DIE GROßE SEELE UND DIE GROßEN LÜGEN
Vom vegetarischen Winkeladvokaten im Exil
zum "gewaltlosen" Kämpfer für Freiheit

Ben Kingsley als Mohandās Karamchand Gāndhī
RICHARD ATTENBOROUGH : GANDHI


[Filmplakat Gandhi] [VHS-Cover Gandhi]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
DIE [UN]SCHÖNE WELT DER ILLUSIONEN

(von Filmen, Schaupielern und ihren [Vor-]Bildern)

(Fortsetzung von Teil I)

Als Gāndhī anno 1915 in Bombay landete, war er nicht mehr der Profet im eigenen Land, sondern der berühmte, mittlerweile 46-jährige Held aus dem fernen Südafrika. Attenborough stellt den Empfang durch seine Landsleute in epischer Breite dar: "Das Volk" am Hafenkai jubelt, man wirft ihm Blumenkränze um den Hals, ein Reporter fragt ihn, ob er den Weltkrieg der Briten gegen die Deutschen unterstütze (er antwortet etwas verklausuliert, aber so, daß man es als "ja" verstehen kann), und führende indische Politiker empfangen ihn mit allen Ehren, als da wären Patel, Jinnāh und Nehrū. (Ein witziger Einfall von Attenborough; in Wahrheit hielt sich der letztere damals noch als Student in England auf :-) Nur einer fehlt wie gesagt bei Attenborough, der wichtigste: Birlā, der Gāndhī den "Satyāgrah-Āshram" in Ahmädābād finanzierte, am Ufer der Sabarmatī - freilich weit außerhalb im Norden der häßlichen, dreckigen Innenstadt (die von den Indern bis heute "Stadt des Staubes" genannt wird), und weit entfernt auch von den häßlichen, dreckigen Slums, die sich an den Rändern ihres fast immer ausgetrockneten Flußbettes breit gemacht haben. (Heute hat man dort, im Āshram, eine Gedenkstätte für Touristen eingerichtet. [Dort steht auch das geschmacklose Denkmal Gāndhīs in Buddh-Pose, das Dikigoros Euch unten abgebildet hat.] Um die Slums macht der klimatisierte Bus, der sie hin bringt, freilich einen weiten Bogen - dabei sind sie viel interessanter, aber darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle mehr.) Von da an hatte Gāndhī (der selber nie mit Geld umgehen konnte; seine nicht unbeträchtlichen Einkünfte als Anwalt in Südafrika hatte er in einen Zeitungsverlag gesteckt und dabei restlos verbraten) immer genügend Millionen, die hinter ihm standen und die er unbesorgt verplempern konnte, egal wofür. Denn einige clevere Strippenzieher hatten erkannt, daß sie - zumal nach dem Tode des Mahratten-Führers Bāl Gangadhar Tilak, des geistigen Urgroßenkels von Shiwaji - eine neue Galionsfigur brauchten, und dafür eignete sich der schmächtige Asket Gāndhījī besser als irgend so ein fetter, versoffener Pandit.

Exkurs. Um historisch interessierte, aber über die Geschichte Indiens nicht so genau informierte Leser (die anderen mögen diesen Absatz überspringen) nicht im Regen stehen zu lassen, will Dikigoros über die Hintergründe noch ein paar Worte verlieren: Der "All India Congress" - kurz auch einfach "Congress" genannt - war anno 1885 als Honoratioren-Club für Briten und Inder gegründet worden, wobei besonderer Wert auf Vorzeige-Inder gelegt wurde, denn die Mitglieder dieses Vereins sollten Propaganda für die segensreiche britische Kolonial-Herrschaft machen. (Wie nennen böse Zungen so etwas bis heute: "Jubel-Inder".) Zum Vorsitzenden wurde denn auch ein großer Freund der Briten gewählt, der mahrattische Brāhman Gopāl Krishn Gokhāl: Schuldete man den Briten nicht Dank dafür, daß sie den Mahratten bei der Vertreibung der letzten Muģale geholfen hatten? Sein schärfster Widersacher im Club, der bereits erwähnte Tilak - ebenfalls ein mahrattischer Brāhman - sah das ganz anders: Hatten die Briten nicht, statt Indien zu befreien, sich selber an die Stelle der Muģale gesetzt? Ob solch boshafter Geschichts-Interpretation wurde Tilak 1907 vom "Congress" aus- und von den Briten sechs Jahre lang im Staatsgefängnis von Mandalay in Barmā eingeschlossen, wegen Anstiftung zum Landfriedensbruch. (Er hatte zur Verweigerung von Steuerzahlungen aufgerufen.) Nicht zuletzt das machte ihn in ganz Indien bekannt, als Held und Martyrer. Als Gokhāl 1915 überraschend starb - angeblich an Altersschwäche, aber er war noch keine fünfzig Jahre alt - war Tilak zur Stelle, wurde wieder in den "Congress" aufgenommen und prompt zum neuen Vorsitzenden gewählt! In den Geschichtsbüchern steht, daß damit der "radikale [garam]" über den "gemäßigten [naram]" Flügel des Congress gesiegt habe; aber das wird viel zu hoch gehängt - entschieden war damit noch gar nichts. Die Briten nahmen das hin - vorläufig jedenfalls -, weil Tilak plötzlich über seinen Schatten sprang und 1916 einem Bündnis des Congress mit der zehn Jahre zuvor - ebenfalls auf britisches Betreiben hin - gegründeten Muslim-Liga zustimmte (die zunächst dafür eingetreten war, daß die Briten in Indien blieben, um ihnen ihre Privilegien gegenüber der "heidnischen" Hindu-Mehrheit zu erhalten). Die Briten versprachen den Indern sogar "allmähliche Unabhängigkeit" (ein dehnbarer Begriff - und die Briten waren Weltmeister im Dehnen!), wenn sie denn ihre Kriegsanstrengungen unterstützten. Sie brauchten nämlich dringend Kanonenfutter für ihren Weltkrieg gegen die Mittelmächte im allgemeinen und gegen die Türkei im besonderen, und besonders letzteres war bei indischen Muslimen problematisch, denn der türkische Sultān war zugleich Ķhalīf und damit das geistige Oberhaupt des Islām, eine Art Papst der Muslime. Aber nun konnten diese Bedenken ausgeräumt werden, Dank Tilakas Hilfe, der den Muslimen in diesem "Laknau-Pakt" genannten Bündnis erhebliche Konzessionen gemacht hatte. (Ja, Dank Tilakas Hilfe, nicht etwa der Gāndhīs - auf den hätte damals noch kaum jemand gehört. Umso schlimmer, daß Tilak von Attenborough mit keinem Wort erwähnt wird, womit sich der Brite freilich in guter Gesellschaft befindet: Der deutsche Brockhaus kennt ihn überhaupt nicht; und selbst der französische Robert - der sonst in Sachen Indien nur selten enttäuscht - widmet ihm gerade mal einen Dreizeiler, in dem er als Schriftsteller bezeichnet wird, der die Briten haßte und einige Kommentare zur Gītā schrieb.) Doch als die Briten den Krieg gewonnen hatten, dachten sie gar nicht daran, Indien etwa im Gegenzug Autonomie zu gewähren, geschweige denn Unabhängigkeit. Tilak starb 1920 (wie seine Anhänger meinten, an gebrochenem Herzen, aber bei ihm könnte es tatsächlich Altersschwäche gewesen sein - er war immerhin schon Mitte 60), und noch am selben Tag wurde der liebe Gāndhī zu seinem Nachfolger gewählt. Exkurs Ende.

