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Vorwort
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Nachtrag

 

15.  Der Landtag von 1817/18; wachsender Einfluß Hans Georgs beim König und den Ständen.  Seine Ernennung zum Gesandten am Bundestage in Frankfurt (1821—27); sein Leben und Wirken in Frankfurt; sein Verhältnis zum Minister Stein.  Carl Adolf erster Kommandant von Magdeburg 1821, Vizegouverneur der Bundesfestung Mainz (1824—29).  Anton an der Spitze der herzoglich-sächs.  Verwaltung von Coburg-Gotha; Jeanettens Krankheit und Tod (5. Juni 1826).  Hans Georg aus Frankfurt abberufen

ußer den amtlichen Verpflichtungen und der Fürsorge für die Gutsuntertanen beschäftigte Hans Georg in den Jahren 1817/18 besonders der am 19. Oktober 1817 zusammengetretene Landtag — der erste nach dem großen Kriege —, von dem viele auch die Herstellung einer neuen Reichs= und Staatsverfassung erwarteten.  Hans Georg empfand dabei das Bedürfnis, sich darüber namentlich mit seinem älteren Bruder auszusprechen, zumal da der König statt einer völligen Neuordnung der Stände nur verfügt hatte, daß die Stände der bei Sachsen gebliebenen Teile der Oberlausitz und der Stifter Naumberg und Merseburg mit den erbländischen Ständen vereinigt und aus den ritterschaftlichen und städtischen Ausschüssen je ein Kollegium gebildet werden sollte.  Hans Georg schreibt an Carl Adolf aus Dresden nach der Eröffnung des Landtags (19. Oktober 1817): 

„Nun vom Landtage!  Er ist in vollem Gange und bis jetzt herrscht ein Geist, mit dem man zufrieden sein kann.  Ernst, guter Wille und anständige Freimütigkeit sind der dermalige Charakter der Stimmung unter den Ständen, die ich in jeder Hinsicht besser finde, als ich sie erwartet hatte.  Hier sende ich Dir des Erbmarschallamtsverwesers Rede bei der Eröffnung des Landtags.  Die Eröffnungsfeierlichkeit war ganz so, wie sonst; auch war die Zahl der Fremden noch ebenso groß, aber bei der Zahl der Stände war eine desto sichtbarere Abnahme zu bemerken.  Statt der alten Garde du Corps und Schweizer tat die Kürassiergarde und die Grenadiergarde den Dienst.  Ich war der zweite unter den fünf ältesten Ständen, die mit dem Erbmarschallamtsverweser am Throne standen; — so alt ist man geworden! —

Dein Entschuldigungsschreiben wegen Außenbleibens ist eingegangen.  Friesen fragte mich sehr freundschaftlich nach Dir und wie es Dir gehe; Du hast bei ihm einen großen Stein im Brette.  Unter den Ständen würdest Du überhaupt sehr gern gesehen sein, doch sehe ich wohl ein, daß die Rücksichten auf den Hof, dem man während des Landtags nicht ausweichen kann, Dein Erscheinen untunlich machen.

Die Lausitzer Stände sitzen mit den Erbländischen beisammen.  Auch sitzt unter uns der Bischof von Bautzen, samt den Voigten der beiden Nonnenklöster.  Anton ist Direktor der allgemeinen Ritterschaft des Meißner Kreises geworden und macht seine Sache so gut, daß er schon die ganze allgemeine Ritterschaft für sich gewonnen hat.  Da der Meißner Kreis jetzt der erste ist, so hat er zugleich das Direktorium in den Direktorial=Versammlungen.”

Die Sitzungen des Landtags dauern bis in den Juni 1818 hinein, ohne daß etwas Durchgreifendes erreicht worden wäre.  Am 15. Mai 1818 schreibt Hans Georg an seinen älteren Bruder:

„Der Landtag kann immer noch einige Wochen dauern und fängt an, mich recht ernstlich zu belästigen.  Der enge Ausschuß besteht statt aus 40 nur noch aus 5 erbländischen Ständen, und unter diesen wenigen teilen sich die Geschäfte und die Verantwortlichkeit …”

Endlich am 24. Juni wird er mit den üblichen Formen geschlossen.  Hans Georg schreibt Montags, 22. 6. 1818 an seine Jeanette:

„… Zum Johannistage ist der Landtagsabschied.  Denke an mich, wenn ich im roten Rocke und stattlich geschmückt um 9 Uhr in der Kirche sitze, um 11 Uhr als ein uralter Stand vor dem Throne stehe und um 2 Uhr an der Tafel des Königs auf Golde speise und unter Trompetenschall auf das Wohl Seiner Majestät im Namen des ganzen Landes trinke … Die Stände, besonders die Städte, haben zu mir ein unbedingtes Vertrauen; was ich für recht halte, nimmt man herzlich an, und ich wäre so ganz ein Mann für die Regierung, wenn ich nur auf ihre Ansichten eingehen wollte und könnte.  Einsiedel hat mich wirklich lieb, davon gibt er mir bei jeder Gelegenheit Beweise; auch ich habe ihn lieb, weil ich ihn für einen ganz rechtlichen Mann halte, nur stimmen wir — dafür kann ich nicht — in unseren Ansichten nicht zusammen.”

Immerhin zeigt dieser Brief, daß Hans Georgs Tätigkeit im Landtage sehr beachtet worden war.  Er selbst spricht davon seiner Frau gegenüber mit einer starken Selbstironie in dem Briefe vom 18. 6. 1818:  „Wie ein Planet sichtbar wird, wenn andere Sterne Strahlen auf ihn werfen, so geht es auch mir.  Auch ich werde von Zeit zu Zeit sichtbar und sogar mode.  Zuerst war ich’s anno 1799, dann 1801, 1812, 1813 und 1814.  Jetzt tritt wieder ein Lustrum ein.  Lange wird auch diesmal der Schimmer nicht dauern.”  Am klarsten zeigte sich dieser „Schimmer” bei den Feierlichkeiten des Landtagsabschieds.  Hans Georg erzählt davon in dem Briefe vom 26. 6. 1818 seiner Jeanette:  „Beim Landtagsabschiede war der König ungemein freundlich gegen mich.  Er kam nach aufgehobener Tafel zu mir und sagte mir, er wisse, welchen wesentlichen und nützlichen Anteil ich an den Angelegenheiten des Landtags genommen habe, dann ging er auf einige dieser Angelegenheiten besonders über, und so sprachen wir ziemlich lange.  Auch die Königin war diesmal recht freundlich.  Der Minister hat mich ersucht, eine Übersicht der Verhandlungen und Resultate des ganzen Landtags zu schreiben, zu schreiben, zu einem öffentlichen Gebrauche.  Er setzte hinzu, diese Arbeit sei von Wichtigkeit und man wisse sehr wohl, daß niemand ihr mehr gewachsen sei, als ich.  Anfangs hatte ich nicht Lust zu dieser Sache; aber man hat auch von anderen Seiten her so in mich gedrungen, daß ich den Nutzen nicht mehr verkennen kann und wirklich schon mit der Arbeit beschäftigt bin.

Seit gestern bin ich fast ununterbrochen von Ständen besucht, welche Abschied nehmen wollen und mich noch ihres Wohlwollens besonders versichern zu müssen glauben.  Es sind Stadtdeputierte zu mir gekommen, die ich gar nicht kenne.  Gegen diese wohlmeinenden und braven Leute bin ich aber auch recht freundlich und herzlich.  Frage nur Deinen Bruder, wenn Du wissen willst, wie lieb mich die Stände haben.”

Es ist kein Zweifel, seit dem Landtage 1817/18 war der Einfluß Hans Georgs auf die Regierung wieder im Steigen begriffen.

Zu den Eigenarten der Zeit gehören auch die Fragen des Anzugs.  Sie machen namentlich bei großen Hoffesten, wie dem Landtagsabschiede, dem Manne besonders zu schaffen, der seine Frau nicht um sich hat.  So schreibt er am 18. 6. 1818:  „Sage mir doch, Herziob Du noch brauchbare weiße Federn hast, ob ich sie holen darf und wo sie liegen?  Die Federfrau war heute bei mir und verlangt zu einem Hute gerade noch einmal soviel Federn, als Du mir gegeben hast.  Für eine Feder auf den Hut verlangt sie 13 Tlr., und das ist mir zu teuer, da ich, wenn ich auch einen solchen Federhut habe, doch nicht fliegen kann.  …”  Und am 26. 6. 1818:  „Du sagst immer, daß ich dottend sei, aber mein Kätzchen, Du bist es auch.  So hast Du mir meine Spitzen eingeschlossen, und ich habe an dem großen Galatage an der Paradetafel des Königs vor ein paar tausend Zuschauern — ohne Spitzen einhergehen müssen, das sollst Du noch lange hören.  …”

Noch während des Landtags hatte Hans Georg einen Urlaub genommen, um seinen Bruder in Halle zu besuchen, teils um seinen Wirkungskreis kennenzulernen, teils um manche Familienangelegenheiten mit ihm zu besprechen.  Er hatte die Rückreise von Halle über Merseburg gemacht und sich hier dem Chef und Freunde seines Bruders, dem General Kleist von Nollendorf, als Domherr vorgestellt, den er als einen Mann, der in einer entscheidungsvollen Feldschlacht gesiegt hatte, mit scheuer Bewunderung betrachtete.  Hans Georg schreibt darüber an Carl Adolf:

Merseburg, 28. 4. 1818.  „Ich danke Dir nochmals recht herzlich für die frohen Stunden, welche ich bei Dir zugebracht habe; sie machen einen Lichtpunkt in der neuesten Periode meines Lebens und geben den Erinnerungen einen Anhaltspunkt, wie ich jetzt oft in einem ganzen Jahre keinen einzigen finde.

In Merseburg scheint die Noblesse ein Vorurteil gegen Halle zu haben, wenigstens können die Leute gar nicht begreifen, was ich gesehen haben möge, wenn ich versichere, daß Halle der hübscheste Ort im Herzogtume Sachsen sei.  Dich hat man auch hier gar sehr lieb, und Du wirst selbst von der orthodoxen Kirche für einen der Schützenden Engel und für einen Grundpfeiler der alten Loyauté angesehen.

Auch über den braven Kleist ist nur eine Stimme, und wenn dieser große Man nie etwas weiter getan hätte, als seinem jetzigen Standpunkte zu genügen und die Menschen seiner Umgebung mit den äußeren Verhältnissen zufrieden zu stellen, so hätte er schon Anspruch auf Ruhm und Dankbarkeit bei der Mit= und Nachwelt.  Gestern hat der Dompropst ihm „die 3 Weisen aus dem Morgenlande”, die Domherren von Dresden, vorgestellt:  Nostitzen, Werthern und mich, und ich habe den Sieger bei Kulm mit einem Gefühl angesehen, wie es nur ein Edelmann, der ein Stubengelehrter ist und große Männer nur in Schriften findet, empfinden kann.  Heute geht er nach Halle, sonst wäre ich noch einmal zu ihm gekommen, denn er hat mich durch seine Herzlichkeit so angezogen, daß ich es Dir gar nicht beschreiben kann.

Diesen Nachmittag gehe ich wieder nach Dresden und ich hoffe, morgen bei guter Zeit da zu sein.  Warum haben wir dort nicht auch einen Mann wie Kleist an der Spitze, der die vielen rechtlichen Leute vereinigen, die Parteien versöhnen und dem guten Prinzip eine Richtung geben könnte!”

*

Zu den Angelegenheiten, die die Carlowitzischen Brüder in Halle miteinander besprachen, gehörte auch die Organisation einer wissenschaftlichen Erforschung ihrer Familiengeschichte.  Je unbefriedigender die Gegenwart war, um so häufiger und lieber lenkten sie ihre Blicke in die „schöne Vorzeit”.  Carl Adolf sammelt Münzen und Medaillen mit Bildern berühmter Carlowitze und alte Ansichten ihrer Herrensitze.  Hans Georg schreibt ihm im Oktober 1817:

„… Das Schloß Kuckuckstein werde ich aufs beste kopieren lassen.  Sobald die Kopie fertig ist, sende ich sie Dir zu und gebe die Originalzeichnung dem Appellationsrat Günz zurück.”  Aber diese Angelegenheit verlief nicht so glatt.  Denn er schreibt nach der Abreise von Halle am 28. 4. 1818 aus Merseburg:

„… über das viele Vergnügen habe ich meine Aufträge an Dich schlecht besorgt, denn ich finde eben, wo ich wieder Zeit habe, meine Papiere einzusehen, die Handzeichnung von Liebstadt [= Kuckuckstein], welche ich von Dresden mitgenommen hatte, um sie Dir persönlich zu übergeben.  Jetzt muß ich nun eine Gelegenheit suchen, sie in Deine Hände zu bringen.  Die Zeichnung ist übrigens noch ganz unversehrt, und so wirst Du sie wohl auch erhalten.”

Hans Georg hatte schon im Jahre 1816 ein „Verzeichnis der Akten und Schriften des Herrn Hans Georg von Carlowitz” anfertigen lassen und damit den ersten Anstoß gegeben zur Ordnung des Archivs in Oberschöna.  Vor ihm hatte der feinsinnige Erbauer des Schlosses Stösitz bei Oschatz, der adelige Inspektor der Fürstenschule St. Afra Hans Adolf v. Carlowitz, schon Stoff zu einer Geschichte des Bischofs von Meißen Nicolaus v. Carlowitz [† 1555] und zu einer Geschichte des Gutes Stösitz gesammelt (s. m. Kurs. Streifz.  VII, S. 1 ff.).  Jetzt setzte Hans Georg die Forschungen über die ältere Geschichte seines Hauses fort.  Er schreibt an Carl Adolf aus Dresden am 15. 5. 1818:  „… Jetzt eben bin ich ernstlich mit Ordnung der Angelegenheiten unserer Familie beschäftigt.  Aus einer von Antonen mir mitgeteilten Spezifikation ersehe ich, daß sich noch interessante Papiere bei Dir befinden, welche entweder von Dir gesammelt, oder von der Stösitzer Linie Dir mitgeteilt worden sind.  Sende mir selbige nur auf kurze Zeit, damit ich beglaubte Abschriften davon zu meinen Akten nehmen lassen könne.  Du erhältst sie alle dann pünktlich zurück.”

Auch im Herbst des Jahres 1818 ist Hans Georg, nachdem er seine Wohnung gewechselt und in das ehedem v. Zeschauische Haus gezogen ist, mit der Familiengeschichte beschäftigt.  Er schreibt am 19. 10. 1818 an Carl Adolf:  „Bei dem himmlischen Herbste, den ich freilich nur aus dem Fenster beobachten kann, habe ich täglich gewartet, daß Du auf einige Tage hierherkommen und die reiche Weinlese anordnen und genießen würdest.  Gleichwohl ist alles still von Dir, und fast tue ich schon auf meine Hoffnung Verzicht.  Deine Frau und Marie sind auf dem Weinberge und kommen fast gar nicht zur Stadt.

Während der schönen Witterung habe ich, um doch auch einmal eine Veränderung zu genießen, mein Quartier verändert.  Ich wohne jetzt im vormaligen Zeschauischen Hause in demselben Quartier, das Du inne hattest, und Deine damalige Stube ist jetzt die meinige.  Anton zieht drei Treppen hoch, nach der Elbe zu und hat die reizendste Aussicht …

Wenn Du die Nachrichten über unsere Familie zurückerhalten hast, welche Du einem Professor zum Zwecke gewisser Zusammenstellungen gabst, so lasse mir doch auch davon etwas zukommen … Mit Ordnung der rechtlichen Verhältnisse der Familie schreite ich rasch vorwärts, und ich habe bereits mehrere hiesige Archive obligat gemacht.  Auch auf einige historische Ausbeute aus diesen Archiven rechne ich.”

