B I L L   B R Y S O N

Alle wollen zurück zur Natur
. . . aber niemand zu Fuß!

Wozu geh'n, wenn man fliegen kann?*

[Bill Bryson]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
ALS ES NOCH KEIN INTERNET GAB
Reiseschriftsteller des 20. Jahrhunderts

Die Zeit bleibt nicht stehen, und so hat Dikigoros beschlossen, seinen Lesern noch zwei jüngere Autoren vorzustellen, auch wenn sie (noch) nicht so gut sein mögen wie die zuvor genannten (aber was nicht ist, kann ja noch werden) und auch wenn auf sie die Überschrift "Als es noch kein Internet gab" nicht mehr ganz zutreffen mag. Aber wer in der Mitte des 20. Jahrhunderts geboren ist, ist ja noch nicht mit dem Web groß geworden... Eigentlich hätte Dikigoros diese "Reise durch die Vergangenheit" mit einem Exkurs über Bruce Chatwin im Kapitel über Paul Theroux ausklingen lassen können - wenn der denn ein "normales" Alter erreicht und sich tatsächlich noch zu einem "richtigen" Reiseschriftsteller entwickelt hätte; altersmäßig hätte sich eine Zäsur hier geradezu aufgedrängt. Aber zum einen war sein Ende allzu unrühmlich, zum anderen war das Jahrhundert bei seinem vorzeitigen Tode halt noch nicht zuende. Nur zwei Jahre später machte sich einer seiner schärfsten Kritiker auf die Socken, dem man das gar nicht zugetraut hätte: ein übergewichtiger, einst rot- aber inzwischen graubärtiger Amerikaner, der innerlich längst zum Limey mutiert war (hätte er sich sonst in Yorkshire nieder gelassen und eine Britin geehelicht?) und eigentlich in die Kategorie derjenigen fiel, die nicht unvoreingenommen durch die Lande reisten, sondern im Auftrag einer Zeitung oder eines Senders, um ganz (vor-)bestimmte Ergebnisse nach Hause zu bringen, wie so viele andere Journalisten, die Dikigoros in seiner Einleitung "aussortiert" hat. Doch eines schönen Tages im Jahre 1990 bekam Bill Bryson einen Rappel und sagte sich: "All die schönen Länder, die ich 17 Jahre lang immer nur beruflich abgegrast habe, will ich jetzt endlich auch einmal richtig bereisen." Sprach's und zog los, auf den Spuren seiner ersten Rucksack-Reisen, die ihn 1972 (alleine) und 1973 (mit seinem Schulfreund Stephen Katz - nicht verwandt und nicht verschwägert mit Richard Katz) durch Europa geführt hatten, das er bis dahin - wie so viele Amerikaner - für "ein Land" mit "einem Volk", eben "den Europäern" gehalten hatte. Erst in Belgien war ihm aufgefallen, daß Flamen und Wallonen einander nicht ausstehen konnten und nur durch den gemeinsamen Haß auf Franzosen und Holländer zusammen gehalten wurden... In Luxemburg, der ersten Station seiner Reise, hatte er zum ersten Mal im Leben Zebrastreifen, Straßenbahnen, ungeschnittene Brotlaibe, Baskenmützen und Schweinsköpfe gesehen - erstaunlich, was sich einem jungen Menschen so ins Gedächtnis einprägt! (Dikigoros erinnert sich an seinen ersten und bleibendsten Eindruck von Toronto: die schwarzen Peking-Enten von Chinatown - so etwas hatte er bis dahin noch nicht gesehen.)

