Ulrich
Andreas Wien bietet in seinen einleitenden Ausführungen zu Briefwechsel
zwischen Karl Barth und siebenbürgischen Pfarrern in den Jahren 1930-1947.
Unter Berücksichtigung des Briefwechsels zwischen Hans Arnstein und
Barth mitgeteilt und kommentiert (Zeitschrift für Siebenbürgische
Landeskunde, Heft 2/1995, S.147-172) ein Paradestück unwissenschaftlichen
und daher geschichtsklitternden Geschichtsverständnisses, das jeden
aufrichtigen Anhänger einer geschichtswissenschaftlichen Wahrheitsfindung
zu einer sachlichen Entgegnung reizt.
Das eigentliche Thema Wiens ist das Rundschreiben Z 924/1936 vom 14. Februar
1936 der ev. Landeskirche A.B. in Rumänien, das den kirchlichen Angestellten
die parteipolitische Tätigkeit untersagte, und der damit verbundene
Briefwechsel zwischen Karl Reinerth, Friedrich Müller und Karl Barth.
In den einleitenden, viel zu allgemein gehaltenen Ausführungen,
stößt man bereits auf S. 148 auf eine höchst problematische
Aussage. (1) In den siebenbürgischen Städten soll laut Verfasser
durch die zunehmenden ökonomischen Schwierigkeiten in den 20-er Jahren
"die weitverbreitete Entkirchlichung, das teilweise dem Freimaurertum,
dem Deismus oder auch der Religionskritik Nietzsches nahestehende Gedankengut
zutage" gertreten sein. Wien vergißt den Hauptverursacher, das ethnozentisch-deutsch-nationale,
bereits nationalsozialistisch angehauchte Gedankengut zu erwähnen,
dem ja gerade die sogenannte "Selbsthilfe", dann die "Erneuerungsbewegung"
des ehemaligen Rittmeisters Fritz Fabritius und die städtische Jugend
der Wandervogelbewegung nachging.
Dann beruft sich Wien auf den "bemerkenswerten Mangel an politischer Streitkultur" bei den Siebenbürger Sachsen, vor allem bei der Kirchenführung, "die bisher nie öffentlicher Kritik" ausgesetzt gewesen war. Was Wien für "politische Streitkultur" hält und wem er diese zumutet, bietet den ersten Einblick in sein sonderbares Geschichtsverständnis. Die radikalen, nationalsozialistisch ausgerichteten politischen Kräfte sollen die Träger dieser Streitkultur gewesen sein, die aber nach deren Handhabe nicht als solche gelten kann. Die Tagebuchaufzeichnungen von Bischof Viktor Glondys1 liefern hierfür ausreichende Belege. Sollen skrupellos geführte, jeglichen Anstandes entbehrende Beleidigungs-, Verleumdungs-, Diskreditierungs-, Lügen- und Hetzkampagnen, ebenso das Ausstreuen von Gerüchten, vor allem gegen die Kirchenführung, gegen Bischof Glondys persönlich, ein Zeugnis "politischer Streitkultur" sein? Das zeugt eher von einer propagandistischen Antikultur, die in den Anstalten von Dr. Göbbels beheimatet und als letzte reichsdeutsche "Errungenschaft" einfach nach Siebenbürgen " importiert worden war. Und wem verdankt das Sachsenvolk die Bereicherung mit dieser neuartigen Errungenschaft deutscher Kultur? Den zahlreichen in Deutschland zum Studium verweilenden Personen, die als Auslandsdeutsche besonders anfällig für das ethnozentrisch-nationalsozialistisch-pangermanische Gedankengut waren. Zügellose Militanz und krankhafter Aktivismus waren in der Tat eine absolute Neuigkeit in Siebenbürgen und es war nur natürlich, daß die auf entehrende Weise angegriffene politische Elite, die Wien als "sogenannt "reaktionär"" apostrophiert, reagieren mußte.
Die weiteren Ausführungen belegen, daß Wien der angegriffenen politischen Elite irgendein Recht auf Verteidigung durchgehend abspricht, indem er sämtliche Maßnahmen der Kirchenführung gegen die schamlosen Radikalen lediglich dahingehend auslegt, daß sie keinen anderen Zweck hatten, als nur die Jungnazis zu treffen. Damit erlischt beim Verfasser jede Spur von Objektivität.
