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Sächsische
Heimatblätter, Hrsg. vom Deutschen Kulturbund...
Jahrgänge 11, Dresden 1965.
Des Guten
viel geschafft
Leben und Wirken das sächsischen
Seidenbaupioniers G. H. Von Carlowitz
Herbert Gleisberg
Der vieltausendjahralte Seidenbau, der sich mit der Erzeugung
seidenreicher Kokons des Maulbeerseidenspinners befaßt, kam aus seiner
Heimat China im 8. Jahrhundert nach Europa und wurde seit dem Ausgang des
16. Jahrhunderts in Deutschland heimisch. Mit dem Vordringen des
Seidenbaues verbreitete sich auch die Maulbeere, deren Laub allein die
Seidenraupen nährt.
Trotz mancher Rückschläge ließ doch fast kein Kulturvolk ab, Seidenraupen
aufzuziehen, um den hochwertigen Faserstoff, die Naturseide, zu gewinnen,
der dank einer hervorragenden Kombination von physikalischen Eigenschaften
unübertrefflich ist und zur Herstellung von Wundnähseide, Nähseide,
Kleiderseide, Müllergaze und technischer Seide nicht entbehrt werden kann.
In Sachsen baute man um 1600 in Dresden erstmalig Seide. Im Anschluß an
das Emporwachsen der kursächsischen Seidenindustrie erfolgten, angespornt
durch das Regierungs-Mandat zur Seidenbauförderung (1754), neue
Seidenbauversuche, die, durch den Siebenjährigen Krieg unterbrochen, nach
dessen Beendigung eifrig fortgesetzt wurden, bis um 1784 infolge
Kokonabsatzmangels und anderer Schwierigkeiten der Seidenbau allmählich
zum Erliegen kam, um erst um 1825 wieder aufzuleben.
Indessen die Wiederbelebung des Seidenbaues in Bayern dem Staatsrat von
Hazzi und in Preußen dem Regierungs- und Schulrat Wilhelm von Türk zu
danken war, wirkte an der Wiedereinführung des Seidenbaues in Sachsen
vornehmlich der in Dresden geborene Kammerherr Georg Heinrich von
Carlowitz mit.
Sein Leben schildert kurz die Schrift „Aus dem Archive der Familie von
Carlowitz“ (Dresden 1875). Danach war Carlowitz seit 1821
Straßenbaucommissar und wohnte im Straßenbauhofe in Dresden-Friedrichstadt.
Somit hatte Carlowitz die Aufsicht über die Kunststraßen des Landes und
über die öffentlichen Anlagen und Gärten in und um Dresden, wobei der
Große Garten ihn besonders anzog. Bei seinem regen Geiste und
ungewöhnlicher Tätigkeit, heißt es weiter in der von uns genannten
Schrift, erwarb er sich große Verdienste um den Seidenbau in Sachsen, und
zwar durch Kultur und Verbreitung von Maulbeerpflanzen, durch eigenes
Gewinnen von Seide und durch Abfassung von drei Seidenbauschriften. Nicht
minder war Carlowitz interessiert am Weinbau; er war Mitbegründer und
erster Direktor der Sächsischen Weinbaugesellschaft und schrieb eine
Kulturgeschichte des Weinbaues. Als tüchtiger Pomologe gründete Carlowitz
die Landesobstbaumschule mit)
und gehörte auch der „Flora“ als deren Mitbegründer an.)
Wie Carlowitz zum Seidenbau kam, berichtete er in seinem Erstlingswerk
(Aufmunterung zur Beförderung des Seidenbaues in Sachsen. Dresden und
Leipzig 1837): Er wäre durch Leidenschaft für Anpflanzungen und
Verbesserungen der Bodenkultur auf den Seidenbau geleitet worden, hätte
sich praktischen Versuchen in demselben unterzogen, und vieljährige, oft
mehr, oft minder günstige Resultate hätten ihn zu der festen Überzeugung
geführt, daß ein kräftiger Wille auch in Sachsen den sich lohnenden
Seidenbau durchzuführen vermöchte.
Und wie sah es mit den von Carlowitz erwähnten praktischen Versuchen aus?
