Diese Seite entstand 1996 und wurde bis Ende 1998, als
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Die Grundpfeiler des Nationalsozialismus, nämlich
- deutschzentrierter Kollektivismus,
- Rassismus,
- das Führerprinzip,>
- der Kampfgeist (manifest in politischhem Militantismus, allgemeinem Hyperaktivismus
und Militarismus),
tragen sämtlich zum Zustandekommen der Gewissenslosigkeit bei. Der Deutschzentrismus ist indessen hauptsächlich daran beteiligt, weil er als zentrales Dogma des Nationalsozialismus an die Stelle des christlichen Weltbildes mit seiner Philosophie der Schuld und Sühne und des christlichen Gewissens trat. Indem der Deutschzentrismus ausschließlich dem deutschen Volk, d.h. dem deutschsprachigen Menschenkollektiv galt, hatten der christliche Universalismus, Integrationismus und Humanismus, also auch die Menschen- und Nächstenliebe als hauptsächliche Äußerungsformen des christlichen Gewissens, ausgedient. An ihre Stelle trat die Liebe und Achtung für den deutschen Menschen und für das deutsche Volk. Das sind Bewußtseins-, nicht Gewissensäußerungen, do daß die Ablösung des Gewissens durch das deutsch-völkische Bewußtsein als typisches Merkmal der nationalsozialistischen Ideologie aufscheint.
Das Bewußtsein, deutsch zu sein, ging mit einem Überlegen- heitsgefühl einher, woraus sich die prinzipielle Abdrängung anderer, nichtdeutscher Menschen in die Minder- und Unwertheit (letzteres bei Juden, Sinti und Roma), also segregationistisch- rassistische Einstellungen und Handlungsmuster einstellten. Der einzelne Deutsche verantwortete ausschließlich für seine (deutschen) Volksgenossen und seine (deutsche) Volksgemeinschaft, aber mit Einschränkungen. So war der deutsche Volksgenosse nicht verpflichtet, für Christenmenschen Verantwortung zu übernehmen, weil das christliche Verantwortungsgefühl als undeutsch verpönt war.
Die paroxystische Abkapselung auf deutsch-nationaler Grundlage trieb auch im Sittlichkeitsempfinden ihre Blüten. Ein siebenbürgisches Beispiel bietet das im Jahre 1941 zwischen der evangelischen Landeskirche und der Deutschen Volksgruppe in Rumänien abgeschlossene "Gesamtabkommen", wo es unter I,1 heißt, daß die Kirche nur Tätigkeiten entfalten darf, die "gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse", will heißen, gegen das 'deutsche Sittlichkeitsgefühl' nicht verstoßen.
Auch das Rechtsempfinden blieb nicht verschont. Der am 18. Januar 1937 vor dem Bezirksdisziplinargericht des Burzenlandes erschienene Pfarrer Wilhelm Staedel bringt in seiner Verteidi- gungsrede das "unmittelbare", "deutsche Rechtsempfinden" seiner politischen Gruppe gegen das "formale Recht" und die "bürgerliche Rechtssprechung" zur Geltung.
Zu dem vom Führerprinzip dominierten Bewußtseinskomplex zählt
die Treue, der Gehorsam, das Pflichtbewußtsein, der Ordnungsgeist,
die Arbeitsamkeit und das Kämpfertum. Diese Tugenden mißbrauchte
der Nationalsozialismus zu gewissenslosen Zwecken, denen sich die strammen
Parteisoldaten willfährig zur Verfügung stellten. Diese Willfährigkeit
konnte nur funktionieren, weil die nationalsozialistische Gewissenslosigkeit
sich im Empfinden, in der Wahrnehmung und im Gefühl des einzelnen
Deutschen und des deutschen Volkes eingenistet hatte.
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Klaus Popa 1998
Was bei der Fortführung der begonnenen, aber jäh abgebrochenen Diskussion zur Vergangenheitsbewältigung beachtet werden sollte
Da eine richtige Diskussion bisher aussteht1,
soll aus der Heftigkeit des Für und Wider in Verbindung mit Daniel
Goldhagens Buch, das der Band Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit.
Der Streit um Daniel J. Goldhagen, Frankfurt a.M. 1998 dokumentiert,
mancher Diskussionspunkt in die siebenbürgisch- sächsische bzw.
rumäniendeutsche Debatte aufgenommen werden.
I.
1) Von einem Überdruß an der "Vergangenheitsbewältigung" bei den Siebenbürger Sachsen kann nicht die Rede sein, weil die Bewältigung noch nicht richtig in Gang gekommen ist.
2) Wir sollen nicht ins Goldhagen-Extrem verfallen, einfache, schlüssige Antworten zu geben.
3) Die wissenschaftliche Unterscheidungsfähigkeit
ist dabei zu wahren (S.86)2
.
5) Interessant ist, daß die Beteiligung
der Volksdeutschen an Einheiten der Waffen-SS als Gegenargument gegen Goldhagens
These (scil. die Deutschen seien willige Vollstrecker des Völkermordes
gewesen) eingesetzt wird, u.zw. können laut R.B. Birn und V. Rieß
"historisch tradierte Denkmuster" "schwerlich auf Bevölkerungsgruppen
übertragen werden, die seit Jahrhunderten von Deutschland getrennt
lebten." (S.44)
Die Siebenbürger Sachsen spielen hier einen klaren Ausnahmefall. Durch
ihre enge kulturelle und wirtschaftliche Anbindung ans Reich, sind sie,
wie die Sudetendeutschen, die einzige Gruppe, die sich die historisch
tradierten Denkmuster des Nazismus vollkommen zu eigen gemacht hat.
6) Zwar ist eine Reduktion auf den Gegensatz Deutsche/Juden in Siebenbürgen nicht gegeben, wurde aber mit der nazistischen Ideologie mitgeliefert und von den in der SS dienenden Siebenbürger Sachsen bzw. Rumäniendeutschen konkret bedient.
7) Der akademische Radikal-Antisemitismus, den die Forschung mit Schreibtisch- und effektiven Tätern in Verbindung bringt (S.102), war bei den Sbg. Sachsen auch verbreitet.
8) Es ist herauszuarbeiten, inwieweit weltanschaulicher Fanatismus (S.98) bei den Siebenbg. Sachsen gegeben war.
9) Die Täter (keine) weltanschaulichen Fanatiker (98); „Weltanschuungkrieger“ (174).
10) Täter hatten kein Unrechtsbewußtsein
(150).
II. Gruppenzwang- und Solidarität
Die Forschung vertritt den Standpunkt, daß:
11) Deutsche aus
Gruppenzwang, Karrierismus und Gehorsam zu Tätern wurden (S.58).
12) die Bevölkerungsmehrheit,
die dem zustimmte, sich in irgendeiner Form beteiligte oder tatenlos wegschaute,
sei es aus Überzeugung, Kalkül, Angst oder Gleichgültigkeit
(S.261).
13) Die
Kollektivschuldthese hat die Schuld des Volks- bzw. Gruppenkollektivs
zum Gegenstand. Als These wird ihre Richtigkeit bezweifelt, es wird ihr
der Gegenstand abgesprochen. In sbg.-sächsischem und rumäniendeutschem
Kontext ist das Wirkungsfeld der Kollektivschuld dahingehend zu begrenzen,
daß sie nur auf die zutrifft, die sich als "Weltanschauungskrieger"
und als Täter ohne Unrechtsbewußtsein nicht nur im Umfeld kriegsrechtlicher
Hoheit sondern auch im Umfeld der Zivilgesellschaft herausgestellt haben.
14) Das Gruppenverhalten
war ausschlaggebend, so auch in Siebenbürgen. Sobald das Postulat
der Gleichheit von Deutschsein und Nationalsozialismus und das Gegenstück
des Undeutschseins bzw. undeutscher Umtriebe im Falle der Mißbilligung
des Nationalsozialismus bzw. der Gegnerschaft sich in der Richtung verfestigt
hatte, daß dasselbe Gleichungspaar auch dem Sächsisch- oder
Unsächsischsein untergeschoben wurde, also zum Maßstab der Volksgruppenidentität
avancierte - was voraussetzt, daß dieses Prinzip von der Mehrheit
der Sbg. Sachsen bzw. Rumäniendeutschen getragen wurde (das erfolgte
durch zügellose Agitation und rücksichtslose Kompromittierung
der politischen Gegner (eine für rumäniendeutsche Verhältnisse
unbekannte Militanz) und schließliche "Machtübernahme" durch
die nazistische Volksgruppenführung im Jahr 1940) - war der Gruppenzwang
in nationalsozialistischem Sinn so gewaltig geworden, daß sich ihm
kaum ein 'Volksgenosse' entziehen konnte. Die es dennoch wagten, galten
als Verräter. Und welcher Durchschnittssiebenbürger, Banater
Schwabe oder Bukowinadeutscher nahm es gerne in Kauf, in nationalsozialistischer
Manier stigmatisiert, also aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen
zu werden? Kaum einer.
15) Der von der Forschung
betonte Einfluß der Propaganda und die Macht des Totalitarismus,
die bei der Bewertung des deutschen Verhaltens während der NS-Zeit
zu berücksichtigen sind (S.232), ist im rumäniendeutschen Kontext
differenzierter zu betrachten als im binnendeutschen Umfeld. Der Einfluß
der Propaganda als meinungsbildend und identitätsstiftend wurde unter
10) angesprochen. Wirksamen Totalitarismus gab es in Rumänien erst
seit der Machtübernahme durch die Volksgruppe (1940), doch sie konnte
ihre totalitären Ansprüche auf politischer Ebene nur zum Teil
realisieren. Allerdings muß betont werden, daß die unter 10)
angesprochene Pervertierung des sbg.-sächsischen bzw. rumäniendeutschen
Identitätsverständnisses in nationalsozialistischem Sinn als
Voraussetzung für den Durchbruch des Totalitarismus zu bewerten ist.
16) Zu
einem monolithisch geschlossenen System, das manche Forscher beim nazistischen
Deutschland zu erkennen glauben (120f.), kam es in Rumänien nicht
unter nazistischem, aber unter kommunistischem Vorzeichen. Hätte den
einheimischen Nazis mehr Zeit zur Verfügung gestanden, hätten
sie die totale Gleichschaltung, also ein monolithisch geschlossenes System
errichten können.
III.
Das "Leid der anderen" wird mit
dem "eigenen Leid" verglichen und ausbalanciert (S.264)
Diese Verhaltensweise ist bei den Sbg. Sachsen nur nach der einen Seite,
nach der der Selbstbemitleidung, erkennbar. Andererseits wirkt sich das
"Opfer-Bewußtsein" (S.264) bei den Sbg. Sachsen teilweise wie bei
den Binnendeutschen aus: sie meinen, auch verführt worden zu sein.
Die Karte der Deportation und Vertreibung („Man“ wurde Opfer der Vertreibung
(S.264)) wird hochgeschrieben, ebenso die, Opfer der „Besatzungsmacht“
(S.264) geworden zu sein. Aber totales Verschweigen des eigenen, zum Teil
wie in Deutschland zur nationalen Hysterie entarteten Deutschglaubens.
Hinzu gesellt sich noch die Karte der „kommunistischen Scheußlichkeiten“
und des kommunistischen Unrechts, das tatsächlich ist, aber immer
wieder vorgeschoben wurde, um von den eigenen nationalsozialistischen bzw.
deutschnationalen Entgleisungen der 30-er und 40-er Jahre abzuleiten bzw.
diese zu verdrängen. Diese in dreifacher Richtung erfolgte und erfolgende
Verdrängung der eigenen Verstrickung entspricht durchaus dem Grundsatz
„Dresden gegen Auschwitz“, selbst wenn die Schuldig- und Schuldhaftigkeit
in Siebenbürgen nicht die Intensität der binnendeutschen erreicht.
IV. Die Schuld
Obwohl die unter 13) angesprochene sbg.-sächsische bzw. rumänien-deutsche
Kollektivschuld im Gegensatz zu Binnendeutschland eigentlich nur auf eine
Minderheit zutrifft, reagieren die Sbg.-Sachsen trotzdem so, als ob die
Verstrickung allumfassend war. Eine Erklärung ist die nach dem Prinzip
der Sippenhaft erfolgte kollektive Verurteilung, Belangung und Knechtung
der Rumäniendeutschen durch das kommunistische Regime. Den Hauptgrund
vermeinen wir im typischen Abwehrmechanismus zu erblicken, den auch die
Binnendeutschen entwickelten, wenn sie auf ihre nazistische Vergangenheit,
Verstrickung oder ihr Mitläufertum angesprochen wurden (oder werden).
Dabei spielt der Versuch, die persönliche Schuld auf eine kollektive
Schuld zurückzuführen, also die individuelle Verantwortung durch
den Hinweis aufs Kollektiv zu anonymisieren, eine Hauptrolle. Andererseits,
und diese Reaktionsweise ist bei den Siebenbg. Sachsen bei weitem die häufigste,
wird die individuelle Nennung eines Schuldiggewordenen bzw. Verstrickten
sowohl vom Betreffenden als auch von der Gemeinschaft umgehend als Versuch
der Kollektivbezichtigung und Pauschalierung3
(also im Sinne der Sippenhaft)
V.
>Das noble Ziel einer "kritischen
Einstellung gegenüber Eigenem"< versus siebenbürgisch-sächsischem
Narzissmus
Die bisherigen Ausführungen legen nahe, weshalb "das noble Ziel einer
"kritischen Einstellung gegenüber Eigenem"
(S.156) nicht Sache einer Minderheit ist, sondern aller in der Bundesrepublik
lebenden Siebenbg. Sachsen und Rumäniendeutschen, vor allem der jüngeren
Generation. In Deutschland wird die Vergangenheitsbewältigung als
Unannehmlichkeit und als Zumutung empfunden (S.276). Wer bei den Sbg. Sachsen
für Vergangenheitsbewältigung eintritt oder sich daran wagt,
gilt als Nestbeschmutzer, linksliberal, antifaschistisch angehaucht und
eigenwillig. Das bisher erfolgreich betriebene Verschweigen dokumentarischer
Evidenz, die Verfälschung von Fakten und die programmatisch betriebenen
Verharmlosung der Tatsachen entspringt der Angst, Selbstverleugnung, Verleugnung
seiner Gruppe bzw. seiner Gruppenzugehörigkeit zu betreiben.
Es muß leider festgestellt werden,daß der kritische Geist gegenüber
Eigenem bei den Siebenbürger Sachsen un- bzw. unterentwickelt ist.
Deshalb sind sie der Weltöffentlichkeit den Beweis des Gegenteils
schuldig geblieben. Voraussetzung dafür sind Distanzierungs-
und Differenzierungsvermögen.
Wie kontraproduktiv die beharrliche Verdrängung und Verharmlosung
ist, belegt z.B. Michael Kroners Besprechung von Adrian Ciupuliga, Die
deutsch- sprachige Literatur in Rumänien zwischen 1933 und 1944. Mit
einer Biblio- graphie zur Literatur und Geschichte der deutschen Volksgruppe,
19885 .
Ein weiteres Beispiel geschichtsklitternder Schreibweise liefert Karl M.
Reinerth, dessen methodisches Spezialgebiet die besonders raffiniert eingesetzte
Pseudodifferenzierung ist, die auf der Umkehrung von Ursache und Effekt
(Verursachtem) beruht. Varharmlosung ist das Ergebnis. Hier einige durch
Reinerth willkürlich in Ursachen umfunktionierte Effekte. Er behauptet
beispielsweise, daß der siebenbg. Wandervogel (Jugendbewegung) immer
versucht hat, „eng mit unserer Kirche zusammenzuarbeiten. Es waren vor
allem die beiden Pfarrer Wilhelm Staedel und Dr. Konrad Möckel, die
in z.T. eigenen Veranstaltungen, wie z.B. in „Richtwochen“, versuchten
- wie ich glaube mit Erfolg - Mädcchen und Jungen des Wandervogels
das Evangelium näher zu bringen.“ Es soll innerhalb des Wandervogels
„ehrlich „um den Glauben gerungen“ “ worden sein7
.
Die erläuterte Problem(schief)stellung erzielt die Verharmlosung geschichtlicher
Tatbestände auch durch:
I. ausschließliche
Darstellung von Ereignissen, wobei auch hier in den meisten Fällen
selektiv verfahren wird, wodurch Akzentverlagerungen entstehen, die zur
Geschichtsklitterung beitragen;
II. aus I. ergibt sich
bewußt betriebene Entpersonalisierung (die Akteure werden nicht genannt).
Wie wichtig die Personalisierung ist,
zeigt Punkt 4.
Dies Verfahren operiert auf drei Ebenen:
a) die nationalistisch
oder nationalsozialistisch befrachteten Akteure werden entweder ganz verschwiegen
(oder als makellos dargestellt);
b) es werden nur Akteure
minderer Bedeutung genannt;
b) indem keine oder nur
wenig profilierte Handelnde genannt werden, wird die 'heikle' Frage eines
nationalistisch oder nationalsozialistisch begründeten politischen
Willens geschickt umgangen, wodurch die Träger dieses Willens,
Einzelpersonen, Gruppen, Parteiungen, Parteien oder Organisationen, nicht
weiter genannt werden müssen. So können im Handumdrehen personen-
bzw. gruppenunabhängige Gegebenheiten vorgeschoben werden, um die
Radika-
lisierung zu erklären, will sagen,
diese außersiebenbürgischen Faktoren anzulasten. So kommt beispielsweise
die Behauptung zustande, die Jünger des sbg. Nationalsozialismus seien
ausschließlich aus reichsdeutscher Richtung vereinnahmt worden, also
nicht aus eigenem Antrieb dieser Ideologie verfallen. . Der Nationalsozialismus
soll also den Siebenbürgern geradezu aufgezwungen worden sein. Die
Fakten sprechen indessen eine gegenteilige Sprache.
