Beim nächsten Schrank wird alles besser!
Von Imbusschlüsseln und Bleistiften,
Kollektiven und Individualisten
oder: von Berlin nach Moskau

Michael Chauvistré: S IKEA w Moskwú
(deutsch: "Mit IKEA nach Moskau")

(AUS: "AVEZ-VOUS BOURBON?"
Reisefilme des 20. Jahrhunderts
)

Warum rahmt Dikigoros diese "Reise durch die Vergangenheit" mit zwei so schlechten Filmen ein? Sowohl "Der verrückte Trip nach Bali" als auch "Mit IKEA nach Moskau" sind grottenschlecht gemacht, das muß auch ihr größter Fan (beide waren in den Kinos Kassenhits!) einräumen. Aber sie sind sooo schlecht, daß - wie der Kolumnist einer bekannten Programmzeitschrift zu schreiben pflegt - es sich schon wieder lohnt sie deshalb anzuschauen und darüber zu lachen. Ja, "S IKEA w Moskwú" (der Vorspann nennt den russischen Titel zuerst) - ein Streifen, der nicht als Komödie, ja nicht einmal als Kinofilm gedacht war, sondern als Reportage zu Werbezwecken für die Firma IKEA - ist schlicht lächerlich. Aber man kann einiges aus ihm lernen: über Ossis und Wessis, Schweden und Russen, über Holz- und Beziehungskisten - wobei wir einmal die erfreuliche Tatsache festhalten wollen, daß hier keine "Love Story" konstruiert wird, sondern gewissermaßen nebenbei eine ganz profane Alltagsbeziehung abgedreht wird, und zwar eine der seltenen Art, wie sie sich kein Drehbuchautor besser ausdenken könnte: Der Wessi Ulf, braver Angestellter bei IKEA, verläßt seine Wessi-Frau; seine Kollegin, die Ossinesin Manuela - die wohl die einzige ist, die die ganze Geschichte "witzig" findet, und zwar erklärtermaßen, weil sie es geschafft hat, einer Wessi-Frau den Mann auszuspannen, sogar ohne mit ihm gepennt zu haben - verläßt ihren Ossi-Mann, und beide gehen zusammen nach Moskau, um dort privat und geschäftlich etwas Neues aufzubauen. Das ist einer der ganz seltenen Fällen (vielleicht der einzige :-) in denen diese Kombination nicht nur funktioniert, sondern geradezu notwendige Voraussetzung für den Erfolg ist, denn: "Ulf is Wessi," berlinert Manuela, "dat heeßt, wenn er wat anfängt, dann zieht er det durch. Und ik bin jetzt auch so, in meinem zweeten Leben." (Und ihr glaubt man das sogar - nicht nur weil sie kein Sächsisch spricht :-) "Ohne Manuela," sagt Ulf (der - jedenfalls mit Wessi-Augen gesehen - längst nicht so brillant und unternehmerisch-forsch wirkt, wie seine Partnerin ihn darstellt, eher etwas trübtassig), "hätte ich mich gar nicht erst nach Rußland getraut, und wenn, dann hätte ich wohl nach kurzer Zeit wieder aufgegeben und wäre zurück nach Deutschland gegangen, so ganz ohne Sprachkenntnisse, und die Menschen sind so unfreundlich..." - "Ach," sagt Manuela mit ihrem echt Berliner Galgenhumor, "mir war klar, daß das so ähnlich sein würde wie früher in der DDR." Nur früher...???

[Die DDR lebt weiter] [IKEA]

