HARALD ROTHS "MEISTERWERK"

The _Masterpiece_ of Harald Roth


Die Vorgeschichte der unten folgenden Betrachtungen, die nur auszugsweise gebracht werden, ist recht kurios und wirft ein eindeutiges Bild auf den sogenannten "Board of Directors" des Internet-Forums H(absburg)-Net, dem auch der kritisierte Verfasser angehoert. Erwartungsgemaess wurde meine Stellungnahme damals, Ende April, Anfang Mai 2000 auf dem genannten Forum nicht publiziert. Doch die kritischen Betrachtungen haben ihre Gueltigkeit auch jenseits des abblockenden Verhaltens von H-Net nichts von ihrer Gueltigkeit und Frische eingebuesst.



           Die Entscheidung, die Aufmerksamkeit englischsprachiger Historikerkreise des H-Net auf Harald Roths Buch Politische Strukturen und Stroemungen bei den Siebenbuerger Sachsen 1919-1933 (Studia Transylvanica, Bd.22), Koeln Weimar Wien 1994, zu lenken, kommt reichlich spaet und mutet deshalb recht suspekt an. Sie erfolgte offenbar auf Bestellung und scheint sich in die verzweifelte Kampagne einzureihen, Texten Geltung und Anerkennung zu verschaffen, die sich als hochwertige Historiographie verkaufen wollen, dieses Praedikat aber kaum verdienen, weil ihre Autoren ein Forschungsverstaendnis besitzen, das von einer betont ideologischen und ideologisierten Haltung beherrscht und bestimmt wird. Das Ergebnis: sie amputieren die historischen Tatsachenbestaende durch willkuerliche, einseitige Selektion bis zur Unkenntlichkeit und vergewaltigen sie dann regelrecht durch ihre von ideologischer Programmatik gepraegten Zielvorstellungen. Hierher gehoert in vorderster Reihe Ulrich Andreas Wiens Kirchenleitung ueber dem Abgrund. Bischof Friedrich Mueller vor den Herausforderungen durch Minderheitenexistenz, Nationalsozialismus und Kommunismus (Studia Transylvanica, Bd.25), Koeln Weimar Wien 1998), auf dessen zweifelhaften wissenschaftlichen Wert wir bereits hinwiesen (Klaus Popa, Ein Lehrstueck paroxystischer Schwarzmalerei. Zu Ulrich Andreas Wiens kirchengeschichtlichen und nationalitaetenpolitischen Ausfuehrungen, in: Halbjahresschrift fuer suedosteuropaeische Geschichte, Literatur und Politik, 11. Jg., Heft Nr.1, Mai 1999, S.80-91; Ein Lehrstueck paroxystischer Schwarzmalerei).

             Peter Haslinger versucht, leider an der faktischen Realitaet des Rothschen Textes vorbei, diesem eine "sorgfaeltige Auslegung der Fakten, wobei er jede Art der Einseitigkeit erfolgreich vermeidet" zu bezeugen ([...] his main points are based on a careful interpretation of facts, refraining quite successfully from any one-sidedness.[...]). Dabei uebersieht Haslinger geflissentlich, dass der hauptsaechliche Vorbehalt, mit dem Roth an die Behandlung des historischen Stoffes geht, der Verneinung voelkisch (=nationalsozialistischer) Ansaetze in den fruehen 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts bei den Siebenbuerger Sachsen gilt. Und dass sich dieser Vorbehalt schliesslich zu einem Gesamtkomplex von Verniedlichung, Verharmlosung und Vertuschung zusammenbraut.

             Es faellt auf, dass Haslinger Roths Einschaetzung der siebenbg.-saechsischen innenpolitischen Verhaeltnisse als bare Muenze aufnimmt. Es haette ihm doch auffallen muessen, dass Roth dieselbe  Sichtweise einnimmt und stellenweise dasselbe propagandistische Vokabular handhabt, das eben jene Leute souveraen zu propagandistischen Belangen einsetzten, die Roth "Kritiker" nennt, die die sbg.-saechsische und dann rumaeniendeutsche Gemeinschaft "sittlich, religioes und national" erneurn wollten. Auch ist Haslinger entgangen, dass Roths Brennpunkte jenseits jeder historischen Tatsaechlichkeit ebenfalls dem propagandistischen Instrumentarium genannter Ideologie entstammen - uebrigens vom Wust nationalsozialistischen Schrifttums der endzwanziger und anfangdreissiger Jahre des vorigen Jhs. gut dokumentiert:

 1) die Rechten haetten sich aufrichtig um den politischen Dialog bemueht, dem  sich die Buergerlichen aber verweigert haben sollen;
 2) in den Auseinandersetzungen bis hin zur Errichtung des Volksgruppenregiments (1940) habe es sich um einen Generationenkonflikt gehandelt [dazu: Der sogenannte "GENERATIONENKONFLIKT" und seine voelkisch-nationalsozialistischen Wurzeln];
 3) die Rechten haetten sich aufrichtig fuer einen Demokratisierungsprozess der repraesentativen Organe (des Volksrates, der Orts- und Kreisausschuesse) eingesetzt, wogegen sich wiederum die Buergerlichen blind stellten.

             So nimmt es nicht Wunder, dass Haslinger die zumindest kuriose Feststellung anstellt:

Er [Roth] begruendet seine These vornehmlich durch das Paradox, dass die Demokratisierung der Strukturen ein Nebenprodukt des programmatischen Abdriftens in Richtung nationalsozialistischer Ideologie war (He supports his theses first of all by referring to a paradox: that structural democratization was a by-product of a programmatic shift towards National Socialist ideology).
            Uebrigens sagt Roths schlussfolgernde Aussage etwas ganz anderes aus:
Es mag paradox erscheinen, dass dadurch [durch die Einbeziehung von Richtlinien fuer die "innere Lebensgestaltung" des saechsischen Volkes und von Massnahmen zur Demokratisierung der Volksorganisation in ein zu verabschiedendes  "Volksprogramm"] einerseits nationalsozialistische ideologische Elemente ins Grundsatzprogramm [der NSDR = Nationalsozialistische Selbsthilfebewegung der Deutschen in Rumaenien] aufgenommen wurden, andererseits dieser Ideologie widersprechende demokratische Strukturen aufgebaut werden sollten.
             Das ist doch nichts anderes als 'Um den heissen Brei Herumreden', naemlich ein spekulatives Konstrukt, das ein Scheinproblem in die Welt setzt. Die Grundsaetze der "Selbsthilfe", die aus dem politischen Repertoir der reichsdeutschen "Landvolkbewegung" und der grenzrevisionistischen "Grenzlandbewegung" schoepften, bargen von Anbeginn den nationalsozialistischen Bazillus in sich. Und dass diese politische Ausrichtung undemokratische Ziele anstrebte, war den von Roth immer wieder angeprangerten buergerlichen Volksfuehreren, die sich angeblich "patriarchalischer Fuehrungsmethoden" bedienten, von Anbeginn klar. Und das Geplaenkel der Nazis ueber 'Demokratisierung der Volksorganisation' war doch nichts anderes, als sich den Weg zur Erringung der politischen Macht und dann der totalen Kontrolle mit Mitteln eben der verpoenten Demokratie zu sichern. Die Parallele zu den reichsdeutschen Entwicklungen (Hitlers Machtregreifung) ist doch einleuchtend ! Dass Roth die totalitaere Veranlagung der "Selbsthilfe" nicht wahrnimmt, ist seiner ideologisch belasteten Sicht- und Vorgehensweise zu verdanken. Dieser Veranlagung des Rothschen (wie auch des siebenbuergisch-nationalsozialistischen) Geschichtsverstaendnisses zu Verzerrung, Mystifizierung und Mythisierung entspringt das, was wir Scheinproblematik nennen, der die drei genannten Brennpunkte (Dialogunwilligkeit, Generationenproblem, angeblicher Demokratisierungswunsch) zuzuordnen sind.

             Im Folgenden nehmen wir direkten Bezug auf Roths Text und weisen stichprobenartig seine "historische Schneeblindheit" nach.

            Zum Unterkapitel 4.4. Soziale Stroemungen (S.106): Die Selbsthilfe benutzt voelkisches Vokabular, z.B. "Land- und Heimstaettenhungrige", worauf Roth nicht aufmerksam macht.

            Die Selbsthilfe war zunaechst eine Sparkasse - ; Dass das aber eine ausgezeichnete Tarnung fuer politische Zweckmaessigkeiten war, wird nirgends in Roths Text laut.

