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Vorwort
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Nachtrag

 

16.  König Friedrich Augusts I. Tod.  Hans Georg wird durch König Anton in den Geheimen Rat zu Dresden berufen.  Carl Adolfs häusliche Sorgen.  Hans Georgs und Antons Arbeit für die Gründung und den Ausbau des mitteldeutschen Handelsvereins.  Carl Adolf wird Gouverneur von Breslau.  Seine Familienverhältnisse.  Hans Georg 1829

ie Trauer Hans Georgs um Jeanette War tief und dauernd.  Wem die Kundgebungen seiner Liebe in den Briefen hier und da etwas phantastisch erschienen sind, der möge bedenken, daß Hans Georg, ganz entgegen der Sitte seiner Zeit, keinen neuen Ehebund schloß, sondern bis zu seinem Tode, 14 Jahre lang, Witwer blieb.  Das Lebensprogramm für diese 14 Jahre hat er gegen seinen Bruder Carl Adolf in dem Briefe vom 3. September 1826 in erschütternder Schlichtheit und Bestimmtheit ausgesprochen:  „Ich muß das Bewußtsein durch unaufhörliche Arbeit unterdrücken, denn sobald ich ruhe, komme ich aus dem Gleichgewicht.”  In der Vergötterung der Toten und der engen seelischen Gemeinschaft mit ihr blieb er ganz der Romantiker, der er im Anfang dieser tiefgründigen Liebe gewesen war; er hielt seiner Jeanette die Treue mit derselben Innerlichkeit, wie sein Freund Novalis sie seiner Sophie gehalten hat.  Aber äußerlich war sein Verfahren anders, durch die lange Schulung im Dienste des Staates gereifter, selbstloser; denn während sich der Sänger der Hymnen an die Nacht im Anschauen und in der Anbetung des Schattens seiner Sophie verzehrte, wurde Hans Georg ein Fanatiker der Arbeit, wie ihn auch der betriebsame Stamm der Sachsen nur selten einmal erlebt hat.  Er zog sich von aller Geselligkeit, außer der mit seinen Brüdern und Kindern, zurück, schränkte sogar die einsamen Spaziergänge auf das Unerläßlichste ein und nahm nicht einmal den ihm in seiner Frankfurter Stellung reichlich zustehenden Urlaub.  Während die anderen Diplomaten des Bundestages in der Ferienzeit die Bäder besuchten oder auf ihren Gütern lebten, blieb er hartnäckig in Frankfurt und nahm die Arbeiten der anderen auf seine Schultern.  So war er in den Ferien 1826/27 Vertreter der Gesandtschaften von Österreich, Preußen, Bayern, Hannover, Württemberg, den Niederlanden, Weimar, Meiningen, Koburg, Hildburghausen, Strelitz, Schwerin, Braunschweig und Nassau.  Nebenher arbeitete er noch umfangreiche Denkschriften über schwebende Fragen aus, und weil ihm dieses Maß der Arbeit noch nicht genügte, ging er mit verstärktem Eifer daran, die Quellen zur Geschichte seiner Familie zu sammeln, zu sichten und zu gestalten.  Der Brief vom 3. September 1826 und andere enthalten ein förmliches Programm für die Geschichtschreibung des Hauses Carlowitz;

„Die Geschichte der Familie eines kleinen Landes kann nur für dessen Glieder wichtig sein, denn in die Völkergeschichte greift sie nicht ein.  Dies stellt den Gesichtspunkt fest, aus dem sie beurteilt werden muß; er muß der moralische sein.  — Man muß die Menschen schildern, welche sich durch Größe des Talents oder der Tugenden auszeichneten, um die Nachkommen zu ihnen zu erheben.  Solche Charaktere werden sich unter uns finden.  Die Stammtafeln gehören zu der Geschichte, sie sind deren diplomatischer Teil.  Auch könnte man noch einen dritten, recht interessanten Gesichtspunkt beifügen:  die Bildnisse der großen Männer oder des grauen Altertums, soviel sich davon finden, in Steindruck.  Zu dem Ende wären einige Deiner Bilder in Liebstadt zu kopieren, auch würde ich einen guten Zeichner nach Zuschendorf (S. 192 f.) und Dohna senden, um die Monumentund Altarbilder zu crayonieren.  Alles dies sind Gegenstände, die wir noch mündlich verabreden müssen.

Nächsten Sonnabend wird Dir die Josephe (Gräfin Beust, S. 225) aus Bonn ihren Besuch abstatten.  Ich will ihr bis Mainz die Pferde entgegensenden.  Sie will einige Zeit bei mir bleiben …”

Auch von der großen Sammlung von 22 000 deutschen Leichenpredigten in der Bibliothek der Grafen zu Stolberg=Wernigerode hat er Kenntnis (Brief vom 8. März 1827).

Da brachte einen neuen Einschnitt in sein Leben der Tod des Königs Friedrich Augusts 1. Am 5. Mai 1827.  Damals schrieb Hans Georg an seinen Bruder:  „Die Welt verlor an ihm das Muster eines Regenten aus einer guten untergegangenen Zeit, das Land hat in seinem Prinzip eine Stütze verloren und das ganze Volk wirklich seinen Vater” — ein auffallendes Urteil, wenn man an die mancherlei Eigenheiten und Schwächen dieses Mannes denkt, unter denen auch Hans Georg und seine Brüder manchmal gelitten hatten.  Aber Hans Georg stand mit diesem Urteil nicht allein:  das Alter des Königs schien verklärt durch das Unglück, das er am Ende der Napoleonischen Epoche unverschuldet erlitten hatte, und durch seine unbeirrbare Gerechtigkeit und sittliche Reinheit.

