©Klaus Popa 1999
Das wahre Gesicht der SS
The True Face of the SS
 

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SS-Apologetik versus wahrem Gesicht

Ein im Jahre 1984 veröffentlichter Quellenband betont apologetischer Natur hat uns zu folgenden Überlegungen veranlaßt.

    In einer der dort publizierten Quellen heißt es, der Kampf des deutschen Reiches gegen das bolschewistische Rußland sei ein Kampf auf Leben und Tod gewesen. Wie fundamentalistisch diese Aussage ist, belegt die brutale Kriegführung im Osten, die alle bisherigen Regeln zivilisierter Kriegführung einfach über Bord warf. Weil es um einen sogenannten "Krieg der Weltanschauungen" ging (Nationalsozialismus gegen jüdisch inspirierten Bolschewismus), wurde auch die totale Vernichtung des Gegners angestrebt. Die SS als Inbegriff des sogen. "politischen Soldatentums" war aus "Weltanschauungskriegern" zusammengesetzt, weshalb ihre Kampfmethoden die neuen Dimensionen des totalen Weltanschauungskrieges beispielhaft vor Augen führen. Es wurde dabei in heuchlerischer Weise immer wieder darauf hingewiesen, daß diese Kriegführung im Interesse Europas und des Abendlandes erfolge. Daß es sich nicht um ein aus der europäischen und abendländischen Tradition hergeleitetes, in deren Namen und zu deren Heil geführtes Ringen handelte, sondern um eiskalte Vernichtung gegnerischer Menschen und geistiger wie materieller Werte, muß nicht weiter unterstrichen werden. Die nationalsozialistische und SS-Propaganda wollte damit ihrem barbarischen Treiben im Osten (Polen und Rußland) nur einen legitimen Anstrich verschaffen. Bei näherem Hinschauen erweist sich diese Propaganda als perverses und zynisches Anspruchsdenken. Man berief sich auf europäisch-abendländische Wertvorstellungen, denen der Nationalsozialismus ursprünglich den Kampf angesagt hatte. So war es Hitlers Regiment gelungen, den 'westlichen', undeutschen Parlamentarismus der Weimarer Republik auszuschalten. Und den Kampf gegen die Kirchen und sogenannte "Gesinnungstäter" wurde unvermindert weitergeführt.
    Die Verwegenheit, mit der das greulhafte Hausen der deutschen Streitkräfte, vor allem der von der SS zur Verfügung gestellten Einsatzkommandos, als den europäischen und abendländischen Interessen entsprechend dargestellt wurde, ist unübertrefflich, zumal das Deutsche Reich einen Teil seiner westlichen Gegener wie Frankreich und andere  west- und nordeuropäische Staaten besetzt hielt bzw. bekriegte.

    Eine weitere Verwegenheit ist es, den gegen die westlichen Länder geführten Krieg als 'Bruderkampf' auszulegen, zumal der Kriegshergang des Gegenteils belehrt: wäre der Kampf gegen die östlich-bolschewistische Bedrohung tatsächlich das Hauptziel der deutschen Kriegführung gewesen, dann hätte sich Deutschland von Anbeginn gegen Rußland wenden müssen, doch es besetzte Holland, Belgien, Frankreich, dann Skandinavien und Hitler plante die Invasion der Britischen Insel, was er dann wegen der Luftüberlegenheit Großbritanniens aufgeben mußte. Erst dann wandte er sich gegen Rußland.

    Es ist bezeichnend, daß ehemalige "weltanschauliche Erzieher" der SS im Rahmen der Nürnberger Prozesse den Eindruck erwecken wollten, daß ihre Organsisation  ideologisch nichts mit Hitler auf dem Hut gehabt hätte, ebenso nicht mit den Folgen seines großdeutschen Imperialismus. In ihrem plötzlichen Gedächtnisschwund versanken nämlich erwiesene Tatsachen:
    - die Gründung der SS, die auf Hitler persönlich zurückgeht;
    - die erste bedeutende SS-Einheit, die Leibstandarde, trug den Namen des Diktators und dessen persönlichen Schutz;
    - Hitler und kein anderer hatte der SS den Wahlspruch "Meine Ehre heißt Treue" (zum Führer) ausgesucht;
    - die SS besorgte die menschenunwürdigsten Programme, sprich: die 'Drecksarbeit' der hitlerschen Expansion unter dem Mäntelchen des "politischen Soldatentums" und des "Weltanschauungskrieges".

