Camillo

Adieu, Herr Lehrer

Alle Kinder stell'n sich auf zum Chor
Die Klasse ist ein Blumenmeer
Der alte Lehrer steht gerührt davor
Man weiß, auch ihm fällt dieser Abschied schwer.

(Kehrreim:)
Adieu, Herr Lehrer, sagen wir
Adieu, und vielen, vielen Dank
Was Sie uns lehrten tragen wir 
mit uns ein ganzes Leben lang
Ihr Name wird uns sicherlich
für immer unvergessen sein*
Mit weißer Kreide schrieb er sich 
in uns're kleinen Herzen ein.

Alle Kinder hatten ihn so gern
Er bleibt vor jedem lange steh'n
Wer in die Augen sieht dem alten Herrn
kann eine kleine Träne glitzern seh'n.

Kehrreim

Mancher Streich tut ihnen heut' schon leid
Und bald wird mancher auch versteh'n:
Es ging ein Stück von seiner Jugendzeit
mit ihm dahin auf Nimmerwiederseh'n.

Kehrreim (bis)


*Ein Lied wie aus einer anderen Welt - einer Scheinwelt, denn wie ich ja schon auf der Hauptseite schrieb, war sie das genaue Gegenteil dessen, was der Verfasser des Originals, Hugues Aufray, im wahren Leben erfuhr. Das beruhigt mich etwas - beim ersten Hören dachte ich schon, in Frankreich wäre Alles im Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern besser gewesen als in Deutschland, oder allgemein in einer früheren Zeit. Aber soviel früher ist der ja garnicht zur Schule gegangen als ich selber; und wenn ich mal so zurückdenke, dann sind die Namen meiner Lehrer[innen] so ziemlich das Einzige, was mir in Erinnerung geblieben ist - den Rest habe ich vergessen oder erfolgreich verdrängt. [Als er das schrieb, war er ja auch gerade erst 20 Jahre aus der Schule; bei mir ist es dagegen fast 50 Jahre her; und im Alter schwindet das Gedächtnis.] Daß ich die Namen behalten habe, ist kein Kunststück: Meine erste Lehrerin hieß Frl. Sommer. Von ihr weiß ich nur noch, daß meine Mutter sie für eine schlechte Lehrerin hielt und öfters in die Schule kam, um ihr Vorhaltungen zu machen. Sie meldete mich so oft wie möglich krank, denn sie fühlte sich als Hausfrau, Mutter und gelernte Stenotypistin sowohl fachlich als auch pädagogisch weitaus besser befähigt, ihre Kinder in Deutsch, Rechnen u.a. Fächern zu unterrichten als "so eine kinderlose alte Jungfer, die schon unter Kaiser Wilhelm Lehrerin war." Das war kein Vorwurf - nach dem 1. Weltkrieg waren die heiratsfähigen Männer halt knapp -, sondern eine Feststellung, und sie war richtig - aber sie ließ sich nicht verallgemeinern. Meine Mutter nahm ihren Beruf sehr ernst; sie hatte den Ehrgeiz, ihre Kinder dereinst auf die höhere Schule zu schicken, also überwachte sie die Hausaufgaben und kontrollierte sie streng auf Fehler, und zwar so gründlich, wie es eine Lehrerin mit 40 Kindern in der Klasse beim besten Willen nicht kann. Aber was war mit anderen Schülern, die entweder Kriegswaisen oder Halbwaisen waren, deren Mütter berufstätig und/oder selber nicht so firm in Sachen Rechtschreibung und Rechnen waren? Hamburg-Altona war nicht gerade eine Bildungshochburg, da lebten Seeleute, Hafenarbeiter und Zöllner der niedrigen und mittleren Besoldungsklassen, wie mein Vater. [Nur das benachbarte St. Pauli galt als noch bildungsfeindlicher.] Nach zwei Jahren ging Frl. Sommer in Pension.**
Unsere neue Lehrerin hieß Frl. Herbst. Sie war nur etwa halb so alt wie ihre Vorgängerin, aber auch sie hatte keinen Mann abbekommen - diesmal infolge des 2. Weltkriegs. Meine Eltern hielten sie für eine gute Lehrerin und schrieben mich bei ihr nur krank, wenn ich es wirklich war. [Was auch nicht gerade selten war; ich war als Kind ein kränkliches Kerlchen; ich hätte die Pockenschutzimpfung fast nicht überlebt, und bei Scharlach war es auch verdammt knapp.] À propos: Wenn ich oben geschrieben habe "so oft wie möglich", dann ist das wörtlich zu nehmen: Wer mehr als eine bestimmte Anzahl von Unterrichtstagen im Schuljahr versäumte - egal ob entschuldigt oder unentschuldigt -, mußte die Klasse wiederholen, und das war tödlich: "Sitzenbleiber" bekamen grundsätzlich keine "Empfehlung" für die höhere Schule, und damals konnte man sein Kind noch nicht so einfach für diesen oder jenen Schultyp anmelden wie heute; vielmehr entschied die "Empfehlung" in der Regel darüber, ob man an die Ober- oder Mittelschule kam oder weiter Volksschüler blieb. [Ausnahmen gab es wohl für Leute mit Beziehungen; aber die hatten meine Eltern nicht; ich war also auf die "Empfehlung" angewiesen.]
