Affentheater unter'm Zirkuszelt. Willi "de Ox" Cody alias "Buffalo Bill"

AFFENTHEATER UNTER'M ZIRKUSZELT
Willi "de Ox" Cody - alias "Buffalo Bill"

Von Rauhen Reitern und anderen Revolverhelden

[Cody] [Cody] [Cody+Sitting Bull]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
DIE BRETTER, DIE DIE WELT [BE]DEUTEN

Es war einmal in Amerika, die gute alte Zeit: Im "Wilden Westen" (der nicht der ferne Westen war, sondern vielmehr der "Mittwesten", die Prärien der Great Plains) liefen große Herden von Mustangs und Bisons ("Büffel") herum, die ebenso frei waren wie die Menschen, die sich dorthin begaben, um der Enge der Großstädte an der Ostküste zu entgehen. (Ja, auch ein 50.000-Seelen-Ort kann einem das Gefühl der Enge und Unfreiheit geben, wenn er aussieht wie die europäischen und nordamerikanischen Städte noch bis Ende des 19. Jahrhundert. Böse Zungen meinen sogar, daß es heute noch nicht viel besser sei :-) Außerdem liefen mehr oder weniger große Horden von Indianern herum, die mit den Mustangs und Bisons gemeinsam hatten, daß man frei war, sie abzuknallen, denn ein toter Indianer war ein guter Indianer (ob irgendwo in dem Zitat noch ein "nur" vorkam, und wenn ja, wo und wie das genau gemeint war, darüber streiten die Gelehrten), das war schon eine feine Sache. Aber die Geschichte bleibt nicht stehen, und so... Was wißt Ihr über die Geschichte der USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, liebe Leser? Darf Dikigoros raten? Wenn Ihr ältere Semester seid, hat man Euch einige Namen und Daten eingebleut, von Präsidenten, Kriegen und anderen "wichtigen" politischen Ereignissen. Wahrscheinlich habt Ihr sie mal brav auswendig gelernt und längst wieder vergessen. Wenn Ihr etwa in Dikigoros' Alter seid, habt Ihr die Zeit des staatlich verordneten Fimmels für Verfassungs-, Sozial- und Wirtschafts-Geschichte mit erlebt, also habt Ihr etwas über die wunderbare Verfassung der USA gehört, vielleicht auch ein paar ihrer Artikel (oder wenigstens die Präambel) auswendig gelernt, ferner über Wirtschafts-Statistiken und schließlich darüber, wie schlecht es der armen Arbeiter-Klasse ging, auf deren Rücken der Aufbau vonstatten ging. Und wenn Ihr zur jüngeren Generation gehört, habt Ihr im Zweifel überhaupt nichts Konkretes erfahren, allenfalls schwammiges Gewäsch über die Diskriminierung der armen Neger und die Ausrottung der armen Indianer. Alles wahr, liebe Leser, alles wahr. Und dennoch irgendwie ziemlich nichtssagend, findet Ihr nicht? Deshalb will Dikigoros Euch hier ein wenig mit den wirklich wichtigen Ereignissen - denen, die fort gewirkt haben - vertraut machen, und er nimmt sich einmal mehr die Freiheit, dabei auf seine erste eigene Begegnung mit dem Thema zurück zu greifen.

Als Dikigoros jung war - man nannte ihn noch "Tarzan" - führte ihn eine seiner ersten USA-Reisen in die "Rocky Mountains [Felsigen Berge]" von Colorado. Und da er noch kein alter, erfahrener Traveller war, der wußte, welche Reiseziele interessanter sind und welche weniger, sondern ein Greenhorn, folgte er den ausgelatschten Pfaden der Tourismus-Industrie und besuchte das, was dort alle besuchten: Das Grab von "Buffalo Bill" und das dazu gehörende Museum in dem kleinen Kaff Golden, wo er und andere brave Herdenviecher sich von einer adrett heraus geputzten jungen Amerikanerin alles erzählen ließen, was sie glauben sollten; und eine kleine Broschüre, in der Leute mit schlechtem Gedächtnis das alles noch mal nachlesen konnten, war im Eintrittspreis von 50 cents enthalten - das war der verbilligte Tarif für Soldaten in Uniform; und anders als in der BRD, wo man in Bundeswehr-Uniform damals Gefahr lief, von linken "68er"-Revoluzzern (die Sorte, die heutzutage Außen- oder gar Verteidigungsminister spielt), die Soldaten ungestraft als "Mörder" beschimpfen durften, ebenso ungestraft ermordet zu werden, konnte man sich in den USA in Uniform überall frei und unbehelligt bewegen, und Tarzan pflegte das stets zu tun, zumal die amerikanische Uniform viel praktischer und bequemer war als die deutsche. Den Namen "Buffalo Bill" merkte er sich - freilich verbunden mit völlig falschen Vorstellungen; aber das sollte er erst viel später erfahren.

Rückblende. 1846, gut hundert Jahre vor Dikigoros, wurde in Iowa ein Deutscher zweiter Generation hugenottischer Abstammung mit dem schönen Namen Friedrich Wilhelm Codie geboren. Die USA waren damals erst etwa halb so groß wie heute. Ein Jahr später kam es in Europa zur Hungersnot und in deren Folge zur Revolution, die 1848 zusammen brach. Hunderttausende "48er"-Revoluzzer, vor allem Deutsche, Holländer, Schweden und Iren wanderten in die USA aus, die dadurch auf gut 23 Millionen Einwohner kamen. Die waren auch dringend nötig, denn sie hatten gerade den Mexikanern rund zwei Drittel ihres Staatsgebiets abgenommen: Kalifornien (dort war gerade der Goldrausch ausgebrochen), Utah, Nevada, Colorado (dorthin sollte der Goldrausch etwas später kommen), Arizona und New Mexiko (Texas schon etwas früher). Um all diese Gebiete miteinander zu verbinden - und damit die Besiedelung attraktiver zu machen -, richtete die Post 1860 den "Pony Express" ein. Einer ihrer Postboten wurde Codie. Doch schon zwei Jahre später wurde der Express wieder eingestellt, denn inzwischen stand die erste transkontinentale Telegrafenleitung, und diese Verbindung war noch schneller und vor allem billiger. Codie wurde Soldat, denn inzwischen war der Sezessions-Krieg ausgebrochen. 1864 erfand ein gewisser Pullman den Schlafwagen - erst jetzt wurde es interessant, eine Eisenbahnlinie quer durch die USA zu bauen, denn wer wollte schon drei Tage und vier Nächte (oder umgekehrt - so lange dauerte damals die Reise von Küste zu Küste) auf harten Holzbänken sitzen? Zwei Jahre nach dem Sezessions-Krieg gingen auch die Indianer-Kriege vorerst zuende; die fünf größten - und anerkanntermaßen zivilisiertesten - Völker (nein, liebe Leser, nicht "Stämme"!), die Cherokee, Creek, Chickasaw, Choctaw und Seminole, wurden in Reservate gesteckt. Ein paar Indianer kloppten sich noch weiter mit den Blauröcken herum, u.a. die Cheyenne, gegen die es Codie - der in der Army geblieben war - fast erwischte. (Seitdem ließ er sich nie mehr ohne Hut sehen, da ihm ein Stück vom Skalp fehlte :-) Er quittierte den Dienst und wurde Büffeljäger - erst, um die Eisenbahnarbeiter mit Fleisch zu versorgen, dann um Jagdgesellschaften aus dem Osten als Pfadfinder zu dienen. (Was die alle zusammen an Büffeln schossen, schrieb er mit auf seine Rechnung, so daß er am Ende auf unglaubliche 4.280 in anderthalb Jahren kam.)

