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Nachtrag

 

18.  Antons Arbeit für das Herzogtum Sachsen-Koburg-
Gotha und für die Erhebung des Hauses Koburg auf die Throne von Belgien, Portugal und England; sein Tod (21. Jan. 1840).  Hans Georg als Minister des Kultus und des öffentl. Unterrichts; sein Tod (18. März 1840) und sein Gesamtbild

ie Umstände, die Anton von Carlowitz im Jahre 1824 aus dem Königreich Sachsen nach Koburg führten, ebenso die verantwortungsvolle und erfolgreiche Arbeit, die er dort auf den Ausgleich der Sukzessionsstreitigkeiten unter den Ernestinischen Wettinern und auf die Ordnung des Staates und seiner Finanzen verwendet hat, ist an verschiedenen Stellen des Buches (S. 157 f., 169, 222, 247, 265 f.) berührt worden.  Daß Anton auch zu den eifrigsten Vorkämpfern des mitteldeutschen Handelsvereins gehörte, die trotz aller Gegensätze doch dem größeren Preußisch=Deutschen Zollverein den Weg bereiten halfen, lasen wir auf Seite 237 ff.

Eine ganz besonders erfolgreiche Arbeit von europäischer Wichtigkeit leistete Anton von Carlowitz für sein Herzogshaus und damit auch für das Gesamthaus Wettin, indem er zwei Prinzen des Sachsen=Koburgschen Astes durch klug und ausdauernd geführte Verhandlungen auf Königsthrone und einen dritten, Albert, den Sohn des Herzogs Ernst I. von Sachsen=Koburg, zum Prinzgemahl einer Königin erheben half.  Leopold, der jüngere Bruder des Herzogs Ernst I., wurde als Leopold I. 1831 König von Belgien, sein Bruder Ferdinand 1837 König von Portugal, während Albert, der jüngere Sohn des Herzogs Ernst I., 1840 als Prinzgemahl die Königin Viktoria von England heiratete und dadurch der Stammvater des jetzigen englischen Königshauses wurde.  Den Vollzug dieser wichtigen Heirat (am 10. Febr. 1840) hat Anton von Carlowitz nicht mehr erlebt — er starb einige Wochen zuvor, als man schon die Vorbereitungen zur Hochzeit traf und sein Herzog ihn zum Dank für seine Arbeit in den Grafenstand erheben wollte.

   Aber Antons Anteil an diesen für seine Zeit hochwichtigen Ergebnissen ist noch außerdem festgestellt durch den letzten Brief, den er an seinen Bruder geschrieben hat.  Dieser Brief ist eins der wichtigsten Dokumente der Geschichte jener Zeit:

*

Koburg, 29. 11. 1839.  (G. A. H. Anton.) „Ich Kann Dir nunmehr die ganz verbürgte Nachricht geben, daß Gott Lob und Dank die englische Vermählung unsers Prinzen ganz fest und abgemacht ist.  Unsere Prinzen sind seit vorgestern wieder hier, und heute hat es mir der Prinz Albert mit allen Details selbst erzählt.  Du glaubst nicht, was das mir für Freude macht, an dieser Sache wurde seit langer Zeit gearbeitet, und zuweilen stand sie Sache noch recht ungewiß.  Nun soll jemand es versuchen und das sächsische Haus erschüttern wollen, diese Wurzel soll hoffentlich tief eindringen, und so leicht wie 1815 soll es nicht wieder werden, im Gegenteil, ich hoffe, wir wollen dann das Haus Sachsen wachsen sehen.  Daß ich dieses hier mit erlebe, wenn Du willst, mit dabei wirksam sein konnte, dies danke ich sehr dem Himmel, es gehört zu meinen hauptsächlichsten Glücksereignissen.  Das wird selten erlebt werden, daß man drei Königskronen binnen 10 Jahren in ein Herzogshaus fallen sieht.  Der junge Herr soll uns Ehre machen, er ist ein allerliebster Jüngling, und bei allen Vorzügen des Verstandes und der äußeren Erscheinung hat er noch die frühere Bescheidenheit.  Er war heute vormittag den ganzen Morgen mit mir in diesen Sachsen beschäftigt, und dabei war er so natürlich und vernünftig, auch habe ich ihm wie dem jungen Handbat[1] das Wort abgenommen, daß er für das Haus Sachsen das lebhafteste Interesse haben und dafür sorgen wolle, daß diese Verpflichtung in seinem Stamme nie erlösche.