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© Klaus Popa 1996 Die durch die Stellungnahme von Stefan Mazgareanu in der Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde, Jg.18 (89.), 1995, S.189-191 (In nationalsozialistische Verbrechen verstrickt. Anmerkungen zu einer Forschungslücke) entfachte Diskussion ist in mehrfacher Hinsicht willkommen. Die Reaktionen lassen sich wie bei jeder Diskussion in positiv und negativ gruppieren. Von den letzteren ist die Stellungnahme von Rolf Reiser, Kritische Anmerkungen, Zeitschr.f.Sbg. Landesk. Jg.19 (90.), 1996 S.66-73 wohl die aussagekräftigste, daher die Entscheidung der Schriftleitung, sie abzudrucken. Reiser entdeckt in der Formulierung "In nationalsozialistische Ver- brechen verstrickt" ganz zu unrecht "pauschale Diffamierung" (S.66,68). Auch das Fazit seiner "Kritischen Anmerkungen" bleibt auf derselben Linie: "... können nicht alle Siebenbürger Sachsen pauschal als "in nationalsozialistische Verbrechen ver- strickt" verunglimpft werden". Die "Betroffenheitsetiket- te" kann auch zu Geschichtsklitterung führen" (S.70). Zum letzteren führt eher das bisher mit sichtlichem Erfolg praktizierte Unterden-Tisch-Kehren, d.h. Totschweigen der Problematik, der sich Mazga- reanu jetzt annimmt. Die Diskussion um nationalsozialistische Verstrickung mancher Sieben- bürger Sachsen kommt zu einem Zeitpunkt in Schwung, da auch die bundesdeutsche Öffentlichkeit sich mit der Frage auseinandersetzen muß, ob der Durchschnittsdeutsche geradezu veranlagt war, ein will- fähriges Werkzeug des nationalsozialistischen Holokaust zu sein. Ausgelöst wurde die Diskussion durch das inzwischen auch in deut- scher Übersetzung vorliegende Buch des US-Politologen Daniel Gold- hagen. Der Fragestellung um die Verstrickung in nationalsozialistische Greultaten ist sowohl auf siebenbürgisch-sächsischer als auch auf bundesdeutscher Ebene jeweils das gleiche Maß zugrunde zu legen, weil dieses Kapitel siebenbürgisch-deutscher Geschichte aufs engste mit der Geschichte des binnendeutschen Nationalsozialismus verbunden, ja eine Auswuchserscheinung des letzteren ist. Die weitere Diskussion bzw. Forschung ist also gefordert, die Geschichte der ideologischen (theo- retisch-weltanschaulichen) und konkret-materiellen Beziehungen des National- sozialismus zu dessen siebenbürgischem Ableger zu erkunden. Erst in diesem kontextuellen Rahmen kann die freiwillige Meldung bzw. das dienstbeflissene Auftreten mancher Siebenbürger Sachsen, ihr eigentlich "blindes" Engagement für die nationalsozialisti- sche Sache beurteilt werden. Einen Einblick in die Rezeption rassistischer Vorstellungen, denen die dokumentierten Fälle von Dr. Klein und Dr. Capesius durchaus entsprechen - zweifelsohne sind diese nicht die einzigen siebenbürgischen Ärzte, die rassenbiolgische Grundsätze vertraten - bietet Heinrich Lingner, "Sitte, Moral und Volksreinheit bei Heinrich Siegmund" (Sbg. Semesterblätter, 6.Jg., 1992, S.169- 172). Es sei noch auf die zahlreichen Aufsätze verwiesen, welche der XV. Abschnitt von Hermann Hienz' "Bücherkunde zur Volks- und Heimatforschung der Siebenbürger Sachsen", München 1960, S.181-187 bibliografiert. Allein von Heinrich Siegmund liegen 5 Aufsätze vor, deren Titel rassenbiologisch-völkisch formuliert sind (z.B. "Zur sächsischen Rassenhygiene"). Ein weiterer Arzt, der ähnlich titulierte Arbeiten bereits Anfang des
Jahrhunderts auftischte, ist Heinrich Müller. In den 30-er Jahren taten sich Alfred Csallner, Ludwig Haltrich, Viktor Lebzelter und Eckhardt Hügel in ähnlicher Weise hervor.Gehe zu TOP
Der
Stellenwert antisemitischer und rassistischer Äußerungen in
der Volks- und Kirchenpolitik von Viktor Glondys, Bischof der evangelischen
Landeskirche A.B. in Rumänien (1932-1941)
von
Klaus P O P A
1. Seite
Viktor Glondys übernahm das Bischofsamt in einer der schwierigsten Perioden siebenbürgisch-sächsischer und rumäniendeutscher Geschichte, als besonders dynamische und skrupellose Kräfte das politische und kirchliche Leben aufrüttelten und in Unordnung brachten. Die nazistische Bewegung artete in der Person des akademischen Jungvolkes, das in Deutschland Theologie und andere Wissenschaften studierte, dahingehend aus, daß Glondys als höchster Vertreter der Kirche, in deren Obhut die Schulen und weitere sozialen Einrichtungen waren, zur Zielscheibe von Verleumdung und Diskreditierung sowohl im In-, als auch im reichsdeutschen Ausland wurde. Zwar gelang es Glondys mit den gemäßigten Nationalsozialisten zu einem vertraglich abgesicherten Modus vivendi zu gelangen, doch die radikalen Kräfte führten ihren Kampf um die Einvernehmung und Umgestaltung der Kirche in nationalsozialistischem Geist unvermindert weiter, bis sie im Jahre 1940 die politische Führung der rumäniendeutschen Minderheit über- nahmen und Bischof Glondys zur Abdankung zwangen.
Um die Stellung von Viktor Glondys zum Problem des Antisemitismus und Rassismus in rechtem Licht sehen zu können, sind folgende Punkte zu beachten:
a) Der Antisemitismus als ideologische Konstante und praktisch angewandte Politik ist bekanntlich eine besondere Form des Rassismus. Glondys artikulierte persönlich nirgends antisemitische Töne, hingegen brachte er das Argument der Rasse wiederholtermaßen zur Sprache in Verbindung mit dem Abwehrkampf der Rumäniendeutschen, vornehmlich der Siebenbürger Sachsen, gegen Entnationalisierungsversuche.
b) Glondys war in erster Linie evangelischer Theologe, daher ist seine Sichtweise und sein Rassenverständnis betont theologisch.
c) Rasse und Volk treten in der Ideologie der Nazis gemeinhin als Begriffs- paar und in nationaler Absolutheit auf. Nicht so bei Glondys, der weder die deutsche (bzw. arische) Rasse, noch das deutsche Volk als rassisch auserwählt anspricht. Er benutzt diese Begriffe lediglich in Bezug auf die Rumäniendeutschen bzw. auf die Landeskirche und deren Inseldasein.
d) Zwar war Glondys konsequent bemüht, die Landeskirche aus den politischen Querelen zwischen Konservativen und nazistischen "Erneuerern" herauszuhalten, was ihm bis 1936 gelang, doch unpolitisch hat er weder bis 1936, noch nachher gehandelt. Er beruft sich auf Antisemitismus zu politi- schen Zwecken, allerdings nur in seiner Frühphase als Bischof. Der Antisemitismus gewinnt dabei ein ähnliches Gewicht wie der Antibolschewismus, der vor allem ab 1936 im Vokabular von Glondys auftaucht.
Bereits auf den ersten Seiten seines
"Tagebuches" finden sich zunächst Anmerkungen über das harte
Durchgreifen der Nazis gegen die Hoch- schullehrerschaft jüdischer
Herkunft. Der Siebenbürger Sachse Hermann Phleps, der an der Technischen
Hochschule in Danzig lehrte und bei dem Kurt, der Sohn von Glondys, Architektur
lernte, sprach über die "Überflutung deutscher Hochschulen durch
Juden", daß die "Säuberung" notwendig gewesen sei, diese aber
unauffälliger hätte durchgeführt werden sollen (August 1933)
1.
1.
D. Dr. Viktor Glondys, Bischof der Evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien,
"Tagebuch. Aufzeichnungen von 1933 bis 1949", hg. von Johann Böhm
und Dieter Braeg, bearbeitet von Johann Böhm, AGK-Verlag Dinklage
1997 (fortan "Tagebuch"), S. 3. Die in Klammern angeführten Zeitangaben
entsprechen den jeweiligen Tagebuchdatierungen. Zum politisch-ideologischen
und gesetzlichen Hintergrund der sogenannten "Säuberung" der Hochschulen
von nichtkonformen Lehrkräften und Studenten vgl. Wolfgang Keim, "Erziehung
unter der Nazi-Diktatur. Antidemokratische Potentiale, Machtantritt und
Machtdurchsetzung", 1. Bd., Darmstadt 1997, S.75-83, 159-163.
2. Seite
Im Zuge seiner in Österreich vorgenommenen Eintragungen, die ganz unter dem Eindruck der Entwicklungen in Deutschland nach der Macht- übernahme durch Hitler stehen, reflektiert Glondys über die "Entstellungen, Verleumdungen, Unterdrückungen durch Verschweigen oder wenigstens Weglassung wesentlicher Tatsachen", die ihm in seiner Amtszeit in Siebenbürgen widerfahren sind. Er denkt dabei an die Angriffe "seitens unserer nationalsozialistischen Presse im Herbst 1931 im Zusammenhang mit meiner Predigt vom "Samaritergeist" " (14. August)2. Den Stein des Anstoßes bildete die Predigt vom 6. September 1931, die durch Fritz Fabritius, den Führer der Nationalsozialistischen Selbsthilfebewegung der Deutschen in Rumänien (NSDR) dem Rassenforscher Dr. F.K. Günther nach Jena zur Begutachtung geschickt wurde. Der Gutachter befand, daß der damalige Kronstädter Stadtpfarrer und Bischofsvikar die Rassenlehre mißachtet habe. Glondys reagierte mit der Feststellung, daß er wissenschaftlich einwandfreie Rassenpflege nicht ablehne, jedoch Rassenhaß und Rassenkultus bekämpfe3. Diesem Grundsatz ist Glondys Zeit seines Lebens treu geblieben. Wenn er sich während seiner Amtszeit als Bischof wiederholt auf Begriffe wie "Rasse", "Rassengesundheit", "volksrassisch", "Rassenschande", "rassische Ehre" usw. beruft, so in wissenschaftlicher, nicht in antisemitischer Zielsetzung.
Bemerkenswert sind die Betrachtungen des Tagebuchschreibers über die "nationalsozialistische Verkündigung". Es fällt auf, daß Glondys eine genaue und distanzierte Einschätzung des NS-Treibens liefert, die ihm bis zu seinem Lebensende eigen war. Er stellt zunächst fest, daß das Bekenntnis zum Nationalsozialismus erzwungen, außerdem der Kadavergehorsam gefördert wird. Die Einschätzung: "Hier haben wir den stärksten Einbruch katholischen Geistes in den Protestantismus" entspringt eher theologischen Überlegungen, doch im Kontext ist ersichtlich, daß Glondys das politische Umfeld in Nazideutschland im Auge hat: "Die geistige Bechränktheit, allerdings verbunden mit fanatischem nationalem Elan, hat gesiegt und herrscht mit der Faust." Glondys findet an der deutschen Erneuerungsbewegung "die Bannung der bolschewistischen Gefahr, die Einigung der Länder und Stämme zu einem Staat und Volk, die Rettung vor jüdischer Überwucherung, die Abkehr von Materialismus und Egoismus, [...], die Hingabe ans Volksganze, das Erwachen des Opfersinns usw" wertvoll (17. August 1933)4. Glondys war damals von einigen "Errungenschaften" des Nationalsozialismus offenbar beeindruckt, u.a. auch von den anti-jüdischen Säuberungsmaßnahmen in Erziehung, Politik und Wirtschaft. Diese Sichtweise steht in Verbindung zu den Verhandlungen, die er im Oktobr/November 1933 in Berlin "in volkspolitischen Angelegenheiten der Deutschen Rumäniens" führte.
Glondys brachte die Idee der "friedlichen
Durchdringung unseres Volkes (der Rumäniendeutschen) mit den Ideen
der Volkserneuerung unter Vermeidung von Angriffsflächen gegenüber
der rumänischen Regierung; und über die Beibehaltung der bisherigen
antisemitischen Haltung ohne öffentliche Proklamierung des Antisemitismus"
(u.U.) seinen reichs- deutschen Verhandlungspartnern vor (Berlin, 25. Oktober)5.
Die Formel der friedlichen Durchdringung mit den Ideen der Volkserneuerung
blieb eine konstante Zielsetzung von Glondys in seiner Abgrebzungs- und
Abwehrpolitik der nationalsozialistischen Angriffe gegen die Landeskirche.
Die Konzeptbezeichnung wurde sogar von den reichsdeutschen Stellen angenommen.
Auch seine Einschätzung, die antisemitische Haltung der Siebenbürger
Sachsen gäbe keinen Anlaß zu öffentlich proklamiertem Antisemitismus,
floß in den Brief des Rudolf Hess vom 25. Oktober 1933
2. "Tagebuch", S. 15.
3.
Hans Beyer, "Viktor Glondys (1882-1949). Ein Beitrag zur Geistes- und Kirchengeschichte
des Südostdeutschtums zwischen den beiden Weltkriegen", in: Festschrift
für Balduin Saria zum 70. Geburtstag (Buchreihe der Südostdeutschen
Historischen Kommission, Bd. 11), München 1964, S.408-459, hier S.
443, Anm.36.
4.
"Tagebuch", S. 18.
5.
"Tagebuch", S. 45.
3. Seite
an Fritz Fabritius ein. Der Antwortbrief der Reichskanzlei an Glondys vom 31. Oktober 1933 hebt "das Rassebwußtsein" der Siebenbg. Sachsen hervor, das "in prächtiger Form erhalten ist"6.
Die Tagebucheintragung vom 26. Oktober 1933 über die Verhandlungen beim Volksdeutschen Rat in Berlin vermittelt den Beweggrund für Glondys' Ablehnung antisemitischer Propaganda in Siebenbürgen: "Gefährdung unserer Industrie und des Handels durch den aggressiven Antisemitismus..." (26. Oktober)7.
Im weiteren Verlauf der Aufzeichnungen gibt es keine antisemitischen Bezugnahmen mehr. Dieser Problemkreis war mit den erfolgreichen Verhandlungsergebnissen in Berlin für Glondys abgeschlossen. Es dürfte einleuchten, daß Glondys’ antisemitischen Äußerungen weder religiös fundiert, noch einem radikalen und vulgären Rassismus entsprangen. Doch die Rassen- und Blutproblematik beschäftigte Glondys weiterhin, zunächst auf politischem Hintergrund, später ausschließlich in theologischem und missionarischem Zusammenhang.
So äußerte Glondys am 26. November 1934 vor Fritz Jickeli, er stehe auf der Grundlage des evangelischen Christen und lehne alles ab, was dem evangelischen Christentum widerspreche. Er schätze die Forderung von D.B.8, im Dienste seiner Gemeinschaft als urchristliche Forderung zu stehen. Er sieht auch "das Eintreten für sein Volk als Gott gegebenes Recht und Pflicht an", er anerkennt das Führerprinzip, "wenn "Führer" nicht gleich Diktator sei, sondern es das Vorgehen des einen und das Nachfolgen des anderen aufgrund des Vertrauens sei". Diese Funktion erfülle auch der Bischof. Doch Glondys lehnt jede Diktatforderung und jeden Kadavergehorsam ab. Er anerkennt auch die Offenbarung Gottes in Rasse und Blut, aber lehnt es ab, "daß sie an Stelle der Offenbarung Gottes in Jesus Christus trete" (Hermannstadt, 26. November 1934)9.
Diese Äußerungen geben die theologische und politische Verhaltensweise von Glondys vor. Das Führerprinzip im nationalsozialistischen Sinn ist ihm fremd. Seine Führerschaft als Bischof unterscheidet sich von der diktatorisch-totalitären darin, daß sie auf Vertrauen der Gefolgschaft, nicht auf Kadavergehorsam beruht (In späterer Formulierung ist die christliche Liebe ausschlaggebend, entgegen dem nazistischen Treuegelöbnis). Hier wir auch sichtbar, bis zu welchem Punkt Glondys bereit war, das Rasse-und-Blut-Prinzip gelten zu lassen: Er akzeptiert es als Offenbarung Gottes10 , lehnt aber seine Mystifizierung in neuheidnischer Kultform ab, weil die Offenbarung Gottes in Jesus Christus für den Christen Glondys einzigartig ist.
Aus dem Beitrag
"Zur Lage der Volkskirche der Siebenbürger Sachsen" in der Jubiläumsausgabe
der "Kronstädter Zeitung" vom 24. Mai 1936 ist ersichtlich, daß
Glondys vom gesamten Vorstellungskomplex um den Begriff "Rasse" auf sozialer
Ebene das Prinzip der 'Rassegesundheit' und auf theologischer Ebene das
der 'Rassereinheit' gelten läßt: "Unsere Volkskirche hat seit
jeher ihre Aufgabe mit darin gesehen, aus religiösen Gründen
auch das V o l k s t u m zu fördern. Daß sie Pflege
von Volkstum u. auch Rassegesundheit nicht nur nicht ablehnt, sondern für
beides zu arbeiten bemüht ist, zeigt sich schon in der Tatasache,
daß in dem Amtsblatt unserer Kirche ein Fürsorgeblatt erscheint,
das dieses Anliegen eindringlich vertritt. Die religiöse Begründung
für V o l k s- u. R a s s e-
b e z o g
e n h e i t k i r c h l i c h e r A r b e i t entnimmt
unsere Kirche aus der Heiligen Schrift, in der bekanntlich die Pflicht
zur Dienstleistung eines jeden einzelnen Mitglieds bei der Erhaltung seines
Volkes und dessen Rassereinheit als Wille Gottes im Alten
6. "Tagebuch",
Anm.126, S.46-47.
7. Ebenda,
S.49.
8. Offensichtlich
ist Dietrich Bonhoeffer gemeint, der ein prominentes Mitglied der "Bekennenden
Kirche" war, die in Opposition zu den Nazis stand. Er wurde im KZ ermordet.
Robert P. Ericksen, "Theologen unter Hitler. Das Bündnis zwischen
evangelischer Dogmatik und Nationalsozialismus", München Wien 1986,
S.252 charakterisiert Bonhoeffers Theologie folgendermaßen: "[...],
daß seine Theologie für den mündigen Menschen sich nicht
auf die Volksidee gestützt oder einen totalitären Staat akzeptiert
hätte".
