Feindselig sitzengeblieben

von Martin Krauß

(Jungle World, 26. März 1998)

Egon Erwin Kisch, der vor fünfzig Jahren gestorben ist, in einer Biographie aus Bildern und Dokumenten

Wer sich für seinen Militärausweis mit Kippe im Mund fotografieren läßt, beweist Stil. Egon Erwin Kisch ist auf dem Dienstausweis, den er 1917/18 für das k.u.k. Kriegspressequartier benötigte, mit Zigarette zu sehen.

Geriert sich der sozialistische Journalist beim Erstellen von Kriegspropaganda obercool? Kisch hätte zu antworten gewußt. "Er hat einmal zu meiner Frau über irgendeinen Tratsch im Herrenhof geklagt", schrieb Robert Musil 1919 in einem Brief, "und meine Frau erwiderte ihm darauf: 'Aber Sie sind dabeigesessen, ohne fortzugehen.' - 'Ja', sagte er, 'aber ich bin feindselig sitzengeblieben.'!" 

Aufgestöbert hat den Brief Musils über Kisch Marcus C. Patka, ein Wiener Wissenschaftler, der im Aufbau-Verlag das schöne Buch "Der rasende Reporter. Egon Erwin Kisch. Eine Biographie in Bildern" herausgegeben hat.

Der Titel schläfert zwar ein, aber er stört nicht so wie das Vorwort von Hellmuth Karasek. Es ist auch eine Biographie in Selbst- und Fremdzeugnissen, die Patka zusammengetragen hat und bei der er sich selbst bewundernswert zurücknimmt. Lediglich ein Nachwort hat der Herausgeber beigesteuert, das für sich genommen leider nicht so recht überzeugen mag. Da mir das Buch so gut gefällt, werde ich solche Sätze nur einmal zitieren: "Gerade ein solcherart Verkannter (gemeint ist Kisch; M.K.) scheint dazu prädestiniert, zur Identitätsfindung eines geistig noch wiederzuvereinenden Deutschlands und eines neu zu einenden Europas beizutragen." 

Patka hat das Buch chronologisch angeordnet. Kischs Jugend von 1885 bis 1919, "Der rasende Reporter auf Reisen" von 1920 bis 1933, "Exil in Europa" von 1933 bis 1939, "Exil in den USA und in Mexiko" von 1939 bis 1946, und seine letzten Jahre, die er von 1946 bis zu seinem Tod 1948 in Prag verbrachte. 

Warum das Werk "Der rasende Reporter" heißt, obwohl doch nun schon mehrere hunderttausend Rezensenten stets darauf hingewiesen haben, daß dies falsch ist, läßt sich nicht herausfinden. Im Buch selbst finden sich sogar zwei besonders prominente Autoren, die sich damit beschäftigen: "Seit Kisch nach dem Titel eines seiner frühen Bücher der 'rasende Reporter' genannt wurde, ärgerte er sich offenbar über den Titel, der dem Buch gehörte, nicht ihm", schrieb der Philosoph Ernst Bloch. "Dieser rasende Reporter war in Wirklichkeit der langsamste, nämlich sorgfältigste - kraft des Willens zur großen Form in der kleinen." 

Und der Schriftsteller Joseph Roth, trotz seiner Wandlung vom "roten Joseph", das war wirklich eine Selbststilisierung, zum Monarchisten zeit seines Lebens eng mit Kisch befreundet, schrieb 1935: "Egon Erwin Kisch ist kein rasender Reporter; das ist ein Spitzname, den er sich nicht ohne Selbstironie gegeben hat; er ist ein gewissenhafter und gründlicher Berichterstatter." 

Das gewissenhafte, gründliche und eben nicht schnelle Arbeiten Kischs läßt sich auch in Zahlen ausdrücken. Am Anfang seiner Journalistenkarriere, er war bei der Prager Bohemia beschäftigt, schrieb er an seinen Bruder Paul, er verdiene "sehr viel Geld", denn er habe "diesen Monat zwei Feuilletons kriminalfeuilletonistischer Natur" veröffentlicht. 

Davon, das sei nebenbei erwähnt, könnte man heute, in den neunziger Jahren, nicht leben. Gleichwohl entstehen gute Texte. Joseph Roth beschreibt die Arbeitsweise seines Freundes: "Was ihn aber zum vorzüglichen Schriftsteller macht und seine Berichterstattungen zu literarischen Werken, ist - der Materialist Kisch möge es mir nachsehen - die Gnade, die Gnade des echten Schriftstellers, die darin besteht, daß man die Wirklichkeit beschreibt, ohne die Wahrheit zu verletzen; daß man trotz der dokumentarischen Wirklichkeit nicht versäumt, die Wahrheit zu sagen." 

Roths Einschub vom "Materialisten Kisch" weist die Fährte. Kisch war Mitglied der Kommunistischen Partei, aber seine Art zu schreiben hatte nichts zu schaffen mit Parteiprosa. Soweit er sich frei machte von sozialistisch-realistischen Kitschaufträgen, schrieb er gute Reportagen. Sobald er sich aber in den Parteiauftrag stellte, führte er einen Eiertanz auf. Dann ließ er sich feiern als der rasende Reporter, der Australien entdeckt und ließ zu, daß die AIZ mit einem Foto angab, das ihn zusammen mit Chaplin zeigt. 