 In einem Briefe an seinen Bruder vom 18. März 1819 sehen wir Hans Georg zu selbständigen Archivstudien und zu dem Plane fortschreiten, daß er die Zeit seines Ruhestandes, den er als nahe bevorstehend ansieht, zur Abfassung einer Geschichte seiner Familie verwenden will.  Die dabei erwähnte Denkmünze auf den kurfürstlichen Rat Christoph v. Carlowitz (S. 10) ist ein Meisterstück der Medaillenkunst des 16. Jahrhunderts und findet sich in dem staatlichen Münzkabinett zu Dresden (s. Abb. S. 9).

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Dresden, 18. 3. 1819.  „… Im Geheimen Finanzarchive lasse ich jetzt Nachrichten über unsere Familie und deren Besitzungen sammeln.  Ich werde zwar manches Interessante erhalten, aber die wichtigsten Nachrichten sind in den Archiven des Geh. Rats, und aus diesen ist, wegen der Bequemlichkeit der vornehmen Vorsteher, nichts zu erhalten.  Kürzlich habe ich eine lange, eigenhändig geschriebene Deduktion des Christoph von Carlowitz adquiriert.  Sie interessiert mich, aber zugleich verdrießt mich, daß sie eine Supplik ist und daß darinnen beim Kurfürsten August um einen Vorschuß von 4000 Talern gebeten wird.  Ich kann die Bettelei nicht leiden, am wenigsten von verdienstvollen Männern.  Neulich fand ich noch in einem Archivaktenstücke eine von ihm eigenhändig geschriebene Urkunde über den Verkauf eines Stückes Holz von der Herrschaft Rothenhaus, die ganz vortrefflich abgefaßt war.  Deine Denkmünze auf ihn habe ich noch hier, und ich frage an, ob ich sie Dir senden soll, oder Du sie einmal bei mir abholen willst.  Der hiesige Münzmeister, der Dir bekannte Stucker, versichert, daß selbige nicht geprägt, sondern geschnitten sei, daß er sie nicht nachprägen lassen könne und ein Exemplar, wenn es jetzt gefertigt werden sollte, nicht für 50 Taler zu erlangen sein würde.  Eine Frau aus Meißen, die ich in meinem Leben nicht gesehen hatte, brachte mir neulich eine solche Münze und überließ mir, was ich ihr dafür geben wolle.  Ich schenkte ihr ein paar Dukaten, und sie hat mir dafür wohl zehnmal die Hand geküßt.  Sammle nur fort, lieber Bruder! ich tue es auch, und zuletzt werden wir doch wohl etwas Namhaftes zusammenbringen.  Vielleicht gibt mir der Himmel auch noch Zeit, an einer Geschichte der Familie zu arbeiten, denn meine Gesundheit wird die bisherigen Anstrengungen für den Dienst doch nicht lange mehr aushalten.  Ein inneres Gefühl und mein sichtbares Altern zeigen an, daß ich bald am Ziele meiner Pflicht sein werde, und dann gehört der noch übrige Teil meines Lebens mir.  Auch Schulenburg in Wien schreibt eine Geschichte seiner Familie, und ich habe ein Exemplar derselben für mich reklamiert, obschon nur Schulenburge deren bekommen sollen …

Viel Sensation erregen hier die Aufsätze im Januar= und Februar= Stücke der Minerva, über die Verhältnisse Sachsens im Jahre 1813 und die von den Ständen vorgeschlagene Landtagsordnung[1].  Du mußt notwendig beide lesen, wenn es nicht schon geschehen ist.  Der letztere Aufsatz paßt freilich nicht ganz in Dein System, denn er ist etwas jakobinisch, aber er ist höchst witzig, und die Ausfälle auf den Hofrat Böttiger haben mich wahrhaft ergötzt.  Glücklicherweise hat der Verfasser nicht gewußt, daß ich der Autor des Planes und der künftigen Repräsentation der Ritterschaft war, sonst würde es mir gewiß nicht besser ergangen sein.  Gleichwohl haben dem Plane edele und liberale Momente zugrunde gelegen, die man aber freilich nicht in der Ferne beurteilen kann …”

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Im folgenden August (1819) hatte Metternich in Karlsbad dem sächsischen Geheimrat von Just erklärt, der Vertreter Sachsens beim Bundestag, Graf Schlitz (genannt Görtz), sei nicht der Mann, die Intrigen des preußischen Bundestagsgesandten, des Generals Wolzogen, zu vereiteln.  Als nach dem Vorgange von Sachsen=Weimar, Bayern und Baden im Sommer 1819 auch Württemberg im Begriffe stand, die konstitutionelle Staatsform einzuführen, unternahm Metternich seinen ersten Vorstoß gegen die freiheitlichen und nationalen Bestrebungen, indem er im August 1819 mit den Vertretern der meisten deutschen Staaten die sogen.  „Karlsbader Beschlüsse” vereinbarte.  Sachsen war damals in Karlsbad durch den uns wohlbekannten (S. 49) Grafen Schulenburg, den sächsischen Gesandten in Wien, vertreten, und Österreich setzte am 20. September auch im Bundestage zu Frankfurt durch, daß die Karlsbader Beschlüsse angenommen wurden.  Sie wurden 1820 ergänzt durch die Wiener Schlußakte, bei deren Beratung aber Sachsen aus Sorge um seine Selbständigkeit schon nicht mehr ganz im österreichischen Fahrwasser segelte (Flathe, III, 396 f.).

Hans Georg war bei allen diesen Abmachungen nicht beteiligt.  Aber er war natürlich unterrichtet über das, was vorging, und in seinem Hause wurde viel davon gesprochen.  So schreibt er am 14. August 1819 an seinen Bruder Carl Adolf:  „Der Baron Fritsch (Minister in Weimar) ist nach Karlsbad gekommen, um an dem Kongreß mit teilzunehmen, hier aber gar nicht angenommen und überhaupt so unfreundlich behandelt worden, daß er sofort wieder zurückgekehrt ist.  Dies ist eine gute Botschaft für meinen verehrten Ultra (= Carl Adolf).  Gestern wurde nach einer lebhaften Debatte die Sentenz gefällt, daß der Grund, weshalb Du samt meiner Frau zu der Partie der Ultra gehörst, in der Faulheit zu suchen sei, weil Ihr Euch nicht auf liberale Ideen einexerzieren wollt.  Letztere hat wider diesen Ausspruch an Dich appelliert und will Antonen und mich bei Dir verklagen; ich tue also am besten, ihr hier zuvorzukommen.”

Am 28. August fuhr Hans Georg selbst mit seinem elfjährigen Sohn Woldemar und dessen Erzieher Ilgner nach Karlsbad, um dort die Kur zu gebrauchen, und kam am 29. August „abends 10 Uhr” dort an.  Seine ausführlichen Reiseberichte an Jeanette vom 2. Und 3. September zeigen ihn als Vater, Menschen und als Glied der politischen Gesellschaft, die sich dort zusammengefunden hatte.

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Hans Georg an Jeanette.  (A. D.)

Karlsbad, 2. 9. 1819.  „… Unsere Reise ging recht gut vonstatten.  In Zehist[2] konnten wir nicht gleich Pferde bekommen, weil die fürstlich Clarysche Familie von Teplitz eben durch zu Leysers ging.  Ich benutzte also die Zeit, mit dem Woldemar nach Zuschendorf[3], dem Stammgut unserer Linie, zu gehen, wo wir in der Kirche die Gräber unserer Vorfahren besuchten und ihre Grabsteine und Bilder betrachteten.  Unter den älteren ist der Oberstallmeister Hans v. C. mit seiner Familie und 4 Kindern gemalt, der nämliche, welcher den Saukrieg[4] geführt, Stolpen verbrannt und Wurzen belagert hat.  Er sieht ganz gescheit aus … Seine Frau kann man nicht im Gesicht sehen, denn sie hat ein Tuch vorgebunden, und die 4 Kinder sehen alle der Tilte[5] ähnlich.  Über dem Altar sind 4 andere Kinder in Stein ausgehauen, lauter Tilten, solche Familien= und Fratzengesichter, denen nur die schwarze Farbe fehlt, um Mohren zu sein.  Überall war das alte Wappen im Stein.  Diese Gemälde sind 200—300 Jahre alt.

Bei Untergang der Sonne langten wir auf dem Schlachtfelde von Kulm an.  Ein Mann, der damals von einem Winkel in den anderen gejagt worden war, diente uns zum Wegweiser.  Er war aus Arbesau, und man sah ihm noch nach 6 Jahren die Furcht an.  Er zeigte uns die Stellung der Korps, den Ort, wo Vandamme endlich gefangen worden war, und das, nach meinem Geschmacke, schlecht genug ausgefallene Monument, welches der König von Preußen den Gebliebenen hat errichten lassen.  Es ist von gegossenem Eisen, ist um 22 Fuß hoch und sieht beinah aus, wie die Turmspitze des Doms in Meißen nach der Elbseite[6].  Um 9 Uhr waren wir in Teplitz.  Hier wurde auf der Post warm gespeist.  Denn bis dahin hatten wir von dem gelebt, was die gnädige Frau uns in Dresden mitgegeben hatte.  Um 11 Uhr wurden die Laternen am Wagen angebrannt, und nun ging die Reise weiter.  Herr Woldemar war seelenvergnügt über die ungewohnte Nachtreise und schlief sehr sanft, bis wir früh um 6 Uhr in Saaz anlangen.  Hier besahen wir uns, wie Du denken kannst, vor allen Dingen ein halb Dutzend Kirchen, die schöne Aussicht vom Schlosse herab in das himmlische Tal, und um 9 Uhr fuhren wir weiter.  Das Frühstück bestand aus dem Reste der Semmeln und Wurst, die wir Deiner Generosität dankten.  Zwischen Podersam und Liebkowitz begegnete uns Schönberg von Purschenstein auf dem Rückwege, unsere beiderseitigen Postillone fuhren aber so rasch, daß wir nicht einmal Zeit hatten, uns zu grüßen, viel weniger zu sprechen.  Abends nach 10 Uhr trafen wir endlich in Karlsbad ein, nach einer 36stündigen Fahrt.  Wir stiegen bei Polza ab, konnten aber nur ein paar Zwiebäcke zu essen bekommen, weil alles zu Bette war, und eine Flasche Melniker Wein, der wenig taugte.  Am 30. früh um 6 Uhr waren wir auf dem Brunnen.  Viele Bekannte sind nicht mehr hier, und die wenigen Sachsen, welche ich noch gefunden habe, gehen im Laufe dieser Woche weg.  Dann werde ich mich zu den Polen und Böhmen halten müssen, so gut es gehen will.  … Die Gräfin Einsiedel erwartet ihren Mann, der hier Geschäfte mit Metternich abzutun hat.  Mit Dohnas bin ich viel hin und her spaziert, sie gehen aber auch in zwei Tagen wieder zurück.  … Bei meinem ersten Ausgang auf die Wiese kamen mir Schulenburg und Langenau in den Weg, und da war dann von allen Seiten große Freude.  Langenau nahm mich gleich mit fort zu sich, und da haben wir uns ein paar Stunden recht verständig unterhalten, bis uns der General Wolzogen unterbrach.  Wir wollen die paar Tage, welche etwa der Kongreß noch dauern will, recht viel miteinander sein.  Die fremden Minister sind noch sämtlich hier, man sieht sie aber wenig.  Nächsten Donnerstag wird die Ankunst eines Kuriers aus Wien entscheiden, ob sie abreisen oder noch länger bleiben werden …”

*

Karlsbad [3. September 1819] … Die Kur bekommt mir gut, Herrn Ilgner aber ganz außerordentlich, und er ist ganz wie aufgelegt.  Woldemar hat alle Brunnen gekostet, von jedem einen Fingerhut voll und sie sämtlich schlecht gefunden.  Heute hat er zwei Becher Theresienbrunnen getrunken, und das wird er während unsers Hierseins noch etwa dreimal wiederholen.  Er gefällt sich hier ungemein und ist seelenvergnügt.  Oft macht er mir aus lauter Fröhlichkeit zu viel Spektakel im Hause.  Früh von ½6 bis ½10 Uhr bin ich mit Herrn Ilgner auf dem Brunnen, Woldemar schläft bis ½8 und kommt dann noch.  Nachmittags läuft er mit Herrn Ilgner, bisweilen auch mit mir umher.  Meine Gesellschaft hier war bisher Riebold, Heynitz, der der Josepha bestimmte Bräutigam, ein Dr. Wiesant aus Leipzig und einige Österreicher.  Schulenburg und Langenau sind heute nach Wien abgereist.  Metternich und die übrigen Gesandten sind ebenfalls heute abgegangen, und nun wird es wohl etwas tot werden.  Polen und Österreicher sind noch hier, aber Sachsen fast gar nicht mehr.  Von Weimar ist meines Wissens niemand hier, als Goethe.  Einsiedel geht morgen weg, er war äußerst freundschaftlich und hat mich gestern lange besucht, auch sind wir viel umhergelaufen, doch ist von meiner Angelegenheit nicht ein Wort gesprochen worden…[7]

Im Oktober 1820 reiste Hans Georg mit seinem Sohne Albert, der die Fürstenschule zu Meißen mit Auszeichnung besucht hatte, nach Leipzig, brachte ihn im Hause des Buchhändlers Grieshammer unter und ließ ihn am 10. Oktober durch den Rektor Tittmann bei der Universität inskribieren (Brief an Jeanette, Leipzig, 11. Okt. 1820).

Ein halbes Jahr später stand Hans Georg selbst vor einer einschneidenden Veränderung seines Lebens.  Die Berührung mit dem in Karlsbad 1819 versammelten Kreise von Diplomaten war wie ein Vorzeichen einer neuen Aufgabe gewesen, die Hans Georg bevorstand.  Am 18. März 1821 berief ihn sein König auf den wichtigsten diplomatischen Posten, den er zu vergeben hatte, auf den des Gesandten beim Bundestage in Frankfurt.  Mit lapidarer Kürze meldet Hans Georg seinem älteren Bruder dieses so tief in sein Geschick einschneidende Ereignis:

Dresden, 18. 3. 1821.  Dir, als meinem ältesten und besten Freunde, melde ich zuallererst, daß mich der König aus höchsteigener Bewegung heute zum Geheimen Rate und Gesandten beim Bundestage in Frankfurt ernannt hat.  Kurz nach Ostern muß ich auf meinen neuen Posten abgehen, aber meine Familie bleibt bis gegen Michael zurück.  Anton wird indes meine Privatgeschäfte übernehmen, denn in einigen Jahren hoffe ich, wieder hierher zurückzukommen.  Da der Bundestag zuweilen lange Ferien hat, so rechne ich darauf, daß ich inmittels zuzeiten wieder nach Sachsen kommen kann, wenn die auch während der Ferien fortdauernden Spezialkommissionen mich nicht zurückhalten.  Auf diesen Reisen hin und her wirst Du dann jedesmal in Merseburg überfallen.

Wie es mir in Frankfurt gefallen werde, weiß ich freilich nicht.  Ich hänge sehr an dem alten lieben Sachsen, auch sind mir die dortigen Geschäfte völlig neu, sowie überhaupt das ganze Feld der Diplomatie für mich eine terra incognita ist.  Was mich aufmerksam und zweifelhaft macht, ist, daß mein Vorgänger Globig, den Du als einen fleißigen Mann und guten Rechner kennst, die Frankfurter Stelle mit 10 000 Talern Gehalt gegen die eines Oberkonsistorial=Präsidenten mit 4000 Talern vertauscht hat.  Anton macht mich ganz ängstlich und ist überhaupt ganz verdrießlich, daß wir uns, — was mir selbst höchst empfindlich fällt, — nach einer 16jährigen Vereinigung in einer Familie — trennen müssen.  — Heute vor 13 Jahren verloren wir unsern Franz (S. 62).