    Die Verharmloser stellten die SS sogar als kriegsscheu dar. Die Organisation des Nazireiches, die auf den totalsten aller Kriege spezialisiert war, soll den Krieg nicht gewollt haben? Der Krieg war es doch, der ihr Bestehen rechtfertigte, der Krieg war es, der ihr zur Blüte und Expansion verhalf, der Krieg war doch ihr Element!

    Dieselben Verharmloser der Nürnberger Prozesszeit behaupteten sogar, und das noch in sozialdarwinistischem Geist, der Krieg sei der Feind der Besten, weil er die hinraffe. Im Krieg finde eine Gegenauslese statt. Doch als das Nazireich noch heil war, lautete dieser zum Dogma erhobene Lehrsatz ganz anders: im Krieg funktioniere das Ausleseprinzip dahingehend, daß nur die Besten daraus siegreich hervorgehen. Die opportunistisch-zynische Verkehrung ist offensichtlich.

    Die in die Defensive getriebenen Apologeten der SS schreckten auch davor nicht zurück, diese Organsation mit der Problematik der "freien und selbstverantwortlichen Persönlichkeit" in Verbindung zu bringen. An der so gearteten Persönlichkeit sollen sich nur Himmler und die übrigen Potentaten "versündigt" haben. Woher diese für SS-Ideologen so untypisch liberalen Töne? Das Ziel der SS-Erziehung bezweckte gerade das Gegenteil: die Vernichtung der freien und selbstverantwortlichen Persönlichkeit, um willfährige und fanatische Befehlsempfänger und Exekutanten heranzuzüchten, deren Verbrechen in der Anonymität kameradschaftlich durchorganisierter Kollektive (das SS-Großkollektiv verstand sich selbst als Eliteorden) leicht untergingen.

    Blanker Hohn spricht aus der Behauptung, "Die freiwilligen SS-Männer hatten den Ehrgeiz, nicht nur die tapfersten, sondern auch die saubersten und makellosesten Soldaten der Welt zu sein. Kampf war für sie nicht nur eine natürliche Ordnung des Lebens, sondern ein im höchsten Maße sittlich verpflichtender Begriff. Heute fühlen sie sich in ihrer inneren Seele geschändet und genotzüchtigt, weil man Leuten, die zwar ihre Uniform trugen, aber nicht ihresgleichen waren, Verbrechen zu begehen und zu morden - anstatt ehrlich, sauber und tapfer zu kämpfen - befahl."
Die Makellosigkeit und sittliche Reinheit soll also der SS nicht abgesprochen werden können wegen denen, die zwar die SS-Uniform trugen, aber nicht ihresgleichen waren und Verbrechen begingen. Die nur in ihrem Monolithismus starke SS soll nun in ihren reihen 'Fremdkörper' gehabt haben. Soll also der SD (Sicherheitsdienst der SS), der für massive Erschießungen und sonstige Greultaten, soll das zur Waffen-SS zählende Wachpersonal der KZ plötzlich nicht ein SS-Teil gewesen sein?
    Reinen, makellosen Kampf gibt es höchstens als Wunschtraum. Die Realität des Krieges sieht anders aus, erst recht die des von der SS geführten "weltanschaulichen" Krieges. Selbst wenn der größte Teil der im operativen Kriegsgeschehen stehenden SS-Männer (Waffen-SS) sich in keinerlei Form an Unschuldigen, Wehrlosen vergangen hat, gehörten sie einer Organisation an, die solche Vergehen zu ihrem Programm gemacht und mit System betrieben hat. Die Spezialisierung der einzelnen SS-Sparten entlastet die Waffen-SS-Angehörigen zwar, doch sie müssen die Schuld mit jenen SS-Angehörigen teilen, die Verbrechen begingen, schon aus dem einfachen Grund, weil:
    a) sie es ihrem Elite- und Korpsgeist, also ihrer Organisation schuldig sind, mit der sie sich auch nach Jahrzehnten noch identifizieren;
    b) weil sie, im Falle sie die daraus entspringende Verantwortung wahrhaben wollen,  sich nicht einfach aus dieser gemeinsamen Verantwortung fortstehlen können. Andernfalls kündigen sie die ewige Treue, die sie der Schicksalgemeinschaft der SS doch geschworen haben;
    c) weil sie als Mitglieder des SS-Ordens sich gleichermaßen der menschenverachtenden, verbrecherisch angelegten Ideologie des Nationalsozialismus in deren äußerster Zuspitzung des "politischen Soldaten" bzw. des "Weltanschauungskriegers" verschrieben haben, also potentiell jederzeit ihr Gelöbnis von Ehre aus Treue selbst im Angesicht verbrecherischer Befehle hätten einlösen müssen.
 

