EINE REISE IN DEN SÜDEN . . .
"Herzliche Grüße aus Italien" und andere Gedichte
"Io parlo per ver dire, non per odio d'altrui né per disprezzo."
"Wenn alle untreu werden dann bleiben wir doch treu... "
"Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh'n?"
"Et in Arcadia Ego - auch ich in Arkadien!"
"In Paestum blühen keine Rosen . . ."
"Über allen Giebeln sind gruuu..."
"S(ono)P(azzi)Q(uesti)R(omani)"
"L'Italiano: lasciatemi cantare"
"Du mußt ein Schwein sein... "
"Canzone: Haß und Parolen"

[la bocca della verita]

EINE KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
REISEN DURCH DIE VERGANGENHEIT
GESCHICHTEN AUS DER GESCHICHTE

Fortsetzung von Teil II

Erst nach einem Viertel-Jahrhundert gibt es die erste nennenswerte Ausnahme von der plötzlichen deutschen Italien-Müdigkeit. (Nein, liebe Leser, Dikigoros hat den Lucasbund - der unter der Bezeichnung "Nazarener" in die Leerbücher für Kunst-Geschichte eingegangen ist, obwohl das ursprünglich nur ein Spottname war, den ihre Gegner verwendeten - nicht vergessen. Aber diese Leute reisten nicht durch Italien, sondern sie hatten sich in Rom dauerhaft niedergelassen, um Bilder zu malen; und da sie unter sich blieben ging es ihnen wie so vielen "Ex-Pats" - sie lernen ihr Gastland kaum kennen.) 1828 packt in München ein Journalist seinen Reise-Koffer. Seine Familie stammt eigentlich aus Bückeburg im Königreich Hannover; aber im Laufe der Zeit hat es sie immer weiter gen Süden gezogen: Harry Chaijm ist in Düsseldorf geboren, war Student in Bonn am Rhein und Lehrling in Frankfurt am Main, hat kurze Zeit am Neckar gelebt, in Heidelberg und Stuttgart. Inzwischen nennt er sich "Heinrich Heine", nicht weil er wie einst sein Namensvetter nach Canossa pilgern will, sondern weil es ihm peinlich ist, einen jüdischen Namen zu tragen. (Später macht er sich sogar die Mühe, schwimmen zu lernen und zum Christentum zu konvertieren; seitdem heißt er eigentlich Christian, aber wer weiß das schon.) Nun, mit Anfang 30, sitzt er in München und langweilt sich in seinem stumpfsinnigen Job, für den er eigentlich viel zu intelligent ist. Harry-Heinrich-Christian - ach was, nennen wir ihn fortan einfach Heini - hat zwar zwei Lehren abgebrochen und ist dreimal von der Universität geflogen (den Titel eines Dr. iur. kauft ihm ein reicher Onkel für 20 Louisdor an der Universität Göttingen, vier Jahre nachdem die ihn relegiert hat); aber er hat einen messerscharfen Verstand, eine spitze Zunge und eine ebensolche Feder, und er hegt die Absicht, ein Buch über seine Reise-Eindrücke (er nennt sie "Reise-Bilder") zu schreiben, das als Vorabdruck im "Morgenblatt" erscheinen soll. Obwohl er eigentlich nur ein Spesen-Ritter ist, fühlt er sich wie einst Georg von Frundsberg, auf ebenso gefährlicher wie gewichtiger Mission: "Es ist die Zeit des Ideenkampfes," schreibt er, "und Journale sind unsere Festungen." Auf in den Kampf, auf nach Italien. Na ja, "Italien" ist vielleicht etwas zuviel gesagt: Brixen, Bozen, Trient, Verona, Brescia, Bergamo, Monza, Mailand, Pavia, Marengo, Genua, Livorno, Lucca, Florenz... Das ist allenfalls Nord-Italien: Tirol, Istrien, Venezien, die Lombardei und Teile der Emilia-Romagna gehören noch zu Österreich; aber es geht Heini wohl auch gar nicht darum, das "echte" Italien kennen zu lernen. In den Bädern von Lucca bleibt er hängen, und so nennt er auch seinen Reisebericht.

[Heine]

Eigentlich ist es gar kein Reisebericht, denn über Italien schreibt er praktisch nichts, jedenfalls nichts, was er nicht zuhause vom Schreibtisch aus hätte verfassen können: Er schwelgt in bissigen Bemerkungen über die Italiener im allgemeinen und seine Mitreisenden, seien es In- oder Ausländer, im besonderen, zieht sie allesamt kräftig durch den Kakao. Als Dikigoros das als Schüler, der selber noch nichts von der Welt gesehen hat und noch nie alleine auf Reisen war, zum ersten Mal liest, findet er das noch witzig, und das ist es ja irgendwie auch. Er würde es heute noch witzig finden, wenn es tatsächlich zuhause am Schreibtisch entstanden wäre, wie zum Beispiel Eichendorffs Satire einer Italien-Reise "Auch ich war in Arkadien". (Dieses kleine Opus aus dem Jahre 1834 findet man normalerweise nicht in den "Gesammelten Werken" Eichendorffs - eine merkwürdige Parallele zu Lessing; Dikigoros verdankt seine Kenntnis allein den fleißigen Bienen vom Projekt Gutenberg.) Aber als er es später, mit etwas mehr Erfahrung, noch einmal liest und sich dabei vorstellt, wie sich Heini Heine sowohl gegenüber seinen Mitreisenden als auch gegenüber den Angehörigen seines Gastlandes verhalten hat, findet er das ganze nicht mehr witzig, sondern nur noch widerlich. (Auch wenn es die Nazis später nicht wahr haben wollten: Insofern war Heini Heine ein typischer Deutscher, ja der Prototyp des deutschen Touristen am Ende des 20. Jahrhunderts.) Aber es gibt ihm Anlaß, einmal kurz darüber nachzudenken, auf wie unterschiedliche Art man doch reisen und darüber schreiben kann. Man kann ein Land "objektiv" beschreiben, d.h. die Gegenstände aufzählen, die es dort zu sehen gibt, wie der alte Caspar. Das ist so lange sinnvoll, wie noch nicht jeder selber dorthin reisen kann und wie es weder Foto- noch Filmkamera gibt - man schreibt für die daheim gebliebenen. Diese Art der Beschreibung verliert aber an Bedeutung, je mehr Leute hin fahren und dasselbe wieder beschreiben, denn wenn die Beschreibung gut und zutreffend ist, macht es ja keinen Sinn, sie ständig zu wiederholen: die Gebäude, Skulpturen und Gemälde ändern sich ja nicht - jedenfalls nicht bis ins 20. Jahrhundert, als die Umweltverschmutzung sie einholt. Andere Dinge ändern sich schon, z.B. die Qualität der Hotels, Restaurants und Museen, und es ist gerechtfertigt, darüber auch öfters zu berichten, um auf dem neuesten Stand zu sein - man schreibt für die Reisewilligen, die einem nachfolgen. Wenn man diese beiden Arten der (hoffentlich) "objektiven" Beschreibung kombiniert, ist man beim Reiseführer. Aber just ein Jahr, bevor Heini Heine nach Italien gereist ist, hat ein gewisser Karl Baedeker in Koblenz einen Verlag gegründet, der sich genau darauf spezialisiert; da bearbeitet ein hoch qualifiziertes Team systematisch jedes einzelne Reiseziel, da braucht man keine mehr oder weniger zufälligen Berichte von Einzelreisenden mehr, schon gar nicht von jemandem, der sich nicht weiter traut als bis Florenz...

Bleibt also nur noch die "subjektive" Reisebeschreibung. Das kann man nun entweder so verstehen, daß es sich nur auf einen selber bezieht, auf die eigenen Gefühle, dann hat es mit dem Reiseziel nicht viel zu tun - es sei denn, die Selbstverwirklichung ist das eigentliche Ziel der Reise, wie bei Johnny Goethe. Auch das mag legitim sein, hat aber hier, beim Thema Italien, nichts verloren. (In diese Kategorie gehören z.B. auch Hermann Hesses Bücher über Italien und Indien, die Dikigoros daher übergeht.) Oder man kann subjektive Eindrücke vom Gastland schildern: Woran denkt man, wenn man in einer bestimmten Landschaft oder vor einem bestimmten Gebäude steht? An Gott und die Welt? An die Geschichte des Landes? Oder einfach nur ans nächste Mittagessen? (Nicht lachen, liebe Leser - auch das gehört dazu, besonders wenn der Magen knurrt!) Man kann mit Menschen ins Gespräch kommen und berichten, was sie einem über all das (von Geschichte bis Essen) erzählen; und selbst wenn man die Sprache nicht versteht, kann man sich die Musik anhören, sei es in der Kirche, im Konzert oder - wie heute - im Schallplatten-Laden. (Nein, Dikigoros hat die Disco nicht vergessen; aber er glaubt nicht daran, daß man dort "Musik" hören kann, schon gar keine typisch italienische - auch und gerade nicht, wenn sie von Gianna Nannini kommt!) Oder man kann einfach nur die Aussicht auf sich wirken lassen und aus ihr Ansichten gewinnen. Wenn man diese (hoffentlich) "subjektiven" (also nicht nur aus dem Reiseführer abgeschriebenen!) Eindrücke kombiniert, entstehen Reisebeschreibungen, wie sie Seume abgeliefert hat (und später Edschmid und Fink abliefern werden), und die gefallen Dikigoros immer noch am besten. Wo ist da noch Platz für die Albernheiten eines Heini Heine? (Man hat behauptet, der habe sich an Seumes Vorbild orientiert - das ist eine Beleidigung des Sachsen!) Zerbrechen wir uns darüber nicht den Kopf! Wenn er einer Dame des horizontalen Gewerbes, mit der er in Berlin die Nacht verbracht hat, zum Abschied einen Zettel schreibt: "Und grüß' mich nicht unter den Linden..." - weil es ihm peinlich wäre, mit ihr dort am Tage in der Öffentlichkeit gesehen zu werden -, dann legt Dikigoros ihm in Gedanken einen Zettel auf sein Pariser Grab: "Und schreib' mir nicht über Italien..." - weil es ihm peinlich wäre, mit seinen Büchern dort in der Öffentlichkeit gesehen zu werden. Deshalb zitiert Dikigoros hier auch nichts von Heini; aber er wäre ja nicht Dikigoros, wenn er an dieser Stelle nicht doch ein paar Verse einschieben würde; denn nun ist der gegebene Zeitpunkt, um die Zeilen Petrarcas zu übersetzen, da Heini in ebenso eklatanter Weise gegen sie verstoßen hat wie ihr Verfasser selber:

"Ich spreche um die Wahrheit zu sagen,
Nicht aus Haß gegen andere
Noch aus Mißachtung."

Zwei Jahre später fährt jemand nach Italien, der heute geächtet ist, fast noch mehr als die Frundsberger, und der mal nicht Johnny heißt, sondern Gustav. Das ist aber nicht der Grund, weshalb er tut geschwiegen wird, und weshalb sein Buch "Italien, wie es wirklich ist. Eine Warnung" bis heute nie wieder aufgelegt wurde und auch antiquarisch praktisch nicht zu bekommen ist. Einige böse Stimmen aus der Literaturgeschichte erwähnen ihn wenigstens am Rande, als "notorischen Nörgler", der Italien und die Italiener nur schlecht mache: alles schmutzig, teuer und gefährlich... Pardon - aber ist das neu? Und ist das ein Grund, jemanden derart unter den Teppich zu kehren? War es schlimmer als das, was kurz zuvor ein Fallmerayer über Griechenland geschrieben hatte (und was fast 100 Jahre lang als herrschende Meinung unter den Völkerkundlern galt, bis die politisch-korrekten Gutmenschen es als "rassistisch" und "faschistoïd" in die "Giftschränke" der Bibliotheken verbannten)? Stimmte es etwa nicht? Haben wir nicht gesehen, daß es sich mit den Eindrücken der meisten anderen Italien-Reisenden deckte? Bei Goethe sen. hätte das gleiche drin gestanden, wenn er nicht ausweislich seiner Briefe gelogen hätte, und in Herders Briefen dto. Oder sollte sich Italien in so kurzer Zeit so verbessert haben, daß das nun alles nicht mehr stimmte? Mitnichten, liebe Leser, mitnichten. Woher wir das wissen? Aus dem Werk eines Zeitgenossen Gustav Nicolais, dem Dikigoros hier nur deshalb keinen Absatz gewidmet hat, weil er kein Deutscher war, sondern Däne. Aber er hatte zuvor "Italien wie es wirklich ist" gelesen und fand den Inhalt allenthalben bestätigt. Johnny Andersen gilt zwar den heutigen als Märchen-Onkel, tatsächlich war er jedoch einer der besten europäischen Reiseschriftsteller des 19. Jahrhunderts, einer mit scharfer Beobachtungsgabe, der auch kein Blatt vor den Mund nahm, d.h. wenn er Nicolais Bericht unzutreffend gefunden hätte, dann hätte er das in "Eines Dichters Bazar" auch geschrieben. Nicht, daß er auch selber ein Nörgler gewesen wäre, im Gegenteil: Er geht über all das mit dem souveränen Humor eines alterfahrenen Reisenden hinweg - aber in der Sache bestätigt er Nicolai. (Nicht, daß es in anderen Mittelmeerländern so viel anders oder gar besser ausgesehen hätte - aber das ist ja nicht unser Thema :-)

Vielleicht haben damals doch mehr Deutsche die Bücher Nicolais und Andersens gelesen und Italien darob gemieden als man heute wahr haben will; bis zur dritten Ausnahme vergeht nämlich wiederum fast ein Viertel-Jahrhundert. Wie Herder stammt Ferdinand Gregorovius aus Ostpreußen und ist studierter Theologe, arbeitet aber als Privatlehrer und Journalist. Als ihm das mit Anfang 30 langsam aber sicher auf den Geist geht, fährt er einfach nach Italien - wo er, wie einst Seume, viel zu Fuß geht - und schreibt anschließend ein Buch darüber. Seine "Wanderjahre in Italien" werden ein kommerzieller Erfolg, der es ihm ermöglicht, von nun an jedes Jahr nach Italien zu reisen; und zwischendurch schreibt er - als "Laie"! - eine monumentale Geschichte der Stadt Rom (die erste lesbare, wie die hochgelehrten Herren Professoren und Berufs-Historiker nicht ohne Mißgunst und Futterneid feststellen; aber sie ist in jeder Hinsicht, auch "wissenschaftlich" gesehen, unangreifbar), acht Bände in 18 Jahren. Gregorovius wird in die Bayrische Akademie der Wissenschaften berufen und in die Accademia dei Lincei und sogar zum Ehrenbürger Roms ernannt (der erste - und lange Zeit einzige - Deutsche, dem diese zweifelhafte Ehre widerfährt). Und im Gegensatz zu allen seinen Vorgängern reist er auch endlich mal (als er schon Anfang 60 ist) ins richtige Arkadien, nach Griechenland, wo inzwischen ein König aus Bayern herrscht. Dabei stellt er fest, daß seine Vorgänger nicht allzu viel versäumt haben - dort und in Athen sieht es fast noch schlimmer aus als in Rom und Umgebung. Seine Berichte sind wie gesagt nüchtern-sachlich (fast zu sachlich, meint Dikigoros - wo bleiben die ganz persönlichen Eindrücke? Was davon bei anderen zu viel ist, ist hier zu wenig!) und wissenschaftlich unangreifbar, eine Mischung aus Reiseführer und Geschichtsbuch; sie ersetzen die (ver)alte(te)n Reiseführer des 18. Jahrhundert. (Nein, die neuen von Karl Baedeker ersetzen sie nicht; aber da besteht auch keine Konkurrenz-Verhältnis: Er zählt nicht eigenfüßig die Zahl der Kirchturm-Stufen im Mailänder Dom nach, und er vergibt keine Sterne für Hotel-Betten. Außerdem sind seine Bücher zu dick und zu schwer, um sie mal eben unter den Arm zu klemmen und mit ihnen auf Reisen zu gehen - sie sind etwas für Heimkehrer, zur Nachbereitung.) Dafür gebührt Gregorovius zweifellos Dank und Anerkennung; aber ansonsten wird Dikigoros aus diesem Menschen nicht recht schlau: Entweder man fährt irgendwo hin und findet alles wunderbar (ob zu Recht oder zu Unrecht, ist letztlich eine Frage des persönlichen Geschmacks), dann kann man wieder hinfahren (bis sich das Reiseziel oder der Geschmack vielleicht einmal ändern); oder aber man stellt fest, was Sache ist - und das tut Gregorovius wie nur wenige vor ihm, zumal er die triste Gegenwart immer und immer wieder mit der (vermeintlich?) glorreichen Vergangenheit vergleicht. Dann kann man entweder den Mund halten und es Verlegern späterer Jahrhunderte überlassen, seine Aufzeichnungen zu veröffentlichen (wie Lessing oder Herder); oder man kann den Mund und ein (Tinten-)Faß aufmachen - zumal, wenn man sich, wie Gregorovius, als Schriftsteller das Pseudonym "Ferdi Fuchsmund" zugelegt hat - und seine Erkenntnisse an den Mann (und inzwischen auch an die Frau) bringen; aber in beiden Fällen fährt man doch nicht immer wieder hin! (Selbst Caspar Goethe, der Italien nachträglich so schön geredet und geschrieben hat, hat sich eingedenk seiner wirklichen Eindrücke gehütet, noch einmal einen Fuß in den Stiefel zu setzen.) Aber da Gregorovius derjenige deutsche Autor ist, der die längste Zeit in Italien verbracht hat (von seinem 30. Lebensjahr an war er jedes Jahr mindestens einmal dort, und er wurde immerhin 70) und der nach Caspar Goethe und vor Kasimir Edschmid auch am meisten über Italien geschrieben hat (wenn man seine Geschichtsbücher mit zählt, sogar mehr als beide zusammen), kann Dikigoros ihn schlecht übergehen.