9. "Tagebuch",
S.147.
10. Glondys
sagt damit nichts anderes, als daß die Rassen- und Völkervielfalt
gottgegeben sind. In theologischen Termini entspricht das der "Offenbarung
aus der Natur" oder der „allgemeinen Offenbarung“.
4. Seite
Testament verkündet und im Neuen nicht nur nicht aufgehoben, sondern durch das Beispiel Jesu und des Apostels Paulus bekräftigt wird"11 .
Dieser Ausrichtung blieb Glondys bis zur Auflösung der Volksgruppe (infolge der Ereignisse vom 23. August 194412) treu. Er trug sein Programm auf Tagungen internationaler Verbände der evangelischen Kirche vor, so am 24. Januar 1937 in Berlin vor dem Zentralausschuß für Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche, wo er unter anderem "auf die volksrassische Bezogenheit der missionarischen Arbeit in unserer Kirche hin(wies)"13.
In der Eröffnungsansprache
"Zur Gegenwartslage unserer Landeskirche" am 3. Juli 1938 vor der 36. Landeskirchenversammlung
bezieht sich Bischof Glondys erneut auf die "völkisch-rassische Gesundheit",
deren Pflege und Förderung den Frauenorganisationen obliegt. Glondys
erklärt: "Das Volk erscheint als Schöpfung Gottes, deren Besonderheit
als Ausdruck des göttlichen Schöpferwillens zu achten ist. Diese
Besonderheit zu verwischen oder allmählich durch Assimilierung aufzuwischen,
erachtet die Kirche ebenso als Versündigung an Gottes Schöpfung,
wie die Vernachlässigung der Pflichten zur möglichsten Gesund-
und Reinerhaltung der Rassen. Darum muß sich eine Volkskirche pflichtgemäß
gegen alle auf die Aufhebung oder Minderung des völkischen Charakters
gerichteten Bestrebungen wenden, woher immer sie kommen mögen. Sie
hat die völkische Art zu schützen. Dies hat unsere Kirche als
eine ihrer großen Aufgaben neben der Verkündigung des Evangeliums
immer angesehen und kann davon nicht lassen, wenn sie nicht eine ihr aus
dem Evangelium der Liebe und aus dem Bekenntnis zum ersten Glaubensartikel
„Von der Schöpfung" gewiesene Pflicht versäumen will. Sie hat
das Volk nicht nur gegen Gefährdung der Volksart, somit gegenüber
allen E n t n a t i o n a-
l i s i e
r u n g sversuchen mitzuschützen, sondern auch dafür zu
sorgen, daß die Volksgesundheit vor Schädigungen bewahrt und
nach Tunlichkeit gefördert wird. Dazu weiß sie sich durch die
Helige Schrift, zu der sie sich als dem Zeugnis von der Offenbarung des
göttlichen Willens bekennt, aufgerufen, da nach der Bibel auf
R a s s e n s c h a n d e härteste Strafen gesetzt sind und
diese Strafen im Willen Gottes begründet werden. [...]“14.
Der Bischof nimmt auch zu den geistespolitischen Tendenzen in Deutsch- land Stellung und charakterisiert die „nicht nur im deutschen Volk auftretende Bestrebung, die Offenbarung in Christus durch Wertever- kündigungen zu ersetzen, die ihre Begründung in Blut, Rasse, Volkstum haben“15 als Gefahr. Glondys bemerkt zugleich tief besorgt und mahnend, daß „diese großen volksbiologischen Phänomene auf dem Gebiet des geistigen Seins vor dem Religiösen“ nicht Halt machen und „bis zur Forderung der Ausschaltung alles Artfremden“ schreiten. „Wir stehen mitten in dieser Entwicklungsphase und dürfen uns nicht wundern, wenn eine jugendliche Bewegung, die ein ganzes Volk ergriffen hat, den Universal- charakter der in Christus erfolgten Offenbarung verkennt, weil andere Tatasachen in den Blickpunkt getreten sind und aus dem Mißverständnis, als handelte es sich bei Christus um die Offenbarung jüdischen Wesens, den Kampf gegen die christliche Kirche im deutschen Volk meint aufnehmen zu sollen. [...]“16.
Glondys erkennt, daß die nationalsozialistische Politik die Kirche auf zwei Fronten in die Mangel nimmt: einerseits auf weltanschaulicher, vermittels der neuen Blut-Rassen-Volkstums-Religion und Mythologie, andererseits auf theologisch-dogmatischer durch die Forderung, das "Artfremde" aus dem Religiösen auszuschalten, sprich: das Jüdische zu verbannen. Damit verkennt die nationalsozialistische Bewegung "den Universalcharakter der in Christus erfolgten Offenbarung" und propagiert mißverständlicherweise, bei Christus handle es sich um die
11. Kronstädter
Zeitung, Festausgabe vom 24. Mai 1936, S.27-29, hier S. 28.
12. Damals
wurde der Diktator Ion Antonescu gestürzt und Rumänien trat auf
der Seite der Alliierten den Krieg gegen Hitlerdeutschland an.
13. "Tagebuch",
S.239 (u.U.).
14. Kirchliche
Blätter, Jg. 30, Nr.27/5. Juli 1938, S.337.
15. Ebenda,
S.338.
16. Ebenda,
S.339.
5. Seite
"Offenbarung jüdischen Wesens". Bischof Glondys lehnt hier die Vergewaltigung des Glaubens seitens der glaubensfremden und theologiefremden und -feindlichen Rassenideologie der Nazis und deren Handlanger in der evangelischen Kirche Deutschlands, die "Deutschen Christen", entschieden ab17.
Den bereits
angesprochenen Universalcharakter der christlichen Offenbarung konkretisiert
der Bischof wie folgt: „... Diese (die der Kirche anvertraute Sache) ist
keine irdische. Sie liegt jenseits alles Irdischen, jenseits aller menschlichen
Konstruktionsmöglichkeiten. Die Frage, auf die die Kirche Christi
Antwort gib, betrifft nicht die menschlich-irdisch-rassisch- völkische
Ebene. [...] Kein Mensch, der um diese Dinge weiß, gleichviel welcher
Rasse er zugehört, kann sich auch nur vor seinem eigenen Gewissen,
geschweige denn vor Gott von seiner Schuld freisprechen. [...]“18.
Weil die Botschaft der Kirche universell ist durch ihre Transzendenz („Sie
liegt jenseits alles Irdischen, jenseits aller menschlichen Konstruk-
tionsmöglichkeiten“),
überbietet sie auch Festlegungen rassisch-rassisti- scher Natur. Glondys
ist also nicht bereit, das Wesen der evangelischen und jeder christlichen
Theologie, das Dogma von der Offenbarung Gottes in und durch Jesus Christus
und das Schuldbekennntis ausschließlich menschlich-irdischen Gesichtspunkten
zu opfern.
Auch seine Äußerung zum "Mythus des 20. Jahrhunderts" von Alfred Rosenberg, ebenfalls anläßlich der 36. Landeskirchenversammlung, zeigt auf, inwieweit Glondys bereit ist, Ansätze des Rassismus in evangelischer Theologie und evangelischem Lebenswandel zu dulden. Er hatte bereits in Verbindung mit der Volksgesundheit darauf hingewiesen, daß "nach der Bibel auf R a s s e n s c h a n d e härteste Strafen gesetzt sind [...]“19. Nun führt er diesen Gedanken aus: „[...] Nichts hindert uns, die positiven Werte anzuerkennen, auf die etwa der M y t h u s d e s 20. J a h r h u n d e r t s hinweist. Im Gegenteil, wir haben sie sehr ernst zu nehmen. Dies ist der Bereich der allgemeinen Offenbarung Gottes innerhalb seiner Schöpfung, in diesem Falle im Rassisch-Irdischen. Aber unsere Frage bleibt. Man kann sich auch gegen die rassische Ehre vergehen. [...]“20.
Rassistische Ansätze in der „allgemeinen Offenbarung“, die in der Schöpfung manifest ist, sind also zulässig, weil auch die Bibel auf Rassenschande bzw. rassische Ehre hinweist. Hat Glondys deshalb als Rassist zu gelten? Zunächst muß des Umstandes Rechnung getragen werden, daß er keinen Rassismus praktiziert hat. Ferner ist zu beachten, daß seine Aussagen zu diesem Thema von der politischen Konjunktur bei den Siebenbürger Sachsen vorgegeben waren. Sie sind als Refelex des ungeheueren ideologischen Druckes einzustufen, dem der Bischof bereits vor seinem Amtsamtritt seitens der einheimischen Nationalsozialisten ausgesetzt war. Da er auf kirchenpolitischer Ebene nicht zu Kompromissen bereit war, bot er seinen Gegnern den „begrifflichen Kompromiss“ an, der sich auf die verbal-begriffliche Ebene beschränkte21. Es fällt
17.
Glondys stand unter dem Eindruck des 1938 von den „Deutschen Christen“
in Eisenach gegründeten antijüdischen „Instituts zur Erforschung
des jüdischen Einflusses auf die Kirche“. Diese hatten in ihrem Zehn-Punkte-Programm
(1932) die Reinheit der Rasse postuliert. Vgl. Ericksen (wie Anm.8), S.74,127.
18. Wie
Anm. 16.
19. Wie
Anm.14.
20. Wie
Anm.16. Die auf der 36. Landeskirchenversammlung geäußerten
Gedanken fanden im Aufsatz „Offenbarung und Weltanschauung“, Sonderdruck
aus „Protestantismus. Zeugnisse der Gegenwart“, hg. von Dr. Gerhard Ohlemüller,
Berlin 1939, ihren philosophisch-theologischen Niederschlag. Da Glondys
hier die Schuld- und Sühneproblematik, die um das „Urphänomen
des Gewissens“ kreist, als Kernstück der christlichen Offenbarung
anspricht, visiert er implizite, daß alle Formen unchristlicher Weltanschauung,
also auch die nationalsozialistische, das Schuldbewußtsein (=das
Gewissen) ausklammert (S. 8). Er warnt auch davor, daß „die besondere
Offenbarung in Christus überflüssig werden könnte“, durch
den rassisch bestimmten Charakter ganzer Völker als Aspekt der natürlichen,
allgemeinen Offenbarung (S.9).
21. Diese
Taktik ließ die sbg.-sächsischen Nazis kalt, die ungehindert
und skrupellos auf die politische und moralische Kompromittierung und Beseitigung
des Bischofs hinausarbeiteten.
6. Seite
auch auf, daß Glondys das Adjektiv ‘rassisch’ immer in Begleitung von ‘völkisch’ benutzt (‘völkisch-rassisch’), hingegen die nazistische Trias ‘Blut, Rasse, Volkstum’22 entschieden verwirft.
Es dürfte einleuchten, daß Bischof Glondys - auch schon durch sein Amt - politisch zu exponiert war, um das rassistische Vokabular seiner Zeit nicht aufzugreifen. Doch er setzte es bewußt nur im kirchlichen Kontext und im Kontext der Siebenbürger Sachsen (bzw. Rumäniendeutschen) ein, um auf die Notwendigkeit der Erhaltung dieser Minderheit hinzuweisen23.
Glondys setzt die Begriffe „Rasse“ und „rassisch“ auf zwei Ebenen ein, auf die sich die jeweilige Konnotation auch beschränkt:
a) auf theologisch-dogmatischer Ebene ist die Konnotation universalistisch
(=allgemein offenbart24),
so wie die göttliche Schöpfung es ist, zu der die Völker
und Rassen gehören;
b) auf volkspolitischer Ebene, konkret auf das Völkchen der Siebenbürger
Sachsen bzw. auf die Rumäniendeutschen als Minderheit bezogen, wo
Glondys „Rasse“ und „Volk“ als austauschbare Begriffe einsetzt. Damit visiert
er implizite das Deutschtum der Minderheit, der er vorsteht und für
die er Verantwortung trägt.
Bereits von seiner aus den Dogmen des evangelischen Christentums abgeleiteten universalistischen Sichtweise her konnte Glondys kein Rassist und folgerichtig kein Antisemit sein. Seine Ablehnung der „Ausschaltung alles Artfremden“, ebenso des deutschchristlichen Postulats, in Christus offenbare sich „jüdisches Wesen“25, blieb auch nach seiner Entfernung aus dem Bischofsamt (Februar 1941) ungebrochen. Die neue Kirchenführung unter Bischof Staedel war offensichtlich bemüht, die evangelische Landeskirche A.B. der Volksgruppenführung, die seit 1940 die politischen Belange der Rumäniendeutschen leitete, nicht in irgendeiner Form zu übergeben, sondern umgekrempelt nach dem Muster der „Deutschen Christen“ und deren antisemitischer Theologie. Dazu sollte das auf Staedels Veranlassung 1941 gegründete „Institut zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben" und die dazugehörende "Arbeitsgemeinschaft" dienen26. Glondys vermerkt in diesem Zusammenhang am 3. März 1943, vom nazistisch eingestellten Pfarrer Lebouton erfahren zu haben, die "Reformation" der Landeskirche "sei nicht auf der Grundlage des Rosenberg'schen Mythos aufgebaut, sondern vor allem im Sinn einer Reinigung der Kirche von jüdischen Einflüssen"27.
Man kann es
nur als Ironie bezeichnen, daß Bischof Staedel sich in der "Vorlage
betreffend Förderung des "Instituts zur Erforschung des jüdischen
Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“" auf eben die Aussagen von
Altbischof Glondys beruft, die dieser anläßlich der 36. Landeskirchenver-
sammlung bezüglich der Volksgesundheit getan hatte28.
Doch Staedel schneidert das Zitat seinem Manifest zweckdienlich zu, indem
er den Passus ausläßt, den Glondys als
22. Wie
Anm.15.
23. Vgl.
S.5 und Anm.14. Es liegen uns auch keine Erkenntnisse vor, daß Glondys
den Terminus „Rasse“ mit „deutsch“ bzw. „deutscher Art“ identifiziert hat.
Er wendet sich ja entschieden gegen das Programm der „Deutschen Christen“,
„alles Artfremde“ (=nichtdeutsche=jüdische Wesen) aus dem Glauben
und der Kirche zu entfernen (vgl. S.5 und Anm.16). Im Zehn-Punkte-Programm
der Deutschen Christen von 1932 heißt es diesbezüglich: „Wir
bekennen uns zu einem bejahenden artgemäßen Christusglauben,
wie er deutscher Luthergeist und heldischer Frömmigkeit entspricht“
(Ericksen (wie Anm.8), S.127).
24. Vgl.
S.4 und Anm.20.
25.
Vgl. S.4. Die deutschen Christen lehnten das Alte Testament wegen seiner
tiefgreifend jüdischen Wurzeln ab und "proklamierten einen arischen
statt eines jüdischen Jesus und vermischten heidnische und christliche
Elemente zu einem eigentümlich deutschen Mystizismus" (Eicksen (wie
Anm.8), S.75).
26. Dr.
J. Böhm druckt unter Nr.10 im Anhang seiner Tagebuchedition die Zuschrift
dieser Arbeitsgemeinschaft an die Volksgruppenführung (15. März
1942) und die "Vorlage betreffend Förderung des "Instituts zur Erforschung
des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben"„ vom 31.
Oktober 1941, die dem Landeskonsistorium vorgelegt und angenommen wurde,
ab ("Tagebuch", S.531-535).
27. Tagebuch,
S.348.
28. Vgl.
S.5 und Anm.14.
7. Seite
Argument für
die bisherige Kirchenpolitik einsetzt: "Dies [Die Aufgabe, die völkische
Art zu schützen] hat unsere Kirche als eine ihrer großen Aufgaben
neben der Verkündigung des Evangeliums immer angesehen und kann davon
nicht lassen, wenn sie nicht eine ihr aus dem Evangelium der Liebe und
aus dem Bekenntnis zum ersten Glaubensartikel „Von der Schöpfung"
gewiesene Pflicht versäumen will. Sie hat das Volk nicht nur gegen
Gefährdung der Volksart, somit gegenüber allen E n t n
a t i o n a l i s i e-
r u n g sversuchen
mitzuschützen, sondern auch dafür zu sorgen, daß die Volksgesundheit
vor Schädigungen bewahrt und nach Tunlichkeit gefördert wird"29.
Staedel klammert gerade die Aussagen aus, die seinem Deutsche- Christen"-Gehabe widersprechen: die Verkündigung des Evangeliums der Liebe und der Offenbarung Gottes in der Schöpfung und in Christus30. Die Aussage von Glondys belegt unmißverständlich die Priorität christlicher Verkündigung, die sekundiert wird durch Bemühungen um die Volks- gesundheit zwecks Erhaltung der völkischen Art gegen Entnationalisie- rungsversuche ("Dies [Die Aufgabe, die völkische Art zu schützen] hat unsere Kirche als eine ihrer großen Aufgaben neben der Verkündigung des Evangeliums immer angesehen ...“ (u.U.)).
Die von Glondys reklamierte Reinerhaltung völkischer Art ist also mitnichten antisemitisch oder ideologisch begründet, während es Staedel in Verbin- dung mit dem "Institut zur Erforschung des jüdischen Einflusses [...]" um "die Frage nach der Geltung des Alten Testamentes, besonders des jüdischen Gesetzes für unsere Sittlichkeit, für den Religionsunterricht und als Richtschnur (Kanon) des Glaubens, somit als 'Heilige Schrift' [....]"31 und um "das Judenproblem in seiner ganzen Tragweite und seiner umfassenden Bedeutung" aus nationalsozialistischen und staastpolitischen Erwägungen ging32.
Glondys hat gegen diese "verpolitisierte" Theologie als Bischof und auch danach konsequent angekämpft. Am 17. November 1943 erklärte er Heckel, Oberkonsistorialrat und Vertreter des reichsdeutschen kirchlichen Außen- amtes, Heft 2 der „Schriftenreihe"33 des von Bischof Staedel und dem Landeskonsistorium gegründeten "Instituts“ in seinen Kampf um die Verteidigung der "zentralen Frage der Kirche, um die Verkündigung im lutherisch-reformatorischen Sinne"34 einzubeziehen35.
29. Wie
Anm.14.