Bryson begann seine Europa-Reise 1990 im norwegischen Hammerfest, auf der Suche nach der Mitternachtssonne - dusseligerweise mitten im Winter. Dafür besuchte er das türkische Istanbul ausgerechnet im Hochsommer, als es dort vor Hitze kaum auszuhalten war. Nun, von großer Planung hielt er nichts, und das ist doch irgendwie ein sympathischer Zug. (Auch Dikigoros hat seine erste Indien-Reise mitten im Monsun durchgeführt; und wie es seinen Freund Melone zum erstenmal nicht nur ohne Plan, sondern völlig ungeplant nach Indien verschlug, hat er an anderer Stelle geschildert.) Solche Fehlplanungen und Pannen haben manchmal ihre ganz eigenen Reize, und sei es nur, daß man nicht so viele andere, "klügere" Touristen trifft, weil die genau anders herum disponiert haben. Was Bryson über Deutschland schrieb? "Er mochte Köln nicht" schreibt eine mäkelige Kritikerin. Nun, er mochte auch Brüssel nicht, "eine erschreckend häßliche Stadt" - aber mit guten Restaurants. Genau die vermißte er in Deutschland. "Was ist das für ein Land," fragte er sich schon in der Grenzstadt Aachen, "wo die Leute freiwillig Zungen, Nieren, Pferdefleisch, Froschschenkel, Gedärme, Würste aus geronnenem Blut und die Hirne von kleinen Kühen (er meinte Kalbsbries) essen?" Tja, und mit Köln hatte er schlicht Recht, denn dort kritisierte er vor allem den völlig verschandelten Dom-Vorplatz, zu dem man vom Bahnhof mit einer häßlichen Rolltreppe hinauf fuhr zu einem zugigen, windgepeitschten Betonplatz, "der unbeschreiblich öde und verlassen wirkt." Kein Kölner wird ihm da im Ernst widersprechen wollen. Außerdem fand er es geschmacklos, daß es in deutschen Zeitschriften und Fernsehsendern nur ein Thema zu geben schien: Sex - selbst im Hauptbahnhof gab es ein Porno-Kino! Und in den Schaufenstern nicht die erwarteten Produkte "made in Germany", sondern - wie in den USA - lauter japanische! Damals stand die "Japan Inc." im Zenith ihrer weltweiten Wirtschafts-Expansion, während in Europa und vor allem in Deutschland so einiges den Bach, pardon die Elbe hinunter ging. Zum Beispiel der Hamburger Hafen, einstmals der zweitgrößte der Welt, der nun gerade noch 1.200 Arbeiter beschäftigte... Ansonsten störte Bryson dort genau das Gegenteil von dem, was er in Köln bemängelt hatte: Auf der Reeperbahn war ihm nicht genug los, und die Sexshops konnten sich nicht mit denen in Amsterdam messen. Freilich, auch die "Hauptstadt der letzten Hippies" hatte sich gewandelt: 1973 war das Rotlichtviertel noch fest in einheimischer Hand gewesen; 1990 gab es dort kaum noch eine Holländerin, dafür umso mehr Asiatinnen und Afrikanerinnen. Und sonst? Von Stockholm erinnert er (genau wie Dikigoros) vor allem den stundenlangen Regen, von Italien die Pasta, und von Istanbul neben der bereits erwähnten Hitze die "unerträgliche türkische Popmusik, der man nirgends entrinnen kann". In Griechenland war er übrigens nicht, was schlagend beweist, daß der Gestalter des Schutzumschlags - auf dem ein Tempel der Akropolis von Athen prangt - das Buch nicht gelesen hat. Da war er nicht der einzige: Das Buch, das 1991 unter dem Titel "Weder hier noch dort. Reisen in Europa" auf den Markt kam, hatte nur einen bescheidenen Erfolg; die deutsche Übersetzung - von einem Wiener Verlag heraus gebracht unter dem unglücklichen Titel "Wo bitte geht's nach Domodossola?" [ja, liebe Leser, auch das Italienische hat einige barbarische Rechtschreib-Reformen hinter sich; im 19. Jahrhundert, als Charles Dickens seine "Reisebilder aus Italien" veröffentlichte, schrieb man es noch "Domo d'Ossola"!] wurde gar zum totalen Flop, bald nach seinem Erscheinen remittiert und am Ende mit einem Stempel "Mängel-Exemplar" für 3.- DM verramscht. (Was freilich immer noch besser war als die letzten Remittenden als Isoliermaterial nach Rumänien zu verkaufen, wie es sein amerikanischer Verleger getan hatte - das behauptet jedenfalls Bryson.) Vielleicht lag das auch daran, daß der Verleger einige der interessantesten Passagen als "überflüssigen Ballast" heraus gestrichen hatte - wir werden ihnen weiter unter wieder begegnen.

