DER LANGE WEG NACH ALBA LONGA
Von Troiern, Etruskern und Römern
P. VERGILIUS MARO: AENEIS

[Trojanisches Pferd vor brennendem Troja] [Laokoon] [Aeneas rettet Anchises]

"Timeo Danaos, et dona ferentes" (Laokoon in Aeneis II, 49)

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
REISEN, DIE GESCHICHTE[N] MACHTEN

Nein, liebe irische Leser, nicht nach Tipperary - das ist so ein Mythos von Euch, den Ihr bloß noch nicht in Buchform gebracht habt; denn Ihr hängt ja immer noch Eurem komischen Heiligen Brendan nach, der Amerika entdeckt haben soll - aber darüber könntet ihr die schönste Sage schreiben, das nähme Euch eh niemand ab, ebenso wenig wie Euren britischen Nachbarn die Sagen von König Arthur und seinen Zechkumpanen, pardon seiner Tafelrunde. Tja, das mit dem Abnehmen von Geschenken ist immer so eine Sache - deshalb hat Dikigoros auch eingangs das geflügelte Wort zitiert, das Vergil dem Laokoon in den Mund gelegt hat und das Ihr, liebe "humanistisch" und sonstwie halbgebildete Leser, wahrscheinlich als einzigen Satz aus der "Aeneis" zitieren könnt - wenn Ihr die denn überhaupt noch durchgenommen habt im Lateinunterricht, und nicht bei Caesars "Bellum Gallicum" hängen, pardon stehen geblieben seid, wie seinerzeit Dikigoros und seine Mitschüler: "Ich fürchte die Griechen, auch wenn sie Geschenke bringen." Das ist also das berühmt-berüchtigte "Danaer-Geschenk", das nicht nur Humanisten kennen - warum zitiert Dikigoros das dann mit diesem boshaften Seitenhieb auf letztere? Nun, weil diese Deppen bis heute nicht bemerkt haben, daß das im Original gar kein lateinischer Satz sein kann, sonst wäre er nicht schon in der Antike zum geflügelten Wort geworden, denn er bietet weder ein Wortspiel noch sonst irgend etwas Erinnernswertes. Aber nun übersetzt ihn mal ins Griechische und ersetzt "Danaer" durch "Dorier". Seht Ihr, nun macht es nicht nur einen Sinn, sondern auch ein Wortspiel; und deshalb ist Dikigoros überzeugt, daß Vergil hier, und überhaupt in den ersten sechs Büchern der Aeneis, ein griechisches Original abgeschrieben - und natürlich im Sinne seiner Auftraggeber umgeschrieben - hat, das hinterher vernichtet wurde, weshalb wir es heute nicht kennen. (Nein, es ging nicht einfach verloren; unter Vergils Gönner, Caesar Augustus, fand die erste große Quellenvernichtung und -verfälschung der abendländischen Geschichte statt - vielleicht die größte vor 1945 -; und das betraf nicht nur die politische, sondern auch die Literatur-Geschichte.) Und vielleicht sind auch die letzten sechs Bücher nicht allein auf Vergils Mist gewachsen, sondern nur eine überarbeitete Übersetzung aus dem Griechischen ins Lateinische? [Letzteres wäre ein Sakrileg am heiligen Stoff, wie ihn erst wieder ein gewisser Dante im 13. Jahrhundert zu begehen wagte, als er seine "Divina Commedia (Göttliche Komödie)" statt auf Lateinisch auf Fiorentinisch schrieb (das man später "Italienisch" nannte); im alten Rom schrieben gebildete Leute selbstverständlich Griechisch!] Aber erzählt das alles bloß keinem Professor für Altfilologie - solche Leute haben keine Ahnung von der Materie, weil ihre "Wissenschaft" nicht im Schaffen von Wissen besteht, sondern im Wiederkäuen krauser Theorien ihrer Vorgänger; eine These wie die eben von Dikigoros aufgestellte würde ihr Weltbild schlimmer erschüttern als Keplers These vom Planetensystem die Theologen der frühen Neuzeit.