Gāndhī wurde von Leuten, die lieber im Hintergrund blieben, konsequent zum Vorzeige-Politiker aufgebaut, um auf "seinen" Propaganda-Feldzügen ihr eigenes Süppchen zu kochen. (Gāndhī scheint das nicht bemerkt zu haben, und wenn doch, ließ er es fast widerstandslos geschehen. Attenborough legt ihm zwar in einer Szene die Worte in den Mund, daß es doch keinen Sinn mache, die Inder von ihren englischen Herren zu befreien, bloß damit sich an deren Stelle indische Herren setzten, die erstere imitierten; aber dieser Satz ist mit einiger Sicherheit nicht seinem, sondern allein Attenborough Gehirn entsprungen - wir werden darauf noch einmal zurück kommen.) Als erste Maßnahme hatte ihm der vor allem im Westen hoch angesehene Nobelpreisträger Tākhur alias "Tagore" den Ehrennamen "Mahātma" verpaßt. [Die meisten Biografen schreiben hier "verliehen" - aber das stimmt nicht, denn er sollte ihn ja behalten und nicht etwa wieder zurück geben müssen. "Mahātma" wird meist mit "Große Seele" übersetzt; wir sollten aber besser "Großseele" sagen, denn Hindī hat - wie Deutsch - eine Vorliebe für zusammen gesetzte Wörter; und wenn sich schon bei in der Ausgangssprache getrennt geschriebenen Begriffen wie "Wuthering Heights" die Übersetzung "Sturm-Höhen" statt "Stürmische Höhen" durchgesetzt hat, sollte das auch und erst recht gelten, wenn es sich in der Ausgangssprache ebenfalls um ein zusammengesetztes Wort handelt.] Im folgenden ging man so geschickt vor, daß man Gāndhī zugleich als Nachfolger von Gokhāl (als dessen "Schüler" man ihn bezeichnete, obwohl er ihn nur einmal kurz in Südafrika getroffen hatte, wohin ihn die Briten geschickt hatten, um ihm seine Satyāgrah-Kampagne auszureden) als auch von Tilak hinstellte. Tatsächlich weist Gāndhī in vielem wofür er eingesetzt wurde, pardon sich einsetzte, erstaunliche Parallelen zu Tilak auf: Er suchte die Versöhnung zwischen Hindūs und Muslimen, wollte auf jeden Fall die Teilung Bengalens verhindern, las gerne in der Gītā (die auch Tilaks Lieblings-Lektüre war), rief zum Steuerstreik auf und wurde dafür ebenfalls zu sechs Jahren Gefängnis wegen "Anstiftung zum Landfriedensbruch" verurteilt (allerdings schon nach zwei Jahren entlassen). Neu waren allein die alberne Dhotī, in der Gāndhī von nun an herum lief, und das Schlagwort "Satyāgrah", das wie gesagt mit "Gewaltlosigkeit" falsch übersetzt ist - nicht nur sprachlich, sondern auch faktisch, denn was seine Anhänger da veranstalteten, lief durchaus nicht immer "friedlich" ab, sondern artete bisweilen in Mord- und Totschlag aus (ein Punkt, den Attenboroughs Film ausnahmsweise nicht verschweigt); Gāndhī begann aus Protest gegen die Geister der Gewalt, die er gerufen hatte und nun nicht mehr los wurde, zu fasten, angeblich wurde es daraufhin besser, und er machte brav weiter wie bisher.

Nun wird Attenboroughs Filmhandlung schwammig, d.h. man kann sie zeitlich nicht mehr genau einordnen. Er zeigt zunächst, wie Gāndhī dem "westlichen Luxus" entsagt, um "wie ein Inder zu leben", d.h. er füttert Ziegen, spinnt Garn und hört sich an, was ein armer Bauer zu klagen hat: Er kann die Pacht an die englischen Grundherren nicht mehr aufbringen, da niemand mehr Indigo kaufe. - Warum nicht? - Weil immer mehr Leute englische Kleidung tragen, die nicht mit Indigo gefärbt wird. Gāndhīs Lösung: Er ruft dazu auf, alle englischen Klamotten zu verbrennen und statt dessen in indischen herum zu laufen. (Er selber geht wie gesagt mit gutem Beispiel voran - oder auch nicht, denn seine Dhotī ist ja nun auch nicht gerade mit Indigo gefärbt :-) Dann organisiert er einen eintägigen Generalstreik, pardon einen "Tag des Betens und Fastens" - und wird dafür von den Engländern erneut ins Gefängnis gesteckt. (Im Film folgt nun das "Massaker von Amritsar", aber das hatten wir ja schon, außerdem ordnet es Attenborough zeitlich falsch - viel zu spät - ein.) Als er wieder heraus kommt, sucht er, wie schon in Südafrika, Kontakt zu braven Ausländern, wie Dr. Kallenbach (s.o.) und einer Amerikanerin, die er "Mira Bai" nennt. Und dann war da noch ein amerikanischer Reporter namens Walker, der für den nächsten Propaganda-coup von entscheidender Bedeutung wurde - denn er brachte ihn in die Weltpresse. Es ging um die Salzsteuer. Von Gāndhīs "Marsch zum Meer" anno 1930 hat wohl jeder schon mal gehört, auch wenn er Attenboroughs Film nicht gesehen hat, der das ganze breit auswalzt - scheinbar sogar mit der Vorgeschichte: Brave Inder hatten versucht, eine der Salzfabriken, in denen die Briten die Herstellung monopolisiert hatten, friedlich zu besetzen, und wurden darob von den Wachleuten blutig nieder geknüppelt, was sie tapfer und widerstandslos über sich ergehen ließen... Pardon, liebe Leser, glaubt Ihr das? Millionen Inder tun es, zumal nachdem sie es doch jetzt selber gesehen haben - es sind mit die eindrucksvollsten Szenen des Films. Dikigoros hat da so seine Zweifel, nicht nur an der "Friedlichkeit" der Möchtegern-Fabrikbesetzer, sondern auch an ihrem Wunsch, als blutüberströmte Martyrer in die Geschichte einzugehen - das ist nämlich ganz und gar un-indisch gedacht. Unsere einzige Quelle dafür ist denn auch der Zeitungsbericht jenes Mr. Walker, den er per Telefon in die USA durchgab. Nun muß ja nicht alles, was in der Zeitung steht, gelogen sein; aber wenn wir mal an unserem geistigen Augen vorüber ziehen lassen, was in den letzten rund 100 Jahren speziell in angelsächsischen Zeitungen zu lesen war: Da gab es z.B. die spanischen Konzentrationslager auf Kuba, zu deren Befreiung die USA 1898 in den Krieg ziehen mußten (dazu schreibt Dikigoros an anderer Stelle mehr); dann waren da die Millionen belgischen Frauen und Kinder, die von den deutsch-hunnischen Kannibalen 1914 ermordet und am Spieß gebraten wurden - weshalb die USA unbedingt in den Ersten Weltkrieg eintreten mußten, ferner die 700.000 Serben, die 1916 von den Österreichern vergast wurden - ein weiterer Grund für den Kriegseintritt der USA, ebenso die 4 Millionen Armenier die 1917 von den Türken ermordet wurden (von den 1,2 Millionen, die damals im Osmanischen Reich lebten - kein Tippfehler!), die vielen Verbrechen der bösen Nazi-Deutschen, derentwegen die USA in den Zweiten Weltkrieg eintraten (Dikigoros erspart es sich und Euch, sie hier im einzelnen aufzuzählen - das tun andere, die das viel besser können, ja häufig genug), und schließlich die Massenvernichtungswaffen des Irāq, derentwegen die USA 2003 in den Golfkrieg ziehen mußten. Aber warum sollte Mr. Walker Lügen schreiben? Hatten die USA denn einen vergleichbaren Grund, die englische Kolonialherrschaft in Indien schlecht zu machen wie sie Gründe hatten, Lügen über die Deutschen, die Türken und die Irāqis zu verbreiten? Oh ja, liebe Leser, den hatten sie. Vergeßt bitte nicht, daß die USA nicht allein deshalb in die Weltkriege eingetreten sind, um die deutsche Konkurrenz zu vernichten, sondern auch - die englische. Sie wollten das britische Empire zerschlagen, um sich seine wirtschaftliche Substanz anzueignen, das hat Roosevelt wiederholt ganz offen gesagt, sogar seinem "Verbündeten" Churchill ins Gesicht. Deshalb zwangen sie nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Alliierten, ihre Kolonien in die politische "Unabhängigkeit" zu entlassen, um sie dann selber in wirtschaftliche Abhängigkeit zu bringen. (Daß das bisweilen mißlang, weil sich halt nicht überall dauerhaft USA-hörige Marionetten-Regimes errichten ließen - z.B. nicht in den britischen Ex-Kolonien Indien und Irāq, aber auch nicht in der französischen Ex-Kolonie Indochina oder in der spanischen Ex-Kolonie Kuba -, steht auf einem anderen Blatt :-)