Über deren ersten berichtete er am 10. April 1828):
Er selbst hätte, um sich über den Seidenbau zu unterrichten, 1825 einen
Versuch mit 1 Lot Seidenspinnereiern gemacht, aus dem er etwa 1500 Raupen
erlangt hätte, die ihm 14 Pfund Kokons gebracht hätten. Während Carlowitz
das Laub zu dieser seiner ersten Aufzucht aus dem zwei Stunden von
Dresden-Friedrichstadt entfernten Dorfe Hosterwitz bezog, erhielt er die
Seidenraupeneier von Professor Rößler, der sie aus Roveredo hatte kommen
lassen, wie Dr. Seiler berichtete.)
Carlowitz wußte, daß es bei der Wiedereinführung des Seidenbaues in
Sachsen Schwierigkeiten gab. Das begann bereits 1828. Die Ökonomische
Gesellschaft des Königreiches Sachsen hatte ihr Mitglied Carlowitz um ein
Gutachten über die Frage gebeten, wie man in Sachsen den Seidenbau fördern
könnte. Carlowitz empfahl die Gründung einer Seidenbau-Deputation nach
bayerischem Muster.)
Dabei berief er sich auf Hazzis „Lehrbuch des Seidenbaues“ (München 1826),
in dem Hazzi die Leitung des gesamten Seidenbaues in Bayern einer
Gesellschaft übertragen wissen wollte, indessen der Staat lediglich für
Raupeneier und Maulbeeranpflanzungen sorgen sollte. Die Ökonomische
Gesellschaft lehnte den Vorschlag von Carlowitz ab und meinte, den
Seidenbau könnten einzelne Privatpersonen fördern. Das ging Carlowitz
wider den Strich. In seiner ersten Rede in der Dresdener Hauptversammlung
der Ökonomischen Gesellschaft wiederholte er seinen Vorschlag, und zwar
mit Erfolg, so daß die Ökonomische Gesellschaft wegen der
Seidenbauförderung Verbindung mit der Commerciendeputation aufnahm.)
Dadurch, daß sich die sächsische Regierung des Seidenbaues annahm und
König Antons Seidenbauverodnung erschien (1831), erhielt der sächsische
Seidenbaufortgang und die Seidenbaumitwirkung von Carlowitz Ansporn und
Auftrieb. Dabei war folgendes für Carlowitz von Bedeutung: Indem er die
Aufsicht über den Großen Garten und insbesondere auch über die daselbst
von ihm angelegte Maulbeeranlage hatte, lag ihm die gesamte
Maulbeerpflanzenverteilung ob. So hatte er laufend einen Überblick über
die Futtergrundlage für den sächsischen Seidenbau, lernte im Laufe der
Jahre die sächsischen Seidenbauer, ihre Maulbeerhecken und ihre
Raupenaufzuchten aus eigener Anschauung kennen und konnte beratend und
helfend, aufklärend und werbend, durch Reden und Schriften und mündlichen
Erfahrungaustausch dem Seidenbau im großen und kleinen die Wege ebnen.
Darüber hinaus boten ihm die Verbindungen mit Preußen (Türk) und Bayern (Hazzi)
viel Möglichkeiten des Gedankenwechsels und der Anregung, ganz zu
schweigen von seinem umfangreichen Fachliteraturstudium, dessen Spuren
sich in seinen drei Seidenbauschriften verfolgen lassen.
In seiner (von uns schon erwähnten) ersten Seidenbauschrift (1837) meinte
Carlowitz, dem Regierungsrate von Türk verdankte ganz Deutschland die
Seidenbauerneuerung, und ihm verdankte er selbst, Carlowitz, viel
Belehrung durch Schrift und Tat und Anschauung seiner Musteranstalt in
Klein-Glienicke bei Potsdam, von welchem Seidenbau-Zentrum aus in alle
deutschen Gaue ausgingen: der Unterricht im Seidenbau und im Haspeln, die
besseren Haspelmaschinen und die vorzüglichsten Arten der Seidenraupen und
der Maulbeerbäume.)
Ja, auch Sachsens Seidenbau förderte Türk. Er bildete junge Leute aus
Sachsen zum Seidenbau aus, lieferte eine Haspelmaschine und eine größere
Anzahl seiner Seidenbauschriften nach Dresden. Vor allem spornte er durch
seine Erfolge Carlowitz an. Dieser baute in den folgenden Jahren
weiterhin selbst Seide, wobei wesentlich war, daß er durch seine
praktischen Aufzuchten andere zum Seidenbau aufzumuntern suchte und sie
dann in den Stand setzen wollte, selbständig Seidenraupen aufzuziehen.)