30. Die
Deutschen Christen lehnten dieses universalistische Offenbarungsverständnis
ab und proklamierten eine geschichtsimmanente, völkisch (rassisch-nationalistisch)
verbrämte Offenbarung. In dieser Sichtweise war auch Adolf Hitler
und das durch ihn personalisierte Führertum eine göttliche Offenbarung.
Die von der Bekennenden Kirche 1934 abgegebene "Barmer Theologische Erklärung"
lehnte die Ansicht der Deutschen Christen ab, daß Gott den Menschen
durch die deutsche Geschichte eine neue Botschaft zukommen lasse (Ericksen
(wie Anm. 8), S.124,140); ferner, daß jeder Versuch, deutsche Geschichte
mit einer heiligen Offenbarung gleichzusetzen oder in den Ereignissen von
1933 Gottes Ruf an die Kirche zu sehen, gefährliche Häresie sei;
sie betonten, daß Gott sich den Menschen nur durch Christus offenbare
(Ericksen, S.124).
31.
Das ist die Sichtweise der deutschen Christen, die das Alte Testament als
'jüdisch' ablehnten (Vgl. Anm.25).
32. Wie
Anm.26, S.535.
33.
Es handelt sich um Andreas Scheiner, "Das Dogma der evangelischen Landeskirche
A.B. in Rumänien. Ein Vorwort von A.Sch." (Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft
des Instituts zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche
kirchliche Leben in der evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien),
Sibiu-Hermannstadt, 1942.
34. "Tagebuch",
S.377.
35. Glondys'
Abwehrschrift "Nationalkirchlicher Angriff gegen das Dogma der evang. Landeskirche
A.B. in Rumänien. Ein Wort der Abwehr", erschien wegen Zensurverhinderung
schließllich im Dezember 1944, obwohl sie bereits im Mai 1943 abgeschlossen
war (Vgl. "Tagebuch", Eintragung vom 27. Mai 1943 (S.357)).
8. Seite
Glondys wandte
sich am 9. Oktober 1944, nachdem er die Geschäfte des Bischofs wieder
kurze Zeit übernahm, in einem Hirtenbrief36
vehement
gegen das "Gesamtabkommen" zwischen der Volksgruppen- führung und
der Landeskirche (11. August 1942), "worin gleich der erste Satz eine für
einen evangelischen Christen gotteslästerliche Herabsetzung Christi
enthält, indem unser Heiland mit seinem Wort hinter die von dieser
sogenannten Volksgruppenführung vertretenen Grundsätze gestellt
wird. Christus hatte also zu schweigen, wenn es der Volksgruppenführung
so paßte. Das Christentum sollte nicht mehr uneingeschränkt
verkündigt werden dürfen, sondern nur so weit es dem von der
Volksführung als Maßstab aufgestellten, in keiner Weise näher
bezeichneten "Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse"
nicht widersprach. Das bedeutete: Dem Heiland sollte der Mund verbunden
sein, wenn sein Wort nach der Meinung der Volksgruppenführung in Widerspruch
zum germanischen Sittlichkeitsgefühl trat"37.
Diesen konsequenten Standpunkt vertrat Glondys auch im Jahr 1947 im Rahmen
seiner Auseinandersetzungen mit dem damaligen Bischof Friedrich Müller38.
Hier kommt abermals klar zum Ausdruck, daß Glondys aufgrund seines
mit Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer und der Bekennenden Kirche verwandten
Christentumsbegriffes weder Rassist noch Antisemit war.
Dafür spricht shließlich auch seine starke Verwurzelung im Weltprotestan- tismus und im Weltluthertum39. Glondys betonte wiederholt vor den Gremien des Weltprotestantismus die volksmissionarischen Aufgaben der ev. Landeskirche A.B. in Rumänien, womit er um Verständnis für die Besonderheit des rumäniendeutschen Volkskirchentums warb. Durch seine aktive Teilnahme an internationalen Konferenzen des Weltprotestantentums band er seine Kirche in die ökumenische Bewegung und Arbeit ein. Die erfolgreich betriebene Weltöffnung seiner Kirche wurde Glondys von seinen Gegnern, ob Nationalsozialisten oder im Autochthonismus verklemmten Amtskollegen, verständlicherweise verübelt40.
Bischof Glondys stand der ev. Landeskirche A.B. in Rumänien in einer stürmischen Zeit vor, als sich innen- und außenpolitische Ereignisse überschlugen. Er trat konsequent für die theologische und politische Eigenständigkeit der ihm anvertrauten Kirche ein, doch der überwältigende Druck, der aus den Reihen der Kirche selbst, von der Landespolitik und der auslandsdeutschen Politik des Nazireiches einprasselte, zermürbte ihn schließlich, so daß er dem nationalsozialistischen Bischof Staedel das Feld räumen mußte. Unsere Ausführungen weisen nach, daß die von Glondys gelegentlich eingesetzten Vokabeln rassisch-rassistischer Konnotation keinen antisemitischen Unterton hatten. Sie sollten auf seine nationalsozia- listischen Gegener beschwichtigend wirken (wir nennen das einen "verbalen Kompromiß"). Er band diese Termini in den mit Mitteln der sogenannten 'Volkshygiene' geführten Abwehrkampf der Siebenbürger Sachsen und der Kirche gegen die Entnationalisierung ein. Das ist das mindeste Zugeständnis, das er dem autochthonen Nationalsozialismus machte*.
36.
Abgedruckt in: Bischof Friedrich Müller, "Erinnerungen. Zum Weg der
siebenbürgisch-sächsischen Kirche 1944-1964", bearbeietet von
Hannelore Baier (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, Bd.17),
Köln Weimar Wien 1995, Beilage I, 3a, S.208-212.
37.
Ebenda, S.210. Die von Glondys inkriminierte Stelle im "Gesamtabkommen"
lautet: "1. Im Geiste der nationalsozialistischen Weltanschauung sichert
die Volksgruppenführung wie den übrigen Bekenntnissen innerhalb
der Volksgruppe so auch der ev. Landeskirche A.B. in Rumänien die
Freiheit ihres religiösen Bekenntnisses und damit der christlichen
Verkündigung im Sinne der Augustana für alle kirchlich-religiösen
Veranstaltungen und Einrichtungen sowie für das gesamte kirchliche
Schrifttum zu, soweit nicht - unter Mißbrauch dieser Freiheit - der
Bestand der Volksgruppe gefährdet oder gegen das Sittlichkeits- und
Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen wird." (J. Böhm,
"Tagebuch", Anhang Nr.11, S.536).
38. Dokumentiert
im "Tagebuch", S.488-490, 493, 499 und Bischof Friedrich Müller, "Erinnerungen"
(wie Anm.36), vor allem Anhang I, Beilage 18, S,.362-414.
39. Dazu
Beyer (wie Anm. 3), S. 437f., 447. Stellungnahmen von Glondys zu diesem
Problemkreis in "Zur Lage der Volkskirche der Siebenbürger Sachsen"
(wie Anm.11, S.29); "Zur Gegenwartslage unserer Landeskirche" (wie Anm.14,
S.342f.).
40. Alles,
was diesen Leuten "international" oder "internationalistisch" dünkte,
wurde mit Argwohn betrachtet und verteufelt.
*
Zumindest bis zum Eintritt in die nazistische NAF (Nationale Arbeitsfront)
im März 1939. Die Meinungen über diesen Schritt von Glondys gehen
auseinander. Die Erörterung dieser Frage soll unterbleiben, weil sie
den Rahmen unserer Untersuchung überschreitet.
[Mit
geringfügigen Formulierungsänderungen erschienen in: Halbjahresschrift
für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik,
10. Jg., Heft Nr. 1, Mai 1998, S.37-45].
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Das Nachrichtenmagazin
"Der Spiegel" bringt in der Ausgabe Nr. 47/18.11.96 zum Thema des Holocaust
den Beitrag "Geheime Reichssache. Freigegebene Abhörprotokolle der
Briten belegen: London wußte schon früh vom Beginn der Judenvernichtung
- und schwieg" (S. 112 und 114). Die Dookumente bestätigen laut "Spiegel"
Forschungen, nach denen vor allem die SS- und Polizeieinheitend den Massenmord
begingen, was auch Stefan Mazgareanu im oben diskutierten Aufsatz nahezulegen
versucht. Den ersten großen Mordauftrag erledigten die Polizisten
Hitlers am 27. Juni 1941 in Bialystok. Die Bilanz: über 2000 Tote.
Der "Spiegel schreibt hier- zu: "... die Polizisten waren keineswegs kampfgewohnt,
sondern meist schlecht ausgebildet oder untauglich für den Fronteinsatz.
Vielen war ein unbewaffneter Jude als Gegener zudem lieber als ein Sowjetsoldat.
Also mordeten sie um ihr Leben". Britische Abhörexperten haben knapp
2000 Funksprüche der Polizeiführer in Rußland ab dem 18.
Juli 1941 aufgefangen und entschlüsselt, doch ihre Befunde blieben
streng geheim. Am 13. Oktober 1941 wurde den drei Höheren SS- und
Polizeiführern der Besatzungszonen in Rußland verordnet, "Mitteilungen,
die als geheime Reichssache besonderer Geheimhaltung bedürfen", nicht
mehr zu funken. Damit bricht die genaue Bezugnahme auf die Anzahl der erschossenen
Juden und Partisanenangehörige ab. Der amerikanische Historiker Richard
Breitmann untersucht zur Zeit das überlieferte Material. Er hat die
Funksprüche, die den Beginn des Holocaust im Telegramm protokollieren,
publik gemacht. Wir wiedergeben den Wortlaut des entschlüsselten Funkspruchs,
den der "Spiegel" abbildet: Unter Punkt 2 werden folgende Tätigkeiten
der Polizei- bataillone vom 27.8.1941 gemeldet: 1. SS Brigade: Brigade
erreicht bei Säuberungsaktionen nördlich Rollbahn Korosten-Bialokurowicze
die allgemeine Linie Michailowka...; Unter Punkt 3 werden Erfolge aufgezählt:
1. SS Brigade macht 99 Gefangene und erschießt 16 Juden und Partisanen-
angehörige; Rgt. Süd greift 22 ehemalige Kriegsgefangene auf
und erschießt 914 Juden; Sonderaktionsstab mit Pol.Batl. (Polizei
Bataillon) 320: 4200 Juden erschossen. Ob nun an solchen Aufgreifungs-,
Säuberungs- und Erschießungsaktionen auch Siebenbürger
Sachsen teilgenommen haben, läßt sich durch die über- lieferten
Funksprüche direkt nicht belegen. Wenn nun die Mitgliederlisten der
einzelnen SS- und Polizeieinheiten bekannt wären, dann könnten
die jeweiligen Siebenbürger Sachsen, die an solchen Aktionen beteiligt
waren, wenigstens namentlich gemacht werden. Damit dürfte die massivedischen
Beteiligung von siebenbuergisch-saechsischen SS- und Polizeimännern
an Holocaust-Operationen auf die Dauer des Rußlandfeldzuges zweifelsfrei
erbracht sein.
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Ernst Klee
© Klaus Popa 1997
Das Buch ist in mehrfacher Weise für die Beteiligung der Rumäniendeutschen Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen) am Holocaust aufschlußreich. Außer den bereits bekannten Namen Dr. Victor Capesius und Dr. Fritz Klein, die in Auschwitz tätig waren, ließen sich die Namen von weiteren zwei siebenbürgisch-sächsischen Ärzten und einem (möglicherweise) banat-schwäbi- schen Arzt identifizieren. Unter den 266 Arzten, die in Konzentrationslagern tätig waren (die Aufstellung von Ernst Klee auf S. 49-59) figurieren unter Nr. 167 (S.55): Orendi,Benno, in Sachsenhausen tätig, am 17.9.1948 in Hameln hingerichtet; unter Nr. 266 (S.59) Zerbes,Otmar Martin, SS-Zahnarzt in Kaufering (ein aus insgesamt 12 Lagern bestehender Nebenlagerkomplex des KZ Dachau [Vgl. Gudrun Schwarz, Die nationalsozialistischen Lager, Frankfurt a.M.1997, S.187f.].Das Identifi-ationsargument lieferten die nur in Siebenbürgen anzutreffenden Nachnamensformen 'Orendi' und 'Zerbes'. Als Banater Schwabe dürfte Dr. Friedrich Stumpfl einzustufen sein. Er war nicht in KZs beschäftigt, er unternahm aber als Kriminalbiologe, unternahm aber als Kriminalbiologe, Erbcharakterologe und Psychopathenforscher mit Unterstützung der Deutschen Forschungs Gemeinschaft 1937/38 familienbiologische Untersuchungen an 60 Sippen in Marienfeld (Banat). Im Überblick über die vom Reichforschungsrat unterstützten wissenschaftlichen Arbeiten unter Beifügung der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft auf den geisteswissenschaftlichen Gebieten geförderten Arbeiten, Jg.38/39,III. Heft, S.97 gibt er als Forschungsprojekte an: "Psychopathenzwillingsforschung", "Charakterologische Familienuntersuchung an 60 Weinbauernsippen", "Sittlichkeitsverbrecherzwillinge". Nach dem Krieg wurde Stumpfl Universitäts- professor in Innsbruck. Klees Buch liefert neue, der siebenbürgisch-sächsischen Forschung unbekannte Einzelheiten über Fritz Klein und Victor Capesius. Aussagen von Betroffenen im Auschwitz-Verfahren (1959, 1960, 1961 und 1962), im Mengele-Verfahren (1967) und Angaben in den Auschwitz-Heften (1987) beschreiben Dr. Fritz Klein als schlechten Sprecher der deutschen Sprache (die Aussage stammt von einem Binnendeutschen), doch er sprach perfekt Ungarisch. Klein zeigte anfangs menschliche Umgangsformen. Er machte in den ersten Tagen den Eindruck,selbst nicht genau zu wissen, wo er sich befand.Er wollte sich zumindest für die älteren Kranken um einen Platz unter menschlicheren Bedingungen kümmern. Doch schon am nächsten Tag verhielt er sich im SS-Sinn richtig und nahm dann auch an den Selektionen teil. Als die Häftlingsärztin Ella Lingens Klein fragte, wie er seine Selektionstätigkeit mit dem Hippokratischen Eid vereinbaren könne, antwortete er, er schneide aus Achtung vor dem menschlichen Leben einen vereiterten Blinddarm heraus, "die Juden sind der vereiterte Blinddarm am Körper Europas". (S.405f.). Aus Samuel Stern, Die Schrecken von Auschwitz. Internationaler Suchdienst Arolsen: Pseudo-medizinische Versuche im KL Auschwitz, PhlegmoneVersuche, 15.5.1973,Anlage I, ist zu erfahren, daß Dr. Fritz Klein am 23.August 1944 mit den ersten 20 Versuchspersonen im Block 28 erschien (S.205f.). Aus dieser Information ist zu entnehmen,daß Klein außer den Selektionen an den Rampen des KZs auch Selektionen für Versuchsreihen, die in Auschwitz durchgeführt wurden. Aus der Ärzteliste von Klee ist zu entnehmen, daß Klein nicht nur in Auschwitz, sondern auch in Neuengamme und Bergen-Belsen war und am 13.12.1945 in Hameln hingerichtet wurde (Nr.113, S.53). Außer der Selektion an der Rampe (S.417) war Victor Capesius auch an der Vergasung und am Krematoriumsbetrieb beteiligt (Die Vorschriften der Selektion besagten, daß jeweils zwei Ärzte bei Ankunft eines Transportes Dienst hatten: der eine hatte Rampendienst, der andere beaufsichtigte Vergasung und Krematorium) (S.416). Weil hinter jedem Transport von Menschen, die in die Gaskammern getrieben wurden, ein Sanitätsauto mit den Zeichen des Roten Kreuzes fuhr, in dem der diensthabende Arzt zur Gaskammer gebracht wurde - in diesem Fahrzeug wurde auch das bei der Menschenvernichtung eingesetzte Zyklon transportiert - (S.417), steht die Aussage von Vera Alexander vom 3.5.1963, Lagerapotheker Capesius habe ihr bei einer Erkrankung gesagt, er sei bereit, sie in seinem Wagen ins "Schonungslager" zu bringen, womit er die Gaskammer meinte (S.426f.) im Zusammenhang mit Capesius' Dienst bei der Gaskammer und dem Krematorium. So wird Capesius auch den "Desinfektoren" das das Zeichen gegeben haben, die Vergasung einzuleiten,ebenso das Zeichen, die Gaskammer wieder zu öffnen.Bekanntlich war Capesius Vertreter der I.G.-Farben in Rumänien und dieser dienstlichen Verbindung ist es wohl zuzuschreiben, daß er in Auschwitz Lagerapotheker wurde. Er war zweifelsohne mit Flottenarzt Heinrich Ruge bekannt, der von April 1941 bis Mai 1943 Beratender Hygieniker beim deutschen Luftflottenarzt in Rumänien war (S.343). Dr. Ruge schickte dem in Buchenwald eingerichteten Hygiene-Institut der Waffen-SS Impfstoff, der aus Hundelungen nach dem von Cambiescu und Zotta hergestellt wurde (Hersteller: Cantacuzino Bukarest), der im August 1942 an 20 Versuchspersonen eingesetzt wurde (S.325.). Es obliegt der Forschung, die Aufenthaltszeit des Dr. Ruge in Rumänien zu durchleuchten und auch die mögliche Verstrickung des Medizinischen Instituts Cantacuzino in Bukarest in weitere KZ-Versuchsreihen herauszustellen. Wenn Capesius und Ruge in Rumänien enge Kontakte pflegten, was ziemlich wahrscheinlich ist, so darf angenommen werden, daß Capesius etwa zu dem Zeitpunkt in Auschwitz seinen Dienst antrat, als Ruge Rumänien verließ - (Mai 1943). Doch Capesius kam an der Rampe und bei der Gaskammer erst seit dem Frühjahr 1944 in Verwendung, als der Standortarzt Dr. Wirths sich trotz der Aufstockung des Personals mit Dr. Thilo und Dr. Klein genötigt sah, auch die anderen im Lagerbereich tätigen Sanitätsleiter (Zahnärzte,Apotheker) zum Selektionsdienst einzuteilen (S.416). Der im Frühjahr 1944 in Dienst genommene Lagerarzt Klein wurde folglich sofort dem Selektionsdienst zugeteilt. Daher die ihm von einer Häftlingsärztin bescheinigten unzähligen und rücksichtslosen Selektionen (S.406). Gehe zu TOP
Dürfte kein Banater sein!
