"Du mußt ein Schwein sein . . ."
John F. Kennedy II
Verräter der Exil-Kubaner
Schweinerei in der Schweinebucht

[La bahía de los cochinos - die Bucht der Schweinehunde]

Ein Kapitel aus Dikigoros' Webseite
REISEN  ZUM  ANDEREN  UFER

Verrat und Verräter im 20. Jahrhundert

In Deutschland ist viel Kritisches über Amerika und die Amerikaner, genauer gesagt über Nordamerika und die US-Amerikaner geschrieben worden, früher eher von rechts, später eher von links. Dikigoros schreibt über einige der interessanteren Autoren zu diesem Thema - die Ross und Johann, die Wirsing und Fernau, die Matthias, Herm und Winter, an anderer Stelle mehr. Leider haben sie vor allem eines gemeinsam, nämlich oberflächliche oder lückenhafte Geschichtskenntnisse, und so wiederholen sie immer die gleichen abgedroschenen Geschichten und leiten daraus immer wieder die gleichen, mehr oder weniger dümmlichen Klischées ab. Sie haben Angst, daß sie den Wald nicht mehr sehen würden, wenn sie sich die einzelnen Bäume, aus denen er sich zusammen setzt, mal etwas genauer anschauten, und so laufen sie denn wie mit Scheuklappen hindurch und kommen am Ende so klug heraus wie sie zuvor hinein getappt sind. Die Geschichte, mit der Dikigoros hier beginnen will, fehlt bei ihnen allen - zu ihrem eigenen Schaden, denn sie hätte ihre Thesen ein Stück belegbarer und somit glaubhafter gemacht.

Geschichte wiederholt sich, aber nie exakt im Verhältnis 1:1 - das liegt daran, daß sich der zeitliche Bezugsrahmen ändert. Aber es gibt geschichtliche Ereignisse, die sich so stark ähneln, daß man einen déjà-vu-Effekt erlebt - das liegt daran, daß sich der geografische Bezugsrahmen nicht ändert. In einer Zeit, da "Geopolitik" nicht nur ein Fremdwort, sondern beinahe schon ein Schimpfwort ist und da das Vergleichen als "Relativieren" in bestimmten Fällen - nämlich wenn dabei eine politisch unerwünschte Wahrheit heraus kommt - sogar strafbar sein kann, fällt das nicht jedem gleich auf; deshalb weist Dikigoros bisweilen einleitend oder im Exkurs darauf hin. Gewiß, der Verrat ist so alt wie die Politik, vielleicht so alt wie die Menschheit; das allein wäre zu vage, um Parallelen zu ziehen. Aber wenn die Verräter am selben Ort sitzen und sich das Objekt ihres Verrats an einem anderen selben Ort befindet, dann sollte man schon mal etwas genauer hinschauen. Wie war das gleich? 1492 segelte ein Spanier namens Kolumbus (oder so ähnlich) auf einem Schiff namens Santa María über den Atlantik, entdeckte Amerika und kehrte mit Gold und Silber, Kartoffeln und Zigaretten nach Europa zurück... Pardon, aber fast nichts davon stimmt. Vielmehr segelte 1492 ein Jude aus Genua, dessen richtigen Namen wir nicht kennen (in Italien nannte er sich "Täuberich", in Spanien "Bauer", Dikigoros würde aber nicht ausschließén, daß er in Wahrheit "Cohn" hieß), auf einem Schiff, dessen Namen wir nicht kennen, über den Atlantik (wenigstens etwas muß ja stimmen :-), entdeckte Kuba und kehrte mit buchstäblich gar nichts zurück als schönen Worten, u.a. der Behauptung, der habe einen neuen Seeweg nach Indien gefunden. Aber da man auch nicht ins entgegen gesetzte Extrem verfallen soll, nämlich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen, will Dikigoros die nächsten 400 Jahre überspringen und seinen Lesern deshalb u.a. die Geschichte von Narciso López ersparen, obwohl sie den Satz "aller guten Dinge sind drei" unterstützen könnte. Aber erstens sind das eher drei schlechte als drei gute Dinge, zweitens kennt jenen General heute selbst auf Kuba kaum noch jemand, und drittens ist es auch für Dikigoros schwierig, durch das Gestrüpp der Legenden zu blicken, die sich einst um ihn rankten. Also beginnt er lieber mit jemandem, den heute noch jedes Kind auf Kuba kennt - denn alle Regierungen, die in den letzten 100 Jahren auf jener Insel herrschten, egal welcher politischen Couleur, haben sich auf ihn als Nationalhelden berufen; und auch außerhalb Kubas haben die meisten Erwachsenen schon mal von ihm gehört - jedenfalls in Lateinamerika: José Martí.