Am 6. Mai reiste Hans Georg von Dresden zunächst nach Leipzig, um mit seinem dort studierenden Sohne Albert die Reise nach Frankfurt fortzusetzen.  Hans Georg berichtet darüber an Jeanette aus Gotha, 9. 5., früh um 6 Uhr 1821.  „… dann ging ich zu Grieshammer, um meine und resp. der Mille. Lozéron Schulden zu bezahlen, aß mit Albert, Grieshammer und Wolfersdorff zu Nacht an der Wirtstafel im Hotel de Saxe und fuhr nach herzlichem Abschiede von vielen Bekannten, — man hat mich dort ebenso lieb wie in  Dresden — Schlag 10 Uhr zum Ranstädter Tor hinaus.  Albert, ich und Herr Tannert schliefen die ganze Nacht wie die Bären und wachten nur so lange als nötig war, um in Lützen und Weißenfels neue Pferde zu bekommen und die Postillone zu honorieren.  Als der schöne Morgen des 8. Anbrach, hatten wir das alte ehrwürdige Naumburg im Gesicht.  In Pforta stiegen wir aus, besuchten Carls Söhne, Paul und Moritz, die große Freude hatten und sehr wohl und vergnügt waren, und ließen uns von ihnen in der Schule herumführen.  Es war erst morgens 5 Uhr, aber die ganze Schule war schon auf den Beinen.  Gegen 1 Uhr waren wir in Weimar … Um 3 Uhr ging ich zu Lynkers.  (Frau v. Lynker, geb. von Schönberg, war die erste Braut Hans Georgs, s. S. 31 f.)  Er war auf dem Gute, die Frau und Tochter aber nahmen mich sehr freundlich an.  Ich mußte ihnen tausend Fragen über meine Hühner und Gänse beantworten und hätte hierbei Tannerten sehr gut gebrauchen können.  Die Damen führten mich in alle Zimmer in Haus; sie sind recht hübsch, aber das Quartier ist doch sehr klein wie überhaupt in Weimar alles, und nun kann ich mir die großen Augen erklären, womit die Lynkern Deine Wohnung samt der Dich umgebenden Herrlichkeit betrachtete.  Daß ich den Albert nicht mitgebracht hatte, wurde sehr getadelt; dieser war aber indes im Park spazierengegangen, um die 50 großherzoglichen Pfauen und andere dergl.  Merkwürdigkeiten zu betrachten.  Im Park hatte er sich verlaufen und die Stadt nicht wiederfinden können; indes war er doch mit Hilfe gefälliger Leute um 4 Uhr wieder beim Wagen.  Die Lynker und ihre Tochter sind diesen Winter an Nervenfieber heftig krank gewesen, haben sich aber wieder sehr erholt.  Sie empfehlen sich Dir und den Kindern aufs angelegentlichste und bitten Dich, als Prinzessin vom Schönbergschen Geblüt, ja bei Deiner Durchfahrt sie freundlich zu besuchen …

Um 4 Uhr fuhren wir von Weimar weg und trafen um 7 Uhr in Erfurt ein.  Gleich faßte ich einen Lohnbedienten, der uns in den Dom bringen mußte.  Wir sahen die herrliche Kirche, das Grabmal des Grafen von Gleichen mit seinen beiden Weibern, in der Ferne die Ruinen seines Schlosses und auf dem beschwerlich zu ersteigenden Turm die große Susanna, die Glocke, 5 Ellen hoch, 5 Ellen im Durchmesser, eine halbe Elle dick und 270 Zentner schwer, deren Schall man 70 Meilen weit hört.  Herr Albert macht zu allen außerordentlichen Dingen, welche ihm aufstoßen, ein sehr gewöhnliches Gesicht, sieht aber doch mit Interesse und begreift besser, was er gesehen hat, als Woldemar, der in Böhmen niemals wußte, wo er war, viel weniger, wo er gewesen war.  Desto gespannter ist Tannert, dieser sitzt auf dem Bocke mit der Miene eines Entdeckers und hat seit drei Tagen schon drei Städte entdeckt, die größer und schöner sind als Dresden.  Er hatte bisher in der Überzeugung gestanden, daß nur Lützen an Preußen abgetreten worden sei, und fand sich, als er diese Stadt bei Mondschein betrachtete, ziemlich betröstet über den Verlust; aber, als er nach Weißenfels, nach Naumburg, nach Eckartsberga kam, da stieg sein Zorn mit jeder Station, und jetzt ist seine Ansicht von Preußen in gleicher Linie mit der seiner hohen Beschützerin, der Mlle. Lozéron.  Er ist ein vorzüglich guter Mensch, der beste Diener, den ich noch gehabt habe; sag also Mlle. Lozéron, daß ich mich allerschönstens bei ihr bedanken lasse, ja daß ich ihr lebenslang verbunden sein würde, wenn sie mir noch einen ähnlichen Franzosen oder Schweizer — beides ist synonym — und einen Koch verschaffen wollte.  Um 9 Uhr fuhren wir von Erfurt ab und langten gegen Mitternacht im tiefen Schlafe hier im Hotel zum Mohren in Gotha an …”

Am 11. Mai kamen die Reisenden nach Frankfurt.  Die alte freie Reichsstadt in ihrer heiteren Lage am Main, mit ihren großen Erinnerungen an Reichstage und Kaiserkrönungen und jetzt der Sitz der politischen Hoffnungen der Deutschen hat unsern Hans Georg mit einem freundlichen und befreienden Zauber umfangen, der uns aus seinen Briefen entgegenstrahlt.  Seine ersten Schilderungen aus Frankfurt zeigen eine so gute Gabe der Beobachtung und der Darstellung, daß ich sie nur hie und da einmal etwas zu kürzen wage.  Er schreibt an Jeanette am 11. Mai und den folgenden Tagen:

Nun endlich, Du lieber Engel, bin ich hierDer Ort hat sich seit 28 Jahren (S. 29) ungemein verschönert, ist gar nicht mehr zu kennen und hat auf mich, Alberten und auch auf Herrn Tannert den lebhaftesten Eindruck gemacht.  Überall wird gebaut, geebnet und gepflanzt, und es herrscht hier ein Grad von Tätigkeit und ein sichtbarer Wohlstand, wie man ihn nur etwa in Leipzig finden kann.  Die Gegend ist wunderschön, und unter den zahllosen Landhäusern am Main und um die ganze Stadt her wird sich doch eins finden, das Dir und den Kindern gefällt, wo ihr Hühner und Gänse und ein Fastnachtsschwein halten könnt.  —

Ich wohne auf der Zeile im Römischen Kaiser” eine Treppe hoch, wo Herr von Globig bereits meine bevorstehende Ankunft hatte ansagen lassen.  Er selbst hatte hier gewohnt, ehe er ein Quartier fand, und war ungemein zufrieden.  Das Hotel ist schöner als irgend eins in Dresden und sieht wie ein Palast aus, so daß Albert laut aufschrie, wie er das prächtige Hans sah.  Gleich nach meiner Ankunft ging ich zu Herrn von Globig, bei dem ich den neuen Hannöverschen Gesandten, Baron Hammerstein, fand, einen recht adligen Mann, mit dem ich nun täglich zu tun haben werde.

Globig nahm mich recht herzlich auf; wir sprachen eine Stunde zusammen, und um uns noch recht auszusprechen, hat er mich und den Albert diesen Mittag um 3 Uhr zu Tische geladen, wo wir ganz unter uns sein werden.  Er ist mit dem Orte, den Menschen und den Geschäften überaus zufrieden und versicherte, daß er keinen Gesandtschaftsposten diesem vorgezogen haben würde.  Morgen fahren wir in der Stadt umher, um die nötigen Besuche abzustatten, übermorgen auch, weil mehrere Gesandte, namentlich der österreichische, erst morgen wieder hier eintreffen.  Meine Einführung wird wohl erst nächsten Donnerstag stattfinden, da Globig in der Montagssitzung persönlich Abschied nehmen wird …”

„… So wenig ich in Dresden fertig werden konnte, so viele Ruhe werde ich, wie es scheint, in der ersten Zeit meines hiesigen Aufenthaltes hier haben; ich bin also auf den Gedanken geraten, ein Tagebuch für Dich anzulegen und fange auch gleicht jetzt damit an, vielleicht veranlaßt Dich das gute Beispiel zur Nachfolge.  Über das Porto sei nicht ungehalten, denn teils ist es mir, getrennt von Dir, ein Bedürfnis recht oft an Dich zu schreiben, weil ich immer an Dich denke, teils wird das gesamte Porto meiner Korrespondenz, wie Herr von Globig mir sagte, im ganzen berechnet.  Diesen ganzen Nachmittag habe ich bei Globig zugebracht, mit dem ich eine Menge Dinge zu verabreden hatte und noch täglich haben werde.  Bei Tische war außer mir und Alberten kein Gast, also nur noch Herr von Globig, seine drei Söhne, der Hofmeister und der Legationssekretär.  Während Tisch’s kam noch der General Zezschwitz, um mich zu sehen, und blieb zum Kaffee.  Ohngeachtet wir so ganz unter uns waren, aß man doch auf Rheinländisch sehr gut:  eine Bouillonsuppe, Schinken, Huhn mit Reis, eine vortreffliche Mehlspeise, Wildbretbraten und Dessert.  Nach Tische wurde Kaffee und Likör herumgegeben.  An Weinen war nach der Suppe Madeira, dann zweierlei Rheinweine und Burgunder auf der Tafel.  Alles ist hier so wohlfeil und gut zu bekommen, daß, wie Herr von Globig mir sagt, eine solche Mahlzeit in jedem anständigen Hause, selbst in jedem Gasthofe der besseren Klasse an der Tagesordnung ist.  — Nun bin ich nur neugierig, erst die Traktamente zu sehen!  Auf Morgen hat Herr von Globig außer mir und Alberten noch einige andere Leute eingeladen.  Das Tischgerät war gewöhnlich, die Teller und Schüsseln bestanden aus Fayence, und der Wein wurde aus Weingläsern, aber von einer schöneren Form als die Dresdner sind, getrunken.  Dergleichen Gläser bekommt man hier besser, und ich rate daher, kein Glaswerk in Dresden zu kaufen und entweder gar keins oder nur dasjenige mitzubringen, was Du schon hast, wenn Du es nicht Antonen schenken willst.

Um 7 Uhr ging ich mit Globig um den größten Teil der Stadt spazieren, und gleichwohl war ich um 8 zu Hause.  Die Promenaden sind wunderschön, ganz im Geschmacke der Leipziger, aber größer und üppiger und durch die anstoßenden herrlichen Häuser, wo eben Quartiere zu vermieten sind, von außen.  Die Neue Gasse am Main, welche man die „Schöne Aussicht” nennt, hat eine ebenso schöne Aussicht als unser Haus in Dresden.  Vor ihr ist ein lebhafter Kai, dann der Main, der mehr und größere Schiffe hat, als die Elbe, die Mainbrücke und gegenüber Sachsenhausen und eine Reihe der schönsten Landhäuser und Gärten, Weinberge und Wiesen längs dem jenseitigen Ufer.  Die Häuser sind ohngefähr wie auf der Moritzstraße in Dresden.  Diese Häuser sind aber freilich im Sommer, weil sie gegen Mittag liegen, sehr warm und im Winter, wegen des Zugs, ziemlich kalt, auch vom Mittelpunkte der Stadt, wo die Gesellschaften, das Schauspiel p. p. sind, ohngefähr so weit entfernt, wie Dein Haus von der Schloßgasse.  Der Weg führt durch einige schlechte, meist von Juden bewohnte Gassen, welche im Winter sehr schmutzig sein sollen.  Zu dieser Zeit muß man fahren, die Gesandten von England und Hannover wohnen auf der schönen Aussicht.  Die neue Mainzer Gasse ist auch etwas entfernt vom Mittelpunkte der Stadt und nach an den Promenaden.  Ich muß sie mir noch genauer betrachten … Was man von der Seltenheit guter Quartiere hier sagt, finde ich nicht bestätigt, denn ich weiß deren heute schon 7, die alle Raum für uns darbieten.  Man baut überall und gut, daher geraten die Hausbesitzer oft in Verlegenheit, zu großen Quartieren Mietleute zu finden.  So ist jetzt auf der Zeile unter anderem ein ganzes Haus leer, das Schwitzer’sche, größer, als das Vitzthumsche[8] auf der Moritzstraße.  Gleichwohl sind die Mieten hier in gleichem Preise mit den Wienern und Berlinern, weil die Hausbesitzer und diejenigen, welche große Wohnungen brauchen, meist reiche Leute sind.  Vor der Hand bin ich noch ganz in Globigs Quartier verliebt.  Die drei Zimmer auf der Seite der Zeile, jedes drei Fenster breit, könnte ich Dir überlassen, eins zu Deiner Wohnung, eins mit Balkon zur Gesellschaft, eins zum Tafelzimmer.  Nebenan liegt ein Zimmer mit einem Fenster nach dem Hofe, wo wir schlafen könnten, und neben diesem ist wieder eins von zwei Fenstern, wo die Bedienten bei Tage sein würden, weil es unmittelbar an der Treppe liegt.  Nun gehen noch zwei Flügel in den Hof zu zwei und vier Zimmern, den einen Flügel könnte Herr Ilgner, den anderen ich nehmen.  Einige kleine Degagements sind noch vorhanden, auch stehen überall Schränke.  Die Küche ist im Erdgeschoß nebst einer Stube für den Koch.  Im Hofe ist ein Stall für zwei Pferde und eine Stube für den Kutscher.  Überdies hat Herr Globig noch die Kanzleistube, die Stube des Legationssekretärs und Platz für drei Wagen.  Für alles dieses gibt er 2400 Gulden gegen halbjährliche Aufkündigung.  Überdies kann ich noch zwei Stuben im Erdgeschoß und für zwei Pferde Stallung erhalten, die ich besonders ermieten müßte.  Du würdest dann die Einteilung machen, wie Du willst.  Vielleicht wünschen Deine jungen Damen diesseits und jenseits der Alpen die beiden schönen Parterrestuben nach der Straße heraus, um den Begebenheiten des Augenblicks mit dem Näschen recht nahe zu sein und ihrer Wißbegierde volle Genüge zu leisten.  Ich dachte mir es heute recht schön, wenn Du auf dem Balkon stündest und unter Dir aus vier Fenstern Mlle. Lozéron, Josephe, Ottilie und Pauline guckten; eine solche Gruppe wäre wirklich zum Malen geeignet.  Schade nur, daß ich nicht gegenüber logiere.  Ich gäbe viel darum, wenn Du nur einen Tag hier wärst, um selbst zu entscheiden, denn ich bin überaus ängstlich, Dir alle ersinnliche Bequemlichkeit zu verschaffen.  Glaube mir, mein Engel, ich empfinde das Opfer gut, das Du mir bringst, indem Du Vaterland und Freunde verlässest, um mir ins Ausland zu folgen, und darum möchte ich gern alles in der Welt tun, auch Dir Frankfurt angenehm zu machen … Ich kann Dir gar nicht sagen, wie freundschaftlich er (Globig) ist und wie herzlich er stich freut, daß gerade ich sein Nachfolger geworden bin.  Er interessiert sich lebhaft für sein Geschäft und glaubt es in meiner Hand gut aufgehoben.  Seine Besorgnis war, daß man einen Diplomaten von Fach senden möchte, und daher hat er in Dresden dringend gebeten, zur Behauptung des Gewichts der sächsischen Stimme dies ja nicht zu tun, sondern einen reinen Geschäftsmann zu wählen.  Die Gesandten, welche Globig sehr liebhaben, sind über seinen Abgang verdrießlich gewesen und haben sich gewundert, daß man eine Präsidentenstelle in Sachsen für wichtiger als die Gesandtschaft am Bundestage halte.  Globig hat sie aber auf meine Kosten getröstet, denn er hat ihnen gesagt, daß sein Nachfolger ein wahrer Solosänger in Geschäften sei, auch eine ehrliche Haut, dem jeder Kollege die Stimme seines Hofes ohne Bedenken auftragen könne.  Es ist mir lieb, daß ich mit einer guten Meinung auftrete, und was die Arbeit betrifft, so ist mir gar nicht bange, denn so viel ich jetzt übersehe, wüßte ich gar nicht, wo nur der Stoff herkommen sollte, mir halb so viel zu tun zu geben, als ich in Dresden zu tun hatte.