Wenn Ihr nun in Eure Geschichtsbücher schaut, liebe Leser, geschieht in den nächsten Jahren scheinbar nicht viel, denn die Weichen sind ja gestellt, oder? Irrtum - noch ist gar nichts entschieden; aber nun werden einige ganz entscheidende Erfindungen gemacht, deren Tragweite freilich zunächst niemand so richtig erkennt, da sie erst in ihrer Addition zu Entwicklungen führen, die das Leben in Nordamerika binnen weniger Jahre völlig umkrempeln: 1868 wird der Kühlwagen erfunden (gerade rechtzeitig, denn ein Jahr später ist die erste transkontinentale Eisenbahnstrecke betriebsfertig), 1873 der Vorläufer des Mähdreschers, der sechsschüssige Trommel-Revolver "Peacemaker" aus dem Hause Colt und das erste Repetier-Gewehr aus dem Hause Winchester, 1874 der Stacheldraht. Na und? Na und: Die Mustang- und Bison-Herden sind zwar durch den rücksichtslosen Raubbau der Indianer bereits arg dezimiert; aber erst diese Erfindungen bedeuten ihr Todesurteil: Zwar hatte man bereits festgestellt, daß sich in den Great Plains auch europäische Rinderrassen züchten und durchfüttern lassen; aber ohne Kühlwagen mußte man sie mühsam über Land zur Schlachtung in den Osten treiben (vor allem nach Chicago) - das war die Aufgabe der legendären "Cowboys" -; aber bis sie dort angekommen waren, waren sie oft schon so abgemagert, daß sich das gar nicht recht lohnte. Und überhaupt: Ohne Stacheldraht (die simpelsten Erfindungen sind oft die wertvollsten!) waren sie ständig davon gelaufen. Aber nun kann man in großem Stil an die Rinderzucht im Mittwesten gehen - "Cattle Boom" nennt man das; und da der Mensch nicht vom Fleisch allein lebt, werden neben den Weiden gleich große Ackerflächen angelegt, auf denen sich der Einsatz der Mähdrescher lohnt. Nun stört nur noch dreierlei: die Mustangs (schließlich gibt es jetzt Eisenbahnen und genügend zahme Zucht-Pferde), die Bisons und die übrig gebliebenen Indianer.

[Bisonjagd mit Pfeil und Bogen]

Über die Mustangs berichtet Dikigoros an anderer Stelle; die Bisons fallen der Winchester zum Opfer; und die Indianer-Kriege, die 1871 wieder aufgeflackert sind, enden 1877 mit der Ausrottung der Nez-Percés unter ihrem Häuptling Hinmah Tuyahlatkit [Donner aus den Bergen] alias "Young Joseph".

[Exkurs. Wahrscheinlich habt Ihr das so nicht in Erinnerung, liebe Leser. In Euren Hinterköpfen spuken wohl ganz andere, vermeintlich wichtigere Stationen dieser Geschichte herum. Zum Beispiel die legendäre Schlacht am Little Bighorn von 1876, die angeblich größte Niederlage der U.S. Army unter "General" Custer gegen die Indianer - tatsächlich bissen da aber nur ein paar hundert Blauröcke unter Oberstleutnant Custer ins Gras. Oder der ach-so-heldenhafte Kampf des Chiricahua-Apachen Goyathlay [Schlafmütze] alias "Geronimo", der erst 1886 gefangen wurde - tatsächlich war das bloß ein kleiner Räuberhauptmann (seine Bande bestand anfangs aus ca. 300 und zuletzt aus gerade mal 35 Mann und ihren Frauen), ähnlich wie schon seine berühmt-berüchtigten Vorgänger "Cochise" und "Mangas Coloradas", über die Dikigoros an anderer Stelle mehr schreibt. (Geronimo wurde übrigens begnadigt und starb erst 23 Jahre später, als er besoffen vom Pferd fiel - auch wenn als offizielle Todesursache "Lungenentzündung" angegeben wurde, weil nicht bekannt werden durfte, daß korrupte Beamte den Schmuggel von Alkohol in die Indianer-Reservate zuließen. Das grenzt übrigens an Mord, denn Indianer haben einen genetischen Defekt, der sie Alkohol nicht vertragen läßt.) Oder gar das "Massaker am Wounded Knee" von 1890 - tatsächlich waren auch dort nur ein paar hundert Opfer zu beklagen, diesmal Indianer. Doch das könnt Ihr alles getrost vergessen, denn es hatte nichts mehr mit "Krieg" zu tun; die letzten Kämpfe, die man so nennen konnte, hatten 1877 statt gefunden - wobei Dikigoros geneigt ist, auch im Falle der Nez Percés eher von Mord als von Krieg zu sprechen, denn es war die Vertreibung eines Volkes, um nichts besser als die Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa 1945, nur mit dem Unterschied, daß die Indianer wenigstens versuchten, sich gegen ihre Verfolger mit Waffengewalt zu wehren. Exkurs Ende]