Wenn Ihr, liebe deutsche Leser, José Martí noch nicht kennt und jetzt irgendwo nachschlagt, werdet Ihr erfahren, daß er von Beruf "Dichter" war. Und wenn Ihr Euch ein paar seiner Gedichte besorgt und des Spanischen mächtig seid, werdet Ihr feststellen, daß er ein schlechter Dichter war - seine Gedichte hatten Drittkläßler-Niveau. Einsicht ist der erste Weg zur Besserung; eines Tages sah auch Martí ein, daß er als Dichter keine Lorbeeren würde ernten können und beschloß, Politiker zu werden. Was war Mitte des 19. Jahrhunderts politisch en vogue? Heutige "Historiker" behaupten, daß damals "Demokratie" und "Liberalismus" ihren Anfang nahmen; aber Dikigoros hat ja bereits an anderer Stelle dargelegt, daß man richtiger Weise davon sprechen müßten, daß damals die Kombination von "Nationalismus" und "Sozialismus" ihren Anfang nahm. (Heute, da diese Ideologie in ganz Lateinamerika wieder aufgeblüht ist, nennt man sie beschönigend "Links-Nationalismus", weil man das Wort "National-Sozialismus" scheut wie der Teufel das Weihwasser :-) Der größte Teil Lateinamerikas hatte sich ja schon eine Generation zuvor von der spanischen Kolonial-Herrschaft "befreit" - wobei hier in besonderem Maße Dikigoros' Lieblingsfrage angebracht ist: "Befreiung wessen wovon wozu?" Martí zählte zu der kleinen Minderheit politischer Ideologen, die diese Frage auch sahen, und er versuchte, sie zu beantworten, bevor er in Aktion trat: Alle Kubaner sollten frei werden, schwarz und weiß, arm und reich, Arbeiter und Unternehmer, und zwar frei von der politischen Herrschaft der "Gachupines", d.h. das Eigentum sollte zwar unangetastet bleiben und Gewinne weiter erwirtschaftet werden, aber die Steuern darauf sollten nicht mehr nach Madrid abgeführt werden, sondern im Lande bleiben. Da ging es um beträchtliche Summen: Die Briten hatten die Insel im 7-jährigen Krieg besetzt und aus ihrem betulichen Dornröschen-Beamten-Schlaf (sie war bis dahin in erster Linie das spanische Verwaltungs-Zentrum für Mittelamerika gewesen) gerissen, hatten große Zuckerrohr-Plantagen angelegt und Negersklaven importiert, die dort arbeiten sollten; bevor der Rübenzucker seinen Siegeszug um die Welt antrat, warfen sie riesige Gewinne ab. Nachdem die USA sich von England unabhängig gemacht hatten, waren sie auch in dessen wirtschaftliche Fußstapfen auf Kuba getreten, d.h. viele Plantagen - einschließlich der verarbeitenden Betriebe - gehörten US-Amerikanern. Martí, der die Unabhängigkeit Kubas von Spanien gepredigt hatte, war irgendwann verhaftet und nach Spanien deportiert worden; 1881 gelang es ihm jedoch zu entkommen - in die USA, nach Florida, wo er begann, gleichgesinnte Exil-Kubaner um sich zu scharen. Die US-Regierung ließ ihn gewähren, denn er schien ihr ein nützlicher Idiot zu sein, der die spanische Herrschaft über Kuba destabilisierte, die sie bald selber an sich zu reißen gedachte. Doch Martí hatte besonders dem letzten Drittel der o.g. Frage große Aufmerksamkeit gewidmet; er fragte nicht nur "Freiheit wozu?", sondern auch "Freiheit wozu nicht?" Und er sah ganz richtig, daß den Kubanern nicht damit gedient wäre, wenn ihre Steuern und Abgaben künftig statt nach Madrid nach Washington flössen. (Denkt jetzt bitte nicht an Einkommenssteuern o.ä., liebe Kinder des 20. und 21. Jahrhunderts - so etwas gab es in Amerika noch nicht -, sondern an Akzise [Verbrauchssteuern, die Vorläufer der Umsatz- und Mehrwert-Steuer], Import- und Export-Zölle, letztere nicht nur auf Zucker und den daraus gewonnenen Rum, sondern auch auf Tabakwaren :-) Er wollte keine neuen Kolonial-Herren, sondern ein unabhängiges Kuba!

Die Sache hatte nur einen Haken: Damals saßen in Washington, anders als heute, nicht nur Dummköpfe, sondern auch ein paar kluge Leute, die irgendwann merkten, daß Martí sich nicht so vor ihren Wagen würde spannen lassen, wie sie es gerne gehabt hätten. Sie ließen ihn also erstmal weiter machen und eine Invasionsflotte sammeln, als sei nichts geschehen; dann, als die Flotte in See stach - Weihnachten 1894 - fielen sie ihm in den Rücken: Sie verrieteninformierten die spanische Regierung über das Unternehmen und schickten ihm ihre eigenen Kriegsschiffe hinterher. Im Januar 1895 stellten sie die kleine Flotte der Exil-Kubaner, überfielen und "konfiszierten" alle Schiffe bis auf eines, das entkam, und ausgerechnet auf dem befand sich Martí. Im April - fast auf den Tag genau 66 Jahre vor... aber halt, das stellen wir einstweilen zurück - landete sein verlorener Haufen an einem kleinen Strand ("Playitas") im Osten der Insel. Es kam alles so, wie es sich die US-Regierung vorgestellt hatte (und hier endet unsere Parallele): Martí fiel wenige Wochen später im Kampf - starb also den "Heldentod" -; und die Kubaner, die seinem Aufruf - von den Historikern großartig als "Manifest von Montecristi" bezeichnet - gefolgt und den Aufstand "against all odds" dennoch unternommen hatten, wurden von den Spaniern langsam, aber sicher nieder gekämpft. Nach drei Jahren, als beide Seiten einigermaßen erschöpft waren, suchten und fanden die USA einen Vorwand, in die Kämpfe einzugreifen; sie erklärten Spanien den Krieg, "befreiten" Kuba und machten es zu ihrer eigenen Kolonie, pardon, zu ihrem Protektorat - aber das ist eine andere Geschichte. Genug der Einleitung.

* * * * *

Wieso hat Dikigoros das Bild, das Ihr oben seht, im Quellcode mit "Die Bucht der Schweinehunde" betitelt? Sagt man auf Deutsch nicht "Schweinebucht"? Ja, schon, aber das ist eine falsche Übersetzung. Im Gegensatz zu den meisten anderen Sprachen, in denen das Wort Schwein (und das Wort "Hund" :-) sowohl das Nutztier als auch den herab zu setzenden Mitmenschen bezeichnen kann, gibt es da im Spanischen einen klaren Unterschied: Das Schwein heißt "puerco" oder "cerdo", und der Schweinehund im übertragenen Sinne heißt "cochino" (was natürlich vom französischen Wort für Schwein, cochon, kommt), und die Bucht, um die es hier geht, heißt "bahía de los cochinos" - warum, weiß kein Mensch; aber man hätte sich keinen besseren Namen für sie ausdenken können; jedenfalls fällt Dikigoros kein besserer ein.