Zur Rezension von Klaus Popa "Weiteres Diskussionsmaterial zum Thema Holocaust" in der KR vom 14. Februar 1998, Seite 3
Entweder man weiß es, oder man weiß es nicht! Allein auf Grund des Namens Stumpfl den Schluß zu ziehen, daß dieser Banater Schwabe gewesen sein dürfte, reicht nicht, vor allem nicht in diesem Kontext. Es gab im Banat den Namen Stumpf (z.B. in Billed, Liebling) und früher in Temeswar Stumpfoll, aber m.W. nicht Stumpfl. Dr. Friedrich Stumpfl taucht auch in keinem Banater Nachschlagewerk zu Mediingeschichte auf, im biographischen Lexikon von Dr. A(n)ton P. Petri ist auch kein Hochschullehrer unter diesem Namen zu finden. Die mit Stumpfl in Verbindung angeführten Untersuchungen in Marienfeld wurde bereits Anfang der 30er Jahre begonnen, es ging um eine vergleichende Studie mit einem etwa gleich großen Dorf in Kärnten und die Sache hatte ursprünglich kaum etwas mit der späteren Nazi-Rassenlehre zu tun. Einer der Leiter, Dr. Ceyer, kein Banater, legte seine Ergebnisse noch vor Kriegsausbruch auf einer wissenschaftlichen Tagung in England vor. Bei den Untersuchun- gen in Marienfeld - das wurde vor Ort nicht so deutlich gesagt - sollten vor allem Inzuchterscheinungen ermittelt werden. An den mehrjäh- rigen Vermessungen und statistischen Erfassungen beteiligten sich auch mehrere Studenten aus Deutschland, Österreich, Sieben- bürgen (so der spätere Prof. Dr. Carl Göllner) und Banat, die in Deutschöand studierten. Ein großer Teil der Originalunterlagen zu den Erforschungen in der Winzergemeinde Marienfeld sind erhalten, auch die Todesdokumentation, und liegen in Wien vor. Gehe zu TOP
Der "entlastende Vergleich" als Muster der Geschichtforschung
Cornelius
R. Zachs Aufsatz Totalitäre Bewegungen in der Zischenkriegszeit:
Rumänen und Deutsche in Rumänien. Voraussetzungen, Ähnlichkeiten
und Unterschiede (in: Rumänien im Brennpunkt (Veröffentlichungen
des Südostdeutschen Kulturwerks, Reihe B: Wissenschaftliche Arbeiten,
Bd.83) München 1998, S.135-151) ist das jüngste Beispiel für
die unzulängliche, zuweilen wiedersprüchliche Weise, in der die
Repräsentanten der siebenbürgisch-sächsischen Zeitgeschichtsforschung
die Zeitspanne 1933-1944 behandeln. R.Zachs Text liefert ausgezeichnetes
Belegmaterial dafür, wie eine durch Vorbehalte und Vorurteile gegängelte
Geschichtsschreibung
funktioniert - bzw,
nicht funktioniert. Es geht Zach in erster Linie darum, die Verbreitung
des nationalsozialistischen Gedankenguts und Gebarens nur insoweit zuzugeben,
als das sein vorgefaßter Standpunkt zuläßt.
So
fällt es auf, daß das Wort "Nationalsozialismus" erst auf der
6. Aufsatzseite auftaucht (S.140), dann auch nur in Verbindung mit der
radikalen Gruppe der DVR, sodaß der Leser erst auf der 13. Seite
(S.147) erfährt, daß die "Fabritianer" in ihrem Programm von
1933 von "Rassenhygiene" sprechen, die "im nationalsozialistischen Sinne"
zu verstehen ist. Kenner jener Ereignisse werden gleich wissen, daß
es sich um die "Erneuerungsbewegung" des Fritz Fabritius handelt, deren
Gebaren Zach aber bis zu genannten Stelle nicht explizit als nationalsozialistisch
benennt.
Ähnlich
verfährt Zach auch mit Bischof Staedel, der bekanntlich ein fanatischer
Nationalsozialist war. Auf S.146 heißt es, Staedel sei dem Nationalsozialismus
nahegestanden, auf S.148 heißt es dann, Staedel war "ein überzeugter
Nationalsozialist". Diese Inkonsequenz der Aussagen erweckt den Eindruck,
daß Zach sein Forschungsobjekt entweder nicht ausreichend beherrscht,
oder, daß er sich nicht festlegen will, wo der nationalsozialistische
Charakter der "Erneuerungsbewegung" unter Fritz Fabritius bereits in ihrer
Form als "Selbsthilfe" erwiesen ist (Vgl. Dr. Johann Böhm, Die
Deutschen in Rumänien und die Weimarer Republik, Ippesheim 1993,
Anhang Nr.6, Nr.8. Daß Zach keine der aufschlußreichen Arbeiten
Böhms heranzieht, ist symptomatisch für die ausweichlerische
Tendenz seines Aufsatzes).
Ebenfalls
im Sinne der zaghaften Einsetzung von "nationalsozialistisch" ist die vollkommen
unzutreffende Benutzung des Begriffs "faschistisch": die "faschistische
Erneuerungsbewegung" (S.135) oder "faschistische Züge" (S.139) in
Verbindung mit dem nationalsozialistischen Treiben der Rumäniendeutschen.
Sollte Zach der Unterschied zwischen italienischem Faschismus und deutschem
Nationalsozialismus verborgen geblieben sein?
Charakteristisch
ist auch die Eilfertigkeit, mit der Zach Themenschwerpunkte
abhandelt: der Titel
seines Aufsatzes meldet doch das Totalitäre der Bewegungen in der
rumänischen Zwischenkriegszeit, die Voraussetzungen, Ähnlichkeiten
und Unterschiede an, doch über das Programm der siebenbürgischen
Selbsthilfe (1929) heißt es lediglich, es sei dürftig und ideenarm,
worauf der Wortlaut dreier Programmpunkte folgt, aber unter Aussparung
einer Erklärung der Wendung "Zinsnehmen (ist) unsittlich", undeutsch"
(S.143).
Bei
der Aufzählung der militanten Vorgehensweisen der rumänischen
und deutschen Rechten übersieht Zach die bei den Siebenbürger
Sachsen besonders ausgeprägten Rufmordkampagnen gegen ihre demokratisch
gesinnten Gegner in ihren und ihnen zugetanen Presseorganen.
Zach
stellt gelegentlich überaus fragwürdige Behauptungen auf, so
beispielsweise, daß "die deutsche Jugend Rumäniens in der Schule
offiziell für kurze Zeit" nur "vor dem Ende des Nationalsozialismus
in diesem Sinne (des Nationalsozialismus) beeinflußt" wurde (S.143).
Kein Wort über die nationalistisch orientierte Jugendbewegung des
"Wandervogels", die bereits in den endzwanziger Jahren betont nationalsozialistisch
agierte (so kann es kein Zufall sein, daß gerade der aus der Wandervogelbewegung
kommende Alfred Bonfert 1935 der erste Mann der nazistischen DVR war);
kein Wort über die in beträchtlichem Maße vom Bazillus
des Nationalsozialismus infizierte
siebenbürgisch-sächsische
Lehrerschaft, ebenso kein Wort über die zahlreichen Anhänger
des Nationalsozialismus in der Pfarrerschaft, hingegen die einseitige Punktierung
der Nähe zwischen der rumänischen Legionärsbewegung und
dem orthodoxen Klerus (S.147f.).
Auch
das beliebte Argument, die siebenbürgisch-sächsischen Radikalen
seien zum Unterschied ihrer rumänischen Gesinnungsgenossen durch keinen
Mord aufgefallen, dient ausschließlich der Verharmlosung des Nazitreibens
bei den Siebenbürger Sachsen.
Den
Führerkult bringt Zach nur mit Fritz Fabritius in Zusammenhang, was
den Tatsachen nicht entspricht. Fabritius soll laut Zach bis 1938 vom Deutschen
Reich unabhängig gewesen sein (alles S.145), was nur bedingt stimmt,
weil das gefährliche Führerprinzip von den Nazis unter Bonfert
konsequent durchgezogen wurde und beide Seiten, vor allem aber die Radikalen,
von verschiedenen deutschen Stellen finanziell unterstützt wurden.
Fehlende
Sachkenntnis belegt die Kommentierung der antisemitischen Maßnahmen
der Volksgruppe im Jahre 1941. Es ist kärglich, sie lediglich auf
die Sündenbock-Mentalität zurückzuführen (S.146), ohne
die Beziehung zu den Deutschen Christen herzustellen.
Ebenfalls
auf Sachunkenntnis oder auf Verharmlosung ist Zachs Behauptung aufgebaut,
"Die Legion" habe "in ihrer Ideologie einen irrationalen, fanatischen Zug"
besessen, "der bei den deutschen "Erneuerern" fehlte. Ebenso abenteuerlich
ist die Begründung, die Zach für die "Anständigkeit" der
siebenbürgisch-sächsischen Nationalsozialisten liefert: diese
hatten eine "klare Ordnung einer deutschen Organisation", während
die Legion hysterische, "an Fieberanfälle grenzende Handlungskette(n)"
aufzeigte (S.149).
Gewissermaßen
als Abschwächung der bisher konsequent durchgezogenen Verharmlosung
der nationalsozialistischen Fehltritte der Siebenbg. Sachsen ist die abschließende
Feststellung Zachs einzustufen, daß es unter den Prominenten Rumäneindeutschen
"keine konsequenten Gegner des Nationalsozialismus" gab, außer Bischof
Glondys (S.149). Viel zu dürftig fällt auch die Erklärung
aus, warum die totalitären Organisationen der Rumänen und Deutschen
scheiterten: "weil ihre Antworten auf Fragen der Zeit irrational und ineffizient
waren" (S.150).
Dieser
Text hinterläßt den fahlen Nachgeschmack, daß der
Vergleich zwischen der rumänischen und der deutschen totalitären
Bewegung dem Verfasser nur als Vorwand dient, um die letztere zu verharmlosen
und schönzufärben.
An
dicken Wänden gekratzt
Tagung der
Evangelischen Akademie Siebenbürgen zum Thema des Verhältnisses
von Juden
und Deutschen
von Hannelore Baier
"Die damals geschehenen Ereignisse (gemeint sind jene vor und während des Zweiten Weltkrieges - Anm. der Verf.) werden uns in dem Maß immer noch belasten, in dem wir uns der Ausein- andersetzung mit ihnen nicht stellen". In diesem, das Tagungs- Programm begleitenden Text, wird eine Belastung - auf rumänien- deutscher/siebenbürgisch-sächsischer Seite - und die Tatsache, daß man sich einer Auseinandersetzung bisher nicht gestellt hat, zugegeben. Die am vergangenen Wochenende (7.- 8. November) von der Evangelischen Akademie Siebenbürgen in Hermannstadt zum Verhältnis von Juden und Deutschen in Rumänien veranstal- tete Tagung hat dieses Thema erstmals öffentlich aufgenommen. Die zahlreiche (rund 70 Personen) und rege Beteiligung ist ein Zeichen dafür, daß Interesse und Bereitschaft, sich mit den Er- eignissen auseinanderzusetzen, bestehen. Die Veranstaltung bot jedoch nicht bloß Gelegenheit zur Diskussion - wobei an den dicken Wänden dieseer Nachbarschaft tüchtig gekratzt wurde - sondern auch, um einige der immensen Informationslücken über das Judentum zu verringern. Ihre persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema im Genre Literatur gaben die Pfarrer Eginald Schlattner, Siegfried Schullerus und Walter Seidner in Lesungen wider. Ausgangspunkt der Veranstaltung war das Buch "Zerbrochene Nachbarschaft" der aus dem Banat stammenden Historikerin Dr. Hildrun Glass, in dem sie dem deutsch-jüdischen Verhältnis im Rumänien der Jahre 1918 - 1938 nachgeht. Bei der Tagung stellte die nun in München lebende Wissenschaffierin ihre Forschungs- ergebnisse kurz vor, die insbesondere die politischen Bezieh- ungen zwischen deutscher und jüdischer Minderheit beinhalten. In den politischen Organisationen der Rumäniendeutschen wurde die Politik von sächsischen Politikern bestimmt und gemacht. Die begrüßten 1933 Hitlers Machtergreifung, gaben die Rechts- standpunkte nach und nach auf und stützten sich auf die Macht Deutschlands. Der bis dahin latente Antisemitismus wurde virulent und bleibt, wie die von Hildrun Glass zitierte Korres- pondenz zwischen Emil Neugeboren und dem zionistisch tätigen Publizisten Mayer Ebner verdeutlichte, selbst nach Kriegsende manifest: Neugeboren verwendet 1946 in einem Schreiben an Ebner, der ihn in einem am 2. Mai 1945 verfaßten Brief gar nicht triumphierend als ,,Leidensgenossen, wenn auch mit entge- gengesetztem Vorzeichen" angesprochen hatte, immer noch den Begriff ,,Rassengegner". ,,Anstöße zum Weiterdenken", wobei das Thema der zerbrochenen Nachbarschaft aufgrund einer mentali- tätsgeschichtlichen und sodann theologischen und ekklesiolo- gischen Vertiefung weiter verfolgt werden sollte, brachte die Kirchenhistorikerin Cornelia Schlarb (Marburg/Großau) in ihrem darauffolgenden Referat.
Daß der Antisemitismus bei der sächsischen Elite bis ins 18. Jahrhundert zurückgeht, bewies die Soziologin Nadia Badrus (Hermannstadt), die über bei den Sachsen vorhandenen Stereo- typen die Juden betreffend sprach. Die von ihr angeführten anti- semitischen Zitate von St. L. Roth lösten (selbstverständlich) Erklärungsversuche aus, die andere Gesprächsteilnehmer jedoch abwehrten. In der Debatte wurde deutlich, daß die Juden Opfer unserer Geschichts- und Religionsinterpretationen bzw. wirt- schaftlichen Regelungen waren, jedoch zu Sündenböken und Tä- tern gestempelt wurden. Man machte sie für den Tod Jesus verant- wortlich - und unternahm Kreuzzüge gegen sie, eine Zeit, in der es in Deutschland die ersten Judenmorde gegeben hat. Ihnen wurde der Landbesitz verboten, also konnten sie keine Bauern werden, doch warf man ihnen vor, daß sie Kaufleute sind. Sie nehmen sich im Mittelalter dem von Christen als ,,schmutzig" betrachteten Geldgeschäft an und werden dann deswegen verur- teilt. Sie erhalten keine Bürgerrechte. 1850 ist ihnen ein Niederlassen in Hermannstadt z.B. nicht gestattet -, die Aus- grenzung und verhinderte Integration setzt man jedoch ihnen als Stigma auf. Als ,,Teil ihrer europäischen Kultur", der sie zugehörten, bezeichnete der in Kronstadt geborene und in Budapest lebende Zeithistoriker Rudolf Fischer, den Antisemitismus der Siebenbürger Sachsen. Fischer konnte aus Krankheitsgründen, wie auch Prof. Dr. Andrei Corbea-Hoisie aus Jassy, an der Tagung nicht teilnehmen, hatte aber seinen Bei- trag gesandt und den las Akademie-Studienleiterin Dorothea Koch-Möckel vor. Er stellte die (rhetorische) Frage: ,,Ist es nicht eine Zumutung von einem Juden zu verlangen, sich an schöne, in Eintracht verbrachte Zeiten zu erinnern, ohne die ganze Zeit daran zu denken, was seine Klassenkameraden mögli- cherweise als Mitglieder der Waffen-SS getan haben?" Und: Hat es überhaupt einen Sinn, über Wissen oder Nicht-Wissen über Auschwitz zu diskutieren, wenn in jenen Jahren nicht protes- tiert worden ist, als lauthals ,,Wenn's Judenblut vom Messer spritzt, geht's uns nochmal so gut" gejohlt wurde?
Für die beiden fehlenden Referenten sprang der geschichts- und theologiebewanderte Professor für Verfassungsrecht an der TH Darmstadt, Dr. Axel Azzola ein und trug wesentlich zur Klä- rung der Informationsdefizite und Begriffe über Judentum und Antisemitismus bei. Er erläuterte, daß es außerhalb Israels drei Möglichkeiten jüdischer Identität gibt: die religiöse (Deutscher, Rumäne mosaischen Glaubens), die nationale - wobei die Juden in Europa die letzten waren, die eine eigene Nationali- tät ansprachen, denn der erste Zionisten-Kongreß fand erst vor 100 Jahren statt, zu einer Zeit, da alle anderen Völker zu ihrer ethnisch geprägten Nation bereits gefunden hatten - und die Identitat der Schicksalsgemeinschaft infolge des Holo- caust. Auf die Frage nach dem Import des Antisemitismus in Siebenbürgen - eine These, die von zahlreichen Historikern ver- treten wird - sagte Dr. Azzola, daß es zum Import auch einer ,,Annahmeerklärung bedarf. Die haben die Siebenbürger Sachsen 1780 der Aufklärung z.B. nicht erteilt und ebensowenig später dem Marxismus. Anhand von Zitaten aus unserem Jahr- hundert ging er auf den völkischen Antisemitismus ein und ,,be- dauerte die Art, in der die Siebenbürger Sachsen bisher (im Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde) mit der Betei- ligung von Sachsen am Holocaust umgegangen sind, aufs heftig- ste. (Der aus dem Burzenland stammende Dr. Fritz Theil [richtig sollte es ‘Klein’ heißen (Anm. Klaus Popa)], Lagerarzt in den KZ Auschwitz und Bergen-Belsen, gehört zu den wenigen zum Tode verurteilten Kriegsverbrechern.) Auf einen weiteren ,,ange- nommenen Import, das 1941 in Hermannstadt von Bischof W. Staedel ins Leben gerufene ,,Institut zur Erforschung des jüdi- schen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben" ging die Theologin Birgit Hamrich (Bistritz) im Schlußreferat der ein- einhalbtägigen Tagung ein.
