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Vorwort
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Nachtrag

 


Petschaft und Siegelabdruck von Hans Georg von Carlowitz.
 

14.  Das neue Zeitalter seit 1815.  Metternich und die „Heilige Allianz“.  Anton von Carlowitz’ weiteres Aufsteigen.  Carl Adolf und seine Familie.  Hans
Georg v. C. sucht die wirtschaftliche Not der Weber
von Großhartmannsdorf zu heben.  Jubelfeier der Reformation (31. 10. 1817)

ach der Schlacht von Belle=Alliance und der Verbannung Napoleons auf das öde Felseneiland St. Helena eröffnet sich ein neues Welttheater, ein neuer Zeitraum der Geschichte, dessen innerstes Wesen zunächst auch den Mithandelnden verborgen blieb.  Die im September 1815 zu Paris geschlossene Heilige Allianz und die Wiener Schlußakte sollten eigentlich die Menschheit von den Freveln der Jakobiner und dem alles Volkstum und die alle Freiheit erstickenden Militärdespotismus des Korsen zu jener Heiligung zurücklenken, die unter dem Einfluß der Romantik den edelsten Geistern der europäischen Nationen als neues Ziel der Entwicklung vorschwebte.  Sie sollte, anknüpfend an die alten christlichen Gemeinschaften, die frei und brüderlich nebeneinander wohnenden Völker Europas anleiten, das verödete Leben mit einem neuen Inhalt von echtem Christentum und edler Menschlichkeit zu erfüllen.  Aber die besonderen Bedürfnisse Österreichs, das außer acht Millionen Deutschen mindestens acht Millionen von Italienern, Ischechen, Slovenen, Magyaren, Rumänen in sich schloß, drängten darauf hin, das Recht auf nationale Betätigung zu verleugnen, und der Wortführer dieser dem Selbstbestimmungsrecht der Völker widerstrebenden Staatslehre, Minister Metternich, wußte der „Heiligen Allianz” einen ganz anderen Sinn und eine ganz andere Auslegung zu geben.  Unter seinem Einflusse wurde das, was den Freiheitskämpfern von 1813/1815 als Heiligstes erschienen war, die Aufrichtung freiheitlicher und national geordneter Staaten, durch die Karlsbader Beschlüsse und die Teplitzer Punktation als demagogische Umtriebe und als Hochverrat hingestellt.  Metternich und seine Gefolgsleute, zu denen auch der sächsische Minister Graf Einsiedel gehörte, konnten dieses Spiel, das die den Völkern gemachten Versprechungen rücksichtslos beiseite schob, wagen, weil die Völker in einem Zustand vollkommener Erschöpfung vor allem nach Ruhe verlangten, um wieder eine geordnete Gütererzeugung in Schwung zu bringen und die allgemeine Armutei wieder durch einen bescheidenen Wohlstand zu ersetzen.  So erhielten in Deutschland nur die süddeutschen Staaten Bayern, Baden, Württemberg und dazu Weimar konstitutionelle Verfassungen, während Österreich, Preußen, Sachsen und die meisten norddeutschen Staaten bei den Trümmern der alten ständischen Einrichtungen beharrten (s. Lehmann, Stein III, 467 ff.).

Die Ansätze der Neugestaltung, die wir in Sachsen in den Jahren vor dem Freiheitskriege beobachten konnten (S. 104 f.), Ansätze, die fast alle dem Hans Georg von Carlowitz zu verdanken waren, wurden zunächst nicht weiter entwickelt.  Sogar das in Preußen nach dem Zusammenbruch des alten Staates (1807) so aussichtsvoll begonnene Werk der Bauernbefreiung kam ins Stocken, und in manchen Landesteilen zog sich die Ablösung der Fronden, des Dienstzwanges und anderer bäuerlicher Lasten bis in das Jahr 1842 hin.

Zu den vielen, die sich in Sachsen durch die neuen Verhältnisse enttäuscht fühlten, gehörte auch Hans Georg von Carlowitz.  Wir haben (S. 160 f.) gesehen, wie er sich am Ende des Freiheitskrieges in heißem inneren Kampfe zwischen den neuen von Stein gewiesenen deutschen Zielen und der altangestammten Liebe zur Heimat doch dafür entschieden hatte, in Sachsen und im sächsischen Staatsdienste zu bleiben und sein Land, je unglücklicher es war, mit um so größerer Liebe zu umfassen.  Aber das wurde ihm schwer gemacht durch die kühle Haltung des Königs, der unter Einsiedels Einfluß vor allem die Legitimität und Loyalität betonen zu müssen glaubte, und wohl noch mehr durch die Splitterrichterei derer, die während des russischen und preußischen Gouvernements, anstatt am Wiederaufbau des Landes zu helfen, die Hände in den Schloß gelegt hatten und sich nun damit brüsteten, als ob sie das aus Patriotismus getan hätten.  Ihn schmerzte auch die noch sehr unsichere Lage seines älteren Bruders, der ihn kurz vor Weihnachten auf der Durchreise nach Berlin, wo er sich vor Antritt seiner neuen Stellung (S. 156) beim König melden mußte, besucht hatte.  In einem Briefe an ihn entwirft Hans Georg von den in Sachsen herrschenden Strömungen und Stimmungen folgendes anschauliche, aber wenig erquickende Bild:

Dresden, 26. 12. 1815.  „Seit Deiner nächtlichen Durchreise nach Berlin (S. 156) habe ich nichts wieder von Dir gehört, und ich bitte Dich, wenn Du auch viele Geschäfte und Zerstreuungen hast, wenigstens von Zeit zu Zeit Nachricht zu geben, wie es Dir geht.  Ich bin schon arm an Freunden geworden, und meine besten sind durch die Zeitumstände entfernt, desto geiziger bin ich aber auf die wenigen, desto besorgter für ihr Schicksal, — und Du bist mir ja unter allen der älteste und nächste!  Eigentlich lebe ich hier nur noch mit meiner Frau und Anton; — aller anderer Umgang schränkt sich auf den ein, welchen die Dienstverhältnisse erfordern, und vom Gesellschaftlichen habe ich mich ganz entwöhnt.