[Garibaldi]

Viel bekannter als die paar Deutschen, die jetzt noch nach Italien reisen, ist ein Italiener, der öfters gen Deutschland reist, genauer gesagt gegen die Deutschen, die er haßt wie die Pest. Auch aus dem wird Dikigoros nicht recht schlau - aber vielleicht unterliegt er nur einem Denkfehler, wenn er meint, daß ein Korse eigentlich die Franzosen hassen müßte, und jemand aus Nizza erst recht. Rinaldo Rinaldini, pardon, Giuseppe Garibaldi, der dort geboren ist, ist ein rechtskräftig zum Tode verurteilter Seeräuber (er ist aus der sardinisch-piemontesischen Marine desertiert, als es brenzlig wurde, ähnlich wie sein korsisches Vorbild aus der französischen in Ägypten) und hat sich dann knapp zwei Jahrzehnte in Lateinamerika aufgehalten - wo er schon mal kräftig geübt hat, Revolutionen und Revolutiönchen anzuzetteln. 1848 bricht auch in Europa die Revolution aus - da kehrt er zurück und schürt zunächst einen Aufstand in der Lombardei gegen Österreich an. Mit wenig Erfolg, denn kaum einer Provinz in Italien geht es auch nur annähernd so gut. Die Leute sind zufrieden, denn die österreichische Verwaltung ist mild und gerecht und - jedenfalls verglichen mit der preußischen - geradezu gemütlich. Dennoch haßt Garibaldi die Habsburger von ganzem Herzen. Nach dem Scheitern der Revolution geht er wieder ins Exil. 1859, als die Italiener erneut zu den Waffen greifen gegen die verhaßten Österreicher, reist er wieder an und kämpft mit, wieder ohne nennenswerte Leistungen, aber diesmal mit Erfolg: Die Lombardei verliert Österreich, pardon, Österreich verliert die Lombardei. Das freut den Großherzog von Piemont; doch der wäre nun die Geister, die er rief - nämlich Garibaldi und seine Räuberbande - doch lieber wieder los. Er schickt ihnen seinen Ministerpräsidenten (der zufällig Franzose ist und soeben erreicht hat, daß Frankreich sich die Côte d'Azur - mit Garibaldis Heimatstadt Nizza - und Savoyen - das Stammland der Piemonteser - unter den Nagel reißen kann, für seine Waffenhilfe gegen Österreich) mit schönen Grüßen, einem Stapel roter Hemden und dem ehrenvollen Auftrag, ins "Königreich beider Sizilien" zu reisen und es von der "Fremdherrschaft der Bourbonen" zu befreien.

Dieses Königreich umfaßt nicht nur Sizilien, sondern auch Kalabrien, Apulien, Kampanien und die Basilikata, kurz alles, was südlich des Vatikan-Staates liegt. Süden heißt "mezzogiorno", und das bedeutet wörtlich "Halbtag" - vielleicht weil die Leute dort den halben Tag (wenn nicht länger) auf der faulen Haut liegen? Der Piemonteser hofft inständig, daß Garibaldis "Zug der Tausend" in völliger Vernichtung enden möge; aber wie es der Teufel so will, ist der letzte Bourbone ein Weich-Ei: Als Garibaldi und seine zerlumpte Räuberbande (ihre Hemden sind inzwischen mehr schwarz als rot) anrücken, räumt er seine Hauptstadt Neapel praktisch kampflos und haut ab nach Rom, zum Papst. Mit dem hat Garibaldi auch noch ein Hühnchen zu rupfen, den hatte er schon 1849 erfolglos zu stürzen versucht. Aber es geht wieder schief. Egal, der Piemonteser wird "König" von Italien, Garibaldi wird in Italien zum Volkshelden, und beim nächsten Zug gen Österreich ist er wieder dabei; diesmal geht es um Venedig. Er bekleckert sich zwar nicht gerade mit Ruhm, eher im Gegenteil; aber Dank der preußischen Siege in Böhmen dürfen die Italiener sich die lukrative Touristen-Metropole an der Adria nebst Umland einverleiben. Ein Jahr später versucht Garibaldi wieder vergeblich, den Vatikan-Staat zu zerschlagen. "Rom oder den Tod" lautet die Losung - leider bekommt er keines von beiden, denn die Franzosen halten ihre schützende Hand über den Papst. Was läge da näher, als sich im preußisch-französischen Krieg auf die Seite derjenigen Macht zu stellen, der Italien Venedig verdankt und gegen diejenige, die ihm Rom vorenthält? Aber der alte Deutschen-Haß Garibaldis siegt; er reist in die Vogesen und führt einen Haufen Partisanen auf französischer Seite ins Gefecht gegen die verhaßten Deutschen (dieser Teil seiner Biografie fehlt in fast jedem deutschsprachigen Lexikon), und obwohl er wie fast immer erfolglos operiert, zählt er am Ende einmal mehr zu den Siegern; denn die Franzosen räumen den Vatikan, Italien kassiert Rom und macht es zur neuen Hauptstadt.

Auch die Deutschen haben eine neue Hauptstadt: nicht Aachen, nicht Frankfurt, nicht Wien, sondern Berlin. (Und eine neue Bücher-Hauptstadt - auch der Baedeker-Verlag zieht 1872 nach Leipzig um.) Und der neue deutsche Kanzler, ein etwas beschränkter, sturer Pommer in preußischen Diensten, der einen italienischen Namen (Otto, was so viel bedeutet wie "acht") und den Italienern ihren Verrat nicht nach trägt, arrangiert sogar ein neues Bündnis zwischen dem Deutschen Reich und Italien. Selber hin fahren wird er freilich nie - und als Urlaubsland für bildungsbeflissene Deutsche hat Italien vorerst auch ausgedient. Woran mag das liegen? Haben die Deutschen angefangen nachzudenken, was sie in einem Land sollen, dessen liebstes Kind der wohl größte Deutschen-Hasser des Jahrhunderts ist? Ob sie da noch willkommen sind, außer als Melkesel mit ihrer harten Goldmark? Oder ist es einfach nur das Gefühl, daß es seit dem Mittelalter nicht mehr so gefährlich war, auf Italiens Straßen zu reisen? Besonders dem Süden hat die "Wiedervereinigung" mit dem Dank langjähriger österreichischer Verwaltung weitaus höher entwickelten Norden nicht gut getan. Mafia, Camorra und andere Geheim-Gesellschaften, die ihre Pfründe bedroht sehen, breiten sich allmählich auch nach Norden aus und werden zunehmend militant. Sie tun das in demselben Gefühl der Notwehr, mit dem zur selben Zeit jenseits des Atlantiks (wohin jetzt viele Italiener auswandern) die Mitglieder des KuKluxKlan in den "wiedervereinigten" Südstaaten der USA gegen die Ausbeutung durch die "Carpetbeggars" aus dem Norden ankämpfen; man soll deshalb den Stab nicht voreilig über sie brechen - aber muß man ein solches Land auch noch unterstützen, indem man dort seinen Urlaub verbringt?

Kurzum, Italiens Ruf hat nördlich der Alpen massiv und nachhaltig gelitten. Nur wenige vorurteilslose Deutsche fahren noch hin - zumeist solche, die zuhause selber unter Vorurteilen zu leiden haben. Wie der Zufall es will, sind es meist wieder Sachsen. Zum Beispiel Fritze Nietzsche. Von dem glaubte man früher, daß er sich in jungen Jahren beim Besuch einer Prostituierten ein venerisches Leiden zugezogen hätte und auf den - falschen - Rat eines Kurpfuschers hörte, regelmäßig nach Italien zu fahren, weil die dortige Luft für Syphilis-Kranke so heilsam sei; inzwischen weiß man jedoch (oder glaubt zu wissen), daß er dort das gleiche suchte (und fand) wie einst Jojo Winckelmann. Und wie einst Heini Heine schreibt Fritze viel in Italien, aber praktisch nichts über Italien. (Dikigoros weiß, daß ihm die Anhänger jener beiden Autoren - die einander in der Regel nicht sonderlich grün sind - diese Parallele nie verzeihen werden; aber damit kann er leben.) Anfang 1889 ist Fritze in Turin; dort versinkt er in "geistiger Umnachtung", wie man so unschön sagt.

Bereits einige Jahre vor Fritzes Zusammenbruch ist Richie Wagner nach Italien gefahren, sein früherer Freund und späterer Feind - sie haben sich über italienische Musik verkracht, und Dikigoros meint, daß Fritze in dem Punkt Recht hatte. Richie hatte mal eine Oper über Rienzo geschrieben (den er aus unerfindlichen Gründen "Rienzi" genannt hat), im italienischen Stil, weil auch er sich in jungen Jahren als Revolutionär gefühlt hatte; in reiferen Jahren ist ihm dieses Werk peinlich geworden - dabei ist es musikalisch gar nicht so schlecht, findet Dikigoros, jedenfalls nicht so schlecht wie die Stücke, die Richie später zusammen gepfuscht, pardon, komponiert hat. Aber über Italien hat auch er nichts geschrieben (was sind das bloß für Reisende?), sondern dort nur das Zeitliche gesegnet, in Venedig, wie Jojo Winckelmann. Anders als der ist Richie jedoch nicht unter den Dolchstößen eines Strichjungen gestorben, sondern eines natürlichen Todes, in den Armen einer Frau, wie sich das gehört für einen Anhänger und Nacheiferer des italienischen Schriftstellers Giacomo Casanova. (Auch da war Fritze anderer Meinung - der fand, daß ein Mann nicht im Bett, sondern im Kampf zu sterben habe; aber mit dem Standpunkt hätte er in Italien keine Lorbeeren geerntet, sondern allenfalls Zitronen.)

Und dann ist da noch Sigi. Der fährt vor 1914 fast jedes Jahr nach Italien, vor allem nach Rom, aber auch weiter in den Süden, bis Pompeii, Paestum und Sizilien. (Er hatte zwar keinen reichsdeutschen Paß, Dikigoros hält ihn jedoch für einen besseren Deutschen als manche, die das später nicht mehr wahr haben wollen.) Er ist gelernter Arzt, und viele halten ihn für einen großen Psychologen (einige sogar für den größten Psychologen überhaupt) - wobei sie geflissentlich ignorieren, daß er selber bereits in mittleren Jahren (er wurde sehr alt) zentrale Punkte seiner "Psychoanalyse" als Irrtum erkannt und sich von seiner eigenen Lehre weitgehend abgewendet hat. Dikigoros, der als junger Mensch alle seine Werke mit Begeisterung gelesen hat, hält ihn für den größten Kultur-Filosofen seiner Zeit, und wenn die Weltanschauung, die er sich während seiner Reisen bildete, auf denen er die Welt gründlich anschaute (und durchschaute), nicht aus der Feder eines Juden stammte, stünde sie heute wahrscheinlich als "faschistoïdes Gedankengut" und "Wegbereiter des National-Sozialismus" auf der Liste der von den herrschenden Gutmenschen verbotenen Bücher. Wenn man diese Werke mit Verstand liest und zuende denkt, sind sie das wohl auch (jedenfalls in weit höherem Maße als die Werke Fritzes, denen man das immer wieder nachsagt). Zum Beispiel "Die Zukunft einer Illusion" - entstanden im selben Jahr wie der zweite Band von "Mein Kampf" -, ein Werk, das so zeitlos ist, daß der "revisionistische" französische Historiker Franz Furet - ein abtrünniger Ex-Kommunist - den Titel 1995 wieder aufgreifen und umdrehen konnte ("Le passé d'une illusion" - die Vergangenheit einer Illusion). Und auch Sigis religions-filosofische Werke, z.B. "Der Mann Moses" - entstanden nachdem er von den Nazis genötigt wurde, Wien zu verlassen - sind wahre Fundgruben für Anti-Semiten. Nicht umsonst harren Freuds Reise-Briefe bis heute der Herausgabe, und Dikigoros fürchtet, daß sie wohl nie unzensiert veröffentlicht werden. Deshalb kann er über diese Reisen auch nichts weiter schreiben, was er sehr bedauert.

Im Todesjahr Richies ist Benni geboren, und als Fritze stirbt, lernt er bereits fleißig Deutsch. Das ist selten für einen Italiener seiner Generation; aber da er überzeugter Sozialist ist hält er das für notwendig - schließlich ist Deutschland die Heimat von Marx, Engels und Lassalle, also des Sozialismus. Gleichzeitig ist Benni (der in jungen Jahren stets ein Amulett mit dem Konterfei von Marx um den Hals trägt) ein großer Bewunderer des Nationalisten Garibaldi; aber darin sieht er keinen Widerspruch - warum sollten Nationalismus und Sozialismus nicht zusammen passen? Ist doch beides was fürs Volk! Als junger Mann geht Benni auch mal auf Reisen, privat, in die Schweiz; aber er schreibt keine Reisebücher, sondern wird, als er nach Italien zurück gekehrt ist (die Schweizer haben ihn wegen Landstreicherei ausgewiesen) Journalist bei einer linken Zeitung. Als es 1914 zur Großen Reise kommt, ist er erst mal dagegen und meldet sich vorsichtshalber krank; später ändert er seine Meinung und setzt sich dafür ein, daß die Italiener auch mit fahren; denn in deutschen Landen herrschen noch so böse, reaktionäre Monarchen, von denen sie befreit werden müssen. (Das Wort "befreien" beginnt damals, eine ganz spezielle Bedeutung anzunehmen.) Italien ist übrigens auch noch eine Monarchie; aber mal sehen, vielleicht kann man den "Re" (so heißt der König auf Italienisch) ja irgendwie kalt stellen.