Die Behauptung, die alte Elite sei einer fortschreitenden politischen Entmachtung durch die Anhänger der "elektrisierenden Faszination der Idee der nationalen Erneuerung" ausgesetzt gewesen, so daß sie "nur noch in der Kirchenregierung, dem Landeskonsistorium, in einzelnen Kreisausschüssen und im Bukarester Parlament ein zunehmend umkämpftes Reservat dominierte", suggeriert, daß die sogenannten "Erneuerer" außerhalb dieser minderheitlichen politischen Zirkel eine erdrückende Mehrheit stellten, wodurch Wien indirekt zugibt, daß die Radikalisierung der Siebenbürger Sachsen seit 1933 besorgniserregend zugenommen hatte.
Daß
die "Erneuerungsbewegung" des Fritz Fabritius das Führerprinzip erst
nach ihrer Umwandlung in die Partei der "Nationalen Erneuerungsbewegung
der Deutschen in Rumänien" (NEDR) eigeführt haben soll (Wien,
S.148), widerspricht dem historischen Tatbestand, den Johann Böhm
in seiner Studie Die Deutschen in Rumänien und die Weimarer Republik
1919-1933 zweifelsfrei belegt. Die "Nationalsozialistische Selbsthilfebewegung
der Deutschen in Rumänien" schrieb in ihren "Organisationsrichtlinien"
vom 22. Mai 1932 das Führerprinzip2
fest , also noch vor ihrem Wahlsieg im Oktober 1933.
Die weiteren Ausführungen zeigen, daß Wien die Absichten und
Vorgehensweisen der politischen Widersacher von Bischof Glondys für
durchaus gerechtfertigt hält. Er suggeriert, daß in den Bemühungen
von Glondys, die Konfliktparteien auf der Grundlage der Volkskirche zu
integrieren "Wohl [...] dabei auch persönliche Hoffnung" mitschwang,
"unangefochten an erster Stelle alle Anwärter auf die Volksführerschaft
hinter sich zu lassen und die ethnische Gemeinschaft persönlich zu
repräsentieren" (S.148f.). Daß Glondys für das ihm als
Bischof zustehende kirchliche Repräsentationsrecht verständlicherweise
eintrat und es gegen seine Widersacher verteidigte ist nichts Ungewöhnliches
- er tat doch nur seine Pflicht und wollte seiner Arbeit als Bischof nachkommen
- wurde aber systematisch und nachdrücklich durch das obstruktive
Verhalten der radikalen Chaoten behindert. Die zwar relativierende Aussage
("Wohl") Wiens beruht auf Faktenverdrehung, u.zw. versucht sie, das anfangs
resolute Auf- und Eintreten von Bischof Glondys für seinen kirchlichen
Repräsentationsanspruch und für die politische Unabhängigkeit
der Landeskirche als absoluten - also auch politischen - Führerschaftsanspruch
auszugeben3. Es dürfte einleuchten,
daß der vermeintliche Alleinvertretungsanspruch von Bischof Glondys
eine der zahlreichen Legenden ist, die das Lager der Glondys-Opponenten
in ihrem rücksichtslosen politischen und propagandistischen Kampfeinsatz
als schweres Geschütz ins Felde führte.
Auch im nächsten
Punkt seiner einführenden Betrachtungen bedient Wien eine weitere,
auf Geschichtsklitterung beruhende Legende. Die Landeskirche soll bereits
zu Beginn der Amtszeit von Glondys "einen Eklat zu ihren Gunsten" ausgenützt
haben. Verfasser behauptet, "Glondys' öffentliche Stellungnahme" (Zur
Klarstellung der Lage. Ein Wort an alle Sachsen von Bischof D. Glondys,
24. Februar 1934)4 habe "indirekt
zum Verbot der NEDR 1934" geführt (S.149). Zur Richtigstellung historischer
Tatbestände: die NEDR bestand bis zum Zusammenschluß mit dem
gemäßigten Flügel der Konservativen um Hans Otto Roth am
29. Juni 1935 zur "Volksgemeinschaft der Deutschen in Rumänien" (VDR).
Verboten wurde die NSDR (Nationalsozialistische Selbsthilfebewegung der
Deutschen in Rumänien), u.zw. bereits am 29. November 1933 durch Regierungsverordnung5.