Zurück zu Attenboroughs Film. Da den Steuerprotestlern die Salzfabriken also verschlossen blieben, marschierten 100.000 von ihnen unter Gāndhīs Führung zum Meer, um dort direkt Salz zu gewinnen, woraufhin die Briten wieder zu Verhaftungen und... Stop, liebe Leser, hier wollen wir mal kurz einhaken und uns den Fakten zuwenden: Niemand - nicht mal die Briten - haben je verboten, daß irgendwelche Privatleute zum eigenen Verbrauch Salz aus dem Meer gewinnen. (Wie sinnvoll das angesichts der Meeresverschmutzung gerade vor den Küsten Indiens auch sein mag - damals ging das vielleicht noch.) Besteuert wurde lediglich die industrielle Salzgewinnung in großem Maßstab, halt in jenen Fabriken. [Ebenso wie der römische Kaiser Vespasianus entgegen weit verbreiteten Gerüchten nicht etwa die Benutzer öffentlicher Bedürfnisanstalten besteuerte (damit hätte er doch nur erreicht, daß die wieder an den Straßenrand gemacht hätten :-), sondern vielmehr diejenigen, die den dort gesammelten Urin in großem Umfang an die Gerberbetriebe verkauften.] Das war die normalste Sache von der Welt; die Salzsteuer ist wahrscheinlich die älteste Steuer überhaupt, nicht nur in Indien, sondern auch in Europa und überall sonst auf der Welt, denn Salz ist das einzige wirklich lebensnotwendige Gewürz. (Anderer Ansicht war nur Gāndhī, der auf Salz verzichtete und auch seine Frau und Kinder zu diesem Verzicht zwang.) Die Briten hatten die - moderate - Salzsteuer bereits 1923 angehoben, im Zuge der allgemeinen Inflation nach dem Ersten Weltkrieg, und es hatte sich niemand darüber aufgeregt. Erst sieben Jahre später kamen Gāndhīs Hintermänner auf die Idee, daraus ein Politikum zu machen. Nachdem also der Sturm auf die Salzfabriken mißlungen war, organisierten sie den "Salzmarsch", und der wurde zu einem Propagandaerfolg erster Ordnung, nicht zuletzt wieder durch Mr. Walker, der persönlich daran teilnahm. Was er darüber schrieb, war allerdings weitgehend gelogen: Nicht 100.000, sondern gerade mal knapp 100 (hundert!) Männeken latschten von Ahmädābād nach Dandī (alle anderen waren nur Gaffer, die sich diesen komischen Haufen mal vom Straßenrand aus anschauen oder auch ein paar Meter mit laufen wollten, etwa wie heutzutage manche "Tour de France"-Fans; aber speziell Ihr, liebe deutsche Leser, wißt ja um die Sache mit den zusätzlichen Nullen, wenn es um die US-inspirierte Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts geht) und taten so, als würden sie dort Salz gewinnen - was auf die Schnelle gar nicht ging, es sollte halt "symbolisch" sein. (Dikigoros verkneift sich an dieser Stelle den Hinweis auf eine gewisse "symbolische" Zahl - auch mit vielen Nullen - der europäischen Geschichte, denn der Vergleich würde hinken.) Gleichwohl nahm und nimmt dieser Salzmarsch" in der Vorstellung der Inder - und eigentlich der ganzen [Nach-]Welt einen ähnlichen Platz ein wie die "Boston Tea Party" der Amerikaner gut anderthalb Jahrhunderte zuvor. Die einzige echte Parallele ist freilich, daß die Steuer in beiden Fällen zum Vorwand genommen wurde, um auf Unabhängigkeit zu pochen. (Tatsächlich ging es den Leuten, die man damals dafür einspannte, schwerlich um "Unabhängigkeit" - denn die bedeutete ja nur, daß sie künftig von einer anderen Obrigkeit besteuert wurden -; sie hätten es vorgezogen, abhängig zu bleiben, aber die Steuern nicht bezahlen zu müssen! Was tat die US-Regierung nach der Unabhängigkeit als erstes? Richtig, sie führte die Teesteuer wieder ein. Und die Salzsteuer wird von der indischen Regierung selbstverständlich bis heute erhoben - allerdings ist sie weit höher als 1930 :-) Nun kann man nicht bestreiten, daß sich die Briten beide Male ziemlich dumm verhielten, als sie ausgerechnet an dieser Lächerlichkeit ein Exempel statuierten, vor allem im Falle Indiens. Tee mag ein Genußmittel sein, auf das man zur Not verzichten kann; aber war es nicht ein teuflisches Verbrechen, armen Menschen in einem fast immer heißen Land das lebensnotwendige Salz vorzuenthalten oder sie dafür zur Kasse zu bitten, wie es die Propaganda der Gāndhī-Hintermänner darstellte? (In Wahrheit war es - jedenfalls für Leute, die nicht direkt am Strand wohnten, also 90% der Inder - immer noch billiger, besteuertes Salz aus der Fabrik zu kaufen, als ans Meer zu fahren, um es dort selber zu gewinnen!) Salz - "Namak" - war ja nicht einfach nur ein Nahrungsmittel (im Gegenteil: ein guter Kasten-Hindū und strenger Vegetarier, der keine körperliche Arbeit verrichtet und folglich auch nicht ins Schwitzen kommt, dürfte eigentlich gar keines essen; auch da usurpierte Gāndhī wieder ein Verhalten, das seiner Kaste gar nicht zukam!), sondern ein Symbol (ähnlich wie früher "Brot und Salz" im Westen): "namakwār" [wörtlich "salztragend"] bedeutet zugleich loyal, treu (wie ein Diener zu seinem Herrn sein sollte); mit der Verweigerung der Salzsteuer kündigte man den Briten also symbolisch die Loyalität - was diese Krämerseelen freilich gar nicht verstanden haben dürften. Wie dem auch sei, ein Jahr später gaben sie nach und ließen Gāndhī wieder frei. (Hatten sie etwa kapiert, daß der nur eine Marionette war? Möglich, denn sie lochten statt dessen Nehrū und Patel ein!)

