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An Bord der engl.Brig Vanguard, von Chusan
 nach Hongkong in China, 1.September 1844.

Am Geburtstag meiner guten Mutter, dessen ich heute mit herzl.Anhänglichkeit gedenke, kann ich ihr in der weiten Entfernung wohl keine grössere Freude machen, als dass ich sie von meinem Wohlergehen u. von der steten Unveränderlichkeit meiner Liebe versichere.

Ich habe Euch lange ohne Briefe gelassen, mein letzter war von Singapore am Ende April; aber ich bin in der Zwischenzeit so voll Unruhe u. stets auf dem Schiffe, von dessen Bord ich heute noch schreibe, von einem Orte zum andern herumgeschleudert gewesen, dass ich zu einem vernünftigen Briefe nicht habe kommen können. x)

Ein Schiffshökerleben wie ich es nun beinahe 5 Monate führe, ist kein Spass und ich bin herzlich froh dem Ende desselben in wenigen Tagen entgegenzusehen. In Hongkong oder Canton werde ich wohl einige Wochen oder Monate Ruhe haben. Wenn man ein Schiff auf dem Halse u.damit eine tägl.Ausgabe von 40 Re hat, so ringt das einem ganz verzweifelt in die Ohren, wenn widerwärtige Winde, Stürme u.die Langsamkeit und Chicanerie der Chinesen die Reise aufhalten, u.ich habe nicht eben viel Freude an dieser tour gehabt, Ruhe noch viel weniger. Gesund bin ich aber immer gewesen und freue mich meiner ausgezeichneten Constitution.

Am 29.April verliessen wir Singapore, kamen nach einer langen, von Wind u.Wetter wenig begünstigten Reise am 20.Mai in Macao an, verliessen dies am 27. wieder, nachdem ich einen Dolmetscher engagirt hatte, erreichten am 9.Juni die Insel Chusan, blieben hier wieder bis zum 19., segelten dann nach Ningpo, wo wir uns bis zum 8.Juli aufhielten, u.kamen am 10.Juli in Schanghai, dem nördlichsten der offenen Häfen an. Hier wurden wir bis zum 1.Aug. aufgehalten, segelten dann wieder nach Chusan, das wir in 2 Tagen erreichten u.sind nun von Chusan seit dem 25. letzten Monats wieder unterwegs nach Hongkong. Die ganze Zeit habe ich auf dem Schiffe gelebt, bin von Ratten, Muskitoes, Käfern, Ameisen und Spinnen in der Nacht und von Chinesen am Tage sattsam molestirt worden und sehne mich nach einem Leben am Lande wieder.

China ist ein sonderbares Land, die Sitten u. Gebräuche der Einwohner sind so total verschieden von den unsrigen, dass man im Anfange mit unermüdeter Aufmerksamkeit Alles beobachtet, was einem zu Gesicht kommt; die Neuheit schleift sich aber bald ab und der Rückstand ist nicht so angenehm als man denken sollte.

Die Strassen der Städte, deren eine so wie die andere ist, sind eng; die breitesten sind 10-12 Fuss, die meisten nur 7-8 Fuss, und es ist mit der grössten Unannehmlichkeit verbunden, darin zu wandeln, da Lastträger, Sänften u. stets eine Masse von Menschen sich darin bewegen, alle 5-10 Schritte stösst man irgendwo an, oder wird gegen die Mauern geklemmt. Besonders wenn man eilig ist, ist es zum Verzweifeln, die Träger, die mit einem langen Stück Bambusrohr über den Schultern 2 Lasten, an jedem Ende des Stockes eine, tragen u. somit viel Platz einnehmen, vor u. hinter sich ausschreien zu hören; manchmal kommt eine ganze; Reihe, bis auf eine kurze weite Hose ganz unbekleideter, bezopfter und spitzbehuteter Menschen, mit Wasser u. Ballen hinter einander, u. da sie wie die Wiesel laufen, erwarten. sie von jedem Menschen, dass er ihnen ausweicht, sie schreien fortwährend, dann kommt eine oder mehre Sänften, auf den Schultern von ebenso angethanen gelben Geschöpfen getragen, die, wenn man nicht ausweicht, sich mit den Tragstangen ganz unceremoniell Platz verschaffen, und sind diese passirt, so kann man vor 2 oder 3 neben einander in aller grandezza einherschreitenden, ihre Pfeife in aller Gemüthlichkeit rauchenden langbekaftanten Leuten nicht vorbeikommen

In diesen engen Strassen nun sieht man an den Häusern hin lange schwarze Breter an den Thüren herunterhängen, mit grossen goldenen Buchstaben bemalt u. ausserdem erblickt man, wenn man eine Strasse entlangsieht, nichts als Menschen und einige Fruchtund Gemüsestände, die auf beiden Seiten noch sich aufgepflanzt haben, um die Strassen noch zu verengen, und die beim Vorübergehen oft den widerlichsten Geruch von den an der Sonne getrockneten Fischen verbreiten. Tritt man in einen Laden, um etwas zu kaufen, so versammelt sich eine grosse Menge müssiger Leute vor der offenen Thüre, um zu sehen, was wohl der fremde Teufel (fankwei) kaufen möchte, und kann man sich nicht recht verständlich machen oder mit den Leuten nicht zu Fache kommen, so verbreitet sich vor der Thüre ein Gemurmel des Verwunderns, das nur noch mehr Leute anzieht, und zum lauten Hohngelächter wird, wenn ein Mann im Laden etwa einen chinesischen Witz machen sollte, der auf unser eines Kosten gemacht, geduldig ertragen werden muss, weil man ihn nicht recht versteht.