Aber letztlich ist es ja egal, auf wen die Aeneis ursprünglich zurück geht. Viel wichtiger ist die Frage: Was wurde mit der Übersetzung, Umarbeitung und/oder Ergänzung des Vergil bezweckt - und was erreicht? Mit alten Sagen, die nicht bloß aus der Erinnerung mündlich weiter erzählt, sondern gezielt in Schriftform gegossen und bearbeitet werden, ist das nämlich manchmal nicht viel anders als mit Zeitungsberichten von heute über politische Ereignisse von gestern: sie verfolgen eine ganz bestimmte politische Absicht. Auf die Aeneis trifft das bestimmt zu, denn sie entstand im Auftrag des wohl größten und genialsten Polit-Verbrechers, den das antike Rom hervor gebracht hat: eben des Augustus. Da er sich im Inneren als Friedenskaiser verkaufen wollte und die Römer nach außen als Friedensengel, mußte zunächst einmal das Andenken an die eigenen Verbrechen der ferneren und jüngeren Vergangenheit getilgt werden; dann mußten den Opfern Verbrechen angedichtet werden und die eigenen Leute zu Opfern hoch stilisiert werden; und wenn das in der Gegenwart allzu auffällig gewesen wäre, mußte man halt etwas weiter zurück gehen. Was sollten all die alten Überlieferungen, die Vergils Zeitgenosse Livius nieder geschrieben hatte? Die Römer als Nachkommen irgendwelcher im Wald ausgesetzten Bastarde, die die Sabinerinnen geraubt hatten und auch sonst nur mit kriminellen Machenschaften zur Weltmacht geworden waren? Gewiß, da wird schon was dran gewesen sein - aber sowas sagt man doch nicht mehr (und hält es schon gar nicht schriftlich fest), wenn man es endlich zu etwas gebracht hat! Dann schauen wir uns also mal nach einem geeigneten "Opfervolk" in der Antike um, dessen Geschichte lange genug zurück liegt, jedenfalls so lange, daß niemand mehr etwas nachprüfen kann. Ein Blick in die "Ilias", und schon werden wir fündig: Das böse Tätervolk der Griechen (was hatten die Römer nicht bei der Eroberung, pardon Befreiung von Hellas Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts für ungeheure Verbrechen begangen, die noch längst nicht vergessen waren, jedenfalls nicht in den betroffenen Städten - allen voran Korinth, das im selben Jahr und mit der selben Gründlichkeit zerstört wurde wie Karthago, und dessen Bevölkerung ebenso ausgerottet bzw. versklavt wurde - heute würde man wohl von "Völkermord" sprechen) hatten Troía durch eine heimtückische List erobert und zerstört, das arme Opfervolk der Troier getötet oder in die Sklaverei geführt. Alle Troier? Nein, einer kleinen Familie gelang die Flucht: der des Aeneas. Wäre das nicht ein geeigneter Kandidat als Ahnherr der Römer? Nein, besser noch, als Ahnherr der Etrusker, jenes Volkes, das die Römer ebenfalls ausgerottet hatten, als dessen geistige Erben sie sich jedoch fühlten? Na klar, und so lesen wir denn auch in Aeneis 3.167, daß Aeneas über seinen Ahnen Dárdanos etrurischer Abstammung war - na also! Wer oder was mußte dann noch vorkommen? Na klar, die Karthager, die schlimmsten Feinde - und traurigsten Opfer - des römischen Volkes. Wir sehen schon, das wird ein langer Weg, den der Dichter da mit dem Finger auf der Landkarte zurück legen muß, um sich die Reise des Aeneas von Troía über Karthago bis an den Tiber aus den Fingern zu saugen.

Halt, liebe Leser, so einfach ist das nicht. Es ist ein Problem - vielleicht das Problem der Geschichts-"Wissenschaft", daß man von der "Echtheit" oder "Falschheit" einer Quelle nicht unbedingt auf ihren [Un-]Wahrheitsgehalt schließen kann. Die älteren Semester unter Euch kennen sicher noch den Spielfilm "Zeugin der Anklage" von Billy Wilder: Da führt eine falsche Zeugin die Geschworenen in die Irre; denn was sie aussagt ist durchaus wahr; aber als heraus kommt, daß sie es gar nicht gesehen hat, also eine falsche Zeugin ist, glauben diese Deppen prompt das Gegenteil und fällen ein Fehlurteil. Seht Ihr, deshalb ist die Geschichte, so wie Ihr sie in Euren Geschichts- und Märchenbüchern lest, voller Fehlurteile. Nicht wahr, eine "Originalquelle" kann echt sein, aber am laufenden Band lügen - wie z.B. die Memoiren aller "großen" Herrscher und Politiker, von Augustus bis Bismarck. (Merke: Nur kleine Geister können sich den Luxus leisten, in ihren "Erinnerungen" die Wahrheit zu schreiben - und manche tun es dennoch nicht :-) Und eine mittelalterliche Urkunde kann "gefälscht" sein, d.h. aus einem viel späteren Jahrhundert stammen als ihr Datum behauptet (was, wie man allmählich heraus gefunden hat, auf fast alle Urkunden des Mittelalters zutrifft); dennoch kann ihr Inhalt wahr sein - vielleicht hat man bloß eine alte Urkunde wörtlich wieder abgeschrieben, weil das alte Exemplar allmählich in die Jahre kam und unleserlich zu werden drohte? Daß die Aeneis erst um die Zeitenwende entstand, muß also nicht besagen, daß der Inhalt frei erfunden ist, auch wenn Dikigoros das noch so auf der Schule gelernt hat; denn damals glaubten die Historiker, daß die Etrusker erst im 8. - oder frühestens im 9. Jahrhundert v.C. in Italien einwanderten (und ob sie wirklich aus Kleinasien stammten, wie Herodot behauptete, war auch noch strittig), daß Rom frühestens im 6. Jahrhundert v.C. gegründet wurde und Karthago frühestens im 9.; den Untergang Troías datierten sie dagegen auf das 16. oder 15. vorchristliche Jahrhundert.