Ein Jahr später reisen die Italiener tatsächlich mit (auch Benni ist dabei), bekleckern sich nicht gerade mit Ruhm, aber schließlich sind sie am Ziel: Ihr Urlaubsgebiet vergrößert sich um ein paar nette Wintersportorte im Süden Tirols. Und einige Jahre später erinnert sich Benni an Garibaldi, sammelt auch ein paar gute Freunde um sich, denen er schwarze Hemden anzieht und reist nach Rom (immerhin ist er klüger als Garibaldi und fragt vorher an, ob er auch willkommen ist - er ist). Dort macht er sich selber zum Herzog (auf Italienisch heißt das "Duce") und "Re" zur Abkürzung für "Reise-Maskottchen". Als erstes läßt er wieder Statuen mit nackten Männern aufstellen, um den Reiseverkehr anzukurbeln. Später reisen die Italiener auch mal in den Süden, nach Afrika, und Benni fährt ab und zu sogar gen Norden, um seinen Freund Adi zu besuchen, einen großen Bewunderer von Richie und dessen Oper über Rienzo (mit dem er mehr gemeinsam hat als er wahrscheinlich ahnt). Der hat auch Reisepläne, und eines Tages sitzt Benni mit ihm im selben Boot und merkt viel zu spät, daß die meisten seiner italienischen Landsleute Nichtschwimmer sind. (Dabei hatte er auf dem Forum Romanum so eine schöne große Karte vom wieder erstandenen Imperium Romanum mit dem Mittelmeer als "mare nostro" aufstellen lassen - hätten da nicht alle, die das sahen, schleunigst schwimmen lernen müssen?) Aber nun ist es zu spät. Als das Boot kentert, werfen sie ihm einen Strick um den Hals, damit er nicht ertrinkt - und ertrinken wird er denn auch nicht; vielmehr wird er die Reise seines Lebens an Land beenden, genauer gesagt in der Luft, einige Fuß breit über dem Boden, während sein letzter großer Bewunderer unter den deutschen Reiseschriftstellern, Kasimir Edschmid, den Kopf gerade noch aus der Schlinge ziehen und untertauchen kann - aber davon berichtet Dikigoros an anderer Stelle.

Inzwischen - wir schreiben das Jahr 1943 - ist auch Dikigoros' Vater auf den Spuren der Vandalen nach Italien gefahren, als Staats-Tourist vorletzter Klasse. Ihn hat auch keiner gefragt, ebensowenig wie damals den Lessing. Eigentlich wollten Urs und seine Reisegefährten gar nicht nach Italien, sondern - wie einst Geiserich - nach Nordafrika. Er war schon auf Staatskosten in Rußland, genauer gesagt in der Ukraine aber da hatte er eine Reisekrankheit bekommen, außerdem war es dort im Winter verdammt kalt, und so hatte er sich denn zur nächsten Reise nach Nordafrika gemeldet - das einzige Reiseziel, das man sich damals noch frei aussuchen konnte. Da war es immer schön warm, da waren Rommel und seine berühmten "Wüstenfüchse", und da traf man nicht auf Russen, sondern schlimmstenfalls auf Engländer. Allerdings hatte man offenbar übersehen, daß dort inzwischen auch amerikanische Touristen eingetroffen waren und daß deshalb die Betten allmählich knapp wurden. Just als ein Boot ihn und seine Reisegefährten übersetzen soll, kommt die Nachricht, daß nun alles ausgebucht und die Reisesaison in Nordafrika bis auf weiteres beendet sei. Wer weiß, wozu es gut ist - die letzten Boote sind eh alle abgesoffen (worden), und Italien ist doch das Land, wo die Zitronen blühen, oder? Bisher haben sie zwar nur Tomaten gefunden, aber auch die sollen ja sehr vitaminreich sein. Auch Urs ist nicht unvoreingenommen nach Italien gereist. Auf der Schule hat er gelernt, daß dort der große Duce (die Deutschen übersetzen das aus nahe liegenden Gründen mit "Führer" und meinen damit Zusammenführer - s.o.) Benito Mussolini regiert, Deutschlands wichtigster Reisegefährte. Der hat die Sümpfe trocken gelegt (die Pontischen ebenso wie die der Mafia und der Camorra) und den Zügen beigebracht, pünktlich zu fahren, damit die Achse Berlin-Rom ordentlich ins Rollen kommt. Na ja, davon merkt man jetzt in der Praxis nicht gar so viel, aber das liegt wohl an den vielen alliierten Touristen (inzwischen setzen sich Flugreisen immer mehr durch, und die Besucher bringen auch immer etwas mit, so daß oft eine "Bombenstimmung" herrscht). Da kann der Fahrplan schon mal ein wenig durcheinander geraten.

Überhaupt läuft mit dem Reisen im Moment nicht alles so ganz nach Plan, denkt Urs. Da wird doch, ganz in der Tradition Winckelmanns, ein Ausflug nach Pompeii und Herculaneum organisiert, aber nur für Offiziere, obwohl die meisten viel lieber in der Kaserne bleiben und sich besaufen würden; von den Mannschaften und Unteroffizieren würden dagegen einige gerne mit fahren - er auch -, aber die dürfen nicht. Die Stimmung in der Reisegruppe ist nicht mehr so gut wie zu Beginn, und bei den italienischen Mitreisenden ist sie noch viel schlechter. Ein paar Monate später erklären sie die Reise für beendet. Das könnte übel ausgehen, denn auf einen deutschen Touristen kommen ungefähr 50 italienische; aber die Germanen sind gewiefte Reisige; binnen 48 Stunden lösen sie die italienischen Reisegruppen auf und - schicken sie nach Hause. Nun ist endlich Platz genug im Lande - die obligatorischen einheimischen Fremdenführer waren ja schon immer eine Plage, und die sind nun erstmal weg. Dafür kommen die alliierten Touristen in immer größeren Mengen, erst die Briten, dann die Amerikaner, mit immer größeren Traumschiffen (die sind zuerst in Salerno gelandet und haben auch brasilianische, marokkanische und polnische Reisende mit gebracht) und mit immer größeren Flugzeugen, vor allem den berühmten B-17-Bombern, die man später "Rosinen-Bomber" nennen wird. Noch werfen sie freilich alles andere als Rosinen ab: Während die tumpen Germanen - wie schon zu Geiserichs Zeiten - das Kulturerbe ihres geliebten Italiens unangetastet lassen und einen Ort lieber kampflos räumen als ihn der Gefahr der Zerstörung auszusetzen (ihre Führer faseln zwar ständig von "totalem Krieg"; aber anders als ihre Gegner beginnen sie den erst zu führen, als es schon zu spät ist), zerbomben die Alliierten gnadenlos Reiseziele wie den Vatikan und das Kloster auf dem Monte Cassino.

[Kappler] [Priebke]

Um so verwunderter sind die Germanen, als sie später, bereits wieder nach Deutschland heimgekehrt, vernehmen, daß die Alliierten - zu denen nun auch die Italiener zählen - ausgerechnet ihnen all die "Kriegsverbrechen" anhängen, die sie in Wirklichkeit selber begangen haben. Den deutschen Reiseleiter in Rom, der sich mit 100%iger Korrektheit hochnotpeinlich an alle damals gültigen Reisevorschriften gehalten hat - Dikigoros sind diese Vorschriften nicht sonderlich sympathisch; aber die von der anderen Feldpostnummer haben meist nicht mal die eingehalten -, wollen sie Benni nach schicken; und noch ein halbes Jahrhundert später werden feige italienische Richter seinem letzten überlebenden Mitreisenden, einen todkranken, kaum noch verhandlungs-, geschweige denn verteidigungsfähigen Greis, den Schau-Prozeß machen. Sie werden ihn zwar erst einmal frei sprechen, aber aus Angst vor dem aufgehetzten Straßenmob, der sie darob zu lynchen droht, wird die italienische Regierung das Recht beugen und ein neues Verfahren anordnen, bei dem ihn ein halbes Dutzend junger, bulliger Verbrecher-Visagen in Uniform rund um die Uhr bewachen, weil er ja so gefährlich ist, und bei dem das Urteil - lebenslänglicher Kerker - von vornherein fest steht. Aber noch ist es nicht so weit.

Die Germanen kehren zurück auf den zerbombten Monte Cassino und verteidigen die Ruinen des Klosters bis zur letzten Patrone und bis zur letzten Tomate, dann setzen sie sich ab Richtung Norden. Was sollen sie mit den britischen Gefangenen machen, diesen unnützen Mitessern? Urs spricht als einziger Englisch in seiner Reisegruppe, er wird als Dolmetscher eingesetzt. Er erklärt ihnen, wie zuvor den Italienern: "Haut ab, geht nach Hause!" (In Rußland hätte man sie auf die letzte Reise geschickt.) Aber so einfach ist das nicht. Die britischen Touristen kommen wieder, drängen nach; ihrer sind zehnmal mehr als der deutschen Touristen, und das sind keine italienischen Nichtschwimmer, die man mal eben nach Hause schicken könnte. Urs erleidet einen Reiseunfall, bekommt einen Granatsplitter ins Knie; sein Reisegrüppchen - bestehend aus zwei Unfallopfern und vier Sanitätern - wird überrollt. Die Engländer - es sind just die entlassenen Gefangenen - erkennen ihn wieder und sagen nur: "Haut ab!" Urs denkt später oft darüber nach, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn die Große Reise damals für ihn beendet gewesen wäre, wenn er gleich in einem alliierten Ferien-Camp gelandet wäre, statt 1945 noch einmal gen Osten reisen zu müssen, aber damals sieht er das nicht so: Wenn schon Lazarett, dann lieber zuhause in Deutschland, und fürs erste ist die Reise ja auch so beendet. Hunderttausende seiner Kameraden werden in alliierten Ferien-Camps sterben, in Kanada, wo es bisweilen noch kälter ist als in Rußland; er aber wird aus Kurland zurück kehren und die Reise bis zum letzten Tag mitmachen. Italien dagegen wird er - bis auf die obligatorische Hochzeitsreise für ein Wochenende nach Venedig - nie wieder sehen.

Viel versäumen tut er da nicht: Im Schlepptau der Alliierten ist die Mafia zurück gekehrt; sie wird fortan Italien regieren - meist in Form der sogenannten "christlichen", später auch der sogenannten "sozialistischen" Parteien - und es langsam aber sicher zugrunde richten. Viele Italiener wandern aus; am liebsten würden sie alle nach Amerika gehen, aber die USA lassen nicht jeden Immigranten ins Land. Was nun? In Italien gibt es keine Arbeit, oder jedenfalls nicht genug, und wenn es sie gäbe, dann könnte sie niemand bezahlen, oder jedenfalls nicht ordentlich. Die Verhältnisse sind - vor allem im Süden - so erbärmlich, daß viele Männer sogar bereit sind, ins verhaßte, kalte Nord-Europa (so nennen sie das Land jenseits der Alpen) zu ziehen und dort ihr Brot (oder ihre Pasta) zu verdienen - vorübergehend, wie sie und ihre Gastgeber meinen; man nennt sie "Gastarbeiter". So verstehen sie sich auch selber, denn natürlich wollen sie eines schönen Tages in ihre Heimat zurück kehren, wenn die Verhältnisse sich dort gebessert haben.

Aber die Jahre vergehen, und in Italien bessert sich nichts - im Gegenteil. (Anfang der 1960er Jahre gibt es einen kleinen Aufschwung, den einige schon als "Wirtschaftswunder" bejubeln; aber dann geht es wieder steil bergab.) Soll man da wirklich zurück gehen, die sauer verdienten D-Märker ins korrupte, marode Italien tragen, wo die Inflation sie in ein paar Jahren auffrißt? Nein, und auch mit den Überweisungen nach Hause wird jetzt Schluß gemacht. Statt dessen holen die Gastarbeiter ihre Familien nach - die Gastgeber fördern das, denn erstens gefällt ihnen der Devisen-Abfluß ins Ausland ohne Gegenleistung auch nicht, und zweitens soll das die Verbundenheit der Gastarbeiter mit ihrer Heimat aufrecht erhalten; immer noch besser, sie bleiben unter sich, als sie gründen im Gastland Mischlings-Familien, deren Kinder dann nicht wissen, wo sie hin gehören. 1962 landet die Berliner Schlagersängerin Conny Froboess einen Nr.-1-Hit in Deutschland (und beim Europäischen Chanson-Festival wird sie damit immerhin 6.) mit dem putzigen Titel "Zwei kleine Italiener", der den meisten italienischen Gastarbeiter-Kindern wahrscheinlich aus dem Herzen sprechen dürfte. Sie singt:

"Eine Reise in den Süden ist für and're chic und fein,
Doch zwei kleine Italiener möchten gern' zuhause sein.
Zwei kleine Italiener, die träumen von Napoli,
Von Tina und Marina, die warten schon lang' auf sie.
Zwei kleine Italiener, die sind so allein,
Eine Reise in den Süden ist für and're chic und fein,
Doch die beiden Italiener möchten gern' zuhause sein.
Oh Tina, oh Marina, wenn wir uns einmal wiederseh'n
Oh Tina, oh Marina, dann wird es wieder schön.
Zwei kleine Italiener vergessen die Heimat nie,
Die Palmen und die Mädchen am Strande von Napoli.
Zwei kleine Italiener, die sehen es ein:
Eine Reise in den Süden...
Zwei kleine Italiener, am Bahnhof da kennt man sie,
Sie kommen jeden Abend zum D-Zug nach Napoli.
Zwei kleine Italiener, die schau'n hinterdrein,
Eine Reise in den Süden..."

(30 Jahre später wäre dieses Lied auf den Index gekommen, und der Texter und die Sängerin wegen "Ausländerfeindlichkeit" und "Volksverhetzung" ins Gefängnis. Wie die böse Rock-Gruppe, die auf dieselbe Melodie gereimt und gesungen hat: "Zwei kleine Mamelucken, die träumen von Tripoli, von Mekka und Medina, die warten schon lang' auf sie..." Aber noch ist es nicht so weit.)

Dikigoros lernt auf der Schule Italienisch (das wird dort als zusätzliche Unterrichtsveranstaltung angeboten), hört gerne italienische Musik, ißt jeden Tag Spaghetti oder Pizza, und jeden Samstag sieht er die Fernsehsendung der ARD für italienische Gastarbeiter. "Cordialmente dall'Italia" heißt sie, "Herzliche Grüße aus Italien." Zu Beginn der Sendung wird ein Erkennungs-Lied gespielt, das einen fingierten Brief nicht aus, sondern nach Italien darstellt, von einem Gastarbeiter an seine Lieben daheim, und der Text lautet - noch ganz auf der Linie der beiden "Kleinen Italiener":

"Quante volte scrivo a te: sto bene qui
Quante volte penso che non è cosi
Dietro troppo nuvole c'è la casa mia
Ma non s'alza il vento che mi porta via
Tu, che cosa fai? Io non lo so, mi aspetterai?
Io non lo so, è questa lacrima per me?
Voglio revivere con te, ma tu cosa fai?"
Das heißt auf Deutsch:
"Viele Male schreib' ich Dir: es geht mir gut
Viele Male denk' ich daß es das nicht tut
Hinter all den Wolken steht mein Heimathaus
Doch kein Wind erhebt sich und trägt mich hinaus
Du, und was machst du? Ich weiß es nicht, erwartest Du mich?
Ich weiß es nicht, ist diese Träne denn um mich?
Will wieder leben nur mit Dir, doch Du, was machst Du?"