Doch Bryson ließ sich nicht unter kriegen. 1989 hatte er einen Heimaturlaub in den USA verbracht und war mit dem Zweitwagen seiner Mutter, einem alten Chevy, durch die amerikanische Provinz gegurkt, wo das Leben noch altmodisch war - Betonung auf "noch", denn Bryson bemerkte den Niedergang der alten Lebensformen durchaus, wenngleich er seine Beklemmung hinter vordergründigem Humor zu verbergen wußte. ("Hilarious" - ausgelassen bis heiter - scheint das Lieblings-Eigenschaftswort seines Verlegers, seines Werbeagenten und der ihm wohl gesonnenen Kritiker zu sein.) Und so machte er denn ein Buch daraus und nannte es: "Der verlorene Kontinent. Reisen im Amerika der Kleinstädte". Die amerikanischen Kritiker zerrissen es in der Luft, da es nur "Banalitäten" schilderte, vom Supermarkt bis zum Altersheim. Besonders bemäkelten sie seine penetranten Ausführungen über alles Eßbare, von Genuß bis ungenießbar - Bryson hält das (wie Dikigoros) für viel wichtiger als manche der so genannten "Sehenswürdigkeiten" aus Beton und Blech. Seinen "britischen Humor" legte man "Mr. Bitterman" als "Menschen verachtenden Spott" aus - aber Bryson ließ sich nicht beirren, und es sollte noch nicht sein letztes Wort über die USA sein; zur gleichen Zeit war nämlich eine Sammlung von Reportagen und Aufsätzen entstanden, aus denen später sein drittes Amerika-Buch werden sollte. Dennoch ging der Ullstein-Verlag das Risiko ein, eine deutsche Übersetzung heraus zu bringen unter dem Titel "Straßen der Erinnerung. Reisen durch das vergessene Amerika" - Ullsteins erster Versuch seit Humbert Fink, wieder einen Reiseschriftsteller auf den deutschen Büchermarkt zu bringen. Der Erfolg hielt sich erneut in Grenzen.

1995 kehrte Bryson in die USA zurück, um das Erbe seines verstorbenen Vaters anzutreten, gerade rechtzeitig zum 75. Jahrestag des "Appalachian Trail". Wie heißt es so [un]schön im Untertitel: "Alle wollen zurück zur Natur, aber niemand zu Fuß." Und obwohl Bryson genau so aussieht wie jemand, auf den dieser Spruch voll und ganz zutrifft, strafte er seine Kritiker Lügen: Er wanderte mit Zelt und Schlafsack, Fahrtenmesser und Taschenlampe (und seinem alten Kumpel Stephen Katz) durch die Appalachen, von einem Mißgeschick zum nächsten tapsend, aber nie den Humor verlierend - im Gegenteil, manchmal hat man den Eindruck, daß er Pannen auf Reisen geradezu gesucht hat, wo andere Reiseschriftsteller sich krampfhaft bemühten, sie zu vermeiden: "Die wissen immer alles, verlaufen sich nie und verpassen nie einen Zug," bemerkte er einmal spöttisch (und meinte damit vor allem seine älteren Zeitgenossen Theroux und Chatwin; nach eigenem Bekunden mochte er gar keine Reisebücher - jedenfalls nicht die von anderen geschriebenen, schon gar nicht, wenn sie den Leser belehren oder mit ihrem Wissen beeindrucken wollen). "Und dann wollen sie unterwegs immer alles so haben, wie sie es von zuhause gewohnt sind: Jederzeit eine Tasse Kaffee auf Knopfdruck, eine saubere Toilette, heißes Wasser und eine Dusche; Länder, wo sie das nicht haben können, bereisen sie gar nicht erst." Ja, so sind sie, die Reisenden an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, selbst junge Rucksack-Traveler, die verwöhnten Kids der "Fun-Generation"...