 
Himmler und die nationalsozialistische Feindbildkette
 

        Himmler in seiner Rede vom 9.6.1942 (Geheimreden, S.160): "Das Wesen dieser größenwahnsinnig Gewordenen, auch gerade der Christen, die von einer Beherrschung dieser Erde durch die Menschen reden, muß einmal abfallen und in die richtigen Maße zurückgeschraubt werden. Der Mensch ist gar nichts Besonderes. Er ist irgendein Teil auf dieser Erde. [...] In diese Welt muß er wieder ehrfürchtig hineinsehen. Dann bekommt er einmal den richtigen Maßstab was über uns ist, wie wir in diesen Kreislauf verflochten sind".

       Himmler wendet wie jede demagogische Propaganda das Prinzip an, dem bzw. den weltanschaulichen Gegnern und Feinden all das anzulasten, was eigentlich seiner eigenen Ideologie vorzuwerfen ist: Größenwahnsinn ist nicht bei den Christen, sondern bei den Nazis präsent. Gleichzeitig spricht Himmler seine Menschenverachtung unverblümt aus.  Uns spricht hier nur der Demagoge und Zyniker Himmler an.
 
        Der von Himmler gepredigte "naturgegeben vorausgesetzte Weltzusammenhang" diente doch nur dem Zweck, den einzelnen zu instrumentalisieren. Himmlers Ideen fordern Entmenschlichung, Herabstufung und Abwertung des menschlichen Selbstverständnisses ein mit dem offensichtlichen Zweck, jede individualistische Regung, jede individualistische Resterscheinung auszumerzen.

        Die rassische Hybris, die vorgeblich daraus resultierende soziale Desintegration (im Nazijargon heißt das 'Zersetzung'), die blutliche Überlegenheit gehören zu der Kette von feindbildlichen Mystifizierungen, zu der auch die Feindfixierung auf Juden, Bolschewisten, Demokraten, Individualisten, Christen, Freimaurer, Internationalisten zählt. Hier muß der Hauptgegensatz zwischen universalistisch-humanistisch-über- national (international)-gewissenszentristisch-christlich-abendländischer Weltanschauung und partikularistisch-antihumanistisch-deutschnational-gewissenslos- deutschzentristischer nationalsozialistischer und SS-Ideologie eingebracht werden. Über den hinterhältig-demagogischen, falschen Charakter des nationalsozialistischen und SS-ideologischen Gebräus bestehen keine Zweifel. Beispielhaft ist das  Paradoxon, daß der Mensch in Himmlers Anschauung überhaupt nichts Besonderes sei, andererseits Himmler den Kult des Herrenmenschen verfocht.