Die früheste Erinnerung, die Dikigoros mit dem verknüpft, was man heute "erlebte Geschichte" nennt, war ein für ihn ziemlich überraschendes Ereignis, denn er war noch nicht aufgeklärt über die jüngste Geschichte im allgemeinen und die jüngste deutsche Geschichte im besonderen. Ihr findet das verwunderlich, liebe jüngere Leser? Aber wieso denn? Seine Eltern hielten keine Tageszeitung; einen Fernseher hatten sie noch nicht - erst einige Jahre später sollte seine Mutter einen in der Fernsehlotterie gewinnen -, und wenn im Radio "Geschwätz" kam, z.B. Nachrichten oder politische Kommentare, wechselte seine Mutter den Sender und suchte einen, auf dem Musik lief. Und auf der Schule fand Unterricht in "Zeitgeschichte", wie man das heute nennt - als ob die andere Geschichte zeitlos im Raum schwebte! - nicht statt. Dikigoros glaubt sich sogar zu erinnern, daß es in den ersten Klassen überhaupt keinen Geschichts-Unterricht gab; und als es ihn dann später gab, fing man bei den alten Griechen und Römern an; aber wenn die ihre Kriege gegen die alten Perser bzw. die alten Karthager führten, dann war das irgendwie abstrakt, wie eine Sage von Gustav Schwab, nichts, das man sich konkret hätte vorstellen können. Und wenn man dann doch irgendwann mal in die Nähe der Gegenwart kam, dann wurde alles, was damit zusammen hing und unangenehm war, mit der gleichen Penetranz, mit der es heuer ständig breit getreten wird, verschwiegen. Krieg - was war das? Nichts für Kinder, und nichts, wovon sie hätten wissen müssen - sie sollten es doch einmal besser haben als ihre Eltern und behütet aufwachsen, ohne all die schrecklichen Erlebnisse und Erinnerungen, da waren sich Urs und Grete vollkommen einig. Aber wie Dikigoros schon mal an anderer Stelle schrieb: Geschichte ist kein Wunschkonzert - und das gilt auch für die "Zeitgeschichte". Eines Nachmittags verfolgte klein Niko verwundert, wie seine Mutter begann, für ihn und seine Schwester Rucksäcke zu packen und ihn fragte, was für Spielsachen er mitnehmen wollte. Zur Auswahl standen Elastolin-Figuren, und Stücker zwei waren erlaubt; die Wahl fiel - brav ausgewogen, wie das bei Wahlen sein sollte - auf je einen Indianer und einen "Trapper" (ein Wort, das die Eltern der Bezeichnung "Cowboy" vorzogen, die sie für historisch falsch hielten, denn die Kuhherden und -hirten kamen ja erst, als die Indianer von den Fallenstellern - auch denen im übertragenen Sinn - besiegt worden waren. Wohl wahr, aber auf lange Sicht setzte sich "Cowboy" dennoch durch - wann hätte sich in der Geschichtsschreibung je die Wahrheit durchgesetzt?) mit Gewehr. (Wie war das: "... muß haben ein Gewehr!" Aber den Satz kannte Dikigoros damals noch nicht.) Auf dem Wohnzimmertisch lag ein noch ungeöffneter Briefumschlag, und die erste Zeile der Anschrift lautete: "Herrn Major der Reserve" (damals gab es noch keine Sichtfenster, die einem das Extra-Adressieren auf dem Umschlag ersparten). Grete respektierte das Briefgeheimnis auch bei ihrem Ehemann (etwas, das Dikigoros seiner Frau nie hat beibringen können); aber sie ahnte schon, was das bedeutete: Urs war erst im vorigen Jahr Hauptmann geworden, also noch längst nicht wieder "dran" mit einer regulären Beförderung; und schon einmal hatte man ihn vorzeitig befördert. Damals, im Mai 1945, war er stolz darauf gewesen, als erster in der Verwandtschaft ein "richtiger" Offizier geworden zu sein, kein Fachoffizier bei der Marine wie sein ältester Onkel, und kein Fahnenjunker bei der Waffen-SS wie einer seiner Vettern, sondern ein echter Leutnant beim Heer, der "Königin der Waffengattungen". Von wegen... Sie hatten ihn für ein Himmelfahrts-Kommando ausgesucht, um ihn mit der "Armee Wenck" im Endkampf um Berlin zu verheizen, und um ein Haar wäre es das gewesen.

Und diesmal? Als Urs von der Arbeit kam, las er noch vor dem Abendbrot den Einberufungsbescheid zur Wehrübung. Natürlich war er wieder stolz, als erster in der Verwandtschaft Stabsoffizier geworden zu sein - und das gleich in Verbindung mit dem Angebot, in den "aktiven Dienst" einzutreten, also Berufsoffizier zu werden. Es wäre ein ungeheurer Karrieresprung für ihn gewesen. Major - das wurde bezahlt wie Regierungsrat, ein Rang, der für ihn im Zivilleben in unerreichbarer Ferne lag, ohne Abitur, Studium und/oder Parteibuch. Aber wer wollte ihm so viel Gutes? Bei der letzten Wehrübung hatte er sich nicht gerade beliebt gemacht bei den Vorgesetzten seiner Stammeinheit, als er bei einer Lagebesprechung in Anwesenheit einer Delegation des Verteidigungs-Ministeriums zum Ausdruck gebracht hatte, daß er die Bundeswehr im Falle eines Angriffs der Warschauer-Pakt-Truppen nicht nur für "nur bedingt verteidigungfähig" hielt, wie das andere blumig umschrieben, sondern für völlig unfähig zur erfolgreichen Abwehr eines solchen Angriffs mit konventionellen Waffen (und wem in Deutschland wäre schon damit gedient gewesen, wenn die Amerikaner zur "Verteidigung" von Flensburg bis Garmisch einen Sperrgürtel mit Atombomben gelegt hätten?), eine Ansicht, die er anhand eines improvisierten Vortrags über einen zu erwarteten Vorstoß der NVA an die Nordseeküste bei Hamburg detailliert darlegte. Aber irgend einem der hohen Herren mußte Urs wohl aus der Seele gesprochen haben; fortan würde er seine Wehrübungen nicht mehr in der Eifel machen, sondern auf der Hardthöhe; und wenn er sich entscheiden sollte, "aktiv" zu werden, könnte er gleich den Generalstabs-Lehrgang besuchen... Seine Frau und seine Kinder haben ihn später oft gefragt, warum er dieses verlockende Angebot nicht annahm (das sich Jahre später noch einmal wiederholen sollte, sogar mit einem um zwei Ränge höheren Dienstgrad). Er pflegte darauf zu sagen: "Da müßte ich ja jeden Tag mitsaufen, und das ist zwar mal ganz schön ein paar Wochen auf Wehrübung; aber auf die Dauer nichts für mich." Doch das war nur die halbe Wahrheit - wenn überhaupt: Urs, der ein Hüne von fast 2 m und in seiner besten Zeit von fast 2,5 Zentnern Kampfgewicht war, vertrug so viel, daß er noch jeden unter den Tisch saufen konnte; und diese Fähigkeit pflegt, wenn sie sich einmal herum gesprochen hat, vor allzu häufiger Inanspruchnahme derselben durch Dritte leidlich zu schützen. Urs muß andere Gründe gehabt haben - er hat sie nie verraten. Aber als bei seinem Sohn die Frage der Berufswahl anstand, sollte er einmal sagen: "Nach dem nächsten verlorenen Krieg werden sie alle deutschen Berufsoffiziere als Kriegsverbrecher an die Wand stellen, zumindest die Stabsoffiziere; das hätten sie schon nach dem Zweiten Weltkrieg getan, hüben wie drüben, wenn sie uns nicht wieder gebraucht hätten, als potentielles Kanonenfutter."