1833 machte man in der Maulbeeranpflanzung in Sachsen gute Fortschritte)
und suchte auch sonst dem Seidenbau voranzuhelfen, wie es Carlowitz
(1834/35) durch seine Reden tat und dabei die Notwendigkeit der Gründung
einer Hauspelanstalt unterstrich.)
Um Türks diesbezügliche Einrichtungen kennenzulernen, unternahm Carlowitz
eine Informationsreise zu ihm nach Potsdam und gründete sodann nach seiner
Rückkehr nach Dresden daselbst mit staatlicher Beihilfe eine (auch zur
öffentlichen Benutzung bestimmte) Privatseidenbauanstalt.)
Hatte Carlowitz bis zum Jahre 1835 auch manches Gute geschaffen in der
sächsischen Seidenbauentwicklung, er mußte weiter wirken und kämpfen (denn
es gab noch manchen Seidenbauwidersacher) und an der Verwirklichung dessen
mitarbeiten, was er schon immer erstrebte: einen Seidenbauverein ins
Leben zu rufen, der helfen sollte, den Seidenbau zur Volkssache zu machen.
Wie es Türk in gleicher Weise und unabhängig von Carlowitz für Preußen
tat, so schlug Carlowitz im Zuge der sächsischen Seidenbauförderung in
einem Aufsatz die Schaffung eines Seidenbauvereins in Sachsen vor.)
Der Vorschlag von Carlowitz fand allseitig Zustimmung, und am 14. Mai 1838
gründete man den Seidenbauverein.)
Der Verein sollte u. a. für Maulbeeranpflanzungen, Musteranstalten,
Haspelanstalten, Seidenspinnerbrut usw. sorgen. Regierung und Ökonomische
Gesellschaft unterstützten den Seidenbauverein, und auch Carlowitz trat
für die Verwirklichung der Aufgaben des Seidenbauvereins vorbildlich ein.
Die Errichtung von zwei Seidenbau-Musteranstalten (nach dem Vorbild der
beiden Franzosen Beauvais und d’Arcet) seitens des Seidenbauvereins
veranlaßte Carlowitz, in seiner Seidenbauschrift von 1837 Stellung zu
nehmen zu den französischen Zuchtmethoden („Magnanerie salubre“). Er
sprach sich dabei für die Durchführung vieler kleiner Zuchten aus. Er
wollte den Seidenbau zu einer wahren Volkssache machen und ihn nicht
allein von den Anstalten einiger Großunternehmer betrieben wissen. Im
Zusammenhange damit trieb Carlowitz auch die Frage der
Seidenbauprämienverteilung und die Frage einer verbesserten
Maulbeerpflanzenverteilung voran.)
Im „Ersten Bericht“ über Sachsens Seidenbauverein (Mai 1840) würdigte man
auch Carlowitz Seidenbautätigkeit. Danach gab Carlowitz, hieß es in dem
Bericht, in Sachsen zuerst wieder das Beispiel der Ausführbarkeit des
Seidenbaues, und der Besuch seiner Anstalt sowie die Vorzüglichkeit seiner
Stoffe, die er aus selbstgewonnener Seide weben ließ und die nach dem
Urteil aller Kenner der ausländischen Seide nicht nachstanden, veranlaßten
manchen Seidenbauer zur Nacheiferung. Durch Einrichtung einer eigenen
Haspelung unter Leitung einer geschickten und verständigen Vorsteherin war
Carlowitz imstande, den Seidenbau in allen seinen Zweigen zu betreiben,
gleich Türk in Preußen.
Auch als Seidenbauschriftsteller fand Carlowitz Anerkennung. Zu der uns
bereits bekannten Schrift von 1837 traten noch zwei andere. 1. Eine von
der Fürstlich Jablonowskischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig
gestellte Preisfrage lautete: „Wie kann der Anbau des Maulbeerbaumes und
die Seidenraupenzucht in Sachsen ... befördert werden?“ Die daraufhin von
Carlowitz abgefaßte Abhandlung ward 1842 gekrönt und gedruckt und fand
eine gute Kritik, die meinte, diese Schrift gäbe ein erfreuliches Zeichen
von Carlowitz’ Eifer für den Seidenbau und für die daraus möglicherweise
hervorgehenden günstigen Einwirkungen auf das Gemeinwohl.)