Aber dann geschieht etwas Merkwürdiges: Irgendwelche Statistiker rechnen aus, daß die Deutschen weniger Kinder bekommen als die Italiener Bambini (das ist noch vor der Legalisierung von Scheidung und Abtreibung in Italien). Und da damals noch niemand auf den Spruch "Inder statt Kinder" kommt und die deutsche Industrie weiterhin billige Arbeitskräfte braucht (Ulbricht hat gerade die Berliner Mauer bauen lassen, aus der DDR kommt also auf absehbare Zeit kein Nachschub mehr), werfen die Politiker das Steuer nach und nach um 180 Grad herum, bis das Staatsschiff exakt in die Gegenrichtung fährt: Nun sollen plötzlich alle Gastarbeiter im Lande bleiben. Es kommt zu unglaublichen Bocksprüngen und Peinlichkeiten. Eine davon ist der Text der Gastarbeitersendung im Fernsehen: So wie die Texte der drei deutschen National-Hymnen ("Deutschland einig Vaterland", "Deutschland, Deutschland über alles" und "Wilhelmus van Nassauwe bin ich von deutschem Blut") den politischen Machthabern in ost-, west- und nieder-deutschen Landen zunehmend peinlich werden (die West- und Niederländer tauschen die ersten gegen die dritten Strofen aus, deren Texte weniger verfänglich sind; im Osten wird der Text ganz verboten), so verbieten die Machthaber, pardon, Intendanten des Allgemeinen Rotfunks, wie der Volksmund die ARD inzwischen nennt (das ist kürzer und trifft die Sache auch besser als "Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands"), den Text des Erkennungs-Liedes von "Cordialmente dall'Italia" und lassen nur noch die Melodie spielen. Als ihnen zu Ohren kommt, daß die Italiener den Text noch immer mit singen (Dikigoros hat es selber erlebt in italienischen Familien und ungeniert mit gesungen - er taugt halt nicht zum Politiker) verschwindet auch die hübsche, wehmütige Melodie, diese "Gastarbeiter-National-Hymne". (Gibt es dafür eigentlich kein deutsches Wort? Doch, und die Niederländer gebrauchen es bis heute: "Volkslied" - aber das ist heute in Deutschland von "Hänschen klein" u.ä. besetzt, Johnny läßt grüßen...) Schließlich wird die Sendung "Cordialmente dall'Italia" ganz abgesetzt, ebenso die Parallel-Sendungen für Gastarbeiter anderer Nationalität - die Scheiß-Ausländer sollen sich in Deutschland gefälligst nicht als Gäste fühlen, sondern "zuhause", und gute Deutsche werden; und wehe, sie - oder irgendwelche Deutsche - wehren sich gegen diese wohl gemeinte Integration! Natürlich sollen auch alle anderen Ausländer, die inzwischen nach Deutschland gekommen sind, mit allen Mitteln "integriert" - bei Otto sagte man noch "germanisiert", bei Adi "eingedeutscht" - werden. Auf die Idee, daß die das vielleicht gar nicht wollen, kommen die Eier-, Stroh- und Kohlköpfe, die sich an der bundesdeutschen Regierung abwechseln, offenbar nicht; und abweichende Meinungen werden tunlichst verschwiegen, unterdrückt oder kriminalisiert.

* * * * *

Nun muß Dikigoros wohl endlich mal etwas über seine eigenen Italien-Reisen schreiben. Das fällt ihm unerwartet schwer, denn er hat ein zwiespältiges Verhältnis zu jenem Land und jenen Leuten. Einerseits liebt er italienisches Essen und italienische Musik (sonst hätte er sicher viel pietätlosere Untertitel für diese Seite gewählt, etwa "Pizza, Pasta und Amore", "Mafia und Makkaroni" oder, wie einer seiner amerikanischen Freunde, "Rigatoni with Rudeness"); und Essen und Musik zählt er zu den wichtigsten Dingen im Leben. Er teilt auch die Ansicht italienischer Wissenschaftler, daß die italienische Sprache die melodischte und daher zum Singen am besten geeignetste auf der Welt ist - er hat sie, unabhängig vom Schulunterricht, durch das Nachsingen italienischer Canzonen verblüffend schnell und leicht gelernt, wie bis dahin keine andere Fremdsprache; und so gut, daß er als Nebenprodukt seine Latein-Zensur binnen eines Jahres von "mangelhaft" auf "sehr gut" steigern konnte. Dikigoros weiß auch, wie viel Kunst und Wissenschaft Italien verdanken - jedenfalls dem alten Italien. Andererseits kommt ihm so vieles Italienisches "spanisch" vor. (Obwohl ihm diese beiden Sprachen sonst keineswegs durcheinander kommen; Dikigoros "kontaminiert" nie zwei oder mehrere Sprachen, sondern bemüht sich stets - und meist mit Erfolg - in jeder einzelnen mit möglichst wenig Fremdwörtern auszukommen; er hat die Beobachtung gemacht, daß vor allem solche bedauernswerten Menschen mehrere Sprachen durcheinander bringen, die "mehrsprachig", zwischen den Kulturen, aufgewachsen sind und deshalb nicht mal eine, die Muttersprache, richtig gelernt haben.) Was soll man zum Beispiel von Italienern halten, die Deutschland als "die Heimat des Faschismus" beschimpfen? Es hat keinen Zweck, ihnen erklären zu wollen, daß diese Ehre vielmehr Italien gebührt, daß es in Deutschland nie Faschismus gegeben hat und daß der National-Sozialismus nur eine Nachahmung des italienischen Fascismo war; das wäre, als wollte man ihnen erklären, daß es der historischen Wahrheit widerspricht, den Römerismus den Vandalen anzuhängen und die Kriegsverbrechen des Andrea Doria dem Frundsberg und seinen Kameraden. Linke - nicht nur italienische - sind nun mal unbelehrbar.

Oder was soll man davon halten, daß überall in Italien Denkmäler für Bennis großes Vorbild stehen, den nationalistischen Banditen Garibaldi? Und die stehen nicht bloß so herum, sondern der Kerl - der um keinen Deut besser war als Benni, eher schlimmer - ist in Italien ebenso populär wie der korsische Napo-Löwe, der größte Verbrecher des 19. Jahrhunderts, in Frankreich. Wie schrieb in den 1950er Jahren Deutschlands bester (und best-verkaufter - solche merkwürdigen Koïnzidenzen gab es damals noch!) Nachkriegs-Schriftsteller, der Alt-Nazi Jo Fernau, den eine merkwürdige Haß-Liebe mit seiner Wahl-Heimat Italien (er lebte in Florenz) verband, über Bennis Freund Adi: "Der letzte hybride Recke der Deutschen wird ein Mythos werden, ob wir wollen oder nicht. In wenigen Generationen wird es soweit sein: Er wird aus Xanten stammen, er wird den Drachen erschlagen haben, er wird der Sieger der Sachsenkriege gewesen, er wird durch einen Hagen gefällt, und das Reich wird durch die Hunnen zerstört worden sein. Wir mögen ihn hassen und lächerlich machen - es wird korrigiert werden. Wüßte ich einen Rat dagegen, ich würde ihn geben. Aber es gibt keinen." Nein, das "Jo" steht diesmal nicht für Johnny, sondern für "Joachim", und daß Dikigoros den hier zitiert hat noch einen anderen Grund: Fernau war ein Nachfahre jener Eidgenossen/Hugenotten, die im 16. Jahrhundert vor Chartres das berühmte Liedchen sangen; auch er gehörte zu der Reisegruppe mit den zwei S im Panier, die 400 Jahre nach Frundsbergs Tod nach ihm benannt wurde und jenes Liedchen wieder sang; auch er wollte nicht untreu werden, und er schrieb diese profetischen (?) Worte 400 Jahre nach der Niederlage der Alt-Frundsberger bei Chartres - so schließt sich der Kreis (oder, wie Fernau als Musikfreund zu schreiben pflegte, das "Rondo").

Dikigoros hat übrigens nicht Fernaus gehässiges "Caesar läßt grüßen" als Reiselektüre mit nach Italien genommen, sondern zwei Bücher des letzten großen Reiseschriftstellers deutscher Zunge, des Deutsch-Italieners Umberto Finchi, der sechs Jahre vor Beginn der Zweiten Großen Reise in Salerno geboren ist, nun in Österreich lebt und sich dort "Humbert Fink" nennt. Er hat das Pech, in einem Jahrzehnt - den 70er Jahren - zu schreiben, als für seine Werke kaum Interesse besteht: Erstens ist in Italien eh jeder schon mal gewesen - etwas weiter weg und "exotischer" darf es schon sein. Zweitens interessieren den Deutschen im Urlaub nicht mehr die drei K - Kirchen, Kunst und Kultur -, sondern die drei S - Sonne, Sex und Saufen -, und dafür gibt es bessere Reiseführer. Und drittens sind Reisebeschreibungen überhaupt out, gleich gar solche mit historischen Reminiszenzen. (Außerdem wagt Umberto - politisch unkorrekt - daran zu erinnern, daß alles Sehenswerte auch am Ost-Ufer der Adria eigentlich italienischen Ursprungs ist, dabei gehört das doch jetzt zum edlen Vielvölker-Staat Jugoslawien, wo der allseits beliebte Menschenfreund und Führer der "Blockfreien", Genosse Tito, regiert! Fink sieht das auch bald ein wendet sich anderen Themen zu, weshalb Dikigoros ihn nicht unter die führenden Reiseschriftsteller des 20. Jahrhunderts zählt. Kaum wird er - viel zu früh - verstorben sein, werden politisch korrekte Lektoren seine Werke umschreiben und sie unter seinem Namen neu heraus geben.) Der meiste alte Schrott in Italien, über den die Reisenden von Goethe sen. bis Gregorovius so gelästert hatten, wird jetzt endlich abgerissen und durch moderne Neubauten ersetzt - überall stehen Baukräne herum. Forum Romanum? Was'n das? Spielt dort gleich Lazio oder doch eher der AS Rom? Die meisten Deutschen haben zwar schon mal von Mailand, Turin, Bologna oder Neapel gehört (dort spielen deutsche Fußballer), aber Pompeii und Herculaneum (oder Salerno) würden sie schon nicht mehr auf der Karte finden. (Die meisten Franzosen übrigens auch nicht. Wie singt in jenen Tagen der Chansonnier Serge Reggiani - der immerhin aus Italien stammt: "Venise n'est pas en Italie", Venedig liegt nicht in Italien - dann muß es ja stimmen!) Denen kann man auch wieder erzählen, daß Arkadien in Italien liegt und daß dort die Zitronen blühen - warm genug ist es ja. Dikigoros sitzt unter einem jener vielen Garibaldi-Denkmäler, auf einem gleichnamigen Platz, und fühlt sich von der brütenden Hitze, dem Gurren der Tauben ("gruuu, gruuu") und einem Wein, der "Tränen..." - nein, nicht Tränen der Gastarbeiter, sondern "Tränen Jesu" heißt, zu einem eigenen Gedichtchen inspiriert:

"Über allen Giebeln sind gru
(il gru - Mehrzahl: i gru - bedeutet im Italienischen zugleich Kran und Kranich, Anm. Dikigoros)
In Auto-Abgasen spürest du
Kaum einen Hauch
Warte nur baldi
(das, liebe Leser, ist auch nicht falscher als "balde", Anm. Dikigoros)
Garest du auch."

Dann sieht er, daß die vielen Tauben nicht nur gurren, sondern auch das Denkmal Garibaldis mit ihren Gaben verschönern, und er ändert das spontan ab in:

"Über allen Giebeln sind gru
Auf allen Plätzen siehest du
Tauben scheißen
Warte nur baldi
Garest auch du."

(Wieder zu Hause, wird er merken, daß er eine Zeile vergessen hatte und die beiden Versionen wie folgt zusammen fassen:

"Über allen Giebeln sind gru
In Auto-Abgasen spürest du
Kaum einen Hauch
Die Tauben bescheißen Giuseppe
Warte nur baldi,
Garest du auch.")

Platz heißt auf Italienisch "piazza"; da braucht man also nur das "a" weg zu lassen, und schon weiß man, was man zu Essen bestellt. Von wegen... Dikigoros hat sich angewöhnt, unter "Pizza" das zu verstehen, was die Amerikaner darunter verstehen, einen schönen, knusprigen Boden, gut und reichlich belegt - und was setzt man ihm hier vor? ausgerechnet eine Kartoffel-Pizza! Da hätte er ja auch in Deutschland bleiben können... Auch die Spaghetti al dente kocht er selber viel besser als die Pfuscher hier - sind denn alle guten italienischen Köche nach Deutschland ausgewandert? Und ist es wirklich nur ein Zufall, daß die besten italienischen Schlagersängerinnen - Gabriela Ferri, Rita Forte, Loretta Goggi, Milva, Patty Pravo und Ornella Vanoni - allesamt große, (rot-)blonde Walküren deutscher Abstammung sind? (Dikigoros hört auch gerne die "echten" Italienerinnen, wie Caterina Caselli, Marcella Bella und Mia Martini, und die Halbfranzösin Orietta Berti - deren Sommerhit von 1969, "l'altalena [die Schaukel]", zu seinem Leidwesen völlig vergessen zu sein scheint; aber so gut wie die "deutschen Italienerinnen" sind die halt doch nicht.) Natürlich ist das kein Zufall - um gut zu singen, braucht es ein gewisses Körper-Volumen, und das haben "normale" Italienerinnen nun mal in der Regel nicht. Aber warum wird dieser Umstand so hartnäckig verschwiegen? (Über die Mutter von Loretta Goggi liest man bis heute nichts in ihrer offiziellen Biografie.) Kopfschüttelnd packt Dikigoros eine Tüte Sahne-Bonbons aus. Noch heißen sie "Werther's echte"; aber bald wird ein neidischer Wettbewerber, der auch Sahne-Bonbons verkauft, den Hersteller verklagen, mit der Begründung, auch er produziere "echte" Sahne-Bonbons und dulde keinen Alleinstellungsanspruch auf Echtheit; und die Gerichte werden ihm Recht geben; fortan werden die unschuldigen Bonbons "Werther's Original" heißen - mit Billigung der Gerichte, obwohl sie natürlich gar keine "Originale" aus der Goethe-Zeit sind (geschweige denn im gleichnamigen Roman auch nur ein einziges Mal vorkommen), sondern nach einem Rezept aus dem 20. Jahrhundert hergestellt werden. Dagegen verbieten dieselben Gerichte einer Schnaps-Firma, ihren Magenbitter "Fernet Italia" zu nennen, obwohl der aus Italien kommt - es gibt nämlich schon ein Gesöff mit einem ähnlichen Namen, das zwar gar nicht aus Italien kommt, aber die älteren Rechte hat... Dikigoros aber beschließt, sich später einmal näher mit Wettbewerbsrecht zu befassen.

Auf der Fahrt nach Hause (Dikigoros fährt wie immer über Frankreich und Belgien, weil er einen Interrrail-Paß hat, mit dem das billiger wird als eine Rückfahrt durch Deutschland) kommt er mit einem jungen Franzosen ins Gespräch, über Garibaldi und den Napo-Löwen. "Was wollen Sie," meint der Franzose (Frankreich ist eines der wenigen Länder in Europa, in dem auch junge Leute einander noch siezen) "wir Franzosen haben doch keinen Grund, Napoléon etwas nachzutragen. Zu seiner Zeit gab es auf Korsika keinen Separatismus und keine terroristischen Bombenanschläge; in Paris hat er endlich Schluß gemacht mit der blutrünstigen Revolution, und in Rußland hat er doch hauptsächlich deutsche Hilfstruppen verheizt." Der Franzose weiß nicht, daß Dikigoros nicht sein Landsmann ist, denn der spricht den Argot von Paris (oder, wie er zu sagen pflegt, von Panam' - so werden die alten Stadtviertel von ihren alt-eingesessenen Bewohnern damals noch genannt, da ihnen der sagenhafte keltische Stamm, der von den Römern "Parisii" genannt wurde, gar nichts sagt und da der Name ihrer Schutz-Patronin, der Heiligen Geneviève, bereits von einer Schweizer Stadt belegt ist - auch wenn man das ihrer deutschen Form "Genf" nicht mehr so recht ansieht), wie aus dem tiefsten Marais, gut und vor allem schnell genug, um jeden Nicht-Pariser zu täuschen (während er in Paris seinen leichten deutschen Akzent hinter dem schweren Midi-Akzent versteckt, den er gelernt hat, künstlich drauf zu setzen). Damals gibt es das noch, und Dikigoros' Lieblings-Chansonnier kann noch ein Liedchen singen, das so beginnt:

"Les gavroches, les poulbots, les titis parigots,
Qui jouent à Montmartre, à Belleville
n'ont pas changé de style du tout..."
Auf Deutsch:
"Die Bengel, die Lümmel, die Schlingel von Paris,
Die spielen in Montmartre, in Belleville
(das sind Stadtviertel von Paris, Anm. Dikigoros)
haben sich überhaupt nicht geändert..."