Es ist unter die sonst im Durchschnitte guten Menschen eine Stimmung gekommen, an die ich mich nicht gewöhnen kann, die mir die schöne Vorzeit schmerzlich vor Augen stellt und die jedem Unbefangenen mißfällt.  Was Dich betrifft, so wünsche ich Dir in Deinen Verhältnissen Glück, daß Du einen fernern Standpunkt gefunden hast, der Dir ähnliche Beobachtungen ersparen läßt.  Für Dich wäre es unmöglich, hier eine frohe Stunde zu haben, und Du mußt durchaus davon ausgehen, daß es Dir weder hier noch auf Deinen Gütern möglich sein würde, angenehm oder auch nur ungekränkt zu leben.  Ein dunkles Gefühl von Parteisucht hat sich der mehrsten Menschen bemächtigt; man hat ganz vergessen, was ein und der andere Mensch Gutes getan, dem Lande oder den einzelnen genützt hat; die Bande der Freundschaft, der Dankbarkeit, der Achtung sind nicht mehr selbständig, sondern abhängig von der politischen Meinung und von dem Standpunkte, wo der Mensch jetzt steht.

Ich sage Dir dies, weil ich Dir schuldig bin, Dich über Dein Verhältnis zu unserem Vaterlande in Gewißheit zu setzen, damit Du bei Deinen Plänen für die Zukunft gleich von der absoluten, von jedem Beobachter bestätigten Wahrheit ausgehst, daß dieses Land, wenigstens auf eine Reihe von Jahren, keinen Ruhepunkt für Dich darbieten kann.  Hat man Dir früher geäußert, daß man hier das Gute erkenne, was Du getan und erstrebt hast, und daß daher die Meinung nicht wider Dich sei, so hat man Dir entweder etwas Unwahres gesagt, oder die Meinung hat sich seitdem geändert.  Dir bleibt nichts übrig, als da, wo Du jetzt bist, feste Wurzel für eine Lebenszeit zu schlagen und Dich in die Lage eines Eroberers zu setzen, dessen Landungsflotte verbrannt ist.

Zwar darf sich über die Regierung niemand beschweren, denn diese handelt unbefangen, auch über den Hof nicht; aber eben, daß jetzt jeder einzelne sich anmaßt, der Richter über anderer Meinungen und Handlungen zu sein, macht das Verhältnis derer unangenehm, die man zum Zielpunkte der patriotischen Gesinnungen gemacht hat.  Der Pöbel aller Stände fühlt sich erhaben in der Übung einer eingebildeten Tugend und vergißt darüber alle Humanität.  Was mich persönlich betrifft, so weiß man zwar nicht eine einzige Handlung aufzufinden, die vor dem Richterstuhle des Fanatismus Tadel verdienen könnte, vielmehr fühlt man, daß ich manches Gute gestiftet und niemand gekränkt, auch nie etwas für mich selbst erstrebt habe; gleichwohl läßt man —wie man sich hier auszudrücken pflegt — mir empfinden, daß ich zu einer Zeit gewirkt habe, wo man nun einmal nicht wirken und lieber alles dem Schicksale preisgeben sollte[1].  Wer weiß, ob man mich nicht direkt anfeindete, wenn ich für die Geschäfte minder notwendig wäre und mein Standpunkt mich nicht schon gegen manche in den Stand einer nachdrücklichen Defension setzte.

(Graf) Senfft wird Dir diesen Brief überbringen.  Er wollte länger hierbleiben, ist aber so wenig zufrieden mit dem hiesigen Aufenthalte, daß er seine Abreise schon auf morgen festgesetzt hat.  Der alte brave Miltitz ist in Sieben=Eichen, kommt aber nicht nach Dresden.  Ich hoffe ihn zu sehen, ehe er nach Schlesien auf seinen neuen Posten abgeht.  Thielmann wird nach Sieben=Eichen kommen, um dort seine Familie abzuholen, und auch nicht hierher.

Neues weiß ich Dir wenig zu schreiben.  Deine Frau und Kinder sind sehr wohl.  Erstere war in der Woche vor den Feiertagen auf 6 Tage hier.  Carl macht durch seinen eisernen Fleiß und seine Anlagen, besonders zu den alten Sprachen und der Poesie, in Meißen wirklich Aufsehen (S. 173 f.) … Der Geh. Finanzrat Vitzthum ist Hofmarschall und Direktor der Künste und Pläsiers geworden.  Die Akademie der Künste hat — obschon nicht durch ihn — eine Organisation erhalten, welche der sehr ähnlich ist, welche ihr unter dem Gouvernement gegeben wurde …

Anton sagt Dir tausend angelegentliche Empfehle.  Er würde Dir geschrieben haben, wenn es ihm möglich gewesen wäre.  In der Tat, er wird im eigentlichen Verstande gehetzt.  Er dirigiert das ganze Militär=, Wirtschafts= und Rechnungswesen, verhandelt mit den preußischen Kommissarien die Liquidationsangelegenheiten (S. 180), ist bei der Kassenbillett=Kommission und wer weiß, wo sonst noch.  Zuletzt wird er sich bei diesen hunderterlei Geschäften konsumieren, und es ist nur zu wünschen, daß es nicht ganz ohne Erfolg geschehe.  Die Rolle der besseren Staatsdiener muß man jetzt wie ein Märtyrertum betrachten; die Schwierigkeiten sind ungeheuer, die Forderungen ohne Grenzen und die Resultate höchst zweifelhaft.

Nun lebe wohl, mein alter, teurer Freund, und sage mir bald, daß es Dir wohl geht und daß Du Sachsen entbehren kannst.”

 

In dem trüben Bilde, das Hans Georgs Briefe aus jener Zeit entwerfen, fehlen die freundlicheren Züge doch nicht ganz.  Die allgemeine Not gab, da der Staat zunächst versagte, dem alteingesessenen Adel hier und da Gelegenheit, seiner früheren Aufgaben eingedenk, helfend einzugreifen.  Dienstpflichten der Gutsuntertanen wurden gegen mäßige Geldzahlungen erlassen, und den ländlichen Heimarbeitern, die durch die aufkommenden Spinnmühlen und andere Fabriken schwer bedroht waren, wurde durch Kapitalvorschüsse, durch gemeinsamen Großbezug der Rohstoffe und andere Maßregeln Hilfe gebracht.  Gerade die Carlowitzischen Brüder standen in diesen humanen Bestrebungen vielen anderen Standesgenossen voran.  Doch bevor wir sie auf diesem neuen Arbeitsgebiete beobachten, müssen wir den Werdegang des dritten Bruders und die Familienverhältnisse des ältesten weiter verfolgen.