Die Vokabel "Eklat" illustriert die schlagwortartige, extrem selektive Schreibweise Wiens. Er sagt darüber weiter nichts aus. Hätte er genauer ausgeführt, dann hätte der Leser erfahren, daß die nationalsozialistischen Radikalen in der Person von Waldemar Gust den Eklat vom 22. Januar 1934 zu verantworten haben, nicht die Kirchenführung, die laut Wien dieses Vorkommnis zu ihren Gunsten ausgenützt haben soll. Aber solch 'nebensächliche' Aufklärung erachtet Wien nicht der Mühe wert.
Verfasser unterläßt es in seiner extrem selektiven Sichtweise historischer Tatsächlichkeit auch, den Grund anzugeben, weshalb "die bislang für die Meinungsbildung der überwiegend ländlichen Bevölkerung entscheidenden Eliten, Pfarrer und Lehrer(innen)" "vielerorts miteinander zerstritten, mancherorts einmütig gegen den "Konsens von oben" " waren (S.149). Örtliche Uneinigkeiten und Gegensätze waren durch die nationalsozialistisch gesinnten Pfarrer und Lehrer in den ländlichen Bereich eingeschleppt worden, wobei die "Einmütigkeit", die die Befriedungs- und Restaurationsbestrebungen der Kirchenführung als "Konsens von oben" ablehnte, eindeutlig nationalsozialistischer Natur war.
Das Syntagma "Konsens von oben" sagt sehr viel über die einseitige Sichtweise Wiens aus. Da er weder die Herkunft der Wortschöpfung belegt, noch anführt, daß sie durch die siebenbürgischen Kirchengegner geprägt wurde, bleibt als einziger Rückschluß die Annahme, daß Wien das Aufbegehren gegen die Landeskirche nicht mißbilligt. Er vermittelt den Eindruck, den Protest gegen die Integrationsversuche der Landeskirche und gegen die Kirche als geschichtlich gewachsene, organisch in die siebenbürgisch-sächsische Gesellschaft eingebettete Institution gutzuheißen. Die Kirchenabtrünnigen beabsichtigten in ihrem nationalsozialistischen Wahn die Kirche zu zerstören und daher war Bischof Glondys als Kirchenoberhaupt und Sinnbild dieser traditionsbewußten und -gebundenen Körperschaft auch das beliebteste Angriffsziel. "Konsens von oben" vermittelt zwar eine demokratische Konnotation, klingt aber im Munde professioneller Demokratiegegner und Demagogen verwirrend, weil sie die vermeintliche 'Kirchendiktatur' durch die nationalsozialistische Parteien- und Führerdiktatur ersetzen wollten.
Ab
S.150 gilt Wiens Aufmerksamkeit dem Rundschreiben des Landeskonsistoriums
924/1936 vom 14. Februar 1936, das die politische Betätigung der Kirchenangestellten
unter Verbot stellte, den damit verbundenen Folgebestimmungen, ebenso den
Briefen Karl Reinerths und Friedrich Müllers an den Theologen Karl
Barth. Es ist aberwitzig, die Neutralitätsbekundungen des Rundschreibens
als "vorgeblich" abzuqualifizieren und gleichzeitig zu unterstellen, "persönliche,
kirchen- wie machtpolitische Absichten" hätten es veranlaßt
(S.150). Die Kirche tat das, was jeder Betrieb, jede Institution gegen
illoyale Angestellte tun würde. Ein solches Vorgehen als willkürlich
und mißbräuchlich hinzustellen, zeugt von Voreingenommenheit.
Wien bemängelt, die Formulierungen des Rundschreibens seien "zu unscharf
und unklar" gehalten, weshalb sie "reichlich Interpretationsspielraum boten"
(Ebenda). Das ist eine weitere von den Kirchengegnern gesponnene Legende.
Mit der rhetorischen Frage, welche "politischen Gruppen und Parteien" das
Rundschreiben anvisierte, umgeht Wien willentlich die darin festgehaltenen
Forderungen der Kirchenleitung an ihre Angestellten. So verhielten sich
auch die seinerzeitigen Adressaten des Dokuments. Der Text des Rundschreibens
(Wien 162) zeichnet sich durch bestechende Eindeutigkeit aus, die nur der
nicht wahrhat, der eine konsequente Verweigerungsposition bezieht. Es heißt
im Rundschreiben unmißverständlich, daß "die Angestellten
in Kirche und Schule und alle Kandidaten und Studenten der Theologie sowie
der Theologie und des Lehramtes angewiesen" werden, "ihre Zugehörigkeit
zu sämtlichen politischen Gruppen und Parteien zu lösen
und aus der parteipolitischen Front unverzüglich zurückzutreten.