Inzwischen haben freilich die Archäologen (das sind die, die persönlich an den Ort des Geschehens reisen und sich die Finger schmutzig machen, um den Schreibtisch-Historikern auf die Sprünge zu helfen) heraus gefunden, daß es ganz anders war: Hómäros' Troía wurde wohl um 1200 v.C. zerstört; nur wenig später wanderten Punier aus dem heutigen Libanon ins heutige Tunesien ein (wo sie "Qart' Hadasht [Neustadt]" gründeten, was die Römer später zu "Karthago" verballhornen sollten), und die Etrusker aus der heutigen Türkei ins heutige Mittelitalien. (Es waren wohl - wie die Punier, mit denen sie nicht umsonst lange Zeit verbündet waren - Stämme der so genannten "Seevölker", von den Griechen "Tyrsenoi" oder "Tyrrhenoi" genannt, von den Römern eben "Tusci" oder "Etrusci". Sie selber nannten sich angeblich "Rasenna". Genau wissen wir es nicht, weil ihre Sprache und Schrift bis heute nicht entziffert ist.) Die Griechen, die wenig später in Süditalien ankamen und "Neapolis [Neustadt]" gründeten, nannten es in der ihnen eigenen Bescheidenheit "Megalä Hellás [Groß-Griechenland]". Irgendwann kamen auch die Itaker, pardon die Italiker, in Norditalien an, und brachten die Spaghetti Bolognese mit. Nein, pardon, da ist Dikigoros etwas übers Ziel hinaus geschossen; Spaghetti gab es ja noch nicht (sondern nur Polenta), und Bologna auch nicht - die Italiker hatten gerade erst ein paar Meilen weiter "Villanova [Neustadt]" gegründet. (Übrigens ein Indiz dafür, daß es auch dort, wo sie her kamen, schon zumindest eine Stadt gab!) Aber das Rinder-Gehackte gab es vielleicht schon, denn das Totemtier der Italiker war das Rind, genauer gesagt der Jungstier. Wenn damals irgendwo Überbevölkerung und Hungersnot herrschte, ermordete man nicht einfach skrupellos die ungeborenen Kinder im Mutterleib, sondern zog sie mit knurrenden Mägen auf und schickte sie auf die Reise, sobald sie alt genug waren (also noch ziemlich jung, etwa so alt wie heute die "Kindersoldaten" in der "Dritten Welt"; wer wenig zu essen bekommt, ist schneller "ausgewachsen", weil er eh klein bleibt), um sich neuen Lebensraum zu erobern oder halt im Kampf zu fallen - besser als noch vor der Geburt abgetrieben zu werden war das allemal. Manche Historiker meinen, daß von ihrer Bezeichnung für den Jungstier (Kalbsschnitzel heißt noch heute "escaloppa di vitello") der Name Italien kommt. Langer Rede, kurzer Sinn: Es ist nicht völlig abwegig anzunehmen, daß die Etrusker tatsächlich aus Troía kamen, zumal noch niemand einen anderen Herkunftsort plausibel gemacht hat.

[Troier ziehen das Holzpferd in die Stadt]

Wie hatte das nun der Sage nach alles angefangen? Nein, Dikigoros wird Euch hier nichts von Adam und Eva erzählen, auch nichts von Páris und Helénä (das tut er an anderer Stelle), nicht einmal vom Verlauf des Troianischen Krieges, sondern nur von dessen Ende. Die Geschichte vom "troianischen Pferd" kennt Ihr ja alle - noch heute steht eine Nachbildung am historischen Ort des Geschehens, damit die Türkei-Touristen etwas zu knipsen haben. In seinem Inneren hatten die Griechen einen Stoßtrupp versteckt; und als die leichtsinnigen Troier eine Bresche in ihre Stadtmauer geschlagen, es durch diese in die Stadt gezogen und sich ordentlich besoffen hatten ob ihres vermeintlichen Sieges, kletterten die Griechen heraus und entschieden den Krieg doch noch für sich. Aber wie konnten die Troier nur so blöd sein, auf diesen Trick herein zu fallen? (Der übrigens nicht allein auf Odysseus' Mist gewachsen war; es war damals üblich, für große Sieger bei olympischen und anderen Todesspielen [Agoonien] einen Teil der Stadtmauer einzureißen und sie auf riesigen Pferdewagen im Triumf in die Stadt zu geleiten, aber das ist eine andere Geschichte.) Wie konnten sie sich schon für Sieger halten? Über diesen Punkt wird viel zu wenig nachgedacht, liebe Leser; dabei ist er einer der interessantesten und aktuellsten des ganzen Troianischen Krieges. Wie Dikigoros schon in anderen Kapiteln seiner "Reisen durch die Vergangenheit" bemerkt hat, werden Kriege nicht durch die Soldaten auf dem Schlachtfeld entschieden (die müssen nur den Kopf hin halten), sondern durch die - falschen und/oder richtigen - Schachzüge der Politiker, die sie vorbereiten, führen und beenden. Dabei spielt Glauben eine viel gößere Rolle als Wissen, denn die "Staatsmänner" (oder, wie man seit jener Zeit in Griechenland sagte, "Politiker", also "Stadtmänner") aller Länder und Zeiten haben nie die Zeit gehabt, sich Wissen anzueignen oder gar denken zu lernen, denn sie mußten ja all ihre Zeit und Energie darauf verwenden, an die Macht zu gelangen und sich an der Macht zu halten. Und wer half ihnen dabei? Richtig, die Götter, genauer gesagt der Glaube des Volkes an die Göttinnen und Götter. Früher dachte man sie sich noch überwiegend personifiziert; heute sind es irgendwelche Ismen: Frieden und Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, Liberalismus und Demokratismus, Sozialismus und Kommunismus, und all der andere Mist, mit dem Euch die staatlichen Medien von morgens bis abends berieseln. Und natürlich darf bis heute der Wetterbericht nicht fehlen: Früher sahen die Seher das Wetter in den Eingeweiden frisch geschlachteter Opfertiere (oder -menschen), heute in irgendwelchen technischen Apparaturen. (An der [Un]Genauigkeit der Vorhersagen hat sich dadurch freilich nicht viel geändert; sie liegt nach wie vor bei ca. 50% :-)

[Laokoon]

