Inhalt
Illustrations
Vorwort
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Nachtrag

 


Albumblatt von Jeanette von Schönberg (1796)
 

5.  Jeanette von Schönberg-Pfaffroda

ans Georg, der alles, was ihn betroffen hatte, als ein unvermeidliches, ihm vom Schicksal zugedachtes Verhängnis ansah, mied eine Zeitlang die Gesellschaft.  In der grübelnden pessimistischen Stimmung, die ihn in seiner Frühzeit öfters heimsuchte, glaubte er wohl, daß es mit der Liebe für ihn auf alle Zeit vorbei sie.  Aber allmählich genas doch seine im Grunde gesunde Natur zu neuem Lebensmute, und allmählich trat auch das „Ewig=Weibliche” in seinem Vorstellungs= und Empfindungskreise wieder in die seiner Jugend entsprechende hervorragende Stelle ein.  Wie Novalis aus der Totenklage um Sophie, „wenn auch widerstrebend”, den Weg zum Leben und zur Liebe zurückfand, indem Julie, die Tochter des Berghauptmanns von Charpentier in Freiberg, „wie schleichendes Gift . . . in zarten, kaum vernehmbaren Empfindungen” (Novalis an Caroline Just, a. a. O. S. 227) in seine Seele einzog, so wurde Carlowitz von einer stärker und tiefer eindringenden Neigung zu einem wirklich edlen, seiner würdigen Mädchen erfaßt, zu Jeanette von Schönberg, der Tochter des Kammerherrn Curt Adolf von Schönberg auf Pfaffroda im Erzgebirge (1759—1799) und der Caroline Amalie geb. Von der Sahla (1757—1791).  Sie war — geboren am 14. Dezember 1780 — 8 Jahre jünger als ihr Verehrer und war ihm bei den engen Beziehungen beider Familien von Jugend auf bekannt.  Sein Vater war Pate der frühverstorbenen Schwester Jeanettens gewesen, und Jeanettens Vater seit 1793 Vormund der jüngeren Brüder Hans Georgs.

Jeanettens Jugendparadies war nicht die elegante Stadt an der Elbe gewesen, sondern die weitausgedehnte väterliche Herrschaft Pfaffroda auf dem Kamme des Erzgebirges.  Auf diesen Höhen rauscht der Frühlingswind in den grünen Wipfelkronen der Tannen und Fichten sein besonderes Lied und jagt die brausenden Wildbäche hinunter zum Tal der Flöha, daß sie überall Blumen wecken, die dann die sommerlichen Wiesen mit Duft und Farben schmücken und die bunten Falter heranlocken.  Im Winter aber hockt das schlichte fleißige Geschlecht, das diese waldigen Höhen bewohnt, in den Spinnstuben beisammen und singt heimatliche Lieder oder raunt von Wilderern und Räubern, die hier von jeher die Einbildungskraft des Volkes beschäftigten.  Noch heute ist im Pfaffrodaer Schlosse die alte, mit Eisen ausgeschlagene Leuchterbank (der Lühhut) vorhanden, über der in eiserner Klemme der brennende Kienspan dem Gesinde das zum Flachsspinnen nötige Licht spendete, und die Rüstkammer mit ihren Saufedern und Hellebarden, Wallbüchsen und Eisenpanzern erzählt noch von den Zeiten, wo man sich hier immer in Bereitschaft hielt, marodierendes Gesindel in kräftiger Selbsthilfe abzuwehren, und wo der Kaufmann mit seinen Waren nur dann sicher auf der alten Straße von Freiberg über Großhartmannsdorf—Pfaffroda—Olbernhau—Katharinenberg—Eisenberg—Brüx dahinzog, wenn ihm der Schönbergsche „Geleitsmann” mit dem ebenfalls noch vorhandenen Geleitszeichen hoch zu Roß vorantrabte.  Liegt doch Pfaffroda am Saum eben der „böhmischen Wälder”, in denen Schiller seine „Räuber” spielen ließ.