Gegen Ende des 4. Schuljahrs - die "Empfehlungen" lagen bereits schwarz auf weiß vor*** - bekamen wir 2 Wochen Landschulheim spendiert. [Nein, nicht ganz; aber es war spottbillig; ich glaube nicht, daß es Eltern gab, die sich das nicht leisten konnten; zuhause mußten die Kinder ja auch verköstigt werden, und damals gab Otto Normalverdiener noch ca. 50% seines Einkommens für Lebensmittel aus; wenn die hungrigen Mäuler mal 14 Tage im LSH gestopft wurden, entlastete das also die Haushaltskasse.] Da man ein unverheiratetes Fräulein nicht alleine mit einer Klasse 9-11-jähriger Jungen verreisen lassen konnte, bekamen wir außerdem Herrn Winter mit, der die Klasse auch für den Rest des laufenden und ab dem nächsten Schuljahr ganz übernehmen sollte. Ungelogen, so hießen die drei - aber Herrn Winter nannten wir immer nur "Herr Buddel", nicht weil er etwa an der Flasche hing, sondern weil er ein Buddelschipp**** bauen konnte, was uns mächtig imponierte, denn das war eine knifflige Sache, die viel Geschicklichkeit erforderte. ["PHS" im Baukasten gab's noch nicht. Seit dessen Erfindung kann jeder Idiot ein Buddelschipp bauen; infolgedessen hat es seinen Reiz verloren, und kaum noch jemand tut es - soviel zum technischen Fortschritt und zur "Perfektion"!] Er zeigte uns auch - bei einer Schnitzeljagd - wie man eine Landkarte zeichnet, brachte uns bei, Sütterlinschrift zu schreiben - für Briefe an die Großeltern - und Frakturschrift - in der ja noch viele alte Bücher gedruckt waren - zu lesen, erklärte uns die genauen Regeln des Fußballspiels - deren Kenntnis damals noch nicht zur Allgemeinbildung eines jeden ABC-Schützen gehörte, die aber schon damals kompliziert genug waren -, und vor allem sang er mit uns die Fahrtenlieder aus der alten Mundorgel. [Ich schreibe bewußt "alte M.", denn der Schrott, der in der heutigen steht, hat mit ihnen gleich garnichts mehr zu tun - ein Originaltext nach dem anderen fiel der Zensur der politisch-korrekten Gutmenschen zum Opfer.] Doch als wir nach zwei Wochen wieder regulären Unterricht hatten, zeigte sich der Winter plötzlich recht frostig, jedenfalls einem Teil von uns gegenüber, wenn wir uns meldeten: "Nein, Du nicht, und Du auch nicht! Ihr habt auf der Realschule und dem Gymnasium nachher noch genug Zeit zum Lernen; ich muß mich jetzt verstärkt um diejenigen Eurer Mitschüler kümmern, die hier auf der Volksschule bleiben." Im Rückblick finde ich diesen Standpunkt durchaus vertretbar; aber meine Mutter sah das natürlich ganz anders, als ich ihr das erzählte. Nein, sie ging nicht etwa zur Schule, um sich zu beschweren, sondern meldete mich einfach für den Rest des Schuljahrs krank - "Gut, daß wir dieses Jahr noch so viele Tage in Reserve haben!" - und unterrichtete mich zuhause weiter.
