BIS  ZUM  LETZTEN  UKRAÏNER . . .

Die kriegsdemographische Lage im Ukraine-Krieg

von Gérard Bökenkamp (Die Achse des Guten, 3. Februar 2023)

gekürzt und mit einer Nachbemerkung versehen von Nikolas Dikigoros

Russland kann sich einen langen, verlustreichen Krieg leisten, vor allem, wenn es auf sein großes Reservoir junger muslimischer Männer zurückgreift. Der Ukraine läuft dagegen die Zeit davon. Aus demographischen Gründen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezifferte Ende 2022 die Verluste der russischen Armee im Ukraine-Krieg auf etwa 100.000 Soldaten. Da Selenskyj kein erkennbares Interesse daran hat, die Verluste der Russen herunter zu rechnen, kann man davon ausgehen, dass es sich bei der Zahl von 100.000 russischen Gefallenen um eine Obergrenze handelt.

Im November 2022 bezifferte der Chef des Vereinigten Generalstabs der US-Streitkräfte, General Marc Milley, die Zahl der gefallenen Soldaten auf beiden Seiten mit jeweils etwa 100.000. Milley hatte keinen Grund, die Zahl der ukrainischen Gefallenen hoch zu spielen, so dass man davon ausgehen kann, dass die Ukraine bis dato mindestens so viele Soldaten verloren hatte wie die Russen. Beide Seiten zahlen also einen enormen Blutzoll. Diese Verluste wiegen aber unterschiedlich schwer hinsichtlich der Chancen auf einen militärischen Sieg. Denn bei einem "Austausch" Soldat gegen Soldat gewinnt diejenige Armee, die eine größere Mannschaftsstärke aufbieten kann.

Diesen Umstand, dass der einfache Austausch Soldat gegen Soldat für eine Seite den sicheren Sieg und für die anderen die sichere Niederlage bedeuten kann, hat bereits Leo Tolstoj in "Krieg und Frieden" über Napoleons Russlandfeldzug beschrieben. Wenn zwei Armeen unterschiedlicher Größe auf einander treffen und die Verluste auf beiden Seiten gleich groß sind, verliert die kleinere Armee. Wenn z.B. eine Armee von 90.000 Mann auf eine Armee von 60.000 trifft, dann ist das ein Verhältnis von 3:2. Wenn nun beide Seiten 30.000 Mann verlieren, ist das Verhältnis nicht mehr 3:2, sondern 2:1. Wenn beide Seiten 60.000 Mann verlieren, dann hat die stärkere Armee immer noch 30.000 Mann, die andere Armee hat hingegen aufgehört zu existieren. Das heißt, eine größere Armee kann es sich leisten, den Blutzoll nach oben zu treiben, ohne dabei Geländegewinne im Auge zu haben. Es genügt für sie, wenn die Verluste auf beiden Seiten gleich groß sind, um zu gewinnen.

Demographische Implosion der Ukraine

Zu Beginn des Krieges ging das vor allem zu Lasten der Russen. Diese versuchten, den Krieg als "Spezialoperation" mit begrenzten Kräften zu gewinnen und möglichst schnell Kiew einzunehmen. Diesen begrenzten Kräften stand die ukrainische Armee mit einer hohen Zahl von Reservisten gegenüber. Die russischen Verluste wogen schwerer als die ukrainischen, weil auf Seiten der Ukraine die gesamte Nation kämpfte, auf Seiten der Russen nur eine Teileinheit ihrer Streitkräfte. Der Gamechanger war die Entscheidung der russischen Führung zur Teilmobilmachung, der jetzt im Januar noch einmal eine größere Mobilisierung folgen soll. Bei einer totalen Mobilmachung beider Seiten, bei der Population gegen Population steht, hat Russland einen offensichtlichen Vorteil. Die Ukraine hat 43 Millionen Einwohner und Russland hat 143 Millionen Einwohner. Das Rekrutierungsreservoir der Russen ist also um vieles größer als das der Ukrainer. Wenn auf beiden Seiten die Verluste gleich hoch sind, gewinnen die Russen.

Verschärft wird das Problem für die Ukraine durch den Umstand, dass ihre Geburtenrate mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ins Bodenlose gestürzt ist. Im Jahr 2000 hatte die Ukraine ein demographisches Tief von nur noch einem Kind pro Frau erreicht. Das sind besonders diejenigen Jahrgänge, denen die Soldaten angehören, die nun für die Ukraine kämpfen und sterben. Die demographische Implosion der Ukraine führt zu dem krassen demographischen Missverhältnis. In der ukrainischen Gesamtbevölkerung von 43 Millionen gibt es nur etwa 100.000 Zwanzigjährige. Deshalb ist die Ukraine dazu gezwungen, bereits jetzt die Jahrgänge der über Fünfzigjährigen zu ziehen, weil das Reservoir junger Männer so begrenzt ist. Diese Zahlen demonstrieren, wie dramatisch die bisherigen Verluste von etwa 100.000 Mann für die Ukraine angesichts ihrer besonderen demographischen Lage sind. Darum war der Analogieschluss, die Ukraine werde Russlands zweites Afghanistan werden, von Anfang an schief. Afghanistan ist ein Land mit einer der höchsten Geburtenraten der Welt und einem fast unerschöpflichen Reservoir junger, kampffähiger Männer. Die Ukraine ist eine überalterte Gesellschaft mit nur wenigen jungen Menschen.