Diese Verfügungen gelten für die Volksorganisation nicht"
(u.U.) (Ebenda). Das Anliegen des Landeskonsistoriums hätte klarer
und eindeutiger nicht vermittelt werden können. Trotzdem nörgelten
die Adressaten, die Aussagen seien irreführend, das aus dem guten
Grund, weil sie ein Spiel vorgeblicher Unbeholfenheit in schamloser Weise
vorführten, auf das sich Bischof Glondys auch noch einließ,
indem er dem Rundschreiben zwei eigene Ergänzungsschreiben folgen
ließ.
Wien behauptet, das Rundschreiben habe angestrebt, "die bereits zerbrochene
Gemeinschaftsideologie, de(n) angebliche(n) Konsens in der Volksorganisation
wirklichkeitsfremd" aufrechtzuerhalten (S.150). Auch diesmal beweist er,
daß er an den tatsächlichen Aussagen des Rundschreibens, folglich
auch an dessen kirchenpolitischer Botschaft, keinerlei Interesse hat, hingegen
dem Dokument eine politische Zielrichtung unterstellt. Die Bestimmungen
des Rundschreibens sind doch gerade gegen die für den Bestand der
Kirche und des Schulwesens gefährlich angeschwollene Politisierung
zahlreicher Angestellter gerichtet. Auch der Vorwurf der Wirklichkeitsfremdheit
ist deplaçiert. Ebenso unsachlich ist es, von einer zerbrochenen
Gemeinschaftsideologie zu sprechen, weil der größte Teil der
Siebenbürger Sachsen keiner ideologischen oder ideologisierten, sondern
der tradierten, christlich ausgerichteten Lebensweise anhing.
Wiens weitere Ausführungen belegen, welches Geistes Kind er ist. Das Rundschreiben sei eine "patriarchalisch-klerikale Machtdemonstration"6, die "eine unangenehme Diskussion prinzipieller und rechtlicher Fragen" vermieden haben soll. Sie ist auch stockkonservativ, befindet Wien, denn sie hätte "möglicherweise eine Revision traditionell geliebter, kirchenpolitischer Grundeinstellungen siebenbürgisch-sächsischer Pfarr- und Bischofsherrlichkeit erforderlich gemacht" (S.150).
Gehen wir zunächst auf die Notwendigkeit einer Diskussion ein. Es stellt sich die Frage, mit wem die Kirchenleitung eine Diskussion anstrengen sollte? Mit Leuten, die bereits 1932 dem damals noch als Bischofsvikar fungierenden Glondys ihr wahres Antlitz zeigten und seit seinem Antritt als Bischof in ihrer Presse und durch Anheizen der Gerüchteküche eine hartnäckige Kampagne der Verachtung mit typisch nationalsozialistischer Militanz und Vehemenz austrugen? Ferner ist zu hinterfragen, welche Prinzipien und rechtlichen Fragen da zu besprechen waren, wo die militanten Nationalsozialisten in der Pfarrer- und Lehrerschaft es lediglich darauf abgesehen hatten, unter dem Vorwand, die patriarchalisch-klerikale Bevormundung brechen zu wollen, die evangelische Landeskirche A.B. in eine deutschchristliche Anstalt umzuwandeln. Es verwundert also nicht, wenn Wien die kirchenloyale Pfarreschaft und die Kirchenführung selbst als Diskussionsverweigerer, d.h. als Obstruktionisten ausmacht.
Anmaßend und unflätig ist die der mutmaßlichen Diskussionverweigerung unterlegte Motivation, weil sie die Ehrerbietung des geistlichen Standes, die jeder Siebenbürger beobachtet, als "Pfarr- und Bischofsherrlichkeit" abqualifiziert. Bei solchen Aussagen beschleicht mich zuweilen der Verdacht, daß U.A. Wien, der doch selbst Pfarrer ist, nur seinen Namen hergegeben oder nur einen Teil der Aussagen dieses revisionistischen Schriftstückes zu verantworten hat. Es ist nämlich zweifelhaft, ob ein zeitgenössischer Pfarrer seinen eigenen Berufsstand dermaßen geringschätzen kann.