Nein, liebe Leser, den müßt Ihr nicht kennen. Die französischen - und zeitweise auch die deutschen - Hitparaden wurden ja damals von Sängern beherrscht, den Aznavour, Dassin, Gainsbourg und Polnareff, deren Familien die Sowjet-Union wegen des dort grassierenden Anti-Semitismus verlassen hatten, und die allesamt erbärmlich schlecht Französisch konnten. (Michel Sardou stand damals erst am Anfang seiner Karriere und wurde von den staatlichen Medien boykottiert, weil er ein erklärter Gegner des gaullistischen Systems war.) Was die so von sich gaben, konnten sich selbst Franzosen nur mit großer Mühe und reichlich Fantasie zusammen reimen; ein junger Deutscher, der gerade erst sein Französisch vervollkommnen wollte, war bei denen sicher an der falschen Adresse - da lieber ein paar "ordinäre Gassenhauer". Das steht im Wörterbuch für "rengaine", obwohl das französische Wort nicht den negativen Beigeschmack des deutschen hat. Es bezeichnet halt ein Lied, das nicht den intellektuellen Anspruch der "Chansons" erhebt und auch nicht den der auf den Bühnen der großen "Music-halls" gesungenen "Variétés" - das ist die Wörterbuch-Entsprechung von "Schlager" -, sondern auf den Straßen und Gassen von einfachen Leuten daher geträllert wird. Der geneigte Leser mag es glauben oder nicht, aber Dikigoros hat es noch mit erlebt, daß ein Müll-Kutscher bei der Arbeit solche Lieder gesungen hat - lautstark und nicht mal schlecht, mitten in Paris, und das ist noch gar nicht so lange her. Aber nein, es war nicht "Rien vaut l'odeur des poubelles..."!

C'était le temps, le temps béni de la rengaine,
C'était le temps où les chanteurs avaient d'la voix.
Tous les charmeurs chantaient la Tosca ou Carmen,
On savait faire de la musique en ce temps-là.

"Und Garibaldi?" insistiert Dikigoros. "Nun gut, weshalb der so populär ist, kann ich auch nicht genau sagen. Aber verdanken wir ihm nicht die Côte d'Azur?" - "Wieso? Hat er sie erobert?" - "Nein, aber er ist doch in Nizza geboren." - "Na und?" - "Öh..." Auch das Verhältnis der Franzosen zu den Italienern ist durchaus zwiespältig. Vom Politischen und Religiösen mal ganz abgesehen (das berüchtigte Zweite Vatikanische Konzil von 1962-65, das die katholische Kirche an den Rand des Abgrunds brachte, wurde ganz wesentlich von französischen Kardinälen geprägt, die den trotteligen italienischen Papst unterbutterten), gilt das auch für die Kultur, d.h. für Literatur und Musik. Die erstere wird seit den 60er Jahren hauptsächlich von Zeichentrick-Bändchen, sogenannten "Comics", beherrscht. Unangefochten an der Spitze stehen dabei die Abenteuer von Asterix und Obelix, deren Schöpfer - der Italiener Albert[o] Uderzo und der Franko-Argentinier René Goscinny - die Atmosfäre damit vergiften, daß sie die römische Besetzung Galliens in der Antike mit der Nazi-Okkupation Frankreichs im Zweiten Weltkrieg mehr oder weniger gleich setzen, wobei sie auch das alber'sche, pardon, alberne Klische von der vermeintlichen Dummheit und Primitivität der Besatzer mit übernehmen - das "SPQR" der Römischen Republik (Senatus Populusque Romanus, Senat und Volk von Rom) übersetzen sie mit "sono pazzi questi Romani (die spinnen, die Römer)". Die Autoren müssen schon eine gehörige Portion Dummheit beim Leser voraussetzen, der ihnen diese Geschichts-Fälschung abnehmen soll, insbesondere da sie sich als Zentrale der "Résistance" (des Widerstands) ein Dorf in der Bretagne ausgesucht haben, mit der die Römer nie ernsthafte Probleme hatten (sie bauten sogar eine Straße bis ins heutige Brest), wohl aber später die Franzosen, gegen deren Besatzung sich die Bretonen Jahrhunderte lang immer wieder mit der Waffe in der Hand zur Wehr setzten - erst die Mörderbanden der Französischen Revolution schlugen Ende des 18. Jahrhunderts die letzten Aufstände nieder und zerteilten die Bretagne in "Départements", deren westlichstes sie seitdem ganz offiziell "Finistère" nennen - Arsch, pardon, Ende der Welt. Das endgültige Ende der bretonischen Welt, ihrer Kultur und Sprache (Dikigoros - der dort als Deutscher ebenfalls nie Probleme hatte - hat in den 70er Jahren noch alte Menschen kennen gelernt, die Bretonisch sprechen konnten), erreichten die Franzosen freilich erst kurz vor Ende des 20. Jahrhunderts mit den vom Staat gleich geschalteten Massen-Medien - pünktlich zur 200-Jahresfeier der Revolution anno 1989 konnten sie Vollzug melden. (Aber der Erfolg gibt den Asterix-Autoren Recht und zeigt, daß sie mit ihrer Einschätzung der Voraussetzungen beim Leser offenbar richtig gelegen haben.)

Und die Musik-Kultur der Franzosen? Eine ihrer größten Chanson-Sängerinnen, (manche - nicht Dikigoros, der ihr eine seiner eigenen Altersgenossinnen vorzieht, die inzwischen nach Kalifornien ausgewandert ist - meinen sogar: ihre größte) die sich "Edith Piaf" nannte, hieß richtig Giovanna Gassione (wer es nicht glaubt, möge ihr Grab auf dem Père-Lachaise-Friedhof in Paris besuchen, auf dem ihr echter und ihr Künstlername nebeneinander stehen), war also Beute-Französin italienischer Abstammung. (Ihre Eltern waren zufällig gerade mit ihrem Straßen-Zirkus auf der Durchreise in Paris, als sie geboren wurde, und so blieb sie dort hängen. Sie hat ihr italienisch gerrrolltes "r" nie ganz abgelegt.) Als ihre Nachfolgerin gilt - jedenfalls in den Nachtclubs und "Music-halls" von Paris - eine belgische Staatsbürgerin, die sich "Patricia Carli" nennt und ihren letzten großen internationalen Erfolg ein Jahr nach Giovannas Tod erringt, als sie das Festival von San Remo gewinnt (mit dem Titel "Non ho l'età" - ich bin noch nicht alt genug -, der eigentlich nicht mehr so recht zu ihrem wirklichen Alter paßt). Dabei kommt heraus, daß sie eigentlich Italienerin - gebürtig aus Tarent - ist und richtig Rosetta Ardito heißt. Inzwischen hat sie ihre eigene Karriere als Sängerin beendet und managt statt dessen einen jungen "Schwarzfuß" (Pied noir - so nennen die "echten" Franzosen naserümpfend ihre Landsleute aus Nordafrika, die oft viel bessere Franzosen sind, obwohl sie der selbsternannte "General" De Gaulle, der Verderber und Verräter Frankreichs, unter Bruch seiner hoch und heilig beschworenen Wahlversprechen schmählich im Stich gelassen hat, als sie von dort vertrieben wurden), der aus Marokko kommt und gerade durch die Variétés von Paris und Lyon (wo zur selben Zeit die spätere Frau Dikigoros studiert) tingelt. Der arme Kerl hat nie gelernt, das geschlossene "é" richtig auszusprechen, aber er singt fantastisch (findet jedenfalls Dikigoros; nur die meisten Musik-Kritiker sind aus unerfindlichen Gründen anderer Meinung): über seine Managerin ("Rosetta" wird einer seiner größten Erfolge), über Casablanca, über die Tuaregs und über Italien - das alte und das neue: "Sei nicht eifersüchtig auf eine Erinnerung, die ich nicht vergessen kann. Das ist Vergangenheit, aber die Zeit kann sie mir nicht nehmen... Rom hat für uns gesungen, und Venedig getanzt... Ein Stück von meinem Herzen ist immer dort unten geblieben, wie angekettet." Aber die Ketten beginnen zu brechen - ein anderer "Pied Noir" mit italienischem Paß und englischem Künstler-Namen hat sogar einen (deutschen) Schlager mit diesem Titel gesungen. Eine andere Italienerin - auch sie stammt aus Nordafrika - hält die Herzen der Franzosen noch gefangen. (Sie heißt Yolanda Gigliotti, nennt sich aber "Dalida" - von den Franzosen auf der letzten Silbe betont.) Doch wie sie selber mit ihrem schweren italienischen Akzent singt: "Avec le temps, va, tout s'en va..." Mit der Zeit vergeht alles; und am Ende ihrer - materiell sehr erfolgreichen - Karriere wird sie verzweifelt den Freitod wählen. (Dikigoros hat seine Diplom-Prüfung an der Pariser Sorbonne über das Thema "Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des französischen Chansons" abgelegt und sich dabei nicht gerade mit Ruhm bekleckert; heute könnte er viel mehr und Gescheiteres darüber schreiben - aber vielleicht würden die Zensuren seiner Professoren dann noch schlechter ausfallen.)

Sie wechseln das Thema. Der Franzose ist Fußball-Fan (über diesen Begriff schreibt Dikigoros an anderer Stelle mehr) und echauffiert sich, daß die reichen italienischen Vereine die besten französischen Fußballer ihren Heimatvereinen einfach weg kaufen, z.B. den "Europäischen Fußballer des Jahres", Michel[e] Platini, von den "Verts" (den "Grünen" - so wird die Balltreter-Équipe von St. Étienne im Volksmund genannt, nach der Farbe ihrer Trikots; der einstige Spitzen-Club wird bald nach dem Ausverkauf in die 2. Liga absteigen). "Diese verdammten Mafiosi..." Dikigoros hört schweigend zu und denkt daran, daß Platini - auch wenn er wie DeGaulle in Lothringen geboren ist - ausweislich seines Namens ein Landsmann Garibaldis ist, also ein Beute-Franzose, dem man nicht verdenken kann, in das Land seiner Vorfahren zurück zu kehren, wenn er dort besser verdient. Aber auch er fragt sich, ob es richtig ist, Millionen italienische Arbeiter für niedrigen Lohn nach Frankreich, Deutschland und in die Schweiz zu schicken, damit von den Devisen, die sie dort mühsam verdienen, ein paar französische und deutsche Balltreter für Millionen nach Italien geholt werden, um dort in Saus und Braus zu leben. Für solche Spielchen ist Geld da, aber nicht, um ordentliche Arbeitsplätze einzurichten?! Und gewiß verdienen längst nicht alle Italiener im Ausland ihr Geld mit ehrlicher Arbeit, denn nicht nur mit Fußballspielen kann man Millionen machen: Längst hat sich die italienische Mafia Dank der Öffnung der Grenzen innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft - die inzwischen "Europäische Gemeinschaft" heißt und bald "Europäische Union" heißen wird (auch die Hersteller von Stempeln, Briefköpfen und Schildern wollen leben!) - nicht nur in Süd-Frankreich, sondern auch in Deutschland bestens etabliert. Ihre Zweigstellen sind meist als "Pizzeria" getarnt; da es sich um Geldwaschanlagen handelt, nicht um "echte" Restaurationsbetriebe, können sie zum Selbstkostenpreis anbieten, und so sind sie bei den preisbewußten Deutschen schnell populär geworden.

Doch die Zeiten wandeln sich. (Wie schrieb einst der Italien-Reisende Nietzsche: "Nur wer sich wandelt bleibt mit mir verwandt!") Zunächst einmal hat Italien inzwischen gar keine Geburten-Überschuß mehr, den es gen Norden ziehen lassen könnte, denn inzwischen hat Italien die Abtreibung und die Ehescheidung gesetzlich erlaubt - mit durchschlagendem "Erfolg". (Wie lange ist es her, daß zwei engagierte Katholiken, der Ire Raymond O'Sullivan - der sich nach einem bekannten Kabarettisten des 19. Jahrhunderts "Gilbert" nennt - und die Italienerin Gigliola Cinquetti - die ihre Karriere beendet hat, um sich ganz ihrer Familie, ihrem Mann und ihren Kindern zu widmen - die Hitparaden anführten, mit Liedern gegen Ehebruch und Ehescheidung, gegen Abtreibung, Kindesmißhandlung und Pornografie, für Ehe und Familie, für Babies und Bambinos? Es war einmal, Anfang der 70er Jahre - aber wer kennt die noch?) Dann bekommen die italienischen Mafiosi mit ihren Pizzerien seit den 1980er Jahren zunehmend Konkurrenz von Wettbewerbern, denen sie an Brutalität und Skrupellosigkeit kaum noch gewachsen sind: Die geizigen US-Schotten von McDonalds beuten ihr Personal schlimmer aus als die sizilianischen Unternehmer ihre Arbeiter und können so spielend auch die Selbstkostenpreise der Pizzerien unterbieten, die sie nach und nach an die Wand drücken. Die China-Restaurants und die angelsächsischen Pizzahut-Ketten ziehen nach. Und Frau Dikigoros hält ohnehin nichts von "Junk-food" (so heißt das jetzt, nach dem sino-malaiischen Wort für "Segelschiff"); und obwohl sie Italienisch - im Gegensatz zu ihrem Mann - sogar an der Universität studiert hat, wenn auch nur als Nebenfach, kann sie sich weder für die italienische Sprache noch für die italienische Musik noch für die italienische Küche sonderlich erwärmen. Andrea Doria? Ist das nicht das Piraten-Schiff, das jetzt - zehn Jahre, nachdem es vom Stapel gelaufen ist - von der neuen deutschen Welle an die Spitze der Hitparaden gespült wird, und auf dem heute wieder alles klar ist, wenn man dem Multikulti-Apostel und Panik-Rentner Udo Lindenberg aus Gronau an der Dinkel glauben darf? (Nein, liebe Leser, der kommt nicht aus Dikigoros' Geburtsstadt, der tut nur so. Ob sich Heini von dem unter den Linden hätte grüßen lassen? Wahrscheinlich nicht mal der...) Außer einem Wochenende in Venedig, "bevor es ganz absäuft", führt sie keine gemeinsame Reise nach Italien.