[Nachtrag. Urs hat seine wahren Gründe mit ins Grab genommen; aber seinen Sohn hat diese Frage nie losgelassen. Wenn man jung und unerfahren - und vor allem ungedient - ist, denkt man immer zuerst daran, daß man ja als Soldat in einem Krieg vorzeitig sterben könnte - und wer will das schon? Aber bei näherem Hinsehen ist die Gefahr, als Soldat bei regulären Kampfhandlungen zu sterben, doch schon seit dem Zweiten Weltkrieg geringer denn die, als Zivilist zuhause Terror-Bombardements oder marodierenden Besatzungssoldaten zum Opfer zu fallen. Das kommt also als Motiv nur für jemanden in Frage, der dumm und/oder feige ist, und beides glaubt Dikigoros bei seinem Vater ausschließen zu können. Später las er bei dem großen Schriftsteller Ernst v. Salomon, den Satz: "Man wird doch wohl als Soldat mal fragen dürfen, wofür ein Staat oder eine Regierung von einem etwas so Ekelhaftes verlangt wie sich töten zu lassen, oder - was noch viel ekelhafter ist - andere Menschen zu töten." (Oder so ähnlich, Dikigoros hat das Zitat nicht wörtlich im Kopf, aber dies ist der Teil, auf den es ihm hier ankommt.) Nun, das hat jemand geschrieben, der keinen "richtigen" Krieg mitgemacht hat, sondern ausschließlich Bürgerkrieg und Freikorpskämpfe, die erfahrungsgemäß noch viel ekelhafter sind als "normale" Kriege, bei denen man ja "nur" Angehörige fremder Nationen töten muß und keine "eigenen" Leute. Außerdem wäre Urs als höherer Offizier ja nicht in die Verlegenheit gekommen, irgend jemanden persönlich töten zu müssen; er hätte nur anderen die Befehle dazu geben müssen. "Nur"? Seht Ihr, liebe Leser, je älter Dikigoros wird, desto mehr wächst bei ihm die Überzeugung, daß das Schlimmste nicht das Töten und Getötet-werden ist, sondern das "(selber) Leben und (andere) Sterben-lassen", der Befehl, mit dem man Soldaten los schickt, um zu töten und/oder zu sterben, während man selber bequem im Bunker sitzt und das ganze bestenfalls am Bildschirm verfolgt, schlimmstenfalls bloß aus ein paar kurz überflogenen Verlustmeldungen erfährt. Anständige Menschen spüren dabei Gewissensbisse, umso mehr, wenn sie selber den Krieg von beiden Seiten kennen gelernt haben: erst als Schütze Arsch in vorderster Front und dann als Offizier. Aber selbst der letztere, egal wie hoch sein Rang auch sein mag, ist ja nur ein Werkzeug derer, die am obersten Ende der Befehlskette sitzen, und das sind in der Regel Zivilunkenungediente Politiker, die solche moralischen Skrupel nicht kennen. Das sind die wahren Mörder, die Schreibtischtäter, nicht die Soldaten mit dem Gewehr in der Hand, von denen manche Deppen das behaupten. Wie hatte Urs immer wieder gesagt: "Die beste Versicherung gegen einen Krieg ist eine Militär-Regierung aus Soldaten, die schon einen mitgemacht haben, denn die werden nie leichtsinnig einen neuen vom Zaun brechen." Wohl wahr, und heute wissen wir, daß auch der Umkehrschluß gilt: Die sicherste Garantie für einen Krieg ist eine Regierung von "Pazifisten", die sich überall auf der Welt mit Waffengewalt einmischt, "um den Frieden zu sichern". Haben wir nicht schon wenige Wochen nach der rot-grünen Machtergreifung von 1998 mit erleben müssen, wie von deutschem Boden wieder Kriege ausgingen, auf dem Balkan, am Hindukusch, am Horn von Afrika, am Kongo, im Sudan und an den Wassern von Babylon? "Und morgen die ganze Welt"? Falsch, liebe Leser, inzwischen muß es "heute" heißen! (Ihr meint, der US-Präsident, der die Menschheit in der Kuba-Krise an den Rand eines Dritten Weltkriegs führte, sei doch gar kein Ungedienter gewesen, sondern vielmehr ein Offizier, der im Krieg sogar mit einer Tapferkeits-Medaille ausgezeichnet wurde? Ja, aber als Offizier - sprich als Vorgesetzter - taugte er gar nichts, den Orden hatte er sich erschlichen, und den Präsidentschafts-Wahlkampf führte auch er als "Pazifist". Dikigoros hat unten eine Webseite über ihn verlinkt, die könnt Ihr ja mal anklicken, wenn Euch die Einzelheiten interessieren.) Dikigoros glaubt heute, daß sein Vater kein solches Werkzeug sein wollte - jedenfalls nicht von Berufs wegen. In den 60er und 70er Jahren gab es ein Fernsehquiz mit dem Titel "Was bin ich?" und dem Untertitel "Heiteres Berufsraten". Welche Handbewegung sollte ein Kandidat, der Berufsoffizier ist, da Heiteres vorführen? Den Druck auf das berühmte Knöpfchen? Und auf die Frage: "Was haben Sie gelernt?" die heitere Antwort geben: "Menschen in den Tod zu schicken!"? Nachtrag Ende.]