Als Maßregeln für die Seidenbauförderung in Sachsen schlug Carlowitz
hauptsächlich eine ständige Kontrolle der Maulbeeranpflanzungen sowie
Überprüfungen der Aufzuchten vor, denn er meinte mit Recht, daß nur eine
straffe Leitung des gesamten Seidenbaubetriebes einen sichtbaren Erfolg in
der Kokongewinnung brächte. 2. Voraussetzung jeglichen Seidenbauerfolges
ist immer auch das Vorhandensein einer Seidenbau-„Volksschrift“.
Carlowitz schrieb eine solche; sie erschien 1844. Kein Wunder, daß diese
Schrift „Der Seidenbau in Sachsen und den angrenzenden Ländern“ warm von
Busse)
empfohlen wurde. Carlowitz tritt uns darin als ein wahrer Freund des
Volkes entgegen, in dessen Hände er den Seidenbau als einträgliches
Nebengewerbe gelegt wissen wollte.
Auch außerhalb Sachsens wollte man den Seidenbau in die Hände des Volkes
legen, wie z. B. Hazzi und Türk erstrebten. Daraus erhellt, daß Carlowitz
sich durch sein Wirken frühzeitig in die gesamtdeutschen
Seidenbaubemühungen einschaltete und mit den Ansichten außersächsischer
Seidenbauer weitgehend übereinstimmte; diese Ansichten kamen u. a. auf
einer Münchener gesamtdeutschen Landwirteversammlung 1844 zum Ausdruck, wo
man der Verbreitung des Seidenbaues in Deutschland als Nebengewerbe das
Wort redete.
Bis zu seinem Tode am 7. Juni 1847 widmete sich Carlowitz dem Seidenbau.
Als man ihn auf dem Eliasfriedhof zu Dresden beerdigte, da konnte eine
zeitgenössische Stimme mit vollem Recht feststellen, daß er „des Guten
viel geschafft“ hätte.)
Ohne Zweifel hat Georg Heinrich von Carlowitz den Seidenbau in Sachsen
wesentlich gefördert. Er betätigte sich in allen Seidenbauzweigen, als
Aufzüchter von Seidenraupen und als Anbauer von Maulbeerhecken, als
Seidenbau-Lehrer und als Seidenbau-Schriftsteller wie nicht minder als
Forscher auf dem Gebiet der Maulbeerkultur und der Kokonverwertung. Dabei
hatte er eine hohe Meinung vom Seidenbau, und alle seine
Seidenbaubemühungen gingen von der Praxis aus und dienten der Praxis. In
dieser Hinsicht hat er uns in seinen Reden, Briefen und Schriften manchen
wertvollen Seidenbaugedanken übermittelt, der auch heutzutage noch Gutes
wirken kann.
Wir wollen ihn nicht vergessen, den unermüdlichen Vorkämpfer um den
sächsischen Seidenbau, den aufrechten Charakter, den Schlichtheit und
Wahrheitsliebe auszeichneten, die starke Persönlichkeit, die die Sache,
der sie diente, übers eigene Ich stellte und tat, was sie konnte. So ging
Carlowitz als Seidenbaupionier in die Geschichte unseres sächsischen
Heimatlandes ein, allseitig und allerorten geachtet und geehrt. Was aber
ist die schönste Verehrung und Dankbarkeit ihm gegenüber als die
Nacheiferung der Nachfahren?
117 Jahre sind seit dem Tode von Carlowitz vergangen. Welches Auf und Ab
mußte in dieser Phase nicht der deutsche Seidenbau erleben!
Politisch-wirtschaftliche und seidenbauungünstige Geschehnisse ließen nach
1847 den deutschen Seidenbau zurückgehen, der ums Jahr 1854 durch das
Auftreten der Pebrine erlag. Als der Franzose Pasteur dann diese
Raupenseuche bannte (durch die Methode der Seuchenverhütung: durch
Falterisolierung und Falteruntersuchung), kam es in Deutschland im 19.
Jahrhundert zu keinem neuen allgemeinen Seidenbauaufschwung. Erst 1946
kam es im Osten Deutschlands – nach einer kurzen Scheinblüte im ersten und
zweiten Weltkrieg – zu einer neuen Seidenbauentwicklung, die tatkräftig
fortzuführen allen Seidenbaufreunden am Herzen liegen möchte.
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