Nicht so günstig wurde sein Bruder König Anton als sein Nachfolger auf dem Throne empfangen.  Carlowitz weiß zu berichten (Frankfurt, 17. Mai 1827), daß seine Thronbesteigungspatente zerrissen oder beschmutzt wurden, weil das Volk erwartet hatte, daß der 17jährige Prinz Anton zugunsten seines sehr beliebten Neffen Friedrich August auf die Krone verzichten würde.  Aber König Anton beschwichtigte die Gemüter besonders dadurch, daß er nicht, wie man befürchtet hatte, den Geheimen Rat von Manteuffel zum Kabinettsminister ernannte, sondern den Grafen Einsiedel in dieser Stellung beließ, der damals durch den Gegensatz zu Manteuffel populär zu werden begann.  Hans Georg bemerkt dazu (Frankfurt, 19. Mai 1827):  „Ich selbst bin der Meinung, daß es am besten sei, Einsiedel bleibe.  Vollkommen ist niemand, und ein nobles Prinzip kann man ihm nicht absprechen.”  Dann fährt er fort:  „Ich habe den schriftlichen Eid ablegen müssen, als Geheimer Rat und auch als Gesandter, in zwei Funktionen, die nicht vereinbar sind, weil die beiden Champs de bataille 55 Meilen auseinanderliegen.  Seitdem spannt Herr von Münch [der Gesandte Österreichs] mit einer Freundschaft, die ich nicht dankbar genug anerkennen kann, wieder alle Segel, um mich nicht aus Frankfurt zu lassen.”  Schon die hier mitgeteilte Berufung Hans Georgs in den Geheimen Rat machte seine baldige Übersiedlung nach Dresden wahrscheinlich.  Sie geschah auf Betreiben Einsiedels, der in den vorzugsweise konservativen Tendenzen und der so ausgiebig erprobten Arbeitskraft Carlowitzens eine starke Stütze seiner eigenen Stellung zu finden glaubte.  Immerhin haben die Bemühungen Österreichs, daß Hans Georg womöglich auf seinem Frankfurter Posten bleibe, ihn wenigstens bis in die zweite Hälfte des August am Bundestage festgehalten.  Dann aber kam die Berufung nach Dresden so jäh, daß Hans Georg nicht einmal dem Bruder in Mainz und dessen Familie einen Abschiedsbesuch machen konnte.  (Frankfurt, 16. August 1827.)  Dieser Abschiedsbesuch wäre um so wünschenswerter gewesen, weil Carl Adolf gerade damals durch den kostspieligen Haushalt seiner Frau und noch mehr durch das leichtfertige Schuldenmachen seines hochbegabten Sohnes Carl, Leutnants in dem preußischen 8. Kürassierregiment, in schwere Geldverlegenheit geraten war.  Schon aus dem Jahre 1826 ist das Bruchstück eines Briefes Hans Georgs an Carl Adolf vorhanden, aus dem hervorgeht, daß General Leyser (S. 176) im Auftrag Carl Adolfs mit Hans Georg über Mittel und Wege, die Ausgaben zu vermindern, gesprochen hatte.  Da heißt es:  „Mir ist es nach den Äußerungen des Generals Leyser nicht gelungen, mich zu orientieren, auch war ich mit ihn über die Prinzipien gar nicht einig.  In Deinem Hause ist niemand reich als Du, denn Deine Güter und Deine Stelle sind lediglich Dein.  Darum, weil Du große Einkünfte hast, sind Deine Frau und Kinder nicht reiche Leute.  Diese müssen vielmehr mit dem zufrieden sein, was Du ihnen von dem Deinigen abgibst.  Nach diesem juridischen Maßstabe gemessen habe ich auch gar nicht zugeben können, daß Du zu wenig gäbest, besonders auch, was die Söhne betrifft, denn in der preußischen, Armee sind gewiß tausend Leutnants, die weniger bekommen.”

Im Jahre 1827 hatte sich die Lage des Sohnes noch verschlimmert, und der Vater war damit beschäftigt, das Anrecht auf das Majorat von Carl auf seinen nächstjüngeren Sohn Paul übergehen und Carl im Auslande Kriegsdienste nehmen zu lassen.

Hans Georg wird am 19. oder 20. August in Dresden eingetroffen sein.  Am 17. August schreibt er an Carl Adolf:  „Gern hätte ich Dir gleich nach meiner Ankunft hier geschrieben; aber von dem Augenblicke an, wo ich eintraf, war ich nicht einen Augenblick Herr meiner Zeit.  Rücksprachen über dienstliche Angelegenheiten aller Art, der Überlauf, wie Du ihn in Dresden kennst, nicht allein von Bekannten, sondern weit mehr noch von Klienten und Bettlern, notwendige Besuche und Gegenbesuche ließen mich gar nicht zu mir selbst kommen.  Zudem war der Fürst Metternich bis vorige Nacht hier und der Baron Münch ist es noch fünf Tage.  Verzeihe daher ja, daß ich Dir erst heute schreibe … Was mich betrifft, so hat mein Verhältnis noch manches Ungewisse, ich nehme hier schon teil an Geschäften des Geheimen Rats und werde, sobald der König einmal früh in die Stadt kommt, verpflichtet und eingeführt werden; indes ist ungewiß, ob ich nicht im Januar noch einmal auf 6 Wochen werde nach Frankfurt zurückkommen müssen …”  Zu seinem Nachfolger in der sächsischen Gesandtschaft am Bundestag wurde später Bernhard von Lindenau ernannt, auf dessen Tüchtigkeit die sächsische Regierung aufmerksam geworden war, als er die Ernestinischen Herzöge im Gothaischen Erbstreit vertreten hatte.  Auch er wurde am 12. November 1829 Mitglied des Geheimen Rates in Dresden (Weber, Arch. F. s. G. 1, 155).

Die Verpflichtung Hans Georgs als Mitglied des Geheimen Rates erfolgte am 29. August durch den König, seine Einführung am 30. August 1827.  Nunmehr gab er seiner Tochter Ottilie in Frankfurt den Auftrag, im Laufe des Septembers seinen dort befindlichen Haushalt aufzulösen und sich „mit Roß und Maul gemächlich nach Sachsen zurückzuziehen”.

Die ersten Wochen seines neuen Dresdner Aufenthaltes verwendete Hans Georg, um zu beobachten, ob sich während seiner Abwesenheit (1821/27) die Grundsätze und der Geist der sächsischen Verwaltung verändert hätten.  Dabei gewährte ihm seine Mitarbeit an der Zession des Majorats Liebstadt=Großhartmannsdorf an Paul von Carlowitz auch Einblick in das Verfahren der Gerichtsbehörden.  Er schreibt darüber am 9. September 1827:  „Wohin ich blicke, ganz besonders auch in den Funktionen der Justizkollegien, ist eine direkte Einwirkung dringend nötig, und ich werde jeden Tag mit Sachsen bestürmt, wo ich ein falsches Prinzip und einen schlimmen Geist wahrnehme.  Erhält Gott mir, was er mir bisher gab, das allgemeine Vertrauen und die Gesundheit, so werde ich in den nächsten Jahren manches anders gestalten und am Ziele meiner Tage nicht umsonst gelebt haben.”  Ebenso schreibt er am 23. September:  „Hier weiß ich doch, für welche Zwecke ich arbeite, in Frankfurt wußte ich es selten.”