Über die Rundschreiben von Glondys Z 1275/1936 vom 6. März 1936 und Z 1275/1936 vom 24. März 1936 schreibt Wien, Glondys identifiziere sich ausdrücklich mit dem Volksprogramm (von 1935), wodurch "die DVR und ihre Anhänger das Ziel der Maßnahme des Rundschreibens 924/1936 gewesen und geblieben zu sein" erscheint (S.151). Glondys beruft sich mit Fug und Recht auf das Volksprogramm, weil er es bereits vor seiner Ratifizierung als "ein guter Boden für eine positive Zusammenarbeit williger Kräfte im Deutschtum Rumäniens" befand (Januar 1936). Und das Volksprogramm deckte auch seine bischöflichen Amtshandlungen7. Weitere Tagebucheintragungen von Glondys belegen, daß er bereits vor dem 13. Januar 1936 beabsichtigte, im Landeskonsistorium den Antrag zu stellen, "daß alle kirchlichen Angestellten sofort aus diesem Jugendbund [unter Staedel und Bonfert] austreten müssen, andernfalls werden sie aus ihren Ämtern entfernt" (Tagebuch, S.195).
Glondys beruft sich aufs Volksprogramm, weil er am 14. Januar 1936 eine Vereinbarung zwischen der Landeskirche und dem Volksrat der Deutschen in Rumänien abgeschlossen hatte (vgl. Tagebuch S.196). Am 17. Januar 1936 holte er die Zustimmung der Dechanten und Stadtpfarrer für die Vereinbarung mit dem Volksrat ein (Tagebuch S.197), wodurch das Verbot durch Z 924/1936 vertraglich gut abgesichert war. Wien unterschlägt all diese Fakten.
Glondys wiederholt im Rundschreiben Z 1275/1936 vom 6. März 1936, daß das Landeskonsistorium "seine Maßnahmen ganz allgemein gegenüber allen politischen Parteien treffen zu sollen gemeint" hat (Wien, S.163). Das Dokument soll integrierend wirken, weil es allen Teilen des Volkes ungeachtet der politischen Meinung gilt8. Den Vorwurf, das Rundschreiben 924/1936 sei eine "parteipolitische Stellungnahme der Kircheleitung", entkräftet Glondys, indem er nun allen Angestellten - also nicht nur den parteipolitisch tätigen - empfiehlt, "sich an der politischen Bekämpfung irgendeiner der bestehenden Gruppen innerhalb unseres Volkes überhaupt nicht zu beteiligen" (Wien, S.163).
Zu den Bedenken, die ihm Bischofsvikar Müller und Landeskirchenkurator H.O. Roth mitteilten, nahm Glondys am 17. und 23,. März 1936 Stellung. Gegenüber Roth führte er aus, was zu bekämpfen sei: "die Teilnahme an unsere Volksarbeit schädigenden gegenseitigen Angriffen in Versammlungen, Zeitungen usw.". Was damit nicht gemeint sei, ist "die Teilnahme an der christlichen Arbeit", "die würdige Vertretung der eigenen Meinung in den Sitzungen, die Rechtfertigung der Mitarbeiter innerhalb der Volksorganisation, wo es not tut usw." (Tagebuch S.205f., 207f.).
Am 24. März 1936 ließ Glondys das zweite Ergänzungsschreiben zum Rundschreiben 924/1936 herausgeben (Wien, S.164f.), in dem er für die Klarstellung von "politischer Bekämpfung" sorgt. Er verstehe darunter "nicht positive Arbeit im Rahmen der Volksorganisation". Die kirchlichen Angestellten sollen an Kämpfen nicht teilnehmen, die "in unserem Volk soviel Unheil angerichtet" haben, sie sollen sich nicht an Angriffen beteiligen, die den "selbstmörderischen Bruderkampf" ausgelöst haben. Noch konkreter: "unsere kirchlichen Angestellten" sollen "sich an den Angriffen in politischen Kampfversammlungen, an Presseangriffen u[nd] d[er]gl[eichen] nicht beteiligen" (Wien, S.164).