Jeanette hat diese stille, weiträumige Heimat sehr geliebt, und wenn sie sich auch, um Musikunterricht zu empfangen und die Welt kennenzulernen, manchmal längere Zeit in Dresden, im Hause ihrer Tante, der Gattin des Ministers Grafen von Hopfgarten, aufhielt, so hat sie doch jederzeit das ländliche Leben dem städtischen Treiben vorgezogen.  Auch ihre zarte Gesundheit hat diese Neigung begünstigt.  So machte es die 19jährige dem 27jährigen Supernumerar=Amtshauptmann und Oberhofgerichtsassessor von Carlowitz keineswegs leicht, sich ihr ernstlich zu nähern.  Um so mehr beglückten ihn dann die ersten Anzeichen ihrer keimenden Neigung.  Noch nach fast 15jähriger Ehe am 30. August 1815 (S. 164) lebte in ihm die Erinnerung an das Großhartmannsdorfer Herrenhaus als den „Ort unserer ersten Liebe”.  Später wurden auch Briefe gewechselt.  Und gleich Hans Georgs erster Brief zeigt, daß es sich hier nicht um eine leichte Liebeständelei, sondern um das Lebensglück eines männlich starken Herzens handelte, das sich selbst in der Gewalt zu halten bemüht ist. 

Hans Georg schreibt an Jeanette von Schönberg:

Oberschöna, 8. 12. 1799.  „Hochwohlgeborenes gnädiges Fräulein!  Gern hätte ich den Weg gewählt, auf dem ich die Größe und Reinheit meiner Wünsche am umfassendsten und lebhaftesten an den Tag legen konnte, — allein jede Gelegenheit dazu schien mich zu fliehen, — mit jedem Tage sah ich meine Empfindungen wachsen, ohne Aussicht, dem Augenblicke näher zu sein, der über Ruhe und Zufriedenheit meines Lebens entscheiden soll, ich muß sie Ihnen entdecken, ehe sie mich überwältigen, und durch eine bestimmte Erklärung Hoffnungen beleben, — erhalten, an deren Hinschwinden zu denken ich nicht Fassung genug haben würde.  Ja, Teuerste, ich liebe Sie, im edelsten, ausgebreitetsten Sinne dieses Wortes, zu Ihnen zieht mich mein Genius mit mächtiger, unwiderstehlicher Hand, an Ihrer Seite nur blüht für mich Glück und Leben, — sonst nirgends mehr unter der Sonne.  Mehr von der treuesten, wärmsten Liebe sagen, hieße darstellen wollen, was nur der Schöpfer selbst darstellen könnte.

Entscheiden Sie jetzt, Teuerste, über das Glück eines Mannes, der hier sein Herz und alles, was auf der Welt sein ist, zu Ihren Füßen legt.  Nur in wenig Worten lassen Sie mich wissen, was Ihnen Ihr Herz beim Lesen dieses Briefes sagte, — aber einzig nur das, was es Ihnen von persönlicher Zuneigung oder Abneigung sagte, ohne Rücksicht auf mitwirkende Umstände, auf Verhältnisse, mit einem Worte, ohne Zutun irgend einer Seele.”

Jeanettens Entscheidung wurde durch äußere Umstände erschwert.  Ihre Mutter war bereits im Jahre 1791 heimgegangen, und nun war auch ihr Vater sehr schwer erkrankt.  Nach der Sitte der Zeit waren verschiedene Mittelspersonen bei der Werbung für Hans Georg beteiligt:  der Gutsnachbar von Pfaffroda, Herr von Woydt auf Oberforchheim, seine Tochter Wilhelmine, und das Fräulein Wilhelmine von Spörken, die Tochter der Tante Jeanettens, der Schwester ihres Vaters, die in erster Ehe mit einem Herrn von Spörken, in zweiter mit dem Grafen Rex=Zehista, in dritter mit dem Minister Grafen Hopfgarten verheiratet war.

Mit der ihm eigentümlichen Gewissenhaftigkeit hat Hans Georg alle die seine spätere Verlobung betreffenden Papiere, also seine eigenen Briefe, aber auch alle Mitteilungen der Mittelspersonen in einem besonderen Aktenstücke:  „Briefe Frau Jeanetten Carolinen von Carlowitz geb. Von Schönberg betreffend vom Jahre 1799” gesammelt.  Daraus ersehen wir, welche unendliche Schwierigkeiten zu überwinden waren, ehe er endlich zum Ziele kam.  Den besten Helfer bei seiner Herzensangelegenheit hatte Hans Georg in seinem Bruder Carl Adolf, der von Großhartmannsdorf aus alles beobachtete, was in Pfaffroda vorging, und den Bruder, der wichtigen Sitzungen des Oberhofgerichtes in Leipzig beiwohnen mußte, von allem benachrichtigte.