Die Leute verrathen überall die grösste Neugier alles an einem Europäer zu beobachten, namentlich in Ningpo, wo noch wenig Europäer verkehrt haben, u.wo die Chinesen mir in dem Gesichte herumgefühlt, meine Haare, Augen, Nase, Bart etc. untersucht und meine Mütze und Brille, die einzigen Gegenstände, die sie in die Hände bekommen konnten, mit der grössten Verwunderung beobachtet haben. Besonders letztere erregte Aufmerksamkeit, da die chinesischen Brillen, die viel getragen werden, breite Messingränder u. Gläser haben, die wenigstens 2 Zoll im Durchmesser haben. Der Bügel ist breit und wird durch einen besondern Stift von der Stirn entfernt gehalten, statt der Stangen sind zwei Bindfadenschlingen, die um die Ohren geschlungen werden.

Da unser Capitän sich sehr freundlich gegen sie erwies, hatten wir stets Unmassen von Besuchern auf dem Schiffe, die Alles genau untersuchten und bewunderten, aber auch oft Kleinigkeiten mitgehen hiessen, weswegen wir später weniger gastfreundlich waren.-

Kommt man zu einem Chinesen ins Haus, so wird man sehr freundlich bewillkommet und erhält sofort eine Pfeife und eine Tasse heissen Thee, welcher aber erbärmlich dünn ist und ohne Zucker und Sahne getrunken wird. Als besondere Höflichkeit wird einem manchmal Zuckercandis zugegeben, die einzige Art guten Zuckers, den die Chinesen haben. Oft bekommt man sehr guten Thee, der in der That besser ohne Zucker schmeckt, oft aber auch sehr schlechten. Die Blätter des letzteren sind lang und ungerollt und füllen gewöhnlich die halbe Tasse. Diese letzte Sorte, die älteren Blätter des Strauches, haben wir später selber auf Bergen, auf denen einzelne Sträucher cultivirt wurden, gesammelt. Der Busch wächst wie ein Stachelbeerstrauch, natürlich mit andern Blättern und ohne Stacheln; die Aeste sind aber eben so störrig und bei alten Sträuchern weiss. Die chinesische Abkochung davon ist sehr dünn, wird aber den ganzen Tag fort getrunken u. dient ihnen so wie Wasser. –

Von Pfeifen haben sie zweierlei, einmal die lange mit kleinem Kopf, und dann die Wasserpfeife, die aus einem gekrümmten Metallhals besteht, der sich unten trompetenartig erweitert und oben in der Erweiterung ein Loch hat, in welches eine unten offene Röhre gesteckt wird, in deren oberem Ende eine kleine Abtheilung ist, worin der Tabak auf einem siebähnlichen Boden liegt. Das Ganze steht auf einem ausgeschweiften Fusse. Der untere Theil wird mit Wasser gefüllt, durch welches der Rauch zieht, ehe er zum Munde kommt. Man hält einen aus besondrem Papier gemachten Fidibus, der, wenn er angeblasen wird, aufflammt, auf den Tabak, zieht dann solange, bis man den Athem verliert, und bläst dann den Rauch von sich. Nach einigen Minuten wird der Fidibus, der inzwischen langsam fortglimmt, wieder angeblasen, und wieder ein mächtiger Zug gethan, bis der wenige Tabak in 2-3 Zügen aufgebrannt ist. Dann wird wieder gestopft und sofort vielleicht für eine Stunde, in welcher die Leute nichts thun, als ruhig da sitzen, in der rechten Hand die Pfeife, die kleine Tabaksdose und den Fidibus, mit der linken dann u. wann den Fidibus aufnehmend und anblasend. Die Menschen hier haben überhaupt eine Gemüthsruhe, die grossartig ist.

Im Sommer tragen sie in ihren Häusern, die sehr geräumige Hallen haben, blos Beinkleider, Leinwand- oder Seidenstiefeln statt der Strümpfe und ihre klumpigen Schuhe mit 2 Zoll dicken Sohlen; die Oberkörper lassen sie ganz unbedeckt; wenn sie ausgehen, werfen sie eine leichte grass Clothjacke über und darüber hinweg einen langen, oft seidenen Kaftan, der am Halse ohne Kragen anschliesst und ohne Taille oder Gurt bis an die Knöchel reicht; die Aermel sind weit und lang. Die lange Pfeife und Fächer sind ihr steter Begleiter, wenn sie auf dem Hause gehen; letztere halten sie über die Stirn, um die Sonne abzuhalten, da sie im blossen Kopfe ausgehen, und im Hause benutzen sie ihn zum Fächeln. Dies die Mittelclasse, die Kaufleute, mit welchen ich hauptsächlich zu thun hatte; Aermere sind noch spärlicher in ihrer Kleidung.