Tja, und wie war das nun mit den Zeilen 7-8? Nein, ich habe auf der Volksschule nichts gelernt, was ich später irgendwann noch einmal gebraucht hätte - schon garnicht "ein ganzes Leben lang" -, nichtmal im Landschulheim: Ich habe nie ein Buddelschipp gebaut, nie wieder eine Landkarte gezeichnet, nie wieder Sütterlin geschrieben oder gelesen; die Fußballregeln haben sich zu fast 100% geändert;***** und die Fahrtenlieder hätte ich später auch durch Heino kennengelernt. Lesen - incl. Notenlesen, Baß- & Violinschlüssel -, Schreiben - incl. Steno & Schreibmaschine - und Rechnen haben mir meine Eltern beigebracht; und alles Andere habe ich eh wieder vergessen.


**Wer früher abging - etwa um zu heiraten - konnte sich seine Pensionsansprüche auszahlen lassen. Und wer heiratete, mußte abgehen - was wohlgemerkt nur für Frauen galt. Das klingt heute merkwürdig und "ungerecht"; aber ich kenne keine gesetzliche "Ungleichbehandlung", die auf einen derart hohen gesellschaftlichen Konsens stieß wie diese. Früher war keine Frau so dumm, dauerhaft einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, wenn sie statt dessen einen Mann heiraten konnte, der das für sie tat. Sie kümmerte sich dann um ihren Haushalt und ihre Kinder - wenn sie diese Aufgabe ernst nahm, hatte sie genug zu tun; und intakte Ehen und Familien waren damals, anders als heute, politisch erwünscht. Wenn eine Frau das also schaffte, war es selbstverständlich, daß sie ihren Arbeitsplatz räumte für Frauen - pardon, Fräuleins -, die wegen der kriegsbedingten Männerknappheit ungewollt "alte Jungfern" bleiben mußten. (Das war immer ungewollt, denn die wurden gesellschaftlich beinahe geächtet, fast so sehr wie Geschiedene, die an ihrer Lebensberufung gescheitert waren!) Es war so etwas wie eine soziale Maßnahme, denn viel höher als der Lohn einer Arbeiterin war das Gehalt einer Volksschullehrerin damals nicht. (Dazu gleich mehr.) Aber es gab ja nicht nur die Ungleichbehandlung gegenüber männlichen Volksschullehrern, sondern auch die gegenüber weiblichen Oberschullehrerinnen - die mußten nämlich nicht den Dienst quittieren, wenn sie heirateten. (Obwohl starker Druck von den Kollegen - und noch mehr von den unverheirateten Kolleginnen - auf sie ausgeübt wurde, das "freiwillig" zu tun.) Warum? Ich weiß nicht, was sich die Gesetzgeber dabei gedacht haben; aber ich will mal den Advocatus Diaboli spielen und ein Argument für diese Regelung vortragen. Dazu muß ich ausnahmsweise auf meine Oberschulzeit vorgreifen, über die ich hier ja eigentlich nichts schreiben wollte. (Das tue ich in der Datei zum Original.) I-Dötzchen Lesen, Schreiben und Rechnen beibringen war kein Kunststück, denn die waren ja brav. (Damals jedenfalls noch - heute ist das kein Argument mehr; aber heute gibt es diese Ungleichbehandlung ja auch nicht mehr; mit Recht, denn an die heutigen Grund- und Hauptschullehrer/Innen werden pädagogisch viel höhere Anforderungen gestellt als an Oberschullehrer/Innen, freilich aus anderen Gründen, die hier nichts zur Sache tun.) Halbstarke junge Männer an der Oberstufe eines Gymnasium zu unterrichten war dagegen eine ganz andere Sache. Nein, es hatte nichts mit der besseren pädagogischen Ausbildung an der Universität zu tun - wenn die etwas getaugt hätte, wären ja alle Lehrkräfte gute Pädagogen gewesen, aber das waren sie nicht! Wir hatten am Gymnasium einen grottenschlechten Englisch-Unterricht. Wir bekamen buchstäblich jedes Jahr einen neuen Lehrer - die Referendare zwischendurch nicht mitgerechnet -, und einer nach dem anderen verzweifelte an uns. So etwas schaukelt sich hoch: Ein schlechter Lehrer macht schlechten Unterricht; schlechter Unterricht führt dazu, daß die Schüler sich keine Mühe geben und nichts lernen; schlechte Schüler führen dazu, daß auch der nächste Lehrer - der vielleicht garnicht so schlecht ist - sich keine Mühe gibt, sondern auch schlechten Unterricht macht usw. Am Ende der Unterprima war unser Englisch-Niveau nur knapp über "equal goes it lose". (Das Meiste von dem Wenigen, das wir sonst noch kannten, hatten wir aus irgendwelchen Songs der Beatles aufgeschnappt, die gerade "in" waren - aber deren Vokabular war ja auch nicht gerade the yellow from the egg das Gelbe vom Unterseeboot Ei.)