Und noch etwas hat sich bis heute nicht geändert: Miesmacher und Kritikaster, die es wagten, eine andere Meinung zu haben als die herrschenden Politiker, und diese laut auszusprechen, mußten bestraft werden, damit jeder sah, wohin solch ungebührliches Betragen führte. Nun gab es in Troía eben so einen Störenfried namens Laokoon, der den Trick der Griechen durchschaute und seinen Landsleuten riet, das hölzerne Pferd lieber nicht in die Stadt zu ziehen, sondern draußen vor der Stadtmauer stehen zu lassen - denn warum sollten die Griechen wohl so dumm sein, ihnen ohne Hintergedanken so ein Danaer-Geschenk (über diesen Begriff hat Dikigoros ja schon einleitend geschrieben) zu machen? Stellt Euch vor, die Troier hätten das Ding einfach als Brandopfer benutzt und angezündet: Der griechische Stoßtrupp wäre sang- und klanglos verbrannt, die Ilias und die Odyssee wären so nie geschrieben worden. [Nein, liebe Kritiker, auch die Ilias nicht. Dikigoros weiß sehr wohl, daß die Geschichte vom "troianischen Pferd" darin gar nicht vorkommt - sondern nur in der Odyssee beiläufig erwähnt wird -; aber wenn wir entgegen der neuesten Forschung (die davon ausgeht, daß das Troía des Jahres 1.200 v.C. nicht durch Kampfhandlungen, sondern durch ein Erd- oder Seebeben zerstört wurde) annehmen wollen, daß Troía tatsächlich nur durch diese List genommen werden konnte, dann hätte es ohne die letztere keinen Anlaß gegeben, die Ilias zu schreiben!] Die troïschen Politiker aber wollten an den Frieden glauben und an den gewonnenen Krieg - da waren ihnen solche Unkenrufe ganz und gar unwillkommen. Es kam, wie es kommen mußte: Laokoon bezahlte sein Kritikastertum mit dem Leben (die Götter ließen ihn unter Schlangen fallen, wie man sieht); und nun fühlten sich die Herren Politiker von Troía erst Recht in ihrer Schnapsidee bestärkt - und auch sie bezahlten mit ihrem Leben. So weit, so gut. Oder auch nicht, denn wie das oft so ist: Das einfache Volk (erst die Soldaten, dann die Zivilisten) zahlen die Zeche, aber seine Führer - hier die Adelsfamilie des Aeneas - kommt davon. Und wenn man sie hinterher zur Rede stellen sollte, warum sie sich feige aus dem Staub gemacht haben - wohlgemerkt nicht auf den strategischen Rückzug, denn außer seiner eigenen Sippe nahm Aeneas ja niemanden mit -, behaupten sie kackfrech, die Götter hätten es so gewollt.

[Aeneas und Familie fliehen aus dem brennenden Troia]

So auch hier: Iupiter, Venus und Iuno (die römischen Ausgaben von Zevs, Afrodítä und Hära) waren es, die Aeneas die Idee eingaben, mit den Seinen per Schiff zu fliehen, und ihn nach einigen Irrfahrten im Stile des Odysseus über Thrakien, Delos, Kreta und Epirus an die Küste Karthagos brachten. Praktischerweise ist seine Frau Creusa schon beim Verlassen Troías umgekommen, so daß er sich mit Dido, der Königin des Landes, die ebenfalls solo ist, liieren kann. (Kein Problem für ihn, schließlich ist er der Sohn der Liebesgöttin Afrodítä, pardon Venus - jedenfalls hielt man ihn dafür, weshalb ja auch Gaius Iulius, Octavianus Augustus und all die anderen "iulisch-claudischen" Caesaren sich für deren Abkömmlinge hielten - die Dynastie ging angeblich auf Aeneas' Sohn Iulus zurück.) Aber ach, das paßt Vergil, pardon, den Göttern letztlich nicht in den Plan, und so ziehen Aeneas & Co. denn weiter nach Sizilien, eine liebeskranke Dido zurück lassend, die am Ende aus Verzweiflung Selbstmord begeht. Auf Sizilien stirbt wiederum praktischerweise Anchises, und die übrigen Alten, Kranken und Schwachen (also insbesondere die Frauen :-) läßt Aeneas dort auch zurück, um sich mit den jungen Kriegern Lebensraum in Italien zu erkämpfen. Er landet zunächst - wir sind mittlerweile im sechsten Buch - in Neapel (s.o.), und Dikigoros hegt die Vermutung, daß hier die ursprüngliche Vorlage endete, die eine griechische Sage über die Landnahme in Unteritalien gewesen sein muß - denn die alten Hellenen standen noch viel früher als die Römer im Gegensatz zu den Karthagern, und zumindest in "Groß-Griechenland" (s.o.) entschieden sie ihn einstweilen für sich. Und sie hätten auch keinen Troier heil aus der brennenden Stadt entkommen lassen (das glaubt nur Livius, weil Aeneas doch immer so gastfreundlich und an der Entführung der Helénä unschuldig war - als ob die Amerikaner im 20. Jahrhundert irgend einen "Nazi"-Deutschen verschont hätten, weil er "unschuldig" war: mit gefangen, mit gehangen!), geschweige denn einen Adeligen mit seiner ganzen Sippschaft; Aeneas (ein griechischer Name - Ainéas -, kein römischer!) wird ursprünglich einer der vielen anderen Griechen gewesen sein, von deren Abreise aus Troía die Sage berichtete, der sich halt auch verirrte, im Golf von Neapel landete und dort die erste griechische Kolonie gründete.

[Die Fahrten des Aeneas]

Nun aber greift Vergil, pardon, greifen die Götter wieder in das Geschehen ein: Das Orakel von Cumae, das ihn - wie schon den Odysseus in der Odyssee - in die Unterwelt führt, wo er u.a. Anchises und Dido wieder trifft, weist ihn an, weiter zu fahren, zum Tiber. Der Ärger ist nur, daß dort schon andere Leute sitzen: die Latiner. Aber Aeneas und seine Jungs bitten so nett und höflich um Landzuweisung und Frauen, daß der darob hoch erfreute König Latius Aeneas daraufhin sogar seine eigene Tochter Lavinia zur Frau anbietet. (Nein, liebe Leser, das schreibt Dikigoros durchaus nicht nur ironisch: Früher waren gesunde, arbeitswillig Menschen eine knappe Ressource, über deren Zuwachs sich jeder gescheite Herrscher ehrlich freute, wie sich ausweislich der Parkinson'schen Gesetze jeder gescheite Unternehmer über jeden gesunden, arbeitswilligen Mitarbeiter freute, um den er seinen Betrieb erweitern konnte; daß Menschen, auch und gerade wenn sie arbeitsfähig und -willig sind, als "überflüssig" angesehen, abgetrieben, euthanasiert oder "wegrationalisiert" werden, ist eine relativ junge Erscheinung.) So weit, so gut.