Schon im Jahre 1816 hatte sich für Anton wieder Gelegenheit zu einem Aufsehen erregenden Erfolge geboten.  Wir haben darüber seine eigene Darstellung aus der im Jahre 1831 für den Prinzen Mitregenten Friedrich August von Sachsen verfaßten „Nachricht über die Verhältnisse und Wirksamkeit des S. Coburg=Gothaischen dirigierenden Wirklich Geheimen Rats Anton v. C. usw.” (von mir veröffentlicht im NAS. 52, S. 262 f.), in der es heißt:  „1816 wurde Carlowitz nach Paris gesendet[2], um die Liquidation der K. S. Forderungen an Frankreich zu fertigen und zu betreiben.  Das preußische General=Gouvernement hatte Papiere, die die gemeinschaftlichen sächsischen und preußischen Forderungen betrafen, mit nach Berlin genommen, und die preußischen Ausgleichskommissarien wollten durch deren Vorenthaltung die von ihnen geforderten Konzessionen in bezug auf die milden Stiftungen erpressen.  Gleichwohl war der 6. Februar 1816 der peremtorische Termin der Liquidationen an Frankreich, nach dessen Verflusse keine weiter angenommen werden sollten.  In dieser Verlegenheit negoziierte Carlowitz, daß jene Papiere zum großen Verdrusse der preußischen Kommissarien in Dresden, von Berlin unmittelbar an den preußischen  Liquidations=Kommissar in Paris gesandt wurden.  Er bearbeitete die gemeinschaftliche Liquidation, und beide Kommissarien schlossen nun mit den französischen eine Konvention über diese gemeinschaftlichen Forderungen auf die Summe von 6 000 000 Fr.

Der Hauptvergleich zwischen den Verbündeten und Frankreich wurde nach Prozenten geschlossen, und infolgedessen lieferte Carlowitz die Summe von 930 000 Talern nach Dresden.

Während des französischen Kriegs hatten die Stände 6 000 000 Taler  zu 5 Prozent borgen müssen und versprochen, nach hergestelltem Frieden einen Tilgungsfonds anzuweisen, welcher nicht unter 1 Prozent betragen konnte.  Es waren daher hierzu jährlich 60 000 Taler nötig.  Diese in dem erschöpften Lande durch mitten im Frieden zu erhöhende Abgaben aufzubringen, schien bedenklich, Carlowitz entwarf daher den Plan, den Zinsfuß der Anleihe in der [dem] Maße herabzusetzen, daß die Gläubiger, welche nicht Papiere zu 4 Prozent annehmen wollten, von jenem Vorrate der 930 000 Taler bezahlt wurden, sonach also der Tilgungsfond von 60 000 Taler jährlich an den ersparten Zinsen gewonnen wurde.”

Sehr anziehend sind die Briefe, die Anton von Carlowitz während seiner erfolgreichen Mission aus Paris an seine Schwägerin Jeanette richtete (S. 158).  Trotz des guten Erfolges seiner Sendung hatte sich der sächsische Diplomat in Paris wenig wohl gefühlt.  Gleich in seinem ersten Briefe an Jeanette schreibt er:  „Das größte Vergnügen für mich ist das Spazierengehen.  Letzthin besuchte ich den Montmartre an einem sehr hellen Tage.  Diese Aussicht ist einzig.  Es ist der einzige Berg in der Fläche von Paris, und diese große Stadt liegt zu dessen Füßen.  Eine Betrachtung drängte sich mir auf, die Masse der Immoralität, die gleichsam in dem Nebel über dieser Hölle in die Höhe stieg, ließ mich schaudern.  Das war der Ort, der ganz Europa unglücklich machte und auch unsere Ruhe störte!”

Anton von Carlowitz hatte damals in raschem Aufstieg seinen ältesten Bruder, dessen militärische Stellung in Preußen noch nicht genügend befestigt schien, an Geltung eingeholt.  Ebenso hatte er, wenigstens auf einige Zeit, auch den zweiten, Hans Georg, überflügelt, der sich durch das Aufsteigen des Ministers Einsiedel auf seinen alten Platz als Geheimer Finanzrat zurückgedrängt sah.  Diese augenblickliche Verschiebung der Verhältnisse drückt sich in dem Urteil aus, das Hans Georg, der früher Antons Entwicklung manchmal etwas steptisch beobachtet hatte, in dem Brief vom 12. März 1815 an Carl Adolf niederschrieb:  „Was Du tun wirst, um Deine Zukunft zu gründen, interessiert mich mehr als meine eigene Zukunft … Aber ich wage nicht, einen Rat zu äußern.  Ich bin erbittert und überhaupt störrischen Gemüts, also nicht unbefangen und praktisch genug, um in einer so wichtigen Sache … zu urteilen.  Anton mag Dir raten; er ist zwar auch bös gemacht, wie jeder ehrliche Mann, aber doch gefügiger und in vielen Dingen gescheiter als ich.”  Dieses Urteil ist, obwohl Hans Georg von beiden die bedeutendere Persönlichkeit und der tiefere Geist war, nicht unberechtigt.  Anton war weltmännischer und weltgewandter als sein stolzer, streng aristokratischer Bruder.

Aber auch nach dem oben dargelegten Erfolg stand Anton eine neue Demütigung bevor.  Er berichtet a. a. O.:  „Dieser Plan fand Widerstand, denn man hatte im Geheimen Finanz=Kollegium ein Liquidum von 700 000 Talern an mancherlei, zum Teile aus dem Siebenjährige Kriege herrührend, den Ständen völlig unbekannten Forderungen des Fiski an das Land zusammengesetzt und wollte somit obigen Vorrat meist in die Finanzkasse ziehen.  Der Eindruck, welchen diese Operation auf die öffentliche Meinung, besonders die 1821 versammelten Stände machte, war nicht günstig, und Carlowitz, an der Spitze einiger rechnungskundigen Stände, stellte eine Gegenrechnung auf, nach welcher der Fiskus noch dem Lande schuldig war.  Der Fiskus hat seitdem seine Ansprüche nicht weiter verfolgt.  Der ständische Plan wurde von Sr. Königl.  Majestät genehmigt und dann zur Ausführung gebracht.