In Oberprima bekamen wir wieder eine neue Lehrerin. Fachlich war sie vielleicht noch schwächer als ihre männlichen Vorgänger - aber die Schulleitung meinte wohl, daß für unseren Sauhaufen die schlechteste Fachkraft gerade gut genug war. Ich schreibe bewußt nicht "schlechteste Lehrkraft" - denn das ist nicht notwendigerweise deckungsgleich. Sie wußte um ihre fachlichen Defizite, aber das machte ihr überhaupt nichts aus, dazu stand sie. Ihre Muttersprache war Deutsch, und ihr erstes Fach war Französich, das auch bei ihr zuhause gesprochen wurde, denn sie hatte einen Franzosen geheiratet, und damals bestimmte in solchen Dingen noch der Mann, wo's langging. (Und das war gut so - wenn sie das nicht gewollt hätte, hätte sie ja einen Deutschen oder einen Engländer heiraten können ;-) Englisch zwar nur ihr Zweitfach, und es galt noch als unwichtiger denn z.B. Lateinisch, Griechisch oder Französisch. (Dazu schreibe ich vielleicht später mal eine Fußnote, erstmal tut es nichts zur Sache, auf die ich hinaus will.) Zum Unterricht erschien sie stets mit einer dicken Grammatik und einem noch dickeren Wörterbuch; und wenn sie nicht weiterwußte - was öfters vorkam -, sagte sie: "Dann wollen wir mal ins Buch der Bücher schauen." Was sie auch seelenruhig tat; dann las sie uns laut vor, was dort geschrieben stand, basta. Jede andere Lehrkraft hätten wir dafür in der Luft zerrissen; aber bei ihr hätte sich niemand von uns eine Undiszipliniertheit herausgenommen. Sie hatte nämlich etwas, was andere Lehrerinnen an unserer Schule nicht hatten - und unverheiratete Volksschullehrerinnen schon garnicht: Söhne in unserem Alter; sie wußte also, wie sie uns anzupacken hatte. Nicht wie ihre Kolleginnen mit pseudo-maskuliner Strenge oder falschem weiblichem Charme - damit war bei uns noch keine Lehrerin weitergekommen -, sondern... wie soll ich das nennen? "Mit spöttischer Herablassung" wirkt so negativ; "mit humorvoller Nachsicht" klingt besser. Sie behandelte uns wie große Kinder - was wir ja auch waren -, redete uns mit "meine lieben Jungen" bzw. "mein lieber + Vorname" an. [Sie dachte nicht im Traum daran, den Unterricht auf Englisch abzuhalten, wie es heute üblich ist; das war für sie "neumodischer Unfug". Das sah und sehe ich übrigens genauso: Lehrer, die eine Fremdsprache selber nicht perfekt beherrschen, sollten die Finger Zungen davon lassen, sonst schleifen sich bei den Schülern nur dauerhaft irgendwelche Germanismen u.a. Fehler ein!] Aber wer ein Gehör für Zwischentöne hatte, wußte, daß sie eigentlich "meine dummen Jungen" meinte - und auch das waren wir ja, wenngleich wir es nicht wahrhaben wollten. (Sie redete auch ihre Kolleg/Innen mit "mein lieber Kollege" bzw. "meine liebe Kollegin" an.) Sie selber ließ sich mit "Madame" anreden, und zwar nicht französisch - "Madamm" -, auch nicht englisch - "Mäddäm" -, sondern "Mädämm". (Wir hielten das für persönliche Marotten von ihr und dachten uns nichts weiter dabei; erst später habe ich gelernt, daß Ersteres ein simpler Französismus war - in Frankreich reden sich Fachkollegen mit "mon cher confrère" an; selbst beim Militär sagt man nicht "Monsieur le général", sondern "mon général" - und Letzeres die alte Anrede für Frauen des englischen Hochadels; sie legte also durchaus Wert auf ihren höheren Status ;-) Sie ermunterte uns, ebenfalls