Das
schmerzhafte Problem bleibt jedoch weiterhin, wie heute lebende Menschen
mit dem, was vor 50 Jahren geschehen ist, umgehen. ,,Daß es Verführte
und Motive zur Verführung gab, daß diese Verführung leider
erst in Auschwitz endete und nicht vor- her, daß nicht jeder Antisemitismus
nach Auschwitz führen muß, daß es aber ohne Antisemitismus
kein Auschwitz gegeben hätte, ist klar. Wenn wir aber 50 Jahre danach
nicht in der Lage sind, das Wirkliche als wirklich und das Unwirkliche
als unwirk- lich zu benennen, dann ist das traurig," schloß Dr. Axel
Azzola seinen Vortrag. Aus den dicken Wänden der deutsch-jüdischen
Nachbarschaft - daß sie gekittet worden ist, zeigte die Teil- nahme
von Vertretern der Hermannstädter sowie anderer jüdischen Gemeinden
an der Tagung - müssen noch viele Steine freigelegt werden, ehe es
zu einer echten Nachbarschaft kommen kann. (Allgemeine Deutsche Zeitung
für Rumänien, 5.Jg./Nr. 1239, Samstag, 15. November 1997, S.3)
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Am 27. Januar
wurde in Hermannstadt das "Holocaust Compact Information Center" feierlich
eröffnet. Das Datum war nicht dem Zufall über- lassen worden:
Der 27.Januar ist der Gedenktag an die Befreiung des KZ Auschwitz. Die
Eröffnungsfeier fand in der ,,Eule" statt. Im Dokumen- tations- und
Informationsbüro selbst, das in einem Zimmerchen im Innen- hof des
Hauses Nummer 43 in der Heltauergasse untergebracht ist, haben nur fünf
Personen irgendwie Platz. Das Holocaust-Informations Zentrum ist ein Teilbereich
der Tätigkeit der 1990 gegründeten regierungs- unabhängigen
Organisation (NGO) ,Sibienii Pacifisti". Deren Vorsit- zender, Constantin
Lacatus, hatte im September vergangenen Jahres, zusammen mit Vertretern
von Stiftungen und Memorials aus mehreren Ländern, an einer Studienreise
zur ,,Topographie des Terrors" teilge- nommen und mehrere Gedenkstätten
des Nazi-Terrors in Deutschland besichtigt. Dabei wurde ihm gesagt und
es wurde ihm bewußt, daß es in Rumänien keine Stelle gibt,
wo Informationen über diese Jahre erhalten werden können. Mit
besten Absichten ten und viel gutem Willen (leider aber geringen Vorkenntnissen
gerade was die Gescheh- nisse in dieser Periode hierzulande und deren bisherige
Erforschung angeht), beschloß er, das Holocaust-Informationsbüro
zu gründen. An der Eröffnungsfeier nahmen u.a. der Konsul der
Bundesrepublik Deutschland, Arnulf Braun, der Pressereferent des Konsulats,
Harald Wetzlau, der Vorsitzende der Hermannstädter jüdischen
Gemeinde, Misu Forschmitt, der Vorsitzende des Hermannstädter deutschen
Forums, Kurt Klemens, sowie Vertreter des Germanistiklehrstuhls teil. Das
Holocaust-Informationsbüro möchte, so Constantin Lacatus, diese
,,schwarze Periode" ins Bewußtsein der Menschen rücken und sich
um die ,,objektive" Aufarbeitung und Informierung über die rumänische
Beteiligung am braunen Terror bemühen. Zu diesem Zweck, so das verteilte
Info-Blatt, sollen Dokumente und Zeugnisse aus dieser Zeit von möglichen
Überlebenden oder ihren Familienangehörigen, von Zeitzeugen oder
anderen Personen sowie Institutionen gesammelt, konserviert und ausgestellt
werden. Vorgesehen ist das Anlegen einer Bibliothek, einer Audio- Videothek,
das Veranstalten von Debatten, Seminaren, Konferenzen und Workshops sowie
von Ausstellungen, die der Bekämpfung des Rassismus, Antisemitismus
und Fremdenfeindlichkeit gewidmet sind. Das Holocaust-Informationsbüro
möchte auch eine Halbjahreszeitschrift unter dem Titel ,,Remember"
herausgeben und mittels Faltblättern, Postern und anderen Drucksachen
auf die Terrormaßnahmen und die physische Exterminierung von Juden
und Roma, Kriegsgefangenen und Häftlingen, der Behinderten und Homosexuellen
sowie Gegnern des Nazi-Regimes in der Zeitspanne 1933-1945 hinweisen. Sodann
will man sich bemühen, Stipendien für Jugendiche, die am Studium
dieser Thematik interessiert sind, zu erhalten. Ein mutiges und heikles
Vorhaben, aber eine ,,Herausforderung" (im positivem Sinn), wie einer der
Journalisten feststellte, wird dieses Zentrum sein. Zum einen wird die
Beteiligung der rumänischen Behörden an Pogromen und der Deportation
von Juden und Roma nach Transnistrien (wo 200.000-300.000 Menschen umkamen)
in der rumänischen Öffentlichkeit immer noch abgestritten. Zum
anderen bietet die Tatsache, daß die Juden aus Nordsieben- bürgen
in der Zeit des Horthy-Regimes in die KZ verschickt wurden, einen Anlaß
mehr, ,,den Ungarn" den Schwarzen Peter zuzuschieben. Ein heftiger Gegenwind,
von nationalistischen Stereotypen und anti- semitischen Vorurteilen sowie
im nationalkommunistischen Geschichts- unterricht erworbenen Kenntnissen
so triefend, schlug Constantin Lacatus denn auch in der Diskussion enttgegen,
die der feierlichen Eröffnung folgte. Von den Vertretern des Verbands
der ehemali- gen politischen Häftlinge war etwas anderes nicht zu
erwarten. Wenn aber ein Doktorand der Geschichte die Glaubwürdigkeit
von - in Rumänien veröffentlichten - Dokumentensammlungen und
Büchern zum Thema Judenverfolgung anzweifelt, weil sie nicht von ethnischen
Rumänen herausgegeben bzw. verfaßt worden sind, ist das bestürzend.
Und genau das, wovor Konsul Arnulf Braun gewarnt hatte - nichts an den
Leidenerfahrungen zu relativieren und gegeneinander abzurechnen -, wurde
in zahlreichen Diskussionsbeiträgen getan. Ein erstes Dokument stellte
Misu Forschmitt dem Holocaust- Büro zur Verfügung: Es handelt
sich um die Korrespondenz seiner Gattin mit Nicolae Nyiszli, einem aus
Großwardein (Oradea) stammenden Arzt, der zwei Jahre lang der Assistent
von Dr. Josef Mengele war und von den unter dessen Anleitung vorgenom-
menen Experimenten an Menschen berichtet.
Allgemeine
Deutsche Zeitung für Rumänien/31. Januar 1998, S.3, "Meinung
und Bericht"
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So nah,
so fremd. Heimatlegenden
"Dieses
Land gehört nur erinnert zu mir"
Zu: Dieter Schlesak, So nah, so fremd. Heimatlegenden, AGK-Verlag, Dinklage bei Vechta, 1995, 379 S., ISBN 3-928389-13-0.
Das Zentralthema dieses Buches ist der Heimatverlust, den der Verfasser über Literatur, Sprache und Gedächtnis überwinden möchte, indem er sich in der Sprache und dem "mit ihr eng verflochtenen Schatzhaus der Erinnernung" eine unverlierbare Heimat schafft ("Ein Wort voraus", S.6f.). Der durch den Heimatverlust entstandene "Bruch" wird wiederholt artikuliert. Einmal heißt er "Verrat der eigenen Tradition" (S.8), dann "Zeitbruch" (S.45), "Traditionsbruch" (S.59), "großer existen- tieller Bruch" (S.200), "Bruch mit dem Pathos und der Feierlich- keit, der Sprachlüge ..." (S.237). Den Bruch begleiten die "Ein- samkeit" seiner "Erinnerungen" (S.45), das Gefühl des überall "Fremdseins" (S.51), des Gespaltenseins (S.73), das Gefühl von der "Illusion der "festen Welt"" (S.158). Dasselbe Befinden drückt die Aussage "Dieses Land gehört nur erinnert noch mir" (S.55) sowie der Titel des VI. Kapitels im ersten Teil aus: "Rückkehr ins Aus- Land, wo ich zu Hause bin" (S.115). Schlesak spricht außer dem Verlust der alten siebenbürgischen Heimat die Schuldproblematik, die eigene und die Gruppenidentität, Totalitarismus und Ideologie an. Bereits im Vorwort schreibt er, daß er in seiner Jugend in einem verbrecherischen System (gemeint ist die Nazizeit in Siebenbürgen) "naiv mitschuldig" wurde (S.9). Er fragt sich heute, ob er selbst schuldig geworden ist und antwortet: "mit Sicherheit: Ja! Schon weil ich bis 1969 in jenem tausendfach verquickten Schuldsystem Ost "geblieben" bin" (S.149). Im Gespräch mit Stefan Sienerth (S.331-347) spricht Schlesak seine "roten Jugendillusionen", seine "Scham wegen der braunen Verbrechen" bzw. der "Untaten der eigenen Leute" an. Die Schuldigkeit der Siebenbürger Sachsen kommt wiederholt zur Sprache. Schlesak nennt Familienmitglieder, die in der SS gedient haben, er bringt ein Gespräch mit Dr. Viktor Capesius, der als Lagerapotheker in Auschwitz war (S.286-303). Im "Nachtgespräch der Nachgeborenen mit dem Raketenprofessor Hermann Oberth aus Schäßburg und Hermannstadt in Siebenbürgen" (S.215-221) klingt stellenweise ein vorwurfsvoller Ton an. Die Schuldproblematik kommt in Verbindung mit dem Identitäts- bzw. Gemeinschaftsverständnis der Siebenbürger Sachsen am prägnan- testen zur Sprache. Schlesak identifiziert bei dieser Gemeinschaft neurotische Züge, die sich in Selbstüberschätzung äußern (S.134). Die Siebenbürger Sachsen geben ein Bild des Selbstmitleids ab für das Leid, das sie durch andere erfuhren (Deportation in die Sowjet- union) (S.218), doch über ihre eigenen Untaten schweigen sie sich aus. Der Aussage "wir waren immer geschlossen, werden immer zusamenhalten, immer" erwidert der Verfasser: "Da beneide ich euch. Wirklich. Ihr seid noch da, habt gemeinsam einen festen Boden, auch wenn es ihn nicht mehr gibt, Einbildung, die so ausgeträumt, zwischen euch sich gibt und lebt" (S.166f.). Dieses Gruppenbewußt- sein empfindet Schlesak als "Fassade", die ja nicht erschüttert werden darf, weil sonst die Wahrheit über das, "was früher war, im Krieg und vorher" ans Licht kommt (Ebenda). "Amnesie auch heute Saschsenschicksal?" fragt Schlesak im "Nachtgespräch ..." (S.217). Diese falsch verstandene Gruppenidentität äußert sich bedauerlicher- weise auch auf ästhetischer Ebene in einem "Pathos und der Feier- lichkeit, der Sprachlüge des Gefühls im historischen Vakuum des Zentrums" (S.237). Schlesak identifiziert im Aufsatz "Zur Ursachen- forschung des Heimatverlustes: Zeitfelder 1940-1945. Das verdrängte Inferno" (S.270-285) bei den Männern, die dem Nationalsozialismus zu Diensten standen, wie beim Sachsen-Autor Heinrich Zillich, "das falsche, unechte Pathos und auch das falsche Gefühl" (S.280) und er bedauert, daß die alten Gefühle frisch geblieben sind (S.283). In Verbindung mit dem Zensurgehabe der Herausgeber des "Schäßburg" -Heimatbuches gegen seinen Beitrag "Die Literatur der Stadt Schäß- burg in Siebenbürgen" stellt Schlesak fest, daß dieses Verhalten aus der Mentatlität der 40-er Jahre entspringt, die sich mühelos "herübergerettet" hat (S.318). Die Stelle, in der er die Entwick- lung Arnold Roths oder Zillichs als "Verrat an der achthundert- jährigen sächsischen Tradition" anspricht (S.315), wurde im Geiste dieser Mentatlität gestrichen. In der harten Diskussion um die zensurierten Passagen konnte Schlesak nachweisen, daß "die sieben- bürgische Nazizeit ein Verrat an der 850 Jahre alten Tradition der Siebenbürger Sachsen gewesen war" (S.320). Dem bei vielen Siebenbürger Sachsen der Erlebnisgeneration mit nationalsozialistischem Gedankengut unterspickten Gemeinschafts- bewußtsein stellt der Verfasser seine eigene Identität gegenüber, die sich durch Einsamkeit (S.45), durch Fremdheit in Siebenbürgen, Deutschland oder Italien (S.51) auszeichnet. Schlesak betrachtet sich in kulturanthropologischer Perspektive als Produkt der Post- moderne, "wo das moderne Freisetzen aller gebundenen Identität zum Abschluß kommt: Es ist jetzt nur zu leicht, Identität zu wählen, aber nicht mehr möglich, sie festzuhalten" (S.257). In soziologi- scher Perspektive läßt er den Grundsatz gelten, daß Identität erst über "Exklusion" entsteht, nicht mehr wie früher über "Inklusion" (S.259). Verfasser betrachtet sich als "Zwischenschaftler" und "Deutscher der Dritten Art", "der Ost und West bewußt in sich zusammenstoßen ließ", deshalb keinem der von Georg und Renate Weber beschriebenen fünf "Reaktionstypen Emigrant-Immigrant in Deutsch- land" entspricht (S.265f.). Aus diesem Grund spannt sich bei ihm wie auch bei den Vertretern der rumäniendeutschen Lyrik der 90-er Jahre die Sprache "bis an ihre Extreme, ihre äußersten Grenzen" (S.244). Deshalb liegt ihm das "Negative im Paradox", dessen sich die genannten Lyriker bedienen, um "zu sagen, was ist" (S.242). Schlesak zählt sich zusammen mit diesen Lyrikern zu dem "am Rand" angesiedelten Menschentypus, also zum Grenzgängertum ("Schreiben als posthumes Leben. Rumäniendeutsche Lyrik der 90-er Jahre" (S. 237-247)). Im Gespräch mit Stefan Sienerth (S.331-347) bezeichnet er sich zurecht als "kritischen Intellektuellen". Auch diesbezüg- lich steht Schlesak im Gegensatz zur Schreibweise jener siebenbür- gisch-sächsischen Autoren, die mit einer pervertierten Religiosität alle möglichen "Gefühle", vor allem den höchsten Wert der Gemein- schaft, das "deutsche Wesen" samt dazugehöriger Pflicht und Gehor- sam ansprechen und noch 1986 den modernistischen Stil als "unsäch- sisch" und "fremd" apostrophierten (S.275). Auf die Gemeinschaft fixierte Literatur erzeugt laut Schlesak "ethnisch bedingte Grup- penhalluzination" (S.282). Die hauptsächlichen Ursachen von Dieter Schlesaks Grenzgängertum liegen in den beiden Totalitarismen, dem braunen und dem roten, die er auf eigener Haut erlebt hat. Als Fallstudie ist der Essay "Erfahrungen mit der totalitären Seele zweier Diktaturen" (S.171- 215) einzustufen. Am Beispiel des französischen marxistischen Philosophen Louis Althusser veranschaulicht Schlesak die "totali- täre Seele als abschreckendes Beispiel, die in einer ideenreichen Selbstkonstruktion lebte", "Meister, auch rhetorisch, der Insze- nierung und der Show" war (S.181,183) und auch vor Mord nicht zurückschreckt. Solch ein Denkertyp setzt die "Theorie als Kom- pensation der Lebenskomplexe" ein. Schlesak identifiziert bei Althusser "... die infantile "Beherrschung des Ganzen", jene "tota- litäre Seele" " (S.184). Totalitäre Weltanschauung artikuliert sich in Ideologien, die der Verfasser zurecht "Krankheit des Kopfes" und "Krankheit der Seele" nennt. Er stimmt mit dem nach Paris ge- flüchteten rumänisch-jüdischen Philosophen Fondane überein, daß Gottes Abwesenheit (=Atheismus) über Ersatzhand- lungen, Ersatzreligionen (rot, braun und gold-braune Marktideologie) zum selbstverschuldeten Ende, also zur Katastrophe führt (S.213). Die souveräne Handhabung philosophischer Themen stellt Schlesak im Essay "Über Sprachskepsis, Bildverbot und den Begriff der Zeit" (S.348-371) erneut unter Beweis. Das alte "Bildverbot" der Bibel (Altes Testament) wird wieder zeitgemäß (S.350), im Kontext der Fixierung auf das "rein Zweckmäßige, Nur-Sichtbare", was der Ab- trennung vom Unsagbaren entspricht. Hieraus entspringt "das banau- senhafte Kunstverständnis des Kitschs und "Volksgeschmacks" der Diktaturen rot und braun", das "Konzept "dekadente" und "ent- artete Kunst" als Symptom des Realitätswahns; die Patentlösung war auch in diesem Bereich Vernichtung des Abweichenden, "Frem- den", der für Diktaturen gefährlichen "Alterität" in der Kunst, im Geist" (S.355). Schlesak plädiert für die Ästhetik des Feh- lenden, das erst aussagt, was ist (S.356). Als Fazit darf behauptet werden, daß Dieter Schlesak sich in die- sem Buch als einzigartiger und origineller Literat darstellt, der fern seiner eingebüßten siebenbürgisch-sächsischen Heimat das Kreuz der Heimatlosigkeit und des Grenzgängertums trägt. Mit den dafür Hauptverantwortlichen, dem braunen und dem roten Tota- litarismus, rechnet er ab, ist aber zutiefst verbittert, daß die nationalsozialistische Weltanschauung, die seine frühe Jugend ver- düstert hat, bei den in der Bundesrepublik lebenden Siebenbürger Sachsen unselig nachwirkt. (Erschienen Allg. Dt. Zeitung für Rumänien (ADZ) - Karpatenrundschau, 13. Juni 1998, S.2). Gehe zu TOP
IN EINER STUNDE WERDET IHR EUCH WIEDERSEHEN
DS: "Thought,
Reform and the Psychology of Totalitarism" von Robert Litton, Yale University...er
hat Sie um Auskunft gebeten für das Buch?