Indes, von nun an schienen die Aussichten des von Carlowitz im Dienste geschlossen.  Ihm war nach dem Tode seines Freundes Zeschau die Meißner Kreishauptmannsstelle zum dritten Male versprochen worden, und sie wurde nun dem Geheimen Finanzrat Grafen Hohental zuteil.”

Unterdes hatte der älteste Bruder Carl Adolf begonnen, sich als Inspekteur der Landwehr in Halle und später in Merseburg einzuleben.  Durch seine große allgemeine Bildung gewann er zu den bedeutendsten Professoren der Universität angenehme Beziehungen.  Und obwohl seine Geldverhältnisse noch etwas an den während des Krieges aufgelaufenen Schulden krankten, fuhr er doch fort, seine schöne Bibliothek zu vermehren.  Wir hören von größeren Bücherbezügen von der Heinrich’schen, Waltherschen und Arnoldschen Buchhandlung und von einer größeren Rechnung des Buchbinders Sippel (Briefe Hans Georgs vom 17. und 23. Januar 1817), auch beweisen die Widmungsexemplare der Carlowitzischen Bibliothek seinen Verkehr mit vielen Gelehrten.  Mit dem Grafen Kleist von Nollendorf, dem Kommandierenden General der Provinz Sachsen, der in Merseburg residierte, verband ihn eine jahrelange Freundschaft (S. 145 f.), deren Zeugnisse in dem Briefwechsel zwischen Kleist und Carlowitz noch vorhanden sind.

Im August 1816 traf sich Carl Adolf mit Hans Georg zu einigen vertraulichen Tagen an der Stätte ihrer gemeinsamen Jugend im behaglichen Herrenhaus von Großhartmannsdorf (S. 22 f.), und diese Tage leuchteten weithin in das Leben der eng verbundenen Brüder.  Im Rückblick auf diese Tage schreibt Hans Georg:  „Dresden, 29. August 1816.  So glücklich ich auch bei Dir in dem alten lieben Hartmannsdorf gewesen bin, so wollte ich doch, ich wäre zu Hause geblieben.  Seit ich zurück bin, kämpfe ich mit einem Gefühle, das ich sein 11 Jahren eingeschläfert hatte — mit dem Heimweh.  Nun sehe ich erst, welches Opfer ich meiner Pflicht bringe, indem ich mich hier festhalten lasse, — und wenn ich nicht ein Schwärmer wäre, würde ich glauben, daß es zu groß sei.  Stündlich treten mir Bilder von Hartmannsdorf vor die Seele, sie gehen mit mir zu Bete und wachen mit mir wieder auf.  Für meine boshafte Frau ist diese gebirgsche Manie ein wahrer Triumph.  Wirklich, das Heimweh ist eine Krankheit des Gemüts, die nur mit dem Zustande der hoffnungslosen Liebe verglichen werden kann.  In dem Bilde des Ganzen bist Du die Hauptperson.  Ich kann keinen Blick in die Geschichte meiner Jugend tun, ohne meinen ältesten Freund zu erblicken.

An der Zehndler Schenke (Zehntel, ein Dorfteil von Großhartmannsdorf) ließ ich halten und sah Dir nach, bis Du den Teichdamm hinuntergestiegen warst, dann betrachtete ich noch im Freiholze den Kirchturm und auf dem Wege nach Freiberg die Steige, auf denen wir mit Kochinken zuweilen in großen Kurierstiefeln nach Hause gingen, — ohngeachtet unser Vaterhaus (uns) schon fremd worden war.  Jenseits Freiberg versank ich in tiefe Gedanken, von denen ich erst bei meiner Ankunft wieder erwachte, obwohl in einer recht schwermütigen Stimmung.  Trotz dieses mit verdoppelter Macht wieder erwachten Gefühls bin ich doch noch der Vorige und meiner Handlungsnorm mir klar bewußt.  Der Wille ist das einzige Gesetz des Mannes, und ein Mann, der unseren Namen trägt und verdienen will, darf nichts für sich, sondern muß alles für die Menschheit wollen.  Je schwerer also der Kampf — desto größer das Verdienst!  Gott erhalte den Adel, der so denkt, wie Du und ich! …”

Und noch zwei Monate später, am 28. Oktober 1816, fügt er hinzu:

„Die wenigen Tage unseres Zusammenseins in Hartmannsdorf gehören unter die angenehmsten meines Lebens.  Täglich denke ich noch daran, und ich wäre sicher gegen alle Anwandlungen des Philistertums, das hier so sehr prädominiert, wenn ich Dich nur vierteljährlich einen einzigen Tag sehen könnte.  Du wirkst magisch auf mich, ich wundere mich aber auch nicht darüber, denn Du bist mein ältester und mein erster Freund …”

In dieser Zeit erlebte Carl Adolf an seinem Sohne Carl, der auf der Fürstenschule zur Meißen nicht nur einige Klassen, sondern auch die Prima mit hervorragenden Leistungen durchlief (S. 169), viel Freude.  Sein Onkel, Hans Georg, wollte ihn schon Ostern 1816 auf die Universität bringen.  Er schreibt darüber am 7. Januar 1816:  „Zu Ostern werde ich Carl selbst nach Leipzig bringen und Dir übergeben, wenn bis dahin Anton nicht zurückgekehrt sein sollte.  Es ist nötig, daß er an einige vorzügliche Professoren und Familien empfohlen werde, mit denen ich seit langer Zeit in freundschaftlichen Verhältnissen stehe, um gleich zuverlässige Bekannte zu finden, ganz besonders aber, daß ihm eine Wohnung und ein Tisch ausgemacht werde, wo er nicht zu bald in nähere Verbindung mit Studenten kommt.  Unter den Studenten bestehen viele sogenannte Ordensverbindungen, die auf liederliche Streich hinauslaufen, und vor diesen muß man ihn zum ersten Anfange sicher setzen.  Künftig, und wenn er erst Zeit gewonnen hat, selbst zu beobachten, wird er sich schon allein und, da nötig, mit dem Degen in der Hand sichern.  Ein wesentlicher Teil seines ersten Unterrichts muß daher im Fechten bestehen.