        Ein weiteres Beispiel ist der krasse Widerspruch der nationalsozialistischen bzw. SS-Theorie zu ihren praktischen Zielen. Das Hauptziel der Herrschaft, zunächst über das deutsche Volk, dann über Europa und schließlich über die ganze Welt (letzteres ohnehin utopisch), gab alle anderen kurzfristigen Ziele und die damit verbundenen Methoden vor. Und diese Methoden zeichneten sich durch Skrupellosigkeit (im Nazijargon "Härte") aus. Alle zur Verfügung stehenden Mittel und Ressourcen wurden dieser Skrupellosigkeit ausgeliefert, diese wurden also zu bloßen Instrumenten degradiert. Das gilt gleichermaßen von den sich als Herrenmenschen aufspielenden Deutschen wie von deren Opfern. In der nationalsozialistischen und SS-Sicht gab es eigentlich nur Instrumente: der einzelne hatte nur als Werkzeug einen Wert. Näher betrachtet ergaben sich zweierlei Instrumentqualitäten:
 
        - die "privilegierten" Instrumente, n&auuml;mlich die Angehörigen der Herrenrasse selbst, die das "Privileg" genossen, den nationalsozialistischen bzw. SS-Instrumenten- dienst zum Teil als Entsorger "unwerten Lebens" und des Untermenschentums besorgen zu dürfen, ohne sich ihrer Instrumentalisierung durch das Terrorregime bewußt zu sein;
 
        - die rechtlosen, vogelfreien "Instrumennte", das Untermenschenmaterial, dem das Los des Freiwildes, des Arbeitssklaven vorbehalten war.

        Herrenmenschentum erfordert per definitionem Opfer, es kam ohne diesen nicht aus, weil es ohne diesen seine Existenzberechtigung eingebüßt hätte. Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren hier vorprogrammiert.

        Der qualitative Unterschied zwischen herrenmenschlichem und untermenschlichem Opfer besteht darin, daß
        - der Herrenmensch sich angeblich freiwiillig opfert (eigentlich wird er doch von Seinesgleichen geopfert). Wichtig für die Nazis war, daß der Herenmensch sich im Glauben der Freiwilligkeit opferte.
        - der Untermensch war ausgeliefert, zum Opfer verdammt, er besaß die Qualität des freiwilligen Opfers nicht.
 
        Aus der obigen Differenzierung ergibt sich, daß das Elitäre von der Freiwilligkeit des Opfers bzw. vom Glauben an diese Freiwilligkeit geprägt war. Es war also eine Glaubenssache.

        Die nationalsozialistische Ideologie und Himmlers Ideen waren eine riesige Mogelpackung, eine immense Seifenblase, weil sie darauf ausgerichtet waren, den Menschen einen ideologiekonformen Glauben aufzuoktroyieren. Und die Kultivierung des (Irr)Glaubens ging bei der SS ins Extrem, daß nur noch der Glaube, kaum mehr die Glaubensinhalte relevant waren. Das ist aber Glaubensfanatismus.

        Der praktische Niederschlag dieses Glaubens war:
        - Bedingungslose Opferbereitschaft im Kaampfeinsatz und bedingungslose Bereitschaft, Untermenschen zu opfern = zu vernichten. Es leuchtet ein, daß diese Glaubensform christliches Gedanken- und Gefühlsgut nicht zuließ. Sie war auf Vernichtung sowohl des hilflosen, wie auch des kämpfenden Feindes angelegt und trug den Kern der Selbstvernichtung in sich.
 

 

Die nationalsozialistische und SS-PERVERTIERUNG und INSTRUMENTALISIERUNG
 
        Der mit Hitlers Person verbundene Messianismus (Hitler als Gottes Sendung) ermöglichte es, die Tugendideale der SS, Treue, Ehre und Gehorsam als in den Dienst [vermeintlich] höherer Mächte gestellt auszugeben. In diesem Verständnis "drohten Untreue, Unehrenhaftigkeit und Ungehorsam über verzeihbare menschliche Schwächen hinaus zur Sabotage am Willen des Schicksals zu geraten" (Bernd Wegner: Hitlers politische Soldaten: Die Waffen-SS, Paderborn - München - Wien - Zürich, 1997, S.53).  Selbsttverständlich Sabotage des im Führer bzw. den Führern verkörperten "Schicksals".