Pfarrer
Karl Reinerth, einer der durch das Rundschreiben 924/1936 Betroffenen,
wandte sich am 23. Juni 1936 an den renommierten Theologen Karl Barth,
aber nicht weil Bischof Glondys in seinen Ergänzungsschreiben wankelmütig
aufgetreten war, wie das Wien behauptet (S.151). Reinerths Schreiben beinhaltet
vier willentlich falsch ausgelegte Prämissen:
a)
die Kirche habe durch ihr Rundschreiben 924/1936 "die Volksorganisation
nicht nur anerkannt, sondern auch nach der Auslegung durch den beiliegenden
bischöflichen Hirtenbrief" (Z 1275/1936)
b) "ein
bestimmtes Volksprogramm, durch das diese Volksorganisation zusammengehalten
werden soll", wodurch sie
c) "dieses
Volksprogramm zu einem Gesetz ihres eigenen kirchlichen Handelns" erhoben
hätte9. Daraus ergäbe sich
laut Reinerth und Gesinnungsgenossen
d)
"die entscheidende Frage, ob durch diese Verordnung nicht eine Frage des
Glaubensbekenntnisses berührt wird".
Die ausschließlich der engangelegten Parteioptik - nicht dem christlich-kirchlichen
Dienstauftrag - verhaftete Sicht-, Darstellungs- und Auslegungsweise Reinerths
stellt in verfälschender Absicht, durch chronologische Umkehrung,
die Anerkennung der Volksorganisation und des Volksprogramms als
Ergebnis der Rundschreiben 924/1936 und 1275/1936 vom 24. März 1936
dar. Reinerth reichte Barth eine bewußt gefälschte Chronologie
ein. Dadurch wurden vier Scheinprobleme in die Welt gesetzt. Der mißleitete
Barth gab in seinem Antwortschreiben vom 13. Juli 1936 (Wien, S.166-168)
zu Bedenken, daß Bischof Glondys den Artikel 28 des A(ugsburgischen)
B(ekenntisses) verletzt habe, der die Zuständigkeiten von weltlicher
und kirchlicher Obrigkeit scharf voneinander trennt. Weil Barth über
die genaue politische Lage nicht informiert war, also keine Kenntnis der
unziemlichen und unstattlichen Vorgehensweise der radikalen Kirchenangestellten
gegen ihre eigene Institution hatte, nimmt es nicht Wunder, daß er
fragt: "Woher kann er (Bischof Glondys) wissen, daß es einem Kirchenangestellten
nicht geradezu geboten ist, einer jener Parteien anzugehören und geradezu
verboten, der Volksorganisation anzugehören?" (Wien, S.167). Auch
die folgenden Argumente Barths treffen ins Leere, weil sie auf den falschen
Prämissen beruhen, die Reinerth ihm lieferte. Barth fragt ferner:
"Was hat jenes sein Verbot und Gebot mit dem ihm aufgetragenen mandatum
evangelii docendi et sacramenta administrandi zu tun? Wie kommt er dazu,
sein Gewissen hinsichtlich jener politischen Dinge - [...] - zum Gesetz
für alle die ihm unterstellten Kirchenangestellten und damit die Verkündung
des Evangeliums und die Verwaltung der Sakramente von einer bestimmten
Stellungnahme auf dem Gebiet der
politica administratio
abhängig zu machen?" (Wien, S.167f.). Barth schlußfolgert, durch
das Vorgehen von Glondys sei "die Lehre und das Sakrament dieser Kirche
unrein geworden, weil dann die Freiheit des Glaubens und des Gewissens
in der Kirche gerade an deren empfindlichster Stelle, nämlich im ministerium
ecclesiasticum verletzt ist" (Wien, S.168).
Barths Auslegung
kam den Widersachern der Kirchenführung wie gerufen. Die Umkehrung
von Ursächlichem und Verursachtem, von Reaktion und Aktion, von Verursachern
und Abwehrenden ist perfekt. Bischof Glondys, der eigentlich gegen die
ungestüme und sämtliche Normen des Anstandes und der Ehrerbietung
verletzende bzw. ignorierende Militanz der Radikalen aufgrund des Landeskonsistorialbeschlusses
924/1936 reagierte, wird nun für die Krise verantwortlich gemacht.
Da Barth der eigentliche Sachverhalt verborgen blieb, glaubte er, Bischof
Glondys die Übertretung des Kirchen- und des weltlichen Rechtes vorwerfen
zu dürfen, die eigentlich die Radikalen konsequent betrieben.