Platner hat mir auf mein Schreiben wegen Konzedierung des Bestucheffschen Stipendii — das jetzt jährlich gegen 400 Taler betragen soll — noch nicht geantwortet.  Sollte er, wider Erwarten, bis Ostern nicht antworten, so würde ich die Sorge für die Familie selbst übernehmen und die Sprache führen müssen, die der miserable Minister, weil er in den Schuhen nicht richtig war, zu führen nicht gewagt hat[3].  Ich stehe dafür, daß ich mit der Universität fertig werden will und Carl nicht einen Kreuzer verlieren soll, der ihm gehört …”

Aber die Meißner Professoren raten, Carl noch ein Jahr in St. Afra reifer werden zu lassen.  So wird der Plan, ihn auf die Universität zu schicken, erst gegen Ende des Jahres 1816 wieder aufgenommen.  Hans Georg schreibt an Carl Adolf:

Dresden, 12. November 1816.  „… Carl scheint große Lust nach Leipzig zu haben.  Vorerst habe ich noch seinem Professor geschrieben, ob dieser bei seinem Abgange zu Ostern n. J. ein Bedenken habe.  Ist dies nicht, so will ich die nötigen Veranstaltungen wegen der Aufkündigung, des Abgangs, der vorläufigen Einrichtung in Leipzig pp. treffen.  Bis dahin kommt Anton wieder.  In Leipzig habe ich unter den Professoren noch viele alte Freunde.  An diese will ich Carl adressieren, und so braucht er keinen teuren Hofmeister.  Ein Repetent für das juridische Fach ist nötig.  Dies mag der M. Reichel sein, der den Präsidenten Schönberg, den Minister Senfft, Anton, mich und viele andere gebildet hat, und dem wir samt und sonders alles danken, was wir vom jus begriffen haben.  Frage nur Schönberg, was er von seinem Reichel hält.  Das Bestucheffsche Legat wird Carl ohne alle Konkurrenz genießen.  Es beträgt jährlich über 400 Taler und wird auf drei Jahre gegeben.

Mein Albert soll Deinen Carl in Meißen ablösen und schon nächste Ostern dahin abgehen.  Ich habe dies dem Professor Weichardt vorläufig geschrieben und hoffe, daß er um so weniger Umstände machen werde und ersteren aus finanziellen Gründen länger, als nötig, nicht werde aufhalten wollen.

Anton gefällt sich in Paris gar nicht.  Er empfindet das sächsische Heimweh und klagt, daß er vor Frühjahr nicht werde zurückkehren können.  Sein Geschäft scheint übrigens ziemlich gut zu gehen.  Bisher schrieb er nur, wenn Gelegenheit war, und dann nur an meine Frau, die über Handels= und Modeangelegenheiten mit ihm korrespondiert.  Tiefe Beobachtungen waren daher in seinen bisherigen Briefen auch nicht enthalten.

Mache doch einen Etappenmarsch von Torgau hierher, lieber Bruder!  Freilich sind die Tage kurz, aber der Weg ist es auch, und es wäre doch gar zu schön, wenn wir wieder einmal so zusammen kämen …”

Einen Monat später, am 14. Dezember 1816, schreibt Hans Georg in Rücksicht auf die für den künftigen Studenten und dessen jüngeren Bruder nötigen Wäscheanschaffungen an Carl Adolf:  „Deine Frau hat noch kein Geld zur Anschaffung von Wäsche für Carl und Georg bei mir verlangt, ich werde es ihr aber geben, da Du es bewilligt hast, sobald sie es abholen läßt.  Ohne Deine Zustimmung gebe ich nichts, und überhaupt tue ich in Geldsachen etwas gefährlich, um desto leichter das Gleichgewicht zu halten.”

Der letzte Satz leitet über zu einer Eigenart der Gemahlin Carl Adolfs.  Frau Maria Josefa fiel es schwer, die durch den Krieg verschlechterten Verhältnisse durch planmäßige Wirtschaft und Sparsamkeit wieder zu verbessern.  Unter dem Einfluß von vergnügungssüchtigen Gutsnachbarn war auch sie geneigt, kostspielige Geselligkeiten und Tanzfeste zu veranstalten.  Namentlich der durch sein charaktervolles Bild von Rayski bekannte General Leyser auf Gersdorf bei Pirna soll einen der Zeit nicht entsprechenden Aufwand getrieben haben.  Hans Georg schreibt darüber in dem obengenannten Briefe vom 14. Dezember 1816:

„Leyser hat durch seine riesenhaften Feste die ganze Gegend verkehrt, und da ich nicht nur selbst geizig bin, sondern auch ungern sehe, wenn andere mehr Geld ausgeben als nötig ist, so muß ich in Liebstadt ein wenig den Sully spielen.  Haben doch sogar schon die Carlowitz von Ottendorf und Uckermann Bälle von 80 und mehr Personen gegeben, die auf dem Lande immer dreimal soviel als in der Stadt kosten.  Ich stehe nicht dafür, daß kleine Beschwerden über mich geführt werden dürften, und daher bevorworte ich die Sache gleich jetzt.”

Um Ersparnisse herbeizuführen, war Carl Adolf gewillt, den Weinberg in der Hoflößnitz, auf dem seine Frau gern den Sommer zubrachte (S. 118; 126), zu verkaufen.  In dem genannten Briefe Hans Georgs heißt es:

„Zu dem Weinberge hat sich noch ein zweiter Liebhaber gefunden, Tottleben, der Weißtropp verkauft und sich in den Weingebirgen niederlassen will; zur Zeit ist aber noch mit keinem der beiden Kompetenten die Sache bis zum Abschluß vorgerückt …”

*

Wie wacker Hans Georg in dieser Zeit der Not gegen seine eigenen pessimistischen Anwandlungen ankämpfte nach dem Grundsatze:  „ein Mann, der unsern Namen trägt und verdienen will, darf nichts für sich, sondern muß alles für die Menschheit wollen”, haben wir aus seinem am 29. August 1816 (S. 173) geschriebenen Brief gesehen.  Und es fehlte ihm nicht an Gelegenheit, seine Ideen praktisch zu betätigen.