            Dass die Grundsaetze und Aktivitaeten der "Selbsthilfe" eine Abkupferung der Landvolkbewegung im Reich waren, hebt Roth nicht hervor. Auch behauptet er in apodiktischer Manier:

Das allein hatte noch nichts Politisches an sich, genausowenig wie die Hakenkreuze an der Kopfleiste des Selbsthilfe-Blattes schon in dieser Zeit auf ein bestimmtes politisches Programm schliessen liessen."
            Das ist die reinste Verniedlichung. Wohl waere Roth hellhoerig geworden, wenn das Hammer- und Sichelsymbol die Kopfleiste verziert haette !

            (S.106-107) Roth wehrt sich dagegen, dass

die Selbsthilfe von Anbeginn an eine nationalsozialistische Bewegung gewesen sei, dass also der deutsche Nationalsozialismus ihr politisches Programm und Ziel war. Dabei ist zu fragen, ob nicht die in spaeteren Jahren eindeutig erkennbare politische Tendenz rueckprojiziert wird. Die waehrend der Gruendungszeit feststellbaren politischen Schlagworte der Selbsthilfe lassen zwar auf deutschnationale politische Ambitionen schliessen, sie sind jedoch zu diffus, um von Anfang an von einer Verbindung zu der gerade im Entstehen befindlichen NS-Bewegung auszugehen.
             (S.107) "Fuer die legendaere Begegnung Fabritius' mit Hitler, [...] gibt es keinerlei Belege [...] die Moeglichkeit der nachtraeglichen "Konstruktion [...]".

            Doch diese Legende teilt etwas mit, ihre Botschaft kann doch nicht einfach ignoriert werden, bloss, weil sie nicht belegt ist. Sie steht doch mit der hitleristisch-nationalsozialistischen Ausrichtung des Bewegungsfuehrers Fabritius und seiner Bewegung im Zusammenhang. Oder meint Roth, die Fragen und damit die Fragestellung sei vom Tisch, wenn sie erst ueberhaupt nicht angesprochen wird ?

            Kapitel 6. Infragestellung traditionaler politischer Strukturen "Selbsthilfe" und junge Intellektuelle (S. 141-164)

            (S.142)

Auch die ueberaus aktiven Gruppen der Jugendbewegung waren noch keineswegs politisiert, die einzelnen Stroemungen in ihrer Orientierung noch sehr unterschiedlich.
             Die siebenbuergisch-saechsische Realitaet sah leider ganz anders aus. Selbst in der Phase, als es noch verschiedene Jugendorganisationen gab, waren saemtliche in Ansaetzen voelkisch=nationalsozialistisch veranlagt. Denn hier machte sich die Mode der sogenannten "Kriegsspiele", "Grossfahrten", "Sommersonnwendfeste", der "Fuehrerfunktion", der "Sportwettkaempfe" , des "echten deutschen Brauchtums" usw. breit (Vgl. Hellmut Klima, Aus den Tagebuechern eines siebenbuergischen Studenten aus den Jahren 1930-1945, Saarbruecken-Dudweiler 1999). All das muendete schliesslich unter der kraeftigen "Nachhilfe" des Jung- und dann Jugend- bzw. "Selbsthilfe-Arbeitsmannschaft"-Fuehrers Fred Bonfert in die "Selbsthilfe" ein. Und es ist doch kein Zufall, dass gerade aus der Jugendbewegung, naemlich aus dem "Wandervogel", die radikalsten nationalsozialistischen Stroemungen in die NSDR bzw. NEDR (Nationale Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumaenien) einflossen und 1935 die Abspaltung in die radikale DVR (Deutsche Volkspartei Rumaeniens) bewerkstelligten.

            (S.143)

ob die Art und Weise, wie die Selbsthilfe ihre eigenen Urspruenge interpretierte, als authentisch angesehen werden kann7
(Anm.7: Angriff auf Johann Boehm, Die deutschen in Rumaenien und die Weimarer Republik 1919-1933, Ippesheim 1993, beantwortet in HJS Nr. 1/1999).