Ende der 80er Jahre schreibt ein Zeitungs-Redakteur, der vor allem durch seine Hitler-Biografie bekannt geworden ist, ein Buch mit dem Untertitel "Eine italienische Reise". Tatsächlich ist es ein Bericht über insgesamt vier Reisen, allerdings nicht nach "Italien", sondern... nun die Norditaliener sagen: "Südlich von Rom beginnt Afrika" - eben. Man mag von Jo Fest (das "Jo" wie bei Fernau, nicht wie bei Goethe) halten, was man will: Er hat versucht, Hitler und dem Nationalsozialismus "gerecht" zu werden und sachlich über ihn zu schreiben; tatsächlich ist er ihm - noch ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod - weitgehend auf den Leim gegangen. Sei's drum, den [Süd-]Italienern geht er nicht auf den Leim. Sein Fazit ist - bei aller Sympathie - vernichtend: Das Land hat seine Vergangenheit verloren und bekommt die dafür eingetauschte Gegenwart nicht in den Griff; und an die Zukunft wollen wir besser gar nicht erst denken. Dennoch - oder gerade deshalb - ist "Im Gegenlicht" das beste Buch über [Süd-]Italien, das seit "Humbert Fink" in deutscher Sprache geschrieben wurde. (Sechs Jahre später wird Paul Theroux "Die Säulen des Herkules" [dts.: "An den Gestaden des Mittelmeeres"] heraus bringen; aber dies ist eine Seite über Reisen zwischen Deutschland und Italien, deshalb geht Dikigoros darauf an dieser Stelle nicht ein.) Und es war höchste Zeit für dieses Projekt; denn die Informanten, die das alte [Süd-]Italien noch miterlebt haben, sterben langsam aber sicher aus - und die Deutschen, die sich dafür interessieren, offenbar auch. Dikigoros fragt sich manchmal, wofür die Leute verreisen: Wirklich nur wegen der "drei S" - Sonne, Saufen und Sex? Das können sie zuhause doch auch haben! Er reist immer noch, um andere Lebensformen kennen zu lernen, seien es völlig fremde, seien es solche, die es früher auch bei uns gab, die sich aber nur noch anderswo ganz oder wenigstens teilweise erhalten haben. Soll er Euch verraten, seit wann und warum Italien für ihn uninteressant geworden ist? Seit auch dort Pasta und Pizza (was meint Ihr denn, warum diese Wendung nicht in der Überschrift aufgetaucht ist?) nicht mehr selber gemacht werden - wie noch in den 50er Jahren von seiner Mutter -, sondern, wie in Deutschland, industriell gefertigt aus der Tiefkühltruhe bzw. dem Plastikbeutel kommen, und der Wein nicht mehr aus dem Faß vom Winzer aus dem Nachbardorf, sondern aus der EU-genormten Flasche mit Haltbarkeitsdatum. Und architektonisch und/oder landschaftlich hat er inzwischen alle Ecken Italiens gesehen, die ihn interessieren könnten (auch die, die ihn weniger interessieren, wie Cesenatico; dort finden regelmäßig die großen Leichtathletik-Veranstaltungen für Senioren statt); es gibt weiß Gott - von dem sich die einst so katholischen Italiener mittlerweile auch abzuwenden beginnen - lohnendere Reiseziele.

Nein, Italien ist nur noch etwas für die kleine Schicht von "Qualitäts-Touristen", die für einen "echten Parma-Schinken" oder einen "echten Parmesan-Käse" in einem Restaurant vor Ort Mondpreise zu zahlen bereit sind, oder - für Anfänger, die ihre ersten Reiseerfahrungen im Süden sammeln wollen, ohne gleich die EU zu verlassen. Die Masse der Deutschen entdeckt andere Destinations (so heißt das jetzt auf Neu-Deutsch - die Sprachkritiker halten das für ein englisches Wort, dabei ist es ein italienisches: destinazione): Wer viel Geld hat fliegt nach Übersee oder schippert im Traumboot um die Welt; wer weniger hat, reist nach Spanien oder Griechenland (dort gibt es die "drei S"auch, und wesentlich billiger als in Italien), und als auch diese beiden Länder in die EG aufgenommen werden und die Preise dort anziehen, in die noch billigere Türkei oder - wenn es denn schon der Süden sein muß - nach Tunesien. [Nein, nicht wie einst die Vandalen (wer war denn das? Etwa die Typen, die kürzlich die U-Bahn-Haltestelle demoliert haben? So stand es doch in der BILD-Zeitung), sondern wie im Lied von Familie Kabeljau: "Der Mikro-chip aus Taiwan macht die Arbeit dann, und wenn nix mehr zu tun is' fahr'n wir nach Tunis. Und die Pizza kommt per Fernseh-Order..." (Nein, liebe Leser, ersparen wir uns den kompletten Text - so toll ist er doch nicht.)] Und umgekehrt? Dikigoros' letzter italienischer Nachbar, ein Student der Wirtschaftswissenschaften mit dem vielsagenden Namen Carlo Risotto (für die Jüngeren, die das nicht mehr kennen: Risotto ist ein früher weit verbreitetes norditalienisches Reis-Gericht mit Zwiebeln, Knoblauch und Käse, bei dem der Reis nach einer umständlichen Prozedur gekocht wird, die heute "parboiled" genannt wird; da man "parboiled rice" inzwischen überall fertig kaufen kann, macht sich natürlich niemand mehr selber die Mühe, und Risotto ist von den Speisezetteln verschwunden), der nebenbei schwarz in einer Pizzeria gejobbt hat, zieht weg, als er sein Diplom gemacht hat, aber keine Stelle findet - arbeitslos sein kann er auch zuhause in Italien, außerdem stört er sich zunehmend an der wachsenden Zahl von Ausländern in Deutschland, vor allem an den Russen, die sich Rußland-"Deutsche" nennen und gegenüber anderen Ausländern (und Deutschen) Privilegien genießen, für die er kein Verständnis hat.

Wie Carlo denken die meisten Italiener (und nicht nur die); er sieht nicht, daß es zwischen den Gastarbeitern und den Aussiedlern durchaus Parallelen gibt (Dikigoros hat sich nicht die Mühe gemacht, sie "historisch" aufzuziehen; er selber hat sie damals auch nicht so klar gesehen): Die der ersten Generation waren in vielerlei Hinsicht eine Auslese an Intelligenz, Fleiß, Mut und Anpassungswillen, von denen die Deutschen noch einiges hätten lernen können (wenn sie denn gewollt hätten), zum Beispiel an Hilfsbereitschaft, Nachbarschaftsgeist und Familiensinn. Aber vor lauter Anpassung vernachlässigten sie ihre eigene Kultur, und vor lauter Fleiß ihre eigenen Familien, vor allem ihre Kinder. Und so ist eine Generation heran gewachsen, die in jeder Hinsicht entwurzelt ist, wie sie spätestens beim "Heimat"-Urlaub in der Heimat ihrer Eltern, die nicht mehr die ihre ist, feststellen. Sie gelten auch dort als Fremde, als Ausländer, als Ausschuß. Sie beginnen zu hassen: ihre Eltern, die sie um ihre kulturelle Identität gebracht haben, und ihr Gastland, das ihnen keinen gleichwertigen Ersatz bieten kann oder will: "Zwischen den Kulturen" ist für sie zwischen allen Stühlen; aus den Hälften zweier zerbrochener Glasgefäße kann man nicht ein neues Gefäß - geschweige denn ein besseres oder nur annähernd gleichwertiges - zusammen setzen. Oder wie Johnny I schrieb: "Alles Fremde kann nur auf Grund des Bekannten erfaßt werden." Und da ihnen ihre eigene Kultur unbekannt geblieben ist, können sie auch die fremde nicht erfassen; wer die eigene Sprache nicht beherrscht, kann keine Fremdsprachen lernen, und ohne Sprache kann man auch nicht denken. Und dieser Bodensatz - den man fälschlich "Sub-Kultur" nennt, obwohl er eigentlich gar keine Kultur hat, also "Un-Kultur" (oder, da solche Ausdrücke gerade modern werden: "kulturfreie Zone") heißen müßte - nimmt immer mehr zu. Niemand ist glücklich damit, weder die "Gastgeber" noch die "Gäste". Wer Glück hat und ein Zuhause (was eben doch etwas mehr ist als "wo ich meinen Hut hin häng'", auch wenn der Panik-Rentner letzteres für ausreichend hält - für den mag das zutreffen), wie Carlo - der nie richtig Deutsch gelernt hat -, fährt dorthin zurück, bevor er auch noch verlernt, richtig Italienisch zu sprechen; wer Pech hat, wie die Rußland-Aussiedler oder die Kurden aus der Türkei, die nicht mehr zurück können, bleibt. Und natürlich die Mafiosi und andere Geschäftsleute, die aus anderen als kulturellen Gründen an Deutschland festhalten.

Aber auch denen soll bald die Stunde schlagen: In den 1990er Jahren verlieren nicht nur die italienischen Pizzas und Pizzerien an Boden (die amerikanische Konkurrenz bäckt sie dünner, und das trifft den Geschmack des Publikums besser), sondern auch die Gelder, die dort eigentlich gewaschen werden sollen, fließen spärlicher. Inzwischen ist nämlich der eiserne Vorhang gefallen; und gegen die Brutalität und Skrupellosigkeit der Russen, Polen, Rumänen, Bulgaren, Albaner, Jugoslawen und Zigeuner, die nun wie die Tartaren über Mittel-, West- und Südeuropa herfallen, sind die italienischen Mafiosi Waisenkinder: Die Polen entreißen ihnen Berlin, die Russen die Côte d'Azur, die Albaner ihre eigene Südost-Küste. Die Reaktion der Italiener: sie blasen zur moralischen Wiederaufrüstung ihres Nationalgefühls. Eine Canzone erobert die Spitze der Hitparaden, in der es unter anderem heißt: "Lasciatemi cantare, perche ne sono fiero, sono un italiano, un italiano vero (Laßt mich singen, denn ich bin stolz darauf, ein Italiener zu sein, ein wahrer Italiener)", in der nicht Synthesizer und Fast-food, sondern Gitarre und Spaghetti besungen werden! (Man stelle sich vor, in Deutschland würde jemand ein Loblied auf Mundharmonika und Kartoffelbrei singen mit der Textzeile: "Denn ich bin stolz darauf, ein wahrer Deutscher zu sein" - man würde ihn wegen "Volksverhetzung" ins Gefängnis stecken oder gleich ins Irrenhaus.) Werden die Italiener etwa allesamt wieder zu Faschisten? Fieberhaft zieht die Mafia ihre Auslandsreisenden zurück (die Zahl der italienischen "Gastarbeiter" in Deutschland und Frankreich sinkt auffallend) und versucht, sich im eigenen Land zu "legalisieren": Sie investiert das Geld in Arbeitsplätze, vor allem in Vorstandsposten von Parteien, Banken und anderen Wirtschaftsunternehmen - sogar einen Papst bringt sie um die Ecke und setzt auf die frei gewordene Planstelle einen eigenen Kandidaten. Längst stellt sie auch die weltliche Regierung. Doch da geschieht der größte anzunehmende Betriebsunfall: Die undankbaren italienischen Wähler wenden sich mehrheitlich von den Mafia-Parteien ab und bringen, kaum mehr als 50 Jahre nach Bennis Ableben, dessen Enkelin und andere Leute an die Macht, die versprechen, mit der "Cosa nostra" und ihren Handlangern aufzuräumen; einige Reiseleiter a.D. - bis hinauf zu ehemaligen Regierungschefs und Staatspräsidenten - werden als Mafiosi enttarnt und tatsächlich vor Gericht gestellt.

Ein Aufschrei der Empörung erhebt sich aus dem Medien-Dschungel; denn auch dort hat sich die Mafia inzwischen bestens eingekauft: Das bedroht doch die Freiheit im allgemeinen und die Freiheit der Gewerbe-Ausübung im besonderen! Zu den Gewerbezweigen der Mafia gehört ja nicht nur Schutzgeld-Erpressung, sondern auch Glückspiel, Drogenhandel und Prostitution. Seit die Mafia den Staat beherrscht (nicht nur den italienischen), sind diese Gewerbe allmählich legalisiert worden, zumeist unter anderem Namen und unter staatlicher Führung oder zumindest Aufsicht: Schutzgeld-Erpressung nennt sich inzwischen "Steuereintreibung". Dikigoros hatte auf der Schule, im Geschichts-Unterricht, noch gelernt, wie schwer die Menschen früher unter den Abgaben leiden mußten: Dem "Zehnten", den sie der Kirche zahlten mußten, also 10% ihres Einkommens, und dem "Heimfall", wenn sie beim Ableben ihrer Vorfahren das Lehen erneuern wollten. Die Mafia nahm ihnen sogar bis zu 20% der Einnahmen weg (allerdings gewährte sie dafür Schutz vor Übergriffen Dritter, auch des staatlichen Steuereintreibers). Inzwischen beträgt die Einkommenssteuer in Italien bis zu 90%, in Frankreich bis zu 70%, in Deutschland über 50% (freilich ohne dem Steuerzahler dafür wirksamen Schutz vor Kriminellen zu gewähren). Hinzu kommen weitere Zwangsabgaben, die beschönigend "Sozialabgaben" genannt werden; und beim Erbfall nimmt der Fiskus nicht ein Huhn oder ein Schwein, wie früher der Lehensherr beim Heimfall, sondern bis zu 50% des Nachlasses weg. Glücksspiel ist legal, wenn es in staatlichen Casinos betrieben wird, wo Millionen umgesetzt werden. (Wer dagegen um ein paar Mark würfelt oder Karten spielt, macht sich in den meisten Ländern strafbar.) Auf Drogen aller Art hat der Staat ein Monopol - und er scheffelt Milliarden damit. (Die Behandlung der Drogenabhängigen finanziert er aus der Einkommenssteuer und den "Sozialabgaben".) Prostitution ist längst legal - schließlich will der Staat auf die schönen Steuereinnahmen auch aus diesem lukrativen Gewerbe nicht verzichten! Die Anti-Mafia-Regierung, insbesondere ihr Chef, ein gewisser Berlusconi, seines Zeichen Präsident eines bekannten Mailänder Fußball-Vereins, der die Wahlen mit dem Fußballer-Schlachtruf "Forza Italia" gewonnen hatte, wird als "rechtsradikal" diffamiert und mit ausländischer - vor allem deutscher - Hilfe gestürzt. Italien hat es weit gebracht, und viele andere Staaten sind ihm gefolgt, einige - zum Beispiel die BRD - haben es sogar schon überholt.

Aber nicht nur in der Finanz- und Wirtschaftspolitik hat sich ein Wandel vollzogen, sondern auch in der Sozialpolitik - das ist die, die mit den "Sozialabgaben" finanziert wird. Eigentlich sollen davon Renten, Arbeitslosengeld und Krankheitskosten derjenigen bezahlt werden, die diese Abgaben einst aufgebracht haben, keine "versicherungsfremden" Leistungen an Dritte. Aber das ist inzwischen längst nicht mehr so, denn in ganz Europa - besonders in Mitteleuropa - hat sich wieder ein Richtungswechsel um 180 Grad vollzogen, aber nicht in die alte Richtung, sondern in eine neue Dimension: Die Ausländer sollen zwar ins Land kommen, aber nicht mehr, um zu arbeiten - denn Arbeit gibt es nicht mehr genug, die Zahl der Arbeitslosen ist überall in die Millionen gewachsen. Sie sollen auch nicht mehr als Gäste kommen, sondern im Lande bleiben. Und sie sollen sich auch nicht mehr integrieren, aber sie sollen erst recht nicht mehr ihre eigene Kultur bewahren. Was sie eigentlich sollen, wird ihnen nie ganz klar gesagt - ihren Gastgebern auch nicht. Es wird nichts gesagt, obwohl viel geredet wird von den Politikern: Die "multi-kulturelle Gesellschaft" ist erfunden worden und wird propagiert - von Leuten, die gar nicht wissen, was Kultur ist und auch nicht sagen können, wo "Multikulti" jemals funktioniert hätte und wie. Aber darauf kommt es ihnen gar nicht an. Die Politiker, die in Deutschland die Macht ergriffen haben, verkörpern eine Generation (man nennt sie "die Achtundsechziger"), die das deutsche Gegenstück zur, ja die genaue Entsprechung der zweiten Gastarbeiter-Generation ist, die weder ihre eigene noch fremde Kulturen jemals wirklich kennen gelernt hat. Keiner von ihnen spricht richtig Deutsch, geschweige denn eine Fremdsprache - sie waren schon in jungen Jahren zu dumm und zu faul, um auch nur eine zu erlernen, geschweige denn mehrere. Also versuchen sie, die bestehenden Sprachen durch übermäßige Aufnahme von Fremdwörtern zu bastardisieren (das ist übrigens ein germanisches Wort, während das Wort "mischen" ein Lehnwort aus dem Lateinischen ist, von "mixturare"), möglichst von solchen, die niemand richtig versteht, deren Sinn bzw. Unsinn sie also glauben, selber festlegen zu können. Die nicht wissen, was Kultur ist, versuchen, sie auch den anderen, die das noch wissen (womöglich sogar noch eine haben!), kaputt zu machen; am besten durch Vermischung. "Das Vermischen der Kulturen führt zu einer Bereicherung", fantasieren sie daher, dabei ist es wie mit einer Kette: Das schwächste Glied entscheidet über ihre Stärke; und der geringste gemeinsame Nenner der vermischten Kulturen prägt den "multikulturellen" Einheitsbrei, den sie da zusammen kochen; richtig müßte man das Resultat "kulturlose Gesellschaft" nennen oder - wenn es denn unbedingt ein Fremdwort sein muß - "zerokulturelle Gesellschaft".