Die Wiederaufbauarbeit an dem in seinem Lebensnerv getroffenen sächsischen Staate gab ihm auf seinem alten Gebiete, der allgemeinen Staatsverwaltung und der Organisation des Finanz= und Steuerwesens, genug zu tun.  Außerdem aber führte ihn und seinen Bruder die nach dem Kriege stärker hervortretende Notlage der erzgebirgischen Handweber, die ihnen namentlich in ihrem Heimatdorfe Großhartmannsdorf entgegentrat, zu einer sehr bemerkenswerten Hilfeleistung, die diesen Webern wenigstens für die schlimmsten Notjahre eine Verbesserung ihrer Lage bereitete.  Schon am 7. Januar 1816 wird in einem Brief Hans Georgs an Carl Adolf erwähnt, daß der letztere als der Gutsherr von der Regierung ersucht worden ist, „in Großhartmannsdorf Almosen für Auswärtige zu entrichten”, woraus man auf einen Notstand der Gegend schließen muß.  Im August d. Jahres haben sich die beiden Brüder in ihrem Heimatdorfe getroffen (S. 172) und bei einem mehrtägigen Aufenthalte auch von der Not der Dorfweber gesprochen.  Am 14. Dezember begegnet uns Hans Georg als Mitglied der Kommission für die Versorgung der notleidenden Gegenden mit Getreide.  In Oberschöna hat er festgestellt, daß es an Arbeit nicht fehle und daß es genügen werde, einzelne Personen zu unterstützen und die Armen im Krankheitsfalle in herrschaftliche Pflege zu nehmen.  Die Zeit fordert, „daß der Adel auf seinem Platze sie”, und es sei schädlich, „ihn von seinen Untertanen zu entfernen, das patriarchalische Verhältnis in eine Polizeianstalt umzuwandeln”.  Wie sehr berührt sich Hans Georg von Carlowitz in diesen Anschauungen mit denen des Reichsfreiherrn vom Stein (s. Lehmann, Stein III, S. 479 f.).

Schlimmer steht es in Großhartmannsdorf, wo Hans Georg am 20. und 21. Januar 1817 in Namen seines Bruders mit den Gerichten und Armenvorstehern verhandelte.  Er erstattet darüber am 24. Januar an den Bruder einen ausführlichen Bericht:  In Großhartmannsdorf, einem Ort von 1300 Einwohnern, gab es 67 Erwachsene, die keinen Verdienst haben (nach neuzeitlichem Ausdrucke „Arbeitslose”).  Für sie ist ein monatlicher Aufwand von 120 Talern erforderlich.  Die Armenkasse, die von gestaffelten Umlagen der Grundbesitzer gespeist wird, kann die für Armenpflege notwendige Jahressumme von 1500 Talern nicht aufbringen.  Deshalb soll zu ihrer Unterstützung der Gutsherr Carl Adolf von Carlowitz zunächst 100 Scheffel guten Hafer, den Scheffel zu 3 Talern 8 Groschen, kaufen, wovon 12 000 Pfund Haferbrot gebacken werden können.  Der Gutspächter kann den Hafer liefern.  Vor allem aber muß der Verdienst der hungernden Leinwandweber auch dadurch gehoben werden, daß man die wucherischen Aufkäufer (Faktoren) ausschaltet, eine Handelsgesellschaft der Weber (Großhartmannsdorfer Fabrik) gründet und ihre Erzeugnisse, durch eine „Schau” sorgfältig geprüft und abgestempelt, durch vier von der Regierung konzessionierte Hausierer im Kleinhandel an den Mann bringt, außerdem aber auch mit größeren Abnehmern Verbindungen knüpft.

Es wird gut sein, ein Stück aus Hans Georgs Brief wörtlich anzuführen:

„Die Tagelöhner sind größtenteils abgeschafft, weil die Bauern das wenige erbaute Getreide selbst ausdreschen und überhaupt sich auf alle Weise einschränken.  Das Flachspinnen geht schlecht, weil der Flachs nicht so gut geraten ist, daß er Absatz ins Ausland findet.  Das Wollespinnen hat ganz aufgehört, da die Maschinen alle Wolle verspinnen, welche in den Fabriken verbraucht wird.  Die Leinweberei geht ebenfalls schlecht und lohnt wenig, weil die Hartmannsdorfer Fabrik durch Vernachlässigung der Schauanstalt und seither gelieferte schlechte Waren fast allen Kredit verloren hat, daher wenig Absatz mehr findet und überdies unter dem Drucke zweier wohlhabender Aufkäufer, Mehlig und Hertig, steht, welche dem armen Weber seine Ware abdrücken und einen Monopolhandel führen.  Der beste Weber verdient bei dem angestrengtesten Fleiße wöchentlich 1 Taler 6 Groschen und ebensoviel der Tagelöhner, dessen Lohn täglich nur 5 Groschen beträgt.  Mit diesem Lohne aber kann sich ein Mann kaum sättigen.

Das Hauptbestreben muß also dahin gehen, den Armen Gelegenheit zum Verdienst zu schaffen, und ich hoffe, dies zu bewirken.  Ich suche zu vermitteln, daß die Straße durch Hartmannsdorf auf Kosten des Landes gebaut werde, wobei alle unbeschäftigten Tagelöhner Arbeit und Lohn finden werden.  Was die Weber betrifft, so geht mein Plan dahin, sie von dem Drucke der Aufkäufer loszumachen, welche 15 bis 20 Prozent des Verdienstes an sich ziehen.  Zu dem Ende habe ich die Weber aufgefordert, sich zu versammeln, über gewisse ihnen mitgeteilte Punkte sich zu beraten und mir durch einen Abgeordneten ihren Beschluß wissen zu lassen …

Wenn die Weber über diese Punkte einverstanden sind, soll ein förmlicher Sozietäts=Kontrakt gerichtlich geschlossen werden.  Ist dies geschehen, so will ich ihnen Lieferung für die Truppen und Bekanntschaft mit großen Leinwandhandlungen zu verschaffen suchen.  Auch habe ich schon vorläufig die Zusicherung erhalten, daß die Landesregierung der neuen Sozietät sofort vier Konzessionscheine zum Hausieren mit Leinewand erteilen will, welche in den Erblanden sonst niemand erhält, damit jederzeit vier Abgeordnete die Waren der Sozietät umhertragen und allenthalben verkaufen können.  Auf diese Weise soll, hoffe ich, die Fabrik bald ihren alten Kredit wieder erhalten, ihr starker Absatz verschafft und dem Drucke der Aufkäufer auf immer ein Ende gemacht werden.  Wenn Anton zurückkommt, wird er bei seinem Einfluß in der Kriegsverwaltungskammer und seiner ausgebreiteten Bekanntschaft mit Kaufleuten der Sozietät noch förderlicher sein können.”