Aber wenn die Geschichte des Aeneas damit zu Ende wäre - und dort hätte man sie ja enden lassen können, wenn es nur darum gegangen wäre zu erklären, wie und warum die Römer nach Rom kamen und daß sie Nachkommen der Troier waren -, dann hätte sie ja keinen großen Propagandawert besessen: Die Kriege gegen Karthago waren längst vorbei und bedurften bei den Zeitgenossen des Augustus und des Vergil keinerlei moralische Rechtfertigung: Daß es gut und richtig, ja absolut notwendig und unabdingbar war, Karthago zu zerstören ("ceterum censeo ut Carthaginem esse delendam", pflegte der alte Cato am Ende jeder Rede zu sagen) und die Punier auszurotten, darüber herrschte im 1. Jahrhundert v.C. bei den Römern ebenso uneingeschränkter Konsens wie bei den Amerikanern im 20. Jahrhundert n.C., daß allererster Punkt auf der außenpolitischen Tagesordnung sein mußte, die Deutschen auszurotten und ihr Reich zu zerstören ("Germany first", pflegten Roosevelt & Co. zu sagen); denn sie strebten doch nach der "Weltherrschaft", anders als man selber - oder doch nicht anders, denn nur wenn man selber danach strebte, war es ja notwendig, sie auszurotten, weil sie einem womöglich in die Quere kommen könnten. Jedenfalls bedurfte es da keiner Diskussion und schon gar keines Epos in 12 Bänden. (Die Herren Professoren sehen das freilich genau umgekehrt. Wie schreibt einer von ihnen: "Das Gedicht [die Aeneis, Anm. Dikigoros] setzt als Motiv des Hasses der Iuno ihren Gegenplan auseinander, der die Weltherrschaft Karthagos zum Ziel hat. Das Ringen zwischen Rom und Karthago um die Herrschaft der Welt erscheint also von Anfang an als ein Hauptthema. Der Kampf der Iuno gegen die Fata des Helden [das dem Aeneas vorbestimmte Schicksal, Anm. Dikigoros] ist eine symbolische Vorwegnahme." So so. Man fragt sich nur, wo der in der Aeneis auch nur den klitzekleinsten Kampf zwischen Karthagern und Römern in spe entdeckt hat, der da irgend etwas "symbolisch vorweg nehmen" könnte.) Und mit Hellas war es nicht viel anders: Neid, Mißgunst und Minderwertigkeits-Komplexe (wie sie auch die Amerikaner trieben, als sie Würzburg, Dresden, Rothenburg ob der Tauber und so viele andere deutsche Kulturstädte dem Erdboden gleich machten) waren ein hinlänglicher ["Rechts"-]Grund für die Zerstörung der griechischen Städte. Nein, nicht der griechischen Kultur: So wie man nach 1945 die führenden deutschen Wissenschaftler in die USA verschleppte, pardon, zum freiwilligen Verweilen einlud, um sie für sich arbeiten zu lassen (die blöden Sowjets kamen zu spät und mußten sich mit denjenigen Deutschen begnügen, die gerade mal dazu taugten, sich in den Bergwerken beim Steinchenklopfen und ähnlich anspruchsvollen Tätigkeiten zu Tode zu schuften), so luden die Römer griechische Wissenschaftler ein, als Sklaven (Hauslehrer pp.) bei ihnen zu arbeiten. Und so wie die Amerikaner die deutschen Patente enteigneten, pardon, die Deutschen von ihren bösen Nazi-Patenten und Nazi-Armbanduhren "befreiten", so befreiten die Römer vermutlich auch die Griechen von der Sage, aus der schließlich die ersten sechs Bücher der Aeneis entstanden. Aber auch das war völlig korrekt und bedurfte keiner weiteren Rechtfertigung.