Aber hat nicht Bryson selber bis heute just diejenigen Länder der Dritten Welt in Lateinamerika, Afrika und Asien gemieden, in denen er auf all das hätte verzichten müssen? Wäre er zum Beispiel mal nach Indonesien gefahren, etwa zu den Kopfjägern auf Borneo, pardon Kalimantan, hätte er sich bestimmt nicht mehr über deutsches Kalbsbries aufgeregt - dort steht nämlich "Otak" (Menschenhirn) noch immer ganz oben auf der Speisekarte! Gewiß, Bryson gehört einer jüngeren Reise-Generation an, und auch Dikigoros hat sich seit Mitte der neunziger Jahre nicht mehr in Länder der Dritten Welt getraut (außer nach Indien - aber das ist ein Sonderfall) - aber er mokiert sich auch nicht über andere Leute, die davon Abstand nehmen. Das äußerste, was Bryson sich zumutete, war Istanbul - und was hatte er gleich über das dortige Sheraton Hotel geschrieben: "Der Fernseher funktionierte nicht, und der Wasserhahn spuckte nur eine braune Suppe aus. Dafür zahlte ich nun 150 Dollar pro Nacht." Und wollte nicht schon Colin Ross immer seinen Mercedes dabei haben? Der wäre schwerlich zu Fuß durch die Appalachen gelatscht, schon gar nicht so weit. Im Buchumschlag steht etwas von "2.200 Meilen"; aber die dürften auch Bryson und Katz schwerlich per pedes zurück gelegt haben. Das Buch, das Bryson darüber schrieb, trug im Original von 1997 den Titel "A Walk in the Woods (Ein Spaziergang im Wald)"; der Titel der deutschen Übersetzung, "Picknick mit Bären", mag zwar werbewirksamer sein, aber er trifft schwerlich das eigentliche Anliegen des Autors. Gewiß das Buch ist witzig geschrieben, mit viel vordergründiger Selbstironie - und dazu passen eben die Bären, die ihn beim Picknick stören; aber dahinter verbirgt sich ganz objektiv eine Anklage gegen die Umweltzerstörung, die vor allem in den Wäldern (nicht nur Amerikas) sichtbar wird, und das Plädoyer, etwas für ihre Rettung zu tun. Bryson's Schreibtechnik hat eine gar nicht so weit entfernte Ähnlichkeit mit der Mark Twain's, die aufhorchen läßt - nicht nur Dikigoros. "Ein Waldspaziergang" söhnte viele Amerikaner mit Bryson aus; das Buch wurde - als erster Reisebericht seit langer Zeit - ein Bestseller.

Inzwischen hatte Bryson seine Notizen von 1989 umgearbeitet zu fiktiven Briefen an seine Familie (die noch ein Jahr länger in England blieb, bevor er sie in die USA nach holte), die allwöchentlich in einer Sonntagszeitung erschienen. Sein britischer Verleger überredete ihn, diese Aufsätze noch ein weiteres Jahr fortzusetzen und versprach ihm, daraus ein Buch zu machen. Es erschien zunächst unter dem Titel "Notizen von einem großen Land", und seine britischen Leser lachten herzhaft über die wiederum sehr humorvoll geschilderten Schwächen ihrer Vettern jenseits des großen Teiches. Sie lachten immer noch, als Bryson - gewissermaßen als Kontrastprogramm - die "Notizen von einer kleinen Insel" veröffentlichte, in denen auch England sein Fett weg bekam, wenngleich mit britischem Humor: "Manches dort ist so schrecklich, daß es schon wieder lustig ist," bemerkte Bryson biestig, vom Essen über die schlechten Filme und die albernen Straßennamen bis zu den Klamotten. ("Die Briten laufen herum wie Ossis!") Nein, die Briten nahmen es ihm nicht krumm, sie wollten einfach nicht glauben, daß ihr Wahl-Landsmann das etwa böse meinte; das Buch verkaufte sich gut bei ihnen (was man von der deutschen Übersetzung - "Reif für die Insel. England für Anfänger und Fortgeschrittene" - nicht gerade behaupten kann). Dabei brauchte man nur zwischen den Zeilen (und in einigen Interviews) zu lesen, daß es Bryson durchaus ernst war mit der Kehrtwende: Plötzlich wollte er seine Rückkehr aus der "verkrusteten" britischen Gesellschaft in die "dynamischere" der USA dahin gehend interpretiert wissen, daß sein Verhältnis zu England schon immer zwiespältig gewesen sei und er sich seinerzeit nur aus "purer Verzweiflung" dort nieder gelassen habe. Und weil die "Notizen von einem großen Land" in England - und im ganzen Commonwealth - ein solcher Erfolg geworden waren, beschloß er, sie auch in den USA heraus zu bringen - freilich unter anderem Titel und mit anderem Inhalt. Später verriet er in einem Interview, wie sich das abspielte: Er hatte seinem britischen Verleger die Reportagen der ersten anderthalb Jahre zur Auswahl überlassen, und der hatte daraus die "Notizen" zusammen gestellt. Sein amerikanischer Verleger bekam die ganze Sammlung aus zwei Jahren; der konnte also, bei gleichbleibendem Umfang, ein Viertel heraus streichen. Das tat er denn auch; er merzte rigoros alles aus, was in den USA irgendwie hätte Anstoß erregen können - darunter, so Bryson, mit die besten Teile - und verpaßte dem ganzen auch einen neuen Titel: "Ich bin hier selber ein Fremder" (Standard-Antwort auf alle, die Bryson in den USA nach dem Weg fragten). Kein Wunder, daß er damit in den USA großen Anklang fand; selbst seine einstigen Kritiker sahen plötzlich nur noch seinen "goldigen Humor" und fanden "viel weniger spitze Bemerkungen als in seinen früheren Büchern". Nun, Literatur-Kritiker sind halt keine Juristen oder Ärzte; vielleicht stört es sie deshalb nicht, wenn Bryson diese Berufsstände auf die Schippe nimmt... "Charmant", ja "süß" nennen sie die Schriften des einstigen "Mr. Bitterman" jetzt - eine merkwürdige Verschiebung der Wahrnehmungs-Perspektive!