* * * * *

In weniger als einem Jahrzehnt - zwischen 1868 und 1877 - war das alte Nordamerika untergegangen. (Habt Ihr mal gehört, liebe Leser, daß der alte Süden der USA schon im Sezessions-Krieg untergegangen sei? Gewiß, er wurde furchtbar verwüstet, und viele Existenzen wurden ruiniert; aber nach dem Ende der Besatzung, pardon Befreiung und der "Re-education", pardon "Re-construction" im Jahre 1877 ergriffen die südstaatlichen "Re-deemers" wieder überall die Macht, machten die "befreiten" Neger-Sklaven zu schlecht bezahlten Arbeitnehmern oder "Croppers" [Kleinpächtern], schlossen sie vom Wahlrecht aus und drückten sie insgesamt auf ein Niveau, das niedriger war als vor dem Sezessions-Krieg [den Lincoln doch unter dem Vorwand, ihr Los bessern zu wollen, angefangen hatte]; 1885 stellten sie unter dem Namen "Demokraten" erstmals die Bundes-Regierung in Washington. (Selbst der Ku-Klux-Klan löste sich vorübergehend auf - man brauchte ihn nicht mehr!) Plötzlich ergriff die Amerikaner eine Art Nostalgie (nein, liebe Ossis, nicht Ostalgie, sondern Westalgie) nach der "guten alten Zeit" der Pioniere - vor allem diejenigen, die sie selber gar nicht mit erlebt hatten und nun glaubten, Wunders was versäumt zu haben. Allein im Jahre 1882 waren über eine Viertel Million Deutsche in die USA eingewandert. (Von wegen, die hätten ja seit 1871 ein eigenes Reich und bräuchten nicht mehr auszuwandern - dort kamen nach dem künstlichen Wiedervereinigungs-Boom - pardon, "Gründerjahre" nannte man das damals - der Börsenkrach und die Wirtschaftskrise, aber das ist eine andere Geschichte. In den USA waren sie damals gerne gesehen, vor allem als Streikbrecher, denn unter den "alteingesessenen" Amerikanern war gerade die große Streikwelle ausgebrochen, und den noch billigeren und noch fleißigeren Chinesen hatte man im selben Jahr kurzerhand die Einwanderung bis auf weiteres untersagt. Neben deutschen holte man vor allem arme polnische und russische Arbeiter zur Ausbeutung ins Land - aber auch das ist eine andere Geschichte.) Die hätten ja nun einige der schönen Nostalgie-Romane lesen können, die Mark Twain gerade geschrieben hatte: "Roughing it", "Tom Sawyer", "Life on the Mississippi", "Huckleberry Finn" und - programmatisch betitelt, wenngleich eher ironisch gemeint - "The Gilded Age [Das goldene - oder vergoldete - Zeitalter]". Der Ärger war nur: Die meisten Einwanderer konnten noch nicht genügend Englisch lesen (wenn sie denn überhaupt lesen und schreiben konnten), und Kino und Fernsehen gab es noch nicht. Theater gab es freilich schon, und ein paar Büffel, Mustangs und Indianer hatten auch überlebt; aber wie sollte man die auf die Bühne bringen? Gewiß, in Europa hatte ein gewisser Richard Wagner schon ein paar Drachen aus Pappmaschee und Wasserbecken mit planschenden (und singenden) Nixen auf die Bühne gebracht ("Huren-Aquarium" schimpften das neidische Konkurrenten und übel wollende Kritiker, aber das ist eine andere Geschichte); doch damit war es hier wohl nicht getan.

Was war denn inzwischen aus Friedrich Wilhelm Codie geworden? Er war 1872 in den Osten zurück gekehrt und Schauspieler geworden, am Bowery Theater von New York City, unter dem amerikanisierten Namen William ("Bill") Frederick Cody. Er hatte irgendwo im Westen zufällig Zacharias E. Judson kennen gelernt, der unter dem Namen "Ned Buntline" zum Erfinder der "Dime Novels [Groschen-Romane; 1 Dime = 10 cent]" wurde und sich auch als Theater-Dichter betätigte. Der erfand den Namen "Buffalo Bill" und schrieb ihm in den folgenden Jahren eine Reihe von Romanen und Rollen auf den Leib, die seinen Ruhm als "The King of the Border Men [Der König der Grenzmänner]" über das ganze Land verbreiteten. Die meisten seiner "Heldentaten" waren allerdings frei erfunden, wie überhaupt das meiste aus seinem Lebensmärchen, wie es Tarzan damals in Colorado erzählt wurde und wie es heute noch durch gewisse Internet-Seiten spukt: Als Buffalo Bill gerade elf geworden war, wurde sein Vater ermordet - von welchem Indianerstamm genau, ist nicht überliefert. Um seine Familie zu ernähren (er muß unheimlich jung geheiratet haben :-) trat er der Armee bei, als jüngster Meldereiter aller Zeiten; anschließend dem Pony Express, als jüngster Postreiter aller Zeiten. Später wurde er der erfolgreichste Büffeljäger aller Zeiten und außerdem einer der erfolgreichsten Indianer-Bekämpfer aller Zeiten. Den Sioux-Häuptling "Gelbe Hand" (von dem freilich noch nie jemand gehört hatte) besiegte (und skalpierte) er eigenhändig; und einem Indianer-Hinterhalt entkam er ohne einen eigenen Mann Verlust - was freilich kein großes Kunststück war, da es diesen Hinterhalt gar nicht gegeben hatte. Dennoch entblödete sich die U.S. Army - die es doch eigentlich besser wissen mußte - nicht, Cody dafür noch nachträglich eine Tapferkeits-Medaille zu verleihen und ihn zum Scout h.c. zu ernennen. (Den Dienstgrad "Colonel [Oberst] a.D." legte er sich dagegen auf Anraten Buntlines selber zu.)

Wie dem auch sei, 1883, nach neun Jahren Lehrzeit (die nicht schlecht bezahlt wurden - 500 US-$ [umgerechnet 2.000 Goldmark, ca. 20.000 Teuro] pro Woche waren damals eine Spitzen-Gage), machte sich Cody selbständig, mit einem Paukenschlag: Er brachte lebende Büffel und Mustangs auf die Freilicht-Bühne, außerdem echte Indianer, Cowboys, Revolverheld[inn]en und last not least sich selber als Büffeljäger "Buffalo Bill". Als Top-Attraktionen konnte er den - damals noch nicht ganz so berühmten - Indianer-Häuptling "Sitting Bull" gewinnen, ferner Buck Taylor, den "King of the Cowboys", und die Kunstschützin Annie Oakley, "The Immortal Cowgal [das unsterbliche Cowgirl]". Mit diesem Zirkus zog Cody nicht nur durch die ganzen USA, sondern durch die ganze Welt. Vor allem in Europa hatte er ungeheuren Erfolg. (Die Bücher eines Carl May wären ohne seinen anregenden Einfluß nicht denkbar gewesen; ja man kann mit Fug und Recht behaupten, daß sein Wild-West-Zirkus ein Vorläufer der Karl-May-Spiele von Bad Segeberg war - aber das ist eine andere Geschichte.) Über drei Jahrzehnte hielt der Erfolg an - in den besten Jahren spielte der Zirkus sage und schreibe eine Million US-$ Umsatz ein. Dann brach der Erste Weltkrieg aus und Cody finanziell das Genick, denn nun war Schluß mit Europa-Reisen, und auch in den USA interessierte sich erstmal niemand mehr für alte Indianer-Geschichten; statt Pferden rückten Panzer in den Mittelpunkt des Interesses (aber das ist eine andere Geschichte). 1915 machte Cody Bankrott, sein Zirkus war tot; er selber folgte ihm im Januar 1917; die Deutschen-Verfolgungen, die kurz darauf einsetzten und mit dem Untergang der deutschen Kultur in den USA enden sollten, erlebte er nicht mehr mit.

[Dime Novel] [Cody mit Gewehr] [Cody im Alter]

Nun, das ist doch alles eine glänzende Idee gewesen - was war denn daran so schlimm? Tja, liebe Leser, mit den guten Ideen ist das eine Sache, und mit dem, was man daraus macht, eine andere. Gewiß, das tumpe Publikum wollte belogen und betrogen sein; es wollte vor allem die Vergangenheit verklärt sehen. Aber mußte man ihm denn gleich so eine krasse Ansammlung dreister Geschichtsfälschungen vorsetzen?