… Die Geschäfte haben viel Ähnliches in der Art und Methode mit unsern ständischen, und gerade das ist, was mir ungemein gefällt.  An der Beratung diskutieren die 17 deutschen Gesandten streng nach den allgemeinen Ansichten der Regierung, die jeder vertritt, nach der speziellen Instruktion, wo eine gegeben ist, und übrigens nach ihrer Überzeugung.  Die sächsische Stimme hat ein großes moralisches Gewicht.  Man weiß, daß der König nur das Wohl von Deutschland beabsichtigt, daß er nichts für sich erstrebt und daß er ein offener und gereifter Mann ist, sein Gesandter kann also nur in diesem Geiste handeln, er ist ein Apostel der Gerechtigkeit und der guten Sache.  Du siehst, daß ich kaum einen Posten hätte finden können, der meinem Herzen mehr entspräche.  Ich danke dem Himmel, dem Könige und dem Minister (Einsiedel) herzlich für ein Glück, das ich mir nie so hätte träumen lassen.  Dabei hindert mich nichts, an Besorgung meiner bisher verabsäumten eigenen Geschäfte und am Fortschreiten in den Studien, die ich zu meinem Zwecke brauche.  Während meine Kollegen umherreisen, will ich hier ruhig fortarbeiten und nur zuweilen einen Ausflug in interessante Gegenden machen, wenn es in Deiner Begleitung geschehen kann …

Schon im Juli treten wieder Ferien ein, die vielleicht acht und mehr Wochen dauern werden.  Diese könnte ich in Sachsen zubringen.  Ich finde aber doch nicht recht schicklich, schon jetzt wiederzukommen, vielmehr besser, mich erst hier einzuarbeiten und einzurichten … Je mehr ich mich hier umsehe, desto mehr überzeuge ich mich, daß man in Dresden bessere Nachrichten von Konstantinopel als von Frankfurt hat, denn ich finde alles anders, als ich erwartet hatte.  Vom Luxus sehe ich nichts.  Ich habe nun wenigstens hundert distinguierte Damen auf den Gassen, den Promenaden und in Equipagen gesehen, ohne etwas von besonderer Eleganz im Anzuge zu bemerken.  Die Damen sehen ohngefähr und kaum so aus wie die auf der Neustädter Allee, in Leipzig ist man weit eleganter.  So fuhren gestern die hier anwesenden Gesandten und eine Menge andere Herrschaften in mehr als zwanzig Equipagen an meinen Fenstern vorüber zu einer Lustpartie nach Wilhelmsbad, und ich versichere Dich, daß die mehrsten dieser Equipagen wie gute Dresdner Mietwagen aussahen und nicht eine einzige schöner war, als unsere Wiener Chaise mit den beiden schwarzen Elefanten[9].  Noch habe ich keinen Gesandten gesehen, der eleganter gekleidet wäre, als unser Anton, wenn er von der Kanzlei kommt.  Man trägt Überhosen und — das ist doch wohl kein Luxus?  Heute lege ich mit Herrn von Globig meine Antrittsbesuche ab, und dies geschieht nicht anders als im Frack, jedoch, wie Globig ausdrücklich verlangt, mit allen Orden.  Die Uniform wird nur dann angelegt, wenn man zu regierenden Herren fährt, und bei den diplomatischen Festen am Geburts= und Namenstage des Kaisers.  Globig hat, seit er hier ist, nur zweimal den Degen getragen.  Im ganzen trägt man sich hier und lebt ohngefähr wie in einem Bade; niemand will geniert sein und andere genieren.  Auch mit dem französisch Sprechen hat es keine Not:  alle Männer, selbst der französische Gesandte, sprechen in der Regel deutsch, und die Damen halten es auch so, wenn man sie nicht etwa französisch anredet.  Gleichwohl ist es mein fester Vorsatz, binnen 6 Monaten vom dato fertig französisch zu sprechen und zu schreiben, und ich hoffe, hierdurch bei Mlle. Lozéron ein erstes Kompliment einzuernten.”

*

Zieht man die Summe aus Hans Georgs ersten Eindrücken von Frankfurt, so kann man wohl sagen, die Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit, die ihn in den ersten Jahren der Reaktion periodisch heimgesucht hatte, lag hinter ihm wie ein böser Traum.  Wie einst der junge Goethe in Leipzig sich einem freien Vogel auf dem Aste verglich (Goethe an Riese aus Leipzig am 21. 10. 1765, Alles um Liebe, S. 9), so schreibt Hans Georg an Jeanette am 12. Mai:  „Hier komme ich mir vor wie ein Vogel, er aus dem Bauer geflohen ist und sich die Welt von einer Baumspitze aus betrachtet.  Wenn Du doch auch diese Vue d’oiseau nehmen wolltest, Du lieber Engel!  Die Ungewißheit, ob es Dir außer Sachsen gefallen werde, ist wahrhaftig noch meine einzige Sorge.”

Diese Sorge war nicht ganz unbegründet.  Denn Jeanette war eine komplizierte Natur.  In ihrem Wesen mischte sich zärtliche Liebe mit ein wenig Eifersucht, tiefe Innerlichkeit mit einer etwas kleinlichen und äußerlichen Auffassung der Pflichten einer Gattin und Hausfrau, Neigung zu einem behaglichen Lebensgenuß mit einer einengenden Sparsamkeit.  Sie war ihrem Mann in manchen Stücken ähnlich, in anderen wieder gänzlich verschieden von ihm, aber gerade darauf beruhte wohl das außerordentliche Glück, das beide in ihrer Ehe fanden.  Aber freilich, die am 16. Mai geschriebene Antwort Jeanettens auf seine Reiseberichte aus Gotha, Hanau und Frankfurt war wohl geeignet, seine Begeisterung für die Frankfurter Verhältnisse wenigstens vorübergehend etwas zu dämpfen, zumal auch Mlle. Lozéron, die Gouvernante der Carlowitzischen Töchter, neben der Hausfrau ihre keineswegs zu überhörende Stimme erhob.  Jeanette schreibt:  Oberschöna, 16. 5. 1821.  „… Zu meiner Freude habe ich gestern zwei Briefe von Dir, mein lieber Engel, erhalten, einen aus Hanau und den anderen schon aus Frankfurt selbst.  Wie sehr freue ich mich, daß Du glücklich hingekommen bist und daß es Dir für den ersten Augenblick gefällt.  Der Himmel helfe weiter und gebe auch mir Mut, der mir zuweilen ganz ausgeht, seit Du weg bist und ich nun niemand mehr habe, der mir zuredet.  Du glaubst nicht, wie traurig ich oft bin, besonders, wenn ich mir lebhaft denke, wie ruhig und glücklich wir in Oberschöna leben könnten.  Ich fühle, daß ich Unrecht habe zu klagen und traurig zu sein, aber es überfällt mich zuweilen so eine Bangigkeit, der ich nicht widerstehen kann, deshalb habe Nachsicht mit mir.  —

Daß Du schon einen Bedienten angenommen hast, hat mich sehr beunruhigt, indem ich hier auch schon einen habe und ich es unrecht finde, den armen Menschen mit hinauszuschleppen, um ihm dort den Abschied zu geben.  Er ist bei Beust sehr lange gewesen, und dies will bei dem seinen Eigenheiten viel sagen.  Die Beust hat ihn sehr gelobt, daß er besonders den Tisch sehr gut verstände, denn wenn sie Diners gegeben hätten und sie ihren Küchenzettel gemacht, hätte sie sich um das übrige nicht bekümmern brauchen, dies wäre ganz ihm überlassen gewesen.  Auch verstände er sehr gut, das Silber zu putzen, auch habe ich Ilgnern zu dem Hofmeister von Beust geschickt und mich bei dem erkundigen lassen, welcher versichert hat, daß es ein seltener ehrlicher Mensch sei.  Bei dem allen hätte ich ihn doch mit einem halben Monat Lohn wieder fortgeschickt, da Du schon einen hast, wenn nicht der Schneider schon seine Livree machte und mich der Mensch dauerte, da er so glücklich ist, bei uns zu sein und sein Bruder, der Briefsekretär Stölzner, der bei Dir zuletzt schrieb, mich so gebeten hätte, ihn doch ja zu behalten.  Jetzt bestimme Du, was werden soll.  Die Lozéron hat sich alle Mühe gegeben, einen Kammerdiener zu finden, jedoch vergebens, auch machen sie ungeheuere Forderung.  Wie alle sind überein gekommen, Dir vorzuschlagen, gar keinen so teueren Menschen zu nehmen, da ich nicht weiß, was er soll, wenn die anderen Bedienten den Tisch verstehen.  Was die Sprache betrifft, so hättest Du doch nur auf der Reise viel mit ihm sprechen können, jetzt kannst Du ihm doch nur gewöhnliche Dinge heißen und nur wenig um Dir haben.  Du hast ja, um Dich im Sprechen zu üben, die Lozéron und Le Maître, der gut französisch sprechen soll …

Die Pferde sollte ich Dir diese Woche schicken, doch da ein Reitpferd noch gebraucht werden soll und Leyser verreist ist, werde ich es noch aufschieben müssen.

Ich mag es mir mit Anton überlegen wie ich will, so ist es nicht möglich, in zwei Wagen fortzukommen; ich werde wohl noch einen Prankau kaufen müssen, wo ich die Leute daraufsetzen kann nebst dem Silberkasten, für 50 Taler glaubt Anton einen zu schaffen.  Wegen der Wohnung bitte ich Dich ja nicht zu übereilen, es ist gar nicht nötig, daß wir einen Garten haben müssen, noch schöne Aussicht, nur nicht entfernt und bequem.  Fast hätte ich vergessen, Dir zu schreiben, daß Dich Anton recht sehr warnen läßt, im Falle Du draußen einen Kammerdiener nimmst, Dich ja vorzusehen, weil fast alle Spions wären.

Den anderen Morgen.

Gestern schrieb ich Dir sehr traurig, heute geht es etwas besser.  Wenn ich viel Geld ausgeben muß, bin ich immer böse auf Frauchen und schimpfe und möchte lieber, ich weiß nicht wo sein!  Gestern kam auch alles zusammen, erst die Teemaschine, die sehr hübsch ist, aber auch teuer, dann mußte ich 50 Bibeln bezahlen, die Du bestellt hast, den Tag zuvor hatte ich Tischzeug ausgesucht, wovon ich die Rechnung bekam, Anton sagte mir, daß ich das Pferd bezahlen müsse, wenn Leyser käme, und dem Kutscher 100 Taler zur Reise geben müsse, so kommen täglich ungeheure Ausgaben, und ich weiß nicht, wo das Geld noch herkommt, denn Du hast mir im ganzen wenig gelassen, und ich habe nur die 200 Taler Besoldung gezogen.  Oft denke ich, daß ein besonderer Segen darauf ruht, aber diese vielen Ausgaben machen mich oft sehr karg …

Was macht Albert?  Grüße ihn recht herzlich; daß er sich nur ja auf der Reise in acht nimmt und nicht allein reist.

Die Lozéron sagt Dir viel Schönes und sie hat recht räsoniert, daß zwei Seiten in Deinem Briefe von der Lynkern handelten, die sie nicht leiden kann.  Ich werde die Lynkern besuchen, wenn ich durchreise, aber die Kinder wollen indes sich umsehen … Bibra (2. Gemahl der Mutter der Frau von Lynker, S. 31) hat auf dem Landhause an alle gesagt, daß Du einige Stunden bei seiner Tochter gewesen bist und Kaffee getrunken hättest, sie wäre nur böse, daß Albert nicht mitgekommen wäre, was uns aber allen sehr lieb ist …

Alle, alle fragen nach Dir und tragen mir viel Schönes an Dir auf, besonders Hopfgartens, Anton, Lozéron, Ilgner und die Kinder.  Ich aber küsse Dich recht herzlich und wünsche, Du wärest bei mir, daß ich Dir sagen könnte, wie sehr ich Dich liebe.       Deine J. C.

 

Ehe Jeanette in der Lage war, durch ihr eigenes Erscheinen in Frankfurt die gelinde Verstimmung wieder gutzumachen, die ihr Brief bei Hans Georg erregen mußte, hatte er natürlich auch seinen älteren Bruder Carl Adolf von seiner Reise und seiner Einführung in das neue Amt erzählt:  Frankfurt, 21. 5. 1821.  „… Am 11. Des Mts. kam ich hier an.  In den ersten Tagen meiner Anwesenheit nahmen die Besuche und Gegenbesuche kein Ende.  Den 17. wurde ich in die Bundesversammlung eingeführt.  Die Art der Geschäfte und wie sie debattiert werden, gefällt mir, auch gefallen mir hier der Ort, die Lebensart und die Menschen.  Meine neuen Herren Kollegen haben mich recht freundschaftlich aufgenommen, auch bin ich bei der ersten Sitzung gleich zu drei Kommissionen gewählt worden, was ich als einen Beweis von Zutrauen zu betrachten habe.  Die hiesigen Gesandten sind jetzt von Österreich der Graf Buol, von Preußen der Minister Graf Goltz, von Bayern der Herr von Aretin, von Hannover der Herr von Hammerstein, von Württemberg der Minister von Wangenheim, von Baden der Baron Blittersdorf, von Kurhessen der Herr von Lepel, von Darmstadt der Herr von Garnier, von Dänemark der Graf Eyben, von den Niederlanden der General Graf Grünne, von den Herzogen zu Sachsen der Graf Beust, von Nassau der Minister von Marschall … Langenau (österr. militärbevollmächtigter) und Wolzogen (preuß. M. B.) haben mich angelegentlich nach Dir gefragt …

Deine Söhne Paul und Moritz habe ich am 9. früh ½6 Uhr in Pforta besucht (S. 196).  Sie waren schon angezogen, um Schlag 6 in die Stunde zu gehen.  Ich fand sie sehr wohl, und sie haben mir ungemein gefallen.  Paul muß sich neuerlich vorzügliche Mühe gegeben haben, denn er ist in die ausgezeichnete Klasse gekommen, wohin man mit großer Wahl nur die besten setzt.  Mir schien, als ob sie wünschten, bald weg und ihrer künftigen Bestimmung näher zu kommen …”

*

Die Briefe Hans Georgs an Jeanette brechen mit dem 5. Juni 1821 ab, und da seine Gattin erst in der zweiten Hälfte des Augusts mit den Kindern nach Frankfurt kam, könnte man denken, daß Hans Georg eine längere Sommerreise zu den Seinen in die Heimat unternommen hätte.  Aber Jeanettens Briefe aus Dresden vom 6. Und 8. Juni 1821 und aus Oberschöna vom 23., 26., 27. Juni und vom 9., 20., 21., 28. Juli und vom 11. Und 13. August beweisen, daß Hans Georg, wie er es sich vorgenommen hatte (S. 202), den Sommer in Frankfurt blieb, um sich mehr und mehr in die Geschäfte einzuarbeiten.  Ein Echo aus dieser Zeit und den Reiseplan für die Seinen enthält der Brief Hans Georgs an Carl Adolf vom 16. August 1821 aus Frankfurt:  „Am 22. Bringt Freund Anton meine Familie nach Eisenach, wo ich sie übernehmen und hierher führen werde.  Er hat so viel zu tun, daß ihm die Zeit fehlt, weiter als bis nach Eisenach zu kommen, und ich fahre Tag und Nacht, um ihn dort wenigstens auf einige Stunden zu sehen.  Auch ich bin jetzt mit der Zeit sehr pressiert, denn man hat mir auf die Zeit der Abwesenheit des kaiserlichen Gesandten vom August bis November die Ehre erwiesen, mir das Präsidium der Bundesversammlung und der Angelegenheiten der österreichischen Gesandtschaft zu übertragen …”