Aber greifen wir nicht vor, sondern beginnen brav von vorne, in Berlin-Spandau im Jahre 10 nach der "Wieder"-Vereinigung von BRD und DDR, die Deutschland nicht nur wirtschaftlich völlig ruiniert hat. Und nicht nur Deutschland: Die schwedische Möbelfirma IKEA pflegte bis zum Mauerfall ausgezeichnete Geschäfte zu machen, indem sie skandinavisches Holz (seit den 70er Jahren auch billigeres russisches - aber von diesem Treppenwitz erfahren wir im Film nichts) in der DDR billig zu Möbelteilen verarbeiten ließ und sie dann in Westdeutschland (und anderswo im Westen) verkaufte. Zusammen schrauben mußten die Kunden das Zeug selber, denn dafür waren die Ossis zu blöde. (Habt Ihr mal eine prä-"wieder"-vereinigte ossinesische Wohnungseinrichtung gesehen, liebe Leser? Grauenhaft - schlimmer als in vielen Teilen der "Dritten Welt"!) Bei der Wiedervereinigung ließ sich eine unfähige BRD-Regierung zum einen von der Lobby der westdeutschen Wirtschaftsbosse, denen nichts an einer mitteldeutschen Billig-Konkurrenz gelegen war, zum anderen von den Wählermassen der nach Konsum ohne eigene Gegenleistung gierenden Ossis (Wie sang Gitte: "Ich will alles, und noch viel mehr, ich will alles, und das sofort...") dazu bestimmen, die Währungsunion 1:1 durchzuführen, d.h. den ossinesischen Alu-Chip, der auf dem Schwarzmarkt zuletzt zwischen 1:10 und 1:20 geschwankt, objektiv aber wohl einen "Wert" von 1:4 und 1:5 hatte, mit der Westmark gleich zu setzen. Was zu erwarten war, trat ein: Praktisch alle DDR-Unternehmen, die ihren Mitarbeitern nun plötzlich den 4-5-fachen Lohn zahlen sollten, aber für ihre Produkte - die ja nun auch 4-5-mal so teuer waren - keine Abnehmer mehr fanden (schon gar nicht im Ostblock, wohin sie bis dato bevorzugt geliefert hatten) gingen ein oder wurde vermeintlich "billig" aufgekauft von Wessi-Unternehmen (die das meist bitter bereuen sollten; 99% machten Verluste mit ihren Ossi-Tochterfirmen, die viele an den Rand des eigenen Konkurses brachten); die Ossi-Arbeitnehmer wurden auf die Straße gesetzt und fielen fortan der Allgemeinheit zur Last; die BRD verfrühstückte binnen eines Jahrzehnts allen Wohlstand, den zwei Generationen nach dem Zweiten Weltkrieg erarbeitet hatten, und wurde vom reichsten Land der Europäischen Union (und einem der reichsten der Welt) zum ärmsten. (Die Verantwortlichen wurden bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen, weder zivil- noch strafrechtlich, aber das ist eine andere Geschichte.) 13 Jahre nach der "Wieder"-Vereinigung wurde der nun nicht mehr finanzierbare Sozialstaat ganz offiziell zu Grabe getragen.

Auch Ikea erlitt durch die "Wieder"-Vereinigung schwere Verluste: Die ossinesischen Mitarbeiter konnten nun nicht mehr für ein Viertel bis ein Fünftel der Weltmarktlöhne beschäftigt werden, die Preise stiegen, und die Qualität sank, die West-Kunden "dankten" das IKEA, indem sie scharenweise zur Konkurrenz abwanderten. Da half nur eines: neue Märkte erschließen, und zwar gerade dort, wo sie den alten DDR-Unternehmen weg gebrochen waren, im Osten. Und wenn schon, denn schon: dann mußte man den Stier gleich bei den Hörnern packen und nach Moskau gehen, der einzigen Stadt der einstigen Sowjet-Union, in der genügend Kaufkraft vorhanden war, um sich IKEA-Möbel zu leisten. Warum nicht? Auch McDonalds hatte seine Hamburger-Buden dort aufgemacht, mit gutem Erfolg trotz bescheidener Qualität (die freilich für russische Verhältnisse immer noch gut war - die Rinder wurden bald nicht mehr importiert, sondern direkt auf einer Kuhweide im Süden Moskaus gezüchtet) und verhältnismäßig sehr hohen Preisen. Also auf nach Moskau. Entgegen dem Filmplakat, das den Satz "Happiness is being on the way [Glück ist, unterwegs zu sein]" zitiert, erfahren wir über die Reise dorthin gar nichts - und das ist auch gut so für einen Reklamefilm, denn wer einmal eine Reise mit Gütern in die Länder der ehemaligen Sowjet-Union gemacht hat, zumal eine Überlandreise, wird diesen Satz schnell aus seinem Wortschatz streichen. Als Einstimmung wird nur eine S-Bahn-Fahrt von Moskau - wo unsere Helden wohnen - zum IKEA-Gelände gezeigt (das praktischerweise in Chimki liegt, in der Nähe des Flughafens, wenn mal schnell Personal oder Material eingeflogen werden muß - aber davon sehen wir im Film nichts.) Seid Ihr schon mal in und um Moskau herum S-Bahn gefahren, liebe Leser? Wahrscheinlich nicht, höchstens mal zwei, drei Stationen Metro in der Innenstadt, um die berühmten Skulpturen aus der Stalinzeit anzuschauen, im Rahmen eines Dolmetscher-begleiteten und hoffentlich auch sonst wohl behüteten Besichtigungs-Programms für Touristen, nicht wahr? Sonst seid Ihr vermutlich im eigens für Euch gecharterten Bus des Reiseveranstalters von Euren Hotels zu den übrigens Sehenswürdigkeiten kutschiert worden - oder gar im Taxi. Dikigoros geht das immer zu langsam bei dem in Moskau üblichen Straßenverkehr; er bevorzugt die öffentlichen Verkehrsmittel, und er findet, daß die im Film noch sehr zivil dargestellt werden.