Über "Sitting Bull" hat Dikigoros zwar schon in einem anderen Zusammenhang geschrieben; aber er will das hier gerne noch einmal tun: Er war ein kackfrecher Hochstapler, der u.a. behauptete, zu den Mitunterzeichnern des 2. Laramie-Vertrags von 1868 zu gehören (die Behörden reagierten brav und trugen seinen Namen nach - er steht bis heute in den "Abschriften" des Dokuments) und 1876 in der berühmten Schlacht am Little Big Horn mit gekämpft zu haben, in der George Armstrong Custer den Tod fand (aber das ist eine andere Geschichte). Keines von beidem ist wahr. Er pflegte sich stets vornehm zurück zu halten, wenn es um irgend etwas ging, das ihm hätte gefährlich werden können; und mancher Sioux mag ihn - nicht ganz zu Unrecht - als Verräter angesehen haben. Jedenfalls ging er - anders als seine wohlwollenden Biografen uns glauben machen wollen - nicht zu den Weißen, um bessere Lebensbedingungen für seine Volksgenossen in den Reservaten auszuhandeln, sondern um bei Cody mit zu machen - für 50 US-$ pro Woche. (Damit war er sicher der am besten bezahlte Indianer in den ganzen USA. Wenn Ihr mal den albernen Film "Buffalo Bill und die Indianer oder Sitting Bulls Geschichtslektion" gesehen habt, den Robert Altman 1976 nach einem Roman von Arthur Kopit gedreht hat, in dem angedeutet wird, daß B.B. den armen Sitting Bull damit "ausbeutete", zeigt das nur, daß diese Leute keine blasse Ahnung hatten, wie viel damals ein Dollar wert war. Der ungleich seriösere Streifen "Buffalo Bill" von 1944 - mit Joel McCrea in der Titelrolle - ging leider zwischen den vielen Kriegspropagandafilmen jener Zeit völlig unter.) Irgendwann wurde er größenwahnsinnig und versuchte, unter den Sioux eine Art Voodoo-Bewegung zu entfachen, mit Geistertänzen und ihm selber als obersten Geisterbeschwörer; er versprach die Wiederauferstehung der toten Indianer ("Revenants" sagt man heute wohl dazu - oder "Zombies"?) und die Rückkehr zum althergebrachten indianischen Leben, wie es vor Ankunft der Weißen gewesen war. (Und das zu einer Zeit, als selbst die Weißen nur noch träumen konnten von ihren alten, "freien" Lebensbedingungen!) Im Vorgriff darauf wollte er den Indianern schon mal alles Europäische verbieten (was praktisch bedeutet hätte, zu verhungern). Der Treppenwitz dieser Geschichte ist, daß Sitting Bull wahrscheinlich durch ein Zirkus-Pferd, das Cody ihm geschenkt hatte, auf die Schnaps-Idee mit den Geistertänzen gekommen war. Es vollführte nämlich allerlei andressierte Kunststücke, was die Indianer glauben machte, es sei von Geistern besessen. 1890 wurde es den Behörden zuviel. Indianer-Polizisten (nein, keine weißen Polizisten für Indianer, sondern Polizisten, die selber Indianer waren) wollten ihn verhaften, aber seine verrückten Geistertänzer griffen ein, schossen den verhaftenden Polizisten nieder, der schoß in Notwehr zurück, und im anschließenden Kugelhagel kam auch Sitting Bull um. (Später wurde daraus von einigen Ethno-Linken ein "vorsätzlicher Mord" gemacht - nichts liegt weiter von der Wahrheit entfernt.)

Auf Sitting Bulls frei erfundene Darstellung der Schlacht am Little Big Horn gehen die falschen Vorstellungen über diese zurück, die sich bis heute hartnäckig bei den meisten Leuten gehalten haben: Eine große Ebene, in deren Mitte die Blauröcke in einer fiktiven Wagenburg, abgesessen zur Rundumverteidigung gegen die von allen Seiten anreitenden Indianer, denen die schwere Verluste zufügen. Wer sich dafür interessiert, wie es wirklich war, möge den letzten Link anklicken: aber die Wahrheit hätte dem Publikum nicht gefallen, denn ein Held - und die toten Weißen, allen voran Custer, mußten natürlich Helden sein - hat verdammt nochmal mit fliegenden Fahnen, krachenden Salven und viel Blutvergießen auf beiden Seiten unter zu gehen. Und wie hätte man diese langweilige Wahrheit auf der Bühne darstellen sollen? Nein, da war so ein schönes Spektakel doch viel besser!

Buck Taylor kann man zwar nicht direkt als Hochstapler bezeichnen; aber seine Heldentaten als "The King of the Cowboys" waren ebenso Erfindungen aus der Feder von "Ned Buntline" wie die des "Königs der Grenzmänner". (Übrigens wurde der Begriff "Cowboy" erst durch seine Romane - und durch Cody's Wild-West-Show - zu einem positiven; bis dahin wurde er abfällig gebraucht für irgendwelche Desperados, die sich mit Gelegenheits-Jobs wie eben Viehtreiben, ansonsten aber mit Raub, Mord und Totschlag über Wasser hielten.) Wenn Taylor je ein "König der Cowboys" gewesen war, dann war er, als er 1885 bei "Buffalo Bill" anheuerte, allenfalls noch ein "King of the Road [Landstreicher]"; denn nach verheerenden Kälteeinbrüchen und einer Dürreperiode in den Great Plains war der "Cattle Boom" für erste beendet; und überhaupt brauchte man künftig keine Kuhhirten und Viehtreiber mehr, denn erstere wurden durch den Stacheldraht ersetzt, und letztere durch die Kühlwagen. (Der Transport wurde immer billiger - man erreichte das durch Lohnkürzungen bei den Eisenbahn-Arbeitern, die wiederum der Grund waren für die Massenstreiks und die weitere Förderung der Masseneinwanderung von potentiellen Streikbrechern.)