Jeanette reiste unter Antons Geleit mit ihren Kindern am 19. August von Oberschöna ab, und zwar mit 3 Wagen — der 3. (s. S. 205) für „die Leute und den Silberkasten” hieß später in der Familie „der Chausseeschrecken”, sein Kutschkasten dient noch heute in Oberschöna als Kinderschaukel.  Die Reise ging über Leipzig, Weimar und Gotha bis zu dem Treffpunkte Eisenach, und ihr Gatte war ihr bis dahin entgegengekommen.  Von hier aus geleitete er die Seinen am 23. und 24. August in das neue Heim, das er unterdessen in der Wohnung seines Vorgängers, des Barons von Globig, auf der Zeile Nr. 26 aufgeschlagen hatte.  Es fiel Jeannetten nicht leicht, sich in Frankfurt einzugewöhnen.  Aber nach und nach schmolz das Eis der Vorurteile.  Schon am 5. Oktober kann Hans Georg an seinen Bruder schreiben:  „Meine Familie, die ganz erstarrt von Vorliebe für Sachsen hier ankam, fängt allmählich an aufzutauen … Anfangs gefiel hier nichts, der Main war zu schmal, die Brücke zu kurz, die Dimension der Gasse ganz unangemessen.  Meinen Bemühungen …, Frankfurt angenehm zu machen, ist die gutmütige Freundlichkeit, mit der sie hier allenthalben aufgenommen wurden, sehr zustatten gekommen, und jetzt finden sie selbst, daß man hier gegen Fremde weit zuvorkommender sei als in Dresden …”

Aber es gab Rückfälle.  Am 15. Dezember 1821 schreibt Hans Georg an Carl Adolf, daß er in ganz Frankfurt keinen Feind habe und „daß fast jede Depesche die Äußerungen der besonderen Zufriedenheit des Königs wiederholt.  Dies macht mich ruhig und zufrieden, und ich hätte kein Bedenken, lebenslang hierzubleiben, wenn man mich hier lassen will.  Weniger gefällt es meiner Frau hier.  Diese ist aber auch ein erzgebirgisches Kind mit Leib und Seele, denn wo es nicht Keulen schneit wie in Pfaffroda und Tanten, Muhmen, Schwäger pp. gibt, da glaubt sie sich nicht einheimisch.”

Aber allmählich sah sich Jeanette doch neben ihren Gatten in Frankfurt in einen großen Kreis von Diplomaten und Militärs gestellt, in dem sich beide wohlfühlten, und wie es ihm gelang, sich durch sein würdiges, fleißiges und geschicktes Wesen die allgemeine Achtung zu erwerben, so wirkte Jeanette durch ihre anmutige Erscheinung und ihre liebenswürdige Unterhaltung.  Namentlich in dem russischen Gesandten Baron Amstedt fand sie einen ebenbürtigen Partner, mit dem sie gern über wirtschaftliche Dinge plauderte, über politische stritt und mit dem sie in einem wirtschaftlichen Güteraustausch stand — russischer Tee gegen sächsische Rebhühner und böhmische Fasanen — wie ihn auch das große Freundespaar Goethe und Charlotte von Stein nicht verschmäht hat.  Scherzend schreibt Hans Georg am 9. März 1822 (S. 214):  „Vor 25 Jahren hätte mir Amstedt ein sehr gefährlicher Nebenbuhler sein können, denn in allen Gesellschaften sitzen sie beisammen, um sich zu belehren oder zu zanken, je nachdem von der Küche oder von anderen Gegenständen die Rede ist.”

Hans Georgs Glücksgefühl wurde dadurch noch erhöht, daß auch seinem Bruder eine „ausgezeichnete Promotion” zuteil wurde, indem ihn der König von Preußen am 29. Mai 1821 zum Kommandanten der Festung Magdeburg ernannte.  Dieser Ernennung folgte am 30. März 1822 die Beförderung zum Generalleutnant.

Dazu schreibt Hans Georg an den Bruder am 14. Juni 1821:  „Zu Deiner höchst verdienten, aber auch in der Tat ganz ausgezeichneten Promotion wünsche ich Dir mit dem Gefühle der innigsten Freude Glück.  Du hast nun einen Standpunkt gefunden, wo Du bleiben kannst und es Dir nichts mehr zu wünschen übrig sein kann als die Dauer der Gegenwart.  Künftiges Jahr komme ich ganz gewiß nach Magdeburg, denn Dich muß ich wiedersehen, und daß Du Deinen Posten nicht wirst verlassen können, um Reisen zu machen, kann ich mir bei der Wichtigkeit und Eigentümlichkeit der Stelle wohl denken.  Zwölf Meilen sind für mich, seit ich von dem Geh. Finanzkollegio losgebunden bin, eine Spazierfahrt, denn ich bin jetzt beweglicher als je.  Mich dauert die Provinz (Sachsen), in der Du bisher kommandiertest und die Werbung besorgtest.  Namentlich in Thüringen hat man Dich ungeheuer lieb; davon überzeugte ich mich bei meinem neulichen Durchfluge, denn überall, wohin ich kam, sprach man nur von Dir …”

Hans Georgs Briefe geben gut umrissene Bilder des damaligen Frankfurt und des regen Lebens in „der freien Stadt”, in der eine alteingesessene Kaufmannschaft und die Diplomaten aller deutschen und mehrerer auswärtigen Staaten und die unablässig zuströmenden Fremden miteinander wetteiferten, um einen geschäftlichen, politischen, künstlerischen und gesellschaftlichen Austausch herbeizuführen.  Aber für Hans Georg standen die Pflicht und die Arbeit obenan.  Amtlich der nächste war ihm der sächsische Militärbevollmächtigte General Zezschwitz, mit dem er gemeinsam darauf bedacht war, das Kontingent der sächsischen Truppen vor dem Zugriffe der beiden Großmächte zu bewahren, indem man es, nachdem die Vereinigung der Streitkräfte des Gesamthauses Sachsen am Einspruche Weimars und Preußens gescheitert war, mit den Kontingenten von Kurhessen, Nassau, Mecklenburg und Luxemburg zum neunten Korps der Bundesarmee zusammenschloß.

Über die anderen Männer seiner amtlichen Umwelt spricht sich Hans Georg in dem Briefe vom 15. Dezember 1821 seinen Bruder Carl Adolf aus:

„… Amstedt [der Gesandte Rußlands] sagt Dir die angelegentlichsten Grüße.  Er erinnert sich seines alten Waffengefährten gar sehr wohl.  Ohne Zweifel ist er einer der klügsten Menschen, die mir in meinem Leben vorgekommen sind, und zu trauen ist ihm nie; aber dennoch ist er ein sehr gemütlicher Mann, mit dem es sich überaus gut lebt.

Der General Langenau gehört nicht weniger zu Deinen Freunden.  Er präsidiert hier der Militär=Kommission und hat daher viel zu tun.  Sein großes Talent kennst Du, und es ist hier wirklich an seiner Stelle.  Besonders gut scheint sich Wolzogen in Frankfurt zu gefallen.  Er ist sehr gut bezahlt und lebt ziemlich eingezogen.  Da er nun, wie Du weißt, etwas geizig und bequem ist, so ist seine hiesige Stellung wie für ihn geschaffen.  Auf seine alten Tage — wenigstens sieht er sehr alt aus — hat er eine junge sehr hübsche Frau geheiratet, mit der er recht glücklich zu leben scheint.  Sie ist mit meiner Frau sehr gut Freund, da beide die großen Gesellschaften nicht lieben und es vorziehen, sich gegenseitig mit ihrer Arbeit zu besuchen … Gersdorfen soll daran liegen, von Dresden wegzukommen, weil er sich mit Le Coq nicht verträgt, es scheint aber nicht, [als] ob man geneigt sei, seine Wünsche sonderlich zu unterstützen.  Langenau würde gern sehen, wenn Gersdorf hierher gesendet würde, und scheint noch viel Anhängigkeit von alter Zeit her für ihn zu haben.

Mit dem Fürsten Metternich hatte ich bisher in Geschäften mancherlei zu tun, weil ich vier Monate substituierter Gesandter von Österreich war.  Er ist ein überaus artiger Mann und hat eine große Leichtigkeit in Geschäften …”

*

In Frankfurt kam Hans Georg auch endlich dazu, für seinen in Dresden durch übertriebene Büro= und Nachtarbeit geschwächten Körper etwas zu tun.  Er schreibt in dem schon genannten (S. 209) Briefe an seinen Bruder:

  „… Seit einigen Tagen gehe ich auf die hiesige Reitbahn, um Reiten zu lernen und mir eine erschütternde Bewegung zu machen.  Der Stallmeister ist ein Schüler des berühmten Hühnersdorf in Kassel und ein vortrefflicher Instruktor; aber gleichwohl werde ich wenig von ihm lernen.  Du glaubst nicht, welche Abnahme der physischen Kräfte ich doch schon empfinde.  Ich habe keinen festen Sitz mehr, werde gleich müde und zuweilen auch auf dem Pferde schwindlig.  Auch kann ich bei weitem nicht mehr so ausdauernd arbeiten wie vormals.  Die Empfindung an Herzen mindert sich nicht, und zuletzt muß daraus freilich ein organischer Fehler werden, wenn er nicht schon vorhanden ist.  Was zu tun ist, will ich tun, um dem Übel abzuhelfen, nicht etwa, weil ich mir große Erfolge verspreche, sondern um mir selbst sagen zu können, daß ich nichts verabsäumt habe, und um die Meinen zu beschwichtigen.  Da Du, lieber Bruder, die Freundschaft gehabt hast, mir ein für mich passendes Pferd auszusuchen, so werde ich nächstens meinen Jäger mit 40 Friedrichsdor nach Magdeburg senden, um selbiges abzuholen …”

In seiner amtlichen Tätigkeit trug auch Hans Georg dazu bei, daß Sachsen in der praktischen Anwendung der Karlsbader Beschlüsse seinen eigenen Weg ging.  Von Demagogenriecherei war hier nichts zu spüren; einige auf Veranlassung der Mainzer Zentral=Untersuchungs=Kommission verurteilte Burschenschafter wurden begnadigt und die literarische Zensur im ganzen milde und verständig gehandhabt.  Ebenso verwendete sich Carlowitz 1825 dafür, daß dem Hause Schönburg, unbeschadet der zwischen ihm und Sachsen abgeschlossenen Rezesse, dieselben Vorrechte eingeräumt würden, wie den mediatisierten Fürsten.  Allerdings kam der betreffende Bundestagsbeschluß erst 1828 zustande.

Der Wirkungskreis Carlowitzens am Bundestag erweiterte sich noch dadurch, daß das österreichische Präsidium, Graf Buol, später Baron Münch, für den Fall seiner oft lang dauernden Abwesenheit ihm das Vizepräsidium und die Staaten Braunschweig, Hannover und andere die Ausübung ihres Stimmrechtes anvertrauten.  Nicht ohne einen gewissen Stolz schreibt Hans Georg am 24. Juni 1825:  „Gestern habe ich als kaiserlich=königlicher Vikarius die Bundestagsbeschluß wieder eröffnet, und alles ist sehr gut abgelaufen.”

Auch viele Sachsen, die Frankfurt auf ihren Reisen berührten, machten dem sächsischen Gesandten ihre Aufwartung.  So schreibt er am 15. Juni 1825 an Jeanette:  „Der Theaterdirektor Lüttichau und Ludwig Dyk (Tieck) waren hier, und ich habe mich sehr gefreut, mit ihnen zu sein.  Ersterer ist wirklich ein guter und, was mich sehr für ihn einnimmt, dem Dienste treu ergebener Mensch, letzterer ist einer der interessantesten Männer, die mir noch vorgekommen sind.  Beide zogen den Theatern nach; sie waren in Wien, München, Stuttgart, Karlsruhe und Mannheim gewesen, von hier aus auch in Darmstadt … Sie gingen zu dem General (C. A. v. C.) nach Mainz, auf den sie sich sehr freuten, dann über die Bäder nach Kassel, Braunschweig und Leipzig …”

Aber niemand hat in Frankfurt einen tieferen und nachhaltigeren Eindruck auf Hans Georg gemacht, als der große Reichsfreiherr Karl vom Stein[10].  Carlowitz war mit Stein schon im April 1813 bald nach der Besetzung Dresdens durch die Verbündeten in Berührung gekommen, allerdings nicht in dem Maße, wie sein Bruder Carl Adolf, der mit Stein während des ganzen Herbstfeldzugs 1813 und während des Kriegs in Frankreich 1814 in Arbeitsgemeinschaft und während des Wiener Kongresses wenigstens in Gedankenaustausch geblieben war (S. 116ff.; Freiheitskriege, S. 115—118).

In dieser Zeit hatte auch Hans Georg für den „großen, edeln Alten” geschwärmt und sah in ihm den gerechten Wiederhersteller Deutschlands und den Treuhänder eines wahren Völkerfriedens.  Aber Stein mußte es erleben, daß bei der Ausgestaltung des deutschen Bundes nicht seine Grundsätze befolgt wurden, sondern Metternichs kümmerliche Pläne siegten.  Um so mehr hielt er die Verbindungen mit denen fest, die in hoffnungsvollen Zeiten seine Hilfsarbeiter gewesen waren (S. 119; 134; 213).

Stein verlebte damals die Winter meist in Frankfurt, wo er, wenn er sich dem Fürsten Metternich gefügt hätte, Bundestagspräsident hätte sein können und wurde mit seiner ganzen Familie „überaus geschätzt und auf jede Weise distinguiert”.

Von der ersten Berührung mit Stein in Frankfurt berichtet uns Hans Georg schon in einem Briefe an seinen Bruder Carl Adolf vom 14. Juni 1821:  „Kürzlich ging Stein hier durch.  Er kam von Rom, wo er ein halbes Jahr gelebt hat, und reiste auf seine Güter am Rheine und in Westfalen.  Buol gab ihm ein Fest, wo ich ihn seit der Retirade von Dresden [Mai 1813] zum ersten Male wiedersah.  Er erkundigte sich sehr angelegentlich nach Dir, fragte, wie es Dir in Deinen Dienstverhältnissen gefalle, und wollte durchaus den Grund wissen, warum Kleist abgegangen sei, dessen Zurücktritt er lebhaft bedauerte.  Dann fragte er nach Deiner Marie, die wie er mich zu allem Überflusse versicherte, ein sehr schönes Mädchen sei, nach dem alten braven Miltitz, nach seiner Heirat und tausend Dingen mehr, die sich auf die Sachsen bezogen, die er lieb hat.  Den Winter bringt Stein gewöhnlich hier zu, und ich werde ihn im nächsten Winter recht oft sehen.  Seine Gesundheit hat sich in Italien wieder völlig erholt, und ich habe ihn seit 4 [8] Jahren gar nicht verändert gefunden.  Auch seine Tochter hat dort ihre Gesundheit wiedererhalten.”