[Salzmarsch Denkmal] [Salzmarsch Foto]
Dichtung und Wahrheit. Denkmal: Gāndhījī führt den Salzmarsch an. Historisches Foto: Mitläufer Gāndhī, gut abgeschirmt

Auch die Propaganda-Feldzüge, mit denen die Unterkastigen gegen die Obrigkeit aufgehetzt werden sollten, waren zwielichtige Unternehmungen. Wie wir gesehen haben, gehörte ein Eintreten für sie - oder gar die "Abschaffung" der Kasteneinteilung - nicht zu Gāndhīs persönlichen Anliegen. Wie sollte man auch etwas "abschaffen", was doch von Natur aus vorgegeben war? An den Warnen war überhaupt nicht zu rütteln; und auch die Abschaffung der Jātis wäre wenig sinnvoll gewesen: Sie waren ja nicht nur Berufszünfte, sondern auch ein Ersatz für das in Indien sonst fehlende Sozialversicherungs-System (als solches haben sie sich seit Jahrtausenden bewährt - was man von den Sozialversicherungen der westlichen Wohlfahrts-Staaten einmal nicht wird sagen können), hielten also das Land und seine Gesellschaft mehr zusammen als sie zu trennen. (Etwas anderes glauben nur einige dumme, unwissende Ausländer, die entweder nie in Indien waren oder blind, taub und stumm hindurch gefahren sind - Dikigoros hat noch keinen Hindū kennen gelernt, der das Kastensystem abgelehnt hätte - allenfalls gewünscht hätte, im nächsten Leben selber einer höheren anzugehören; aber das ist auch nach hinduïstischer Vorstellung legitim.) Gāndhī wollte auch keine Parteien und keine "demokratischen" Wahlen; für dieses Lippenbekenntnis spannten ihn nur wieder andere ein. Darf Dikigoros an dieser Stelle einmal mehr den großen Weltreisenden Richard Katz zitieren, der etwa zur gleichen Zeit, da Gāndhī seine Memoiren verfaßte, schrieb: "Das Ergebnis ihrer Befreiung wird bei allen asiatischen Völkern die absolute Herrschaft einer Dynastie oder einer Kaste sein... Ginge England aus Indien, ginge Holland aus Insulinde: nicht einen Monat würde sich das Volk selbst verwalten. Statt eines weißen Herrn bekäme es einen seiner Rasse. Einen grausamern, willkürlichern Herrn. Tut nichts. Die schlechteste farbige Regierung ist den Eingeborenen noch immer lieber als die beste europäische. Ist das so unerklärlich? Würden nicht auch wir uns lieber von einem deutschen Tyrannen regieren lassen als von einem malaiischen Präsidenten?" Diese Sätze hätte Gāndhī ohne weiteres unterschrieben - ebenso wie Katz' Ausführungen in seinem technik- und industrie-feindlichen Buch "Drei Gesichter Luzifers - Lärm, Maschine, Geschäft" (aber das ist eine andere Geschichte). Warum Dikigoros das hier so ausführlich breit tritt? Weil Attenborough es in seinem Film genau anders herum darstellt. Da ist es nämlich Jinnah, der in einer Diskussion mit Gāndhī - der mal wieder feststellt, daß die Unabhängigkeit nicht dazu führen dürfe, daß die armen Inder statt von den reichen Briten von den reichen Indern unterdrückt und ausgebeutet werden - meint, daß die Inder lieber von ihresgleichen ausgebeutet würden als von Fremden. In Wahrheit sah Jinnah das durchaus anders: Er hätte die Briten lieber im Lande behalten - aus anderen Gründen, aber darauf kommen wir gleich noch einmal zurück.

Ja, die "armen Inder" lagen dem lieben Gāndhī ja so am Herzen, vor allem die "Harijanen", die Kinder Krishnas! (Gāndhī war von Hause aus Wishnuït, und Krishn ist Wishnus vorletzte Inkarnation - wenn man Kalki nicht mit zählt, den apokalyptischen Schimmel[reiter], der erst in der Zukunft auftreten soll.) Aber auch das ist nur eine fromme Lüge. In Wahrheit waren es - nicht nur im Film - meist bezahlte Komparsen niederer Kasten, die zu Gāndhī ins Zugabteil gesetzt wurden, um dem Ausland etwas vorzuspielen. Ja, aber warum? Das ist etwas kompliziert zu erklären. Stellt Euch vor, jemand käme in unserer Parteien-"Demokratie" auf die Idee, bestimmten benachteiligten Gruppen eine bestimmte Mindestzahl von Sitzen im Parlament einzuräumen, weil sie sonst vielleicht angesichts des Mehrheitswahlrechts überhaupt keine Repräsentanten dorthin entsenden könnten. Nein, nicht irgend einer bestimmten Partei, sondern diesem Teil der Wählerschaft, vielleicht den Schwulen, den AIDS-Kranken oder - noch schlimmer - den Frauen oder Müttern. Ein Aufschrei würde durch alle Parteien gehen: Das geht doch nicht, das wäre doch nicht demokratisch, wir, die Parteien nehmen uns dieser Bevölkerungs-Schichten doch schon hinreichend an, besser als die es jemals selber tun könnten, schließlich leben wir in einer repräsentativen Demokratie, und in der dürfen nur die Parteien die Wähler repräsentieren, nicht etwa von Parteien unabhängige Abgeordnete ohne Fraktions-Disziplin! Und genauso war es in Indien: Gāndhīs Hintermänner waren durchaus dafür, daß die Unterkastigen das Wahlrecht bekamen - aber sie sollten natürlich keine eigenen Vertreter ins Parlament entsenden (was hätten sie, die Höherkastigen denn davon gehabt?), sondern gefälligst sie wählen! Als die Briten 1932 mit einem Gesetzentwurf ankamen, der den Unterkastigen eine bestimmte Anzahl von Abgeordneten-Sitzen reservieren sollte, ließen Nehrū und Patel den lieben Gāndhī mit aller Kraft dagegen anstänkern: Keine Sonderrechte für die Harijanen, das wäre ja eine "Verstümmelung" [sic!] des indischen Volkes, alle sollten gleich sein, niemand Vorrechte genießen... Das war umso verblüffender, als das Eintreten für eben eine solche getrennte Wahl Bestandteil des Laknau-Paktes gewesen war - kein Wunder, daß dieses Bündnis nun zerbrach (sagen wir es ruhig deutlich, wenn Attenborough es schon verschweigt: Gāndhī hat es gebrochen - was immer es noch wert gewesen sein mag) und daß Jinnah - der es 1916 als "ehrlicher Makler" ausgehandelt hatte - von nun an auf einen unabhängigen Muslim-Staat "Pākistān [Land der Reinen]" los steuerte! Bei Attenborough tat er das schon seit 1915; aber das ist schlicht falsch. Jinnah - ein völlig verwestlichter Anwalt aus Bambai, der es mit der Religion entgegen dem, was seine muslimischen Verehrer heute behaupten, nicht so genau nahm - zögerte sogar noch länger; persönlich hätte er es wie gesagt am liebsten gesehen, wenn die Briten geblieben wären. Er verkrachte sich darob erst mit dem Congress, dann mit der Muslim-Liga und emigrierte vorübergehend nach London. Erst 1934 rief ihn die letztere zurück und machte ihn zu ihrem Vorsitzenden; und erst 1940, als sich ihre Mitglieder mit deutlicher Mehrheit für "Pākistān" aussprachen, stellte auch Jinnah sich uneingeschränkt hinter diesen Standpunkt - der nicht einfach war, denn er bedeutete, 'zig Millionen Muslime - vor allem in der Gangesebene und in Haidarābād, wo sie sogar die Bevölkerungsmehrheit stellten - im Stich zu lassen. Wäre Dikigoros ein Freund der Muslime, würde er jetzt schreiben: "Es wäre klüger gewesen, auf eine Teilung Indiens entlang der Volkstums- und Sprachgrenzen zu dringen, d.h. unter Abtrennung des südlichen Drawiddesh; dann hätten die Muslime in Nordindien binnen weniger Generationen die Mehrheit erlangt und den Hinduismus ganz "demokratisch" ausrotten können." So kann man aus Sicht der Hindus nur froh sein, daß es anders kam - darauf scheint in Indien aber noch niemand gekommen zu sein.