Aber hat Multikulti nicht doch auch Vorteile? Die Mehrsprachigkeit beim Aufwachsen zum Beispiel? Nein, das sieht Dikigoros anders: Er ist in vielen Sprachen und in vielen Kulturen... nein, nicht zuhause, sondern zu Gast. Er ist gerne dort zu Gast, aber eben nur zu Gast; denn denken und träumen tut er für gewöhnlich auf Deutsch (wenn er in den USA lebt auch auf Englisch, aber eben nur dann); und er ist inzwischen zu der Erkenntnis gelangt, daß ihm das möglich war, nicht obwohl, sondern gerade weil er mit nur einer Sprache und in nur einer Kultur aufgewachsen ist: Dikigoros' Eltern hätten sich in ihren Heimat-Dialekten gar nicht miteinander verständigen können, sonst hätte er neben Pladdütsch und Wienerisch (die er nun beide nicht richtig versteht) wahrscheinlich nur eine einzige Fremdsprache erlernt, nämlich Hochdeutsch. Schon in seiner Großeltern-Generation war es ebenso - sein Vater hatte Pladdütsch nur von seinen Großeltern mütterlicherseits gelernt, da sein Vater aus dem Osten kam und es zuhause nicht gesprochen wurde; und bei seiner Mutter, deren Mutter ihr Donau-Schwäbisch zuhause auch nicht sprach, war es ähnlich. Gerade weil sie aus allen Stämmen Mitteleuropas zusammen... nein, nicht gemischt, sondern getroffen waren, legten sie sich den Zwang an, "monokulti" zu leben, und sie fuhren gut damit, viel besser als alle, die heute "multikulti" auf ihre Fahnen geschrieben haben. "Wie kannst du so etwas schreiben?" wird Dikigoros von seinem Freund Jo gefragt, der gerade von einer Mittelmeer-Reise zurück gekehrt ist, und dem er das vorab zu lesen gibt, "du hast dich in der ganzen Welt herum getrieben, sprichst zwei Dutzend Sprachen und hast mehr Kulturen kennen gelernt, als alle unsere Kultur-Politiker zusammen. Wenn du nicht für multikulti bist, wer soll es dann sein?" - "Niemand soll das," bemerkt Dikigoros trocken, "niemandem wünsche ich das Unglück, multikulti zu sein. Bloß weil ich viele fremde Sprachen und Kulturen kennen, und ein paar sogar lieben gelernt habe, heißt das noch lange nicht, daß das meine sind oder daß sie mir nicht fremd wären - das macht ja gerade ihren Reiz aus! Umso schlimmer, daß einige Völker wie die Chinesen, Inder oder Indonesier ihre eigenen alten Kulturen und Sprachen schlechter kennen als ich oder die Ägypter und Perser als du..." (Den Italienern kann man das übrigens nicht vorwerfen, die beherrschen ihre Amtssprache, das Fiorentinische, zumeist recht gut in Wort und Schrift - was man von Millionen Angelsachsen, Chinesen, Indern und Indonesiern nicht gerade behaupten kann.) "Widersprichst du dir da nicht?" fragt Jo, "du schreibst doch sonst immer, daß man die kleinen Kultur- und Sprachgemeinschaften bewahren sollte, und nun plädierst du für monokulti?!" - "Ja, aber wo ist da der Widerspruch? Ich bin dagegen, daß ein Staat die unterschiedlichen Kulturen und Sprachen seiner Minderheiten gewaltsam unterdrückt und ausrottet, wie die irische, die bengalische, die javanische oder die südchinesische - was übrigens meist nicht in der bösen Kolonialzeit geschehen ist (die Kolonialherren hatten im Gegenteil meist versucht, die alten Kulturen zu bewahren und wieder zu beleben), sondern nach der viel gepriesenen Unabhängigkeit. (Ja, auch das Gälische ist erst in Eire ausgestorben, als die Iren es nicht mehr brauchten, um sich kulturell gegen die Engländer zu behaupten!) Ich glaube, daß man diese kleinen Kulturen nur in Monokulti-Form erhalten kann - oder glaubst du, daß die Griechen und Israelis sonst bis heute überlebt hätten? Und was meine Eltern anbelangt, so hat sie doch niemand gezwungen, einander zu heiraten; sie wollten halt nicht mehr Norddeutsche und Ostmärker sein, sondern Deutsche, und ihre Kinder deutsch erziehen. Was ist daran schlimm?"

Es gibt weiß Gott schlimmeres: Längst besteht die Mehrheit der nach Deutschland, Frankreich und Italien reisenden (und dort bleibenden) Ausländer nicht mehr aus Gast-Arbeitern, sondern aus Asyl-Bewerbern. Die meisten (über 90%) werden zwar abgelehnt, da sie einfach nur Betrüger und Kriminelle sind, aber aus "humanitären" Gründen im Lande gelassen und auf Kosten der Steuerzahler und Sozialabgebenden alimentiert. Natürlich sind es in Wirklichkeit keine "humanitären", sondern knallharte wirtschaftliche Gründe - Gefühlsduselei mit wirklich Verfolgten könnte man sich gar nicht leisten, ebenso wenig wie die Beschäftigung teurer Arbeitskräfte. Arbeit vergibt man am besten in die Dritte Welt, wo sie noch viel billiger ist als die Gast-Arbeiter es je waren: Die Arbeit von Frauen in Lateinamerika, Kindern in Asien und politischen Gefangenen in Rot-China ist konkurrenzlos günstig, und Geld stinkt nicht... Aber um richtig Geld zu machen, braucht man nicht nur Leute, welche die Ware billig - also im Ausland - produzieren, sondern auch welche, die dieselbe Ware teuer - also im Inland - konsumieren. Gesucht werden also Verbraucher, Konsumenten. Die sollen kaufen, kaufen, kaufen, und dafür brauchen sie Stütze, Stütze, Stütze (wenn sie genug Kinder haben, bekommen sie fürs Nichtstun oft mehr als jemand, der dumm genug ist, arbeiten zu gehen und Steuern und Sozialabgaben zu zahlen) - und den Konzernen, die ihre Waren absetzen, ist egal, wer das bezahlt. Der Steuerzahler? Auch recht. Hauptsache, die Asylanten bekommen genügend Geld, um ihren Umsatz zu fördern. Und damit sie auch dann niemand mehr aus Deutschland, Frankreich oder Italien abschieben kann, wenn sie zusätzlich noch silberne Löffel klauen (und rauben, morden, mit Drogen dealen, auf den Strich gehen usw.), bekommen ihre Kinder (unter denen die Kriminalitätsrate besonders hoch ist, inzwischen bei über 50%) einen bundesrepublikanischen, französischen oder italienischen Paß. (In Frankreich wäre es darob fast zum Bürgerkrieg gekommen: Der bewaffnete Mob der "Papierlosen" ist auf die Straße gegangen und hat randaliert, um Pässe zu bekommen; und die französische Regierung hat dem Druck der Straße nachgegeben und sie alle "eingebürgert".) Und wenn die Eltern, die sie zu Kriminellen erzogen, ja abgerichtet haben, es wollen, dann können sie auch gleich einen für sich selber mit beantragen. So wächst auf dem Papier die Zahl der Deutschen in Deutschland, die der Franzosen in Frankreich und die der Italiener in Italien - und die der Ausländer sinkt.

In der Realität sieht es freilich anders aus: In der Innenstadt von Genua, der Stadt des Andrea Doria und des Cristofero Colombo, gibt es praktisch keine Italiener mehr, und in gewissen Vierteln von Marseille oder Nizza, der Stadt Garibaldis, kaum noch Franzosen. Im "Gotischen Viertel", der Altstadt von Barcelona, wo das bekannteste Denkmal auf Kolumbus steht, traut sich kein Katalane mehr auf die Straßen, die von jungen muslimischen Banditen beherrscht und terrorisiert werden. (Sie haben keine Ausweispapiere und sind noch nicht strafmündig, deshalb kann man sie nicht vor Gericht stellen, geschweige denn abschieben - so ist das in Spanien, seit das böse falangistische Regime Francos den edlen Demokraten Platz gemacht hat.) Nun ja, das sind Hafenstädte. Aber Ausländer dominieren inzwischen auch die "Bannmeile" und die zweistelligen "Arrondissements" der französischen Hauptstadt Paris: In St. Dénis liegt der Hund begraben (früher waren es mal die französischen Könige, aber inzwischen regieren dort nicht mehr die Royalisten, sondern die Kommunisten). Aubervilliers gilt im französisch-sprachigen Afrika bereits als "kongolesische Diaspora", die es von den Franzosen zu "befreien" gilt (die Aufrufe dazu werden mit "Heil Lumumba" unterzeichnet). Montreuil wird im Volksmund längst "Montreuil-sur-Bamako" genannt (nach der Hauptstadt Malis). Montmartre wird noch mühsam von deutschen Touristen gegen die Schwarzen verteidigt (aber der Kampf ist aussichtslos, und ein Ende ist abzusehen). In Barbès kämpfen Marokkaner, Algerier und Tunesier erbittert um die Vorherrschaft, in La Chapelle Araber und Schwarze, in Belleville ("Klein-Sénégal") Schwarze und Gelbe, in Ménilmontant nur noch die Schwarzen untereinander. So auch in Charonne - hieß die Ecke nicht mal nach Garibaldis Kampfgenossen Gambetta? Nur der gleichnamige Platz mit der Métro-Station erinnert noch daran. Nicht anders ist es in gewissen Bezirken Berlins, das 1945 bis zuletzt mühsam von französischen Touristen gegen die Russen verteidigt wurde (als der Kampf schon aussichtslos und ein Ende abzusehen war) und inzwischen wieder deutsche Hauptstadt geworden ist - nein, eigentlich kann man es kaum noch als "deutsche" Stadt bezeichnen, und es ist auch nicht mehr das Haupt, sondern allenfalls der Arsch der Bundesrepublik und der dazu gehörige Sitz für die Regierung der Ärsche. Und während diese die einheimische Bevölkerung zwingt, an den Orten, wo sie noch die Mehrheit stellt, das oftmals kriminelle Gebaren der Zugereisten klaglos zu ertragen (man übersetzt das Wort "ertragen" ins Lateinische, da heißt es "tolerieren", das klingt besser, und dem Hauptwort "Toleranz" versucht man einen positiven Anstrich zu verpassen; und wer sich darüber beklagt, wird wegen "Ausländerfeindlichkeit" angeklagt und ins Gefängnis gesteckt), denken die letzteren gar nicht daran, Gegenseitigkeit zu gewähren: Ins Arabische (und in die meisten afrikanischen Sprachen) wird "Toleranz" mit "Schwäche" übersetzt; und Schwäche wollen Araber und Afrikaner nicht zeigen. In den mehrheitlich von Zugereisten bewohnten Vierteln darf sich kein Einheimischer mehr blicken, geschweige denn in seiner Muttersprache hören lassen (etwa im Marais auf Argot statt Arabisch, oder in Kreuzberg auf Berlinerisch statt Türkisch) - bei Lebensgefahr. Und so stellen die Einheimischen dort binnen einer Generation nicht mal mehr eine Minderheit, sondern verschwinden völlig. In den Statistiken fällt das wie gesagt nicht weiter auf, denn die Zugereisten haben ja großzügig Pässe des Staates erhalten, in den sie oder ihre Eltern eingereist sind.

Aber die Tatsachen sind nun mal wie sie sind, und wer nicht gerade völlig blind durch die Lande tappt (wie die meisten Politiker, die isoliert in ihren Elfenbeintürmen leben, gut geschützt vor der Volkswut - sonst würden sie wahrscheinlich enden wie Benni) kann nicht mehr länger daran vorbei sehen oder hören. Wenn Marco Polo in China geblieben wäre und die Chinesen ihm und seinen Kindern chinesische Pässe gegeben hätten, wären sie damit zu Chinesen geworden und hätten Schlitz-Augen bekommen? "Ein Pferd, das in einem Schweinestall geboren ist," pflegte Otto, der sture Pommer, der von Haus aus Landwirt war, zu sagen, "bleibt deshalb doch ein Pferd. Und umgekehrt." - "Du mußt ein Schwein sein," lautet der Titel eines der erfolgreichsten Schlager der neunziger Jahre in Deutschland (geschrieben übrigens wieder von dem westfälischen Panik-Rentner Udo L., der sich inzwischen "Felix Cix" nennt - sein alter Name klingt ihm zu deutsch). Aber kann denn das gemeint sein? Nein, und anständige Zugereiste wollen das auch gar nicht; sie wollen keine Schweine sein, bloß weil auf den Hund gekommene Politiker die Länder West- und Mittel-Europas zu Sauställen haben verkommen lassen. Die Zahl der Italiener, Deutschen oder Franzosen, welche die Staatsangehörigkeit des jeweils anderen Landes beantragen, ist verschwindend gering. Vor allem die Italiener gehen auf Distanz. Von allen Ausländern haben sie sich am besten in Frankreich und Deutschland eingelebt (nicht nur weil sie am längsten da sind): ihre Arbeitslosen- und Kriminalitäts-Statistik ist die niedrigste, sie sind "unauffällig"; dennoch (oder gerade deshalb?) beantragen von ihnen prozentual die wenigsten einen deutschen oder französischen Paß. Und natürlich will auch ein anständiger Türke und ein anständiger Mameluck (Dikigoros meidet bewußt das von den Deutschen penetrant falsch gebrauchte Wort "Kanak", das in den austronesischen Sprachen nicht Fremde, sondern ganz im Gegenteil Landes-Kinder bezeichnet, "Bumiputra") das bleiben, was er ist - eben Türke oder Mameluck; denn anständige Menschen, die sich noch als etwas mehr verstehen denn als Angehörige irgendeiner Paßport-Gemeinschaft (zu der die meisten westlichen Staaten längst degeneriert sind) wechseln nicht so einfach ihre Nationalität. Nur die Unanständigen (böse Zungen sagen auch "die Minderwertigen", aber das wäre wohl schon eine strafbare Beleidigung - irgendetwas muß ja noch strafbar sein, wenn schon alle wirklich kriminellen Handlungen, einschließlich des Mordes an ungeborenen Kindern, legalisiert werden, sonst würden die Richter und Staatsanwälte arbeitslos - und alle kann die Mafia schließlich nicht umbringen) wollen das Papier haben und führen so die neue Einwanderungs-Politik ad absurdum. Ratlos stehen vor allem die deutschen Politiker vor dieser Entwicklung und sinnen auf Abhilfe. Sie machen den Zugereisten ein noch großzügigeres Angebot: sie können ihren alten Paß und ihre alte Staatsangehörigkeit behalten und trotzdem die bundesrepublikanische dazu bekommen.