Im Frühjahr 1817 wird die Gesellschaft nach langem Streit endlich gegründet und nach einem von Hans Georg entworfenen Statut eingerichtet.  Am 21. Mai 1817 schreibt Hans Georg an seinen Bruder Carl Adolf:

„… Die Hartmannsdorfer Weber werden sich, wie es jetzt scheint, doch noch zu einer Gesellschaft nach meinem Plane vereinigen.  Ich erwarte darüber die gewisse Nachricht und hoffe, die Sache werde gut gehen.  Den erforderlichen Vorschuß sollen sie bekommen, wenn sie vernünftig sind, und dadurch allein sind die Faktors geschlagen, deren Machtvollkommenheit zuletzt nur in einem kleinen Fonds bestand, während die Arbeiter kein Brot hatten und daher Sklavendienste tun mußten …”

Im Herbst (24. Oktober 1817) kann er von den ersten Erfolgen berichten:  „Mit den armen Webern in Großhartmannsdorf fängt es jetzt an, recht gut zu gehen.  Die Handelsgesellschaft derselben ist erzwungen worden, und Anton hat die Freundschaft gehabt, ihr ansehnlich Bestellungen für die Armee, hier und in Frankreich, zu verschaffen.  Heute ist ein Akkord auf 17 000 Ellen Leinwand geschlossen worden, und nach Erfolg der Ablieferung, im Januar 1818, wird ein neuer geschlossen werden.  Zur Zeit habe ich den Leuten nur erst 500 Taler gegeben und durch diese kleine Summe ist es schon dahin gekommen, daß der einzelne Weber, der sonst wöchentlich nur 18 Groschen verdienen konnte, jetzt 1 Taler 20 Groschen verdient.  Die Lieferanten schreien gewaltig, denn ihr Wucher ist zerstört, aber die Armen sind gerettet!  Heute habe ich noch den Webern auf 1400 Stück Garn Kredit gemacht, das bald um 50 Prozent steigen wird, und so hoffe ich, ihr Gewerbe dauernd zu heben.  Bei alledem ist es eigentlich Anton, der den Leuten hilft, denn er schafft ihnen Arbeit, während ich ihnen nichts weiter geben kann als Geld.”

Wir sehen hier einen kleinen, lokal beschränkten Apparat mit denselben sozialen Problemen beschäftigt, die der ins Riesenhafte gewachsene soziale Apparat unserer Zeit zu lösen sucht, und es ist der von den ehemaligen Linksparteien verlachte und verlästerte Adel, der diese bescheidene, aber deswegen nicht erfolglose soziale Fürsorge zuerst in die Hand nimmt.

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Am 30. Juni starb in Dresden der berühmte Mineralog der Freiberger Bergakademie Professor Abraham Werner (S. 46 f.).  Hans Georg nahm an diesem Todesfall besonderen Anteil, weil er aus eigener Anschauung die Bedeutung Werners als eines vortrefflichen Menschen und bahnbrechenden Gelehrten kannte und weil er in dem Heimgegangenen auch den Lehrmeister seines unvergessenen Freundes Novalis verehrte.  Hans Georg schreibt über Werners Tod an Carl Adolf:

Dresden, 1. Juli 1817.  „Diesmal muß ich Dir eine Nachricht mitteilen, die Dir gewiß sehr leid tun wird.  Unser gemeinschaftlicher Freund, der Bergrat Werner, ist hier nach einer Krankheit von mehreren Wochen gestern abend gestorben.  Der Sitz seiner Krankheit war im Unterleibe, und wahrscheinlich hat er sich das Übel durch den zu häufigen Gebrauch von Mineralwässern und manche medizinische Proben zugezogen, die er mit sich selbst machte.  Seine unschätzbaren Sammlungen hat er der Bergakademie vermacht, doch bezahlt der König dafür seinen Verwandten ein Kapital.

Morgen wird der gute, alte Werner auf eine seiner Verdienste würdige Weise zur Ruhe gebracht.  Seine Leiche wird abends um 9 Uhr mit königl.  Pferden und durch königl.  Bedienung abgeholt.  Der Adel, die Gelehrten, das ganze Geheime Finanz=Kollegium, alle, die den vortrefflichen Mann geehrt haben, selbst die fremden Gesandten werden ihn bis Gorbitz[4] begleiten.  Dort wird die Parentation gehalten und die Leiche den Abgeordneten des Oberbergamts und den Bergleuten übergeben.  Ganz Freiberg ist aufgefordert worden, teil an der feierlichen Beisetzung seines Werner zu nehmen.  Der König hat ausdrücklich befohlen, daß Werner in der Domkirche beigesetzt werden soll.  Lange ist mir kein Todesfall so nah gegangen als dieser.”

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Anton von Carlowitz (S. 169 f.) hatte den Herbst 1816 und die reichliche Hälfte des Jahres 1817 in Paris verbracht.  Hans Georg schreibt am 2. August 1817 an Carl Adolf, Anton wolle am 24. Juli von Paris abgehen, wo er vortreffliche Geschäfte gemacht habe, doch habe er noch Aufträge in Frankfurt zu besorgen, die seine Rückkehr um etwas verzögern könnten.  Daß Anton selbst auf eine weit frühere Rückkehr gehofft hatte, ergibt sich aus einem Briefe an seine Schwägerin Jeanette, den ich als eine Probe seiner Denk= und Beobachtungsweise hier einschiebe.  (Andere Briefe Antons aus Paris an Jeanette s. NAS. 52, S. 253 f.).