Nun tat Urs das gleiche, was er nach seiner Beförderung im Mai 1945 auch getan hatte: Er fuhr zu seiner Mutter (sein Vater war schon gestorben, an den Spätfolgen einer Tuberkulose, die er sich im Ersten Weltkrieg zugezogen hatte) - eine Reise von 500 km vom Rhein an die Ostsee - zum vielleicht letzten Besuch, und seinen Sohn nahm er mit. Am nächsten Morgen ging er mit ihm zum Marinehafen von Neustadt und zeigte ihm die U-Boote, die Torpedoboote und die Zerstörer und erzählte ihm von dem Flugzeugträger "Graf Zeppelin", der nie zuende gebaut worden war. "Warum wird er denn jetzt nicht zuende gebaut?" fragte klein Niko. "Weil Deutschland keine Flugzeugträger bauen darf." - "Warum darf Deutschland keine Flugzeugträger bauen?" - "Weil es die Kriege verloren hat." - "Und warum hat Deutschland die Kriege verloren?" fragte Niko weiter. (Wie war das: "Wer nicht fragt bleibt dumm!" :-) - "Weil sich in den letzten 50 Jahren zweimal die ganze Welt zusammen getan hat, um Deutschland zu zerstören. Beim ersten Mal haben sie vier Jahre gebraucht, beim zweiten Mal sogar sechs. Und wer weiß, wie lange es diesmal dauert." - "Wieso diesmal?" - "Die Amerikaner und Russen haben sich wegen irgendeiner Schweinerei in Kuba verkracht. Wir stehen vor einem dritten Weltkrieg, der auf deutschem Boden ausgetragen werden wird, und diesmal wird kein Stein auf dem anderen stehen bleiben." Dann setzte er ihn in seinen grauen VW, Modell "Käfer", Ausführung "standard" (einen ausrangierten Dienstwagen, den er gebraucht für 1.000.- DM von seinem Brötchengeber gekauft hatte und der, wenn es nicht gerade bergauf ging oder eine fünfköpfige Familie drin saß, immerhin 90 km/h Spitze machte - die er aber aus Gründen der Sparsamkeit fast nie ausfuhr, weil der Motor dann über 10 Liter Benzin auf 100 km soff) und fuhr mit ihm nach Lübeck, wo eine Cousine von ihm wohnte - ganz nahe an der "Zonengrenze" -, die mit einem Ex-Kameraden ihres Bruders aus der LSAH verheiratet war. Gemeinsam besuchten sie die größtenteils noch nicht wieder aufgebauten Kirchen Lübecks, die den alliierten Terror-Bombardements zum Opfer gefallen waren - worüber man damals noch Dokumentationen in den Ruinen ausstellen durfte. "Warum haben die Engländer das getan?" fragte klein Niko. "Aus Neid und Haß auf Deutschland und die Deutschen," sagte der Schwiegeronkel, "und wenn man dir jemals etwas anderes erzählen sollte, was immer es auch sei, glaub es nicht, es ist gelogen." So lernte Dikigoros, was "Krieg" bedeutet; und bis heute glaubt er nicht, was an anderen "Warums" erzählt wird, denn was auch gewesen sein mag: es war mit Sicherheit nicht der wahre Grund, sondern nur die im Nachhinein vorgeschobene Begründung. (Und, da wir gerade bei Glaubensfragen sind: Dikigoros glaubt auch nicht, daß die Alliierten nach einem dritten Weltkrieg alle deutschen Berufsoffiziere ab Major als "Kriegsverbrecher" an die Wand gestellt hätten; er glaubt vielmehr, daß sie alle deutschen Soldaten umgebracht hätten, aber nicht durch An-die-Wand-stellen, sondern bei den höheren Chargen durch den Strick, und bei den niederen durch Verhungern-lassen in Gefangenen- oder Arbeitslagern, wie sie das schon nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend praktizierten; aber das ist eine andere Geschichte.)

Wenn Ihr heute in ein Geschichtsbuch schaut, liebe Leser, dann werdet Ihr diese "Schweinerei in Kuba" (wenn Ihr Glück habt - es gibt auch Bücher, die sie kaum erwähnen, wie z.B. der 500 Seiten starke Band 20 von "Fischers Weltgeschichte", welcher der Invasion in der Schweinebucht und der "Raketenkrise" je zwei Sätze widmet, oder die sogar 600 Seiten starke "Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika" des Kröner-Verlags, wo diese beiden Ereignisse auf einer knappen halben Seite mit immerhin zusammen fünf Sätzen abgehandelt werden) unter der Rubrik "selber schuld" als Ursache für die Krise wieder finden, der Dikigoros' Vater damals seine vorzeitige Beförderung verdankte: Die Sowjet-Union hatte "die Sache mit der Schweinebucht" zum Anlaß genommen, auf Kuba Raketen zu stationieren, welche die USA vor weiteren Invasions-Versuchen dieser Art abschrecken sollten; und diese Stationierung betrachteten wiederum die Amerikaner als casus belli. Die Amerikaner - mehr denn je wurden sie, jedenfalls in den Augen der Weltöffentlichkeit, verkörpert durch einen Mann, den sie gerade in freien Wahlen zu ihrem Präsidenten gemacht hatten: John F. Kennedy, den ersten Katholiken irischer Abstammung auf diesem hohen Posten. War das nicht auch ein Vorteil für Deutschland? Waren die Iren nicht immer deutschfreundlich gewesen? Hatten sie nicht, wie um Dikigoros' Vater Lügen zu strafen, als so ziemlich einziges Land dem massiven Druck der Alliierten stand gehalten und dem Deutschen Reich nicht den Krieg erklärt, auch nicht in letzter Minute, wie so viele andere "Freunde" der Deutschen in aller Welt, von A wie Anatolien bis Z wie Zentralamerika? Tja, auf Kennedy's Vater mag das noch zugetroffen haben - er soll sogar mit den bösen Nazis sympathisiert haben, wie man bis heute hinter vorgehaltener Hand munkelt -; aber sein Sohn war schon ein "echter Amerikaner", aufgewachsen unter der Roosevelt-Diktatur, und der jahrelangen Hetzpropaganda gegen "Hitler-Deutschland" voll erlegen. Fast zur selben Zeit wie Hitler im Reich und Roosevelt in den USA war in Kuba ein gewisser Batista an die Macht gekommen, nicht ganz so demokratisch, sagte man, aber wen scherte das schon? Die USA - deren Kolonie Cuba seit 1898 de facto war (aber das ist eine andere Geschichte) - scherte nur, daß Ruhe und Ordnung herrschte und daß weiter Erdöl und Zucker geliefert wurden, ba[ti]sta. (Auf die kubanischen Zigarren, die ein deutscher Kanzler 70 Jahre später so gerne rauchen sollte, legte man dagegen weniger Wert - die machten nur der einheimischen Tabak-Wirtschaft in Virginia Konkurrenz, die schlechtere Qualität produzierte und deshalb auf Schutzzölle angewiesen war.) Nebenbei mauserte sich die Antillen-Insel im Laufe der Jahre mehr und mehr zu einem Urlaubsparadies für Amerikaner, die der sittenstrengen Enge ihres Heimatlandes für kurze Zeit entfliehen wollten. Der Alkohol floß in Strömen (zwar gab es auch in den USA keine Prohibition mehr - Roosevelts erste Amtshandlung, noch vor der Anerkennung der Sowjet-Union, war gewesen, sie abzuschaffen -, aber Hochprozentiges war in den USA wesentlich teurer und schlechter als in Kuba); auch Glücksspiel und Prostitution florierten - man konnte sich auch mal mit einer schwarzen Nutte ins Bett legen, ohne gleich eine Anklage wegen "miscegenation [Rassenschande]" fürchten zu müssen, wie in den meisten US-Bundesstaaten. Und am Ende wurde auch die Fassade gewahrt: 1954 ließ sich Batista ganz korrekt zum Präsidenten "wählen" - was wollte man mehr?