Aber wer stand denn sonst auf der Agenda, mit dem "moralisch abgerechnet" werden mußte? Nein, liebe Antifascisten, die Germanen waren noch nicht da, jedenfalls sollte die berühmte Schlacht im Teutoburger Wald (oder wo immer sonst der Ort des Geschehens gewesen sein mag) erst 28 Jahre nach Vergils Tod statt finden; und die Kimbern und Teutonen, an denen die Römer ebenfalls grausige Völkermorde verübt hatten, galten ihnen als "Gallier". Aber warum in die Ferne schweifen...? Gab es da nicht noch andere Feinde Roms, die sowohl zeitlich als auch örtlich viel näher lagen? Und ob es die gab: Ihr findet sie in Euren Geschichtsbüchern allerdings nicht als "Ureinwohner" oder "Eingeborene" (obwohl Livius sie noch so nannte: "aborigines"), "Indianer" oder "Rothäute" wieder - obwohl sie im übertragenen Sinne genau das waren -, sondern als Sozis, pardon "Bundesgenossen", und die Vernichtungs-Kriege, die Rom gegen sie führte, als "Bundesgenossenkriege". Nun waren die Völker Italiens ungefähr so freiwillig "Bundesgenossen" der Römer geworden wie zwei Jahrtausende später die Deutschen, pardon die Bundesrepublikaner Bundesgenossen der Amerikaner und die Ossis Bundesgenossen der Sowjets wurden. ("Vom Imperium Romanum lernen heißt siegen lernen" - oder wie war das gleich?) Vielmehr hatte es eines Jahre langen, brutalen Krieges bedurft, um sie zu unterwerfen, der gerade mal 18 Jahre vorbei war, als Vergil geboren wurde - wobei die Kriegsschuld natürlich voll und ganz bei den Unterlegenen lag, die ihrem bösen Nationalismus anhingen und sich Rom nicht unterwerfen wollten. War das etwa schon immer so gewesen? Na klar, "Nazis will be Nazis [einmal Nazis, immer Nazis]", sagen die Angelsachsen, und die Geschichte gibt ihnen Recht: Schon die bösen Rutuler (deren Häuptling Turnus blöderweise mit Lavinia verlobt war, bevor die Troier aufkreuzten) will dem braven Aeneas sein Land und seine Frau nicht gönnen, und die übrigen Stämme Italiens sehen das offenbar genauso, denn sie kommen dem Turnus zu Hilfe. Nur ein gewisser Evander (auch kein römischer Name, sondern ein Griechischer ["schöner Mann"]; Livius bezeichnet seinen Träger denn auch als Zugereisten vom Peloponnes), der Köner der "Arkader" (auch Arkadien liegt in Griechenland - wenngleich manche Italienreisende, wie der olle Goethe, das nicht wußten, aber das ist eine andere Geschichte) schickt ihm seinen Sohn zu Hilfe, der sinnigerweise "Pallas" heißt (wie die griechische Göttin der Weisheit, nach der Athen benannt ist). Der Rest der Aeneis schildert ausführlich die wechselvollen Kämpfe zwischen den Römern, pardon Aeneïden und ihren Feinden. Am Ende sind alle anderen (einschließlich Pallas) tot, und Aeneas und seine Leute haben - mit Hilfe der Götter - überlebt und gesiegt. Das gibt ihnen das moralische Recht auf die Herrschaft in Rom, in Italien und in der damals bekannten Welt. Amen.

Dikigoros hat oben angedeutet, daß seiner Meinung nach nicht nur die ersten sechs Bücher der Aeneis lediglich die Umarbeitung einer älteren griechischen Landnahmesage in (Süd-)Italien sind, sondern daß es sich mit den letzten sechs Büchern ähnlich verhalten haben könnte, daß Vergil also gleich zwei fremde Stoffe zusammen geleimt hat. Und den zweiten Teil hält er, wie ebenfalls bereits angedeutet, für die Umarbeitung einer alten etruskischen Landnahmesage in (Mittel-)Italien. Ihr meint, das käme zeitlich nicht hin? Bei Vergil könnte man in der Tat Zweifel haben, weil er das Ganze etwas verworren, pardon idealisiert darstellt. Aber nehmen wir doch endlich mal den Livius ernst (was, den haltet Ihr für einen "Märchenonkel", weil Ihr - wie Dikigoros - in der Schule gelernt habt, daß der die Geschichte von Romulus und Remus und der Wölfin kolportiert habe? Dann lest mal nach, was er im 4. Kapitel des 1. Buches seiner Geschichte "ab urbe condita" darüber geschrieben hat, und Ihr werdet Eure Meinung revidieren!) und rechnen nach: Nach Aeneas dauert es 15 Generationen (von seinem Sohn Ascanius - der Alba Longa gründete - bis zu Rhea, der Mutter von Romulus und Remus, zählt er sie alle namentlich auf), die er mit jeweils ca. 30 Jahren veranschlagt. Macht ca. 450 Jahre. Wie viele Jahre wären es denn von 1.200 v.C. bis zu dem von den Römern angenommenen (und von Dikigoros nicht bezweifelten) Gründungsdatum Roms im Jahre 753 v.C.? Schau mal an...! Und diese viereinhalb Jahrhunderte waren etruskische Geschichte. Ihr meint, das könne doch nicht sein, da Livius die Kämpfe von Aeneas und seinen Leuten u.a. gegen die Etrusker beschreibt? Pardon, aber das ist bereits ein Teil der römischen Geschichts-Klitterung, die ja nicht erst bei Vergil einsetzt (der übrigens nicht behauptet, daß Mecentius ein Etrusker gewesen sei); aber vor der Landung des Aeneas und seiner "Troier" alias Etrusker gab es eben schon andere "Aborigines" in Italien, die ihnen weichen mußten. (Ebenso gab es schon vor 753 v.C. eine Besiedelung der Hügel, auf denen Rom gegründet wurde, wie wir heute wissen.) Die Römer haben ganz einfach die etruskische Geschichte seit ihrer Landnahme in Italien usurpiert und auf sich selber umgeschrieben.