In diesem Monat wird die Königin es dem Konseil eröffnen, dann soll es dem Parlament mitgeteilt werden, welches dem Prinzen die Apanage bewilligen wird.  Im Dezember werden dann drei englische Lords hierherkommen und dem Prinzen die Sache notifizieren und ihm zugleich die Ernennung zum Feldmarschall sowie den Hosenband=Orden überreichen.  Diese Zeremonie wird nun wahr=scheinlich in Gotha sein.

Zum Schluß des Monats Januar geht der Prinz mit dem Herzog fort, und in dem Anfange Februar wird die Vermählung sein.  Gewiß teilst Du meine Freude über dieses gelungene Werk, ich bitte Dich aber, von der Sache und den speziellen Bestimmungen nicht zu sprechen, bis die öffentliche Notifikation in England geschehen.  Unser Erbprinz kommt in künftiger Woche nach Dresden, spricht dieser davon, dann sei Dir die Sprache gern auch gelöst.

Mit großer Freude habe ich gehört, daß Dir es besser gehe, auch mir geht es gut, allein ich habe jetzt eine Hauptkur vor, ich nehme die englischen Betern friend.  Morizzean[2] Betern, auf den Rat des Arztes, welche auf eine Art wirken, die schlimmer wie Karlsbad ist, dabei aber stärken.  Zugleich sage ich Dir zu Deiner Beruhigung, daß man mir ein Fontanell auf den Arm mit Gewalt aufdisputierte.

Nun lebe wohl und behalte lieb
                                                Deinen
                                                        unerschütterlich treuen Bruder
                                                                           Anton.

 

Nachschrift.  Albert und Ernst kannst Du etwas sagen, aber verschließe ihnen den Mund.”

*

Freilich von den Hoffnungen, die Anton im Vollgefühl des Erreichten an diese drei Erhebungen Koburgischer Prinzen geknüpft hat, ist wenig in Erfüllung gegangen, und gerade im Weltkrieg mußten wir die Erfahrung machen, daß sowohl in Brüssel wie in London die deutsche Abkunft der regierenden Häupter vor dem Ränkespiel der deutschfeindlichen Politik völlig in den Hintergrund getreten war.

Mit der erfolgreichen Vorarbeit für die Vermählung des Prinzen Albert mit der Königin Viktoria hatte Anton den Höhepunkt seines Lebens erreicht.  Er starb, erst 55 Jahre alt, am 21. Januar 1840, und zwar nach dem Zeugnis des Arztes, der die Obduktion vollzogen hatte, unter den Erscheinungen einer Lungen= und Herzlähmung infolge „einer enormen Fettanhäufung … an dem Klappenringe der Aorta fand sich eine kranzförmige Verknöcherung, welche aus einzelnen muschelförmigen Knochenblättchen bestand”.

Unter den Kundgebungen der Teilnahme ist der an Hans Georg von Carlowitz gerichtete Brief des Königs Friedrich August II. von Sachsen bemerkenswert (S. 285) und die zusammenfassenden Schilderungen seines Wesens und Wirkens in den Zeitungen und Nekrologen, z. B. in der Gothaischen Zeitung vom 28. Januar 1840.  Diese stammt offenbar aus einer offiziösen Feder.  Auch aus amtlichen Quellen, denen vermutlich Hans Georg v. C. einige intime Züge hinzugefügt hat, ist der Artikel über Anton v. C. geschöpft, der im Neuen Nekrolog der Deutschen, 18. Jahrg. S. 113—117, abgedruckt ist.  Wir entnehmen diesen Nekrolog folgende Sätze:  „Die ebenso geschickte und umsichtige Leitung der ihm anvertrauten Geschäfte, unter denen namentlich die gütliche Vermittlung der gotha=altenburgischen Sukzessionsfrage bemerkt zu werden verdient, und die musterhafte Treue, seine ganze diesem Berufe gewidmete Tätigkeit und die aufopfernde Hingebung im Dienste des Herzogs erwarben ihm schnell das gänzliche Vertrauen und die Freundschaft seines neuen Landesherrn.  Für v. C.s Anhänglichkeit an die Person desselben und seine Dankbarkeit für das ihm bewiesene Vertrauen zeugt, daß er die ihm 1831 angetragene Stelle eines Königl. Sächs. Staatsministers der Finanzen abwies, eine Stelle, zu der er gewiß vorzügliche Befähigung hatte, die weit einbringlicher war, als seine bisherige, und die ihn in sein Vaterland so ehrenvoll zurückrief …

