihrer Vertreibung wurden die Indonesier aber nicht automatisch fundamentalistische Muslime - ganz im Gegenteil. Als Dikigoros Indonesien kennen lernte, war man dort etwa so islamisch wie man in Europa christlich war: Man stellte die religiösen Vorschriften und Gebräuche nicht in Frage, richtete sich auch äußerlich nach ihnen, aber nahm sie eigentlich nicht mehr so recht ernst. Nicht wahr, ein braver Katholik ging einmal pro Woche zur Messe (als Schüler auch zweimal, als Katholikin mit Kopftuch, manchmal sogar ins Hochamt, selbst wenn man den lateinischen Text nicht verstand, ebenso wenig die auswendig gelernten alten Kirchenlieder), die Nachkriegs-Generation (die noch wußte, was Hunger ist) betete wohl auch kurz vor dem Essen (vielleicht sogar vor dem Ins-Bett-gehen), und Freitags gab es Fisch. Im übrigen zahlte man seine Kirchensteuer, feierte Ostern (wegen der Schokoladen- und Marzipaneier, die der - eigentlich "heidnische" - Osterhase brachte), Weihnachten (wegen der Geschenke unter dem - eigentlich "heidnischen" - Tannenbaum) und Pfingsten (wegen der zusätzlichen Woche Urlaub), Fronleichnam (manchmal ging man sogar zur Prozession), und das war's dann. Der indonesische Sunnit ging Freitags in die Moschee, machte fünfmal am Tag lustlos seine Gymnastik gen Mekka (wenn er nicht eine Ausrede fand, es nicht zu tun), scherte sich einen Teufel um die islāmischen Essens- und sonstigen Tabus (Schweinefleisch war schon immer die Lieblingsspeise der Malaien, fast alle sind starke Raucher, und kaum jemand ist dem Alkohol abgeneigt); die strenge Fastenzeit wurde kaum mehr eingehalten (bei den Katholiken ja auch nicht :-), aber am Fest zu ihrem Ende - Idulfitri - wurde gleichwohl tüchtig geschlemmt und gebechert. In der Moschee leierte man wohl auch ein paar auswendig gelernte Suren auf Arabisch herunter, aber ohne sie zu verstehen oder auch nur verstehen zu wollen. Frauen auf dem Lande liefen noch oben ohne herum, d.h. nicht nur ohne Kopftuch oder Schleier, sondern auch ohne Brusttuch (während sich A. E. Johann noch 1952 über amerikanische Touristinnen empörte, die im katholischen Irland ohne Hüte, ohne Korsett und auf Schuhen mit flachen Absätzen herum liefen :-). So weit, so gut.

Bei den Katholiken sind selbst die eben geschilderten Reste ihrer Religion heute weitgehend verschwunden, dagegen haben sich die Indonesier zu richtigen Mustermuslimen gemausert: Der fleißige Gang in die Moschee ist ebenso Selbstverständlich geworden wie das Verschleiern (oder zumindest Bekopftuchen) der Frauen, Christen werden verfolgt und ihre Kirchen verbrannt. Dikigoros erinnert sich noch ziemlich genau, wann das anfing, nämlich nach der Machtergreifung der Ayatullahs im Iran. Und darin liegt auch der Schlüssel auf die Frage, woher die "Renaissance" des Islām kommt: Es ist gar keine religiöse Wiederauferstehung, sondern eine politische, die sich die Mullahs allenthalben geschickt zu Nutze gemacht haben. Nicht wahr, die politischen Ismen haben ausgedient, Kapitalismus ebenso wie Kommunismus und Sozialismus, Nationalismus ebenso wie Liberalismus und Demokratismus - die Völker der "Dritten Welt" haben begriffen, daß der "Anti-Imperialismus" und der anti-kolonialistische "Befreiungskampf" sie nicht weiter gebracht haben; sie glauben nicht mehr an politische Doktrien, und nun besinnen sie sich wieder auf vor-politische Glaubensinhalte, halt die Religionen. (Entgegen weit verbreiteter Auffassung hat das nichts mit "Armut" zu tun: Die armen Lateinamerikaner sind darob nicht zu christlichen Fundamentalisten geworden, die armen Inder nicht zu fundamentalistischen Hindus, und die radikalen Islamisten in Sa'ūdi-Arabien - 'bn Lādin & Co. - sind durchweg wohlhabend.) Im Westen wird oft übersehen, daß die hauptsächliche Stoßrichtung der fundamentalen Muslime gar nicht gegen die bösen Ausländer richtet (was sind schon die paar Anschläge auf Discos in Bali oder ein Kamikaze-Angriff auf New York?), sondern gegen die eigenen Regierenden, die korrupt und verlogen sind und sich nicht an die Vorschriften des Qur'ān halten?! (Die westlichen Politiker sind zwar ebenso korrupt und verlogen; aber die behaupten ja auch nicht [mehr], sich an christlichen oder jüdischen Geboten messen lassen zu wollen! :-) In Indonesien - wo man den Islām einst von ausländischen Händlern "friedlich" übernommen hatte, d.h. weil man sich davon Wohlstand versprach - gilt das in besonderem Maße: Insulinde war zu Kolonialzeiten eines der reichsten Länder der Welt
dazu noch Erdöl...
Hätte A. E. Johann das voraus sehen können/sollen/müssen? Wenn doch selbst Dikigoros - der viel später reiste als er - es nicht merkte? Nun, da gibt es einen kleinen, aber feinen Unterschied:
(p. 121)
Exkurs Ende.

A propos Regenbogen: Darf Dikigoros colorandi causa noch nachtragen, was A. E. Johann ein Vierteljahrhundert zuvor in "Kulis, Kapitäne und Kopfjäger" über die Kolonialherrschaft der Amerikaner auf den Filipinen geschrieben hatte: "Ich bin wirklich nicht mit großen Erwartungen hinsichtlich der Kolonisationskünste der Amerikaner nach Nord-Luzon gefahren und erlebte dann auf Schritt und Tritt eine Überraschung nach der anderen. Mit vorsichtigem Verständnis wird vom Alten so viel erhalten wie nur möglich. Die Feste werden heute noch gefeiert wie seit je, die Felder bestellt, und die heiligen Tänze haben ihren alten Sinn bewahrt. Die Kopfjägerei hat aufgehört, sicher kann jedermann durch das Land reisen. Mehr Sauberkeit haben die Eingeborenen gelernt, seit die Amerikaner sich ihrer angenommen haben, und das war dringend notwendig. Mit englischer Sprache und Schrift und einfachem Unterricht lernen sie ihre eigene Lage und die der Umwelt besser verstehen. Nichts ist notwendiger als dies, denn kein primitives Volk kann heute noch sein altes Leben ungestört weiterführen. Das Maß des Guten, das der weiße Mann an diesen Menschen getan hat, überwiegt auch nach ihrer eigenen Überzeugung bei weitem die Nachteile, die sich unvermeidlich einstellten. Hoffentlich bleibt ihnen diese milde Herrschaft so lange erhalten, bis sie selbst so weit sind, die Verantwortung übernehmen zu können. Dies zauberhafte Bergland wäre dazu geschaffen, ein Paradies auf Erden zu sein." Ohne Kommentar.


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