Aber waren die Römer nicht tatsächlich Erben der Etrusker? Haben wir nicht mal gelernt, daß Rom eigentlich eine Gründung der Etrusker gewesen sei, und daß auch die ersten Könige, bis Tarquinius Superbus, Etrusker waren? Pardon, liebe Leser, daß Dikigoros auch das bezweifelt. Lest doch einmal bei Livius zwischen den Zeilen: Mit dem mörderischen Bruderkampf zwischen Numitor und Amulius, die einander die männlichen Erben töten, endet die Herrschaft der Etrusker am Tiber. Numitors Tochter Rhea wird von irgendwelchen vagabundierenden "Hirten" vergewaltigt und mit Zwillingen geschwängert, die wiederum bei "Hirten" aufwachsen. Als diese Hirten Alba Longa im Handstreich erobern und hören, daß Numitors Enkel als Babies ausgesetzt wurden, behaupten Romulus und Remus kackfrech, das selber zu sein, und beanspruchen die Macht als legitime Erben; danach gründen sie dann allerdings doch lieber Rom. Aus einem verräterischen Satz des Livius im 6. Kapitel des 1. Buches, in dem er die Notwendigkeit jener Rom-Gründung erläutert, wird ganz klar, daß es sich bei diesen "Hirten" nicht um eine Berufsbezeichnung, sondern um die Bezeichnung für einen fremden Volksstamm handelt: "Alba [longa] und Latium [die Aeneïden und die "Aborigines" hatten sich zusammen geschlossen und nannten sich laut Livius "Latiner", nach Latius, dem König, der Aeneas seine Tochter Lavinia zur Frau gab; wenn Ihr so wollt, waren das erst die "Etrusker", nicht schon die "Troier" allein, Anm. Dikigoros] hatten wirklich zu viele Einwohner, und dazu kamen noch die Hirten." Seht Ihr, in diesen fremden Hirten, die "noch dazu kamen", sieht Dikigoros das Volk, das im 8. Jahrhundert v.C. nach Italien einwanderte, das Rind verehrte (s.o.), Rom gründete und später nach und nach seine Nachbarn entweder aufsog - wie die Sabiner[innen] - oder ausrottete - wie die Etrusker. Und ihre Patente, pardon Sagen und Geschichte[n] wurden enteignet, als legitime Kriegsbeute der Sieger.

* * * * *

Nun weiß Dikigoros sehr wohl, daß er sich mit dieser Interpretation - so klar und logisch sie ihm persönlich auch scheinen mag - in Widerspruch setzt zur gesamten herrschenden Meinung der Keksperten, die den Kern der Aeneis nicht in der Rechtfertigung der Landnahme in Italien, und schon gar nicht in der Unterwerfung der "Bundesgenossen" sieht (obwohl das doch schon aus quantitativen Gründen nahe, um nicht zu sagen auf der Hand liegt), sondern in der Auseinandersetzung mit Karthago im allgemeinen und Aeneas' Beziehungen zu dessen Gründerin und Königin Dido im besonderen. Das liegt wohl in der Struktur unserer so genannten "Wissenschaft" begründet, die meist kein neues Wissen schafft, sondern nur altes (vermeintliches) "Wissen" wiederkäut. Und jenes [Miß-]Verständnis der Aeneis ist halt schon sehr alt, über acht Jahrhunderte, denn es geht auf die französische und deutsche Rezeption dieser Sage im 12. Jahrhundert zurück, den (anonymen) "Roman d'Enéas" und die "Eneit" (oder "Eneide") Heinrichs von Veldeke. Was soll Dikigoros dazu sagen? Das waren halt hoffnungslose Romantiker, die von Geschichte und ihrer Didaktik keine Ahnung hatten. (Was letztlich nur für sie spricht; aus ihren Gänsekielen werden Ihr jedenfalls keine Geschichts-Klitterungen finden wie aus denen der antiken - und der modernen - Autoren :-) Aber Dikigoros will jene Romantiker nicht schlecht machen - im Gegenteil, er möchte Euch mit ihrer Hilfe auf einen kleinen Exkurs mitnehmen. Vielleicht habt Ihr auch in der Schule gelernt, daß die ach-so-tolle "humanistische" Renaissance, d.h. die Wiederentdeckung der Antike im allgemeinen und ihrer Literatur im besonderen, eine Folge der Eroberung von Konstantinopel war - sei es durch die der Kreuzfahrer zu Beginn des 13. Jahrhunderts (was ja nicht ganz abwegig war, da die meisten jener Kreuzfahrer aus Italien stammten und die meiste Beute eben dort landete), sei es durch die der Türken in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Aber beides ist Unfug, wie jene französischen und deutschen Autoren beweisen, die sich schon seit der Mitte des 12. Jahrhunderts der antiken Stoffe annahmen und sie neu bearbeiteten. (Mit welchem Erfolg und in welcher Qualität, das ist Geschmackssache, aber darauf kommt es hier nicht an.) Das waren ja nicht nur die Aeneis, sondern z.B. auch der "Theben-Roman", der "Troia-Roman" und der "Alexander-Roman". Mit anderen Worten: Die wirkliche (ja, auch im Sinne von "wirksame"!) Wiederentdeckung der Antike fand schon viel früher statt; und das bestätigt Dikigoros nur in seiner ketzerischen Auffassung, daß die meisten der viel gepriesenen "Humanisten" des 16. Jahrhunderts nichts weiter waren als Charlatane und Dummschwätzer, die der Rezeption der antiken Autoren mehr geschadet als genutzt haben (u.a. durch ihre Versaubeutelung der griechischen Sprache - aber das ist eine andere Geschichte).

[Heinrich von Veldeke (aus der Manesse-Handschrift)]