… Strenge Rechtlichkeit, welche die Arbeitsamen auch ohne Geburtsrechte schätzte und förderte, freundliche Herablassung und Anspruchslosigkeit und herzliches Wohlwollen, das bald zur Freundschaft wurde, erwarben ihm die Liebe seiner Untergebenen …

… Er war der Stolz, der Ratgeber, der Liebling seiner ganzen Familie, der er mit wahrer Freundschaft und Anhänglichkeit zugetan war …”

Unter den Andenken an Anton von Carlowitz, die das Carlowitzische Geschlechtsarchiv in einer Mappe enthält, befindet sich auch die schöne Zeichnung des Denkmals, das ihm der Herzog auf dem Friedhofe errichten ließ.  Auf dem mit dem Carlowitzischen Wappen geschmückten klassizistischen Sockel steht eine griechisch gekleidete Frauengestalt an einer der Lorbeerkranz tragenden Inschriftensäule und blickt trauernd in die Ferne hinaus.  Unten liest man die Verse:

Bis zum Tode der heiligen Pflicht
Und dem hohen Beruf treu
Erntet der Edle den Lohn,
Welcher der Treue gebührt.

Und die Widmung: „Dem wiesen Staatsmann, dem treuen unermüdlichen Diener seines Herrn, dem edlen Freunde gewidmet von Ernst, Herzog zu Sachsen=Koburg und Gotha.”

*

Es folgen nunmehr zwei zu Antons Tod in Bezug stehende Briefe, der seines Bruders Hans Georg, der zwei Tage nach dem Tode Antons geschrieben ist, mit seinem durch den Kontrast zur Wirklichkeit auffallenden Eingange, und das Beileidsschreiben des Königs Friedrich August II. an Hans Georg.

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Hans Georg an Anton v. C.

Dresden, 23. 1. 1840.  „Du lebst jetzt in Saus und Braus, in Jubel und Freude und läßt nichts von [Dir] hören, als in den Zeitungen.  Bald wirst Du wieder allein regieren, und solange Du Regent bist, ist auch nicht viel mit Dir zu reden.  Mich hält das aber nicht ab, Dir zu schreiben, wenn ich überhaupt schreiben kann, was aber nicht alle Tage tunlich ist.

Der General Senfft und der Leutnant Zehmen haben mich besucht und mir alles, was sie wußten, von Dir erzählen müssen.  Im ganzen habe ich mich über ihre Nachrichten gefreut, denn sie sagten, daß Du tätig wie immer und recht heiter seist, nur das will mir nicht gefallen, daß die Wunden im Fuße zugeheilt sind und Du zuweilen Stockungen hast.  Letzteres ist vielleicht Folge des ersteren, und ich bitte Dich daher recht dringend, die Sache nicht für gleichgültig zu halten und außer Deinem Homöopathen noch einen anderen Arzt zu fragen.  Was könnte es Dir schaden, wenn Du ein Fontanell hättest nach dem Maße Deiner Korpulenz?  Ein solches Ding tut Wunder.  Wenn mein Fontanell, das ich seit 20 Jahren habe, eingeht, was einige Male geschah, gleich tritt mein Herzschmerz wieder ein er hört aber auch sofort wieder auf, wenn ich die Wunde öffne.  Sage mir zu meiner Beruhigung, wo Du das Fontanell brauchst, auch wie es mit den Stockungen bewandt sei und wie es mit den Drüsen am Hals geht.  Letztere müssen erblich sein, denn auch Ernst leidet seit kurzem sehr daran.

Deutrich wird Dir gewiß sehr leid getan haben.  Leipzig verlor an ihm das verständige Prinzip, und der Landtag den einzigen Mann, der eine genaue Kenntnis des sächsischen Finanzwesens, überdies auch höhere Finanzansichten als der Finanzminister selbst hatte.  Er besuchte mich noch eine Stunde vor seiner Abreise nach Leipzig und sah zwar etwas elend aus, aber das hätte niemand gedacht, daß er nach 2 Tagen tot sein würde.  Albert ist an seiner Stelle zum Vizepräsidenten der I. Kammer mit großer Stimmenmehrheit gewählt und hierauf ernannt worden.  Er macht seine Sache so gut, daß die demagogischen Zeitblätter sich gar nicht beruhigen können und ihn ohne Erfolg schimpfen …”

 

König Friedrich August II. an den Staatsminister Hans Georg v. C.