Die Beziehungen zu Bekannten und Freunden, wie General Leyser, Dietrich von Miltitz, Broizem und anderen werden wieder angeknüpft.  Auch die Wohnungsfrage ist gelöst.  Nachdem die Töchter zunächst in Oberschöna den schöneren Teil des Herbstes verbracht haben, bezieht er im November die Wohnung im Friesenschen Garten[1] (S. 236), ein Quartier, das vor ihm auch sein Bruder Carl Adolf bewohnt hatte.  Es ist geräumig genug, um auch seine Söhne dort unterzubringen.  So war er wieder, mit den Kindern vereint, im Besitze einer Häuslichkeit.  Aber der Schmerz um die heimgegangene Gattin will sich nicht beruhigen.  Im Frühling 1828 (16. April) beginnt er einen Brief an seinen Bruder Carl Adolf:  „Nach dem, was Du mir sagst, scheint sich unsere beiderseitige jetzige Stimmung sehr zu gleichen, obschon aus anderen Gründen.  Meine Kinder machen mir keine Sorge, aber ich kann das verlorene Glück meines Lebens nicht verschmerzen.  Ein Sturm der Traurigkeit folgt dem anderen, und so wird es dauern, bis endlich das bedrängte Herz aufhören wird zu schlagen, lieber früh als später.  Ich stürze mich in die Geschäfte, um Zerstreuung zu finden, aber den Schwung, den Geist, die Zuversicht und mithin auch den Erfolg finde ich nicht wieder.”  Dabei nimmt er den innigsten Anteil an dem Kummer des Bruders über die zerstörte Laufbahn seines hochbegabten Sohnes Carl:  „Carl hat sich, wie mir scheint, in seinen moralischen Kräften jetzt ebenso verrechnet, wie früher in seinen pekuniären.  Er braucht 2000 Taler — um einen Aufschwung zu nehmen —, die sich doch nicht beschaffen lassen, ich möchte also für den Erfolg selbst dann nicht stehen, wenn auch diese 2000 Taler geschafft würden.  Ein Kaufmann braucht freilich Kapital, um etwas anzufangen, aber auch ein Soldat?  Capodistria hat sich bemüht, einige deutsche Offiziere, besonders preußische, zu seiner Umgebung, gewissermaßen zu seinem persönlichen Schutze zu finden, ich weiß aber nicht, ob er deren gefunden habe und so viel, daß man ihm von Berlin aus abgeschlagen haben soll, deren zu finden und zu beurlauben.  Hier war der Moment für Carlen!”  Um so mehr freut ihn die Auslicht, den Bruder, der, um seinen Verhältnisse in Sachsen zu ordnen, um Urlaub gebeten hatte, in der Heimat begrüßen zu können.  Eine Freude ist ihm auch das Vertrauensverhältnis, in dem er zum Königshause steht.  Er schreibt in demselben Briefe:  „Hier erwartet man stündlich die Entbindung der Prinzessin Johann.  Kommt ein Prinz zur Welt, so wird großer Jubel sein.  Prinz Friedrich ist in Begleitung des Oberhofmeisters ,Mingwitz‘, wie Du ihn nennst, des Obersten Cerrini und des Malers Hartmann auf 4 Monate nach Italien gefahren.  Wir korrespondieren, ich muß ihm Nachricht von den wichtigsten Dienstangelegenheiten geben, und erst heute ist ein Brief an ihn von drei Bogen nach Florenz abgegangen.  Du kannst Dir keine Vorstellungen machen von der Liebe, die sich der König in allen Ständen erworben hat.  Einen wohlwollenderen Mann habe ich aber auch in meinem Leben nicht gekannt.  Moralisch betrachtet steht unser Regentenhaus, so lange wir es kennen, wirklich sehr hoch.  Der gute alte König ist beinahe vergessen über die Liebe zu seinem Bruder.”

Ein getreues Bild der Verhältnisse, in denen Hans Georg und die Seinen sich im Herbste des Jahres 1827 befanden, liefert uns der folgende Brief an Carl Adolf:

Dresden, [noch im September oder im Oktober 1827.]  „… Ich habe mich Deinem Rate gemäß in dem Friesenschen Garten (S. 234) eingemietet und werde selbigen im November mit meiner ganzen Familie, auch meinen Söhnen, beziehen.  Freilich muß ich 750 Taler Miete geben, was für meine um 6000 Taler verminderten Einkünfte sehr viel, ja zu viel ist.  Indes, der Garten ist meiner kleinen Marie[2] unentbehrlich und für mich, da ich wenig ausgehe, wenigstens insofern nützlich, als ich zuweilen frische Luft schöpfen kann.  Ich weiß recht wohl, was ich an Frankfurt verloren habe, bin aber mit meiner hiesigen Bestimmung sehr zufrieden.  Meine Kollegen haben für mich Freundschaft und Vertrauen, und wenn Gott mir Gesundheit schenkt, kann ich gar viel wirken.  Schon bisher habe ich in wenig Wochen mehr Nutzen gestiftet, als in Frankfurt in einem ganzen Jahre möglich war.”

Und schon zeigt sich auch für Hans Georg selbst ein neues großes Arbeitsfeld in der eben damals mehr und mehr in den Vordergrund der öffentlichen Teilnahme rückenden Frage der Schaffung eines deutschen Zollvereins.  Der Artikel 19 der deutschen Bundesakte forderte auch den freien Verkehr von Staat zu Staat.  Aber zunächst war nichts geschehen, um eine wirtschaftliche Einheit des Bundesgebietes herbeizuführen.  Im Gegenteil:  Preußen hatte 1818 ein neues Grenzzollsystem aufgerichtet, das durchaus schutzzöllnerisch, die Einführung aller Waren in seine Provinzen mit hohen Zöllen belegte.  Der Kampf dagegen ging zunächst nicht von der sächsischen Regierung aus, sondern auf der Leipziger Ostermesse 1819 hatten Fabrikanten den Verein zur Förderung des deutschen Handels und Gewerbes gegründet, und dieser hatte auf den Rat seines Konsulenten, des Tübinger Professors Friedrich List, an den Bundestag den Antrag gerichtet, darauf bedacht zu sein, daß unter Aufhebung aller Binnenzölle ein allgemeiner deutscher Zollverein geschaffen würde.  Eine Lösung der zwischen dem preußischen Verfahren und dem Ziele des Handelsvereins bestehenden Gegensätze wurde in den nächsten Jahren trotz mancher Versuche nicht gefunden.  Da verschärfte sich die Lage dadurch, daß am 18. Januar 1828 ein bayerisch=württembergischer Zollverein zustande kam.  Es bestand nun die Gefahr, daß wenn sich dieser mit Preußen und Hannover vereinigte, Sachsen und die mitteldeutschen Kleinstaaten wirtschaftlich isoliert und von der Ausfuhr über See gänzlich abgeschnitten werden konnten.