In Frankfurt traten Stein und der sächsische Gesandte einander immer näher, und es entspann sich zwischen beiden eine echte Freundschaft, an der auch Jeanette und Steins Frau mit ihren schönen Töchtern beteiligt waren und aus der Ferne der Kommandant von Magdeburg innigsten Anteil nahm.  Der schöne Ton, in dem diese Menschen miteinander verkehrten, klingt uns noch heute aus den begeisterten Briefen, die Hans Georg darüber an seinen Bruder Carl Adolf schrieb.  Die im folgenden zusammengestellten Auszüge umfassen die Zeit vom 16. August 1821 bis zum 29. Januar 1823.

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   Frankfurt, 16. 8. 1821.  „… Deinen Brief an den Minister Stein habe ich sogleich besorgt.  Der alte Herr war damals noch in Nassau, wird aber jetzt in Kappenberg sein und vor dem Winter nicht hierher kommen.  Er beschäftigt sich jetzt mit der Präsidentschaft einer gelehrten Gesellschaft, welche die Quellen der deutschen Geschichte aufsucht und schon sehr interessante Sachsen herausgezogen hat [die Monumenta Germaniae historica, s. S. 217].  In den Bibliotheken von Wien, Paris, London und Rom sind Gelehrte angestellt, welche die alten Urkunden aufsuchen, kopieren und zusammenstellen.  Die deutschen Höfe tragen zu den Kosten bei …”

Frankfurt, 15. 12. 1821.  „… Unter den achtbaren Männern, mit welchen ich hier lebe, steht der alte edle Stein hoch oben.  Er bringt den ganzen Winter hier zu, und wir sehen uns sehr oft, bald bei ihm, bald bei mir, bald in den Gesellschaften, die in den Gesandten= und großen Kaufmannshäusern fast alltäglich stattfinden.  Sein Ansehen, seine Gesundheit und sein Grundcharakter sind noch ganz die vorigen, doch ist er etwas ruhiger, und ich möchte sagen, toleranter geworden.  Dich liebt er zärtlich.  Er läßt Dich tausendmal herzlich grüßen und hat mir wiederholt aufgetragen, ihn zu entschuldigen, daß er Deinen freundschaftlichen Brief, der ihm so große Freude gemacht habe, noch nicht habe beantworten können.  Fast wagt er es nicht mehr zu schreiben, denn auf dem einen Auge ist er starblind und dem anderen darf er, besonders bei den jetzigen kurzen und trüben Tagen, gar nichts zumuten.  Nächstens will er Dir aber gleichwohl schreiben.  Vielleicht ist er der einzige Mensch, der mit Deiner Anstellung in Magdeburg nicht zufrieden ist.  Er meint, der König hätte Dir einen Standpunkt anweisen sollen, wozu ihm die Leute fehlen, nicht aber einen solchen, den andere mit weniger Talent auch auszufüllen vermocht hätten.  Man versteht, sagt er, jetzt ebensowenig mit den Talenten wie mit dem Gelde zu wirtschaften und macht sich daher arm an beiden.  Steins Töchter sind höchst gebildete Mädchen, und die jüngste ist wohl ohne Zweifel das schönste Mädchen in Frankfurt.  Mit der Josephe und Ottilie ist eine große Allianz geschlossen …”

 

Frankfurt, 31. 12. 1821.  „… Der vortreffliche Stein, bei dem ich noch vor einigen Tagen zum Diner war und den ich sehr munter und gemütlich fand, läßt Dich tausendmal herzlich grüßen.  Er liebt Dich wie ein Vater und hört, ich mag auch sagen, was ich wolle, nicht auf zu beklagen, daß man Dir nicht das Generalkommando in Merseburg gegeben, sondern Dich in eine Festung gesperrt habe.  Bei ihm fand ich eine Menge Freunde, meist aus Westfalen, und wir waren sehr vergnügt …”

 

Frankfurt, 9. 3. 1822.  „… Der alte gute Stein fragt mich, so oft er mich sieht, was ich für Nachrichten von Dir habe, und erinnert mich, ja nicht zu vergessen, daß ich Dir von ihm die herzlichsten Freundschaftsversicherungen schicke.  Zuweilen schimpft er dann auch, daß man Dich, wie er sich ausdrückt, nicht zu utilisieren verstanden und in einen Käfig gesetzt habe.  Kürzlich brachte er einen ganzen Abend bei uns zu, und beinahe hätte er es da ganz bei meinen Damen versehen weil er behauptete, die sächsische Mundart sei die schlechteste in ganz Deutschland und die Frankfurter dagegen noch elegant.  Sachsen kann er nicht leiden, das ist bei ihm eine fixe Idee.  In Preußen liebt er den König und das Volk, aber den Zivildienst stellt er tief unter den sächsischen.  Man sagt, der Oberpräsident in Köln, Graf von Solms=Laubach, der schon lange an der Brustwassersucht litt, sei gestorben, und Stein, der nicht ruhen kann, wolle seine Stelle übernehmen, um wenigstens in den Rheinprovinzen das gute Prinzip im Zivildienste zu erhalten.  Auch hofft er noch auf eine ständische Verfassung, bei der er tätig sein will, daher wird er, ob ihm schon Frankfurt überaus gefällt, nächsten Winter nicht wieder hierher kommen und hat schon sein Quartier aufgegeben.  Nächsten Sommer geht er nach Herrnhut, um teil an der 100jährigen Jubelfeier der Stiftung der Brüdergemeinde zu nehmen.  Ich soll ihn mit den Meinigen durchaus in Kappenberg besuchen, um dort ein deutsches Land zu sehen, freilich liegt uns aber dieses Land ziemlich ebenso außer dem Wege wie Paris …”

 

Frankfurt, 30. 4. 1822.  „… Den letzen Abend brachten wir noch sehr vergnügt in einer Gesellschaft zu, die der württembergische Minister Wangenheim dem alten Stein zum Abschiede gab.  Stein, der das viele Licht in den hiesigen Abendgesellschaften nicht vertragen kann, setzte sich mit Wangenheim und mir in einen Fensterbogen; wir unterhielten uns da wohl 2 Stunden sehr vergnügt, und er sprach dabei viel von Dir, von Eueren politisch=militärischen Kreuzzügen, vom Schlosse Rothenhaus pp.  Als er fortging, hatte er weder einen Wagen noch einen Bedienten bestellt, weigerte sich auch schlechterdings, die Begleitung eines Bedienten von Wangenheimen anzunehmen, und wollte so, halb blind und halb im Finstern, den Weg durch die halbe Stadt nach Hause allein machen, obschon hier Wagen an allen Ecken einem über den Weg fahren.  Ich stellte mich also auch, nach Hause gehen zu wollen, begegnete dem alten Herrn noch auf der Treppe, und da wir einen Weg hatten, so meinte er:  wir könnten ja zusammen gehen!  Unterwegs gefiel ihm der schöne Abend, und wir machten noch eine Promenade, bevor ich ihn in sein Haus ablieferte.”

 

Frankfurt, 29. 1. 1823.  „… Der Zweck der von dem Minister [Stein] beabsichtigten Reise [nach Berlin] ist ebenso ehrenvoll als verdienstlich.  Der Kronprinz steht, wie Du weißt, an der Spitze der Immediat=Kommission, welche die Organisation der ständischen Verfassung in den preußischen Staaten besorgen soll.  Man hat von Zeit zu Zeit Deputierte aus den angesehensten Männern einzelner Provinzen einberufen, um sie zu konsultieren, und diese sind ohne Ausnahme mit den Ansichten und Absichten des Kronprinzen höchst zufrieden, aber mit denen der Mehrheit in der Kommission, — zu denen unser Schönberg mit gehört, — sehr unzufrieden gewesen.  Dies und die große Verschiedenheit der Meinungen in der Kommission selbst, — die um nur eines Beispiels zu erwähnen, in der Verfassungsurkunde nicht einmal den Adel nennen, sondern nur von den großen Grundbesitzern sprechen will, wozu die an die Stelle der Johanniter=Kommandeurs getretenen Juden mit gehören, — dies alles hat den Kronprinzen so aufmerksam gemacht, daß er den Minister Stein berufen hat, um mit ihm definitiv sich zu beraten.  Du kannst denken, daß dieser Entschluß bei einer gewissen Partei in Berlin, welche die preußischen Orden auf der Brust und die rote Mütze in der Tasche trägt, großes Mißvergnügen erregt hat.  Und daß man mancherlei anwende, den gefürchteten Baron Stein entfernt zu halten.  Indes, diese Mächtigen der Erde, die, um nicht verdienterweise selbst gejagt zu werden, auf einige Professoren und Studenten Jagd machen lassen, und den Balken im eigenen Auge verbergen, hätten den Stein nicht eine Stunde zurückgehalten, wenn es nicht bisher der Schnee und die Kälte getan hätte.  Der alte Mann ist halb blind und leidet an gichtischen Zufällen, alle seine Freunde hier haben ihn also bestürmt und vermocht, nicht eher zu gehen, bis er kann.  Was könnte er denn auch helfen, wenn er krank nach Berlin käme, wo er mit einer gutgewaffneten, durch den Erfolg kühn gewordenen und durch den sogen.  Zeitgeist auf allen Seiten unterstützten und gehobenen Mehrheit in die Schranken treten soll?  Wir haben über sein Geschäft und das Terrain, wo er operieren soll, stundenlang unter vier Augen gesprochen, und wenn ich auch nicht wie Du, mein alter Herr, ein Premier-Baron chrétien bin, so habe ich doch niemals aufgehört, ein Edelmann, ein Verteidiger des Rechts und ein Freund der Ordnung zu sein.  Du weißt, daß Stein vorgefaßte Meinungen über meinen König hat, ob er sie schon, wie natürlich, jetzt gegen mich nicht äußert; ich habe daher die Gelegenheit benutzt, ihm zu entwickeln, wie mein alter erfahrener Landesherr den Adel ansieht und nimmt, und ich versichere Dich, Stein hat das gewürdigt.

Jetzt hat mir der gute Stein einen recht schätzbaren Beweis seines Wohlwollens gegeben.  Er ist Präsident, eigentlich Schöpfer einer gelehrten Gesellschaft, deren Zweck es ist, die ältere deutsche Geschichte mehr ins Licht zu setzen und ihre Quellenschriftsteller herauszugeben.  Dieser Gesellschaft steht ein Direktorialkomitee vor, das aus ihm und vier Mitgliedern besteht, wovon das eine, der bayrische Gesandte Baron Aretin, Kürzlich gestorben ist.  Ohngeachtet ich nun gar nicht in der Gesellschaft war, weil ich die Kenntnisse nicht besitze, ihr zu nützen, so hat doch Stein veranlaßt, daß ich zum Mitgliede des Komitees statt des Barons Aretin gewählt wurde und zum Vizepräsidenten bestellt werden soll.  Hier hoffe ich, wird Stein mit mir zufrieden sein.  Ich werde die Sache ganz nach seinem Plane betreiben und ihm die Arbeit auf alle mögliche Weise erleichtern …”

In der Tat kann es wohl kein stärkeres Zeugnis der Seelenverwandtschaft geben, die zwischen Stein und Hans Georg bestand, als daß dieser von Stein zum Vizepräsidenten der Gesellschaft vorgeschlagen wurde, die damals unter Steins geistiger Führung das Riesenwerk der Stoffsammlung zur älteren und ältesten deutschen Geschichte, die Monumenta Germaniae historica, herauszugeben begann.  Meines Wissens ist Hans Georg von Carlowitz der einzige Sachse, dem im Laufe der Entwicklung des großartigen Unternehmens diese Ehre zuteil wurde.

Noch wichtiger für Hans Georgs staatsmännische Zukunft war der politische Ausgleich, der zwischen den beiden Männern stattfand.  Stein hatte früher einmal die Sachsen in überschäumendem Eifer „ein Lakaienvolk” genannt und noch am 9. März 1822 hätte er es beinahe bei den Damen des Hauses Carlowitz gänzlich verschüttet (S. 214), als er behauptete, die sächsische Mundart sei die schlechteste in ganz Deutschland.  Aber im ganzen findet Hans Georg doch, daß Stein „etwas ruhiger und, ich möchte sagen, toleranter geworden” (S. 214) sei.

Anderseits hat Hans Georg in diesem vertrauten Verkehr mit dem aufrechten und ungeschminkten Reichsfreiherrn die letzten Schlakken unberechtigter Standesvorurteile von sich getan.  In Sachsen war Hans Georg, wenngleich er Reformgedanken genug in sich trug, doch im wesentlichen ein Vertreter des altständischen Staates gewesen.  Er sagt es selbst in einem Briefe an Carl Adolf vom 16. 4. 1822:  „Im Geheimen Finanzkollegio war ich der Verfechter des Alten, und ich weiß, welche Mühe es mich gekostet hat, mit welchen Augen ich zuweilen als Mann mit 16 Schildern, als Domherr, Ritter und Ultra betrachtet worden bin.”  In Frankfurt verwandelte er sich durch Verstärkung der ihm innewohnenden liberalen Ansätze in einen gemäßigten Vertreter des konstitutionell geordneten Staates.  Die dazu gehörige allgemeine Menschenliebe und ein unbeirrbares Gerechtigkeitsgefühl auch für die Wünsche der sogenannten arbeitenden Klasse waren ihm von jeher eigen gewesen.  Wenn er einige Jahre später imstande war, in seiner sächsischen Heimat eine die alten Rechte und die neuen Ansprüche vernunftgemäß ausgleichende und deshalb dauerhafte Verfassung schaffen zu helfen, so hat er sich das Rüstzeug dazu während seiner Frankfurter Tätigkeit in dem abschleifenden Umgange und Austausch mit dem Minister Stein und einigen anderen Diplomaten seiner Umgebung nicht unwesentlich ergänzt und vervollständigt.

 

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Eine ganz große Freude war Hans Georg in der Mitte seiner Frankfurter Tätigkeit beschieden, als sein älterer Bruder Carl Adolf, bisher Kommandant der Festung Magdeburg, durch eine Verfügung des Königs Friedrich Wilhelm III. im Oktober 1824 zum Vizegouverneur der Bundesfestung Mainz ernannt wurde.  Mainz, nur wenige Meilen von Frankfurt entfernt, war damals der größte und wichtigste Waffenplatz des Bundesgebiets.  Der jüngere Bruder des Königs Friedrich Wilhelm III., Prinz Wilhelm von Preußen (1787—1851), war Gouverneur dieser Festung, aber da dieser durch seine vielfachen militärischen Geschäfte meist abwesend war, lagen die Arbeiten für den Ausbau und die Erhaltung der Festung und die ganze Last der Verantwortung auf den Schultern des Vizegouverneurs.  Dieser Umstand mußte ihn mit seinem Bruder in Frankfurt auch in geschäftliche Verbindung bringen, zumal dieser eben damit beschäftigt war, eine Denkschrift über die staatsrechtlichen und finanziellen Verhältnisse der Bundesfestungen auszuarbeiten, da über diesen Gegenstand im Februar 1825 die Bundesversammlung Beschlüsse fassen sollte (Brief Carl Adolfs vom 26. Nov. 1824).  Es findet sich auch in den Briefen Hans Georgs an Carl Adolf (A. K. 1825/29) eine umfangreiche Denkschrift über die Finanzierung der Reparaturen an den Mainzer Festungswerken von der Hand Hans Georgs, die der Generalleutnant vermutlich bei dem preußischen Militärbevollmächtigten General Wolzogen eingereicht hatte.  Außerdem aber fand ein sehr herzlicher Verkehr zwischen den beiden Brüdern statt, die sich gegenseitig besuchten, was freilich nicht so oft geschah, wie man bei der geringen Entfernung zwischen Frankfurt und Mainz erwarten sollte.  Beide waren so diensteifrig, daß sie nur wenige Feiertage in die Reihe ihrer Arbeitstage einschalteten.  Durch die fast ununterbrochene Dienstbereitschaft und durch die Leutseligkeit seines Wesens, die allen Ständen zugute kam, erwarb sich der neue Gouverneur von Mainz rasch eine große Beliebtheit.  So war Carl Adolf der erste und wichtigste Repräsentant des preußischen Staates und seines Königs in Mainz.  Hans Georg berichtet an den Bruder am 16. Oktober 1825:  „Glück haben wir beide wirklich bei unseren Monarchen, denn auch Dir hat der König von Preußen kürzlich bei mehreren Gelegenheiten große Lobsprüche gemacht, besonders in Rücksicht des Vertrauens, welches Du auf Deinem schwierigen Posten allenthalben erworben habest, und der ausgezeichneten Art, wie Du Deiner Funktion vorstehst.  Mit solchen Äußerungen hat er sich besonders auch an Sachsen gewendet, von denen er vermutete, daß sie Dich kennen …”  Aber auch bei der Bürgerschaft von Mainz hatte Carl Adolf Glück.  Gleich der erste Ball, den er in seinem Gouverneurpalaste veranstaltete, hatte einen so großen Zulauf und gefiel allen Geladenen so wohl, daß Hans Georg seinem Bruder am 8. Februar 1825 berichtete:  „Graf Kesselstadt konnte mir den Glanz Deines Festes und Deiner Art zu repräsentieren gar nicht schön genug beschreiben, auch er sagte mir, daß in Mainz die Zufriedenheit mit dem neuen Gouverneur ganz allgemein und vollkommen sei.  Bei solchen Reichsländern stoße ich immer auf Spuren einer geheimen Verwunderung, daß der Mann ein preußischer General sei, welcher sich im Reiche so beliebt zu machen wisse[11].”