Dresden, Januar 1840.  (G. A. H. Anton.) „Als ich Ihr Schreiben erhielt, hatte ich eben durch den Minister von Könneritz die Trauernachricht erhalten und stand im Begriffe, Ihnen meine innigste Teilnahme schriftlich auszusprechen.  Ich hatte zu vielfach Gelegenheit, Ihren Herrn Bruder als Menschen und Geschäftsmann schätzen und achten zu lernen, als daß mich nicht dessen unerwarteter Todesfall auf das lebhafteste schmerzen sollte; am nächsten geht mir aber Ihr Schmerz über den Tod eines geliebten Bruders, und ich kann nichts wünschen, als daß dieser unerwartete Schlag auf Ihre ohnedem so erschütterte Gesundheit nicht nachteilig einwirken möge.
                                                                                   Friedrich.”

*

Die Nachricht vom Tode Antons v. Carlowitz hat keinen Menschen tiefer getroffen als den einzigen noch lebenden der drei Brüder:  Hans Georg.  Wir hatten sein Leben bis nahe an den Punkt verfolgt, wo ihm der Tod den Menschen entriß, den er nach Jeanette am meisten liebte, seinen „ältesten und besten Freund”, seinen Bruder Carl Adolf (20. 1. 1837).  Aber noch bevor ihn dieser schwere Schlag traf, hatte man neue Lasten auf seine, wie es schien, unermüdlichen Schultern gelegt.  Als Minister des Innern hatte er einen großen Teil der Arbeit und Verantwortung zu tragen, die der Bau der von dem genialen Friedrich List seit 1833 geforderten ersten großen deutschen Eisenbahnstrecke Leipzig—Dresden mit sich brachte.  Dann war am 7. März 1836 der um die Hebung des sächsischen Schulwesens sehr verdiente Kultusminister Müller gestorben, und die Regierung war in Verlegenheit, wem sie diesen Posten übertragen sollte, da nicht nur die wirtschaftliche Hebung des Lehrstandes und verwandte Fragen auf dem Programm standen, sondern auch die alten Gegensätze zwischen Protestantismus und Katholizismus zu einem Ausgleich drängten.  Über dieses Problem hat Hans Georg am 22. Mai 1836 an seinen Bruder Carl Adolf aus Dresden geschrieben:  „Erhalte Dich der Himmel nur gesund und länger als mich, denn einen 60jährigen Freund [= einen, den man 60 Jahre zum Freund hat] darf man nicht überleben wollen.  Was mich betrifft, so kennst Du mein Leben.  Gesund bin ich immer, aber die Geschäfte wachsen wie eine Lawine, und fertig werde ich nun in meinem Leben nie wieder.  Man ist bei Hofe und im Lande sehr mit mir zufrieden, daher würde es mir wehtun, wenn ich meinen wichtigsten Posten gegen einen anderen vertauschen sollte.  Gleichwohl ist möglich, daß dies geschehe, eben darum, weil der Hof so vorzugsweise mit mir zufrieden ist und das schwierigste Verhältnis jetzt im Kirchen= und Unterrichtswesen gefunden wird.  Im Inneren habe ich die Posten gut besetzt, man hat Vertrauen zu der Regierung gewonnen und sucht, daß, wenn es gilt, nicht kapituliert werde; dagegen ist im geistlichen Departement alles eingeworfen und nichts gebaut.  Die Landschulen sind Fütterungsanstalten für die Lehrer geworden, Landplagen für die Gemeinden; die höheren Schulen jakobinische Pepiniären, die Universität ist auf den Kopf gestellt und die verdientesten Professoren sind die unzufriedensten, was aber das schlimmste ist, ist der Verfolgungsgeist, den man gegen die Katholiken erregt hat, wodurch eine Reaktion hervorgerufen wurde, welche ihren Stützpunkt in Wien sucht und selbst die regierende Familie in die schwierigsten Konflikte verwickelt, sogar verpopularisiert.  Unter diesen Umständen ist die Absicht des Hofes, mir das Kultusministerium zu übertragen, und ich kann einer diesfallsigen Entschließung als wahrscheinlich entgegensehen, wenigstens hat schon der König [Anton] geäußert, daß er allein zu mir das Vertrauen fassen könne, das alte Gleichgewicht wiederhergestellt zu sehen …”