Diese schwierige Lage veranlaßte den, wie wir aus seinem Eintreten für die Weber von Großhartmannsdorf wissen, wirtschaftlich sehr interessierten Geheimen Rat Hans Georg, mit seinem jüngeren Bruder Anton, dem Minister von Coburg=Gotha, und durch diesen wieder mit anderen Staaten der gefährdeten Zone in Verbindung zu treten, um einen „Mitteldeutschen Handelsverein” zu schaffen, der ein Gebiet von etwa 9 Millionen Einwohnern umfasse und imstande wäre, diese Gefahr zu beseitigen, gegebenenfalls auch einen gewissen Druck auf Preußen auszuüben, seine der sächsischen Wirtschaft feindlich Stellung aufzugeben oder abzuändern.  Sie luden zunächst die sächsisch=ernestinisch=thüringischen Staaten ein, Bevollmächtigte zu einer Konferenz auf das Carlowitzische Rittergut Oberschöna zu schicken.  Dort kam am 26. März 1828 zwischen dem Herzog Ernst von Koburg=Gotha, seinem Minister Anton von Carlowitz, dem Weimarischen Minister Schweitzer und Hans Georg als dem Vertreter des Königreichs Sachsen die „Oberschönaer Punktation” zustande, in der bestimmt war:  es soll zwischen Sachsen, Kurhessen und den Thüringischen Staaten ein Handelsverein geschlossen werden, dem alle zwischen der preußischen und bayrischen Zollgrenze gelegenen Staaten allmählich zugeführt werden sollen.  Die Untertanen dieser Staaten sollen in der Einfuhr und Ausfuhr ihrer Erzeugnisse gleich behandelt werden, und die Transitzölle sollen die Höhe der sächsischen Transitzölle nicht überschreiten; außerdem sind die Staaten gehalten, keinem auswärtigen Zollsystem oder Handelsvertrag ohne Zustimmung des Vereins beizutreten.  Nach sechs Monaten sollen gemeinschaftliche Handelsverträge beraten werden[3].

Von Oberschöna aus gingen der Herzog Ernst von Koburg=Gotha und sein Minister noch auf eine Woche nach Dresden[4] und blieben dort in regem Verkehr mit Hans Georg.  Davon und von der durch die Oberschönaer Punktation verbesserten Lage berichtet sein Brief aus Dresden an Carl Adolf vom 16. April 1828:

„… Anton war mit dem Herzoge auf 8 Tage hier, er wohnte bei mir, und ich war sehr froh, ihn wieder zu haben.  Wir haben viel in Geschäften verkehrt.  Er ging von hier nach Kassel, wohin ich gehen sollte, aber wegen einer mir zugestoßenen Unpäßlichkeit nicht gehen konnte, um über einen Handelsvertrag zu unterhandeln, und hat seinen Auftrag ganz vortrefflich besorgt.  Preußen und Bayern wetteiferten, die norddeutschen Staaten zu ihrem Handelsverbande zu ziehen; nur Sachsen wollte man nicht wegen seiner großen Industrie, man wollte es isolieren, austrocknen.  Denke Dir das Unglück unserer vielen tausend armen betriebsamen Fabrikanten!  Hier war Reaktion nötig, und wir beiden Kinder von Hartmannsdorf sind nicht untätig gewesen.  Oberschöna wurde der Ort eines Staatsvertrags infolge einer Zusammenkunft fremder Bevollmächtigter mit mir, und ich lese jetzt in Urkunden und Noten auswärtiger Höfe von dem Oberschönaer Vertrage, wie man sonst von dem Altranstädter und Hubertusburger Frieden las….”

Kein geringerer als Heinrich von Treitschke hat in seiner Deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts (Bd. III, 649 ff.) den mitteldeutschen Handelsverein von seinem nur=preußischen Standpunkte aus mit einem übeln Gemisch von bitterem Haß und Spott übergossen.  Er sagt Seite 650:  „Die Träger dieser Politik waren zwei Gebrüder Carlowitz, aus einem der ehrenwertesten Häuser des obersächsischen Adels.  Der ältere königl. sächs.  Minister war bis zum vorigen Jahre noch Bundestagsgesandter gewesen und stand in der Eschenheimer Gasse in lebhaftem Andenken als ein wohlmeinender Geschäftsmann der alten Schule, ein pedantischer Vertreter der bekannten kursächsischen Formelseligkeit.  Der jüngere, jetzt Minister in Gotha, persönlich ebenfalls sehr achtenswert, hatte alle die unausrottbaren Vorurteile des kursächsischen Adels mit aus der Heimat hinübergenommen.  … So wurde denn ein hochgefährliches Unternehmen gegen Deutschlands Handelseinheit in aller Stille eingefädelt, harmlos gemütlich, wie eine Carlowtizische Familienangelegenheit.”  Und an einer anderen Stelle (S. 649) nennt er den mitteldeutschen Handelsverein „eine der bösartigsten und unnatürlichsten Verschwörungen gegen das Vaterland, gleich dem Rheinbunde ein Zeugnis, wessen das deutsche Kleinfürstentum fähig war”.  Wie wünschte ich, daß Treitschke, ehe er diese schweren Anklagen gegen zwei, wie er selbst sagt, persönlich achtenswerte Landsleute in die Öffentlichkeit brachte, den Werdegang der beiden Sachsen und ihre vorangegangene Amtstätigkeit an der Hand der in meinem Buche eröffneten Quellen hätte studieren können!  Die Leser werden, auch wenn ich kein Wort dazu sagen wollte, in der Lage sein, ihm erfolgreich zu widersprechen.  Oder wie kann ein so kerndeutscher Patriot wie Hans Georg von Carlowitz, der Jugendfreund des Novalis, der in Frankfurt jahrelang die vertraute Freundschaft und den politischen Austausch mit Stein genossen hatte, mit den Verfechtern des Rheinbundes auf eine Stufe gestellt werden, wie kann der Mann, der wie ein Vater die wirtschaftliche Not seiner erzgebirgischen Weber zu lindern suchte, hier als blinder Preußenhasser, als Verräter am deutschen Volkstum gebrandmarkt werden?  Selbst der Reichsfreiherr vom Stein hat ihm zugegeben, daß er in Preußen den König liebe und das Volk, daß er aber den preußischen Zivildienst tief unter den sächsischen stelle (Frankfurt, 9. März 1822).  Um die ganze Situation richtig zu beleuchten, muß man doch auch daran denken, daß es noch kein Dutzend Jahre her war, daß Sachsen trotz aller Opfer an Gut und Blut, die es im Freiheitskrieg gebracht hatte, in zwei Teile zerrissen worden war, von denen den bei weitem größeren Preußen sich einverleibt hatte.  Der Begriff des großen deutschen Vaterlands war damals überall in Deutschland erst im Werden, und der preußische Partikularismus, wenngleich eine geschichtliche Notwendigkeit, war doch immerhin eine Denkweise, an die man weise, an die man sich erst gewöhnen mußte.  War es unter diesen Umständen wohl richtig, wenn Preußen durch seine hohen Transitzölle dem industriellen Sachsen die unentbehrliche Ausfuhr unterband und die wirtschaftliche Vereinigung mit dem Nachbarstaate fast unmöglich machte?  Überdies hat im Namen Sachsens und des mitteldeutschen Handelsvereins Bernhard von Lindenau im Oktober 1829 den preußischen Finanzminister von Motz und andere einflußreiche Zollverständige in Berlin besucht, um Verhandlungen über einen Ausgleich der bestehenden Gegensätze einzuleiten, aber er wurde zurückgewiesen (Weber a. a. O. S. 164 f.).