[Manuela] [Ulf]

Als der Film richtig einsetzt, sind alle Beteiligten schon vor Ort und bereiten die große Eröffnung der Möbelfiliale vor, indem sie gemeinsam die alberne IKEA-Hymne ("We are I-KE-A") einstudieren, mit stümperhafter Gitarren-Begleitung, und sich tief schürfende Gedanken über die psychologisch richtige Anordnung der Ausstellungsstücke machen. Ja, alle Beteiligten sind da - aber nicht alle Utensilien. Die Ikea-Leute werden gezeigt, wie sie nicht angekommenen Teilen hinterher telefonieren, wobei besonders ihre mangelhaften Sprachkenntnisse auffallen. Ulf kann ein paar Brocken Englisch, von Manuela hört man gar nichts. Ein paar russische Angestellte sprechen ein wenig Englisch und noch weniger Deutsch - und gar kein Schwedisch, umgekehrt spricht kein einziger Ikeaner Russisch - das einzige, was an ihnen Russisch ist, ist das von allen getragene Einheits-T-shirts mit dem Schriftzug: "My wsje rabotajem dlja IKEA [Wir alle arbeiten für IKEA]". Nun, wozu sollte man auch Russisch lernen? Manuela verständigt sich beim Schaschlik-Kauf auf dem Markt mit Händen und Füßen ganz leidlich; und wem das zu umständlich ist, der kann auch in der werkseigenen IKEA-Kantine essen. Und überhaupt: "Die Russen sind alle so unfreundlich", sagt Robert, Manuelas 14-jähriger Sohn, den die beiden aus unerfindlichen Gründen mit nach Moskau genommen haben, "und die wenigsten sprechen Deutsch". Gewiß, aber umgekehrt wird (auch) ein Schuh draus: Wie freundlich seid Ihr, liebe deutsche Leser, zu in Deutschland lebenden Ausländern, die kein Deutsch können und auch keinerlei Anstalten machen, es zu erlernen? Eben, Dikigoros auch nicht. Aber da er im Gegensatz zu den Filmhelden Russisch versteht, entgeht ihm nicht die feine Ironie, die Chavistré an dieser Stelle beweist: Nach dem traurigen Gitarren-Geklampfe der Ikeaner und der mehr als deutlichen Aussage, daß es ohne Sprachkenntnisse keine Kontakte zu den Einheimischen - geschweige denn freundschaftliche - geben kann, spielt er ein russisches Lied ein, gut gesungen und ebenso gut auf der Gitarre begleitet. Text: "Freundschaft braucht keine Worte..." Doch, es braucht sie, auch wenn man nicht den naiven Standpunkt vertritt, daß Feindschaften immer nur aus (sprachlichen) Mißverständnissen entstehen. Leser, die selber Russisch gelernt haben, kennen sicher den alten Witz: Stehen ein Deutscher und ein Russe an der Bushaltestelle im Regen, beide der Sprache des anderen nicht mächtig. "Dotsch idiot", sagt der russische Idiot, nur um irgend etwas zu sagen, denn er weiß ja nicht, daß sein Nebenmann das als Beleidigung auffassen könnte. Der deutsche Idiot läßt daraufhin die Fäuste sprechen, denn er weiß ja nicht, daß "Dotsch" auf Russisch Regen heißt, und "idiot" [er, sie, es] geht, "Dotsch idiot" mithin: "Es regnet".