Paris, 7. Februar 1817.  „… Wegen meines Abganges von hier hoffte ich auf baldige allerhöchste Entscheidung, aber ich habe keine erhalten und, wie mir der Bruder schreibt, ist der Grund eine sehr gute Meinung, die ich achten muß und eine doppelte Verpflichtung mir gibt, alles unparteiisch zu betrachten.  Daß ich herzlich mich aus diesen Geschäften wegwünsche, können Sie wohl glauben, besonders da ich leeres Stroh niemals gern gedroschen habe, aber ich kann nicht, ohne gewissenlos zu handeln, dies Geschäft sofort seinem Schicksale überlassen, in welches es gestürzt wird, wenn ich davon gehe.  So anmaßend dieses Ihnen scheinen mag, so ist’s doch wahr, mein Kollege Rivière paßt so wenig dazu wie ich zum Orgelspieler, und ein neuer richtet sich wieder schwer ein, da so sehr viel von persönlichen Verhältnissen und Bekanntschaften abhängt.  Ich habe daher den Entschluß gefaßt, das Ende des Monats Februar abzuwarten, da muß alles angebracht sein und es sich entscheiden, ob das Geschäft überhaupt bald entschieden ist oder sich wenigstens abmachen läßt oder so fortgeleuert (geleiert) wird wie bis jetzt; ist letzteres, so trage ich sofort auf meine Ablösung an, ist ersteres, so kann in einem Monat viel geschehen.  Mit diesem Entschlusse habe ich den Minister Nostitz und General Zeschau bereits bekannt gemacht und hoffe, meine Pflicht und meine Wünsche in ein richtiges Verhältnis gestellt zu haben.  Inmittelst habe ich wegen meiner Ablösung mehrere Veranstaltungen hier so getroffen, daß ich bald übergeben kann, und im Monat April bin ich wahrscheinlich zu Hause, doch hiervon bitte ich noch zu schweigen.  Üchteritz will mich nicht gern weglassen, da er nicht weiß, wer mich ablösen könnte und ob er mit meinem Nachfolger sich vertragen würde.  Mit Freunden will ich dann abreisen, und wenn ich eine Extrapost abgehen sehe, denke ich oft mit Sehnsucht an meine Abreise.  Bis dahin ist es grün in Dresden, und es könnte wohl kommen, daß ich Sie oft zum Spaziergange aufmunterte.  Wäre es nur schon dahin …

Was den Merino betrifft oder die seidenen Zeuge, so werden hier keine gestreiften getragen, alles uni als grau, weiß, karmoisin und etwas grüne.  Die Engländerinnen haben lichtbraune Röcke wie Männer und schwarze Strümpfe, welches ihnen das Ansehen von Krähen gibt.  Die Hüte sind wenigstens dreimal zu klein, desto größer die Schleifen, die gleichsam den Hut beschatten.  Sehen Sie, ich fange an, mich zu qualifizieren.  Das Karneval ist jetzt, und habe mehrere Maskeraden mit angesehen, die aber schlecht und langweilig sind …”

Anton kehrte Ende August nach Dresden zurück.  Welche Verhältnisse und Stimmungen er in Dresden antraf, ahnt man aus den Zeilen, die Hans Georg am 11. September 1817 aus Dresden an Carl Adolf richtete:  „Anton hat Dir gleich nach seiner Rückkehr selbst geschrieben, wie er mir sagte, ich habe also die Nachricht von seiner Ankunft unterlassen.  Er hat viel Unordnung in seinen Departements gefunden und sowohl deshalb, als wegen der Vorarbeiten zum Landtage so viel zu tun, daß man ihn weniger als jemals sieht.

Auch mich beschäftigen die Vorarbeiten zum Landtage ungemein, und diese Arbeiten fallen mir um so lästiger, je problematischer ihr Erfolg ist.  Überhaupt bin ich herzlich degoutiert und fühle eine Gleichgültigkeit in mir überhand nehmen, die einen zwar ruhig, aber auch zugleich unbrauchbar zu öffentlichen Geschäften macht.”

Es war die Zeit, wo die Gedenktage des Oktobers, der dritte Jahrestag der Leipziger Schlacht und der dreihundertste der Thesen, die Luther an die Schloßkirche zu Wittenberg geschlagen hatte, vor der Tür standen und Ludwig Uhland den Fürsten zurief:

„Wenn eure Schmach die Völker lösten,
Wenn ihre Treue ihr erprobt,
So ist’s an euch, nicht zu vertrösten,
Zu leisten jetzt, was ihr gelobt.”

Daß auch Hans Georg diese Gedenktage nicht ohne innerste Anteilnahme an sich vorübergehen ließ, zeigt uns der Eingang seines Briefes an den Bruder Carl Adolf aus Dresden vom 24. Oktober 1817:

„Zur Jubelfeier der Reformation wollte ich mit einigen meiner Kinder nach Wittenberg wallfahren, um dies hochwichtige Fest an Luthers Grabe zu feiern; aber, das kann ich nun nicht.  Die Stände des Landes, von denen die Reformation ausging, haben beschlossen, am 31. Oktober das Abendmahl in der Schloßkirche öffentlich zu genießen, um einmütig Gott für die Wohltat zu danken, die der Menschheit durch Luthern widerfuhr, und öffentlich zu bekennen, daß sie fest am Glauben ihrer Väter halten.  Zu dieser Andacht, hier in Dresden gehalten, gehöre ich auch.  Die Stände müssen kundtun vor Gott und den Menschen, daß nichts sie abwendet von dem, was wahr und recht ist, und daß sie ihrer Vorfahren wert sind.  Der erste Stand im Gebirge darf hier nicht fehlen.”


 


[1] Die extrem=legitimistische Partei tadelte insgeheim Hans Georg, daß er an den Arbeiten des russischen Gouvernements teilgenommen hatte.  Dietrich von Miltitz, seit 1814 als Oberst in preußischen Diensten, war später in Liegnitz Generalleutnant und Divisionskommandeur.  Generalleutnant von Thielmann stand schon wegen seiner Beziehungen zu Novalis (S. 146) dem Miltitzischen Hause nahe.

[2] Hans Georg an Carl Adolf, Dresden, 29. 8. 1816:  „Anton hat seine Instruktion nach Paris erhalten und wird wahrscheinlich nächsten Mittwoch seine Reise dahin antreten …”

[3] Dieses harte Urteil Hans Georgs erklärt sich z. T. daraus, daß er durch den langen Kampf um das Stipendium verärgert war.  Der Konferenzminister Carl Wilhelm v. C. (1742—1806) hatte sich z. B. durch Sammlung von Material um das Geschlechtsarchiv der C. verdient gemacht.  Seine Vermögensverwaltung war allerdings nicht erfolgreich.  (Carlowitzbuch S. 170—172).

[4] Die Stelle, wo die Leiche übergeben wurde, ist noch heute durch ein Denkmal kenntlich.  Werners Grabstein in Freiberg steht auf dem „grünen Friedhofe” neben dem Dome.

 

 

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