Doch wir wollen nicht etwa den mitteldeutschen Handelsverein als eine geniale Erfindung preisen oder ihm auch nur eine dauernde Berechtigung zuerkennen.  Er war nichts, als ein aus ernsten Sorgen und örtlichen Bedürfnissen geborener Notbehelf, ein Kampfmittel, um dem stärker industrialisierten Mitteldeutschland die Bedingungen zu erkämpfen, unter denen seine Glieder einige Jahre später in den großen deutschen Zollverein eintreten konnten.  Die ganze Lage war bei der mangelhaften Erfahrung aller Beteiligten in den Zollfragen des Weltverkehrs so schwierig und die Aufgabe, die die Carlowitzischen Brüder auf sich genommen hatten, war so uneinheitlich, daß es wunderbar wäre, wenn nicht auch ihrerseits Irrungen über das Kraftmaß der Beteiligten und über die Beschaffenheit des Endzieles vorgekommen wären.

Der schlimmste Zwischenfall, der eigentlich schon den mitteldeutschen Handelsverein sprengte, war im Jahre 1831 der Rücktritt Kurhessens.  Darnach verschaffte das Geschick des sächsischen Ministers von Zeschau auch dem Königreich Sachsen die Möglichkeit, am 30. März 1833 in den preußisch=deutschen Zollverein einzutreten.

Das Material, das ich aus den Briefen Hans Georgs an Carl Adolf über die Oberschönaer Punktation und die Bestrebungen des mitteldeutschen Handelsvereins auf den folgenden Blättern vorlege, beweist zum mindesten eins unwiderleglich:  die Lauterkeit ihrer Absichten.  Schließlich ist es doch auch etwas Natürliches, daß eine in 39 Bundesstaaten gespaltene Nation bei den starken, zwischen den einzelnen Gliedern bestehenden völkischen, politischen und wirtschaftlichen Gegensätzen nicht in einem einzigen Anlauf die volle wirtschaftliche Einigung gewinnt, sondern dazu dreier Vorstufen:  des preußischen, süddeutschen und mitteldeutschen Handelsvereins bedurfte.  Und auch das Ergebnis des 1. Januar 1834, an dem sich alle Schlagbäume im heutigen Deutschland öffneten, war, wenigstens völkisch gesehen, nicht vollkommen, indem die deutschen Landschaften des Kaisertums Österreich keine Aufnahme fanden, sondern eine solche auch heute noch von einer besseren Zukunft erwarten.

Endlich ist zu beachten, daß Hans Georg v. Carlowitz bei seiner Arbeit für den mitteldeutschen Handelsverein nicht nur der Wortführer der sächsischen Fachleute, also der Fabrikanten und Handelsherren, sondern auch der Vertraute Friedrich Augusts II. war.  Dessen enge Verbindung mit Carlowitz schon zur Zeit der „Oberschönaer Punktation” beweist gleich der erste der drei im folgenden gedruckten Briefe.  Denn unter dem Fortgang „unseres neutralen Vereins” ist nichts anderes zu verstehen, als der Mitteldeutsche Handelsverein, für den, wie der Prinz hofft, „bald auch eine bestimmte kurhessische Erklärung zu hören” werden sei.

 

Prinz Friedrich August an Hans Georg v. Carlowitz (A. O. Aufzuhebende Briefe).

Rom, 31. 5. 1828.  „Mein lieber Herr Geheimrat!  Noch habe ich Ihnen nicht einmal für die mehrmaligen interessanten Briefe, die ich von ihnen erhalten habe, gedankt; aber Sie müssen mir verzeihen, indem meine Zeit hier zwischen Sehen und Niederschreiben des Gesehenen so geteilt ist, daß die übrigbleibende den notwendigen Funktionen des Lebens gewidmet werden muß.  Ich habe mit vielem Interesse den Fortgang unseres neutralen Vereins verfolgt und freue mich über die bis jetzt erlangten günstigen Resultate und hoffe, nun bald auch von einer bestimmten kurhessischen Erklärung zu hören, wozu Ihr letzter Brief allerdings Hoffnung [gibt], von der aber spätere Nachrichten schweigen.  Was die Universitätsangelegenheit betrifft, so tut es mir leid, daß keine durchgreifenderen Maßregeln genehmigt worden sind; ich glaube mit Ihnen, daß durch bloßes Stützen das morsche Gebäude nicht wieder die alte Wohnlichkeit erlangt[5].  Von den Schönburgischen Angelegenheiten höre ich nichts; ist denn von neuen kommissarischen Verhandlungen und einem peremtorischen Termin die Rede?

Empfangen Sie die Versicherung meiner vollkommenen Hochachtung

                                      Ihr ergebenster
                                            Friedrich August, Herzog zu Sachsen.”

*

Hans Georg an Carl Adolf von Carlowitz.

Kassel, 12. 11. 1828.  „Durch meine lange Entfernung von Dresden — denn seit dem 10. August bin ich weg —, die hiesigen Umtriebe und die Hin= und Herreisen bin ich so desorientiert, gestört und von allem, was mir lieb und teuer ist, so getrennt worden, daß ich auch Dir, meinem ältesten und ersten Freunde, nicht geschrieben habe.  …

Hier hatte ich drei Handelsverträge zu verhandeln und abzuschließen, den einen zwischen 18 Staaten, den anderen zwischen 8 und den dritten mit Altenburg.  Erstere beide wurden schon im September unterschrieben, aber seitdem hatte ich alle Hände voll zu tun, um die tausenderlei Umstände zu beseitigen, welche sich den Ratifikationen in Hannover, Kassel, Weimar, Koburg, Meiningen pp. entgegensetzten; meist ist dies gelungen, aber immer noch nicht ganz, und mit Altenburg liege ich noch im Feuer.  Indes, allmählich sehe ich doch durch die Nacht der langwierigen hiesigen Geschäfte eine Dämmerung brechen, und mit Vergnügen sehe ich der Zeit entgegen, wo ich wieder in meine alte Ordnung zurückkehren und auch in bezug auf Deine Angelegenheiten in Sachsen einiges nach Kräften wirken kann …

Wie gern besuchte ich Dich von hier aus auf einen Tag in Mainz, sobald mein Geschäft beendigt ist; allein ich sehe leider keine Möglichkeit vor Augen, denn auch in Dresden hängt es an allen Ecken, und ich muß eilen, um zurückzukommen.