Die Stimmung ist also schlecht, nicht nur zwischen Einheimischen und Ikeanern, sondern auch zwischen den letzteren (merke: Multikulti-Teams funktionieren nur in den seltensten Fällen!), das merkt man nicht nur hinter den Kulissen der Kameraführung, sondern sogar davor: Ingvar Kamprad aus Elmtaryd-Agummaryd hat seinen Besuch angesagt, und aus den Anfangsbuchstaben könnt Ihr, liebe Leser, unschwer schließen - wenn Ihr es nicht ohnehin schon wißt -, daß dies der legendäre Gründer von IKEA höchstpersönlich ist. (Ja, was glaubt Ihr denn, wofür HaRiBo die Abkürzung ist? "Hans Riegel, Bonn"! Dikigoros ist mal gespannt, wann die Firma in GoGoBä ["Gottschalks Gold-Bären"] umbenannt wird :-) Als der Film gedreht wurde, war noch nicht allgemein bekannt und in den Medien breit getreten, daß Kamprad anno 1941, als 15-jähriger Knabe, das todeswürdige, nie wieder gut zu machende und unverjährbare Verbrechen begangen hatte, der schwedischen Jugendgruppe "Nordisk Ungdom" beizutreten - die mal ein gemeinsames Pfadfinderlager mit der deutschen Hitler-Jugend veranstaltet hatte. Das macht ihn zu einem ganz bösen Nazi, dem eigentlich nie mehr jemand die Hand reichen dürfte. (Und als er 1943 IKEA gründete, war er immer noch nicht wieder ausgetreten, d.h. also, daß das alles Nazi-Möbel sind, die Ihr, liebe antifaschistische und gutmenschliche Leser, sofort auf den Scheiterhaufen werfen und verbrennen müßt, so Ihr welche habt, um Euch statt dessen neue, demokratische Möbel zuzulegen!) Aber damals, anno 2000, rissen sich die Mitarbeiter noch darum, ihrem Chef das Pfötchen zu geben und ihm in den Hintern zu kriechen - kann der Karriere ja nur förderlich sein. Auch Ulf hatte fest mit einer solchen Ehrung gerechnet und macht nun vor der Kamera keinen Hehl daraus, stinksauer zu sein, weil ihn die anderen ausgebootet haben. (Der Chef kann nun wirklich nicht jeden Mitarbeiter persönlich begrüßen, wenn es denn über ein kurzes Händeschütteln und ein paar nichtssagende Begrüßungs-Worte hinaus gehen soll.)

Der Chef ist also angekommen, um die Eröffnungsvorbereitungen zu inspizieren. Auf den ersten Blick wirkt er schon leicht verkalkt und etwas weltfremd: "Wieso denn 'Eröffnungsangebot'?" fragt er, als er dieses Schild an einem Regal sieht. "Nun, wir haben halt nur soundso viele von den billigen Exemplaren à 200 Kronen, und die werden wohl nach der Eröffnung alle weg sein," antwortet der angesprochene Mitarbeiter. Aber da zeigt sich, daß Kamprad ein schlauer Fuchs ist: "Passen Sie mal auf: Die Leute, die heute ein Regal kaufen kommen, wollen sich vielleicht später noch ein oder zwei andere dazu kaufen, und dann achten sie darauf, daß es davon später noch welche nach gibt. Und wenn sie erstmal welche gekauft haben und wieder kommen, und es gibt keine mehr, dann können wir ihnen immer noch Billy-Regale verkaufen, die laufen immer." Ja, der gute Ingo ist nicht nur ein schlauer Fuchs, sondern auch ein krummer Hund, denn das ist schlicht Betrug am Verbraucher. Aber darauf hat er nun mal sein Imperium begründet, und er ist gut damit gefahren. Nun mögt Ihr darob die Nase rümpfen, liebe Leser, aber Geld stinkt nicht, und zu "Nazi"- und "DDR"-Zeiten war das wenigstens noch Wertarbeit, preiswert, stabil und praktisch unverwüstlich (wer erinnert sich nicht aus seiner Schüler- oder Studentenzeit an die IKEA-Möbel? Dikigoros hat einige von ihnen noch immer im Keller stehen!); heute dagegen könnte man sie mit einem bekannten Buchtitel beschreiben: "Nur der Name blieb..." Wie das? Nun, nach dem Untergang der "DDR" hatte der "alte Nazi" Kamprad bald wieder einen neuen "Klassenfeind" gefunden, der sich sogar noch besser ausbeuten ließ als einst die Ossis, denn wenn man in Rußland - zu mäßigen Preisen - verkaufen wollte, konnte man natürlich nicht teuer im Westen produzieren lassen, sondern man mußte irgendwo hin gehen, wo die Löhne noch niedriger waren. Gesucht und gefunden: die Rotchinesen. Die sind bekanntlich konkurrenzlos billig, denn die lassen in ihren Konzentrationslagern die politischen Gefangenen zum Nulltarif malochen, da ist sogar der Transport aus Fernost locker drin. Jawohl, das Zeug, das IKEA den Russen verkauft, stammt aus Rotchina, vom Kleiderbügel bis zum "Billy"-Regal! Und nun, da Kamprad kein brauner, sondern ein roter Unternehmer ist, könnt Ihr, liebe Gutmenschen, ihm doch verzeihen, nicht wahr? Also, kauft bei IKEA, damit stützt Ihr das maoïstische System in China, das in Euren Augen doch so gut wie sozial-demokratisch ist! (Ja, in Dikigoros' Augen auch - aber das liegt an seinem speziellen Verständnis der heutigen Sozial-"Demokratie", das sich aus den Ansichten alter Sozial-"Faschisten" wie Friedrich Ebert und Kurt Schumacher herleitet, die Ihr wahrscheinlich nicht nachvollziehen könnt, da Ihr von diesen beiden Männern nur wenig oder gar nichts wißt, auch und gerade wenn Ihr der SPD nahe steht.)