        Diese Interpretation macht Abstrich von der den nationalsozialistischen und SS-Tugenden zugrunde liegende Pervertierung. Wegner spricht diese Erscheinung lediglich als "Prozess semantischer Verschiebung" an (S.32; er führt am Beispiel des Autoritarismus (S.32-34) und des Militarismus (S.34-38)aus)). Doch Pervertierung ist mehr als "Verschiebung", sie führt im äußersten Fall zur qualitativen Abänderung der Tugenden in Anti-Tugenden.

        Nationalsozialistische und SS-Treue, -Ehre und -Gehorsam funktionierten nur dem Glauben nach als Tugenden, sie waren aber durch die Zielstellungen, denen sie untergeordnet und dienstbar gemacht (=mißbraucht) wurden, nämlich Krieg und Vernichtung, zu effektiv menschenverachtenden, -herab- und -entwürdigenden Instrumenten degradiert.

        Wenn nun Treue, Ehre und Gehorsam im geschlossenen nationalsozialistischen und SS-(Un-, Anti-)Wertesystem noch eine gewisse Rechtfertigung besitzen, kommt das für den Schicksalsbegriff überhaupt nicht infrage, weil an ihm - in Verbindung mit der Auffassung vom Führer als Erlöser - die Willkürlichkeit menschlicher Intentionalität augenscheinlich ist: es ist doch nicht so, daß der nationalsozialistische und SS-Schicksalsbegriff als apriori gegebenes Absolutum einzustufen ist, selbst wenn das der nationalsozialistische Vorsatz war, sondern ein menschliches Konstrukt, ein Ideolo- bzw. Mythologem, das den Zweck der Manipulation und Instrumentalisierung erfüllte. Letztere fand im sogenannten Dienen bzw. Dienst an einem überpersönlichen, angeblich den Volkswillen repräsentierenden Ideal Niederschlag.

        Christliche Ideolo- und Mythologeme sind gewiß auch Konstrukte, doch im - grundlegenden - Unterschied zu denen des Nationalsozialismus und der SS sind sie das Ergebnis jahrhundertealten Werdens, einer organischen, geschichtlichen Entwicklung. Darin liegt bereits ihre Legitimität. Ihre Langatmigkeit ist doch die Gewähr der Legitimität. Die nationalsozialistischen Konstrukte strebten zwar Langatmigkeit = Dauerhaftigkeit an, diese war ihnen aber in mehrfacher Weise versagt:

    a) sie besaßen keinen ernsthaften Rückhalt im tradierten Wertesystem;
    b) sie erhoben den Anspruch, revolutionär zu sein, was sie auch durch die kompromißlose Ablehnung des überlieferten Wertesystems waren; sie waren das Ergebnis des Anspruchs auf einen absoluten Neubeginn - mit der Einschränkung, daß auf die germanische Vergangenheit und das deutsche Mittelalter zurückgegriffen wurde, um doch eine in der historischen Tradition angesiedelte Legitimierung zu erzielen.

        Die nationalsozialistischen Treue-, Ehre- und Gehorsamsbegriffe sind  ausnahmslos ideologische Ausgeburten, deren Genesis und Ausstrahlung mit dem Odium des Arbiträren, des Willkürlichen, der Willkür befrachtet ist. Ideologie ist nun mal gedankliche Willkür - Willkür der Gedanken -, in äußerster Form Ideenterror politischer Ideologie (Zur Definition von "Ideologie" vgl. auch  Wo setzt Ideologie ein?)
 
 