In den nächsten Tagen erwarte ich Anton hier, um einen Vertrag mit Kurhessen zu verhandeln.  Er wohnt mit mir in anstoßenden Stuben, und seine Gesellschaft ist einer der wenigen Lichtpunkte meines hiesigen Lebens.  Wir wollen einmal sehen, ob wir noch froh sein können.  Er ist sehr geplagt von Geschäften, denn auf ihm ruht jetzt die ganze Administration zweier Herzogtümer.  …”

*

Altenburg, 29. 12. 1828.  „… Am 10. August verließ ich Dresden, und seitdem war Kassel mein Aufenthalt.  Nur zweimal kam ich auf einzelne Tage wieder dorthin, um mir mündlich Instruktionen zu holen.  Jetzt bin ich auf dem Wege in die dortigen Winterquartiere, wo ich nun auch das Haus gewiß bis zum Juni, wenn ich wieder nach Kassel gehen muß, nicht verlassen werde.

Mein Geschäft ist, dem Himmel sei Dank, sehr glücklich beendet worden, obschon tausendfache Hindernisse sich entgegenstellten und von allen Seiten in den verschiedensten Zeiten der Verhandlung, selbst noch in den letzten Tagen, die augenscheinlichste Gefahr drohte.  18 Staaten haben sich zur Einrichtung ihres gegenseitigen Verkehrs auf die nächsten 6 Jahre unzertrennlich verbunden und werden auch ferner verbunden bleiben, so daß das Werk, an welchem ich als Präsidierender des Kongresses wesentlich teilhabe, gewiß mich weit überleben wird.  Nirgend glaubte man an die Möglichkeit, daß so viele mittle und kleine Staaten ohne den Einfluß einer größeren Macht sich über irgendeinen gemeinsamen Plan vereinigen könnten, auch wären ihre Interessen höchst verschieden.  Indes, alles ist gelungen, die Ratifikationen zu den geschlossenen Verträgen sind sämtlich ausgewechselt, und die sonst geschiedenen Staaten nähern sich jetzt gegenseitig mit einer Uneigennützigkeit und einem Vertrauen, wie ich selbst nie zu hoffen wagte.  Mein Werk ist vollendet, und wenn ich in meinem Leben nichts bewirkt hätte als diesen Verein, so wäre meine Stellung im Vaterlande vergolten … Denke Dir nur den Zustand unserer armen Weber und Fabrikanten, wenn Sachsen, wie im Werke war, ganz von den preußischen, bayerischen und österreichischen Zollinien eingeschlossen und daher in ganz Deutschland von der Konkurrenz beim Verkauf ausgeschlossen worden wäre; denn Preußen und Bayern wollten alle mittlen und kleinen Staaten an sich ziehen, nur nicht Sachsen, weil man dessen Fabrikwesen fürchtete, indem selbiges den eigenen Fabriken überlegen war.  Indes mein Geschäft ist zu glücklich gegangen, um mir nicht in Dresden einige Eifersucht zuzuziehen, die ich schon jetzt, ehe ich noch die Stadt betreten habe, bemerke; des muß ich nun im Bewußtsein einer guten Tat über mich ergehen lassen.  Überhaupt atme ich überall außer Dresden freier und gehe nicht gern zurück.  Wäre der gute alte König, die Prinzen und Einsiedel nicht dort, die ich liebe, so möchte ich gar nicht da sein.

Auf meiner jetzigen Rückreise war ich drei Tage in Gotha und drei Tage in Weimar, wo ich noch Unterhandlungen zu pflegen hatte.  In Gotha wohnte ich bei dem ehrlichen Anton, mit dem ich sehr frohe Stunden zubrachte.  Er war krank gewesen, sogar, wie mir der Herzog sagte, zwei Tage gefährlich, nun aber wieder völlig wohl.  Seine Lebensart macht mich gleichwohl besorgt für die Zukunft.  An Bewegung ist er gewöhnt, und diese verabsäumt er ganz; er arbeitet Tag und Nacht, ist von früh bis abend überlaufen und hat zu viel Lebhaftigkeit und Gemüt, um bei dem Drange von Geschäften in seinem Inneren ruhig zu bleiben.  Der Zufall, welchen er neulich hatte, war eine Art Ohnmacht, die ihn plötzlich in einer Konferenz überfiel und eine große Schwäche nach sich ließ.  Ein solcher Zufall scheint mir bedenklich.  Ich habe ihn um Gottes Willen gebeten, sich Erleichterung in den Geschäften zu verschaffen, die ihm der Herzog gewiß nicht abschlagen wird, und vorsichtiger in Rücksicht seiner Gesundheit zu sein.  Versprochen hat er mir alles, wenn er es nur auch hält.  Mit Deinem Paul ist er überaus zufrieden.  Er sagt mir, daß er streng rechtlich, sehr instruiert und äußerst tätig sei, auch an den Geschäften großen Gefallen finde.  Zur Zeit arbeitet er noch im Rentamte in Koburg, nächstens soll er aber Assessor bei der dasigen Kammer werden.

In Weimar, wo ich von der großherzoglichen Familie mit Gnadenbezeichnungen überhäuft wurde und täglich bei Hofe erscheinen mußte, bin ich mit der Großfürstin Marie näher bekannt worden[6].  Das ist eine herrliche Frau, die mich ganz bezaubert hat.  Sie sagte mir in ihrem kurländischen Deutsch, Du seit ihr guter Freund und habest viel Güte für sie gehabt, ich solle Dich also aufs herzlichste von ihr grüßen.  Dies trug sie mir wiederholt auf, und beim Abschiede sagte sie noch, ich solle es ja nicht vergessen.

Bei den Höfen, wo ich zuletzt war, bin ich mit einer ganz unverdienten Auszeichnung behandelt worden.  Der Kurfürst von Hessen ließ mich wöchentlich wohl drei= und viermal zur Tafel laden, sprach oft fast ausschließend mit mir, lobte mich gegen seine Umgebung, und als ich mich in einer großen Cour bei ihm beurlaubte, hing er mir unter den freundlichsten Äußerungen seines besonderen Wohlwollens und seiner Erkenntlichkeit eigenhändig das große Band seines Hausordens um.  Auch der Großherzog von Weimar gab mir unter ähnlichen Äußerungen sein Großkreuz.