Und mit dem Satz "kauft bei IKEA" kommen wir endlich zur großen Eröffnungs-Veranstaltung im März 2000. Ulf hätte sich gar keine Gedanken zu machen brauchen, wie er die Möbel aufstellen soll, und Kamprad nicht über die Frage 'Eröffnungsangebot oder nicht?'; denn die Leute, die sich zu Tausenden hinein drängeln (irgendwer will "über 37.000" gezählt haben - das wäre IKEA-Rekord), werfen eh alles über den Haufen und kaufen, was nicht niet- und nagelfest ist. (Und da bei IKEA nichts niet- und nagelfest ist, kaufen sie tatsächlich alles :-) Das ist die alte Mentalität aus der Zeit des Kommunismus: Staatliches Geld ist nichts wert, sobald man kann, tauscht man es gegen Ware ein; der Preis spielt dabei kaum eine Rolle, und schon gar nicht Frage, ob man irgendwann einmal etwas von der gleichen Art nachbekommt - das ist ganz westlich gedacht. Was heißt aus der Zeit des Kommunismus: Nach dessen Untergang wurde es ja erstmal nicht besser, sondern noch viel schlimmer: Die Inflation nahm beängstigende Ausmaße an; der Rubl - dessen Wert bis dahin künstlich hoch gehalten worden war durch den Zwangswechselkurs nach außen und Abschöpfungen im Inneren -, war bald nichts mehr wert; DM und US-$ wurden zu Ersatzwährungen. (Das ging so weit, daß in Moskauer Supermärkten waren angeboten wurden aus Deutschland, in Original-Verpackung, nur "DM" durchgestrichen und durch "US-$" ersetzt - 1:1 :-) In der SU hatten die kommunistischen Parteibonzen auf dem Papier gar nicht so viel mehr verdient als ihre "normalen" Untertanen; aber im Gegensatz zu letzteren bekamen sie schöne, große Dienstwohnungen, Dienstwagen mit Chauffeur und vor allem Einkaufsmöglichkeiten in Läden, die nur ihnen zugänglich waren und in denen sie für ein paar Kopeken Dinge kaufen konnten, für die Nicht-Privilegierte auf dem Schwarzmarkt Monats- oder gar Jahresgehälter hinblättern mußten. Und nun sollte es in einem Kaufhaus, zu dem jedermann Zutritt hatte, Möbel geben, mit Preisen, die für alle gleich waren - die Anhänger dieser Idee nannten es ein Stück "Demokratie", ihre Gegner ein Stück "Kapitalismus". Entscheidet selbst, liebe Leser, welche Ansicht die richtige ist, bevor es andere für Euch tun...