In Ningpo, als ich einen meiner Kunden, den Story Jaiki, besucht hatte und bei einem andern war, schickte ersterer mir nach, um mich zu Tisch einzuladen und sein Diener nahm mich sogleich früh 10 Uhr in Beschlag. Glücklicherweise hatte ich meinen Shroff bei mir, denn mein Kunde sprach kein Wort Englisch, und meine Kenntnis des Chinesischen beschränkt sich jetzt nur auf 12 oder 20 Wörter; u. es war mehrfach vorgekommen, dass wir uns halbe Stunden gegenüber gesessen hatten, Pfeifen rauchend und Thee trinkend, ohne ein Wort der verständlichen Unterhaltung. Ich wurde in eine Hinterstube geführt und sogleich mit einer brennenden Pfeife bewirthet, die mir brennend im Munde eines schmuzigen Chinesen entgegen gebracht, dann von ihm mit den Fingern abgewischt und mir zum Weiterrauchen angeboten wurde.  (Ueber solche Kleinigkeiten muss man sich in China wegsetzen; es ist mir häufig an Bord passirt, dass die Leute, die nie vorher eine Cigarre gesehen hatten, mich um meine brennende Cigarre baten, sie deliberirend eine Zeitlang fortrauchten, dann mit den Fingern sorgfältig abwischten und mir wiedergaben, damit ich weiter rauchen sollte.) Nachdem ich so mehre Pfeifen geraucht und kleine Tassen Thee getrunken hatte (welche nur halb so gross als unsere gewöhnl.Caffeetassen sind) und durch den Shroff und ein englisch-chinesisches Conversationsbuch eine Art Conversation geführt hatte, wurden Früchte aufgetragen, bobi, eine Art gelber sehr saftiger grosser Pflaumen, mit drei Kernen, wie grosse Caffeebohnen in der Mitte, die aber wie Aepfel die Blüthe am unteren Ende zeigen, dann kleine grüne Aepfel, die keinen besondern Geschmack besassen, und laichi, eine eigenthüml., der Erdbeere äusserlich gleichende, aber doppelt u.dreifach so grosse zwischen Zwiebel und Pfirsich sehr sonderbar schmeckende Frucht. Zu diesen Früchten trank man ein warmes Getränk, spirituös, das mir widerlich schmeckte und das, wer weiss aus was, bestand. Aus besonderer Artigkeit schälten die Leute die Pflaumen mit ihren langen schmuzigen Nägeln für mich, (ich habe Nägel gesehen, die ohne Uebertreibung halb so lang waren, als die Finger, an denen sie wuchsen, - dies gilt als besondere Schönheit - gewöhnl. sind sie aber etwa ½ Zoll lang) und ich konnte sie nicht dazu bringen, dies Geschäft mir selbst zu überlassen. Teller wurden nicht gegeben, sondern die Schalen und Kerne wurden auf den Tisch gelegt oder in die Stube, deren Fussboden so schmierig als möglich war, geworfen. Nach dem Fruchtgange kam allerhand Backwerk, das meist sehr schwer und süss ist, wovon man mir haufenweise mit den Fingern auf meinen Platz legte. Ein Lieblingsbackwerk sind eine Art Pasteten mit unausgebackenem Teige und mit Früchten oder noch lieber mit einer Mischung von Knoblauch, Zwiebeln, Fisch etc. gefüllt.-

Nach diesem Frühstück begann wieder das Rauchen und Theetrinken. In dieser Zwischenzeit passirte mir eine lächerliche Geschichte. Ich sass meist ruhig da, hörte um mich herum chinesisch sprechen, da alle Nachbarn nach und nach ihren Besuch machten, um mich anzugaffen, liess allerhand Bemerkungen über mich ergehen (da ich aus den Geberden abnehmen konnte, dass sie über mich sprachen) und fand meine einzige Unterhaltung in der Pfeife, da mein Shroff seinen eigenen Geschäften nachgegangen war. Da wurde ein Sessel in das Zimmer gebracht und mir zu verstehen gegeben, darauf Platz zu nehmen. Ich erklärte zwar, dass ich ganz gut auf meinem Platze sässe, aber da die Leute kein Wort verstanden und fortfuhren, mich auf den Sessel zu nöthigen, so that ich ihnen den Gefallen. Plötzlich sehe ich aber ein Tuch mir um den Hals geschlungen und auf der Brust ausgebreitet, und als ich mich umsehe, gewahre ich, dass ein Mann mit einem ungeschickten Rasirmesser, so gross wie ein hachébeil alle Anstalt macht, mich zu rasiren. Ich springe auf und erkläre, dass ich mich früh selbst rasirt habe, aber da dies natürlich auch in den Wind gesprochen ist, fahren die bezopften Gesellen mit aller Kaltblütigkeit fort, mich auf den Stuhl zu nöthigen, um mich nolens volens balbiren zu lassen, während ich mit umgebundener Serviette in ihnen unverständlichen Zungen dagegen protestire, besonders weil ich fürchtete, dass der chinesische Bartkünstler meinem Backenbarte, der von ihnen nie getragen und hässlich gefunden wird, Gefahr drohe.- Da erschien mein Shroff, der zu allgemeinem Gelächter erklärte, dass er den Barbier für sich bestellt habe, um sich den Kopf scheeren, shampooen, und den Zopf flechten zu lassen. –

Vor dem Essen wurde Opium geraucht und ich hatte Mühe, die Einladung dazu abzuwehren. Die Leute legten sich, oder auf gut Deutsch flegelten sich, auf eine Art breites Sopha von Rohr geflochten, worauf Kissen lagen und die nöthige Opiumlampe stand, darauf wurde ein kleines Stück Opium an dem Lichte geschmolzen und mit einem Draht, mittels welchen es wie Siegellack Fäden zog, in einen Pfeifenkopf, der eine ganz kleine Oeffnung hat, gebracht. Diese Füllung hielt nun der Betreffende ans Licht, that 3 bis 4 Züge, und damit war die Pfeife geleert. Mein Wirth rauchte 2 Pfeifen und erschien nachher etwas betäubt oder berauscht.

Endlich wurde das Mittagessen aufgetragen. Mein Wirth und mein Dolmetscher bedienten sich der Chopsticks (der kleinen hölzernen oder Elfenbeinstäbchen, mit welchen die Chinesen essen.) Aus besonderer Aufmerksamkeit für mich aber hatte man mir Messer und Gabel besorgt und mir einen Teller gegeben, während die andern keinen hatten. Jeder hatte eine kleine Tasse, woraus das schon erwähnte spirituöse Getränk getrunken wurde u. einen kleinen Porzellanlöffel, der auf dem Tische steht, wie man bei uns ungefähr die Medizinlöffel hat. Der aufgetragenen Schüsseln waren eine Menge, in 5 oder 6 war verschieden bereitetes ragout von Schweinefleisch, meist sehr fett und unappetitlich, ein Teller voll Speck, ferner kalter u.warmer Fisch, Geflügel, gekochte Eier, ganz u. in kleinen Stücken, Sallat, Krebse, shrimps (eine Art Diminutivkrebse, die man in Norddeutschland Granaten nennt) etc.etc. Mein Wirth riss mit seinen chopstiks kleine Stücke ab u. legte sie mir auf den Teller (das Fleisch ist alles sehr klein geschnitten) während er selber mit diesen Stöcken ass. Flüssigkeiten, als namentl. die fetten Ragoutsaucen wurden in die kleinen Löffel geschüttet u. aus diesen verzehrt; auch dienten diese den Chinesen als Teller, wenn sie ein zu grosses Stück erst klein zupfen wollten. Brod wurde nicht gegeben, dessen Stelle trockner Reis in grossen Tassen versah; die Chinesen leerten jeder seine Tasse mit grosser Bequemlichkeit. Ich wurde sehr genöthigt und konnte dem steten Zureden endlich nicht anders ausweichen, als &ass ich alles auf dem Teller liegen liess, wo sich ein schönes mixtum compositum versammelte . –