Wörterbucher mitzubringen und erlaubte diese auch bei Klassenarbeiten (und später bei der Reifeprüfung). Von ihrem Fachleiter darauf angesprochen, sagte sie: "Mein lieber Kollege, der richtige Gebrauch eines Wörterbuchs gehört bei mir zum Lehrstoff; und da Sie und meine anderen Vorgänger den Jungen weder das noch sonst etwas Brauchbares beigebracht haben, muß ich das wohl oder übel noch in Oberprima nachholen, damit die beim Abitur überhaupt etwas halbwegs Englisches zu Papier bringen können." [Das hat mir nicht sie, sondern der Fachleiter später mal erzählt, mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Sie habe das damit begründet, daß es weltfremd sei, jemandem den Gebrauch eines Wörterbuchs zu verbieten, statt ihm beizubringen, es richtig zu nutzen - später im Berufsleben brauche man es ja auch. Mit demselben Argument erlaubt man neuerdings in Frankreich, beim Mathe-Abitur Taschencomputer zu benutzen - Ingenieure, Architekten u.a. würden später ihre Berechnungen ja auch nicht mehr per Hand anstellen, sondern müßten lernen, das am Computer zu tun. Auch das sehe ich übrigens genauso.] Einmal wagte ich, aufzumucken: "Mädäm, in meinem Wörterbuch steht das aber anders! Was ist denn nun richtig?" - "Mein lieber Hansi, was in meinem Wörterbuch steht, ist im Zweifel immer richtig. Was benutzen Sie denn für eines? Lassen Sie doch mal sehen!" Ich zeigte es ihr. "Ach du liebes Bißchen, was ist denn das? Schaffen Sie sich gefälligst ein ordentliches Wörterbuch an, z.B. [... - ich will hier keine Schleichwerbung machen, zumal die Neuauflagen leider unter aller Kritik sind]!" - "Meine Mutter wird mir was husten; die findet schon die regulären Schulbücher viel zu teuer; und so eine zusätzliche Anschaffung außer der Reihe..." [Die Lehrmittelfreiheit war noch nicht erfunden; und auch als es sie später gab: Wörterbucher galten nicht als "Schulbücher", wurden also nicht von ihr erfaßt. Die zusätzlichen Anschaffungen waren ein ständiges Ärgernis, denn manche Lehrer benutzten einige der Bücher, die eigentlich auf dem Lehrplan standen und zu Beginn des Schuljahres für teures Geld angeschafft worden waren, einfach nicht, sondern bestanden auf andere, die sie für besser hielten - ob zurecht oder nicht, sei mal dahingestellt -; das galt vor allem für "Lektüre" in Deutsch und Fremdsprachen.] - "Dann lassen Sie es sich zum Geburtstag oder zu Weihnachten schenken statt irgendwelchen Schnickschnacks." - "So teure Geschenke bekomme ich nicht." - "Schönen Gruß an Ihre Frau Mutter; sie möge mich mal in der nächsten Elternsprechstunde aufsuchen. Ein gutes Englisch-Wörterbuch ist eine Anschaffung für's Leben, da soll man nicht am falschen Ende sparen!" Ich bekam das Wörterbuch, und meine Englisch-Leistungen besserten sich [nach]schlagartig - sehr zur Freude meiner Mutter, die nun auch den Sinn dieser "Investition" einsah. Das Wörterbuch besitze ich heute noch, obwohl ich es längst nicht mehr benutze, denn im Laufe meines Lebens habe ich noch viele andere - speziellere - Englisch-Wörterbücher gekauft. Es war also nicht unbedingt eine Anschaffung "für's Leben"; dennoch habe ich von "Mädäm" etwas "für's Leben" gelernt, nämlich den richtigen Gebrauch eines Wörterbuchs, mit Probe und Gegenprobe; und das würde ich auch schreiben, wenn ich nicht zufällig Dolmetscher und Übersetzer geworden wäre.