FC: Ja, mehr
eine psychologische Studie.
C: Jedenfalls
verkauft er seine Bücher sehr gut.
FC: Ja, und
er hatte auch das Interesse mit dir zusammenzukom- men, um die Empfindungen...
C: Ich habs
abgelehnt.
DS: Sie sollten
schreiben, was Sie dort...
C: ... empfunden
hätte bei dieser Tätigkeit, die wir dort ausgeübt haben,
so in dieser Art... das war recht verschieden, wir... ich hab es nachher
erfahren, wir wußten nicht, daß unsere Wohnungen in unserer
Abwesenheit genauestens kontrolliert werden, ob wir nicht irgendwelche
Edelsteine oder Gold genommen haben von jemandem.
FC: Du meinst
dort in Auschwitz?
C: Ja, in Auschwitz.
Und die Apotheken natürlich auch, vom Boger. Er war der Politische.
Ja, sicher.
DS: Ich habe
die Bücher darüber gelesen, weil es mich sehr belastet, daß
ich auch aus dieser Sozialisation komme; wenn ich älter gewesen wäre,
hätte ich die Chance gehabt ebenfalls da rein zu kommen, es hätte
mir das gleiche passieren können...
C: Und die
Landsleute, die dort Wache geschoben haben, die waren ja so geschult. Und
der der Schulleiter gewesen ist, der läuft jetzt frei herum, der hat
mich einmal gezwungen über den Himmler zu sprechen, und ich hab so
im Laufe des Gespräches gesagt, "der Reichsheini". Und da wollte mich
ein Teil dieser Unterscharführer nachher anzeigen. Aber da haben die
Siebenbürger es durchgesetzt, daß nichts gemacht wurde. Die
haben gesagt, wenn du das tust, zeig ich dich wegen dem und dem an. (Lachen).
Und dann war Ruhe. Ich hab es anfangs nicht erfahren; erst nachträglich
hat es mir ein Siebenbürger gesagt.
DS: Waren viele
Siebenbürger dort?
C: Ja, 2-300.
DS: Ich meine aber Wachmannschaften.
C: Wachmannschaften.
FC: Der Albert,
der war ja auch da. Ja.
C: In diesem
Buch vom Langbein, da ist er angeführt, Untersturmführer war
er, Leutnant.
DS: Nicht Obersturmführer?
C: Vielleicht
am Schluß. Im Vierundvierziger da sind wir noch befördert worden
alle mal, wie wir die Heimat verloren hatten. Da hat man jedem eine Beförderung
gemacht...
DS: Sie waren
ja die höchste Charge im Prozeß?!
C: Ja. Denn
der Kommandant war... der ist ja gestorben im Lager...
DS: War das
zuletzt der Höß?
C: Nein, der
Wirths. Nein, der Wirths war ja Standortarzt. Der Höß
war der eigentliche Kommandant gewesen bis zum Schluß. Der Höß
war die eigentliche treibende Kraft dort, ohne ihn wäre es nicht so
scharf zugegangen... Die meisten sind ja nach dem Krieg abgeurteilt worden...
DS: Also gehängt
oder....
C: Ja, gleich
nach dem Krieg. Auch der Dr. Klein Fritz.
DS: Woher stammt
der?
C: Kronstadt.
Und der Klein Fritz war in Auschwitz. Und war Untersturmführer. Er
war damals schon gut 65 Jahre alt. Er hätte nicht mehr einrücken
müssen. Aber er ist eingerückt.
DS: Freiwillig?
C: Und er hat
als Untergebener vom Mengele Dienst gemacht in Birkenau. Und ist bei Selektionen
und so immer hinter dem Mengele spaziert und hat mitgemacht und so weiter,
teils selbst gemacht, teils hat der Mengele gemacht. Und da kommt der eine
Arzt aus Tg. Mures mit seinen Zwillingen. Und der Klein hört wie der
sagt, es seien Zwillinge, die bringt man dort gerade fort, und der Klein
sagt gleich: Zwillinge? wo sind die? Und dann ist er gleich gesprungen
zum Hauptsturmführer Mengele, der zwei Grad höher war ...
DS: Den kennt
jeder, der ist sehr bekannt geworden.
C: Naja, weil
sich alles um dies gedreht hat in Auschwitz. Denn die Amerikaner haben
die Studien, Erbforschung... Zwillingsforschung und Erbforschung...
FC: Eineiige
Zwillinge, das war sein Spezialgebiet.
C: Und das
haben die Amerikaner von den Polen für viel Geld gekauft, weil das
eine sehr wichtige Sache war, da man ja nie so ungeniert forschen konnte,
wie dort...
DS: Furchtbar...
C: Na sicher.
(Pause). Und der Mengele hat abgewunken, weil es nicht eineiige waren.
Und dann kommt der Klein zurück und klopft dem Mann auf die Schulter
und sagt: Na, lassen Sie, in einer Stunde treffen Sie sich ja wieder...
Und nachdem der Klein nach dem Krieg gleich hingerichtet wurde wegen diesen
Lagerverhältnissen in Bergen-Belsen, hingerichtet worden ist...
DS: Wo die
Häftlinge nur bewacht worden sind und wo sie verhungert sind! Sie
sind ja so zu Tode gebracht worden... C: Sie sind nicht zu Tode gebracht
worden. Man konnte nicht mehr soviel Nahrung geben für sie. Und es
kam alles aus dem Osten und kam bis Bergen-Belsen. Bergen-Belsen war für
12000 Leute eingerichtet und 120 000 waren da. Ja, wie sollten die gesund
leben. Die, die über mich geschrieben hat, die hat auch über
Bergen-Belsen geschrieben. Sie war auch dort (als Häftling) und da
schrieb sie, wie schön war es doch und wie ordentlich in Auschwitz,
da sind die Leute gleich verbrannt worden, hier aber (in Bergen-Belsen]
hat man sie einfach, weil es zu kalt war, es keine Feuerung gegeben hat,
hier wurden sie aufgestapelt im Hof, und die Ratten haben sich vermehrt
an denen. Und dann sind die Ratten in die Baracken gekommen und haben auch
da alles zernagt.
DS: Furchtbar.
FC: Ja, es
ist furchtbar.
C: Das schreibt
sie in ihrem Buch.
DS: Aber wie
heißt die Frau?
C: Zuhause
habe ich es in den Akten.
FC: Sollen
wir nicht nach Hause gehen, Kaffeetrinken?
C: Klein war
tot, ihm konnte man es nicht mehr in die Schuhe schieben, die Leute aus
Israel aber wollten auch einmal gerne nach Deutschland kommen und sich
mit ihren Freunden treffen, und mal hier etwas einkaufen können usw.
und so ist der Doktor gekommen, so hat er alles, was auf den Klein stimmte
auf mich angewandt, weil ich auch ungarisch spreche. Da hatte ich zwei
Zeugen, daß ich an dem Tag, an dem er gekommen ist, am ersten oder
am zweiten Pfingsttag, ich habs genau zu Haus, daß ich nicht dort
war, ich war damals in Berlin beim Bäcker Pepi, das ist ein Schwab,
der war dort als Sturmbannführer in der Zentral-Apotheke in Berlin,
und ich war in Berlin. Und da waren zwei Schwestern, und diese zwei Schwestern
waren beim Abendessen beim Bäcker. Da hats alles gegeben, was es im
Banat gibt. Und in der Früh ist die Schwester zum Dienst und da ist
ihre Schwester gekommen und die zwei Schwestern hätten nun ganz klar
beweisen können, daß ich dort bei ihnen war. Aber die hatten
Angst, weil die eine in Amerika lebt, vor einer Verfolgung und Behinderung
durch die dortigen Juden. Und die andere konnte natürlich auch nicht
aussagen. Und ich hab dann darauf verzichtet. (...) Ja, die Gisela Böhm...
Wenn sie den Paskewicz fragen, was hat ihm die Frau Böhm unten in
Segesvar gesagt.
FC: Die Frau
Böhm sollte herauf als Zeuge...Und sie hat zum Paskevicz gesagt, ich
bin in solch einem Dilemma, ich weiß gar nicht wie ich mich verhalten
soll. Einesteils hätte ich Schwierigkeiten bei den Juden, wenn ich
nicht gehe, andererseits hat mich der Capesius immer anständig behandelt
und ist mir nett entgegengekommen. Der Dr. Mendel, er ist ja der Bruder
von der Frau Dr. Böhm, hat zu mir gesagt, er ist zu mir in die Apotheke
gekommen; ich verdanke nur Ihrem Mann es, daß meine Schwester am
Leben geblieben ist. Und die war mit ihrer Tochter in Auschwitz.
C: (Sucht in
einer Kladde und in einem Auschwitz-Buch )... Ella Böhm, das
war die letzte Eintragung von Frauentransporten. Dr. Ella Böhm: A
25382 und A 25 383 für die Tochter...
DS: Und der
Mann war nicht dabei?
C: Der Mann
ist zuhause gestorben und nicht während des Prozesses, wie sie gesagt
hat... Ja, da kam sie in die Apotheke (in Auschwitz) und hat geschrien:
Mikor a Doktorur látam, tudok hodj elni fogog. Und hat einen Schrei
getan. Und zu ihrer Tochter hat sie gesagt: Hat näm üschmers
äs a Doktorur, a Segesvári Doktorur. Und ich hab ihrem Bruder,
dem Rechtsanwalt Dr. Mendel geschrieben: Schwester und Tochter sind bei
mir. Ich werde für sie sorgen, sorgen Sie für meine Familie.
FC: Und Frau
Zilinski hat mir ein Telegramm gezeigt. Und in dem Telegramm war der Vorschlag
zum Austausch der Familien.
C: Aber Schatzele,
da ward ihr ja schon unter den Russen. ... Nun, unten in Segesvár
ist sie ( die Tochter von Frau Dr. Böhm) auf meinem Knie gesessen
und der Mendel ist neben mir gesessen, wir haben bei der Ruth Fabritius
verkehrt zusammen... und diese Tochter ist bei mir auf dem Knie gesessen,
und das Foto haben sie dann (zum Prozeß) mitgebracht. Eben dadurch
wollten sie nun untermauern, daß ich sie gekannt hab. Natürlich
hab ich sie gekannt. Aber sie haben ja drei Wochen gebraucht, bis sie zu
mir in die Apotheke gekommen sind: wenn sie mich auf der Rampe gesehen
hätten, denn sie hat dann gesagt: es waren drei: Mengele , Klein und
Capesius, er hat nichts gemacht, er ist nur dort gestanden, hat sie dann
gesagt, (wäre sie doch sofort gekommen). Der rumänische Staat
hat sie herausgelassen unter der Bedingung, daß sie belasten. (...)
Genauso wie die Böhm gesagt hat, ich wär auf einem Rad im Lager
ringsrum gefahren und hätte sie zur Strafe im Kreis lau- fen lassen...
ich wär mit dem Rad hinter ihnen gefahren und hätte mit der Peitsche
auf sie eingeschlagen. Es hat das gegeben. Aber das war dann dort der einfache
SS-Mann, der sie gestraft hat, weil sie irgend etwas gemacht haben, vielleicht
auch weil sie das Essen von 80 Leuten gestohlen haben oder sonst diese
Sachen. Das ist schon vorgekommen, daß man so bestraft wurde. Aber
da fährt doch nicht ein Sturmbannführer (Lachen) mit dem Bizzikel
herum. Das hats dort doch nicht gegeben. Es war ja kein Zirkus...
DS: Ein Prozeß,
das ist ja ganz gut, aber die Dinge, die da geschehen sind, die gehen doch
über einen Prozeß und über die Kompetenz eines Gerichts
weit, sehr, sehr weit hinaus. Das alles ist für mich so unvorstellbar,
das kann man doch nicht einfach mit irgendwelchen Gesetzen...
C: Wie ich
am 12. Februar 1944 hinkam, da war für sie der Krieg schon verloren,
für mich auch. Der Sikorski hat gesagt, Chef habe gesagt, schau: heute
seit ihr hier, morgen vielleicht wir. Krieg ist nicht mehr zu gewinnen.
Chef hat gesagt... Ja, das bin ich.
DS: Mußte
man keine Angst haben, dort so etwas zu äußern?
C: Ich ihm
gegenüber nicht.
DS: Er war
Apotheker, Häftlingsapoheker?
C: Ja. Und
sein Vater war noch Apotheker beim Zaren gewesen. Am 12. Februar kam ich
also dorthin. Und es stand schon in den Listen, wo ich nachgezogen
werden sollte von Berlin: Soll für den erkrankten Apotheker Krämer
als Ersatz eingesetzt, als Vertretung eingesetzt werden. Der in Berlin
hat gesagt, sie kommen in ein SS-Lazarett, sie müssen aber auch die
Häftlinge, die dort in Lager haben, mitbetreuen. Mit...
FC: Mit Medikamenten
versorgen...
C: Und bin
dann hingefahren. Und am 12. bin ich dort angekommen. Am 12. hat der Sturmbannführer
mir die Apotheke gezeigt, übergeben, mit mir herumgegangen und hat
nichts über die Krankheit gesagt, ich hab auch nicht viel gefragt,
ich dachte nur, es geht ihm besser scheinbar. Dann ist er wieder zurück
zur Abteilung. Im selben Haus im ersten Stock. Dort war so eine Sanitätsabteilung
für die erkrankte SS. Es gab nicht viele Erkrankungen bei der SS,
denn die waren ja alle gut genährt und hatten ja ihre Familien dabei,
die meisten.... Der Mann jedenfalls (Krämer) ist damals wegen Defaitismus
erschossen worden, weil er allen Ankommenden erzählt hat, sie werden
noch Auge machen, da ist Sodom und Gomorrha. Es gibt noch etwas mit der
Unterwelt, irgend so ein Zitat, das auch vorkommt, das man so sagt, wenn
es einem mies geht, am miesesten geht...
DS: Die Apokalypse?
C: Nein, nicht
das...
DS: Das Inferno?
C: Ja, das
Inferno in der Unterwelt sei nichts dagegen, so in der Art. Er hat aber
eine kleine SS-Nummer gehabt, aus dem ersten Jahr...
C: Mich hat
man im Prozeß oft gefragt: Na, Sie hätten sich doch einfach
an die Front melden können. Ich konnte mich nicht an die Front melden,
ich war zu alt. Denn an der Front waren junge Ärzte, die Leutnants
waren, die Obersturmführer waren, die wollten nicht einen Apotheker,
der Sturmführer oder Hauptsturmführer war, und dadurch nach SS-Manier
das Kommando hat.
DS: Haben Sie
versucht mal...
C: Nein, das
hat man gesagt, daß man nicht kann, daß man uns nicht braucht
dort, man kann nur im Hinterland beschäftigt werden.
DS: Wie war
das, hat der Roland A., der hat sich doch, glaube ich, freiwillig dann
an die Front gemeldet, der ist ja dann auch abkommandiert worden...
C: Wie die
Sache vorüber war... so hieß das bei uns, naja, sicher.... Wenn
man im November 44 ihn also abkommandiert hat, dann war das alles schon
vorüber. Man hat um die Zeit alle abkommandiert, die man irgendwie
verschwinden lassen wollte... daß man nicht viel merkt. November
44. Da war dort alles schon vorüber, denn die Ungarn sind im Juni/Juli
gekommen, dann sind noch im August ein paar Leute gekommen und dann war
es ja vorüber mit der Vernichtungsaktion...
DS: Die meisten
Belastungen waren doch im Zusammenhang mit dem Transport aus Klausenburg
für sie...
C: Ja, sicher...
das kam alles damals in der Pfingstwoche.
DS: Schöne
Pfingstwoche...Und wie war das mit Roland Albert?
C: Sein Vetter
oder wer aus Innsbruck, der hat ja dann die Sache doch noch geschmissen...
er war dort Staatsanwalt oder so etwas in Innsbruck. Oder ein guter Bekannter.
Sie können ihn ja fragen, er wird es Ihnen erzählen. Und der
hat alle Papiere verschwinden lassen.Es haben keine Papiere mehr existiert,
es konnten keine Belastungen gebracht werden, und die Leute, die da eine
Belastung gemacht haben, waren zum Teil schon tot.
DS: Wie begann
überhaupt Ihre "Laufbahn"?
C: Sicher,
wir sind in Hermannstadt assentiert worden. Assentiert worden vom Dr. Richard
Weindel ... in Bukarest, der ist überall hingefahren mit so
einer Kommission. Einwaggoniert in Hermannstadt. Im Viehwaggon bis nach
Wien. Und ich wurde von Wien zuerst nach Berlin geschickt im Ersteklassewagen
und alles, vorher waren wir im Viehwaggon gekommen.
DS: Und dann
kamen Sie ja von Berlin, kamen Sie zum erstenmal in so ein Konzentrationslager?
Sie haben ja vorher überhaupt keine Ahnung davon gehabt?!
C: Doch. Nicht
vom Konzentrationslager direkt, sondern vom Zentralen Sanitätslager
in Warschau...
DS: Sie kamen
also von Warschau nach Dachau?
C: Warten Sie,
wir kamen von Berlin, dort sind wir acht Wochen herumgelaufen, haben bezahlt,
damit sie unsere Uniformen schneidern, das hat der Pepi arrangiert, der
Bäcker, dem hats kolossal gefallen in Berlin, wir haben dort Zigaretten
und alles gehabt. Hat eine Schachtel Zigaretten hingelegt und hat verlangt
drei Karten in der ersten Reihe oder der zweiten Reihe, in der Friedrichstraße
war ein Kabarett á La Pol Bergiger in Paris... das war im Herbst
43. Und dann sind wir alle zusammen geschickt worden zu einem österreichischen
Apotheker, der in Warschau das Zentrale Sanitäötslager hatte
und wir sollten uns dort allmählich an die Sache gewöhnen, und
der hat auch son wenig Schulung gehalten vom absoluten Befehl und daß
man eben tun muß, was befohlen wird: Es gibt keine Widerrede. DS:
Das kannte man ja schon von zu Hause...