Zurück zu den "Harijanen". Dikigoros ist durchaus kein Anhänger einer falsch verstandenen "Equal Opportunity" oder gar einer "Affirmative Action", wie sie lange Zeit in den USA praktiziert worden sind (in Bhārat gibt es etwas ähnliches; es heißt "job reservation" und ist, wie seine amerikanischen Vorbilder, ein peinlicher Fehlschlag - so peinlich, daß von offizieller Seite nie darüber gesprochen wird); aber er fände es gar nicht so verkehrt, wenn den Schwarzen (und Indianern und Asiaten) in den USA eine gewisse Mindestzahl von Abgeordneten-Mandaten reserviert würden - und entsprechend auch bestimmten Gruppen in Indien. Das muß nicht auf "one man, one vote" hinaus laufen (im Gegenteil: diese Gruppen würden nicht mehr dadurch benachteiligt, daß viele ihrer Angehörigen gar nicht zur Wahl gehen [können]!); aber wie man es auch ausgestaltet, es würde den Interessen der Minoritäten sicher besser dienen als die Vertretung durch irgendwelche korrupte politische Parteien. Gāndhī schwor, sich zu Tode zu hungern, wenn den Unterkastigen getrennte Wahlen gewährt würden; die Briten gaben - kopfschüttelnd - einmal mehr nach und erlaubten Gāndhī sogar, eine Wochenzeitung mit dem heuchlerischen Titel "Harijan" heraus zu geben. (So jedenfalls auf Englisch; die Ausgaben auf Gujrātī und Hindī erschienen unter dem Titel "Harijan Sewak" [Diener des Harijan; Sewak bedeutet das gleiche wie Dās, hat also auch einen religösen Unterton, was die Heuchelei nur umso schlimmer macht].) Fazit: Der liebe Gāndhī war nicht etwa der beste Freund der Harijanen, sondern ihr schlimmster Feind! (Ihr meint, das sei eine böse Unterstellung, liebe Leser? Es ist die Wahrheit, und zwar keine Satyāgrah-Wahrheit, sondern die reine Wahrheit, auf der Dikigoros in diesem Falle bestehen muß.)

Noch ein Wort zu Gāndhīs Bildung im allgemeinen und seiner religiösen Bildung im besonderen: Sie bewegte sich außerhalb des Juristischen gegen Null - wie das ja leider oft der Fall ist: Gute Juristen haben selten auch eine gute Allgemeinbildung (Ausnahmen bestätigen die Regel :-) geschweige denn eine religiöse Bindung, denn die Zeit reicht meist nicht für alles zugleich aus, und der Charakter schon gar nicht. In religiösen Dingen hatte es sich Gāndhī [zu] leicht gemacht: Er hatte nur einen kleinen Teil der Bhagwatgītā gelesen, der Krishn zugeschrieben wurde, und den er völlig mißverstand; ebenso den Rāmcaritmanas. (Wer sich für Einzelheiten interessiert, der kann sie hier nachlesen.) Dafür machte er es sich in Sachen Allgemeinbildung [zu] schwer: Wer seine Lebenserfahrungen dadurch erwerben will, daß er ein paar Monate zu Fuß durch Indiens Dörfer latscht und sich ansonsten in seinem Āshram verkriecht, weil er weder Zeitungen lesen noch Radio hören will (alles Erfindungen des Teufels - das Fernsehen war noch nicht erfunden, auch der Teufel braucht seine Zeit :-) der darf sich nicht wundern, wenn sein geistiger Horizont notwendigerweise beschränkt bleibt. Böse Zungen haben mal gesagt, es habe wohl im 19. Jahrhundert niemanden gegeben, der in so langer Aufenthaltszeit so wenig von England und Südafrika mit bekommen habe wie Gāndhī - mit hoher Wahrscheinlichkeit haben sie Recht. (Es gab ja noch keinen Massentourismus mit seinen oberflächlichen Neckermännern :-) Und was Indien anbelangt, so hat Gāndhī davon mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weniger gesehen (gekannt, gewußt... nennt es, wie Ihr wollt, liebe Leser; im Indischen schließt sehen - "darshan" - das alles ein) als jeder andere Politiker seiner Zeit - er war der letzte, in dessen Hände man das Schicksal des Subkontinents hätte legen oder nach dessen Vorstellungen man seine Zukunft hätte ausrichten dürfen.

[Gandhi]

Die übrigen Ereignisse kennt Ihr aus den Geschichtsbüchern oder aus dem Film "Gandhi", die braucht Dikigoros hier nicht wieder zu käuen: Die beiden Round-Table-Konferenzen in London, das Irwin-Gāndhī-Agreement, Gāndhīs Ausscheiden aus dem Congress, die Quit-India-Resolution, erneuter Gefängnis-Aufenthalt Gāndhīs, der Streit zwischen dem Hindū-Congress Nehrūs und der Muslim-Liga Jinnahs, die Entlassung Indiens in eine "Unabhängigkeit", die Bürgerkrieg, Vertreibungen, Mord und Totschlag bedeutete. Aber am letzten Punkt muß Dikigoros noch einmal einhaken, da auch darüber - und über Gāndhīs Anteil daran - völlig falsche Vorstellungen herrschen. Man behauptet heute gerne, er habe versucht, diese Katastrofe zu verhindern und dafür nicht nur gebetet, sondern auch gefastet. Tatsächlich hat er alles nur noch viel schlimmer gemacht: Die Teilung Indiens in einen überwiegend muslimischen und in einen überwiegend hinduistischen Staat (und in einen überwiegend buddhistischen kleinen Inselstaat vor der Koromandal-Küste) war schlicht und einfach nicht zu verhindern; niemand - am allerwenigsten ein Inder, der sich nur ein klein wenig in der Geschichte seines Landes auskennt - kann ernsthaft glauben, daß irgendwo auf der Welt der Islām mit irgend einer anderen Religion (geschweige denn mit einer, die nicht monotheistisch ist) auf Dauer friedlich zusammen leben kann, allenfalls neben einander. Streiten konnte man allenfalls über den Grenzverlauf. Hätte man sich frühzeitig darauf geeinigt, statt noch lange aussichtslosen Illusionen nachzuhängen, wäre die Katastrofe - deren Folgen sich durchaus mit denen des Zweiten Weltkriegs in Europa vergleichen lassen - vielleicht zu verhindern gewesen. Gāndhī war das Haupthindernis zu einer solchen Einigung, und er hat damit unendliche Schuld auf sich geladen - er handelte vielleicht (sogar wahrscheinlich) ohne direkten oder auch nur bedingten Vorsatz; aber es gibt sowohl strafrechtlich als auch moralisch eine Schuld aus Fahrlässigkeit, wenn man etwas beharrlich ignoriert, was man eigentlich hätte wissen müssen. Und Gāndhī hätte es wissen müssen, auch ohne ein Profet zu sein; schließlich kannte er seine "Kollegen" Nehrū und Jinnah nur zu gut (wenngleich er sie beide ob ihres westlichen - und selbst für westliche Maßstäbe ausschweifenden, unmoralischen - Lebenswandels verachtete), und er kannte auch den Panjāb und Bengalen aus eigener Anschauung. (Oder war er einfach nur blind durch gereist?)