Wir sind hier mit der paradoxen Situation konfrontiert, daß nur die
eine Seite mit dem Maß des Kirchenrechts gemessen, während die
andere, eigentlich schuldige Seite, überhaupt nicht nach diesem Maßstab
bemessen wird. Hätte Barth die wahre Sachlage gekannt, dann hätte
er feststellen müssen, daß die Radikalen die Lehre und das Sakrament
der Kirche durch ihr parteipolitisches Auftreten und Beharren verunreinigten.
Bischofsvikar Müller wandte sich in Abwesenheit von Glondys, der nach
Nordamerika verreist war, berechtigterweise gegen Barths Stellungnahme
(am 29. Juli 1936) (Wien S.169f.).
Der Brief Müllers an Barth vom 10. Juli 1936 (Wien S.165f.) ist in mancher Hinsicht aufschlußreich. Darin begründet Müller die Unmöglichkeit, daß Barth in Hermannstadt Vorlesungen abhält. Er beruft sich auf die "in den vergangenen Jahren sehr entschiedene(n) und erfolgreiche(n) Bemühungen", "um Vorlesungen führender Persönlichkeiten aus dem deutsch-christlichen Lager bei uns zu verhindern. Das konnte nur gelingen, indem wir uns verpflichteten, auch die prononcierten Gegner der Deutschen Christen bei uns nicht sprechen zu lassen". Müller erwähnt als weiteren Grund die "bodenständige Auseinandersetzung mit einem Teil unserer Jugend, darunter auch acht Pfarrern", deren "Antriebe" im letzten Grunde deutsch-christlich" sind.
Wien erblickt in der Unparteilichkeit gegenüber den "Kampfgruppen" innerhalb der deutschen Kirche ausschließlich das Primat regionaler Politik als Hintergrund vor der theologisch-systematischen Einsicht (S.152), auch eines Barth. Diese Einschätzung ist zwar richtig, doch sie vernachläßigt die für die damalige Sachlage besonders aufschlußreiche Bezugnahme Müllers auf die deutsch-christliche Kampfgruppe. Wien ignoriert auch die verborgene Botschaft von Müllers Aussage, die Vorlesungen führender Deutsch-Christen konnten von der Kirchenführung nur dadurch verhindert werden, daß sie sich verpflichtete, keinen Gegner der Deutschen Christen, d.h. Mitglieder der bekennenden Kirche, auftreten zu lassen: das ungeheuere Druckpotential, über das die nationalsozialistische Pfarrer- und Lehrerschaft bereits in den frühen 30-er Jahren verfügte. Auch die Zahl von 8 Konfliktpfarrern ist u.E. beschönigt, weil Reinerth in seinem Brief an Barth vom 23. Juni 1936 von 50-60 Pfarrern spricht, die sich geweigert hatten, das Rundschreiben 924/1936 unterschriftlich zur Kenntnis zu nehmen, gegen die Disziplinarverfahren liefen (Wien S.161f.).
Es dürfte jedermann einleuchten, daß das hauptsächliche Bemühen von Wiens einführenden Betrachtungen zu den insgesamt 18 veröffentlichten Briefen weder den geschichtlichen Tatbeständen, also der geschichtlichen Tatsächlichkeit, noch der Wahrhaftigkeit der Brieftexte von Reinerth, Barth und Müller, auch nicht der Wahrhaftigkeit seines eigenen Diskurses gilt, sondern hauptsächlich der Freisetzung politischer Vorurteile, Unterstellungen, Verfälschungen, Fabeln und Mythen, die im behandelten Zeitabschnitt gerade zum propagandistischen Instrumentarium der siebenbürgisch-sächsischen Radikalen zählten. Wien stellt damit unter Beweis, daß ihm die geschichtliche Wahrheitsfindung Schnuppe ist. Seine obsessive Glondys-Zentrik treibt ihn dazu, mit allen verfügbaren Mitteln den Beweis erbringen zu wollen, daß Bischof Glondys und dessen Anhängerschaft das eigentliche Übel jener Zeit war, nicht die radikalen Nationalsozialisten. Ein solches Geschichtsbild, das unwissenschaftliche, der politischen Legendenbildung entsprungene Mittel einsetzt, trägt eindeutig revisionistische Züge.
Verfaßt 27.-29.10.1998
Erschienen in: Halbjahresschrift
für für südosteuropäische Geschichte, Literatur und
Politik, 10. Jg., Heft Nr.2, November 1998, S.126-131.