Die SS als Bewegung von UNTERPRIVILEGIERTEN

         Bernd Wegner  meint, die "nicht ohne Erstaunen vorgetragene Feststellung, daß ausgerechnet die SS als gesellschaftliche "Gegenelite" in so starkem Maße auf traditionelle Führungsschichten zurückgegriffen habe", kennzeichnet, "zumindest was die bewaffneten Teile der SS angeht, nur eine bestimmte, für den Übergang des Nationalsozialismus von der Bewegungs zur Systemphase charakteristische Zwischenstufe in der Entwicklung der SS: Vor der "Machtergreifung" vornehmlich eine Bewegung von Unterprivilegierten, begann die SS auf obermittelständische Schichten just in dem Moment verstärkt zurückzugreifen, als sie sich anschickte, die traditionellen staatlichen und gesellschaftlichen Machtzentren zu erobern" (S.257f.).  Zu diesen "Unterprivilegierten zählten bekanntlich zu großem Teil ins Abseits gedrängte Randexistenzen, manche sogar kriminell belastet, die nun in der und durch die Bewegung die Chance witterten, in irgendeiner Form zur Geltung zu gelangen, doch nicht nach der Maßgabe der vermeintlich von den Juden vorgegebenen Konkurrenzregeln der freien, liberal organisierten Gesellschaft der Weimarer Republik, sondern nach der rassischen, militanten, exklusivistisch-intoleranten, auf rassistisch-nationalistischer Behäbigkeit beruhenden Kampf- und Promovierungsregeln der NSDAP. Selbst wenn der freie Wettbewerb der Weimarer Republik von Cliquenwirtschaft, die ausschließlich Juden vorgeworfen wurde, dominiert war, so war er doch frei und größtenteils friedlich (abgesehen vom Klassenkampf der Linken und dem paramilitärischen und militärischen Gehabe des nationalsozialistischen Militantismus), was dem nationalsozialistischen Modell der politischen Artikulation nicht nachgesagt werden kann, wo letztere die vollständige, totale Kontrolle der Gesellschaft und des Staates anstrebte, die jegliche freiheitliche Regung im Keim erstickte. Die nun an die Macht gelangten "Unterprivilegierten" Wegners teilten die Freiheit nach ihrem Verständnis aus, indem sie ihre eigene, parteipolitische Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit, die der nationalsozialistischen Willkür entspricht, für die des ganzen Volkes hielten.
 
 

Die SS-Sondergerichtsbarkeit als Ausdruck eines ANTIRECHTS
 
         Am 17. Oktober 1939 wurde die "Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen" für einen Teil der Polizei und SS eingeführt - Verfügungstruppe, Totenkopfverb&aauml;nde, Junkerschulen, die Reichsführung SS und sonstige bewaffnete SS vorgesetzte Dienststellen aufgrund der  "Verordnung über eine Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen für Angehörige der SS und für die Angehörigen der Polizeiverbände bei besondererem Einsatz" eingeführt. Wegner nennt den Anlaß zu diesen Maßnahmen, nämlich die von den Sonderkommandos im besetzten Polen durchgeführten "Säuberungen" = Erschießung von Juden, polnischer Intelligenz, Priestern, Widerständlern nicht,  wodurch er sich die unangenehme Aufgabe erspart, auf den verbrecherischen Charakter der SS einzugehen. Er beschränkt sich lediglich auf die Feststellung, daß die SS- und Polizeigerichtsbarkeit eine der Wehrmacht gegenüber organisatorisch verselbständigte Miltärjustiz war. Er räumt allerdings ein, daß "ihre Bedeutung entschieden darüber hinaus geht" (Wegner, S.320). Auch stellt er nur fest, daß es eine Beschneidung der bestehenden Wehrmachtsgerichtsbarkeit und die erste Entscheidung in einer langen Folge von Maßnahmen war, "durch welche Hitler in den folgenden Jahren den Geltungsbereich der ihm seit den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs schlapp und in ihrer Paragraphengläubigkeit lebensfern erscheinenden ordentlichen Kriegsgerichtsbarkeit einzuschreiten, ja partiell auszuschalten suchte". Wegner bringt hierfür keine Belege, wodurch er einer SS-Legende zu folgen scheint. Die eigentliche Antwort ist doch, daß dadurch nicht nur die bereits von SS-Angehörigen begangenen Greultaten nicht geahndet wurdeng, sondern damit der Weg offen war für den Völkermord. Und die einzige Legitimation bildete das auf Rassenhaß aufgebaute ideologische Postulat der Deutschen als Herrenmenschenrasse. Daß die sogenannte SS-Gerichtsberkeit bzw. das Gerechtigkeitsverständnis der SS wie auch das Hitlers und der NSDAP überhaupt auf rassistischer Grundlage fußte, erwähnt Wegner mit keinem Wort.