*****

Die Berufskritiker haben auf diesen Film mit einer Biestigkeit reagiert, die so lächerlich ist, daß sie allein schon ein Grund wäre, ihn Dikigoros' Lesern vorzustellen, denn diese Reaktion ist bezeichnend dafür, wie sehr das Filmgeschäft noch immer von einer linken Medien-Mafia beherrscht wird, die einfach nicht wahr haben will, daß der real existierende Sozialismus ein Flop war. Nein, es ist nicht die Kritik am "alten Nazi" Kamprad, sondern die an Chauvistré, diesem armseligen Würstchen, das nicht nur Regisseur war, sondern auch Autor des "Drehbuchs" (so es denn eines gab - manchmal glaubt Dikigoros, daß das bloß ein Zufallsprodukt ohne jedes Konzept war, das hinterher irgendwie zusammen geschnitten wurde), Kameramann und Produzent. Andreas Bodden von der Sozialistischen Zeitung bleibt bei diesem "Lehrstück über Corporate Identity und andere Blüten des postrealsozialistischen Kapitalismus" (...) "das Lachen im Halse stecken". Ulf und Manuela sind für ihn "zwei dumme Prolls als Lachnummer für's Bildungsbürgertum - abstoßend." - "Vom Klassenkampf zum Kassenkrampf" überschreibt Günter Jekubzik von Arena seine Kritik. "Das ist zuviel!" beschließt Petra Bäumer von der Berliner Zeitung die ihre. Und selbst Thilo Wydra vom Bayrischen Rundfunk scheint der guten alten SU (die er wahrscheinlich nie kennen gelernt hat) nachzutrauern, wenn er schreibt: "Und so stimmt denn diese Doku auch irgendwie seltsam melancholisch, zumal der Einbruch (sic!) des westlichen, farbenfrohen IKEA-Gebäudes in die winterliche, grau-triste Moskauer Peripherie wie ein Besuch vom Mars wirkt..." Die am wenigsten böswillige Kritik ist noch die von Uwe Mies: "Was der Filmautor der Welt eigentlich sagen wollte, ist irgendwo auf der Strecke geblieben." Tja - was wollte Chauvistré der Welt "eigentlich" sagen? In einem Interview mit dem Kritiker Ulli Klinkertz hat er die Frage, wie er auf dieses Filmsujet gekommen sei, wie folgt beantwortet: Er habe mal einen Film über einen Zauberschrank gedreht (der zufällig von IKEA war), mit dem man um die Welt reisen konnte wie auf einem fliegenden Teppich, u.a. auch nach Rußland. Und hinterher habe er festgestellt, daß es ausgerechnet dort gar keine IKEA-Schränke gebe. Darauf habe er bei IKEA nachgefragt und erfahren, daß demnächst eine Filiale in Moskau aufgemacht würde, und da habe er beschlossen, Politiker zu werden, pardon einen Film just darüber zu drehen. Na bitte, keine bösen Absichten gegenüber der edlen Sowjet-Union! Aber wer jenes Land jemals bereist hat, egal ob mit oder ohne böse Absichten, Vorurteile o.ä., hat bald seinen Eindruck weg; und Dikigoros hat ja schon angedeutet, daß den Film an manchen Stellen eine feine Ironie durchzieht. Aber so etwas bemerken linke Kritiker natürlich nicht - die stören sich an viel grundsätzlicheren Dingen. Erinnert Ihr Euch noch, wie die grüne Parteibonzin und spätere Vizepräsidentin des Bundestages, Antje Vollmer, mit vor Tränen der Wut erstickter Stimme ihren verzweifelten Protest in die Fernsehkameras jaulte, als sich 1990 abzeichnete, daß ihre heiß geliebte DDR, die sie und ihre Genossen doch für ganz Deutschland als Modell vorgesehen hatten, von der bösen, kapitalistischen BRD geschluckt werden würde? (Die Grünen wären damals als Partei untergegangen - in der BRD-West bekamen sie bei der nächsten Bundestagswahl keine 5% mehr -, wenn die blöde DDR-Opposition, die sich "Bündnis 90" nannte, nicht ausgerechnet mit diesen Galgenvögeln zusammen gegangen wäre und sie gerettet hätte.) Und nun hält dieser böse Kapitalismus also auch in der ehemaligen Sowjet-Union, der Heimat der Weltrevolution und des Kommunismus, der Werktätigen und Hungerleider, schrillen Einzug und legt sogleich den Finger in die Wunde:

Es können nämlich nur theoretisch alle gleichermaßen bei IKEA einkaufen - das ist wie mit der Freizügigkeit: Wer kein Geld hat, um sich ein Auto, ein Flugbillet oder eine Fahrkarte für Bus oder Eisenbahn zu kaufen, kann verdammt wenig mit ihr anfangen. Manche kommen also nur, um ein paar Plastiktüten mit dem Aufdruck "IKEA" zu schmarotzen, oder ein paar Bleistifte. Oder um die Eröffnungstombola zu gewinnen: Eine 73-jährige Rentnerin ohne Rente wird interviewt - ja, auch das ist das Erbe der SU: Löhne und Gehälter werden kaum noch ausgezahlt, geschweige denn die Renten, und wenn doch, hat die Inflation sie oft schon aufgefressen, bevor der Monat herum ist. Die arme alte Frau würde so gerne ein Bett gewinnen, denn kaufen kann sie sich keines - aber natürlich gewinnt sie es nicht, sie wird also weiter auf einer alten Matratze pennen müssen. Und wieder die feine Ironie Chauvistrés: Er führt uns die geradezu feudal anmutenden Wohn- und Lebensverhältnisse der Ikea-Manager vor, die in Wohnungen der ehemaligen KPdSU-Funktionäre hausen, mit alten russischen Möbeln (nichts von IKEA! :-) und "rotem" Telefon direkt zum Ministerium. Ja, die geänderten Ismen haben an den faktischen Verhältnissen nicht viel geändert, und wenn, dann nur zum schlechteren. Rußland war vor 1914 das Land mit den höchsten prozentualen Zuwachsraten. Die Sowjet-Union ist das geblieben - wenn auch nur auf dem Papier -; und das "neue Rußland" von heute schreibt wieder riesige Zuwachsraten auf; allerdings ist das eine Selbsttäuschung, die nur auf dem gestiegenen Ölpreis beruht (weshalb man auch Tschetschnien auf keinen Fall aufgeben kann, sonst verlöre man diese einzige noch kräftig sprudelnde Einnahmequelle). Die Produktion ist bei Null anbelangt, nur ein paar Schieber und Mafiosi machen noch Umsatz oder gar Gewinn. Sie haben sich auch einige der defizitären Staatsbetriebe unter den Nagel gerissen; aber eine dauerhafte Sanierung können auch sie nicht riskieren, sonst würden sie sofort enteignet und die Betriebe wieder verstaatlicht. Ausländische Unternehmer, die sich in Rußland (oder den übrigen Nachfolgestaaten der SU) halten könnten? Gibt es praktisch nicht; entweder scheitern sie sofort, oder, wenn sie Gewinn machen, werden sie von Schutzgeld-Erpressern (mit oder ohne Uniform :-) ausgenommen oder - wenn sie sich nicht ausnehmen lassen wollen - kaltlächelnd umgelegt. Das gibt dann einen Dreizeiler auf der vorletzten Seite der Zeitung, und der nächste "Investor" versucht sein Glück - die Dummen werden nicht alle.

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Aber woher nimmt Dikigoros bloß diese düstere Prognose? Sind McDonalds und IKEA nicht der beste Gegenbeweis? Haben sie nicht beide inzwischen weitere Filialen eröffnet im schönen Moskau? Ja schon, aber das ist eher die Ausnahme, die die Regel bestätigt. McDonalds z.B. hat ein Agreement mit der russischen Regierung geschlossen, daß es etwaige Gewinne nicht außer Landes transferieren, sondern in Rußland "re-investieren" wird, d.h. wenn es eines Tages doch enteignet wird, hat es den Russen ein paar schöne Viehfarmen, Schlachthäuser und Restaurants hingesetzt, alles auf Kosten seiner Aktionäre, die nie auch nur einen Cent Dividende aus dieser Unternehmung zu sehen bekommen werden. Welches Abkommen IKEA geschlossen hat, weiß Dikigoros nicht genau; aber da die immer noch ein Drittel ihres Holzes aus Rußland beziehen, wird wohl eine Art Verrechnung auf Gegenseitigkeit erfolgen; wenn es dann zur Enteignung kommen sollte, wird Kamprad (oder sein Nachfolger) den Laden einfach dicht machen, seine Leute abziehen und sein Holz in China, Hinterindien oder Indonesien einkaufen. Auch unsere Film-"Helden" ziehen wieder ab aus Moskau, aber ganz regulär, denn ihr Job ist ja beendet; und man spürt ihnen nur zu deutlich an, daß sie - allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz - heilfroh sind, nach ein paar Monaten in der Stadt mit der höchsten Kriminalitätsrate der weißen Welt (jawohl, nun hat Rußland die USA wenigstens auf diesem Feld endlich überholt - aber auch davon erfahren wir im Film kein Wort!) wieder zuhause zu sein, und sei es nur im häßlichen Berlin-Spandau.

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