Annie Oakley (die eigentlich Phoebe Ann Butler [geb. Mosey, oder - wie sie selber es nach der korrekten Aussprache schrieb - Mozee] hieß) wurde zunächst als geschickte Jägerin bekannt. Sie war Jahrgang 1860, also mit den modernen, schon relativ zielgenauen Winchester-Gewehren aufgewachsen. Die alten Trapper waren noch immer an ihre weit streuenden "Bärentöter" gewöhnt, mit denen man am besten mitten auf den Tierkörper hielt, damit man überhaupt etwas traf (was eine ziemliche Verschwendung war, denn das von Pulver und Bleikugeln getroffene Fleisch war weitgehend verdorben; und das Fell - um das es damals in erster Linie ging - war auch hin bzw. mußte gestopft werden), und die gewöhnten sich das auch nicht mehr ab. Phoebe dagegen zielte und traf genau auf den Kopf der Tiere. (Mit den modernen Metallmantel-Patronen brauchte man nicht mehr zu fürchten, daß die Kugel etwa an einem harten Bison- oder Bärenschädel wirkungslos abprallte.) 1881 kam der berühmte Kunstschütze Frank Butler nach Cincinnati und wettete, daß er jeden Einheimischen im Schießen schlagen würde. Mit Phoebe geriet er an die falsche, verlor seine Wette und handelte getreu dem Grundsatz: "If you can't beat 'em, join 'em" - die beiden heirateten, und Frank brachte seine Frau unter dem Namen "Annie Oakley" im Zirkus der Gebrüder Sell unter, wo sie u.a. mit einem dem Apfelschuß aus "Wilhelm Tell" nachempfundenen Kunststück auftraten, einander brennende Zigaretten aus dem Mund zu schießen. (Na ja, wenn der oder die Beschossenen wußten, wann sie die Zigarette geschickt aus dem Mund fallen lassen mußten, konnte es natürlich gar keine Fehlschüsse geben, auch dann nicht, wenn Platz-Patronen verwendet wurden.) Von dort warb Cody sie ab und jubelte sie, die nie westlich des Mississippi gewesen war, zu "The Western Girl" hoch. (Um ihre erst 15-jährige Konkurrentin Lillian Frances Smith auszustechen, machte sie sich kurzerhand sechs Jahre jünger.) Außerdem ließ er sie in einer groß angelegten Propaganda-Veranstaltung von seinem inzwischen berühmten Zirkus-Häuptling "Sitting Bull" adoptieren, der ihr den Namen "Little Sure Shot" [Klein Sicherschuß - also in etwa das Gegenstück zu Carl Mays "Old Surehand"] verlieh. Ihr Ende war tragisch: Bei einem Eisenbahnunfall erlitt sie 1901 eine schwere Wirbelsäulen-Verletzung. Als sie die in den Arkansas Hot Springs auskurieren wollte, vergaß sie ein schludriger Bademeister; sie wurde ohnmächtig und köchelte in der heißen Suppe vor sich hin, bis ihre Haut verbrannt und ihr Haar schneeweiß war - damit war ihre Karriere als Zirkus-Attraktion beendet, obwohl sie noch fast 25 Jahre weiter "lebte". Eine rüde Propaganda erfand später das Märchen, sie hätte auf einer Europa-Tournee auch dem deutschen Kaiser Wilhelm II. eine brennende Zigarette aus dem Mund geschossen und dabei seinen Kopf nur knapp verfehlt - "leider, sonst wäre den USA der Erste Weltkrieg erspart geblieben." Was von solchen Behauptungen zu halten ist, bedarf keines Kommentars; aber noch anno 1955 (!) wurden mit diesem Argument US-Bürger aufgerufen, Kriegs-, pardon Staatsanleihen [U.S. Savings Bonds] zu zeichnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb Irving Berlin (der Komponist von "God Bless America [Gott segne Amerika]" und "White Christmas [Weiße Weihnacht]") ein - später auch verfilmtes - Musical über Annie Oakley mit dem Titel "Annie Get Your Gun" [Annie, hol' deine Knarre - deutscher Titel: "Duell in der Manege"], aus dem besonders der Schlagertitel "There's No Business Like Show Business" als Evergreen in Erinnerung geblieben ist, zumal er später von einem anderen Irving (freilich keinem Glaubensbruder des Komponisten, ganz im Gegenteil :-) boshaft - aber nicht ganz unzutreffend - abgewandelt wurde zu "There's no business like Shoa business"; aber das ist eine andere Geschichte.

* * * * *

Daß Cody selber nicht der große Büffeljäger war, als den er sich ausgab, hatte Dikigoros bereits angedeutet. Das macht ihn ja gar nicht unsympathisch, im Gegenteil. Und wenn er weiter nichts verbrochen hat... Völlig richtig, liebe Leser, dann hätte er in dieser Reise durch die Vergangenheit nichts verloren. Aber was heißt schon "verbrechen"? Man kann - vorsätzlich - Dinge ins Rollen bringen, auf deren letztendliche Folgen sich der Vorsatz nicht erstreckt; und so war es auch bei Buffalo Bill: Er hat den Grundstein zu einer der übelsten Propaganda-Lügen der Neuzeit gelegt, die bis heute ihre verderbliche Wirkung tut, mit der wir alle fast täglich in Berührung kommen. Dabei hatte alles vergleichsweise harmlos angefangen: Eine der vielen Wild-West-Show, die er einstudierte, nannte er "The Rough Riders [die rauhen Reiter]"; dabei kam es, wie schon der Name vermuten läßt, auf das Geschick seiner Reiter an, die ihre verschiedenen Kunststücke und Heldentaten auf die Bühne brachten. Beim Publikum war das denn auch ein großer Erfolg. Ein so großer Erfolg, daß einer der Zuschauer auf die glorreiche Idee kam, daraus Honig zu saugen für das politische Süppchen, das er zu kochen gedachte: Theodore ("Teddy") Roosevelt, einer der größten Verbrecher - vielleicht bis dahin sogar der größte - der amerikanischen Geschichte und ebenso wie diejenigen, mit denen er sich diese zweifelhafte Ehre teilt, ein großes Publicity-Genie. (Wem ist nicht die rührselige Geschichte vom kleinen Bären bekannt, den zu töten er angeblich nicht übers Herz brachte? Daß er die Jagd mitsamt dem gefangenen Bärenjungen, das ihm vor die Flinte und der "zufällig" dazu eingeladenen Journaille vor die Linsen getrieben wurde, eigens zu diesem Zweck inszeniert hatte, weiß dagegen kaum jemand - es hatte auch niemand Interesse daran, das breit zu treten, weil es dem Verkauf der nach ihm benannten "Teddy-Bären" nicht eben förderlich gewesen wäre.) Er hatte den Ehrgeiz, Präsident der USA zu werden; und dafür war ihm jedes Mittel recht, vor allem die Verleumdung der innen- und außenpolitischen Gegner. Er leitete damit eine Entwicklung ein, die bis heute nicht abgeschlossen ist, und sie ist aufs engste verbunden mit einem Wort: "Konzentrationslager".