Darauf ging Rauchen u.Theetrinken wieder an. Ich war froh von diesem chinesischen Diner wieder los zu kommen, und befand mich erst dann wieder förmlich wohl, als ich in vollem Regen wieder an Bord unter verständlichen Menschen, in Reinlichkeit und unter den Schutz englischer Küche kam.- Auf dem Heimwege besuchte ich einen andern Chinesen, der aber, als von Canton, viel civilisirter war, und mir englisches Bier in Theetassen vorsetzte.

Die Häuser der Chinesen bestehen in ihren besten Theilen aus grossen steingepflasterten Hallen, an deren Wänden entlang kleine Tische zwischen Stühlen stehen und in deren Hintergrund gewöhnl. ein erhöhter Sitz unter einem verzerrten Bilde sich befindet; ein Ehrenplatz, oft aber auch eingenommen, um desto bequemer zu sitzen, da er gepolstert ist. Die andern Gemächer sind meist elende Löcher, worin die Familie wohnt, und dorthin kommt ein Fremder selten, da die Frauen sich dem Anblicke sorgfältig entziehen.

Diese sind nicht besonders hübsch, vorspringende Backenknochen, dicke Lippen bei oft sehr kleinem Munde, winzige Nasen, die dem Gesichte einen platten Ausdruck geben, und kleine langgeschlitzte Augen, die von unbedeutenden sehr hoch über denselben sitzenden Augenbrauen überschattet werden. Sie haben eine sehr niedliche Art, das Haar zu tragen, das glatt vom Kopfe aufgenommen und in den Zopf geflochten wird. (coiffure à la chinoise) Der Zopf aber wird in eine besondre Form gebunden, die gewiss Nachahmung finden würde, wenn die europäischen Damen sie verständen oder vielleicht auch gleiche Haarfülle hätten. Ohne perruquier zu sein, will ich versuchen, eine Idee davon zu geben. Die übrigen Haare mit Ausnahme der Locken (Seiten-) partieen werden glatt zusammengenommen und durch eine metallne kurze Röhre gezwängt, die dem Zopfe eine contense Form gibt. Diese etwa 1 oder 2 Zoll hohe Röhre steht auf dem Scheitel; aus ihr erhebt sich in stolzem Bogen der eng zusammengewundene Zopf, der unten wieder locker gelassen, um diesen Theil wieder herumgewunden, aber durch eine Spange an dem Kopf wieder gehalten wird, so dass nur der Bogen prominent ist. Die Seitenpartieen der Haare werden dann zusammengenommen und auf einem zu diesem Zwecke getragenen Draht als eine Art Fächer am Hinterkopfe im Nacken ausgebreitet. Dies giebt ein originelles Aussehen und die ganze Coiffure aus glänzend schwarzen Haaren - andersfarbige Haare giebt es in ganz China nicht - mit der emaillirten oder goldenen Spange und dem Quappenschwanze hat mir sehr gefallen. Nachstehende Skizze wird es deutlich machen; das en face Porträt stellt eine chinesische Schönheit vor, wie man sie selten findet, und das Gesicht ist für eine Chinesin eher noch geschmeichelt.

Die Jacken schliessen am Halse eng an und sind gewöhnlich schwarz eingefasst und reichen bis ziemlich an die Kniee, aber ohne alle Taille, dann folgen weite Beinkleider und die berühmte chinesische chaussure. Die Füsse der Frauen sind anscheinend sehr klein, und wenn man ihre Schuhe sieht, erstaunt man, wie es möglich ist, einen menschlichen Fuss hineinzubringen. Indess hier steckt eine heimliche Verstellung dahinter, und ich bin undelikat genug gewesen, die ,Sache einer Okularinspection zu unterwerfen, verfehle auch nicht das Geheimnis des schönen Geschlechts des Reiches der Mitte zu exponiren. Der Fuss wird mit Bandagen fest zusammengeschnürt und zwar so, dass wenn man auf den Zehen steht, der Raum hinter diesen künstlich ausgefüllt u. erhöht wird. Dadurch wird die Fusshölung zum Theil ausgefüllt und blos dieser Theil kommt nebst den Zehen in den Schuh, während der ganze hintere Theil des Fusses, die Ferse, gar nicht im Schuhe ist, sondern durch eine eng anliegende Art Strumpf als Bein figurirt. Viele Füsse sollen auch durch das feste Schnüren ganz verkrüppelt sein.- Durch diese Binderei wird natürlich alle und jede Bewegung in den Knöchelgelenken verhindert u.die chines.Frauen wackeln beim Gehen hin und her wie fette Enten. Sie sind meist wohl genährt, aber klein, und wenn man die kurzen dicken Figuren mit ihren kleinen langgeschlitzten Augen auf ihren Fussstelzen auf einen zuschwanken sieht, in blossem Kopf mit vorgehaltenem Fächer, so muss man sich starken Zwang anthun, um nicht für immer an der Poesie weiblicher Anmuth und Schönheit zu verzweifeln.