Aber fragen wir nicht nur nach Gāndhīs Schuld, sondern auch nach den Beweggründen seiner Hintermänner, denen in Attenboroughs Film bedauerlicherweise so gar nicht die ihnen gebührende Aufmerksamkeit zuteil wird: Was um alles in der Welt wollten die erreichen? Nun, da gab es handfeste wirtschaftliche Gründe: Pākistān bekam mehr als ein Drittel des Staatsschatzes von Britisch-Indien (der während des Zweiten Weltkriegs auf anderthalb Millionen Silber-Rupyen angewachsen war) und einen Großteil seiner beiden wertvollsten Provinzen. Gerade die "gemischten" Grenzprovinzen (wenn man denn "Desh" mit "Provinz" übersetzen darf - Dikigoros hat da immer Bauchschmerzen, denn eigentlich bedeutet es "Land"; Provinz heißt "Pradesh") waren die reichsten Indiens, die zu zerreißen eine wirtschaftliche Katastrofe bedeutete: Birlās Textilfabriken verarbeiteten die Jute aus Ostbengalen und verschifften sie über Kålkattā, den Haupthafen Westbengalens - diese beiden Landesteile durch Zollgrenzen zu trennen war wirtschaftlich gesehen Selbstmord. Der Panjāb war die Kornkammer Indiens, von deren Reis alleine die Völker des Subkontinents hätten satt werden können. Und im Inneren Indiens war es ja noch krasser: Das von einem muslimischen Nizām regierte Haidarābād [das einstige Reich des Sultān Tippu, das bald in "Andhra Pradesh" umbenannt werden sollte] lag mitten in Indien, umgeben von lauter Hindū-Staaten; es hätte nichtmal einen Hafen gehabt, um Außenhandel zu treiben, denn die alten Häfen an der Koromandäl-Küste, im Delta des Godawari und des Kistna waren längst versumpft oder versandet. Und in der Ganges-Ebene, an den Ufern des heiligsten indischen Stromes, waren Hindū- und Muslim-Gebiete derart ineinander verzahnt, daß es praktisch unmöglich war, irgendwo eine vernünftige Trennungslinie zu finden - groß angelegte Umsiedlungs-Aktionen aber hätten viel Geld gekostet, das niemand bereit war, dafür auszugeben. Da war es schon billiger, Millionen dummer Untertanen einander vertreiben oder gleich tot schlagen zu lassen, bis im Ergebnis so etwas ähnliches erzielt war wie das, was man heute vornehm "ethnische Säuberung" nennt. Also mußte man möglichst das ganze Gebiet unter eine Fuchtel bekommen, und dafür ließ sich der kleine Spinner einspannen. Danke, Gāndhījī!

Nun, werden manche Leser sagen, der Dikigoros zieht da so neunmal klug über Gāndhī und dessen Hintermänner her - aber hätte er denn eine Alternative gewußt? Na klar - ganz einfach: Die Kolonie Britisch-Indien hätte in mehrere Staaten vernünftiger Größe und Zusammensetzung aufgeteilt werden müssen. (Das wird sich auf die Dauer eh nicht verhindern lassen - nur daß es jetzt noch wesentlich größere Opfer kosten wird.) Wer sagt denn, daß der indische Subkontinent in einem oder zwei zentralisierten Einheitsstaaten zusammen gefaßt werden muß? Das war er doch genau besehen nie gewesen, selbst zur Zeit des sagenhaften Āshok oder der großen Muģalen nicht; und die Briten hatten bis zuletzt neben dem Kronland zahlreiche kleine Fürstentümer in einer Art Souzeränität fort bestehen lassen, nach dem klugen altrömischen Motto "divide et impera". Die Republik hat die Fürsten enteignet, zugunsten der beiden großen Zentralstaaten, die sich hüben wie drüben nicht bewährt haben. Man kann nicht mit Gewalt zusammen wachsen machen, was nicht zusammen gehört. Wen stört oder wem schadet es denn, daß im Norden Nepāl und Bhūtān unabhängige Pufferstaaten gegen das von Rot-China besetzte Tibbät bilden? Und wen, daß im Osten Barmā (das ja auch zu Britisch-Indien gehört hatte - der große Schriftsteller George Orwell war dort geboren) unabhängig wurde? Oder im Südosten Shrī Lankā (außer den Tamilen, die gar nicht daran dachten, nach Bhārat zurück zu kehren - sie hätten es vielleicht getan, wenn es einen unabhängigen Staat Tamil Nādu oder zumindest ein unabhängiges Drawid-desh gegeben hätte)? Hätte Kashmīr nicht einen guten gemeinsamen Pufferstaat gegen Rot-China abgeben können? Und warum konnte man den Panjāb und Bengalen nicht ungeteilt in die Unabhängigkeit entlassen? Wirtschaftlich überlebensfähig wären sie allemal gewesen, sie hätten niemandem auf der Tasche gelegen - im Gegenteil! Und was haben die Nordinder schon noch mit den Südindern gemeinsam außer der Religion? (Mit den Asāmīs und den anderen Völkern zwischen Bengalen und Barmā noch nicht einmal die!) Und was die "West-Pakistaner" mit den "Ost-Pakistanern" in Banglā Desh? Etwa soviel wie die christlichen Norweger mit den christlichen Italienern und wie die katholischen Portugiesen mit den katholischen Polen! Leben die deshalb etwa in einem gemeinsamen Staat zusammen? (Nein, liebe Leser, dieser Vergleich hinkt nicht: Von Kashmīr nach Kanyākumārī ist es nicht weniger weit als vom Nordkap nach Sizilien, und von Karachi nach Dakkha nicht weniger weit als von Lissabon nach Warschau - und die ethnischen Unterschiede sind auf dem indischen Subkontinent noch weitaus größer!) Wie dem auch sei: Glückliche Staatsbürger sind die Inder nicht geworden, weder die im Großstaat Pākistān, noch die im Großstaat Bhārat noch die in Shrī Lankā (wo man sich auch nicht zu einer Teilung durchringen konnte und dafür mit einem furchtbaren Bürgerkrieg gezahlt hat, der nun schon fast ein Vierteljahrhundert andauert.). Heute stehen sich die beiden ersteren als hoch gerüstete Atommächte gegenüber und drohen, die älteste und größte Kultur der Menschheit, die noch annähernd besteht (die chinesische hat sich ja schon selber ausgelöscht, und die anderen haben sich von der amerikanischen vereinnahmen lassen), zu zerstören.