Ein unschöner, da schwammiger Begriff ist das, der vor allem der Verschleierung dient, denn Konzentration ist ebenso wenig der Zweck dieser Lager wie Konzentrierung. Konzentrieren im ersteren Sinne tut man sich vor dem Start zu einem 100-m-Lauf, und konzentrieren im letzteren Sinne tut man Fleischbrühe zu Suppenwürfeln. Wenn man dagegen Menschen in ein Lager sperrt, verfolgt man damit ganz andere Zwecke, und Dikigoros zieht es vor, diese Zwecke beim Namen zu nennen, auch wenn er damit einigen ewigen Lügnern und Leugnern auf den Schlips treten sollte. Die Bezeichnung "Konzentrationslager" im wörtlichen Sinne verdienen noch am ehesten die Indianer-Reservate in den USA, da dort die Indianer aus ganz Nordamerika konzentriert, d.h. zusammen gefaßt wurden. Was dagegen der Durchschnitts-Verbraucher mit dem Begriff "Konzentrationslager" verbindet, muß richtig "Vernichtungslager" heißen, und nur wer das vertuschen will, wird es mit anderen Lagern in einen Topf werfen. Vernichtungslager waren zum Beispiel die britischen "Concentration Camps" im Burenkrieg in Südafrika; Vernichtungslager die russischen Kriegs-(und Bürgerkriegs-)Gefangenenlager im und nach dem Ersten Weltkrieg; Vernichtungslager waren einige Lager in von Deutschen besetzten polnischen Gebieten im Zweiten Weltkrieg; Vernichtungslager waren die amerikanischen, sowjetischen und chinesischen Kriegs- und Zivilgefangenenlager im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Keine Vernichtungslager waren dagegen die meisten derjenigen, die heute mit dem schwammigen Eingangsbegriff "Konzentrationslager" bezeichnet werden, um eben diese falsche Vorstellung hervorzurufen: Das Lager von Andersonville (über das Dikigoros an anderer Stelle schreibt) war zum Beispiel ein ganz normales Kriegsgefangenenlager (nein, kein Ferienlager für Erholungsurlauber - aber das waren Kriegsgefangenenlager eigentlich nie, wenn man mal von den deutschen Lagern für alliierte Offiziere im Ersten Weltkrieg absieht, deren Insassen um vieles besser verpflegt und behandelt wurden als der durchschnittliche deutsche Soldat in den eigenen Einheiten als Nichtgefangener); die meisten Lager in Deutschland zur Zeit des Dritten Reichs waren (Zwangs-)Arbeitslager; und schließlich gab es zu allen Zeiten und in allen Ländern Strafgefangenenlager für Verbrecher und Terroristen.

Eines dieser Lager ist jüngst wieder in die Schlagzeilen geraten, da es den USA als Lager für gefangene Terroristen und Guerilleros dient: Guantánamo auf Cuba. Niemand würde hier von einem "Konzentrationslager" sprechen, obwohl es ausnahmsweise einmal zutreffend wäre: Die USA konzentrieren dort - sehr zum Unmut der so genannten "Weltöffentlichkeit" - Gefangene aus aller Herren Länder, die sich für den Terrorismus der Al Qaida und der Taliban hergegeben haben.

[I wish we were at Guantanamo Bay]

Gut ein Jahrhundert zuvor hatte ein anderer dort schon einmal gefangene Terroristen konzentriert: Walli Weyler, ein deutschstämmiger General in spanischen Diensten, hatte dort Terroristen aus ganz Kuba eingesperrt, die auf Anstiftung (und mit massiver finanzieller Unterstützung) interessierter amerikanischer Kreise Anschläge auf Zuckerrohr-Plantagen und Fabriken verübt hatten. Die kubanischen Terroristen wurden damals von den Spaniern sicher nicht schlechter behandelt als die muslimischen Terroristen heute von den USA; aber deren damalige Revolverblätter (allen voran das "New Yorker Morgenjournal" von William Hearst und die "New Yorker Welt" von Joe Pulitzer) verpaßten Weyler prompt den Spitznamen "Butcher [Schlächter]" und hetzten täglich gegen die ach so grausame Herrschaft der Spanier auf Kuba. (Nein, nicht nur die. Die Spanier waren so dumm, auch in ihren eigen Kolonien Haßprediger und -schmierfinken ihr Gift verspritzen zu lassen, wie auf Kuba José Martí und auf den Filipinen José Rizal - beide später zu "National-Helden" hochgejubelt. Vielleicht haben Hearst und Pulitzer vieles bloß bei denen abgeschrieben.) US-Präsident Cleveland (ein Mann guten Willens - damals war noch die Demokratische Partei diejenige der Vernunft) appellierte an seine Landsleute, sich nicht von den Republikanern aufhetzen zu lassen; aber wann hätte in solchen Situationen je die Vernunft gesiegt? Seit 1895 tobte der Terroristen-Aufstand in Kuba, 1896 der Wahlkampf in den USA. Die republikanischen Hetzer siegten; McKinley wurde neuer Präsident. Aber wie das so ist mit Wahlkampf-Versprechungen: Je leichter sie abgegeben werden, desto schwerer werden sie eingehalten. Dikigoros weiß nicht, ob bei McKinley die Vernunft siegte oder einfach nur die Bequemlichkeit; jedenfalls ließ er den Plan einer Intervention auf Kuba erstmal fallen, und mit ihm auch gleich seinen Wahkampf-Manager und Oberhetzer Roosevelt (der eigentlich sein Vizepräsident werden sollte - an dessen Stelle setzte er Garret Hobart ein), der mit dem Posten eines Staatssekretärs im Marineministerium abgefunden wird. (Nein, liebe Leser, nicht mit dem Ministersessel; im Gegensatz zu den meisten Historikern weiß Dikigoros "Secretary" und "Undersecretary of State" durchaus richtig zu übersetzen!) Es schien, als hätte der ganze schöne Propaganda-Feldzug der Boulevard-Presse nicht das bewirkt, was er eigentlich hatte bewirken sollen.

Doch nun begab es sich, daß "zufällig" die "Maine" - ein alter Pott der U.S. Navy - in Havanna vor Anker lag. (Man fragt sich, was sie dort zu suchen hatte.) Im Februar 1898 flog sie plötzlich in die Luft, 260 amerikanische Matrosen fanden den Tod (sechs weitere erlagen später ihren Verletzungen); und der Umstand, daß die Ursache der Explosion nie geklärt wurde, läßt tief blicken. Doch die Presse hatte ihre[n] Täter längst ausgemacht: Das konnte nur ein feiger Mordanschlag der Spanier im allgemeinen und General Weylers im besonderen sein; und wenn das täglich in der Zeitung stand, mußte es ja stimmen, denn Millionen Pfund Druckerschwärze können nicht irren. Am 20. April 1898 - in Braunau am Inn feierte gerade jemand seinen neunten Geburtstag - erklärte der US-Senat den Kriegszustand mit Spanien. (Merke: Die USA erklären nie jemandem die Krieg; sie stellen stets nur fest, daß jemand anderer gegen sie Krieg führt und daß sie sich deshalb verteidigen müssen.) Nun ist Papier zwar geduldig, aber es gewinnt keine Kriege: Die U.S. Army bestand damals gerade mal aus 31.000, die Navy sogar nur aus 26.000 Mann. Nein, liebe Leserinnen, es waren tatsächlich alles Männer, denn Soldatinnen gab es damals noch nicht. Aber das konnte sich ja ändern - meinte jedenfalls Annie Oakley. Sie schrieb einen Brief an Präsident McKinley und bot ihm an, eine Kompanie weiblicher Scharfschützen für den Kriegseinsatz aufzustellen - Waffen und Munition wollten sie sogar selber mitbringen. Das Büro des Präsidenten reichte diesen Aprilscherz (der wohlgemerkt nicht als solcher gedacht, sondern ganz ernst gemeint war!) kuriosumshalber ans Kriegsministerium weiter, von dort gelangte er ins Marineministerium und landete schließlich auf dem Schreibtisch von Roosevelt - der gerade die amerikanische Pazifik-Flotte los geschickt hatte, um Hawaii und die Filipinen zu besetzen. (Hawaii gehörte zwar nicht zu Spanien, sondern war - zumindest formell - ein unabhängiger, freilich wirtschaftlich längst von den USA abhängiger Staat. Aber als Marine-Stützpunkt war es für die USA bestens geeignet; das war Grund genug, es zu überfallen.)