Das, liebe Leser, ist eine gute Frage, aber Ihr müßt sie nicht Dikigoros stellen, sondern denen, die heute in Kuba an der Macht sind - am besten gleich in Verbindung mit der weiter gehenden Frage, ob die Kubaner heute wirklich "mehr" haben als damals. Die Kubaner? Welche Kubaner? Gewiß, die farbige Unterschicht lebte unter Batista mehr schlecht als recht - zwar verhungerte niemand, aber der Mensch lebt bekanntlich nicht vom Brot allein. Wovon dann? Von Bildung? So so. Na, wenn man die essen kann, dann müßte es "den" Kubanern heute tatsächlich besser gehen, denn inzwischen haben fast alle lesen und schreiben gelernt (fragt sich nur, was :-). Aber wenn man Euch das jemals erzählen sollte - glaubt es nicht, es ist gelogen. Denn was auch gewesen sein mag, es ist mit Sicherheit nicht der wahre Grund, sondern nur die im Nachhinein vorgeschobene Begründung. Die Macher der kubanischen Revolution von 1956-59 waren nämlich keine armen, farbigen Unterschichtler, die endlich lesen und schreiben lernen wollten, sondern Angehörige der kleinen, weißen Oberschicht: Ärzte, Rechtsanwälte und andere Akademiker, "Bildungsbürgertum", wie man damals sagte, und noch nicht mal arbeitsloses "akademisches Proletariat", wie es heuer allenthalben in Lateinamerika (und anderswo :-) herum schwirrt. [Ja, Dikigoros kennt auch die These, daß Castro gar kein "richtiger" Anwalt war, sondern bloß ein verkrachter Jura-Student, der sich seine Zulassung durch Bestechung erkauft hat - aber kommt es darauf an?] Und böse Zungen behaupten gar, daß jene Revolutionäre anfangs insgeheim von den USA unterstützt wurden - saßen sie nicht in der Sierra vor Guantánamo? Hatten sie nicht amerikanische Waffen? Und Dollars? Tja, die USA haben seit dem Zweiten Weltkrieg ein besonderes Geschick darin gehabt, die falschen Leute zu unterstützen, die sie später oft umso blutiger bekämpfen zu müssen glaubten. (Die Liste reicht von Stalin und Mao Tse-tung über Castro und Noriega bis hin zu Saddam Hussein und Usamā bin Lādin - und da regten sich die Briten noch darüber auf, daß sie im Zweiten Weltkrieg "das falsche Schwein geschlachtet" hatten! Die Briten? Ach was, nur ihr Ex-[Ver]führer Weinstein Kirchügel, dessen letzte Worte waren: "What a fool I've been [was war ich doch für ein Narr]!" Die übrigen Briten sollten sich ein Jahr nach seinem Tode mit dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft trösten :-) Und so ist Dikigoros geneigt, jenen bösen Zungen zu glauben - an irgend etwas muß doch auch er mal glauben!

Dankbarkeit mag eine Tugend sein (oder einfach nur nüchternes Kalkül: "do ut des" sagten die alten Römer, oder "eine Hand wäscht die andere"); aber zumal in der Politik kann man sich nicht immer darauf verlassen. Nachdem Castro an die Macht gekommen war, enteignete er die ausländischen Unternehmen, verstaatlichte die Luxus-Hotels und Casinos, die Tabak- und Zuckerrohr-Plantagen, die Rumfabriken (die Familie Bacardi floh nach Mexiko, aber das ist eine andere Geschichte), selbstverständlich auch die Ölquellen und -raffinerien, und als ihm die US-Amerikaner daraufhin nichts mehr abkaufen wollten, verkaufte er das Zeug einfach an die Sowjet-Russen, die ihm sogar mehr bezahlten, als er auf dem so genannten "freien Weltmarkt" dafür bekommen hätte. So weit, so gut - oder auch nicht; denn nun fand sich "Castro-Cuba" plötzlich wie einst "Hitler-Deutschland" in der Schußlinie der amerikanischen Propaganda, und Castro mutierte über Nacht zum Kommunisten - was blieb ihm anders übrig? (Nein, liebe Leser, die Verstaatlichung ausländischer Unternehmen hat nicht notwendigerweise etwas mit "Kommunismus" oder "Sozialismus" zu tun, sondern zunächst einmal mit Nationalismus - nicht umsonst heißt das auf Spanisch "nacionalisación" -, und das haben schon viele lateinamerikanische Staaten praktiziert, ohne deshalb von den USA gleich als "kommunistisch" eingestuft worden zu sein, von Mexiko bis Brasilien; echte "Sozialisten" enteignen nur die eigenen Staatsbürger und machen dann, nach der Verstaatlichung, munter weiter Geschäfte mit den USA und anderen kapitalistischen Ländern.) Nun gab es aber unter denen, die 1959 beim Sieg der Castro-Revolution Hals über Kopf geflohen waren (zumeist in die USA, genauer gesagt ins nahe Florida) immer mehr Leute, die es bereuten, einfach kampflos davon gelaufen zu sein vor so ein paar unfähigen Milchbärten, die sich anschickten, das Land zu reformieren, pardon zu ruinieren. Und diese Militanten unter den Exilanten begannen Fühler nach Washington auszustrecken, ob man sie nicht wieder in La Habana an die Macht bringen könnte, wenn schon nicht durch eine offizielle Intervention, dann doch durch inoffizielle Unterstützung einer Invasion - den Rest würde man dann schon selber machen.