"Nebenbei" (aber wie er selber sagt: mit einem größeren Aufwand an sorgfältiger Recherche als für alle seine anderen Werke) schrieb Bryson noch ein Buch, das ihn Dikigoros - der ebenfalls Hobby-Filologe ist - auch persönlich sympathisch gemacht hat: "Die Muttersprache", eine Geschichte des Englischen, besonders in den USA. Es zeichnet sich durch einen unter Linguïsten sonst so seltenen Humor und Lesbarkeit auch für Laien aus. Und dann wurde Bryson endlich auch in Europa entdeckt. 1998 gab der Ullstein-Verlage - der inzwischen zur Verlagsgruppe "Random House" gehörte - "Weder hier noch dort" noch einmal unter dem neuen Titel "Streifzüge durch das Abendland. Europa für Anfänger und Fortgeschrittene" heraus, ferner - ohne Verspätung, sondern fast zeitgleich - eine Übersetzung seines vierten Amerika-Buches "Made in America" unter dem Titel "Streiflichter aus Amerika. Die USA für Anfänger und Fortgeschrittene". Übrigens nicht in der Kategorie "Reisen", sondern "Unterhaltung" - seine Lektoren halten offenbar den Informationsgehalt der Bücher für geringer als den Humor. Das kann man so sehen, denn auch im zuletzt genannten Buch zog Bryson Amerika wieder ziemlich durch den Kakao - inzwischen konnte er sich das erlauben -, von Hollywood, dem (un-)heiligen Wald, über den "Wilden Westen" bis zur legendären "Route 66" (die Dikigoros noch kennen gelernt hat, bevor sie durch den Bau neuer Autobahnen zu einer Touristen-Attraktion für Nostalgiker degradiert wurde - aber das ist eine andere Geschichte), reichhaltig gespickt mit filologischen und kulinarischen Betrachtungen. Moment mal, wird der geneigte Leser fragen, war das nicht genau das, was Bryson einst an Theroux und Chatwin kritisiert hatte, die mangelnde Leichtigkeit des Schreibens durch Überfrachtung mit "wissenschaftlichen" Anmerkungen? Tja, so ändern sich fast unmerklich die eigenen Geschmäcker und Schreibstile - wie schrieb schon Nietzsche: "Nur wer sich wandelt bleibt mit mir verwandt!" Man muß indes anerkennen, daß Bryson seine Weisheiten und Erkenntnisse - die ihm ja mit zunehmendem Alter allmählich auch zustehen - durchaus nicht schwerfällig und professoral, sondern ganz "locker vom Hocker" rüber bringt. Und da er inzwischen so ziemlich alles verkaufen konnte, verhackstückte er nun auch noch die einstmals als "überflüssiger Ballast" abgetanen Reste seines alten "Weder hier noch dort"-Manuskripts zu einem Buch mit dem Titel "Der Palast unter den Alpen". Zur Zeit seiner Abfassung wäre es ein Reiseführer mit Insider-tips gewesen; bei seinem Erscheinen war es freilich schon hoffnungslos überholt: Die "unberührten Strände der Algarve" eignen sich, seit auch dort der Massen-Tourismus Einzug gehalten hat, halt nicht mehr als "Geheimtip", sondern allenfalls noch als Erinnerung daran, wie schön es dort einmal war und als Mahnung, andere Urlaubsparadiese nicht ebenso zu verderben.