        Auch die konkreten Pläne der Reichsführung-SS aus der Vorkriegszeit in Richtung Einführung einer SS-eigenen Gerichtsbarkeit, auf die Wegner eingeht, ändern nichts daran, daß zwischen der Einführung der Sondergerichtsbarkeit und dem Polenfeldzug ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Wegner betont, daß die Einführung der SS-Gerichtsbarkeit ganz auf der Linie von Himmlers seit der Mitte der dreißiger Jahre betriebenen Politik lag, doch er unterschlägt den mörderischen Anlaß. Er bringt die neue SS-Gerichtsbarkeit mit der Schaffung der Waffen-SS in Verbindung und meint, sie "bekräftige gerade durch ihre Analogie zur Wehrmachtsgerichtsbarkeit den Anspruch der bewaffneten SS - einschließlich der nicht immer uumstrittenen Junkerschulen und Totenkopfverbände - auf militärische Gleichberechtiguung" (S.321). Das mag alles stimmen, doch daß diese Gerichtsbarkeit ein Patent zum schrankenlosen Morden (license to kill) war, verkennt Wegner, auch schon deshalb, weil er den einseitigen Auslegungen des SS-Angehörigen Fritz Grau, Die neue SS- und Polizeigerichtsbarkeit, in: Deutsche Justiz, 101. Jg./Ausgabe A, Nr.48/1.12.1939, S.1785 vorbehaltlos Glauben schenkt. Wegner vermeint in der Zielsetzung der militärischen Gleichberechtigung "versteckte politische Brisanz" zu erkennen, "die den ungewöhnlichen Umstand erklärt [sprich: erklären soll], daß die SS- und Polizeijudikation, obgleich längst beschlossene Sache, in den für das Verhältnis von Wehrmacht und bewaffneter SS grundlegenden Führererlassen vom 17. August 1938 und vom 18. Mai 1939 mit keinem Wort erwähnt ist" (S.321). Die Nichterwähnung geht doch darauf zurück, daß es noch keinen konkreten Anlaß zu einem solchen Schritt gab. Den Anlaß bot der Polenfeldzug, so daß wiederum klar wird, daß das eigentliche Element der SS der Krieg, der Kriegszustand war, der es ihr ermöglichte, für jene extremen Aufgaben eingesetzt zu werden, für die sie ja aufgebaut worden war.

        Wegner bemerkt sodann, die gemeinsame Strafrechtspflege von SS und Polizei eigente sich vorzüglich, die von Himmler so vehement betriebene, in der Idee eines übergreifenden "Staatsschutzkorps" gedanklich vorbereitete Verschmelzung beider Institutionen voranzutreiben. Doch wir glauben, es ging Himmler ausschließlich darum, seine persönlichen Kontroll- und Zugriffsmöglichkeiten zu vermehren, daß heißt, seine Machtposition zu stärken.

        Auch der Begründung, die Wegner dem Bemühen, SS- und polizeigerichtlich Verurteilte "grundsätzlich nicht mehr zum Bewährungseinsatz an die Wehrmacht" abzugeben (5.5.1944) und Himmlers Sträuben zugrundelegt, dem OKW irgendwelche Auskünfte, selbst statistischer Art, über Spruchpraxis und Strafvollstreckung in der SS zu erteilen (11.6.1944), nämlich "das beständige gegenseitige Mißtrauen zwischen Wehrmacht- und SS-Führung" (S.323) können wir nicht zustimmen. Es ging Himmler doch darum, einmal zu verheimlichen, wie hoch das Strafvergehen in den Reihen der SS war und andererseits wieviele der Fälle wirklich abgeurteilt bzw. bestraft wurden. Es hätte sich nämlich leicht herausstellen können, daß die verzeichneten bzw. abgeurteilten Fälle zahlenmäßig unverhältnismäßig gering waren im Vergleich zu den eigentlich begangenen systematischen Verbrechen, die der Wehrmacht zum Teil auch bekannt waren. Denn der Verdacht, daß die SS mit ihrer neuen, unabhängigen Gerichtsbarkeit sehr großzügig operierte, war durchaus nicht gegenstandslos.