In Washington saß wie gesagt seit 1961 ein neuer Präsident im Weißen Haus, der dasselbe für Schloß Camelot hielt, sich selber für eine Reïnkarnation von König Arthus und sein Kabinett für dessen Tafelrunde. (Nein, liebe Leser, das hat sich Dikigoros nicht einfach so ausgedacht. John F. Kennedy war tatsächlich geisteskrank; als die CIA das endlich bemerkte, liquidierte sie ihn - kurz nachdem er einen der treuesten Verbündeten der USA, Ngo Dinh Diem, den katholischen Präsidenten Süd-Vietnams, hatte ermorden lassen -, um noch größeren Schaden, als er schon angerichtet hatte, von Amerika und der Welt abzuwenden; aber das ist eine andere Geschichte.) Nun, eine Ansammlung mehr oder weniger verrückter Ritter war das schon (Kennedy berief in die höchsten Ämter bevorzugt Leute, die den Vornamen "Dean" trugen, oder die zuvor Dean [Dekan] an irgend einer Universität gewesen waren, weil er glaubte, das seien die Nachfahren von Hofbeamten aus König Arthus' Zeit); und als einer dieser Ritter von der traurigen Gestalt zwei Tage nach Kennedy's Amtsantritt das Anliegen der Exil-Kubaner an ihn heran trug und nebenbei erwähnte, daß schon unter seinem Vorgänger einiges angeleiert worden war, meinte er bloß: "Ja ja, dann macht mal weiter." Weiter? Da gab es ca. 1.400 Freiwillige, die in Kuba landen wollten, davon knapp 10% ausgebildete Soldaten, der Rest nicht einmal mit Grundausbildung, nur mit ein paar Schießgewehren bewaffnet, mit denen die meisten gar nicht umgehen konnten. Dem gegenüber stand auf Castros Seite eine knappe Viertelmillion kubanischer Soldaten - wie zuverlässig die auch immer sein mochten -, mit sowjet-russischen Panzern und Düsenjägern. Kein Exil-Kubaner wäre auf die Schnapsidee gekommen, ein solches Wagnis einzugehen ohne die Zusicherung der Amerikaner, helfend einzugreifen. So geschah es denn auch: Die USA stellten sechs (!) Flugzeuge und Piloten zur Verfügung (als kubanische Deserteure getarnt), die am 15. April die kubanischen Flugplätze bombardierten und dabei Castros halbe Luftwaffe außer Gefecht setzten. Zwei Tage später sollten die "Invasoren" an Land gehen, unter dem Schutz eines nochmaligen Angriffs jener sechs Flugzeuge. Doch am nächsten Tag stand das alles schon in den Zeitungen - die ja auch nur 2+2 zusammen zu zählen brauchten; und da Kennedy sein gutes Bild in den Medien (die ihm schließlich zum Wahlsieg über den schlechter aussehenden und vor allem schlechter rasierten Nixon verholfen hatten) über alles ging, wollte er nicht der Buhmann sein. Nein, erklärte er auf einer Pressekonferenz, die USA hätten mit alledem nicht das geringste zu tun.

Nun ja, was sollte man von so eine Erklärung halten? Natürlich glaubte ihm niemand; jeder wußte, daß der Luftangriff von den USA aus gesteuert worden war, und jeder ging davon aus, daß auch die bevorstehende Invasion - die Spatzen pfiffen es von den Dächern - von den USA unterstützt werden würde. Wieso auch nicht? Die Sowjets hatten vor ihrer Haustür - in Ungarn - vor ein paar Jahren ebenso ungeniert "klar Schiff" gemacht; warum sollten die USA da anders handeln? Weil sie eine Demokratie waren? Weil sie eine Medien-Demokratie waren? Egal, seien wir nicht päpstlicher als der Papst: Warum sollte ein Politiker nicht mal kalte Füße bekommen oder gar zu einer besseren Einsicht gelangen? Wenn Kennedy zu der Überzeugung gekommen wäre, daß es nicht im Interesse der USA lag, ihr internationales Renommé als "friedliebende Supermacht" wegen der paar blöden Exil-Kubaner aufs Spiel zu setzten, dann war das ein vertretbarer Standpunkt. Aber, liebe Leser, wenn es so gewesen wäre, dann hätte es doch nur eine ehrliche Entscheidung geben können und dürfen: Kennedy hätte die Exil-Kubaner informieren müssen, daß er sie nicht länger unterstützen würde, damit sie die ganze Sache noch rechtzeitig abblasen konnten. Statt dessen ließ er die kleine Invasions-Streitmacht am übernächsten Tag von amerikanischen Kriegsschiffen und Flugzeugen bis unmittelbar vors Einsatzgebiet eskortieren und dann ohne Vorwarnung abdrehen: "April, April!" Hinzu kam noch, daß die Exil-Kubaner entgegen ihrem ursprünglichen Plan nicht vor Trinidad landeten, sondern 150 km weiter westlich, eben in der Schweinebucht, einem Sumpfgelände ohne Deckung und Rückzugsmöglichkeiten, dafür mit reichlich Korallenriffen vor der Küste, auf denen die kleinen Invasionsboote fast alle zu Bruch gingen. Die amerikanischen Militärs, die das aus unmittelbarer Nähe mit ansahen, baten händeringend um Einsatzerlaubnis: ein einziger Einsatz eines einzigen Flugzeugträgers der US-Navy, und Castros Streitkräfte wären zerschlagen gewesen. Aber Kennedy verbot ausdrücklich, auch nur einen Finger am Abzug eines Gewehrs zu rühren. Das war das Todesurteil nicht nur für die meisten Invasoren (die wenigen Überlebenden kaufte Kennedy später für sage und schreibe 56 Millionen US-$ - damals eine ungeheure Summe - frei), sondern auch für über 100.000 mutmaßliche Sympathisanten, die Castro sofort einsperren ließ, und die das Gefängnis nie wieder lebend verlassen sollten. Die USA aber haben nie wieder eine Invasion Kubas versucht oder auch nur einen Versuch der Exil-Kubaner zu unterstützen gewagt. Und Castro ist ein ehrenwerter Mann, dem sogar der Papst in den Hintern gekrochen ist. Wie war das: "Du mußt ein Schwein sein"? - Eben, so ist es recht, amen!