Am 6. Juni 1836 starb der alte König, und Friedrich August II. bestieg den Thron; sein Reskript vom 15. Juni dieses Jahres ernannte Hans Georg v. C. zum Minister des Kultus und öffentlichen Unterrichts mit dem ehrenvollen Zusatze:  „Er möge sich dieser neuen Funktion mit der stets in ausgezeichneter Weise dargelegten Einsicht, Geschicklichkeit und Berufstreue unterziehen.”  Als Hans Georg das ihm übertragene neue Amt auf seine Schultern nahm, war er bereits 64 Jahre alt, aber er übernahm es mit jenem Heroismus der Arbeit, den wir als einen Grundzug seines Wesens kennen.  Zunächst handelte es sich darum, den konfessionellen Frieden in Sachsen durch genaue Abgrenzung der Rechte der katholischen Kirche zu fördern.  Von der Akten, die im sächsischen Volksbildungsministerium aufbewahrt werden, ist für diese Seite der Tätigkeit Carlowitzens am wichtigsten:  „Acta die Regulierung der Verhältnisse der katholischgeistlichen Behörden zur Staatsregierung betr.” (Arch. Sect. 7a, Nr. 14, Loc. VII, Nr. 20b it. C).  Darin findet sich das von Carlowitz eigenhändig durchkorrigierte „Regulativ die Ausübung der weltlichen Hoheitsrechte über die Katholische Kirche im Königreich Sachsen betr.” nebst den Motiven zu den 23 Paragraphen dieses Regulativs und anderer auf das sog. jus circum sacra sich beziehende Entwürfe und auch auf fol. 63 ff. eine „Denkschrift die Verhältnisse der katholischen Kirche im Königreich Sachsen betr.”.  Der von Carlowitz gelieferte Teil dieser Akta schließt fol. 84 mit den Drucken der päpstlichen und der königl.=preuß.  Erlasse aus Nr. 367 der Allgemeinen preußischen Staatszeitung vom 31. Dezember 1838.  Sie behandeln den Streit um die Geltung der religiös=gemischten Ehen und um die Religionszugehörigkeit der aus ihnen hervorgegangenen Kinder.  Man hat beim Lesen des Aktenstückes den Eindruck, daß die Hoheitsrechte des Staates gegenüber den Ansprüchen der katholischen Kirche durch Carlowitz mit Entschiedenheit, doch ohne Härte gewahrt worden sind, und daß er sich um die Erhaltung des konfessionellen Friedens in Sachsen verdient gemacht hat.  Daß auch Prinz Johann die Tätigkeit Carlowitzens nach dieser Richtung hin schätzte, geht daraus hervor, daß er an ihn eine Denkschrift über die religiös=gemischten Ehen richtete (s. S. 251).  —

Bezüglich des Volksschulwesens sah sich Carlowitz der Aufgabe überhoben, eine durchgreifende Umgestaltung vorzunehmen, da diese schon sein Vorgänger Müller geschaffen hatte.  Mit Recht sagt Mencke=Glückert (Zur Neuordnung des höheren Schulwesens in Sachsen, Dresden 1926, S. 2):  „Das Volksschulgesetz von 1835 stellte zuerst die Volksschule auf eine sichere und weithin Deutschland bewunderte Grundlage.”  Aber in der äußeren Organisation des Unterrichtswesens spürte man die ausgezeichnete Verwaltungstätigkeit des neuen Ministers.  Er förderte, wo er nur konnte, den Bau neuer Schulhäuser und Lehrerwohnungen und regelte die Pensionen der Hinterbliebenen von Geistlichen und Lehrern durch neue Gesetze.  Überdies hat Carlowitz von jeher an der Verbesserung des Unterrichtes und der Hebung der Lehrerschaft tätigen Anteil genommen (vgl. S. 89).  Schon in seiner unbesoldeten Amtshauptmannszeit hatte er in Verbindung mit seinem Bruder Carl Adolf durch anonyme Inserate im Freiberger Tageblatt die „Dunkelmänner” bekämpft, später fanden die auf Verbesserung der Volksbildung gerichteten Bestrebungen des „sächsischen Pestalozzi”, Gustav Dinters, seinen lebhaften Beifall.  Dinter, der 1760 geborene Sohn eines Juristen aus Borna, Pfarrer in Kitscher, war 1797 zum Direktor des Lehrerseminars in Dresden=Friedrichstadt ernannt worden und hatte durch die Erweckung von „Spontaneität” in seinen Schülern und durch seine „sokratische Lehrweise der ihm anvertrauten Schule” in hervorragender Weise Glanz und Bedeutung gegeben.  Leider mußte er schon 1807 wegen Krankheit sein Amt niederlegen, hatte aber später als Organisator des Landschulwesens in Ostpreußen und als außerordentlicher Professor an der Universität Königsberg Großes geleistet, bis ihn 1831 der Tod hinwegraffte.  Carlowitz nimmt an verschiedenen Stellen seiner Briefe auf ihn Bezug:  er bemüht sich um die Verbreitung seiner Lehrpläne und um das von Dinter 1807 in der Nähe von Borna gegründete Pensionat, s. S. 62 und 89 (vgl. Ernst Gehmlich, Gustav Dinter im Dresdner Anzeiger, Wissenschaftliche Beilage Nr. 24 vom 16. Juni 1831).