Die Männer sind starke muskulöse Figuren und ziemlich braun, wenn sie zu der Arbeitsklasse gehören; die vornehmeren dagegen sind schwächl. gebaut u. zieml.weiss, sehen aber alle durch ihr Opiumrauchen ruinirten schwindsüchtigen Trunkenbolden ähnlich. Wer über 30 Jahre alt ist, trägt einen Schnurbart, den einzigen Bart, den sie tragen; das Haupt ist kahl geschoren bis auf einen Kreis von etwa 2 Zoll Durchmesser zunächst dem Scheitel, welcher die langen in einen Zopf, geflochtenen Haare liefert. Falsche Zöpfe sind gang und gebe; dagegen haben Einzelne süperbe Exemplare aufzuweisen, so stark wie ein Frauenzopf und bis in die Kniekehlen reichend. Das Ende wird mit Schnüren verflochten u. reicht in einem oder 2 seidenen Büscheln oft bis zu den Fersen herab. Auf diesen Zopf wird viele Aufmerksamkeit verwandt; er wird regelmässig von Haarkünstlern geflochten und durch Oel glänzend schwarz gehalten. Den Verbrechern wird er abgeschnitten. In jeder Strasse und alle 10 Häuser sieht man einen Barbierladen, wo allerhand Operationen vorgenommen werden. Einzelne gehen mit ihren Instrumenten und einem Stuhle herum u. beginnen ihre Operationen überall wo sie einem begegnen, der sich ihrer bedienen will, in öffentl.Plätzen u.Strassenecken. Sie künden sich durch Zusammenzwicken von metallnen Zangen an, die ein lautes Geräusch abgeben.

Ein widerlicher Anblick sind die Bettler in den Strassen, die, ausgehungert, zerlumpt, voll Ungeziefer u.Krankheitsstoff, vor den Thüren stehen u.in grellen Tönen ihr Leid klagen. Sie zu sehen ekelt an, sie längere Zeit zu hören, könnte einen zur Verzweiflung bringen.

An öffentl.Plätzen, deren es nur wenige giebt, und die ausser einem grossen Raum in Shanghai, den Teagardens, nur in grösseren Räumen vor Tempeln und josshäusern bestehen, sieht man ausserdem Senftenträger, Eckensteher, Guckkasten und Spielplätze, wo die Leute auf der Erde liegend ihr Geld verspielen, gewöhnl. durch einen auf einer numerirten Scheibe herumgedrehten Zeiger. Die teagardens in Shanghai bestehen aus sehr ausgedehnten Gärten mit Teichen u. darin auf Inseln erbauten Lusthäusern, künstlichen Grotten u. hübschen Anlagen, mit allerhand sonderbar gebauten Häusern ausgeschmückt. Hier sieht man in den verschiedenen Gebäuden zu jeder Stunde des Tages Tausende von Chinesen sitzen, Thee trinken u. rauchen. Der Platz ist durchaus ausserstande, das Wasser ist stehend und übelriechend, besonders im heissen Sommer und der Ort ist keinenfalls respectabel, besonders nicht die Grottenpartieen, die hier bei Sonnenschein viel Aehnlichkeit mit dem Leipziger Park in Mondbeleuchtung haben.

Interessant sind die Tempel oder josshäuser, wie sie gewöhnl. genannt werden, da der Hauptgott joss heisst. Sie zeichnen sich schon von aussen durch grössere Bauart, breite Thore, hohe Dächer mit ausgeschweiften Simsen, Drachen u.andere Figuren verziert, aus, u. nehmen oft einen enormen Raum ein. Kommt man in einen solchen Tempel, so stieren die wunderlichsten Figuren einem in die Augen, Abbildungen v.Gottheiten, die aber in der Abbildung als Götter verehrt werden.

Der Gott, der vorzugsweise joss heisst, wird als ein überaus fetter, feister, besonders comfortable looking Bursche abgebildet, der in einem Stuhle sitzt u. lacht. Er hat überall dieselbe Physiognomie, wie denn überhaupt Copieen v.Allem so treu in China gemacht werden, dass man sie vom Original nicht unterscheiden kann, und wer ihn einmal gesehen hat, erkennt ihn sofort wieder. Umgeben ist er gewöhnl. von vier enormen Gottheiten, die theilweise Schwerter halten, theilweise Guitarre spielen, theilweise auch in nichtsthuenden Positionen u. grotesken Anzügen ihre gigantischen Proportionen zeigen. Das sind die häufig vorkommenden Tempel, die ausserdem mit allerhand Trommeln, Becken u.andern betäubenden Lärm verursachenden Instrumenten angefüllt sind. Vor ihnen ist ein Tisch mit allerhand Räuchergegenständen, und die gewöhnl.Art der Anbetung besteht darin, dass die Leute ein Bündel eigenthüml.gemachter Fidibusse, ich glaube von Sandelholz gemacht, anzünden u.während diese vor dem Götzen glimmen, in fortwährenden Verbeugungen demselben ihre Devotion bezeugen.- Ausser diesem einen Gott haben sie aber noch eine Menge Anderer für verschiedene Dienste; einen Doctorgott, eine Meeresgöttin u.s.w. Bei grossen Festen wird allgemein chin chin joss gemacht, d.h. Götzendienst gehalten, ohne indess Opfer zu bringen, und dies geschieht mit sing song oder mit enormem Spektakel, den sie Musik nennen.

Unfern Chusan ist eine Insel Pootoy, den Götzen besonders gewidmet. Wir machten eine Partie dorthin, und erstaunten über die Menge Tempel. Die Insel ist nicht gross, enthält aber gegen 400 josshäuser und noch 6000 Buddhapriester, während früher über 10000 dagewesen sein sollen. Aus einem Tempel geht man in den andern; und in manchem sind mehre hundert Figuren, meistentheils aus Holz gemacht, mit Gyps oder Lehm ausgearbeitet u. vergoldet, oft aber auch mit seidenen Gewändern angethan. Die Priester sind sehr elend aussehende Menschen, die aus den verschiedenen Theilen China's zusammengelaufen sind u. keiner besonderen Ehrfurcht vom Volke geniessen. Sie tragen keine Zöpfe, sondern ganz glatt geschorene Häupter u. einen etwas verschiedenen Schnitt in ihren langen Gewändern.

