Giorgio Agamben
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Agamben: Reisen in
die USA
Wer
neuerdings in die USA reist muss
wissen, dass die Fluggesellschaften anlässlich eines Abkommens zwischen
der
EU-Kommission und der US-Regierung bestimmte persönliche Daten ohne
vorherige
Genehmigung an die US-Grenzbehörden übermitteln. So weiß man in den USA
sämtliche Daten ( Name, Vorname, Alter, Adresse, Kreditkartennummer,
Gesundheitszustand, Ernährungspräferenzen ). So wird nach bestimmten
Mustern
nach Terror-Verdächtigen gescannt. Gesucht wird anhand dieser Daten vor
allem
nach Arabern, Menschen arabischer Abstammung, Muslimen und anderen
Merkmalen,
welche in das Profil der Terrorfahnder passen.
An
Flughäfen und später an allen
Einreisestellen werden Fingerabdrücke und Fotografien von gewissen
Gruppen
gemacht die in die USA einreisen. Die Fingerabdrücke sollen dann in
Datenbanken
mit denen gesuchter Krimineller und Terroristen abgeglichen werden.
Ausländer
aus dem Irak, Iran, Lybien, Sudan oder Syrien müssen sich nach der
Einreise
sogar regelmäßig melden, wo sie sich aufhalten. Dies gilt auch für
Ausländer
aus Staaten, welche das Außenministehrum aufgrund kurzfristiger
Gegebenheiten
auf diese Liste setzt oder für Ausländer, in welchen die Inspektoren
der
Einwanderungsbehörde ein Sicherheitsrisiko sehen. Einreisende aus
verschiedenen
Nationen stehen somit unter einem Generalverdacht und die Reiseden aus
anderen
Ländern unterliegen der Willkür der einzelnen Einwanderungsinspekteure.
Agamben
reagiert auf diese
Diskriminierung wie folgt:
...Ich habe den Zeitungen
entnommen, dass ausländische
Staatsbürger, welche die Vereinigten Staaten mit einem Visum besuchen
möchten,
bei der Einreise ins Land datenmäßig erfasst und dass von ihnen
Fingerabdrücke
genommen werden. Weil ich mich einer solchen Prozedur nicht unterziehen
möchte,
habe ich sofort die Lehrveranstaltungen abgesagt, die ich im März an
der New
York University halten sollte...
...Seit Jahren bereits, anfangs zufällig und
unterschwellig, dann immer
offener und beharrlicher, versucht man die Bürger an angeblich normale
und
menschliche Vorrichtungen und Praktiken zu gewöhnen, die immer als
außergewöhnlich und unmenschlich galten. Die Kontrollmöglichkeiten, die
die
Staaten heute mit elektronischen Vorrichtungen wie Kreditkarten oder
Mobiltelefonen über die Individuen ausüben können, wären früher
undenkbar
gewesen. Aber es gibt eine Stufe in der Kontrolle und der Manipulierung
der
Körper, deren Überschreitung ein neuer globaler biopolitischer Zustand
bedeuten
würde, ein weiterer Schritt zu dem, was Foucault als eine Art
progressive
Vertierung des Menschen durch äußerst verfeinerte Techniken beschrieben
hat.
Die elektronische Erfassung der Fingerabdrücke und der Netzhaut, die
Unterhauttätowierung und andere Praktiken dieser Art gehören zu dieser
Stufe.
Die Sicherheitsgründe, die zu ihrer Rechtfertigung angeführt werden,
dürfen uns
nicht verwirren. Die Erfahrung lehrt, dass Praktiken, die anfangs nur
den
Ausländern galten, allmählich auf alle übertragen wurden. Die Frage, um
die es
geht, ist das neue „normale“ biopolitische Verhältnis zwischen Bürger
und
Staat. Es geht nicht mehr um die freie und aktive Teilhabe an der
politischen
Ebene, sondern um die Aufnahme und Erfassung des privatesten und
unmittelbaren
Elements: das biologische Leben der Körper. Medieneinrichtungen, die
die
öffentliche Rede kontrollieren und manipulieren, entsprechen den
technologischen Einrichtungen, die das nackte Leben identifizieren und
erfassen.
Zwischen diesen beiden Extremen – ein Wort ohne
Körper und ein Körper ohne
Wort – wird der Raum dessen, was man früher einmal Politik nannte,
immer
knapper und enger. Auf diese Art wird der Staatsbürger paradoxerweise
zum
Verdächtigen schlechthin, dem man mit Techniken und Vorrichtungen
begegnen
muss, die für die gefährlichsten Individuen erdacht worden waren. Die
Menschheit ist heute per definitionem zur gefährlichen Klasse geworden.
Vor ein paar Jahren habe ich einmal geschrieben,
dass das politische Urbild
des Westens nicht mehr die Stadt, sondern das Konzentrationslager ist,
nicht
Athen, sondern Auschwitz... Die biopolitische Tätowierung, zu der wir
heute
gezwungen werden, um in die Vereinigten Staaten einzureisen, ist das
Staffelholz dessen, was wir morgen als normale Erfassung in die
Mechanismen und
das Getriebe des Staates akzeptieren könnten, wenn wir als gute Bürger
identifiziert werden wollen.
Quelle: Der italienische Philosoph Giorgio
Agamben, übersetzt von Henning
Klüver, im SZ/Feuilleton am 10./11.01.2004
Ab
2004 ist für die Einreise in
die USA aus den europäischen Ländern ein Fingerabdruck Pflicht. Somit
muss sich
der Prozedur der Abnahme von Fingerabdrücken und des Fotografierens ,
welche
einst nur für Straftäter galt, zukünftig jeder unterziehen. Damit
werden dann auch
normale Bürger wie Verbrecher behandelt. Länder der europäischen Union
müssen
bis Oktober 2004 in ihre Reisepässe den elektronischen Fingerabdruck
aufnehmen.
Bis Ende 2005 sollen sogar Systeme der Gesichtserkennung und des
Iris-Scans
hinzu kommen.
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