            Roths Flucht vor einschlaegigen Beweisunterlagen, welche den fruehen Nationalsozialismus von Fritz Fabritius und seiner "Selbsthilfe" zweifelsfrei belegen, kommt in seiner anmassenden Kritik an Johann Boehm anschaulich zur Geltung. Ein aufschlussreicher Brief des ultrarechten A.C. Cuza an Fabritius (30. August 1922), der u.a. schreibt: "Gegen die Freimaurerei – bedeutet, wenigstens in Rumaenien - gegen die Juden"; eine Postkarte Ernst Roehms vom 3.1.1926 an Fabritius; Selbst ein von Hitler eigenhaendig gezeichneter Brief an Fabritius (5. Mai 1933) moechte Roth gerne als Faelschungen abtun. Das ist eben das Niveau, auf dem sich Roths Quellenkenntis und -verstaendnis bewegt! Weil er den klaren, eindeutigen Quellenaussagen kein Gewicht schenkt, ist es nur verstaendlich, dass er sich systematisch in die Scheinproblematik ideologischer Stereotype fluechtet.

            (S. 144)

Nachdem der Nationalsozialismus in der Selbsthilfebewegung ab 1932 zum Durchbruch gekommen war,  [...].
             Unsere bisherigen Ausfuehrungen legen nahe, dass der Massstab fuer ideologische bzw. politische Zuweisung ueberhaupt nicht von dem Zeitpunkt des ersten parteiorganisatorischen Zusammenschluss bestimmt wird, sondern von der Art der politischen Veranlagung. Die "Selbsthilfe" verfolgte zwar soziale Ziele, diese gruendeten aber  auf einer totalitaeren Ideologie. Und die von ihr vertretenen totalitaeren Grundsaetze weisen eindeutig in die rechte Ecke des politischen Spektrums.
[...] koennen wir zu den fassbaren Urspruengen des Nationalsozialismus jedoch nur festhalten, dass Fabritius und einige seiner Anhaenger spaetestens seit 1923 den "Voelkischen Beobachter" bezogen [...]
Hingegen traegt das soziale Engagement des Kreises um Fabritius auffallende Gemeinsamkeiten mit rechtsgerichteten voelkischen Bewegungen in Deutschland [...].
            "Auffallende Gemeinsamkeiten"!? Statt "rechtsgerichteten voelkischen Bewegungen" haette es einfach "nationalsozialistische Bewegung" heissen sollen.

             Roth tut in seinen Ausfuehrungen so, als ob das Adjektiv "voelkisch" im Sprachgebrauch der 20er und  30er Jahre nicht eindeutig die nationalsozialistische Ausrichtung benannte. Seine in Verbindung mit der Verbreitung des "Voelkischen Beobachters" im Fabritius-Kreis getane Behauptung,

Diese Tatsache kann aber noch nicht als Festlegung einer Richtung interpretiert werden, da wir nicht wissen, welche anderen (voelkischen) Presseorgane die Selbsthilfe noch bezog; diese moegen in der Retrospektive an Bedeutung verloren haben, da sie mit der dominant gewordenen nationalsozialistischen Richtung nicht in unmittelbarer Beziehung standen
            (Anm.11, S.144) entspringt, wie viele andere Aussagen, der eindeutigen Tendenz, alles, was fuer die nationalsozialistischen Anfaenge der Selbsthilfe in den zwanziger Jahren spricht, zu verleugnen. Ausserdem ist der fortwaehrende Drang Roths zur Relativierung, Verharmlosung und Verniedlichung der nationalistischen Radikalitaet der Fabritius-Bewegung der fruehen (20er) wie auch der spaeten (30er) Jahre recht eindeutig. Die obige Behauptung Roths, andere voelkischen Presseorgane haetten nicht mit der dominant gewordenen nationalsozialistischen Richtung ein unmittelbare Beziehung gehabt, ist ein weiteres Beispiel dafuer, wie gerne Roth eine Scheinproblematik aufbaut und sich damit, statt mit sprechenden Quellenbelegen auseinanderzusetzen. Das ist, gelinde gesagt, ALIBI-(SCHEIN)FORSCHUNG !