Verhältnismäßig wenig ist von der Tätigkeit des Ministers von Carlowitz für die „Gelehrtenschulen” des Landes bekannt.  Konrad Seeliger sagt in seiner vortrefflich orientierenden Schrift über „Theodor Vogel” (N. Jahrb. F. Pädogogik XVII [1914] S. 303) mit Beziehung auf das höhere Schulwesen Sachsens:  „Es wäre wohl schneller zu der endgültigen Einführung einer allgemeinen Schulordnung gekommen, wenn Müller nicht im März 1836 seiner tatkräftigen Wirksamkeit durch den Tod entrissen worden wäre.  Sein Nachfolger Hans Georg v. Carlowitz, ein Mann, der die Sechzig bereits überschritten hatte, tat nichts für die Durchführung der Beschlüsse der Rektorenkonferenz (s. u.), wie es scheint, aus Nachgiebigkeit gegen die die Kosten scheuenden Städte, so daß insbesondere der mathematische Unterricht an der Mehrzahl der Gymnasien aus Mangel an Mitteln für die Besoldung geeigneter Lehrkräfte hinter ihnen (den Beschlüssen der Rektorenkonferenz) zurückblieb.” Bei diesem etwas schroffen Urteile sind die Zeitumstände, unter denen Carlowitz Kultusminister war, nicht genügend berücksichtigt.  Ein an sich vortrefflicher Gesetzentwurf „Die Verfassung der Gelehrtenschulen betr.” aus der Feder des bedeutendsten sächsischen Schulmannes jener Zeit, des Geh. Kirchen= und Schulrats Dr. Schulze (s. Seeliger, a. a. O.) vom Jahre 1834 war schon unter dem Ministerium Müller im Landtage auf so starken Widerstand gestoßen, daß ihn die Regierung, d. h. also in diesem Falle der Minister Müller, zurückzog, weil auch er die Bewilligung der finanziellen Lasten, die für eine größere Anzahl von Städten mit der Durchführung des neuen Lehrplanes verbunden gewesen wäre, nicht durchsetzen konnte.  Müller hatte sich dann damit begnügt, beim Landtag 1833/34 einen Zuschuß von 7000 Talern jährlich für die notleidenden städtischen höheren Schulen bewilligen zu lassen, und hatte vom 29. Juni bis zum 6. Juli 1835 mit der ersten von ihm berufenen Rektorenkonferenz einen provisorischen Lehrplan vereinbart, der aber an verschiedenen Stellen, z. B. an den Fürstenschulen, nur mit Modifikationen durchgeführt wurde.  Dieser unklare Zustand war die Erbschaft, die Carlowitz übernahm.  Er schritt aber auf der von Müller eingeschlagenen Bahn weiter, indem er den Geh. Rat Schulze als Dezernenten beibehielt und auch fortfuhr, den städtischen Gelehrtenschulen höhere Zuschüsse — jährlich 10 000 Taler — vom Landtage zu vermitteln.  Ein neues Gesetz für die höheren Schulen durchzusetzen hielt er erst dann für möglich, wenn die veralteten und nicht mehr lebensfähigen Lateinschulen und Lyzeen, ein Erbteil der Reformationszeit, wie die von Marienberg, Löbau, Kamenz, Schneeberg, Annaberg aufgelöst wären.  Dieser langwierige Prozeß fand erst 1843 mit der Schließung des Lyzeums von Annaberg sein Ende, und danach erst erschien am 27. Dezember 1846 das neue Schulgesetz für die höheren Schulen Sachsens, durch das man zuerst auch die städtischen Gymnasien auf das Niveau der beiden Landesschulen zu erheben suchte (Th. Flathe, St. Afra, S. 377).  Diesen Zeitpunkt hat Carlowitz nicht erlebt, aber er hat in der Zwischenzeit mit Fleiß und Verständnis an der Besserung der höheren Schulen gearbeitet.  Wertvolles Material, um dies festzustellen, liefert z. B. die im Archiv des Ministeriums für Volksbildung aufbewahrte „Vortragsregistrande” über die Fürstenschulen Meißen und Grimma aus den Jahren 1836/1839.  Als ich die in diese Registrande eingetragenen Entschließungen des Ministers durchlas, sah ich zu meinem Erstaunen, daß etwa die Hälfte aller längeren Resolutionen von Carlowitz mit eigener Hand geschrieben ist.  Auch darin offenbart sich seine innere Teilnahme für das höhere Schulwesen.  Besonders der 1. Punkt der Verordnung vom 13. Februar 1837 bezüglich der Anzahl der Lehrstunden wurde weiter verfolgt und fand seinen vorläufigen Abschluß dadurch, daß der Kultusminister in Mai 1838 die Rektoren beider Fürstenschulen zu einer Konferenz nach Dresden berief, nach deren Beschlüssen die Maximalzahl der Lektionen für die oberen Klassen auf 27/29, für die unteren auf 30 ermäßigt wurde, während die erste rektorenkonferenz 1835 die wöchentliche Stundenzahl auf durchschnittlich 33 festgesetzt hatte.  Diese Verminderung der Lehrstunden fand statt, um Zeit für das eigene Studium der Schüler (Studiertage, Lektionen der Oberen an die Unteren usw.) zu gewinnen (Th. Flathe, St. Afra, S. 276 ff.).