Dem Doctorgotte sind Bücher gewidmet; wir hatten einen Priester bestochen, uns einige davon zu schenken, da er keine davon verkaufen wollte; der Oberpriester jagte sie uns aber wieder ab, mit der Bemerkung, dass, wenn wir sie behielten, sie alle krank werden würden. Aus der Uebersetzung dieser Bemerkung durch unsern Dolmetscher konnten wir nicht recht klug werden, ob es die joss seien, die krank würden, oder die Priester.

Auf den Junken, den sonderbarsten Schiffen, die existiren und die viel Aehnlichkeit mit den alten römischen Kriegsgaleeren haben, wird dem Wassergott fortwährend geopfert, i.e. Gold- u. Silberpapier verbrannt in Form von Papierschiffchen, die man nachher schwimmen lässt. Um aber den bösen Geistern des Meeres bange zu machen, haben sie auf dem Vordertheile Tigerköpfe u. sonderbare Geschöpfe, die das Aufsteigen besagter boshafter Gottheiten verhüten sollen.

Wenn man alle diese so sehr an das classische Alterthum und die alten Aegypter erinnernde Sachen mit eigenen Augen sieht, so wird das Interesse besonders gesteigert und der Historiker müsste überall Anhaltepunkte finden. Auf Pootoy sieht man alte in Felsen gehauene Monumente, die den alten ägyptischen ähnlich sind und gewiss gleiches Alter haben, ebenso alte Portale etc., die in graues Alterthum hinausreichen. Wie wenig in der chinesischen Aera die Zeit vorgeschritten ist, davon zeugt der Umstand, dass Confucius und seine Lehre in so warmem Andenken sind, als wenn er vor wenigen Jahrhunderten gelebt hätte, während seine Zeit 400 Jahre vor Christus fällt.

Alle diese Alterthümer verfallen indess jetzt mehr und mehr, der Einfall der Europäer in das Reich wird in wenigen Jahren tausendjährigen Constitutionen den Todesstoss geben, u. ich gratulire mir, dass ich jetzt noch im Stande bin, die Nation u.deren Sitten u. Gebräuche zu sehen, wie sie seit grauem Alterthum existiren u. von denen man in wenigen Jahrzehnten nicht mehr zu viel finden dürfte.

Mit dem Studium der Sprache habe ich mich bis jetzt noch nicht befassen können. Die Zahlen u. einige alltägl.vorkommende Wörter habe ich behalten; das ist Alles. Es ist meist Gedächtnissache, da die Wörter alle Monosyllaben sind u., in zehnerlei verschiedenen Modulationen ausgesprochen, zehnerlei Bedeutungen haben. Geschrieben wird alles mit Tusche und einem spitzen Pinsel von Cameelhaar; auf Schreiben werde ich aber noch lange nicht sinnen; sich in Conversation verständlich zu machen, ist der nöthigste Vorschritt vor der Hand, und dann sind wieder die verschiedenen Dialecte, so dass, wenn ich z.B. mich in Canton verständlich machen könnte, ich doch in den nördlicheren Provinzen nicht verstanden werden würde, und wo später mein Hauptaufenthaltsort sein wird, liegt noch im Schoosse der Götter.

Ich erwarte Harkort in Hongkong oder Canton zu finden, und da Calcutta besucht werden muss und zwar in der Jahreszeit v.September bis Februar, so wird einer von uns baldigst dorthin gehen, wenn nicht Beide. Am wahrscheinlichsten aber ist mir, dass ich in Canton, Macao oder Hongkong den Winter über bleiben werde, da dies auch dort die beste Geschäftszeit ist. Den preussischen Emissär, Commerzienrath Grube habe ich in Chusan getroffen, und werde in Hongkong wieder mit ihm zusammenkommen. Wir stimmen in der Hauptsache unserer Ansichten überein, in manchen aber auch nicht. Seine Berichte werden zweifelsohne in den Zeitungen publizirt.

Da ich einen langen Rapport nach Leipzig zu schicken habe und das Porto diesmal doch einmal bedeutend sein wird, so habe ich nicht angestanden, Euch auch etwas ausführlicher zu schreiben. Andre Male werden die Episteln wohl etwas kürzer werden; freilich muss ich auch etwas Stoff für sie übrig behalten. Es sind nun schon wieder 10 Monate, dass ich von Haus weg bin, und ich hoffe einige Nachrichten von Euch in Hongkong vorzufinden, lasse deshalb auch Platz für eine etwa nöthige Nachschrift.

Mit den herzlichsten Grüssen an alle Glieder der Familie, besonders aber mit erneuten Wünschen für das Wohl der guten Mama, mit der ich später noch manchen 1.September zusammen zuzubringen gedenke, wenn ich den Lohn für meine unruhigen Wanderungen ernte, schliesse ich für heute.

Euer Euch stets aufrichtig ergebener
Richard.

 

Meinen Namen schreiben die Leute folgendermassen:

Dies ist indess die schnelle Art zu schreiben, wie mein Name in den Chops oder Scheinen über einen geschlossenen Handel erscheint, und Leute, die Gedrucktes lesen können, haben Mühe, diese short hand zu lesen, wenn sie nicht daran gewöhnt sind. Ersteres ist, wie ich den Namen aus dem Mandarinendialect herausstudire. Dieselben Zeichen würden aber im Cantondialect z.B. Haklowaitzi ausgesprochen werden, und so schreibt natürlich jeder Dialect den Namen verschieden, je nachdem er die verschiedenen Zeichen selbst ausspricht, um sie dem Klange zu assimiliren.

 

Hongkong, 24. Septbr. 1844.