            (S. 145) Weitere relativierende Anklaenge:

Es ist angezeigt, bei der Untersuchung ideologischer Entwicklungen nicht allein die Selbsthilfebewegung mit den Stroemungen im Deutschen Reich zu vergleichen, [...]
            Womit sollte man die Selbsthilfe denn vergleichen- schon angesichts der eindeutigen Quellenbelege -, wenn nicht mit den politischen Modestroemungen des Reiches, die sich gegen Freimaurer-, und Judentum, gegen Bolschewismus und westliches Demokratieverstaendnis im Namen einer vorgeblichen Wiedergeburt, einer "Erneuerung" der nationalen Grundlagen stemmten? Welche anderen Stroemungen bei den Siebenbuerger-Sachsen jener Jahre kommen der  militant-larmoyanten Radikalitaet dieser "Erneuerer" in die Naehe, um einen Vergleich "mit den Stroemungen im Deutschen Reich" zu rechtfertigen ?

            In diesem Zusammenhang ist auch Roths Schlussfolgerung zurueckzuweisen, die der "Rezensent" Haslinger vorbehaltlos akzeptiert und wie folgt kommentiert:

In seiner Schlussfolgerung behauptet Roth in ueberzeugender Weise, dass eine diskursive Vereinbarkeit zwischen der neuen Ideologie und dem tradierten Selbstbild der Sachsen bestand, doch nicht in automatischer Weise (In his conclusion, Roth argues very convincingly that there was a discursive compatibility between the new ideology and the traditional self-image of the Saxons without, however, speaking of any kind of automatism).
            Roths Schlussfolgerung (S.218):
Da wesentliche Elemente dieser Ideologie Entsprechungen in den saechsischen Traditionen hatten, fiel Fabritius die Propagierung der Bewegung in einer Zeit besonderer Verunsicherung und Unzufriedenheit leicht, er gewann rasch Zulauf. Ethnozentriertheit, ausgepraegtes Gemeinschaftsempfinden, gegenseitige soziale Unterstuetzung, genossenschaftliche Wirtschaftsformen waren Bestandteile des kollektiven saechsischen Selbstverstaendnisses und liessen sich gut auf die nationalsozialistische Ideologie uebertragen [...].
             Zunaechst laesst sich feststellen, dass Roths Aussage mit dem Bild eines sich in den eigenen Schwanz beissenden Tieres vergleichbar ist. Er behauptet gebetsmuehlenhaft - allerdings ohne einschlaegigen Beweisen -, dass der Selbsthilfe erst in den fruehen 30er Jahren Nationalsozialismus nachgesagt werden kann, nun behauptet er, dass die Wahlverwandtschaft zwischen dem saechsischen Selbstverstaendnis und dem Nationalsozialismus es Fabritius erlaubte, seine Bewegung ohne Schweirigkeiten zu propagieren. Roth ist sich wohl der Tatsache nicht bewusst, dass diese seine Behauptung eigentlich die Erklaerung fuer das Heimischwerden nationalsozialistischer Grundsaetze im Siebenbuergen der fruehen 20er Jahre liefert. Warum verneint Roth saemtliche Belege totalitaerer Veranlagung bis in die fruehen 30er Jahre, wenn er nun zwischen dem saechsischen Selbstverstaendnis und dem Nationalsozialismus solch eine mentatiltaetsbedingte Naehe ausmacht ? Zweifelsohne aus der Unausgegorenheit seiner Ueberlegungen und seiner gewundenen Argumenationsweise.

            Roths letzter Satz  ist als krasse Verkehrung der eigentlichen Beeinflussungsrichtung  einzustufen, weil nicht das kollektive Selbstverstaendnis der Sachsen auf die nationalsozialistische Ideologie uebertragen wurde, sondern der Nationalsozialismus mit all seinen kitschigen, von miltantem-militaristischem und morbidem Pathos triefenden Aeusserungsformen vorbehaltlos IMPORTIERT wurde. Roth argumentiert hier wieder einmal in der Art der nationalsozialistischen Propaganda der 30er und 40er Jahre und bedient die Gedankengaenge der einheimischen Nazis, die ihr Treiben

     1) als ausschliesslich autochthones Produkt ausgaben und auf dieser Grundlage
     2) seine Legitimierung als Gesinnungs- und Herrschaftsform ausgeben wollten.