Im Jahre 1838 wurde mit den Inspektionen beider Landesschulen über den Wert und die Wichtigkeit des Unterrichts in der Physik verhandelt, über die Bedürfnisse des gymnastischen Unterrichts (Turnen) und die Verstärkung der Unterweisung in der Musik.  Das entsprach ganz den pädagogischen Anschauungen des Geh. Rats Schulze, der nicht nur den praktischen Nutzen des Turnens und der Musik, sondern auch den ästhetischen Wert beider Künste in seinem Lehrplan betonte.  Endlich erstattete der Rektor von St. Afra am 23. Dezember 1839, vermutlich nach einer entsprechenden Aufforderung des Ministers, Bericht über den Unterricht in der französischen und in der deutschen Sprache.  Man wird also mit Mencke=Glückert (a. a. O.) zugeben müssen, daß die Regierung das, was sie durch den Entwurf von 1834 (s. o. S. 270) erreichen wollte, aber nicht erreicht hatte, doch nicht aufgab.  „Vieles davon führte sie im Laufe der nächsten Jahre durch.”  Ein großer Teil dieses Verdienstes muß für den Minister von Carlowitz in Anspruch genommen werden.

*

Im Laufe der letzen Jahre hatte sich der Gesundheitszustand Hans Georgs verschlechtert.  Seine Tochter, Frau Ottilie von Altenbockum, die im Sommer 1839 ihren Onkel Anton in Karlsbad besucht und mit ihm zum Besuche ihres Vaters nach Teplitz gereist war, schreibt von diesem:  „Er litt viel an Rheumatismus im Kopf, Genick, Rückgrat und Händen.”  Die schon früher vorhandenen Ansätze zu solchen Krankheiten waren verstärkt worden durch die ihm auferlegte und eigentlich nie wieder von ihm genommene Arbeitslast.  Die Teplitzer Kur hatte ihm nur vorübergehend geholfen.  Dann kam wenige Tage nach dem 21. 1. 1840 die Trauerkunde vom Tode seines Bruders Anton.  Ottilie schreibt:  „Er wurde durch den Tod seines lieben Bruders so ergriffen, daß ihm die Gicht auf das Herz fiel …”

Aber seine amtlichen Obliegenheiten erlitten keine Unterbrechung.  Eben war er mit der Aufstellung des neuen Haushaltplanes beschäftigt, da starb er am 18. März 1840 in seiner Wohnung (Dresden=N., Hauptstraße 139, jetzt Nr. 11 im 1. Oberstock) im Alter vom 67 Jahren und reichlich 3 Monaten.  Der letzte eigenhändige Eintrag Hans Georgs v. Carlowitz in die Vortragsregistrande von St. Afra ist vom 14. März 1840, vier Tage vor seinem Heimgange.  Mit ihn war der letzte der drei Carlowitzischen Brüder dahingegangen.  Er hatte es sich anders gewünscht, da er, je älter er wurde, desto mehr der Überzeugung war, ohne seinen älteren Bruder und ohne den jüngsten nicht leben zu können.  Denn er schrieb schon am 7. September 1836 an Carl Adolf:  „Und da doch einmal in dieser Welt geschieden sein muß, so lasse er mich den ersten sein, der aus dem Kleeblatte der drei verbundenen Brüder fällt.”