C: Weil man
ja in Stellen... das hat mir ja auch der Wirths* dann gesagt: Ich habe
im Lager Sondervollmachten, hat der gesagt, ich kann sofort erschießen
lassen... mich könne er erschießen lassen.
FC: Ja, weil
du dich gewehrt hast zu selektieren?
C: Ja. Und
ich hab mich dann sofort ans Telefon gehängt und hab mit dem Pepi
gesprochen...
DS: Aus Hermannstadt
stammt der ?
C: Nein, aus
dem Banat. Und der hat sofort mit den Gruppenführern gesprochen, die
beim Führer waren, der höchste von der Arzeneiabteilung, ist
ein großer Mann gewesen, körperlich groß...
DS: Ich weiß,
wie er heißt, hab es aber vergessen.
C: Der hat
dann veranlaßt und der hat den Standartenführer Lolling, der
war der höchste Arzt über die KZ`s, den hat er zur Sau gemacht.
Was könnt ihr da machen, da kommt ein Apotheker mit Erfahrung und
will euch helfen, arbeiten, und dann stellt ihr ihn in einen Betrieb, der
ja gar nichts mit der Apothekerei zu tun hat. Sie werden sofort hinfahren
und Ordnung schaffen. Und dann ist er nach Auschwitz gekommen...
FC: Der Lolling
oder wer?
C: Ja. Und
sie haben mich dann eingeladen zum Wirths.
DS: Sie waren
also damals schon in Auschwitz? Von Warschau aus?
FC: Du hast
nicht richtig erzählt, Victor!
C: Nein, von
Warschau nach Dachau, und dann von Dachau direkt nach Auschwitz. Über
Berlin. Dort gemeldet bei dem Lolling. Aber das andere war schon in Auschwitz,
vorher hat mich ja kein Wirths bedrohen können.
FC: Und der
Wirths hat verlangt, daß du selektierst, und du hast dich gewehrt
und darauf hat er gesagt, ich kann Sie erschießen lassen...
C: Und mein
Unteroffizier hat es gehört, denn er hat sich im Nebenzimmer ans Heizrohr
gestellt, er war neugierig, hat aber hier nicht soviel Charakter
gehabt, das anständig auszusagen beim Prozeß...
DS: Und was
war vorher mit Warschau?
C: In Warschau
war kein Lager mehr, da war alles ratzeputze abgebrannt. Da war auch ein
Lager vorher. Aber da hat man ja diese große Vernichtung gemacht.
Da war das Getto, wo der Aufstand war. War alles weggeputzt. Dort hab ich
kein Lager gesehen.
DS: Und in
Dachau?
C: In Dachau
hab ich mein erstes Lager gesehen. In Dachau war damals noch immer ein
recht geordnetes Lager. Es waren auch keine Vergasungen in Dachau, und
es war in der Art nicht. Es war ein strenges Regime , aber zu uns sind
Häftlinge gekommen in das Zentralsanitätslager und in das Spital
- ich hab im Lazarett ein Zimmer gehabtt für mich - und haben dort
Ordnung gemacht bei uns, und es war alles tadellos zuverlässig.
DS: Wars kein
Schock für Sie?
C: Dort nicht.
Und in Dachau, wenn die Leute ausmarschiert sind, sind sie singend ausmarschiert
mit der Hacke am Rücken, die haben dort im Moor gearbeitet...
DS: Die Moorsoldaten.
C: Aber sie
haben gar nicht den Eindruck gemacht damals, daß sie verhungert wären.
DS: Sie sahen
also nicht so furchtbar aus, wie man sich die Häftlinge vorstellt?
C: Nein, nicht
so aus, wie das, was ich nachher in Auschwitz gesehen habe.
DS: Sie waren
ja dort völlig ausgemergelt, ich meine, was man so auf Fotos gesehen
hat und in Filmen.
C: Aber das
ist alles hauptsächlich im letzten Jahr passiert, weil man dem Rückfluten
auch nicht mehr gewachsen war. Auch die Aufnahme in Auschwitz konnte nicht
150 000 oder 300 000 Menschen aus Ungarn innerhalb eines Monats schlucken...
DS: 400 000...
C: Ja, aber
es sind ja 200000 oder 250000 gleich ins Gas gegangen, die haben nichts
zu essen bekommen. Und an jedem Zug waren zwei Waggon Lebensmittel angehängt,
die hat man dem Lager zur Verfügung gestellt. Man hat sie nicht für
die deutsche Bevölkerung freigemacht, wie man das hier so schön
im Prozeß sagen wollte. Zwei Waggon waren voll mit Lebensmittel,
da war die ungarische Regierung dafür verantwortlich, das mußte
vollgestopft sein: Ein Waggon mit Speckseiten (DS: Siebenbürgischer
Speck!) Ja, die kamen ja alle aus Siebenbürgen. Und halbe Schweine
geräuchert. Oder dann waren Bohnen und Erbsen in Säcken, ebenfalls,
der Waggon bis oben voll.
DS: Und sie
haben das dann auch bekommen, die Häftlinge?
C: Ja, ja.
FC: Aber das
war doch zu wenig!
C: Nein, für
die die gearbeitet haben, war es nicht zu wenig, denn die haben 2000 Kalorien
bekommen, und haben sich noch manches beschaffen können. Denn wenn
die irgendwo in der Erde oder bei den Arbeiten etwas gefunden haben, was
man noch verscheuern konnte, dann haben sie es nach außen verscheuert.
Und der Bäcker, der Weißbäck, der hat gegen Gold und Diamanten
denen Brot gegeben noch und noch.
DS: Ein richtiger
Schwarzmarkt.
C: Na, sicher.
DS: Wenn man
aber da ist...
C: Ja, wenn
man das Elend sieht, ist es so deprimierend und es kommt einem zum Kotzen.
Ein Erbrechen ist unbedingt da. In der ersten Zeit. Man gewöhnt sich
dran. Aber der eine hat sich z.B. nicht dran gewöhnt, der hat eine
Zeitlang selektiert...
DS: Wer, der
Dr. Lucas?
C: Lucas. Sie
sind ja gut im Bild!
DS: Ich habe
alles gelesen, weils mich...
C: Omnia. Das
hat nicht der Lucas gesagt, das war so ein Großer. Das war die Laborantin,
die hats Labor gemacht. Der Lucas jedenfalls war auch nicht so, wie er
von seinen Schwestern sehr positiv beschrieben wird. Ihn haben nämlich
die Kreuzschwestern rausgeholt aus dem ganzen.
DS: Aber er
hat den Aufenthalt dort als Selbsterniedrigung empfunden, daß er
das machen mußte, daß er überhaupt dort war. Das Gewissen
hat ihm geschlagen...
C: Naja, und
er hat dann den Bischof befragt.
DS: Und einen
hohen Justizbeamten auch.
C: Ich kenn
noch jemanden, der den Bischof befragt hat, über den Onkel, der Onkel
war Professor in Wien, und hat es dem Innitzer...
FC: Dem Bischof...
dem Kardinal...
C: Und hat
erzählt, was dort los ist.
DS: Sie haben
es in Wien erzählt, im Urlaub?
C: Ja.
DS: Wem?
C: Dem Professor
Finsterer, der ist gegangen zur Donnerstagsrunde
DS: Also ihr
Onkel?
FC: Mein Onkel
ist der Professor Finsterer, und wie mein Mann in Wien...
C: In der Donnerstagsgesellschaft
da sind sie alle zum Innitzer. Das ist so ein Jourfix.
FC: Der Finsterer
hat es dem Innitzer erzählt...
C: Und der
Innitzer hat gesagt, da kann man nichts machen, das ist eben so, wir müssen
froh sein, daß wir quasi gut weggekommen. Und der Onkel...
DS: Wer ist
so gut weggekommen?
FC: Österreich
eben, nicht wahr...
DS: Aber es
waren viele Österreicher in den KZ's, sowohl Häftlinge
als auch Wachmannschaften...
C: Na, das
spielt keine Rolle.
FC: Das interessierte
den Papst nicht, der Papst hat es doch gewußt...
DS: Gewußt.
FC: Der Papst
hat es gewußt und der Innitzer hat es auch gewußt.
C: Und der
Innitzer war höher als der Herr Bischof vom andern Lucas... Aber ich
hab die Innitzersache nicht gebracht wegen dem Onkel. Und der hat wahrscheinlich
so etwas gehört von mir...
FC: Da war
er doch schon tot, Victor...
C: Naja, aber
die Tante war nicht tot und die Kinder. Und es ist immerhin ein Schock,
wenn so etwas ins Gespräch kommt, die ganze Familie leidet darunter...
FC: Bitte,
der Finsterer hat gesagt, ich habe es eigens meiner Mutter gesagt, der
Finsterer ist dann elend zugrundegegangen, das heißt, er war in geistiger
Umnachtung. Dieser supergescheite Mann ist dann tatsächlich elend
zugrundegegangen, und hat ja auch lichte Momente gehabt und hat gesagt:
Ich nehme es als meine Strafe. Er war kolossal fromm und katholisch:
Ich nehm es als meine Strafe hin, dieses Leiden, weil ich davon gewußt
und nicht den Mut gefunden habe, etwas dagegen zu unternehmen.
C: Aber wem
hätte man es sonst sagen können?
FC: Aber bitte,
Mann, in der damaligen Zeit.
C: (Redet erregt
dazwischen).
FC: Für
die damalige Zeit, denn jetzt kann man es aus einer anderen Perspektive
anschaun... Das Leiden als Strafe, weil ich gewußt habe, eben von
ihm gewußt hab, und was dort passiert und weil ich nicht den Mut
gefunden habe, etwas dagegen zu tun. Er hat es dem Innitzer gesagt.
C: Der Innitzer
hat nachher auch gesagt...
FC: Das hab
ich im Fernsehen gesehen, aber viele Jahre nachher: Da war ein Innitzer-Film
oder so ein Nachruf. Und der Innitzer hat gesagt: Ich habe heute eine große
Spende von meinem Freund Professor Finsterer bekommen, eben für die
Wiedergutmachung, den Juden irgend etwas zuzuschicken und ihr Schicksal
zu erleichtern, um sie, ich glaube, man konnte sie zum Teil auch loskaufen,
es war jedenfalls eine Aktion mit dem Loskaufen. Und dieser Aktion hat
eben der Finsterer eine bedeutende Summe gespendet...
C: War der
Onkel auch Jude... Sie sind ja Halbjüdin?!
FC: Nein, nein,
nein, der Finsterer ist absolut katholisch erzogen worden, und hat es mit
seiner katholischen (DS: Theologie?) Nein, Medizin. Der Finsterer ist als
ganz armes Kind, Kind armer Eltern...
C: Ich habe
dort nur jenen helfen können, die dort zufällig einen Posten
bekommen konnten, irgendwie mit uns zu tun hatte. Wir hatten ja oben über
der Apotheke eine Sortieranstalt für Medikamente, da haben ja vierzehn
Häftlinge gearbeitet, und das waren ja hauptsächlich Landsleute
... und die waren dann hier als Erzkommunisten als Zeugen. Und der eine
hat gesagt: Er (Capesius) hat uns geholfen und es ist gut gegangen, aber
die andern Millionen sind alle gestorben. Und er war ja dort Apotheker.
Das hat natürlich auch dem Gericht nicht imponiert. Denn der hat mit
solch einem Haß die Beschuldigung geschrien, weil er ja beschuldigen
mußte, sonst konnte er ja nicht (nach Deutschland) kommen.
DS: Vom Gericht
wurde das Wort "Verstrickung" gebraucht, und das ist das einzige was man
akzeptieren kann. Verstrickung.
C: Ja, wir
sind dort reingekommen. Wo wär ich sonst mit Häftlingen zusammengekommen
und hätte über 30 000 Häftlingen die Medikamente beschaffen
müssen. usw.
DS: Und dieses
Wort "Verstrickung" finde ich sehr gut, weil die Voraussetzungen nicht
nur in der persönlichen Biographie waren. Denn Sie sind ja nicht Parteimitglied
der NSDAP gewesen (Nein!) Und Sie haben sich ja nicht freiwillig gemeldet,
sondern sind zum Militärdienst eingezogen worden auf Grund der siebenbürgisch-sächsischen
Verhältnisse, der rumäniendeutschen Verhältnisse, das ist
doch das Problem. Um überhaupt zu so einer persönlichen Biographie
und zur Schuldfrage zu kommen, müßte man zuerst einmal untersuchen,
inwieweit diese Erziehung, die man mitgemacht hat und Teil dieser Minderheit,
dieses "Völkchens", dieser Gruppe war, inwieweit diese Gruppe selbst
und wo die Schuld dieser Gruppe selbst liegt ... das ist erstmals das Problem.
C: Bei der
Gruppe in Siebenbürgen liegt es sicher nicht, denn wir haben Juden
in der Schule gehabt, und wir waren zum zehnjährigen Maturajubiläum
und die Juden waren mit uns angetreten, sie sind auf dem Foto noch verewigt.
Und wir haben uns bestens vertragen, und ich habe Juden besucht, obwohl
Judenboykott war in Deutschland...
FC: Von der
Firma aus besucht... -
C: Und ich
bin mit ihnen ausgekommen.
DS: Sie haben
ja auch viele gekannt, ich meine dann, die nach Auschwitz kamen in den
furchtbaren Transporten... Sie haben die jüdischen Häftlinge
zum Teil gekannt...
FC: Ja, die
jüdischen Ärzte...
C: Aber die
sind ja nur zum Teil in Auschwitz geblieben, die Leute, die man aussortiert
hat für die Arbeit, sind ja mit dem nächsten Transport weitergegangen
nach Deutschland herein. (...)
C: Von Auschwitz
sind insgesamt 231. 000 Personen...
FC: noch lebend
weggekommen...
C: ... noch
lebend weggekommen.
DS: Und wieviele
sind ermordet worden?
C: Gleich an
der Rampe?...
FC: In den
ersten Jahren sind ja viele...
C: ...Männer
und Frauen...
FC:... gespritzt
worden (Senkt die Stimme)...
C: Nur hat
man ja nicht mehr das Tempo mit den Spritzen einhalten können ...
was man gebraucht hat... Männer und Frauen wurden aus den Ungarntransporten
113.000 tätowiert... Sammeltransporte...
FC: Wie der
Himmler in Auschwitz war, warst du da schon dort?
C: ... n-nein...
FC: Warst also
noch nicht dort! Aber der Sohn vom... Draser hat er geheißen? (Ja.),
der hat dann nach Hause geschrieben quasi: heute war unser oberster Führer
da, eben der Himmler, und hat Auschwitz inspiziert. Und er ist auch ein
Mann wie jeder andere ... er hat ihm nicht imponiert.
DS: Haben Sie
Himmler gesehen?
C: Er ist sehr
in meiner Nähe gewesen am Schluß.
C: Im Januar
45 sind wir schon geflüchtet... aus Auschwitz. Am 30. September, also
am 1. Oktober 44 kamen noch 2490 Leute aus Theresienstadt.
DS: Und die
sind alle ermordet worden?
C: Nein. Da
hat man 250 Männer und 250 Frauen zuerst mal rausgenommen. Und 1499
hat man vergast, sofort. Und die 500 hat man nicht tätowiert, sondern
ins Mexiko-Depot geschafft.
DS: Ich weiß
nicht, wie ich gehandelt hätte, wäre ich in diese Maschine hineingekommen...
FC: Ich glaube,
daß unter diesen Bedingungen eben doch andere Regeln gelten, andere
Maßstäbe angelegt werden müssen... -
DS: Die Maßstäbe
schon, aber man kam ja mit seinem normalen Gewissen da rein...
FC: Ja.
DS: Es ist
unvorstellbar...
C: Es ist ja
von den ersten Tagen immer wieder so: "sprechen", das sagt dir der nächste
Bekannte, wenn er Sturmbannführer oder Obersturmbannführer
ist, nicht über diese Sache sprechen...! () Dem entfliehen? Da hätte
man Sie doch erwischt! Sie wären doch am nächsten Pfahl aufgehängt
worden.
DS: Mir wären
auch Selbstmordgedanken gekommen, ich weiß nicht. (...)
C: Es konnte
sich doch der einzelne nicht auflehnen ... und wir konnten unser Vaterland
nur retten, wenn die Russen nicht herüberkommen ... aber wir hätten
das verhindern können, wenn man nicht alles verraten hätte...
DS: Also daß
die Russen kommen?
C: Ja, sicher
... wir wußten, wie es uns geschieht, wenn Stalin kommt. Und das
mußten wir bekämpfen. Dagegen mußte man dann eben so manches
einstecken.
(Erschienen in: "Halbjahresschrift", Heft Nr.1/1993). Auch nachzulesen im Buch "So nah so fremd. Heimatlegenden", AGK-Verlag, Dinklage, 1995, S. 286ff. - Bestellbar bei: AGK-Verlag
http://home.t-online.de/home/totok/halbja~1.htm
Dr. Johann Böhm,
Matthiasstraße 8 D-49413 Dinklage Deutschland (GERMANIA)
- Medizin im Nationalsozialismus.
Mit Beiträgen von D. Blasius, K. Dörner, F.Kudlien,
B.Müller-Hill,
P.Weindling,,
R.Winau,
N.Frei,
Oldenbourg München, 1988. ISBN 3-486-54651-1.
- Medizin und Gesundheit
in der NS-Zeit, Hg. von Norbert Frei. Oldenbourg München, 1991.
ISBN 3-486-64534-X.
- Hans-Walter Schmuhl,
"Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie" Vandenhoeck und Ruprecht,
Göttingen, 1992 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd.
75), ISBN 3-525-35737-0.
Zum Thema Holocaust:
Hermann Langbein,
Menschen in Auschwitz, Europaverlag Wien München 1996 (3. Auflage)
Ernst Klee, Auschwitz,
die NS-Medizin und ihre Opfer, S. Fischer, 1997.
Geschichzswissenschaft und Öffentlichkeit.
Der Streit um Daniel J. Goldhagen, hg. von Johannes Heil und Rainer
Erb, Fischer Taschebuch 2690, Frankfurt a.M. 1998
Zum Thema Ideologie:
Robert P. Erickson,
Theologen unter Hitler. Das Bündnis zwischen evangelischer Dogmatik
und Nationalsozialismus, Carl Hanser Verlag, München Wien 1986.