[Papst Johannes Paul II mit Fidel Castro]

Nun kann man trefflich streiten über Sinn und Unsinn einer solchen Invasion - selbst wenn sie nicht schief gegangen wäre. Nein, nicht wegen des Castro-Regimes - was Dikigoros davon hält, hat er bereits an anderer Stelle hinreichend zum Ausdruck gebracht: gar nichts. Aber kluge Politiker mischen sich nicht ein, wenn die Regierung eines Nachbarstaats diesen politisch und wirtschaftlich zugrunde richtet, sondern ziehen ganz im Gegenteil ihren Nutzen daraus: Wo sollten denn die USA heute noch billig ihre Ramschwaren herstellen lassen, wenn nicht in Rot-China oder in Vietnam, das durch den Sieg der Kommunisten im Indochinakrieg völlig auf den Hund gekommen ist? Eben. Aber damals lagen solche Überlegungen kurzsichtigen Leuten wie Kennedy, die in ihren "Ivory towers [Elfenbein-Türmen]" saßen und sich von noch kurzsichtigeren, um nicht zu sagen blinden Professoren aus der "Ivy leage [Efeu-Liga]" (Spitzname für Akademiker der alten Universitäten in Neuengland, weil deren Gemäuer oft mit Efeu bewachsen sind) beraten ließen, völlig fern: Damals betrug der Mindestlohn für Arbeiter in den USA 1.- US-$ pro Stunde (aber dafür bekam man fast 4 Gallonen Benzin!); und als Kennedy den per ordre Mufti auf 1,25 $ erhöhte, erntete er zwar einen Aufschrei der Industriellen, welch ein Arbeitsplatzvernichter er doch sei, aber deshalb lohnte es sich immer noch nicht, die Produktion ins Ausland zu verlagern, schon gar nicht nach Kuba. [Das, liebe Leser, lohnt sich ohnehin nie; und das werden all jene Narren noch merken, welche die wenigen Gewinne, die sie im Inland noch machen, in Osteuropa, Rot-China oder anderen Niedriglohn-Ländern "investieren". (Ihr gestattet doch, daß Dikigoros entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht von "Billiglohn-Ländern" spricht - er hält diese Art von Ausbeutung weder für billig im Sinne von "gerecht und billig", noch glaubt er, daß die Investoren damit auf lange Sicht billig im Sinne von "günstig" fahren werden.) Die deutschen Auslands-Unternehmen sind bereits im 20. Jahrhundert zweimal entschädigungslos enteignet worden, und das wird ihnen im 21. Jahrhundert - so sie denn jemals nennenswerte Gewinne einfahren sollten - wieder geschehen. Wer sollte sie denn davor schützen? Die UNO? Die NATO? Die BRD mit ihrer "schnellen Eingreiftruppe"? Ha ha - nicht mal die USA haben das in Kuba geschafft! Auch dieses Abwandern des Kapitals ins Ausland ist eine Art von Verrat. Wenn die "wirtschaftlichen Rahmenbedingungen" im Inland nicht mehr stimmen, liebe Unternehmer, dann ist es keine Lösung, davon zu laufen, sondern dann müssen die falschen 50er, pardon 68er, d.h. die Schweine, die diese Bedingungen versaut haben, geschlachtet werden, aber bitte die richtigen (denkt an Churchill :-) - mit oder ohne Sahne. Denkt mal drüber nach!]

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Heute ist das alles anders. Da wäre es für US-Unternehmer schon interessant, die niedrigen kubanischen Arbeitslöhne und die kurzen Transportwege auszunutzen; und Kuba, das seit dem Zusammenbruch Auseinanderbrechen der Sowjet-Union und dem Ausbleiben derer Subventionen endgültig zum Armenhaus Lateinamerikas geworden ist, müßte noch dankbar dafür sein. Aber es gab und gibt eben Leute, die das nicht wollen; und einer von denen, der sich für den "máximo líder" [größten Führer] aller Zeiten hält (immerhin nicht für König Arthus :-) sitzt bis heute in La Habana und erfreut sich - angeblich - bester Gesundheit. (Und wer weiß schon, was nach ihm kommt? Vielleicht ein Aufstand der schwarzen Unterschichten und ein blutiger Bürgerkrieg?) Urs konnte das nicht mehr kratzen. Er hat all die Schweine und Schweinehunde überlebt, die die "Zeitgeschichte" seiner Lebensspanne "gemacht" haben, von Washington und London bis Moskau, von Berlin bis Peking und Tōkyō, sogar ganz knapp den da oben aus Krakau, pardon aus Rom - alle bis auf einen, und dieser eine war ausgerechnet Fidel Castro. Aber vielleicht ist der gar kein Schwein (denn er hat sein Volk und seine Überzeugungen - so wertlos die objektiv betrachtet auch sein mögen - nicht verraten), sondern nur der letzte rote Hahn auf dem letzten kommunistischen Misthaufen?


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