Gewiß, meinte der große Publicity-Fachmann, das wäre ein Mords-Werbegag, so eine Show-Einlage à la Cody direkt im Kriegstheater. [Dikigoros ist sich nicht sicher, ob es diese direkte Entsprechung von "theater of war" im Deutschen gibt; es ist ein typischer Ausdruck des Amerikanischen, der das Verständnis seiner Sprecher vom Krieg sehr plastisch widerspiegelt. Deshalb hat er sich in der Überschrift lieber an das Wort "Affentheater" gehalten, da in Cody's Show stets auch ein paar zahme Äffchen auftraten.] Aber wieso denn für den und seinen Weiber-Zirkus? Was der kann, kann ich auch, dachte Theo, ernannte sich zum Lieutenant Colonel [Oberstleutnant] der Reserve und fuhr selber nach Lodz, pardon nach Kuba, und zwar mit einer Truppe von Wochenend-Kriegern, die er nach dem Vorbild von Codys Wildwest-Zirkus ebenfalls "Rauhe Reiter" nannte. (Er rekrutierte sie aus Sport- und Schützenvereinen seiner persönlichen Umgebung, hinzu kamen ein paar Studenten und ein paar Verkehrspolizisten aus New York.) Der Presse bzw. den dummen Lesern wurde das ganze als Kavallerie-Einheit verkauft; aber sobald die Fotos geschossen waren, wurden die Pferde abgegeben und die tapferen Reiter als Infanteristen nach Kuba verschifft, um die armen Terroristen aus den spanischen "Konzentrationslagern" zu befreien. Das war freilich gar nicht mehr nötig, denn inzwischen hatte die U.S. Navy ganze Arbeit geleistet: Anfang Mai vernichtete sie ohne eigene Verluste die spanische Pazifik-Flotte in der Manila-Bucht, Anfang Juli die spanische Karibik-Flotte (bei einem einzigen Mann Verlust, der besoffen über Bord fiel und ertrank), und die Marine-Infanterie hatte zwei Tage zuvor den "Sankt-Johannis-Hügel" erobert, die beherrschende Anhöhe vor (oder genauer gesagt hinter) Havanna. Teddy und drei (!) seiner "Rauhen Reiter" kamen gerade noch rechtzeitig angeklettert (Roosevelt war Asthmatiker und hatte deshalb große Schwierigkeiten, auch nur einen kleinen Hügel zu erklimmen - seine Selbstdarstellung als großer Wanderer, Jäger und Soldat war von A bis Z erlogen), um bei einem netten Picknick auf demselben (meinten sie jedenfalls; tatsächlich hatten sie ihn mit dem benachbarten "Kochtopf-Hügel" verwechselt, aber der eignete sich ja vom Namen her eh viel besser für ein Picknick!) die schöne Aussicht auf die Bucht von Havanna und die recht einseitige Seeschlacht zu genießen, die eher ein Schlachten war - die Spanier kämpften noch mit hölzernen Segelschiffen und Kanonenkugeln aus Gußeisen; nach vier Stunden war alles vorbei.

Noch im selben Monat annektierten die USA - die inzwischen 274.000 Mann unter Waffen hatten, auch ohne Annie Oakley und ihre Kunstschützinnen - Hawaii und Puerto Rico, und General Weyler wurde der Prozeß als "KZ-Kommandant und Kriegsverbrecher" gemacht. Auch die Filipinen wurden annektiert, pardon, befreit und unter amerikanischen Schutz gestellt. Die undankbaren Filipinos (die der amerikanischen Kolonialherrschaft die spanische bei weitem vorzogen) unternahmen zwar in den Jahren 1899-1902 noch ein paar verzweifelte Aufstände; aber die wurden nieder geschlagen; die Aufständischen - 70.000 an der Zahl - landeten in Vernichtungs-, pardon Kriegsgefangenenlagern, wo sie langsam verreckten - nicht ohne vorher noch ordentlich gefoltert worden zu sein; ihre Anführer hatten einen leichteren Tod - die Amerikaner knüpften sie als "Kriegsverbrecher" direkt am Galgen auf. (Ja, liebe amerikanische Leser, Dikigoros weiß, daß es sich in tropischen Lagern ziemlich leicht stirbt, auch ohne großes Zutun und diesbezüglichen Vorsatz seiner Betreiber. Aber die Sterbefälle von US-Soldaten in japanischen Kriegsgefangenenlagern auf den Filipinen im Zweiten Weltkrieg habt Ihr den Japanern doch auch als "Kriegsverbrechen" angelastet, nicht wahr? Und mit dem Tode bestraft, vom Kommandanten bis hinunter zum letzten Wachmann, obwohl die amerikanischen Gefangenen die gleichen Rationen - täglich eine Handvoll Reis - bekamen wie die filipinischen Soldaten, die mit ihnen in Gefangenschaft geraten waren, und wie die japanischen Soldaten, die sie bewachten, übrigens durchweg harmlose alte Opas, die man als Reservisten eingezogen hatte, keine jungen, übermütigen Leuteschinder, wie sie die Amerikaner bevorzugt als Lagerpersonal einzusetzen pflegen.)

Zurück zu Roosevelts "Rauhen Reitern". Auch sie kamen nicht ungeschoren davon: Nach der amerikanischen Invasion auf Kuba brachen dort Seuchen aus; nachdem über 5.000 Amerikaner gestorben waren, wurden die Truppen zurück gezogen. (Zu einer größeren Feldschlacht kam es nicht mehr; die Spanier sollten nach der Vernichtung ihrer Flotten auch so kapitulieren.) Nach gerade mal einem Monat war der Ausflug von Teddys Amateur-Soldaten vorbei. Nun wollten sie aber auch belohnt werden. Immerhin hatte Roosevelt auf dem Weg zum Hügel eigenhändig einen zufällig vorbei kommenden Kubaner erschossen. Kaum in den USA zurück, verlangte er für diese seine "Heldentat" lautstark einen Orden, und zwar nicht irgendeinem Orden, sondern gleich die "Medal of Honor". [Das ist die höchste militärische Auszeichnung der USA, von der Anzahl der Verleihungen her in etwa dem deutschen Ritterkreuz mit Eichenlaub und Schwertern zu vergleichen.] Zu diesem Zweck ließ er sich von der Boulevard-Presse als "Sieger der Schlacht vom Sankt-Johannis-Hügel" feiern und sogar einen getürkten Film mit dem Titel "The Battle of San Juan Hill" drehen (in New Jersey), in dem er als großer Eroberer dargestellt wird - den ersten Propaganda-Film der amerikanischen Geschichte. (Über diese Propagandafilme schreibt Dikigoros an anderer Stelle mehr.) Doch McKinley, der alte Spielverderber, ging nicht ins Kino, sondern las die Akten und verweigerte dem armen Teddy jegliche Auszeichnung (während er die Marine-Infanterie ungewöhnlich großzügig mit Orden behängte). Dennoch hatte die Kampagne ihren Zweck nicht verfehlt: Nur zwei Jahre später wurde der Verbrecher, pardon Kriegsheld Roosevelt vom dankbaren Wahlvieh, pardon Wahlvolk (lauter kluge, gebildete weiße Amerikaner; denn den Indianern hatte man das Wahlrecht wegen ihrer Hautfarbe noch nicht verliehen, und den Negern hatte man es, weil sie so dumm und ungebildet waren, fast überall wieder entzogen; Frauen durften sowieso noch nicht wählen) zum neuen Vize-Präsidenten gekürt; ein Jahr später wurde McKinley erschossen (von wem und in wessen Auftrag wurde nie geklärt; als Täter hingerichtet wurde irgendein jüdischer "Anarchist") und Roosevelt sein Nachfolger; und weitere fünf Jahre später entblödeten sich die Komiker des Narrenkomitees von Stockholm nicht, ihm den Friedens-Nobelpreis zu verleihen. Ob er es "Buffalo Bill" Cody zu danken wußte, ist nicht überliefert.