Russlands demographische Entwicklung verlief zwar parallel zu derjenigen der Ukraine, aber mit einem großen Unterschied. Russland ist ein Vielvölkerstaat. Nur 71% der russischen Bevölkerung sind ethnische Russen. Daneben gibt es 193 ethnische Minderheiten, deren demographisches Profil ein ganz anderes ist, als das der ethnischen Russen und Ukrainer. Von besonderer Bedeutung ist im Zusammenhang mit der russischen Mobilisierung besonders die Rekrutierung muslimischer Soldaten. Der muslimische Bevölkerungsanteil in Russland wird auf 15-20 Millionen geschätzt.

Mobilmachung vor allem in Regionen mit muslimischer Minderheit

Nicht erst seit Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" hat sich herum gesprochen, dass für die Analyse der demographischen Stärke einer Bevölkerungsgruppe weniger die absolute Zahl, als die Verteilung dieser Zahl auf die verschiedenen Alterskohorten entscheidend ist.

Über die Bevölkerungsentwicklung der Muslime in Russland gibt es keine direkten Zahlen, weil Religion in diesem Zusammenhang nicht erhoben wird. Allerdings setzt sich der muslimische Teil der Bevölkerung aus vielen kleinen ethnischen Gruppen zusammen, über die wiederum demographische Daten erhoben werden. Das demographische Profil dieser Minderheiten weist in der Regel nicht die Form des für europäische Gesellschaften so typischen Pilzes mit einer großen Zahl von Alten und einem schmalen Stamm junger Menschen auf, sondern hat die Gestalt von Pyramiden und Glocken, also einem geringen Anteil älterer Leute und einer breiten Basis junger Menschen. Rückschlüsse auf die Geburtenrate der Muslime in Russland lassen auch die Daten der muslimischen Nachbarstaaten zu. In Tadjikistan, Usbekistan und Kirgistan lag die Geburtenrate die gesamten 1990erJahre hindurch zwischen 5 und 3,5 Kindern pro Frau. Also vier- bis fünfmal so hoch wie im selben Zeitraum in der Ukraine. Das heißt, wenn die muslimische Minderheit in Russland ein eigener Staat wäre, könnte dieser allein mit genauso vielen Männern im wehrfähigen Alter in die Schlacht ziehen wie die Ukraine.

Gunnar Heinsohn hatte die These aufgestellt, dass Kriege einen "Jugendüberschuss" voraussetzen. Da Russland im Ganzen über einen solchen nicht verfügt, liegt es aus Sicht des Kreml nahe, auf den Jugendüberschuss in ländlichen Regionen mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit zurückzugreifen. Der Sekretär des Ukrainischen Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates Oleksiy Danilov erklärte, er verfüge über Statistiken, die zeigten, dass für die russische Mobilmachung vor allem in den Regionen mit muslimischer Minderheit rekrutiert werde, wo es noch "Familien mit vielen Kindern" gibt.

Diese Annahme wird durch den Umstand untermauert, dass von den 1,2 Millionen Soldaten, die der Kreml derzeit mobilisiert, nur einige tausend in St. Petersburg und Moskau gezogen werden. Die politische Logik dahinter erschließt sich sofort: Der Kreml schont die städtische Bevölkerung und die russische Mittelschicht. Damit verhindert er politische Unruhen. Gleichzeitig schickt die russische Führung die Teile der Bevölkerung in den Krieg, die sie für kampffähig und entbehrlich hält.

Russische Armee wird viele "Verduns" schaffen

Die russische Elite betrachtet den wachsenden Einfluss des Islam in Russland seit geraumer Zeit als Problem. Im Jahr 2019 sagte Sheik Ravil Gainutdin, der Großmufti von Russland, voraus, dass die Muslime bis zum Jahr 2034 30% der Bevölkerung der Russischen Föderation stellen werden. Angesichts des Unbehagens der russischen Elite über diese demographische Entwicklung liegt die Vermutung nahe, dass dem Kreml hohe Verluste dieser Bevölkerungsgruppen im Ukrainekrieg keine schlaflosen Nächte bereiten werden. Dass in westlichen Debatten sowohl der demographische als auch der ethnisch-religiöse Faktor weitgehend ausgeblendet wird, führt zwangsläufig zu unrealistischen Annahmen. Die Rebellion einer russischen Zivilgesellschaft ist eine Schimäre. Der Wunsch ist hier der Vater des Gedankens. Das Einzige, was die Mobilisierung Russlands aufhalten könnte, wäre ein Aufstand der Muslime und die drohende Gefahr eines ethnisch-religiösen Bürgerkrieges.