Eine besondere Seite des brüderlichen Verkehrs und der Unterhaltung bildete die gemeinsame Neigung zur sächsischen Heimat und das gemeinsame Schwärmen für die in der Jugend im erzgebirgischen Großhartmannsdorf empfangenen Eindrücke.  Je älter die beiden Brüder werden, desto mehr steigert sich ihre Heimatliebe zum Heimweh.  Man könnte mit dem in ihren Briefen enthaltenen Material ein besonderes Kapitel schreiben über das Heimweh der Brüder von Carlowitz.  Ich hebe hier aus der Fülle des Stoffes die ergreifendsten Stellen hervor.

Schon in den ersten Wochen seines Aufenthaltes in Frankfurt spähte Hans Georg mit feinem Gefühl nach Örtlichkeiten und Eindrücken, die sich mit solchen der geliebten Heimat vergleichen ließen.  Am 14. Juni 1821 schreibt er dem Bruder:  „Auf der Katharinenkirche, meinem Hause gerade gegenüber, sind Glocken, die vollkommen wie die in Großhartmannsdorf klingen; nie habe ich etwas Ähnlicheres gehört.  Daher vergeht fast kein Tag, wo ich nicht an den lieben alten Ort, unsere Wiege, erinnert würde, und diese Erinnerung erregt mir ein frohes, wehmütiges Gefühl.  Welche Empfindungen erwachen nicht durch jene Töne!”  Am 11. Dez. 1821, seinem fünfzigsten Geburtstage, heißt es:  „… Heute habe ich mein 50. Jahr angetreten.  Dies verursacht ernste Betrachtungen!  Desto inniger denke ich aber an den Bruder, der meine ganze Jugendzeit mit mir gespielt hat, der in Besitz des lieben Dorfes ist, das meine Wiege war, und in dem ich immer meinen ersten und aufrichtigsten Freund geliebt habe …”  Am 9. März 1822:  „Daß der gute alte Sandig gestorben ist, tut mir wahrhaft leid.  Erinnerst Du Dich noch, wie er Dir Unterricht in der Violine gab und die Musik zu unserer Tanzstunde auf dem großen Saale machte?  So tritt ein Mensch nach dem anderen von der Bühne, der mich an die Zeit meiner Jugend erinnern konnte und einer Menschenart angehörte, die ich jetzt nicht wiederfinden kann!  Wenn ich wieder einmal nach Sachsen komme, werde ich auch nach Hartmannsdorf gehen.  Dort werde ich die leblosen Gegenstände noch einmal betrachten, die mir meine Jugend vor Augen stellen, und dann der Lebenden mich auf dem Kirchhofe erinnern.  Hartmannsdorf ist und bleibt mir immer ein einziger Ort! …”

Eine übermütige Stunde aus der Studentenzeit auf Leipnitz, dem Gute des Großvaters Schulenburg, hält folgende Stelle aus dem Briefe Hans Georgs vom 9. März 1822 fest:

„Neulich hat mich Gemmingen besucht, der auf seinem alten Ritterschlosse bei Heilbronn lebt.  Er ist von seiner Frau geschieden, die den Württembergischen General Varnbühler geheiratet hat, und sehr gealtert, sonst aber noch ganz der alte.  Dir läßt er sich tausendmal aufs herzlichste empfehlen.  Er läßt Dich an den Kampf erinnern, der vor 30 Jahren am Leipnitzer Schweinestall stattgefunden hat und dessen Andenken Du durch eine Inspiration auf einem zinnernen Teller in Leipnitz auf die Nachwelt übertragen hast:  ,Heute ist Gemmingen geschüttelt worden wie ein Hund und in den Schweinestall gesteckt‘.”

Gemmingen war ein schwäbischer Reichsritter, der durch den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 wider seinen Willen Untertan des Großherzogs von Baden geworden war, wie aus den folgenden Zeilen hervorgeht:  „Der brave Gemmingen wird als Mediatisierter von der Badenschen Regierung sehr geschoren, und da ich hier zu der Kommission gehöre, welche die staatsrechtlichen Verhältnisse der mediatisierten Fürsten und Edelleute zu wahren hat, so muß ich ihn loseisen helfen.”

Auch die Ernennung Carl Adolfs zur preußischen Exzellenz, um die er von vielen Preußen beneidet wurde, ruft eine Jugenderinnerung wach:  „Denke Dir, lieber Bruder, jetzt bist Du, was Möllendorf war, als wir ihn im Bayrischen Kriege mit einer Andacht betrachteten, wie wir jetzt den Kaiser und den Papst betrachten würden.  Du mußt doch mit Deinem Schicksale sehr zufrieden sein.”  Die beiden Knaben hatten also den preußischen General Möllendorf gesehen, als er mit dem preußischen Heere zum bayrischen Erbfolgekrieg durch Sachsen nach Böhmen marschierte.  Der Vater der beiden Knaben, Hans Carl August, war im Jahre 1778 Verpflegungskommissar bei dem preußischen Korps Möllendorf.

Den schönsten Widerhall verschollener Jugendlust weckte der Bericht Carl Adolfs über die Eindrücke, die dieser im Winter 1822/1823 in Großhartmannsdorf erhalten hatte.  Hans Georg erwidert am 29. Januar 1823:

„Was Du mir von dem alten Hartmannsdorf, der teuer bleibenden Wiege unserer Jugend, schreibst, hat mich wahrhaft ergriffen.  Wenn ich hier eine Mondnacht sehe — ich arbeite immer noch in der Nacht — so ist es derselbe Mond, den ich vor 40 Jahren aus Deinen gefrorenen Fenstern sah; den ‚mitteln Grund‘ habe ich 2 Stunden von hier am Ufer der Nidda gefunden, und der ‚Schutz‘ wäre wohl der Ort, wo ich ruhen möchte.  Die Welt ist meine Kindern heiterer, als sie mir war, denn sie haben Freiheit, die ich entbehrte, und doch war ich glücklicher, weil ich mit Dir, Du alter Freund, eine Ideenwelt schuf und teilte, deren Schimmer mich noch nach einem Menschenalter und in weiter Ferne anzieht … Der frohe Gesang Hartmannsdorfer Kuchensänger würde höhere Gefühle in meiner Seele wecken, als die Kunst der großen Virtuosen, die sich hier drängen, und die beste deutsche Oper, die in Darmstadt, wohin ich zuweilen fahre.  Es ist nicht der Stoff, die Kunst, die besiegte Schwierigkeit, — es ist das Innere im Menschen, was die Gegenstände erfaßt und würdigt.”

Fast zu derselben Zeit, in der Carl Adolf die ehrenvolle Ernennung zum Gouverneur von Mainz erhielt, folgte der dritte Bruder Anton einem Rufe ins Ausland.  Er war schon lange und mit Recht darüber unzufrieden, daß er trotz beträchtlicher Verdienste um den Staat zu keiner befriedigenden Stellung gelangte (S. 159; 170 f.).  Vergebens ersuchte Hans Georg durch einen Brief vom 16. August 1821 an Carl Adolf, daß dieser den jüngeren Bruder beschwichtige:… „Wenn Du Antonen siehst, so wende doch alles an, um ihn über sein Dienstverhältnis zu beruhigen.  Wohl mag die Millitärwirtschaft ein unangenehmes Geschäft sein, aber Du glaubst nicht, wie nützlich und wuchtig Anton sich in dieser Angelegenheit gemacht hat, und dem Minister, der vor allem das beste des Dienstes berückfichtigen muß, ist wahrhaftig nicht zu verargen, wenn er ihn wenigstens noch eine Zeitlang festzuhalten sucht, damit die von ihm angefangene neue Organisation Wurzel fasse und noch mehr vervollkommnet werde.  Wäre ich der Minister, so würde ich Antonen mit allen Honneurs abspeisen, aber, so lieb ich ihn habe, unter 5 Jahren nicht promovieren…”

Anton sah sich, da ihn der Minister Graf Einsiedel nicht aufkommen lassen wollte, überall in seiner Laufbahn gehemmt.  Da eröffnete sich ihm die Möglichkeit einer Berufung nach auswärts.  Der Herzog Ernst von Koburg litt an einem durch Schulden zerrütteten Staatswesen und an allerhand Aufruhr im Lande.  In seiner Not schickte er zu dem ehrwürdigen Haupte des Wettinischen Gesamthauses, dem Könige von Sachsen, und bat, daß er ihm aus der Reihe seiner Beamten einen tüchtigen Ordner ins Land sende.  Der König fand hier eine Gelegenheit, endlich dem dreimal übergangenen Anton von Carlowitz eine kleine Genugtuung zu bereiten, und schicke ihn nach Sachsen=Koburg; der Minister Graf Einsiedel aber war froh, den gefürchteten Nebenbuhler mit Anstand loszuwerden.  Aber der Schein wurde gewahrt.  Anton erhielt zunächst nur Urlaub vom Dezember 1824 bis zu Ostern 1825.  Wir hören darüber den folgenden Bericht Hans Georgs an Carl Adolf:

Frankfurt, 18. 12. 1824.  „… Der Prinz Leopold von Koburg [seit 4. Juni 1831 König von Belgien] wird heute oder morgen nach Mainz kommen und einige Tage dort bei seiner Schwester bleiben.  Gewiß wirst Du ihn sehen.  Ich werde ihm diesen Vormittag aufwarten.  Er ist gegen Anton überaus günstig und hat besonders, selbst in Dresden, betrieben, daß selbiger an die Spitze der Geschäfte in Koburg gesetzt werde.  Bis Ostern bleibt Anton ganz gewiß in Koburg, hierzu hat er auch schon den Urlaub.  Er ist mit den ihm aufgetragenen Untersuchungen wegen der stattgehabten Unruhen fertig und jetzt mit der Organisation des Finanzwesens und anderer Teile der Verwaltung beschäftigt.  Er will Organisationskommissar bleiben unter der Bedingung, daß er in königlich=sächsischen Diensten bleibt, jährlich 6 Wochen nach Hause reisen kann, um seine Privatgeschäfte zu besorgen, und daß er in Koburg eine Auslösung erhält nebst freiem Quartier und Hofequipage.  Ob der König dies genehmigen werde, beruht noch auf dessen Resolution.  Gut wäre es, wenn die Genehmigung erfolgte, denn dem Hause Koburg und dem Lande könnte kein wichtigerer Dienst geleistet werden, als der, welchen Anton zu leisten vermag und bereit ist.”

Vor Ablauf der genannten Frist (Ostern 1825) wurde der Urlaub für Anton verlängert bis Michaelis dieses Jahres.  Anton war über die neuen Aussichten erfreut, suchte sich aber den Rücktritt in den königlichen Dienst frei zu halten, und wäre, wenn ihm ein entsprechendes Angebot gemacht worden wäre, bereit gewesen, auch sofort wieder in Dresden einzutreten.  Aber es wurde ihm nichts anderes angeboten, als die Stellung eines Vize=Obersteuerdirektors, doch so, daß ein Herr von Watzdorf über ihm Steuerdirektor blieb.  Treffend bemerkt Hans Georg dazu:

„An einen solchen Klotz gebunden, wäre Antons Sprungkraft freilich gelähmt.”  So suchte Anton denn am 7. Oktober 1825 um seinen Abschied nach und erhielt ihn am 15. Oktober mit dem huldreichen Zusatze, „daß Allerhöchst dieselben der von Ihnen geleisteten nützlichen Dienste eingedenk bleiben und Ew. Hochwohlgeboren nach Befinden der Umstände in Höchst dero Dienste wieder aufzunehmen gern geneigt sein werden” (A. Heyda, Orig. Urkunden über Anton v. C.).  Nunmehr berief Herzog Ernst von Koburg=Saalfeld den Anton von Carlowitz, nachdem er dessen Fähigkeiten und Leistungen fast ein Jahr lang erprobt hatte, als Wirklich Geheimen Rat mit dem Prädikate Exzellenz und als Präsidenten der herzoglichen Kammer an die Spitze der Verwaltung seines Herzogtums (Originaldekret vom 1. 11. 1825 a. a. O.).  Somit war auch dem dritten Bruder in einem zwar beschränkten Gebiete, aber mit um so größerer Selbständigkeit, weil ihm der Herzog das vollste Vertrauen schenkte, eine glänzende Laufbahn eröffnet.  Prophetisch schrieb Hans Georg etwa Anfang Dezember 1825 an Carl Adolf:  „Du wirst sehen, daß Anton noch an der Spitze der Administration seines Landes Epoche machen und bald auch die Aufmerksamkeit des Auslandes auf sich ziehen wird.”

Doch ehe wir diese erfreuliche Entwicklung weiter verfolgen, wenden wir zunächst unseren Blick noch einmal in das Haus in Frankfurt, Zeil 26. Man kann wohl sagen, daß dem Carlowitzischen Hause vier Jahre eines ungetrübten Glückes beschieden waren, in denen sich seine Glieder immer mehr in das angenehme Netz des Frankfurter Lebens verknüpften.  Hans Georg beobachtete seine Umgebung mit dem feinen Verständnis des hochgebildeten, in sich gefestigten Mannes.  So schreibt er z. B. am 7. Juni 1822:

„… Mein guter Freund Rothschild macht bei dem Steigen der österreichischen Papiere wieder herrliche Geschäfte und hat jetzt beiläufig wieder eine Anleihe von 10 Millionen Rubel für Rußland übernommen, dem die vergeblichen Kriegsrüstungen bereits an 50 Millionen kosten sollen.  Der Kurfürst von Hessen, der sich seines guten Rats ebenfalls bedient, hat ihn zum Ritter des hessischen Löwenordens ernannt.  Rothschilds Bruder in Paris hat den Danebrogorden und dessen Bruder in Neapel eine dasigen, ich glaube gar den Christusorden, erhalten.  Freiherren sind sie alle, und der neapolitanische ist gar Marquis.  Du siehst, daß man unrecht hat wenn behauptet wird, die Aufklärung sei noch nicht bis zu den Höfen gedrungen …”

Hans Georg trat aber auch mit den Spitzen der Bürgerschaft in geschäftlichen und geselligen Verkehr.  Noch heute kann man in Oberschöna das vornehm ausgestattete Diplom sehen, das ihn wegen seiner Verdienste um den Mitteldeutschen Handelsverein (S. 237 ff.) am 16. Dez. 1828 zum Ehrenbürger von Frankfurt ernennt.  Bremen hatte ihm dieselbe Ehre schon am 11. Dez. erwiesen.