Aber die Geschichte hatte noch einige Nachspiele: Fortan mußte jeder Kriegsgegner der USA damit rechnen, im Falle einer Niederlage ermordet, pardon "als Kriegsverbrecher hingerichtet" zu werden, falls er etwa das Verbrechen begehen sollte, den Krieg zu verlieren. Und auch mit dem neuen Gebrauch (und Mißbrauch) der Vokabel "Konzentrationslager" mußte sich fortan jeder Kriegsgegner der USA vertraut machen. [Allein die tumpen Deutschen taten es zu ihrem eigenen Schaden nicht - die glauben bis heute, "Concentration Camp" sei ein britischer Begriff aus dem Burenkrieg. Dabei verreckten da doch bloß ein paar hunderttausend Frauen und Kinder, die das todeswürdige Verbrechen begangen hatten, in Frieden und Freiheit von der englischen Kolonialherrschaft leben zu wollen.] 1997 entblödete sich John Milius (den meisten Lesern wohl besser bekannt als Regisseur des Films "Apocalypse Now") nicht, die Hearst-Version vom Märchen der Schlacht um den Sankt-Johannis-Hügel unter dem Titel "Rough Riders" in die Kinos zu bringen - statt endlich mal die Wahrheit zu verfilmen. (Das hätte ein Lacherfolg werden können, ähnlich wie "Der Schuh des Manitou" - wenn Cody den noch mit erlebt hätte!) Aber so richtig beeindruckt hat der knapp drei Stunden lang[weilig]e Streifen nach einem knappen Jahrhundert wohl niemanden mehr - sonst hätte Dikigoros darüber an anderer Stelle berichtet. Doch, halt, einen vielleicht: "Bullshit Bill", den verlogenen Hurenbock Clinton, der damals US-Präsident war. Der ließ erst die peinlichen Akten vernichten, die McKinley seinerzeit davon abgehalten hatten, Roosevelt den Orden umzuhängen, dann brachte er ein Gesetz ("Bill HR2263" [die Bezeichnung "Bill" hat nichts mit dem Namen ihres Urhebers zu tun - sie bedeutet einfach "Gesetzentwurf"]) durch den Senat, das es ihm ermöglichte, die "Medal of Honor" auch noch posthum seinem Vor-vor-vor-vor-vor-vor-vor-vorgänger zu verleihen. So geschehen im Jahre 2001. Die Begründung wurde wörtlich aus einer alten Zeitungsmeldung der Hearst-Presse abgeschrieben - an der kein Wort wahr war. (Roosevelts Urenkel, dem die Medaille überreicht wurde, war das derart peinlich, daß er sie an Billiboy mit der Bemerkung zurück gab, er möge sie doch lieber gleich im Weißen Haus aufhängen. In der Boulevard-Presse des Jahres 2001 - die eben auch nicht viel besser war als die von 1898 - stand freilich am nächsten Tag zu lesen, daß er sie tief gerührt und mit großer Begeisterung angenommen habe.) Aber vielleicht wäre Clinton da auch von alleine drauf gekommen, ohne den Film "Rough Riders" gesehen zu haben - zuzutrauen wäre es ihm allemal, denn er ließ bekanntlich kein Fettnäpfchen aus. Wie dem auch sei, das alles sind Geschichten, für die man "Buffalo Bill" Cody und seinen Affenzirkus auch beim bösesten Willen nicht mehr verantwortlich machen kann.

[Rough it]
Die "Rauhen Reiter" auf dem Sankt-Johannis-Hügel von Kuba 1898
(in New Jersey mit Angehörigen der Nationalgarde nachgestellt;
"Lieutenant Colonel" Roosevelt mit Brille in der Mitte stehend)
[Medal of Honor]

* * * * *

Nachtrag. Ende des 20. Jahrhunderts erlebten die Great Plains einige besonders kalte Winter, denen fast eine halbe Million Rinder zum Opfer fielen. Nachdem das Experiment, dort Getreide anzubauen, bereits während der 1930er Jahre im berüchtigten "Dust bowl" erstickt war, schien nun auch das Experiment, europäische Rinder dorthin zu verpflanzen, gescheitert zu sein. Was heißt schien - es war gescheitert. (MacDonalds & Co. hatten ihre Zuchtbetriebe längst nach Lateinamerika verlegt, wo die Arbeitskräfte billiger waren als in den USA.) Aber da kam jemand, der sich ein wenig mit der Geschichte jenes Landstrichs befaßt hatte, auf die Idee, an ihre Stelle Tiere zu bringen, die dorthin gehören, denen Schnee und Kälte im Winter ebenso wenig ausmachen wie Hitze im Sommer, die nicht künstlich gefüttert werden müssen und die trotzdem besseres Fleisch und bessere Felle liefern als ihre europäischen Verwandten: die Bisons. (Irgendwie hatte man noch ein paar Exemplare in zoologischen Gärten über die Jahre gerettet.) Heute leben allein in South Dakota wieder hunderttausende Bisons; und ihre Züchter sind zuversichtlich, daß sie irgendwann sogar mal auf die 50 Millionen kommen werden, die dort zwei Jahrhunderte zuvor gelebt haben sollen. Und die große Weltwirtschaftskrise anno 2008 und der damit verbundene Todeskampf der amerikanischen Automobil-Industrie erweckt in Dikigoros die vage Hoffnung, daß es vielleicht irgendwann auch zu einer Rückkehr der Mustangs an Stelle der Blechkutschen kommen wird; denn sie springen auch im kältesten Winter problemlos an; sie rosten nicht und bauen sich selbständig nach; und vor allem: man muß sie nicht künstlich füttern (schon gar nicht mit Benzin :-)


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