* * * * *

Nachdem der untaugliche Versuch, ganz Britisch-Indien zu einem Zentralstaat zu machen, gescheitert war, taugte Gāndhī nur noch zum Martyrer; sein Attentäter verkürzte seine Qual, indem er ihn erschoß, und seine Hintermänner schlachteten diesen "Heldentod" gebührend aus. (Wie lächerlich: Gāndhī war ohnehin entschlossen, sich zu Tode zu hungern - da hatte Jinnah doch ein schöneres Ende: der soff sich zu Tode, starb an einer Leberzirrhose. Überhaupt, obwohl - oder gerade weil - Jinnah nicht nur soff wie ein Loch, sondern auch qualmte wie ein Schlot, überall herum hurte und nach Herzenslust Rind- und Schweinefleisch fraß - was Dikigoros alles nicht tut - ist er ihm, der sonst ein Muslim-Fresser ist, von all den verkorksten indischen Politikern jener Generation noch am wenigsten unsympathisch. Dagegen war selbst Nehrū, der sicher einiges auf dem Kasten hatte, irgendwie nicht ganz richtig im Kopf - hätte er sonst als Kashmīr-Brāhman Kommunist sein können?) Man hat dieses Attentat auf Gāndhī stets als die politisch motivierte Tat eines hinduistischen Fanatikers hingestellt; und am liebsten hätte man aus dem Mann einen "Nazi" gemacht, denn er war ein Anhänger von Winyak Damodar Sawarkar, den man damals "Swatantri Wīr [Unabhängigkeits-Held]" nannte und über den man heute so bedauernswert wenig hört und liest - fast noch weniger als von Birlā. Er war der eigentliche Gegenspieler von Hitlers Verbündetem Bōs (er hatte halt nur das Pech, eines natürlichen Todes zu sterben und deshalb - anders als letzterer - nicht zum Martyrer und Nationalhelden zu taugen), und deshalb ist es auch ausgesprochen albern, ihn als "Nazi" hin zu stellen. Sawarkar war genau so lange ein Freund Hitlers, wie das die Briten auch waren, nämlich bis zum Münchner Abkommen: Er fand es richtig, die Tschecho-Slowakei in ihre völkischen Bestandteile aufzuteilen (und heute wissen wir, daß er und andere Recht hatten, ebenso wie mit der Aufteilung Jugo-Slawiens und der Sowjet-Union, denn so war es der Wunsch fast aller ihrer Völker), und er befürwortete dasselbe für Indien.

Hätte man nur rechtzeitig auf ihn gehört! Aber Sawarkar war kein Nazi, sondern vielmehr ein Freund der Briten; denn während Bōs im Zweiten Weltkrieg ins Ausland floh und dort Inder für eine "Indische National-Armee" sammelte, die auf Seiten der Japaner in Barmā kämpfte, um zunächst einmal Bengalen zu befreien, warb Sawarkar Inder an, die auf Seiten der Alliierten in Nodafrika kämpfte, also zunächst einmal, um das britische Kolonialregime in Ägypten aufrecht zu erhalten. Nach dem Krieg wurden die Bōs-Truppen entwaffnet und interniert (und amnestiert; denn als die Briten ihnen 1946 den "Kriegsverbrecher"-Prozeß machen, die "INA" - ähnlich wie Teile der deutschen Wehrmacht in Nürnberg - zur "verbrecherischen Organisation" erklären und ihre Angehörigen an die Wand stellen bzw. an den Galgen bringen wollten, erhob sich ganz Indien wie ein Mann - allen voran die Matrosen in den wichtigen Hafenstädten Bambai, Karāchi und Kålkattā, denen sich die Bevölkerung mit einem Generalstreik anschloß -, und die Briten mußten die gefangenen Patrioten frei lassen. In der kommunistischen Literatur wird dieser nur wenige Tage währende erfolgreiche Aufstand als leider gescheiterte "kommunistische Revolution" dargestellt :-) Gāndhī, Nehrū, Jinnah und all die anderen Dummschwätzer, pardon Advokaten der Unabhängigkeit hatten gar keine regulären Truppen - nur ein paar bewaffnete Zivilunken, die nichts weiter konnten als Krawall machen und andere Zivilunken ermorden. Aber die kampferprobten indischen Truppen, die Sawarkar für die Aliierten angeworben hatte, standen noch unter Waffen, die konnte man nicht so einfach beiseite schieben. Wenn etwas den Ausschlag gab für die Bereitschaft Englands, Indien in die Unabhängigkeit zu entlassen (außer der - eher fraglichen - Einsicht, damit einen Klotz am Bein los zu werden), dann waren es diese Truppen. Leider kamen sie zu spät, um den Bürgerkrieg zu verhindern; und leider war es einer der ihren, der die Disziplinlosigkeit besaß, Gāndhī zum Martyrer zu machen, einen Mann, der von alledem, was ihm nach der in Attenborough's Film verbreiteten Legende (Schriftzug auf einem Filmposter: "Gandhis Triumph änderte alles!") wichtig war, nichts erreicht hatte: nicht die Gleichberechtigung der Inder in Südafrika, nicht die Gleichberechtigung der Unterkastigen in Indien, nicht die Unabhängigkeit Indiens von Großbritannien (die erreichten andere), nicht die Einigkeit Indiens nach der Unabhängigkeit - im Gegenteil: im Rückblick hat er alles nur noch schlimmer gemacht: die heute verzweifelte und hoffnungslose Lage der Inder in Südafrika, die weitere Verarmung und Verelendung der Unterkastigen in Indien, die Millionen Opfer im Bürgerkrieg nach der Unabhängigkeit, die Kriege der indischen Teilstaaten Pākistān und Bhārat um Banglā Desh und Kashmīr - die bekanntlich bis heute andauern - all das geht zu großen Teilen auf seine und seiner Hintermänner Rechnung. (Insofern hatte Salman Rushdie - ungewollt oder boshafterweise? - Recht, als er Gāndhī in eine Reihe stellte mit Albern Einstein, Martin Luther King und dem Dalai Lama: alles aufgeblasene Popanze, hinter denen nichts weiter steckte als die dreisten Propagandalügen "politisch korrekter" Gutmenschen und die Leichtgläubigkeit der unwissenden, da unkritischen und systematisch verdummten Konsumenten gleichgeschalteter Massenmedien.)

[Gandhi Martyrer]

Aber Nathurām Godse, dem jungen Marāthā, der Gāndhī tötete, allein politische Motive - egal aus welcher Ecke - zu unterstellen, greift mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin zu kurz. Es ist schwierig, einem Nicht-Hindū zu erklären, was ein Hindū für Beweggründe haben mag, einen anderen Hindū zu töten in dem Bewußtsein, moralisch etwas Gutes und Gerechtes zu tun. (Godse vollführte vor seiner Tat eine kurze Pūjā - ihm diese als "vorgetäuschte Begrüßung des lieben Gāndhī" auszulegen, ist lächerlich: Ein Brāhman aus Mahārāshtr macht keinen Kotau vor einem Waishy, geschweige denn vor einem Banīyā aus Gujrāt!) Allmählich hatte sich allem propagandistischen Geschick der Patel & Co. zum Trotz herum gesprochen, welchen persönlichen Lebenswandel der liebe Gāndhī pflegte: Er predigte den Massen Genügsamkeit, lebte aber selber in einer Millionärsvilla, die Birlā ihm zur Verfügung gestellt hatte. (Hätte der es nicht getan, wäre wohl sein Konkurrent Tātā eingesprungen; und Gāndhī hätte dessen "milde Gabe" ebenso ungeniert angenommen. So setzte Tātā auf Nehrū - und gewann.) Gāndhī predigte sexuelle Enthaltsamkeit und benutzte seine eigene Frau fast vier Jahrzehnte lang nur noch dazu, ihm die Füße zu waschen und seinen Nachttopf zu leeren; aber er umgab sich Tag und Nacht mit einem halben Dutzend bildhübscher junger Mädchen, die ihn "Onkel" nannten. (Eine, Manu genannt, soll sogar eine entfernte Groß-Nichte gewesen sein; dies war jedenfalls der Vorwand, unter dem Gāndhī sie als kleines Mädchen "adoptierte" - Woody Allen läßt grüßen!) Nein, liebe Leser, Dikigoros denkt über "Onkel-Ehen" nicht päpstlicher als der Papst. Es gibt nun mal ältere Männer, die dem Glauben huldigen, die Beziehung mit einer jüngeren Frau würde sie noch einmal in den dritten Frühling (oder wenigstens in den Altweibersommer, der ja auch seine Reize hat :-) führen, und zwar nicht nur in Asien. Ihr mögt das für einen Irrglauben halten, aber auf manche scheint es tatsächlich zuzutreffen: Haben nicht auch zwei deutsche Politiker - abgehalfterte Schnapsnasen, die sich fast schon zu Tode gesoffen hatten - in fortgeschrittenem Alter wesentlich jüngere Frauen geheiratet (nein, keine jungen, dummen Gänschen, sondern erwachsene, energische Frauen im besten Alter - Heinemann und Seebacher sind ein anderes Kaliber als Lewinsky und Mathiopoulos!), unter deren anti-alkoholischem Regime sie noch einmal förmlich aufblühten? Einer erlebte so noch die Wiedervereinigung der Stadt, in der er einst Oberbürgermeister gewesen war, der andere wurde seines Schwiegeropas Nachnachnachfolger im höchsten Amt der Republik.