Kleiner Exkurs: Ihr glaubt, liebe Musikfreunde, ein Wörterbuch benutzen, das könne doch Jeder, ohne es erst groß lernen zu müssen? Da irrt Ihr aber gewaltig. Und ich meine nichtmal solche mit nicht-lateinischen Schriftsystemen, wie Arabisch, Chinesisch, Dewnagrī, Griechisch, Hebräisch, Japanisch, Koreanisch, Kyrillisch o.ä., auch nicht solche, die anders als nach den Anfangsbuchstaben der Wörter sortiert sind, wie Bahasa (darüber schreibe ich hier etwas), sondern "ganz normale" Wörterbucher, z.B. deutsch-englische. Wie stellt Ihr z.B. fest, daß "gleich" in der o.g. Redewendung nicht "equal" lauten kann? Und woran erkennt Ihr, wenn es sich nicht aus dem Zusammenhang ergibt, ob mit "seal" ein Seehund oder ein Siegel gemeint ist? [Oder beides? Ältere Semester kennen vielleicht noch das englische Kriegslied "We'll hang up our washing on the Siegfried line!" Es spielt mit der Doppelbedeutung von "line" - "[Verteidigungs-]Linie" und "[Wäsche-]Leine". Übrigens stammt es nicht aus dem 1., sondern aus dem 2. Weltkrieg und meinte nicht die "Siegfriedstellung" von 1917 - die nannten die Engländer vielmehr "Hindenburg line" -, sondern Hitlers "Westwall", von dem sie nur zu gut wußten, daß er - ähnlich wie die französische "Maginot-Linie" - größtenteils nur auf dem Papier des Propagandaministeriums stand. À propos "Siegel": Das heißt auf Niederländisch "zegel"; "Segel" heißt auf Niederländisch "zeil"; "Seil" heißt auf Niederländisch "touw"; und der Lübke-englische Satz, den ich oben zitiert habe - ich wiederhole ihn nicht, damit er sich nicht "einschleift" - lautet auf Plattdeutsch: "Denn man tau", wobei sich "tau" ausspricht wie das niederländische "touw". Vor faux amis wird gewarnt!] Und das Problem stellt sich ja nicht nur im Englischen, sondern z.B. auch im Lateinischen. Ich will garnicht mit früher vielzitierten Falschübersetzungen wie "classis romana" als "die flotte Römerin" oder "Caesar equus consilium" als "Caesar fährt Rad" kommen, denn die sind völlig weltfremd, d.h. in der Praxis würde das selbst der dümmste Schüler - ja selbst der dümmste Lehrer - nicht so falsch übersetzen. Aber Ihr kennt doch vielleicht den Satz: "Non scholae sed vitae discimus!" Kennt Ihr ihn wirklich? Und wißt Ihr auch, was er bedeutet? Zumindest letzteres halte ich für ausgeschlossen, denn ich habe noch nirgends eine richtige Übersetzung gehört oder gelesen. Zunächst einmal lautete der Satz garnicht so, sondern genau umgekehrt: "Non vitae sed scholae discimus!" Aber inzwischen hat sich selbst bis zu Wikiblödia herumgesprochen, daß Seneca diesen Satz am Ende eines Briefes nicht wörtlich meinte, sondern - wie sich aus dem Zusammenhang eindeutig ergibt - als bitterbösen Sarkasmus, mit dem er das gängige Bildungs[un]wesen anprangerte. Es machte also durchaus Sinn, wenn die "Humanisten", die jenen Brief im 16. Jahrhundert wiederausgruben, ihn umkehrten. Allerdings übersetzten sie ihn von Anfang an falsch, denn das waren durchweg dumme, ungebildete Leute, die heute maßlos überschätzt werden. [Darüber, daß sie durch ihr Küchengriechisch vielen Generationen von Schülern ein völlig falsches Griechisch beibrachten