Der Zwiespalt, der Kisch anscheinend erst sehr spät bewußt wurde, offenbart sich in seiner Rede auf dem 1. Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur in Paris 1935. Da spricht er einmal in pfäffischem Parteijargon, "der wahre Schriftsteller, das ist der Schriftsteller der Wahrheit, (er darf) die Besinnung seiner Künstlerschaft nicht verlieren, er soll das grauenhafte Modell mit Wahl von Farbe und Perspektive als Kunstwerk, als anklägerisches Kunstwerk gestalten, er muß Vergangenheit und Zukunft in Beziehung zur Gegenwart stellen - das ist logische Phantasie." 

Und nur wenige Sätze später formuliert er: "Reportage heißt Sichtbarmachung der Arbeit und der Lebensweise - das sind oft spröde, graue Modelle in den heutigen Zeitläuften." Da ist nicht mehr von der Anklage, die auch bei einem wie Kisch aufgesetzt wirkte, die Rede. 

Kischs Ambivalenz, die sich auch und jeweils anders ausgeprägt bei Literaten wie Anna Seghers, Bertolt Brecht oder Johannes R. Becher zeigen läßt, ein vergleichbarer Journalist fällt mir leider nicht ein, hat ihn immer begleitet. 

"Egon Erwin Kisch hatte menschlich rührende Züge", notierte Margarete Buber-Neumann einmal. "Als er in Paris die Nachricht bekam, daß seine in Prag lebende Mutter schwer erkrankt sei, kümmerte er sich einen Pfifferling um das Parteiverbot, das ihm untersagte, nach Prag zu fahren. Monate hindurch blieb er bei seiner Mutter, um ihr mit Witz und Heiterkeit das Sterben zu erleichtern. Nach Paris zurückgekehrt, erhielt er für seinen Ungehorsam eine Rüge von der Partei." Gewiß ist es sehr sympathisch, daß sich Kisch mehr um seine Mutter als um die Parteidisziplin kümmert. Aber die Frage, was ein Reporter in einer Partei will, die ihm das Reisen verbietet, hat er sich nie gestellt, zumindest nicht öffentlich. Wieder Buber-Neumann: "Noch in Paris gehörte er zu den wenigen, die die diktatorischen Methoden der KP bekrittelten, die ihre gläubigen Anhänger unter den Intellektuellen einfach gleichschaltete und zu Propagandawerkzeugen erniedrigte. Aber Gisela (Kischs Frau; M.K.) sorgte dafür, daß er bei der Stange blieb." Ähnliches berichtet auch Manès Sperber: "Ich besuchte ihn auch manchmal in Versailles, wo er mit seiner Frau wohnte, die, hieß es, ihn später gehindert haben soll abzuspringen. Das hatte er für den Fall gedroht, daß Stalin es wagen sollte, Bucharin zu vernichten." 

Die wachsenden Zweifel an der Partei, vor allem an ihrem für den Prager Juden aus gutem Hause schlicht nicht übersehbaren Antisemitismus, ließen ihn nicht abspringen. Statt dessen versteckte er lieber sowohl seine Kritik als auch einige seiner besten Ideen. 

Zum Beispiel schrieb er 1940 an den Regisseur Billie Wilder: "Da ich unserer Fußballstunden in der Güntzelstraße gedenke, fällt mir ein, daß Du einen großen Soccer-Film dichten solltest, das wäre auch ein riesiges Export-Geschäft, meinst Du nicht? (Ö) Aber erzähl niemand von dem Brief, ich hab weder den Ehrgeiz, Euch Szenaristen ins Handwerk zu pfuschen, noch möchte ich mich als blutiger Anfänger blamieren." 

Solche Ideen versteckte er, und bestimmte Warnungen schlug er in den Wind. Sein Freund F.C. Weiskopf schrieb ihm 1946, warum er nicht nach Prag zurückkehren könne: "Die Möglichkeit als deutscher Schriftsteller in der Tschechoslowakei zu wirken, ist vorbei. Die Möglichkeit, dort zu sein, mag bestehen (Ö), aber es wird zumindest in nächster Zukunft ein Geduldetsein, eine Art Vegetieren sein. Und ich möchte weder mich noch meine tschechischen Freunde in die peinliche Lage versetzen, FCW als Bürger zweiter Klasse, sozusagen als Schutzjuden in Prag zu sehen, immer in Gefahr, verprügelt zu werden, wenn zufällig ein Wort in der Muttersprache dem Mund entfährt. Zweifellos ist die Situation von Hitler verschuldet worden. Es ist tragigrotesk, daß wir für ihn zu bezahlen haben; aber wenn wir stärker für den Sieg über den Nazismus besteuert werden als andere, so muß das hingenommen werden, ruhig und ohne Gegreine. Aber nichts in der Welt wird mich dazu verführen, auch noch Halleluja darüber zu schreien, daß der Nationalismus sich überschlägt und daß man mich zu Hause nur als einen 'convict on parole' aufnehmen will." 

Wahrscheinlich erging es Kisch in Prag aber kaum anders, obwohl die neue Staatsführung ihm einen großen Empfang bereitet hatte und alles für sein Wohlergehen tat. 

"Diese schöne Wohnung?" beantwortete er 1947 eine Interviewfrage, "die gehörte früher Adolf Eichmann, dem Schrecken des Weltjudentums. Die Möbel, Bilder, Nippsachen, ja auch das Netzgitter, dort am Balkon, eigens für sein Kind gemacht, das war einmal seines. Wie? Nein, es stört mich nicht, nicht einmal beim Einschlafen." 

Er hätte noch hinzufügen können: Aber ich bin feindselig eingeschlafen.

Marcus G. Patka (Hrsg.): Der rasende Reporter. Egon Erwin Kisch. Eine Biographie in Bildern. Aufbau Verlag, Berlin 1998, S. 303, DM 59,90 


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