 

Carl Adolf schreibt an Hans Georg:

Großhartmannsdorf, 13. 12. (1799) früh um 9 Uhr.  „Du mußt aller=allerlängstens sogleich nach Installation und Krönung des neuen Oberhofgerichtskönigs von Leipzig abreisen, sonst könnte leicht der beste, passendste Augenblick für Deine Wünsche versäumt werden.  — Dein Einwurf, daß, im Fall auch der Kammerherr aus der Welt ginge, Du doch zur Fixierung Deiner Hoffnungen in den Augenblicken der Betäubung und des Schmerzes nichts bewirken könntest — ist scheinbar — aber wie mir deucht ohne Grund.  Unwillkürlich wendet das menschliche Herz sich nach einem anderen Ruhepunkt, wenn es eine Stütze verlor.  Das Gefühl eines großen Verlustes und Traurigkeit der Art stimmt schon zu einer gewissen Sympathie und verscheucht eine Menge Nebenrücksichten und Bürden des konventionellen Tons, die sonst gewöhnlich jede Annäherung erschweren.  — Gesetzt, der Kammerherr stirbt, so eilst Du mit der Teilnahme, die Du gewiß wahrhaft empfindest — an den Ort, wo sich viele gute rechtschaffene Menschen hinter dem Sarge dieses Redlichen drängen, ihm in ihrem Herzen das letzte Lebewohl nachzurufen.  Du siehst dann Jeanetten, Du trauerst mit ihr, — kein Wort von folgenden Verbindungen — kein Wort von Ehe wird da gewechselt werden — aber ein besseres Bündnis gründet sich doch — ein Bündnis, das kein spekulierender Vormund benagen, kein geistliches Gericht trennen kann.  Eile!”

Drei Tage später, am 16. Dezember 1799, starb Jeanettens Vater, ohne daß er, wie er es wohl gewünscht hätte, zuvor noch die Hand seiner Tochter zum Verlöbnis in die Hand Georgs hätte legen können.  Dadurch verschlechterten sich dessen Aussichten.  Denn Jeanette hatte als eine der reichsten Erbinnen Sachsens noch viele andere Bewerber, und diese säumten nicht, die tollsten Gerüchte über die Sturm= und Drangperiode ihres Verehrers, namentlich über sein Verhältnis zu Lili und die Weimarischen Duellgeschichten in Umlauf zu setzen.  Außerdem ging jetzt, wenigstens für die Zeit der Minderjährigkeit Jeanettens, die Verfügung über ihre Hand an den Schwager des Toten, den Vormund Jeanettens über, den sehr korrekten und steifleinenen Konferenzminister Grafen Hopfgarten.  Es traf sich schlecht, daß Hans Georg gerade in diesen kritischen Tagen nicht bei der Geliebten sein konnte.  Erst am 23. Dezember richtete er an Jeanette seinen Beileidsbrief.  Dieser Brief enthält geheimnisvolle Andeutungen, daß der jungen Liebe Gefahr drohe.  Es heißt darin:  „Urteile ich vielleicht zu hart über Personen, die Sie schätzen, — nun so verzeihen Sie dem Manne, der auf einer kurzen Laufbahn schon tausend traurige Erfahrungen gemacht hat, dem Manne, der schon mehr als einmal auf dem Punkte stand, im Kampfe gegen die Kabale zu fallen der Sie über alles liebt und der nach einem heiligen Schwur die Dauer seines Lebens mit der Dauer Ihres Glückes verband.”

Noch deutlicher sprach sich Hans Georg im Eingang des Briefes an Jeanette vom 26. Januar 1800 aus, in dem er vor der Geliebten eine Generalbeichte über alle Phasen seines früheren Verhältnisses zu Lili ablegt:  „Eine höhere Macht kettete mich an Ihre Person . . . und ein innerer Ruf, gleich der Ahndung einer gewissen Zukunft, sagt mir, daß die Dauer unseres Bundes und mein Sein unzertrennlich sind.  Ob ich recht tue, so kühn über mein Wesen zu entscheiden, einem Entschlusse durch den heiligsten Schwur Unabänderlichkeit zu geben, der meine Existenz abhängig von mir selbst macht, darüber richte der, dessen allmächtige Hand meine Kraft und meine Bürde wog.”

Wem hatte Carlowitz einen solchen Eid geschworen?  Der ganze bisher aufgedeckte Parallelismus des Erlebens führt darauf hin, daß wir seinen Partner und Eidgenossen zunächst in Hardenbergs Person zu suchen haben.

 

 

Hosted by www.Geocities.ws

1