Auch in der Familie gab es manche besondere Freude wie die Verlobung und Hochzeit seiner Pflegetochter Josephe.  Er berichtet darüber am 12. 11. 1822 an seinen Bruder:  „Josephe ist Braut durch gegenseitige Neigung und im Begriffe, eine recht anständige Heirat zu schließen.  Dank sei es meiner Frau, die das Amt eines mütterlichen Drachens mit so viel Beharrlichkeit und Pflichttreue erfüllte.  Unsere Mädchen erregten hier Aufmerksamkeit als gut gebildet, und wenn man die Ottilie für hübscher und frohsinniger hielt, so galt die Josephe dafür als gesetzter und verständiger.  Der Berghauptmann Graf Beust in Bonn hatte die Kinder in meinem Hause kennengelernt; er schrieb an mich, ob er um die Josephe anhalten könne; und da er dieser gefiel, so erfolgte die Versprechung in weniger als 14 Tagen.  Die Trauung wird am Neujahrstage (1823) in meinem Hause stattfinden, und noch am selbigen Tage wird Josephe in das Preußische importiert werden … Alles wäre gut, wenn nur keine Trennung nötige wäre, Du glaubst nicht, wie gut wir der Josephe sind und wie gut sie uns ist.  Sobald an die Trauung gedacht wird, wird von allen Seiten geweint.

… In einigen Tagen geht Josephe nach Würzburg, um von meiner Pauline, die immer noch dort in der Kur ist, und der Lozéron Abschied zu nehmen.  Wie glücklich wäre ich, wenn unser guter Franz noch lebte und sich mit mir über das Glück seines Kindes freuen könnte.  Jetzt würde er doch wohl mit mir zufrieden sein …”

Und vor allem scheint sich Jeanette in diesen vier Jahren unter dem milderen Himmel des Mainlandes einer besseren Gesundheit erfreut und manche schöne Fahrt an die lockenden Ufer des Rheins mit den Ihrigen unternommen zu haben, namentlich als ihr getreuer Schützling Anton im Herbst 1822 zu Besuch war.  Das berichtet Hans Georg an Carl Adolf:  „Nur in St. Goar und Darmstadt bin ich mit dem guten Anton gewesen, der meine Frau nach Coblenz führte, während ich mit Schreibershofen —sächs.  Oberstleutnant und Militärbevollmächtigter — nach Kreuznach ging, wo ich zu tun hatte.”[12]

Aber gerade eine die Gattin und Mutter betreffende schwere Sorge und ein unersetzlicher Verlust lauerten von der Türe, der den ganzen Carlowitzischen Familienkreis in die schmerzlichste Aufregung versetzen sollte.  Bei Jeanette zeigten sich im Sommer 1824 nach 16jähriger Pause wieder die Symptome einer Mutterschaft, und am 11. Januar 1825 gebar sie leicht und schnell ein drittes gesundes Töchterlein Marie.  Als die Mutter sechs Wochen danach bei sehr rauhem Wetter ihren Kirchgang hielt, erkältete sie sich und kränkelte seitdem.  Sie litt an geschwollenen Halsdrüsen, an Atemnot und Herzbeklemmung; heute würde man ihr Leiden wohl als Vasedowsche Krankheit bezeichnen.  Die Ärzte versuchten die verschiedensten Heilmethoden, ohne das Übel richtig zu erkennen.  Schließlich kam die Kranke selbst darauf, in ihrem geliebten Oberschöna, wo sie sich früher so oft gekräftigt hatte, Heilung zu suchen.  Am 4. Juni 1825 schreibt ihr Gatte von den Seinigen:  „Nächsten Dienstag hoffen sie die große Reise antreten zu können.”  Jeanette reiste mit den Töchtern Ottilie und Pauline, der kleinen Marie und deren Amme und anderer Dienerschaft.  In Koburg wurde ihre Schwager Anton besucht.  Ihr Gatte konnte sie nicht begleiten, weil er dienstlich verhindert war.  Am 15. Juni malt er sich in Frankfurt aus, wie sie an diesem Tage in Oberschöna ankommt:  „Jetzt ohngefähr fährt mein großes, leider aber nicht mehr mein liebes Kind in Oberschöna zum Tor herein, durch die von Herrn Glöckner angelegten Pontinischen Sümpfe und tritt, dem Kettenhunde gegenüber, im Residenzschlosse ab.  Ich sehe Herrn Glöckner, die Frau Amtmann, die befohlene Sophie und einige andere Personen Deines neuen Gefolgs zu Hilfe springen und Dich mit dem gehörigen Spektakel die Treppe hinaufbegleiten, auch guckt der Brauer, samt Jungfer Tochter und vielen Mägden zum Fenster heraus.  Alles sehe ich als clairvoyant, und was gäbe ich darum, wenn ich es mit meinen äußeren Augen könnte!  Nun pflege Dich nur recht, damit Du wieder ganz gesund wirst, bis ich zu Dir komme, Du lieber Engel!  Ich will dann mit weniger Lärm, aber mit desto mehr Freude meinen Einzug halten.

Deinen lieben Brief von Koburg am 11. Erhielt ich gestern, und ich kann Dir, bestes Weib, die Freude nicht ausdrücken, welche er mir verursachte.  Deine Besorgnis ist jetzt gehoben, Dein Gemüt beruhigt, und ich kann nun mit Sicherheit hoffen, daß Dein Aufenthalt in Oberschöna, die dortige Ruhe, die gewohnte Luft und Lebensweise Dir Deine Gesundheit unter Gottes Beistande bald wieder geben werden.  Dein Zittern wird sich durch die allmähliche Zunahme der Kräfte vermindern und am Ende ganz verlieren, und das schwere Atmen kommt von den geschwollenen Halsdrüsen, gegen die Du nun auch Mittel brauchen kannst und gewiß brauchen wirst.  Seit langer Zeit habe ich keine so lebhafte Freude empfunden, als beim Lesen Deines lieben Briefes …”

Aber eine dauernde Besserung trat auch in Oberschöna nicht ein, obwohl sie zeitweise in Dresden die Behandlung des berühmten Hofarztes Dr. Hedenus genoß.  Mit Eintritt der Ferien machte sich Hans Georg auf die Reise, um die geliebte Frau in der Heimat zu besuchen.  Seine Reise geht über Wetzlar, wo er das Archiv es ehemaligen Reichskammergerichts besucht, 21 Schriften Christophs von Carlowitz aus der Zeit um 1540 findet und Maßregeln trifft, um sie aus dem „verwitternden” Archiv in das Carlowitzische zu retten.  Von Frankfurt bis Altenburg begleitete ihn sein Bruder Anton.  Dann wird er lange in Dresden festgehalten, um für den König verschiedene Gutachten zu fertigen.  Endlich kommt er (Ende September oder Anfang Oktober 1825) nach Oberschöna, und von hier schreibt er am 16. Oktober an seinen Bruder Carl Adolf.  Damals war eine vorübergehende Besserung im Befinden Jeanettens eingetreten, und Hans Georg konnte ihr die herzerfreuende Mitteilung machen, das sein Urlaub bis nahe an das Weihnachtsfest heranreiche.  Aber schon beschleicht ihn die erste Ahnung von einem schlimmen Ausgange der Krankheit.  Er schreibt in dem genannten Briefe:  „… wenn sie stürbe, so wäre für mich das Leben ohne allen ferneren Wert.”  Die Behandlung lag in der Hauptsache in den Händen des Dr. Hedenus, der auch nach Oberschöna hinauskam.  In dieser gedrückten Zeit (Nov. 1825) fand in Oberschöna die stille Hochzeit des preußischen Legationsrates von Bülow mit Hans Georgs Tochter Pauline statt.

Schon am 16. Oktober 1825 (A. K.) hatte Hans Georg an Carl Adolf geschrieben:  „Pauline ist mit Bülow versprochen.  Sie werden in November hier getraut und gehen dann nach Frankfurt.  Da sich beide sehr lieben und Bülow ein rechtlicher und kluger Mann ist, so konnte ich nach meinem Gewissen und meinen Lebensansichten nichts gegen die Heirat einwenden.”

Dann bezog das Carlowitzische Ehepaar eine Wohnung in den Calberlaschen Häusern in Dresden (jetzt Hotel Bellevue).  In der Weihnachtszeit ging Hans Georg nach Frankfurt zurück, aber am 17. März (Brief vom 16. März 1826) reiste er wieder nach Dresden.  Anton kam ihm nach Gotha entgegen, ging dann mit ihm nach Dresden und brachte ihn im April auf der Rückreise bis Weimar.  Am 12. April war Hans Georg wieder in Frankfurt.  Seine Zeit war in Dresden zwischen dem Krankenbett Jeanettens und der königlichen Kabinettskanzlei geteilt gewesen.  Schon Ende April oder Anfang Mai riefen ihn schlimme Nachrichten abermals zu seiner Frau.  Er reiste, ohne das Eintreffen des Urlaubs abzuwarten, und brachte, ebenso wie die von der Universität und aus Grimma geholten Söhne, die letzten vier Wochen dieses teueren dahinschwindenden Lebens in oder nahe dem Krankenzimmer zu.  Wir wissen aus dem letzten Briefe Jeanettens von ihrem schweren Leiden und wie auch sie öfters Verzagtheit und Verzweiflung anwandelte, aber wir ziehen den Schleier über den harten, durch die Liebe der Ihrigen und den eigenen Christenglauben gemilderten Todeskampf der Dulderin.  Zwei Wochen nach dem Tage (21. Mai), an dem Hans Georg und Jeanette wehmutsvoll in Stille ihre silberne Hochzeit gefeiert hatten (s. Ottiliens Tagebuch), am 5. Juni 1826, schlossen sich ihre müden Augen für immer.

Das Aktenstück des Oberschönaer Archivs „Jeanette von Carlowitz” enthält die Tagebucheinzeichnungen des Vaters von Jeanette über ihre Geburt und einige schriftliche und gedruckte Kundgebungen über ihren Tod.  Jeanettens Erscheinung und ihre Gesichtszüge werden durch das eindrucksvolle Bild festgehalten, das Wilhelm Tischbein von ihre gemalt hat (s. S. 74).  Aber das ergreifendste Denkmal ihres Wesens und ihrer Liebe, und zwar gerade durch die abgeklärte philosophische Ruhe der Sprache und die jede Phrase verschmähende Echtheit der Empfindung ist der Brief, den Hans Georg noch am demselben Tage, am dem Jeanette von ihm ging, an seinen Lieblingsbruder richtet:

Dresden, 5. 6. 1826.  „Mein Glück für diese Welt ist nun am Ziele.  Heute nachmittags ½5 Uhr starb meine Frau.  Der Engel, der 25 Jahre über mich durchs Leben begleitet und zum glücklichsten Menschen gemacht hatte.  Ihr Übel war eine in ihrer früheren Periode unrichtig behandelte Herzkrankheit, die seit 5 Wochen in Entzündung überging.  Was die Kunst vermochte, ist geschehen.  Kreißig kam seit jener Zeit täglich zweimal, der König, der den rührendsten Anteil nahm, sandte täglich den alten Hedenus von Pillnitz, und dessen Sohn, ein sehr geschickter junger Arzt, hat das Krankenbette fast gar nicht verlassen.  Der Tod war ein Schlag und sehr sanft, bei völligem Bewußtsein.  Meine Frau hat wie ein Engel gelebt und ist wie eine Heilige gestorben.  Auch bei den größten Leiden kam kein Gefühl von Unmut in ihre reine Seele, sie war erfüllt von Dank gegen Gott für das im Leben ihr gespendete Glück und von Vertrauen zu seiner ferneren Vatergüte, erfüllt von Liebe zu den Ihrigen und ihren vielen Freunden jeden Standes.  Alle Kinder waren um sie, und seit 4 Wochen wurde sie nur von ihnen und mir bewacht.  Eine Stunde nach ihrem Tode kam Deine gute Frau von Liebstadt; sie nahm den wehmütigsten Teil an unserem Schmerz, als sie ihre Freundin für dieses Leben zum letzten Male sah.  Das Beispiel meiner Frau hat mich erhoben; an ihr habe ich gelernt, was Seelenruhe im Schmerz sei und wie man Gott vertrauen müsse.  Ich fühle das Unendliche meines Verlustes, daß ich nun allein stehe und das Verlangen nach der Wiedervereinigung mit ihr mich bis zum Grabe gleichgültig gegen alle Freuden der Welt machen werde; aber, wie sie, so will auch ich Gott danken für das mir so lange und unverdient geschenkte Glück und im Vertrauen auf ihn meine Ruhe finden.  Nach einem solchen Verlust spende der Himmel mir noch die Kraft, meine trostlosen Kinder beruhigen zu helfen.

Am 8. Begleite ich mit meinen Kindern die Teuere nach Oberschöna.  Hier soll der Sarg die Nacht über, von mir allein bewacht, am Altar stehen, wo sie sonst so fromm gebetet hat.  Und am 9. Früh wird sie auf dem Begräbnisplatze beerdigt.  Zu diesem Platze habe ich ein Stück Feld gegeben, das nach ihrer Angabe in einen Garten umgeschaffen wird und wo mir beide ruhen werden.  Von Oberschöna aus gehe ich sofort mit meinen Töchtern nach Frankfurt zurück.  Bald hoffe ich, Dich, teuerster Bruder, wiederzusehen.  Erhalte mir Deine Liebe, sie ist noch einer der wenigen Reste einer schönen Zeit, und versichere Dich der meinigen.  Ewig Dein treuer Bruder Carlowitz.”


 


[1] Die Zeitschrift „Minerva” im Verlag der Braunschen Buchhandlung in Jena, s. Jahrgang 1819, 1. Band, S. 357—376:  „Über den letzten Landtag im Königreich Sachsen.”

[2] Zehista bei Pirna.

[3] Zuschendorf, südlich von Pirna, wohl der älteste Besitz der Carlowitz.

[4] Eine Fehde, die Hans v. Carlowitz 1558 mit dem letzten Bischof von Meißen, Johann v. Haugwitz, auskämpfte und bei der einmal den Wurzener Bürgern 700 Schweine von der Weide geraubt wurden.

[5] Kurzname für Ottilie (S. 47).

[6] Der sogen.  „höckerige Turm” des Meißner Domes.

[7] Das Datum des Briefes (s. oben) ergibt sich aus der Angabe:  „Heute sind 5 Tage meiner Kurzeit verflossen.”  Vielleicht hat H. G. diesmal das Glück gehabt, Goethes persönliche Bekanntschaft zu machen (vgl. S. 102).  — Der Zusammenhang deutet darauf hin, daß „meine Angelegenheit” die einer politischen Anstellung ist, vielleicht schon die als sächsischer Gesandter beim Bundestage (s. die folgenden Abschnitte).

[8] Das Palais war vom Grafen Vitzthum gebaut, damals aber schon im Besitze der Fürsten v. Schönburg=Waldenburg.

[9] Scherzhafter Ausdruck für die beiden besonders starken Rappen des Gespanns.

[10] Die folgenden Textstücke und Briefe bieten wichtige Ergänzungen zum III. Bande von Lehmann, Stein und den neueren Werken über diesen von Ritter, Botzenhart u. a.

[11] Man vergleiche über die Eigenart der Mainzer Gesellschaft den auf vorzüglichen Studien von Land und Leuten beruhenden packenden Roman „Das Wunschkind” von Ina Seidel.

[12] Auf dieser Reise trafen Jeanette und Anton von Carlowitz vielleicht mit dem Reichsfreiherrn vom Stein zusammen, vgl. die auf S. 131 wiedergegebene Stelle aus einem Briefe Steins an Hans Georg aus dem Mai 1822.

 

 

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