Niemand hätte etwas dagegen gesagt, wenn sich Gāndhī, nachdem Kastūrbāī 1944 gestorben war - sie lebten schon längst getrennt, er in Dillī, sie in Pūnä; die rührseelige Totenwache, die der Film so eindringlich zeigt, war pure Heuchelei -, noch einmal eine jüngere Frau genommen hätte, aber mit Betonung auf "eine" und "[Ehe-]Frau". Dieser Harem wäre jedoch selbst für einen Muslim zuviel gewesen, und gleich gar für jemanden, der ständig Haß auf den "teuflischen" Westen predigte. Diese Mädchen waren nämlich allesamt äußerst elegant gekleidet, in teure, seidene Sārīs und Panjābīs (nein, solche Stoffe liefen nicht von Gāndhīs Spinnrädern!), westlich geschminkt, westlich gebildet und z.T. Brillenträgerinnen. Wohlgemerkt, sie waren volljährig, selbst nach heutigen westlichen Vorstellungen, erst recht nach damaligen indischen, der alte Gāndhī war kein Kinderschänder - das war aber auch alles! Tagsüber ging er eng umschlungen mit ihnen spazieren (habt Ihr das mal in Indien mit Eurer Frau oder Freundin versucht, liebe Leser? Nicht einmal Dikigoros würde das wagen!), nachts schlief er mit ihnen - offiziell lagen sie zwar nicht auf oder unter, sondern nur neben ihm, als "Krankenschwestern-Ersatz" (Ärzte ließ er ja nicht an sich heran!); aber er machte keinen Hehl daraus, daß er mit ihnen auch - wie schon mit der Wahrheit! - "Experimente" anstellte, um sie von ihrer Frigidität zu heilen und um zu testen, inwieweit er selber der sexuellen Versuchung widerstehen konnte oder nicht. ("Kundalini" nennen einige Inder solche "Experimente" beschönigend und versuchen, ihnen einen pseudo-religiösen Anstrich zu geben.) Zu allem Überfluß war Gāndhīs zweiter Sohn auch noch zum Islām konvertiert. Das wußtet Ihr alles nicht, liebe Freunde und Bewunderer des lieben Gāndhī? Sein Attentäter wußte es...!

[Gandhi mit Teenies]

Nein, in Attenboroughs Film kommt nichts von alledem vor, und nun dürft Ihr entscheiden, liebe Leser, ob es darauf ankam oder nicht. Noch ein kleiner Treppenwitz zum Abschluß: Gāndhī starb, wie er zuletzt gelebt hatte - gotteslästerlich, mit einem Fluch auf den Lippen. Seine letzten Worte waren nämlich: "He Rām". Einige Witzbolde im Westen haben das als "Anrufung Gottes" bezeichnet (so z.B. Attenborough, der es im Film mit "oh God" übersetzt), denn auch Rām gilt ja als Inkarnation Wishnus. (Und "Rām, Rām" wäre in der Tat eine Anrufung jener Gottheit gewesen - aber das hat der liebe Gāndhī eben nicht gesagt!) Tatsächlich wird das in Indien als Fluch gebraucht, allerdings wesentlich stärker als etwa das deutsche "Herrgottnochmal". Wollte man "He Rām" angemessen ins heutige Englisch übersetzen und damit zugleich eine kurze, passende Aussage nicht nur über Gāndhīs Sterben, sondern auch und vor allem über sein Leben prägen, so hätte man wohl nur die Wahl zwischen "oh shit" und "oh fuck". Aber wofür man sich auch entscheidet - Dikigoros glaubt daran, daß der Einfluß der Gāndhī-Propagandisten und Lügner aus politischen Motiven irgendwann einmal zurück gedrängt werden kann; und er will nicht abseits stehen, sondern im deutsch-sprachigen Raum seinen Beitrag dazu leisten. Denn wie heißt es so schön im Staatswappen Bhāratas: "Satyamew jayate"! [Nein, er übersetzt das nicht mehr mit "die Wahrheit wird siegen", sondern nur noch mit "die Wahrheit soll siegen"; denn an ersteres vermag er angesichts der staatlich monopolisierten Geschichtsschreibung, die Gāndhīs Zeitgenosse George Orwell in 1984 so treffend voraus gesehen hat, nicht mehr uneingeschränkt zu glauben. Und schon gar nicht an den Satz, den Attenborough gegen Ende seines Films dem lieben Gāndhī in den Mund legt: "Wenn ich verzweifelt bin, sage ich mir immer wieder, daß in der Geschichte der Weg der Liebe und der Wahrheit immer wieder gesiegt haben!" Attenborough mag sich mit dieser frommen Lüge getröstet haben; aber Dikigoros kann seinen Lesern nur zurufen: Verzweifelt nicht, auch wenn der letzte Halbsatz nicht stimmt - macht Euch die Wahrheit wenigstens selber zu eigen, auch wenn Ihr sie nicht mehr öffentlich aussprechen dürft!]

[Satyamew jayate]


Nachtrag. Mit rund zwei Jahrzehnten Verspätung - Bhārat und Pākistān standen einmal mehr am Rande eines Krieges um Kashmīr - holten die Pākistānīs zum cineastischen Gegenschlag aus und brachten "Jinnah" von Jamil Dehlawi in die Kinos, die Lebensgeschichte von Gāndhīs (oder genauer gesagt Nehrūs) muslimischem Gegenspieler (der ja bei Attenborough nicht allzu gut weg gekommen war), ebenfalls eine britische Produktion, mit Christopher Lee in der Hauptrolle des "Quaid-i-Azam [großen Führers]" und "Vater Pākistānas". An den Kinokassen - auch in Großbritanniens "asiatischen" Gemeinden - ein großer Erfolg, merkten seine indischen Kritiker süffisant an, daß das Publikum mit Lee immer noch in erster Linie den rumänischen Blutsäufer Dracula verbinde, weshalb die Rolle ideal besetzt sei; und auch den Schurken Scaramanga aus dem Bond-Film "The Man with the Golden Gun" gruben sie wieder aus und wiesen überdies darauf hin, daß Lee demnächst den spanischen Narren Don Quixote und den russischen Tsaren Iwán IV ("den Schrecklichen") spielen wolle. Als Jinnah werde er jedenfalls nicht in die Filmgeschichte eingehen - und dieser Auffassung kann sich Dikigoros nur anschließen.

[Lee als Jinnah]


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