        Das Recht der Kommandeure als Disziplinarvorgesetzte im Vorfeld juristischer Ermittlungen zu entscheiden, ob "der zur Debatte stehende Fall dem zuständigen Gericht [...] vorgelegt werden" müsse (14.12.1939) (S.323), belegt die Großzügigkeit, mit der die SS Straftaten handhabte.

        Es dünkt Wegner "bemerkenswert", "daß als Herausgeber solcher Entscheidungshilfen [Richtlinien und Sammelerlasse des Hauptamtes SS-Gericht] und als federführende Ministerialinstanz hinsichtlich aller Disziplinar-, Strafrechts- und Ehrenfragen eine ganz nach SS-mäßigen, nicht juristischen Grundsätzen arbeitende Behörde, nämlich das Hauptamt-SS-Gericht, fungierte" (S.324). Wir finden daran nichts Verwunderliches, weil die SS ihre eigene Vorstellung von Gerichtsbarkeit hatte, die objektiv gesehen keine war, sondern ein ausgeklügeltes Vertuschungsinstrument, das sie nun vollkommen unabhängig praktizieren konnte.

        In dieselbe Richtung weisen die Polemiken des Hauptamtes SS-Gericht gegen die "verkalkten Juristen alter Schule". "Verkalkt" konnte für die SS-Rechtsexperten nur die Rechtssprechung sein, die entgegen der ihr durch den Parteitotalitarismus aufgezwungenen Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit doch noch versuchte, gerecht zu sprechen.

        Es dürfte einleuchten, daß von einer Organisation, die auf Vernichtung bzw. Versklavung rassisch Minderwertiger angelegt war, auch keine moralische Rechtssprechung zu erwarten war. Ihr lag ein ureigener Sondermoral- bzw. Sonderehrenkodex zugrunde, deren Maßgabe nicht der hergebrachte Menschen- bzw. Menschlichkeitsbegriff war, sondern die allzu konkreten Begriffe 'deutsches Volkstum' und 'nordische Rasse', weshalb zutiefst unmenschlich und menschenfeindlich. Die SS-Moral war eine ANTIMORAL, was auch auf deren Ehrenkodex gilt. 

        Wegner spricht das nationalsozialistische System als "von situationsbedingten Willkürentscheidungen geprägt" an, in dem die SS-eigene Gerichtsbarkeit dem SS- und Polizeiangehörigen auch ein Minimum an Rechtssicherheit garantiert haben soll (S. 324). Doch über "Willkürentscheidungen" im Rahmen der SS, auch der Waffen-SS, schweigt sich Wegner aus. Er vergißt, daß eine Rechtssprechung nicht nur durch Willkürlichkeit als willkürlich zu gelten hat, sondern, und insbesonders durch willkürlich nichtgesprochenes, also vereiteltes Recht. Und die SS-Gerichtsbarkeit war in der Hauptsache auf das letztere eingerichtet. Wie wurde diese Vereitelung gehandhabt? Die SS-Gerichtsbarkeit war prinzipiell darauf angelegt, Vergehen, die das auf Menschlichkeit beruhende Rechtsempfinden zur Verhandlung und Aburteilung gebracht hätte, entweder ganz zu übersehen oder systematisch zu bagatellisieren, indem solche Vergehen einfach als Disziplinarverstöße ausgelegt wurden. Die Freiheit der Kommnadeure, über die Schuldhaftigkeit ihrer Untergeordneten zu entscheiden, lieferte eine weitere Handhabe, Straftaten erst nicht einmal zum Hauptamt SS-Gericht gelangen zu lassen. Man bedenke, daß kein Kommandeur schlecht abschneiden wollte, indem er durch die häufige Ahndung von Disziplinarvergehen und anderen Straftaten aufgefallen wäre. Damit waren VERTUSCHUNG und BAGATELLISIERUNG ein Hauptgegenstand der sogenannten SS-Sondergerichtsbarkeit.
 


Datei: SS.htm                Angelegt: 05.02.1999           Verändert: 21.03.1999
 Autor: Klaus Popa
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