Aber vielleicht sieht Dikigoros die mittelalterliche "Wiederentdeckung" viel zu harmlos, vielleicht hatte auch sie schon politische Hintergedanken? Welche könnten das gewesen sein? Schwer zu sagen. Beim "Roman d'Enéas" wissen wir nicht einmal genau, wann er entstand. Vielleicht während des 2. Kreuzzugs oder zur Vorbereitung darauf? Aber ging der nicht in die umgekehrte Richtung? Von Italien nach Byzanz? Sollte er jedenfalls; der französische König Ludwig VII hatte bereits ein Bündnis mit... nein, nicht mit Dido, auch er zog die Sizilianer vor, genauer gesagt Roger II und seine Normannen, die noch vom letzten, d.h. 1. Kreuzzug ein Hühnchen mit dem perfiden Byzantion und seinem griechischen Basiläus zu rupfen hatten; und da paßte ein Roman über Aeneas, der ja vor den Griechen, die ihn mit dem Troianischen Pferd so hinterhältig herein gelegt hatten, nach Sizilien - und von dort nach Italien - geflohen war, eigentlich ganz gut. (Allerdings wurde damals, Mitte des 12. Jahrhunderts, noch nichts aus der Eroberung Byzantions, da war der deutsche König Konrad vor, dieser Spielverderber, der mit einer griechischen Prinzessin verheiratet war, das mußte also bis zum 4. Kreuzzug warten.) Über die Entstehung der "Eneit" sind wir etwas besser informiert; es ist eine richtige Räuber-Pistole, die darauf hindeutet, daß zumindest die Zeitgenossen Heinrichs von Veldeke die Sache vielleicht nicht ganz so unpolitisch nahmen wie sie vordergründig war. Das Stück war noch nicht ganz fertig, als Heinrich anno 1174 anläßlich einer Hochzeit einen Teil davon zum Besten gab. Ja, war dieser Kerl denn noch ganz bei Trost, ausgerechnet in dieser Zeit ein Epos über die Verherrlichung der Italiener zu schreiben? War nicht gerade Kaiser Friedrich (den die Italiener "Barbarossa [Rotbart]" nannten) auf seinem 5. Italienzug in einen Kampf auf Leben und Tod mit den bösen Italienern verstrickt? Der Lombardische und der Veronesische Städtebund hatten sich mit dem Papst zusammen getan, um ihn zu vernichten; und zu allem Überfluß war ihm auch noch der treulose Herzog von Sachsen und Bayern, Heinrich der Löwe (der mit dem perfiden Albion verbündet war, seine Frau Mathilde war eine englische Prinzessin), in den Rücken gefallen, d.h. er hatte ihm die Gefolgschaft verweigert. Da konnte man Lobhudeleien auf die edlen Vorfahren der Italiener nun weiß Gott nicht brauchen! Also nahm man diesem Heini von Veldeke das Manuskript kurzerhand weg, und da es damals noch keine Durchschläge, geschweige denn Text-Dateien im Computer gab, aus denen man es hätte rekonstruieren können, saß er damit erstmal auf dem Trockenen. Hm... interpretiert Dikigoros da nicht zuviel hinein? Vielleicht, wahrscheinlich sogar. Aber es ist schon auffällig, wann man Heinrich das Manuskript zurück gab und ihn weiter schreiben ließ: anno 1183 war das - Heinrich der Löwe war gestürzt, und mit den Lombarden war gerade der Friede von Konstanz geschlossen worden - nun war der Kaiser sogar mit ihnen verbündet, gegen den Papst. Aber vielleicht ist das einfach nur ein Zufall, oder man hatte Heinrich das Manuskript deshalb weg genommen, weil man es unpassend fand, daß er zu einer Hochzeit eine derart tragisch endende Liebesgeschichte vortrug.

* * * * *

Während die Odyssee des Hómäros der Nachwelt zu allen möglichen und unmöglichen Spekulationen über die Route der Griechen Anlaß gegeben hat - kaum ein Teil der Welt, den sie in der Fantasie mancher Interpreten nicht erreicht hätten -, scheint die Aeneis dazu kaum geeignet, denn Vergil läßt ja keinen Zweifel an der Lokalisierung ihrer Schauplätze. Und doch ist im Sinne des Themas dieser "Reise durch die Vergangenheit" genau das Gegenteil geschehen: Die Odyssee sollte die Orte der griechischen Kolonisation im Mittelmeer abstecken; die späteren fantastischen Interpretationen tun nichts dergleichen und machen schon deshalb keinen Sinn; die Aeneis sollte gezielt auf einen Ort hinführen, den am Tiber, deshalb machte die mittelalterliche Konzentration auf die tragische Liebesgeschichte zwischen Aeneas und Dido keinen Sinn. Aber im 20. Jahrhundert versuchte der Franzose Jacques de Mahieu, die "Trojaner" auf den Spuren gewisser Odysseus-Interpreten bis nach Amerika gelangen zu lassen und daraus den Anspruch abzuleiten, die prä-kolumbianischen Kulturen dort seien von Weißen begründet worden - was ja bedeuten würde, daß sich die Weißen seit 1492 nur zurück geholt hätten, worauf sie ohnehin ein moralisches Recht hatten. Nun ist diese Theorie sicher auch nicht abwegiger als etwa die des Schweizers Erich von Däniken, der glaubte, außerirdische "Götter" aus dem All seien in Amerika gelandet, "die Kultur" sei also so zu sagen vom Himmel gefallen. Immerhin kann sich Mahieu erstens auf die Mythologie der Indios selber stützen, die einen weißen, bärtigen Gott namens Quetzalcóatl verehrten. Zweitens weiß man inzwischen, daß die primitiven Inca und Azteken nicht die Schöpfer der lange Zeit nach ihnen benannten Kulturen waren, sondern deren Zerstörer, die nur noch die Konkursmasse verwalteten, ähnlich wie die aus Arabien stammenden Muslime in den von ihnen eroberten und zerstörten Kulturen Ägyptens, Mesopotamiens und Persiens. Und drittens, daß es vor der Einwanderung der Asiaten über die Beringstraße in Amerika schon den "Kennewick Man" gab, den sie ausrotteten - und der war vermutlich weiß. Ja, aber ob der auch "die Kultur" begründet hat? Und vor allem: ob der tatsächlich von den Troianern abstammte? Um das zu beweisen, scheinen Dikigoros weder die Aeneis noch andere Anhaltspunkte auszureichen.

[Mahieu, Die Flucht der Trojaner]

weiter zu Bis ans Ende der Welt

zurück zu Fahrten voller List und Tücke

heim zu Reisen, die Geschichte machten