            Auf S. 107 hieß es doch noch:

Es sei darauf hingewiesen, dass in der Selbsthilfebewegung waehrend der ganzen zwanziger Jahre nichts auf eine Rezeption der fuer den Nationalsozialismus essentiellen Rassenideologie deutet [...].
            Nun zitiert Roth auf S. 146 aus dem "Selbsthilfe"-Blatt des Fritz Fabritius vom Januar 1927, als Fabritius schrieb:
Voelkische Ertuechtigung, Erziehung zum selbstlosen Dienen fuer die eigene Blutsgemeinschaft und Erweiterung des Siedlungsraumes muessen besonders fuer den Auslandsdeutschen das Um und Auf jeder politischen und wirtschaftlichen Massnahme sein
            Der Begriff "eigene Blutsgemeinschaft" stammt doch aus dem Repertoir der Rassenlehre, ist also rassistisch.

             Eine Vokabel wie "Blutsgemeinschaft" als nicht rassistisch zu erkennen, die Betonung des Siedlungsraums nicht mit den Mythen des "Lebensraums" und des "Drang nach Osten" zu verbinden, das Dienen nicht als soldatisch-militaristisch befrachtet erkennen zu wollen, laesst nur zwei Schlußfolgerungen zu:

        a) dass Roth den Umgang mit politisch-ideologischen Begrifflichkeiten ueberhaupt nicht beherrscht;
        b) dass Roth sich eigenwillig Scheuklappen aufsetzt, wenn es um den Nachweis frueher nationalsozialistischer Verstrickung der Siebenbg. Sachsen geht. [...]

            Der Scheu Roths, politische Elemente oder Wesenszuege des Nationalsozialismus beim Namen zu nennen, entspringt auch die systematische Verharmlosung der im Februar 1929 von Fabritius formulierten Richtlinien der Selbsthilfe-Arbeit, die sich eines Sammelsuriums primitiv-simplistischer, typisch nationalsozialistischer Begrifflichkeiten wie Gemeinschaft, Pflicht, Zinsknechtschaft, Fuehrertum, Treue, Aufopferung, bedingungsloser Gehorsam usw. bedienen. Roths Kommentar dieses dumpfen Gedankenguts geht wieder mal an der Sache vorbei:

Angesichts dieser doch recht wirren Aneinanderreihung von "Grundsaetzen", die wenig politischen Charakter zeigen, ist es nicht verwunderlich, dass sich die saechsische Volksfuehrung lange Zeit nicht mit der Selbsthilfe auseinandersetzte, [...] (S.148)
            Woher Roth  seine Sicht der Dinge eigentlich bezieht, belegt der Terminus Bewegung, den er mehrmals als Synonym fuer die "Selbsthilfe" gebraucht (so S.148). Bekanntlich liebten es totalitaere Ideologien sich selbst als "(Massen)Bewegungen" auszugeben, sowohl die nazistische wie auch die Arbeiterbewegung. Ein dieses Phaenomen kritisch bewertender Interpret wuerde sich keinesfalls einer  Sprachregelung bedienen, die auf das propagandistische Falschbild zurueckgreift, das die Rechte von sich selbst kultivierte. Hier spielt ein weiterer Aspekt des Legitimierungsdrangs der Rechten mit: sie gab vor, fuer und im Namen der Mehrheit der Bevoelkerung zu sprechen und zu agieren. Hieraus leitete sie den politischen Alleinvertretungsanspruch ab, der engstens mit dem Monopol der Meiningsbildung und -aeusserung zusammenhaengt.

            Auch die Anregung von Fabritius zur Arbeitsdienstpflicht in einer Eingabe vom 22. Mai 1931 an den Volksrat gibt Roth nicht weiter zu denken. Dass die Arbeitsdienstpflicht typisch nationalsozialistisch war und gerade in jener Zeit das Steckenpferd eben des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) war, haette Roth zumindest andeuten koennen. Dieser Vorstoss von Fabritius reiht sich in das ein, was Roth ganz unsachgemaess und verniedlichend die "Annaeherung von Fabritius an den deutschen Nationalsozialismus" nennt (S.158). Auch die Richtung, aus der der Vorstoss kam, deutet Roth nur an ("Diese Eingabe [...] war bereits ein Zeichen des Einflusses der Jugendbewegung in der Selbsthilfe; [...]) (S.155). Dass Alfred Bonfert, den Fabritius am 20. August 1932 zum Fuehrer der Selbsthilfe-Arbeitsmannschaft (SAM) und somit auch zum Verantwortlichen fuer die Arbeitslager kuerte, den Arbeitsdienstpflichtgedanken Fabritius nahegelegt haben koennte, ist Roth nicht aufgefallen. Auch die Tatsache haette in diesem Zudammenhang erwaehnt werden muessen, dass die Arbeitsdienstpflicht von jenen Kraeften durchgesetzt wurde, die sich 1935 von den gemaessigten Nationalsozialisten um Fabritius trennten und die radikale DVR (Deutsche Volkspartei Rumaeniens) mit Alfred Bonfert an der Spitze bildeten. Doch zwischen Roths inadequater, ueberselektiver Datenerhebung und der Herstellung derartiger personengeschichtlicher Zusammenhaenge liegen Welten.