Ende des 20. Jahrhunderts taucht ein gewisser Lucio Dalla (wieder) in den Hitparaden auf. Er ist das italienische Gegenstück zum Panik-Rentner (für den seine Heimat-Stadt inzwischen sogar ein "Rock-Museum" eingerichtet hat, in der still gelegten Turbinen-Halle einer Pleite gegangenen Textil-Fabrik) und hatte wie dieser seine größten Erfolge in den 1970er Jahren. Beide haben die Bananen-Republik" bzw. die "Banana Republic" besungen und beklagt, aber sie haben nicht gesehen (oder nicht sehen wollen) daß nicht etwa die Mittel-Amerikaner, denen sie das nachsagen, sondern sie selber genau in solchen Republiken leben. (Paßt ja auch: Bananen kauft man noch immer im Bund.) Nun hat Lucio eine ziemlich mittelmäßige Canzone über seine sexuellen Fantasien geschrieben, die (bezeichnenderweise?) ein kommerzieller Erfolg wird. Ein Sportfreund von Dikigoros (dem er das gar nicht zugetraut hätte - er singt seit drei Jahrzehnten ziemlich mittelmäßige deutsche Schlager mit bescheidenem kommerziellem Erfolg) schreibt einen deutschen Text darauf, der mit dem Original so gar nichts zu tun hat:

"Sie reden alle nur von Frieden und Toleranz,
Sie machen alle so auf cool, und ihre Eitelkeit tanzt.
Und ihren Haß und Parolen sprühen sie auf jede Wand..."

Nachdem der Jahrzehnte lange "Ost-West-Konflikt" gelöst ist (im Westen glauben einige Naïvlinge noch immer, das habe an der Sehnsucht der Ossis nach mehr Demokratie gelegen, nicht etwa an ihrer Konsum-Gier - aber darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle), erlangt das Wort "Nord-Süd-Konflikt" eine völlig neue Bedeutung: "Süden" steht nicht mehr für sonnige Länder, in die der blasse Europäer im Urlaub gerne reist, um sich vom Stress zu erholen, sondern für finstere Länder, für die Südstaaten der USA, für Afrika, für Süd- und Südostasien (ja, das alles wird in einen Topf geworfen, denn niemand weiß mehr zu unterscheiden; das lateinische Fremdwort für unterscheiden, "diskriminieren" - mit dem noch in den 60er Jahren gehobene Produkte geworben wurden, ihr "feiner Unterschied" - ist zum Schimpfwort geworden), aus denen der dunkelhäutige Immigrant, der immer Urlaub hat, gerne reist, um seinen Gastgebern mit kriminellen Machenschaften Stress zu machen oder sich einfach nur so durch zu schmarotzen. Der internationale Terrorismus und die Menschenschlepper-Organisationen machen inzwischen bessere Geschäfte als die Drogen-Mafia und können bereits ganze Staaten erpressen, selbst solche, die viel mächtiger sind als das kleine Italien oder die nicht mehr ganz so kleine - aber ebenso ohnmächtige - Bundesrepublik. Die deutschen Politiker sinnen auf Abhilfe und graben einen an römischer Geschichte geschulten "Historiker" aus, der zwar auf seine Art mehr als reaktionär war, aber als Gegner der Nazis noch zitierfähig ist. Was sah Oswald Spengler voraus: "Statt eines formvollen, mit der Erde verwachsenen Volkes ein neuer Nomade, ein Parasit, der reine traditionslose in formlos fluktuierende Masse auftretende Tatsachenmensch, irreligiös, intelligent, unfruchtbar... Zur Weltstadt gehört nicht ein Volk, sondern eine Masse. Wenn die Menschen, die Rassen, die eine Kultur tragen, untergehen, dann geht auch die Kultur unter." Für ihn war das eine Horror-Vision; aber seine Epigonen verstehen es als Anregung: Wenn es also kulturelle Schwierigkeiten gibt zwischen Nord und Süd, weil Kulturen einander beim Versuch, sie zu vermischen, nicht befruchten, sondern zerstören, könnte man dann nicht ihre Träger vermischen, schwarz und weiß zu einem schönen braunen Einheitsbrei verrühren? Würden sich die Unterschiede - und damit die Konflikte - damit nicht in Wohlgefallen auflösen?

Gute Frage - um mit Otto zu sprechen: Kann man zugleich Pferd und Schwein sein? Eigentlich ja nicht (obwohl die Genetiker bereits kräftig daran arbeiten; aber darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle); aber beim Menschen geht es doch; und die herrschenden Gutmenschen lassen nichts unversucht, es mittels der gleichgeschalteten staatlichen Massenmedien, die sie noch in der Hand haben (anders als in Italien, wo böse Menschen wie besagter Berlusconi das staatliche Medien-Monopol mit ihren Privatsendern gebrochen haben) zu propagieren: Die Rundfunk-Sender werden angewiesen, einen bestimmten Prozentsatz "Neger-Musik" zu senden (italienische Musik hört man seitdem in Deutschland kaum noch); die Fernsehsender müssen einen bestimmten Prozentsatz an Ausländern, insbesondere solchen dunkler Hautfarbe, beschäftigen; Filme, in dem nicht mindestens ein Neger mitspielt, sind politisch nicht korrekt und dürfen nicht mehr gesendet werden. Die privaten Sender ziehen - aus Angst, verboten zu werden - mit; das Gesamt-Niveau sinkt erbärmlich. Man läßt es nicht dabei bewenden, daß die verschiedenen "Kulturträger" etwa in Apartheit neben einander her spielen, sondern sie müssen mit einander spielen. Das beginnt schon im öffentlich-rechtlichen Frühstücks-Fernsehen (jawohl, die gutmenschliche Berieselung muß schon beim Frühstück beginnen, und wehe, wer da noch nicht fernsieht!), in dem ein Mulatte aus Nigeria zusammen mit einer weißen Frau auf der Couch kuschelt. Und da Sportsendungen immer noch die höchsten Einschalt-Quoten aufweisen, wird auf sämtliche Sportarten, die dort übertragen werden, massiver Druck von höchster Stelle aufgeübt: Kein Verein der Fußball-Bundesliga darf mehr ohne dunkelhäutige Ausländer sein (zumal die billiger sind als die deutschen Spielen, die mehr und mehr ins Ausland abwandern, vor allem nach Italien, dessen Fußball-Liga als einzige auf der Welt noch ganz ohne dunkelhäutige Ausländer auskommt); bald spielen in einigen Vereinen der Bundesliga gar keine Deutschen mehr, sondern allenfalls noch ein paar eingebundesrepublikanerte Ossis und andere "Fußball-Deutsche"); auch der deutsche Leichtathletik-Verband hat bald keine Disziplin mehr, in der er nicht mit dunkelhäutigen Ausländern operiert. Die Reaktion des Publikums ist bestürzend für die herrschenden Gutmenschen: Die Leute schalten das schöne Multi-Kulti-Fernsehprogramm einfach ab und surfen statt dessen einfach im Internet auf bösen, "rechtsradikalen" Seiten. Leichtathletik-Veranstaltungen finden vor fast leeren Rängen statt - niemand will die "Negerwettkämpfe" mehr sehen. Und im Fußballstadion pfeifen die bösen Zuschauer die armen Neger gnadenlos aus - und scheren sich einen feuchten Kehricht darum, daß die politisch korrekte Journaille sie darob als "Rechtsradikale" und "Neo-Nazis" beschimpft.

Die Italiener - deren Privatfernsehen ihnen solche Programme erspart - wählen zu Beginn des 21. Jahrhunderts erneut den bösen Fernseh-Mogulen Berlusconi an die Macht, in Koalition mit Leuten, die sich für so altmodische Dinge einsetzen wie den Erhalt der spezifisch lombardischen Regional-Kultur in Nord-Italien. Ja, die Italiener verweigern sich der im übrigen Europa verbreiteten Definition des "Multikulti" - sie verstehen darunter nicht das Nebeneinander inkompatibler Kulturen, sondern die Aufrechterhaltung der unterschiedlichen Facetten der eigenen Kultur, und das macht sie Dikigoros sympatisch. Vielleicht liegt es daran, daß viele Italiener - wie Dikigoros - einen Blick über den großen Teich geworfen haben, in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, dessen Entdeckung sie irrtümlich ihrem Landsmann Colombo zuschreiben: Auch dort hatten verantwortungslose Politiker einige Jahrzehnte lang versucht, nach Zerschlagung der Einwanderer-Kulturen einen multi-kulturellen Einheitsbrei zu kochen, im "Melting-pot" (Schmelzkessel), der sich dann aber als Piß-pott erwies; und als das nicht klappte, haben auch sie die Bastardisierung gepredigt. Aber das Volk hat sich nach einer Generation mißglückter Experimente (deren Resultate man auch dort noch eine Zeit lang auf den Bildschirmen gezeigt hat, als "vorbildliche" Politiker und andere Entertainer) von diesem Politiker-Wahn abgewandt und seine Konsequenzen gezogen. Heute leben die Völker und Rassen in den USA auf eigenen Wunsch wieder getrennt (und bekämpfen einander bis aufs Messer; aber das ist eine andere Geschichte).

Weniger Sympathien als bei Dikigoros finden die "neuen" Italiener anderswo in Deutschland. Dort regieren inzwischen die Sozialisten in Koalition mit den "grünen" Kommunisten, die alles daran setzen, das Verhältnis zwischen den beiden Ländern zu (zer)stören. Im Sommer 2003 kommt es zum Eklat: Rotgrüne Chaoten aus Deutschland pöbeln im Europaparlament dessen Präsidenten, den italienischen Regierungschef Berlusconi an, weil der in Italien - als letztem Staat der EU, in allen anderen, auch der BRD, ist das längst eine Selbstverständlichkeit - ein Gesetz durchgeboxt hat, wonach hochrangige Politbonzen während ihrer Amtszeit nicht der Strafverfolgung unterliegen, es sei denn daß das Parlament ihre Immunität aufhebt. Berlusconi wird als "Rechtsbeuger" und "Fascist" beschimpft und poltert zurück: Der deutsche Oberchaot könne sich über den Fascismus mal informieren bei den Dreharbeiten zu einem Film, der in Italien gerade über dieses Thema gedreht werde; vielleicht könne er sogar mitspielen, als Kapo. Das ist ein böser Spruch, liebe Leser, auch wenn ihn der doofe Chaot gar nicht richtig verstanden hat, denn Kapos, das waren in den Konzentrationslagern des Dritten Reiches die Sozialisten, Kommunisten und andere Berufsverbrecher, die sich für die Drecksarbeit hergaben, für die sich die SS-Leute vom offiziellen Wachpersonal zu schade waren: das Schikanieren, Drangsalieren und Zusammenschlagen der jüdischen, schwulen, religiösen u.a. Gefangenen. Der rotgrüne Chaot weiß - oder empfindet - wohl nicht, daß diese Leute hundertmal schlimmer waren als die "echten" Nazis und schreit laut auf, daß man ihn als "Nazi" verunglimpft habe. Sein Parteichef, der deutsche Kanzler, der es in wenigen Jahren bereits fertig gebracht hat, fast alle Freunde Deutschlands vor den Kopf zu stoßen und zu vergraulen, packt auch in Italien wieder voll in die rotgrüne Scheiße: Er sagt mit großem Propaganda-Aufwand seinen Italien-Urlaub ab, der schon fest geplant und gebucht war (und daher auch bezahlt werden muß - mit Steuerzahlergeldern in sechsstelliger DM-Höhe; ein Glück, daß es inzwischen den Teuro gibt, da ist es "nur" fünfstellig; seit den Italien-Zügen Kaiser Barbarossas im Mittelalter ist kein deutscher Politiker mehr mit einem derartig aufgeblähten Hofstaat und einem derartigen Kostenaufwand über die Alpen gefahren - schon gar nicht zum Privat-Vergnügen). Der Staatssekretär im italienischen Tourismus-Ministerium - ein nicht minder undiplomatischer Mensch - hält voll dagegen und erklärt, man habe sowieso die Nase voll von den arroganten, lärmenden, blonden Teutoten, welche die italienischen Strände verpesten. Sein Regierungschef, aufgefordert, sich für den "Kapo-Vergleich" zu entschuldigen, erklärt sarkastisch, er bedaure zutiefst, daß die deutschen Politiker so dumm seien, einen harmlosen Satz derart mißzuverstehen - und er schätzt sie ganz richtig ein, denn sie verstehen auch diese seine Erklärung nicht (Italienisch spricht von den Deppen ja eh niemand, einige können kaum Hochdeutsch :-), sondern lesen nur die ersten paar Wörter der Übersetzung: Aha, Berlusconi bedauert zutiefst... diese vermeintliche "Entschuldigung" wird akzeptiert, und damit ist die Sache erledigt. Der Kanzler und sein Hofstaat buchen ihren Italien-Urlaub noch einmal (und die Steuerzahler berappen noch einmal einen sechsstelligen Betrag, denn die alten Reservierungen sind natürlich verfallen), und damit ist - nachdem auch der Staatssekretär für Tourismus seinen bösen Satz zurück genommen und sich ausdrücklich entschuldigt hat (sogar mit einer echten Entschuldigung, nicht bloß mit einer neuerlichen Verarschung der dummen Teutonen, wie sein Chef) - alles wieder Friede, Freude, Eierkuchen, wenigstens auf dem Papier, denn Papier ist bekanntlich geduldig...

Nun wissen Dikigoros treue Leser ja, daß er nichts gegen Türken in der Türkei, gegen Neger in Afrika und gegen Deutsche in Deutschland hat; aber im Urlaub möchte er auch mal seine Ruhe vor ihnen haben, besonders vor den Typen, wie sie den Ballermann auf Mallorca oder die Costa Germanica bevölkern, und da kann er den italienischen Staatssekretär für Tourismus irgendwie schon verstehen - aber das hört natürlich in Deutschland niemand gerne. Jeder, der bis drei zählen kann, weiß: Der böse Satz, der dem Staatssekretär da spontan heraus gerutscht ist, kam aus dem Grunde seines Herzens und war ehrlich gemeint; die verlogene Entschuldigung dagegen erfolgte allein aus politischen Gründen, um seinen Posten zu retten (was ihm nicht gelang, er mußte "freiwillig" zurück treten). Die Römer fürchten und hassen die Teutoten wie eh und je, die Italiener haben ohnehin nie die Deutschen, sondern immer nur die Deutschmark geliebt, die sie ihnen mitgaben oder -brachten; und umgekehrt war Italien halt vor allem deshalb als Reiseziel beliebt, weil die schwache Lira billiges Urlauben ermöglichte. Nun, da es nur noch den gemeinsamen Teuro gibt und auch die letzten Deutschen entdeckt haben, daß das Wasser und die Strände an der kroatischen Adria oder an der türkischen Côte d'Azur viel sauberer sind (und Bratwurst, Sauerkraut und Bier viel billiger) als an der italienischen Ost- oder Westküste, verkünden sie das auch ganz offen. Wie gesagt, die Zahl der deutschen Italien-Reisenden war schon seit Jahren rückläufig - auch wenn man sich krampfhaft bemüht hat, diese Statistik geheim zu halten. Einzige Ausnahme war eine kleine, "elitäre" Schicht linker Staatsknete-Abzocker, die so genannte "Toscana-Fraktion", die es vornehmlich in die teuerste Ecke Italiens zog, das alte Etrurien, wo sie unter sich waren, unbelästigt von armen Italienern und geizigen deutschen Billig-Urlaubern; nun bleiben auch sie aus politischen Gründen aus - die Geschichte der deutsch-italienischen Reisen ist also an ihrem traurigen Ende angelangt. Während Dikigoros dies schreibt, ißt er eine Pizza, trinkt dazu einen italienischen Rotwein, hört eine CD mit seinen Lieblings-Canzonen und überlegt, wohin er dieses Jahr in Urlaub fahren soll - vielleicht endlich mal wieder an den Lago Maggiore, in der Hoffnung, daß seine Frau und er dort nicht mehr allzu viele Deutsche treffen werden.

[Lago Maggiore]

weiter zu Die weiße Burg am blauen Fluß

zurück zu Kreuzfahrer und Troubadoure

heim zu Reisen durch die Vergangenheit