In Weimar war der Prinz Wilhelm von Preußen, Sohn des Königs (der spätere Kaiser Wilhelm I.), ich bin ihm aber nicht vorgestellt worden, weil er seine Zimmer nicht verlassen konnte.  Er war in Berlin gestürzt und hatte sich am Arme beschädigt, dann schnell nach Weimar gereist, und dadurch war die Rose am Arme entstanden, welche ihm viel Schmerz machte.  Der berühmte Arzt Stark von Jena, welcher ihn behandelte, sagte mir jedoch, daß der Prinz, wenn er sich nur schone, bald wiederhergestellt sein werde.

In Gotha fand ich Oppeln.  Er ist Wirklicher Geheimer Rat und Präsident der dasigen Kammer geworden und, ob er schon sehr gealtert hat, wohl auch überaus zufrieden mit seinem neuen Verhältnisse.  Der Herzog achtet ihn sehr und zwischen ihm und Anton findet das beste Einvernehmen statt.  …”

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Zu den in diesen Briefen erwähnten Auszeichnungen, die Hans Georg für seine Arbeit am mitteldeutschen Handelsverein von deutschen Fürsten erhielt, kamen noch die Ehrungen von zwei freien Reichsstädten (S. 224 f.).

Unterdessen hatte sich eine einschneidende Veränderung in den Verhältnissen des Generalleutnants Carl Adolf von Carlowitz vorbereitet.  Nach dem vertragsmäßig bestehenden fünfjährigen Turnus mußte die Bundesfestung Mainz im Jahre 1829 unter ein österreichisches Kommando übergehen.  Somit verlor Carl Adolf in diesem Jahre seine Stellung als Vizegouverneur, und König Friedrich Wilhelm III. ernannte ihn in Anerkennung „seiner treuen und würdigen Dienste” zu dem Ehrenposten eines Gouverneurs von Breslau.  Schon lange zuvor hatte er vom russischen Kaiser den St. Annenorden I. Klasse, später vom König von Preußen den Roten Adler=Orden I. Klasse erhalten; der Kaiser von Österreich fügte noch das Großkreuz des Ordens der Eisernen Krone und der Großherzog von Hessen das Großkreuz des Ludwig=Ordens hinzu.  Nun hatte Carl Adolf die Möglichkeit, so oft er wollte, von Breslau aus in die Heimat zu reisen und überdies auch Muße genug, um seine geschichtlichen und anderen wissenschaftlichen Studien weiter zu treiben, und, wie er es einst in Halle getan hatte, auch mit den Gelehrten der Breslauer Universität in geselligen Verkehr zu treten.  Auch mit dem Reichsfreiherrn vom Stein stand er noch in Verbindung.  Ein Brief Steins an Carlowitz vom 22. April 1829 schleißt mit den Worten:  „Von Herzen glückliche Reise und einen frohen Aufenthalt dort.”  Damit war wohl die Übersiedlung nach Breslau gemeint.

Aber seine Familie verursachte ihm noch manche Sorge.  Sein Sohn Carl (S. 235) hatte in einem russischen Ulanenregimente den Krieg gegen die Türken mitgemacht, hatte aber danach neue Schwierigkeiten mit seinen Gläubigern und war schließlich als Instruktionsoffizier in türkische Dienste getreten.  Hier erregten seine strategischen Talente Aufsehen, und als er während des ägyptischen Aufstandes beim Kriegsminister einen Operationsplan einreichte, wurde er 1832 als Generalstabsoffizier auf den Kriegsschauplatz geschickt.  Seine Pläne waren erfolgreich.  Aber nach dem Kriege verfiel er in Konstantinopel in seinen früheren Leichtsinn.

Dagegen erlebte Carl Adolf an seinen jüngeren Söhnen Freunde:  Paul wurde, nachdem er unter der Leitung seines Oheims Anton und des Geheimrats von Oppel eine Lehrzeit durchgemacht hatte, erst Assessor an der herzoglich Koburg=Gothaischen Kammer und dann herzoglicher Kammerherr und Legationsrat sowie Geschäftsträger dreier sächsischer Herzogtümer am königlichen Hofe zu Dresden, Georg wurde preußischer Kürassieroffizier, ebenso wurde Moritz preußischer Offizier, starb aber schon 1833.  Carl Adolfs Tochter Marie war mit dem sächsischen Major Rudolph Wilhelm von Schönberg, dem späteren Landstallmeister zu Moritzburg, glücklich verheiratet.

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Das erste Drittel des Jahres 1829 verbrachte Hans Georg wieder in Dresden und staunte über die Vergnügungssucht, die sich unterdes fast der ganzen Dresdner Gesellschaft bemächtigt hatte:  „Kein Tag ist ohne Diner, Soiree oder Ball.  Man glaubt, mich einladen zu müssen aus demselben Grunde, welcher auf dem Lande den Schulmeister in alle Gelage verwickelt, und käme ich nicht, so würde ich nach hiesiger Sitte gleich als ein Separatist oder als anmaßend ausgeschrien.”  In demselben Briefe (an Carl Adolf vom 8. 2. 1829) berichtet er:

„Mein Albert hat, gerade nicht zu meiner Zufriedenheit, sich auf die Dichkunst geworfen und unter fremdem Namen einen Band Gedichte aller Art drucken lassen, den er Dir als seinem verehrten Onkel und Gönner zusenden wird.  (Alwin von Candia, Gedichte, Dresden, 1829.)  Mir scheint, es seien unter diesen Gedichten manche gut gelungen, doch glaube ich, wer nicht ein Dichter und Künstler erster Klasse sei, sei gar keiner.  Zwar arbeitet er fleißig in der Regierung, aber er würde noch mehr leisten, wenn er seine ganze Zeit seinem Beruf widmete.  …”

Im März erfährt Hans Georg, daß sein Bruder Anton in Gotha einen zweiten schweren Ohnmachtsanfall erlitten hat, bei dem ihn sein Neffe Ernst, Hans Georgs Sohn, pflegen konnte (Brief an Carl Adolf vom 31. 3. 1829).  Im Herbst hat sich Anton durch eine Kur in Karlsbad völlig erholt und hat dem Bruder „hoch und teuer versprochen, sich künftig besser zu schonen und nicht mehr, wie der Dr. Francia in Paraguay, der Regent, Sekretär und Exekutor zugleich zu sein”.  Derselbe Brief (Hans Georg an Carl Adolf Kassel, 24. 10. 1829) enthält auch einen launigen Bericht über die Verhältnisse in Frankfurt:

„Wir müssen doch etwas Kaiserliches in unserem Leben haben, denn während die Österreicher Dich in Mainz festhalten wollten, wollten sie mich wieder nach Frankfurt ziehen.  Von Wien waren nach Abrufung des Herrn von Lindenau, den sie nicht begünstigten, wieder Schritte bei meinem Hofe geschehen, aber dieser ist ausgewichen und hat den Geheimen Finanzrat Zeschau zum Bundestagsgesandten ernannt.  Seit Langenau von Frankfurt abgerufen worden ist, sollten, wie ich meine, der Teufeleien dort weniger vorfallen.  Wie ich von Österreichern gehört habe, hatte Langenau durch seine bunten Vorschläge am Ende den Hofkriegsrat mißvergnügt gemacht und dieser in einer Order den Zweifel einfließen lassen, ob er wohl auch den Dienst hinreichend verstehe.  Er, in der festen Überzeugung seiner Unentbehrlichkeit, ist hierüber empfindlich geworden und hat anheim gegeben, ihn abzurufen und in die Armee zurückzuversetzen.  Diese Äußerung hat man buchstäblich genommen, man hat dem Kaiser seinen Wunsch zur Genehmigung vorgelegt, ihn zu versetzen, und dieser hat ihm den Gefallen getan, worüber er beim Empfange der Nachricht ganz außer sich gewesen sein soll.  …”

Schon bevor Hans Georg zum zweiten Male zu längerem Aufenthalte nach Kassel reiste (er kam dort am 27. Mai 1829 an), wußte er, daß sein Bruder Carl Adolf aus seiner Stellung in Mainz abberufen werden würde, darauf bezieht sich die Anspielung im ersten Satze der oben angeführten Briefstelle, außerdem hatte er schon am 5. Mai aus Dresden an Carl Adolf geschrieben:  „Nach meinen Nachrichten aus Berlin bestimmt man Dich zum Gouverneur von Luxemburg, Breslau oder Königsberg” (S. 245).  In demselben Briefe teilt er dem Bruder den Tod des Hofpredigers Frisch mit:  „Frisch war seit 42 Jahren mein Freund, denn schon 1787 wurde er bei mir Hofmeister (S. 23).”  In diesem Sommer wurde Hans Georg auch eine neue amtliche Verpflichtung auferlegt.  Er schreibt am 24. Oktober 1829 an den Bruder:  „Daß mir der König das Großkreuz gegeben habe, hast Du vielleicht gelesen, auch hat er mich zum juridischen Großinquisitor, zum Präsidenten der Examinationskommission bestellt, welche alle mündlichen und schriftlichen Prüfungen vom Advokaten bis zum Hof= und Appellationsrat zu bewirken hat, jährlich an 240.  Wichtig für das Gemeinbeste ist dies Geschäft gewiß, aber für erfreulich kann ich es nicht halten.  Bei aller pedantischen Strenge in Erfüllung der Pflicht bin ich doch von Natur ein gutmütiges Tier, und so wird es mir immer innigst wehtun, wenn ich, was nicht zu vermeiden sein wird, zuweilen Leute um Brot, Ehre und Aussicht bringen muß.  …”

Trotzdem behielt er noch Arbeitskraft genug, um sich gelegentlich auch wieder mit der Geschichte seiner Familie zu beschäftigen.  Denn in dem angeführten Brief aus Kassel vom 24. 10. Schreibt er:

„Hier habe ich Bekanntschaft mit dem Direktor des kurfürstl.  Archivs Rommel, einem guten Historiker, der jetzt die Reformationsgeschichte, welche bisher nur aus sächsischen Quellen bearbeitet worden war, aus hessischen, zur Zeit unbenutzten bearbeitet.  Hierbei trägt er für mich zusammen, was er in bezug auf unsere Familie findet und gibt mir Abschriften.  So habe ich bereits Abschriften einer Korrespondenz der landgräfl.  Hessischen Familie mit Georg von Carlowitz, heimlichem Rat Georg des Bärtigen, erhalten, welche sich auf den Plan des letzteren bezieht, die Lande des Herzogs Georg seinem Bruder Heinrich zu entziehen, wenn er fortfahre, die Reformation zu begünstigen, und sie an Österreich zu bringen.  Die Briefe sind etwas grob und interessierten mich um so mehr, da ich von jenem Plane bisher nichts gewußt habe.  Ein kluger und gewaltiger Staatsmann ist Georg von Carlowitz wirklich gewesen …”


 


[1] Der einer Freiin von Friesen gehörende Garten lag in der Seevorstadt an der Halbegasse in dem Gelände zwischen dem Georgplatz und der Prager Straße.  Der Garten reichte bis an die Waisenhausstraße heran.  Mitt. Hollstein.

[2] Die am 11. 1. 1825 geborene Tochter Marie Theodora Octavia war dem Vater das wertvollste Andenken an die heimgegangene Gattin.  Nach Hans Georgs Tode fand sie liebevolle Aufnahme im Hause ihrer Pflegeschwester, der Gräfin Josephe von Beust in Berlin.  Es war eine eigenartige Fügung, daß diese letzte Tochter Hans Georgs am 24. Oktober 1846 einem Hardenberg die Hand zum Ehebunde reichte, dem Hans Christoph Hildebrand, einem Neffen des Novalis, der im Werdegang Hans Georgs eine so ausschlaggebende Stellung eingenommen hatte.  Sie war Schloßherrin zu Schlöhen und Wiederstedt und als solche bis zu ihrem am 21. August 1899 erfolgten Tode die Trägerin der engen Beziehungen, die noch heute zwischen den Familien von Hardenberg und von Carlowitz bestehen.

[3] Über die Vorgeschichte der Oberschönaer Punktation und des mitteldeutschen Handelsvereins vgl. außer den hier zuerst veröffentlichten Briefen Hans Georgs von Carlowitz K. v. Weber, Detlev Graf v. Einsiedel, Arch. S. G. 1, 162 ff.  Theodor Flathe III, 453 ff., H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte III, 623 ff.

[4] In diese Zeit fällt vielleicht der Besuch des Herzogs Ernst und seines Ministers Anton v. Carlowitz auf Schloß Kuckuckstein, der uns durch zwei kleine Gemälde im Schlosse bezeugt ist.

[5] Nach dem Tode des Königs Friedrich August I. wurde an den Gebäuden der Universität in Leipzig manches erneuert oder durch ein besseres ersetzt.  Das nach dem alten Zwinger zu gelegene Stück des Paulinums wurde abgebrochen und dafür ein Gebäude für den Senat mit Gerichtstube, Quästur, Rentamt und Karzer errichtet.  Auch wurden damals schon Pläne gemacht für das Augusteum, durch das das Andenken an den verstorbenen König festgehalten werden sollte.  Der Grundstein dazu wurde 1831 gelegt, s. Friedberg, Die Universität Leipzig, S. 68 und 70.

[6] Marie Paulowna, Tochter des Zaren Paul v. Rußland, Gemahlin des Großherzogs Karl Friedrich v. Sachsen=Weimar.  Es ist auffallend, daß hier Goethe nicht erwähnt wird.  Vielleicht stand das Geschäftliche bei Abfassung dieses Berichts zu sehr im Vordergrunde.

 

 

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