Am 6. bin ich glücklich hier angekommen u.habe A's Brief vom 11.März mit einigen Zeilen v. M. u.C. vorgefunden Harkort habe ich hier getroffen gerade 2 Tage, ehe er nach Manila ging. Ich bin bis jetzt hier gewesen, habe aber eine kleine Tour nach Canton gemacht, von der ich gestern zurückgekommen bin. Ein elendes Loch! Aber da es ein bedeutender Geschäftsort ist, so werde ich in ca.14 Tagen mit Sack und Pack nach Canton ziehen und bis Januar wahrscheinlich dort bleiben.  Man sieht eine Menge wundernette Sachen, und wenn man nippessüchtig wäre, würde man bald zum Bettler werden. Stellt Euch aber ja keine grossartige Stadt vor, sondern ein Nest mit engen finsteren Strassen mit wogenden Massen schmuziger Chinesen und einigen grösseren Häusern, den Factoreien, die am Ufer eines mit Booten besäeten Flusses liegen. Zwei kleine öffentl.Plätze, nicht grösser als Blochmanns Spielplatz, sind die einzigen Spaziergänge u.Erholungen; Der American Square und der Company's garden. Meine Erfahrungen dort sind indess nur 2tägig; mehre Monate Aufenthalt werden wohl noch verschiedene detaillirte Briefe zur Welt bringen. Wenn der Amerika & Chinesische Onkel mal nach Hause kommt ...... 

     Ich bin vollkommen wohl auf. Tausend Grüsse an Alle.      
Herzlichst der Eure
      
Richard Carlowitz.      

Poststempel Hongkong 25.Sept.1844;
ein zweiter VC 3.Jan.1845, ein dritter:
Bremen, 7.Januar. per overlandmail. via Marseille.


Canton, 2/8.November 1844.

Heute ist es gerade ein Jahr, dass ich den heimathlichen Boden verlassen habe und ich feiere auch diesen Tag am besten durch eine Epistel an Euch. Solche Tage, an welchen irgend ein Umstand die Erinnerung an die liebe Heimath besonders auffrischt, müssen es sein, um den nach und nach an die Fremde sich gewöhnenden Menschen zu sich selber zurückzubringen, und ich habe mich gewöhnt, sie als eigentliche Feier- und Gedächtnistage niederzusetzen.

Mein letzter Brief war vom 1 .Septbr. mit einer Nachschrift einige Wochen später von Hongkong aus, und seit der Zeit habe ich nichts von Euch gehört, hoffe aber, dass bis zum 1.August, von welchem Datum ich einen Brief aus Leipzig schon am 9..October hier hatte, Alles gut gegangen ist; sonst würden mir Harkorts das Gegentheil geschrieben haben.

Ich bin seit dem 1.October hier in der weit und breit bekannten Stadt, und Ihr werdet erwarten, dass ich Euch etwas Ausführliches davon erzählen werde. Ich muss es nun schon in Briefen thun, da ich Euch nicht mehr auf mein Tagebuch verweisen kann, denn dies ist beträchtlich vernachlässigt worden, und ich kann mich noch nicht recht entschliessen, es wieder aufzunehmen, da ich genug zu schreiben und herumzulaufen habe.

Canton ist ein höchst sonderbarer Platz, in der Idee eines jeden Fremden zu Hause als grosse prächtige Stadt hingestellt, aber in der Wirklichkeit ganz bedeutend von jeder vernünftig gehegten Erwartung abfallend .- Kommt man von Hongkong oder Macao in seinem Fast-boat entweder allein für 15 doll., oder von einer Menge Chinesen umgeben für 10 d. den Cantonfluss herauf, hat man sich durch die den Fluss infestirenden Diebsboote ohne Anfälle glücklich durchgeschlagen /- erst gestern ist ein Boot angefallen, mehre Passagire verwundet und getödtet und 30 Kisten Opium, eine Affaire von etwa 20000 dollars, geraubt worden-/, die Bocca Tigris mit ihren verschiedenen neu aufgebauten Forts passirt, die vielen bei Whampoa liegenden Schiffe vorbeigesegelt, sich an den schönen Ufern von Whampoa ab ergötzt, und sich durch eine über die ganze Breite des Flusses zwischen zwei Forts gelegte Barricadirung von Steinen und Klötzen durchgezwängt - so verkünden einige wenige elende Hütten am Ufer und zunehmende Masse von Booten und Junken zuerst die Nähe von Canton. Man fährt bei einer 9 Stockwerke hohen Pagode vorüber und wird unmerklich in ein endloses Gewimmel von Booten und allerhand schwimmenden Fahrzeugen verstrickt, dass man ausser dem Schein von einem andern Fort und mehren Häusern durch die Junkenmaste durch gar nichts mehr sieht, sondern nur einen widerlichen Lärm von den Leuten der Boote, bei denen man sich vorbeidrückt oder die sich vorbei arbeiten, vernimmt, der bis zum Unerträglichen sich steigert. –

Endlich wird man einige grössere Häuser gewahr und der Star-spangles banner verkündet die Amerikanische Factorei und neben ihr die andern Hong1s. Die französische Flagge sieht man auch, aber die englische ist auf einem so elenden Flaggenstock, dass man sie nicht zu Gesicht bekommt.- Die Ansicht dieser 6 Haupthongs sieht man auf vielerlei Bildern recht hübsch abgemalt, aber in Wirklichkeit sieht das Ding verzweifelt anders aus; von dem schönen freien Platze, in dessen Mitte der amerikan. Flaggenstock steht, bemerkt man nichts, einige grüne buschige Umrisse im Hintergrunde abgerechnet, und die Unmasse von Booten im Vordergrunde benimmt alle Freiheit des Panorama.- Mit meiner nächsten Sendung nach Leipzig sende ich Euch einige Ansichten. –