Da Hans Georg als amtierender Minister gestorben war, wurde ihm in Dresden ein besonders großartiger und feierlicher Leichenzug zuteil.  „Die Behörden und Wagen begleiteten ihn bis an die Grenzen der Stadt, in Freiberg empfing ihn die Geistlichkeit, das Seminar und die Schulen der Dörfer der Umgegend.”  Aber tiefer als dieses kalte Gepränge ergreift uns der Augenblick, wo sich der Leiche Hans Georgs der stille, von ihm selbst angelegte und mit Bäumen umpflanzte Carlowitzische Begräbnisgarten öffnete und seine irdischen Reste mit denen seiner bis zum Tode geliebten Jeanette vereinigte.  Diese Stätte, ein selbständiger Teil des hoch gelegenen Kirchhofes von Oberschöna, ohne jeden andern Schmuck als den eines eichenen Kreuzes und der marmornen, von Efeu umrankten Grabplatten, ist in seiner ganzen Schlichtheit und Natürlichkeit erhalten.  Eine zu Häupten Jeanettens gepflanzte Traueresche hat sich in geringer Höhe gezwieselt und hat hinüber zu Hans Georgs Grab einen zweiten Stamm von solcher Stärke und Verästelung getrieben, daß er auch dessen Haupt und Herz beschattet, ein lebendiges Symbol dafür, daß auch der Tod die Gemeinschaft dieser beiden nicht zu scheiden vermochte.

*

Fast 14 Jahre hatte Hans Georg die Unvergessene überlebt.  Jetzt war der Todesschwur, den er als brausender Jüngling seinem Friedrich von Hardenberg geleistet hatte, erfüllt, aber freilich in ganz anderem Sinne, als er einst geschworen hatte (S. 42 f.).  Selbst Novalis hatte sich noch auf dem Totenbette von der überheblichen Lebensverachtung hinweg für das Evangelium der Arbeit erklärt, und Carlowitz hatte vier Jahrzehnte Zeit, Willen und Kraft daran gewendet, dieses Evangelium in fast beispielloser Treue in eine der Allgemeinheit nützliche Kette von Gedanken, Plänen und Taten umzusetzen.  Sein Wesensbild gehört, gerade weil es aus den dunklen Tiefen der Ichheit emporsteigend sich bis zur lichten Höhe großzügiger Menschlichkeit und selbstloser Pflichterfüllung geläutert hatte, zu den anziehendsten und schönsten, die der obersächsische Adel hervorgebracht hat.  Seine veredelnde Kraft ist auch heute noch nicht erloschen, sie spricht in unserer Zeit deutlicher und mahnender zu uns als ehedem.  Sie hat schon vor der deutschen Revolution im stillen mitgewirkt in dem heimlichen Kampfe gegen den Marxismus und Kommunismus, sie war Helferin bei der Geburt des Staatsideals Adolf Hitlers und wird, aus dem Rahmen dieses Buches ins Leben hervortretend, weiterwirken bei der Erziehung und Bildung des neuen Staatsbeamtentums, das wir brauchen, um das neue Deutschland in den Sattel zu heben.



Ehrendegen für Hans Georg von Carlowitz, gestiftet von einer Anzahl Sächsischer Stände.


 


[1] Als Träger der Beziehungen zwischen Albert von Sachsen=Koburg und der Königin Viktoria gilt neben dem König Leopold von Belgien dessen Leibarzt und Privatsekretär Baron Stockmar.  Den Namen „Handbat” habe ich in der betr. englischen biographischen Literatur nicht gefunden.  Er wird also für eine vertraulich gebrauchte engl. Übersetzung des Namens Stockmar (handbat=Prügelstock) gelten müssen.  (S. Register.)

[2] Morrison war ein Erfinder von Abführmitteln; betern friend = bitterer Freund, ein Magenbitter?

 

 

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