             An das Vokabular der siebenbg.-saechischen und rumaeniendeutschen Nazipropaganda erinnert auch die Wortwahl Roths in folgender Aeusserung:

Darueber hinaus konnte festgestellt werden, dass die oppositionellen Stroemungen waehrend der zwanziger Jahre keinen intellektuellen, sondern einen antikirchlichen oder gesellschaftlichen Hintergrund hatten. [...] (S.219).
            Was er mit "keinen intellektuellen ... Hintergrund" meint, wird fassbar, wenn an den grundsaetzlichen und kompromisslosen Antiintellektualismus der rechten politischen Theorie und Praxis erinnert wird. Deren politische Opposition konnte nur antiintellektuell, also niemals intellektuell, d.h. rationalistisch bedingt sein. Roths Wortwahl reflektiert dieses Gleichnis rechter Ideologie und Propaganda einwandfrei. Dieses letzte Beispiel belegt abermals, dass das poltische Vokabular der ehemaligen siebenbuergischen Rechten und die von dieser gegen die buergerlich-konservativen Kraefte ins Feld gefuehrten Scheinargumente Roth gelaeufig sind,  hingegen ihm die Terminologie, die Forschungsmethoden und der Forschungsstand der bundesrepublikanischen Zeitgeschichtsforschung unbekannt sind. [Zu diesem Aspekt vgl.

Die siebenbürgisch-saechsische Zeitgeschichtsschreibung auf abwegiger Faehrte.
Politisch-propagandistische Mythenkultur geschichtsrevisionistisch ausgebeutet ;

Ein Lehrstueck paroxystischer Schwarzweissmalerei

Ulrich Andreas Wien und Harald Roth beziehen die Palette der Verfehlungen und Fehlleistungen, welche sie den buergerlich-konservativen Politikern und Bischof Viktor Glondys unterstellen,  ausnahmslos aus der programmatischen Erklaerung ehemaliger Fuehrer der aufgeloesten NEDR (Nationale Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumaenien) vom 21. Juli 1934 Zur Klarstellung der Lage. Ein Wort an alle deutschen Volksgenossen (abgedruckt in: Klaus Popa (Hg.), Die Rumaeniendeutschen zwischen Demokratie und Diktatur. Der politische Nachlass von Hans Otto Roth 1919-1951, Frankfurt a.M., Berlin Bern Bruxelles New York Oxford Wien, 2003, Nr.264, S.482-485). Es liegt in der Natur der "Wissenschaftler" Wien und Roth, die Existenz eines solchen Dokuments zu verschweigen, das sie in unverschaemter Weise zu Zwecken des grobsten Plagiats missbrauchen]. Roth entwickelt eine besondere Fertigkeit darin, verblichenes Propagandvokabular und Propagandainhalte zu Verschleierungs- und Verniedlichungszwecken einzusetzen. Darauf beruhen auch seine Scheinkonstrukte, die er, stellvertretend fuer Tatbestaende, mit irrefuehrenden und realitaetsverfaelschenden Kommentaren versieht. Deshalb kann sich Roth in der Nationalsozialismus-Problematik nicht zu serioesen, sachkonformen Kommentaren durchringen. Roth liegt vom Wortschatz und von den Begrifflichkeiten der freiheitlich-demokratischen Politologie Meilen entfernt ! Recht traurig, doch wahr!

Verfasst 01.05.2000      Ergaenzt: 25.10.2003


Vergleich: Terminologische und politische Blindheit


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Datei: Strukturen.html            Erstellt: 14.02.2002    Geaendert:     25.10.2003 Autor und © Klaus Popa


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