und der deutschen Sprache unzählige falsche griechische Lehn- und Fremdwörter bescherten - aber kein einziges richtiges, schreibe ich ein andermal.] Von ihnen stammten auch die ersten lateinisch-deutschen Wörterbücher (hervorgegangen aus sogenannten "Glossaren"), und in denen übersetzten sie "schola" mit "Schule" - denn so hatten die mittelalterlichen Karolinger jene Bildungsanstalten auf Küchenlateinisch genannt. Aber zu Senecas Zeiten gab es noch garkeine öffentlichen Schulen! (Man nahm Privatunterricht, vorzugsweise bei griechischen "Sklaven" - auch das eine Falschübersetzung; aber auch darüber schreibe ich ein andermal.) Im klassischen Latein bedeutete "schola" vielmehr "Wissenschaft", wohlgemerkt nicht im wörtlichen Sinne von etwas, das Wissen schafft - denn das wäre ja etwas Gutes; wer wollte das kritisieren?! -, sondern im "modernen" Sinne von versponnenem, theoretischem Zeug, das nur für den sprichwörtlichen Elfenbeinturm gut ist, also Wissenschaft um ihrer selbst willen, l'art pour l'art, wie die Franzosen sagen. Seneca wollte also kritisieren, daß die Leute "Bildung" nur erwarben, um sich mit einer Pseudo-Gelehrsamkeit zu brüsten, die keinerlei praktischen Wert für's Leben hat. Ende des Exkurses.
(...)
***Nicht etwa direkt, sondern vielmehr indirekt. Eines Tages trudelte nämlich ein Schreiben ein: "[...] wird Ihr Sohn Hans-Joseph aufgrund der Empfehlung der Volksschule [...] zum Schuljahr 1960/61 in unsere Anstalt aufgenommen. [...]" Das erforderte einen gewissen bürokratischen Vorlauf, deshalb gingen die "Empfehlungen" relativ früh 'raus. Für uns war das besonders wichtig, denn mein Vater hatte sich 1959 ins Rheinland versetzen lassen, wollte die Familie aber erst nachholen, nachdem ich die 4. Klasse der Volksschule abgeschlossen hatte, sonst wären Probleme vorprogrammmiert gewesen, schon wegen der Sprache - an den Volksschulen sowohl Hamburgs als auch des Rheinlands wurde damals noch stark Dialekt gesprochen, und um Kölsch zu lernen, braucht ein Norddeutscher einige Zeit. [Am Gymnasium wurde dagegen nur Hochdeutsch gesprochen.] Meine jüngere Schwester wurde halt ein Jahr später eingeschult, hatte dadurch aber keinen Zeitverlust, denn sie konnte - da sie, wenn meine Mutter mit mir Hausaufgaben machte, immer dabei war - eine Klasse überspringen. Sie hätte wohl auch zwei Klassen überspringen können, aber das ließ die Schule nicht zu, weil es in den Bestimmungen nicht vorgesehen war. Es wäre auch schade gewesen, denn sie war in einer Klasse mit besonders netten Mitschülerinnen; einige der damals geknüpften Freundschaften haben ein Leben lang gehalten - selbst nach ihrer Emigration aus dem zunehmend ungemütlicher werdenden BRDigen. (Sie kommt ja manchmal noch auf "Heimaturlaub" ;-) Und das ist, langfristig gerechnet, vielleicht mehr wert als ein "eingespartes" Schuljahr - denkt mal drüber nach!
****Sagt doch bitte nicht "Buddelschiff", das ist eine unzulässige Kontamination von Hoch- und Plattdeutsch: Entweder "Flaschenschiff" oder "Buddelschipp" - und in Hamburg sagte man halt letzteres.

[ein Buddelschipp]

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