Unterdessen hatte sich Bryson längst einem anderen Kontinent zugewandt. (Nein, leider nicht Asien - aber vielleicht kommt das ja noch.) 1992 war er zum erstenmal nach Australien gereist, und es hatte ihn auf Anhieb fasziniert, als "der Welt am besten gehütetes Geheimnis" und als "das einzige Land, das zugleich ein Erdteil ist" (nun ja, er war noch nie in Indien oder China). Gleichwohl dauerte es fast ein Jahrzehnt, bis Bryson dieser seiner Faszination schriftstellerischen Ausdruck verlieh (was Dikigoros nicht wundert; die Australier, die er in "Weder hier noch dort" beschrieben hat, scheinen ihm nämlich nicht sonderlich sympathisch gewesen zu sein) mit "In einem sonnenverbrannten Land". So lautet der amerikanische Original-Titel; auf dem englischen Markt erschien es als "Down Under". Das braucht man eigentlich auch in Deutschland nicht mehr zu übersetzen, geschweige denn zu verdeutlichen - spätestens seit den Olympischen Sommerspielen 2000 von Sydney, mit deren Beginn das Erscheinungsdatum des Buches extra koordiniert wurde, weiß jeder, was damit gemeint ist. Dennoch betütelte, pardon betitelte der Goldmann-Verlag die deutsche Übersetzung langatmig und umständlich wie folgt: "Frühstück mit Kangurus. Australische Abenteuer". Und damit lag er einmal mehr falsch. So wie es Bryson in den Appalachen hinter seiner humoristischen Maske nicht um das Picknick mit Bären ging, sondern um das Waldsterben, so ging es ihm "down under" zwar auch um Frühstück (er läßt wie gesagt keine Mahlzeit aus), aber nicht in erster Linie um Wüsten-Abenteuer und Kangurus - obwohl er durchaus beeindruckt war von Australiens ungewöhnlicher Flora und Fauna, und zu seiner eigenen Überraschung auch vom Ayers Rock und vom Großen Barrier Riff ("obwohl das doch nur ein Stein war und ich mich für Wasser und Fische eigentlich gar nicht interessiere"). Am meisten imponierte ihm jedoch, was die Australier, ein kleines Volk zivilisatorisch auf die Beine gestellt, dieser Wüste abgerungen hatten, mit nur 18 Millionen Menschen - "in China werden jedes Jahr ebenso viele Menschen neu geboren!" Nun, alt geboren werden können sie ja nicht... Aber Spaß beiseite; Dikigoros versteht schon, wenn Bryson bei dem Gedanken, daß eines Tages die Rot-Chinesen sein heiß geliebtes Australien überfluten und seine Zivilisation hinweg spülen könnten, ein mulmiges Gefühl im Magen beschleicht. (Wo sonst könnte bei Bryson der Mittelpunkt seines Denkens und Fühlens liegen? Das hat er übrigens ausgerechnet mit den Chinesen gemeinsam, die den Sitz der Seele ebenfalls im Bauch sehen.) Und dann waren da noch die Ureinwohner - das einzige Kapitel Australiens, das Bryson für ein trauriges hält. Fast entschuldigend schreibt er, daß es nicht der "Fehler" der weißen Australier sei, wenn sich die Aborigines nicht integrieren ließen, daß sie in einer anderen Welt lebten - vielleicht wird auch in ihm eines Tages die Erkenntnis reifen, daß die Eingeborenen gerne in dieser ihrer eigenen, anderen Welt leben und sich gar nicht in die Multi-Kulti-Gesellschaft der Weißen (die seit einigen Jahren auch in Australien eingerissen ist) einfügen und gleichschalten, pardon integrieren lassen wollen. Und vielleicht wird er sich in einer Neuauflage von "Die Muttersprache" auch einmal mit der Herkunft des Wortes "integrieren" beschäftigen und mit der Frage, wie viel oder wie wenig das heutzutage noch mit "integer" zu tun hat.


*Titel eines zeitgenössischen Schlagers


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