Genug, man ankert mit dem Fast-boat inmitten einer Menge anderer Boote und wird mit einem infernalen Lärm empfangen. Andere befreundete Boote begrüssen den neuen Ankömmling mit einer von diversen gongs und hölzernen und metallenen Trommeln hervorgebrachten Jubelouvertüre, die gebührender Massen in gleichem fortissimo, zugleich aber mit reellen Knalleffecten von, in dankender Anerkennung für zurückgelegte glückliche Reise zu Ehren der Josse (Gottheiten) abgebrannten Massen von Schwärmern und fire-crackers, erwiedert wird; dazu die schmelzenden Töne von einigen Dutzenden in den umliegenden Booten befindlicher Kinder, und das Schreien und Schimpfen der Leute sich durcharbeitender Boote und die schreienden Anerbietungen von einigen Dutzend Weibern, die einen in ihren kleinen Booten ans Land bringen wollen. Alles zusammen auf einmal. So mein erster Einzug in Canton, mein zweiter war zwar momentan etwas ruhiger, weil er in der Nacht stattfand, aber desto unangenehmer für den Rest der Nacht, da ich auf dem Boote schlafen musste, buchstäblich eingeschlossen von kleinen Kähnen, in deren jedem (vermöge der Prädominanz gewisser Cumps in den chines.Schädeln) wenigstens ein kleiner Sprössling, da aber häufig mehre Familien in einem Boote wohnen, oft mehre, ihre unverstandene Sprache in die Nacht hineinschrieen.- Auf diesen Booten im Cantonflusse sollen 2-300 Tausend Menschen leben! Manchmal sieht man ganze Strassen von schönen, prächtig geschnitzten und verzierten Booten, die mit ihren Schnabelenden nebeneinander ganze Häuserreihen bilden, schönstens ausgeschmückt, des Abends prächtig erleuchtet, so dass man oft sich in eine Strasse zwischen die zierlichen Shops versetzt glaubt. –

Vom fastboat dann landet man in einem kleinen Boote, meist von Weibern gerudert, und befindet sich sofort in einem Gewühl von Menschen, die unablässig hin- und herlaufen, von Lastträgern, wandernden Barbieren, herumziehenden Conditoren und Fruchtverkäufern, Fischhändlern, Tabuletkrämern etc. und bekommt in den ersten 10 Minuten, besonders, wenn die Leute einem ansehen, dass man nicht recht Bescheid weiss, 50 Offerten, mit in die Shops zu gehen und silks, Crape shawls, ivory and mother of pearl Curiosities zu kaufen; denn jeder shop hat seinen Abgesandten, der Fremde haschen und zum Kaufen verleiten soll; und ist man einmal in einem dergleichen Shop, so bringen die Leute allerhand so nette Sachen, dass man sie alle haben möchte; und gewiss selten geht Einer wieder fort, ohne Geld sitzen zu lassen.

Ein Gasthaus giebt es in Canton nicht - ein früher bestandnes ist eingegangen - und wenn man nicht bei irgend Jemandem eingeführt ist, der Einem ein Zimmer anbietet, wie dies hier allgemein Sitte, so weiss man durchaus nicht wohin. Nachdem ich einige Tage bei einem befreundeten Engländer gewohnt hatte, - länger konnte ich nicht bleiben, da alle diese Leute selber nur eine Fremdenstube haben - gelang es mir endlich, in einem Chinesischen Hause ein Paar Zimmer zu finden, für die ich - was in Canton ganz rasend billig ist - mit Essen, i.e. Frühstück, Lunch, Mittagessen und Thee, 3 dollars =  4 preuss.Thaler, per Tag bezahlte. Und dafür bin ich ganz miserabel aufgehoben, zwischen Breterverschlägen, in einer Stube ohne Fenster, dabei ein kleines Schlafstübchen und ein drittes Behältnis für meinen Diener. Ohne  einen Diener kann hier Niemand sein, und wenn man zu Tisch gebeten wird, muss der boy allemal mit, um hinter seines Herren Stuhl auf dessen besondern comfort zu sehen. Ausserdem kann man auch ohne einen solchen der Sprache wegen nicht fortkommen. Mein Boy, ein Mensch grösser als ich, ein schön bezopfter Chinese, spricht recht leidlich Englisch und ist für seine 6 doll. per Monat recht brauchbar.-

Wie "independent" die Leute hier sind, davon nur ein Beweis. Neulich fand ich beim Nachhausekommen einen fremden Herrn in meinem Zimmer, ganz comfortabler Weise sein Mittagessen einnehmend, und meine Sachen vor der Thüre. Ich hörte, dass der Wirth ihm das Zimmer angewiesen; dieser aber antwortete mir auf meine Demonstrationen und Wünsche, den fremden Herrn sofort hinauszuweisen, dass er ihn accomodiren müsse, da es ein alter Freund von ihm sei, und dass wenn es mir nicht gefiele, ich ausziehen könne. Der Herr, ein von Whampoa heraufgekommener Schiffskapitän, war undelicat genug, mein Zimmer für 5 Tage zu behalten, und ich - blieb wohnen und behalf mich. Recours hat man hier nicht; die Leute haben einen ganz in den Händen, und wenn ich über kaltes oder schlechtes Essen räsonnire, wird mir die Antwort, dass ich ausziehen könne, wenn es mir nicht recht sei. Ich kann die Leute nicht anders bestrafen, als dass ich wohnen bleibe und meine 3 dollars im Ingrimm verzehre, weil ich nirgend anders hin kann, wenn ich nicht ein Haus für 900-1200 doll. per Jahr miethen und mit eigen gemietheten Leuten eigene Wirthschaft halten will. Mein Contract ist meinen Wirthsleuten zu wenig; sie könnten mehr als 3 doll. p.Tag machen und möchten mich gern wieder hinaushaben.


 

x)  u.selbst an Harkorts habe ich in der Zwischenzeit nur einmal 10.Juli aus
     Schanghai geschrieben.

 

 
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