Russland muss entsprechend der Tolstoj-Doktrin in der kommenden Offensive keinen Durchbruch oder überhaupt einen Sieg erreichen. Die russische Armee wird hingegen versuchen, viele "Verduns" zu schaffen, also Punkte anzugreifen, die die Ukrainer aus strategischen Gründen nicht preisgeben können oder aus symbolischen Gründen nicht preisgeben wollen. Damit werden sie sie dazu zwingen, ihre Reserven in die Schlacht zu werfen, um diese Punkte zu verteidigen oder zurück zu erobern. Für die Russen ist dabei nicht entscheidend, dass es ihnen gelingt, diese Punkte tatsächlich einzunehmen oder zu halten. Sie werden versuchen, die Verluste der Ukraine möglichst in die Höhe zu treiben, auch wenn das bedeutet, immense eigene Verluste in Kauf zu nehmen. Selbst größere Geländegewinne der Ukraine wären für diese ein Pyrrhussieg, wenn diese Gewinne mit einer hohen Zahl gefallener Soldaten einher gehen. Denn sie könnten die gefallenen Soldaten aus demographischen Gründen nicht ersetzen.

Die Ukraine droht bei einem langen Krieg mit großen Materialschlachten demographisch auszubluten. Sie verliert in den verlustreichen Kämpfen nicht nur eine große Zahl junger Männer, von denen sie nur wenige besitzt, sondern ihr droht auch ein demographischer Aderlass durch den Verlust von Frauen im jungen und mittleren Alter. Die Prognosen sahen die ukrainische Bevölkerung auch ohne den Krieg auf 33 Millionen bis zum Jahr 2050 schrumpfen. Inzwischen sind fast acht Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen, davon etwa eine Million nach Deutschland. Nach Angabe des Bundesinnenministeriums sind 74% der ukrainischen Flüchtlinge Frauen. 8% sind ältere Menschen über 64 Jahre.

Demographisch wird für die Ukraine viel davon abhängen, wie schnell diese Frauen in die Ukraine zurück kehren können. Je länger der Krieg dauert, desto größer wird bei ihnen die Tendenz sein, sich in den Aufnahmestaaten dauerhaft einzurichten, zu binden oder auch Familien zu gründen. Damit geht der Ukraine eine weitere Generation verloren. Russland kann sich einen langen, verlustreichen Krieg leisten, die Ukraine nicht. Aus demographischen Gründen läuft ihr die Zeit davon.


Nachbemerkung: Das ist alles [un]schön und [un]gut, geht aber an den Realitäten ziemlich blind - und taub - vorbei. 99,9% der "Ukraïne-Flüchtlinge" in der BRDDR sind Angehörige der russisch-sprachigen Minderheit, die vor dem jüdischen Verbrecher-Regime in Kiïw geflohen sind. (Was sie den tumpen Sessel-Pupsern in den deutschen Behörden natürlich nicht auf die Nase binden; sie ändern einfach die Schreibweise ihrer Namen von Russisch auf Ukraïnisch :-) Sie alle sprechen nicht Ukraïnisch, sondern Russisch. (Jedenfalls alle, mit denen Dikigoros gesprochen hat, und das sind ziemlich viele - er kann das beurteilen, denn er beherrscht beide Sprachen.) Die "echten" Ukraïner, d.h. die Galizier, die das Land verlassen haben, sind durchweg nach Polen gegangen, und zwar - entgegen allen Beteuerungen (die auch Polen augenzwinkernd gelten läßt, um den Eurokraten in Brüssel sagen zu können: "Schaut her, wir nehmen doch schon mehr als genug Flüchtlinge auf, halt bloß keine Muslime!") - nicht als Kriegsflüchtlinge (denn Galizien wird ja gar nicht angegriffen!) sondern als Wirtschaftsmigranten. Das ist für sie äußerst attraktiv, denn vor dem Einmarsch der russischen Armee im Februar 2022 hatte Polen ihnen keine Aufenthalts-, geschweige denn eine Arbeitserlaubnis gewährt. Von denen wird niemand freiwillig zurück gehen. Bei den Russisch-Sprachigen ist sich Dikigoros dagegen nicht so sicher: Viele sind von der BRDDR schwer enttäuscht und würde lieber heute als morgen zurück gehen - wenn denn die Gebiete östlich des Dnipro endlich freigekämpft wären. Wir können also nur beten, daß Rußland den Krieg möglichst bald siegreich beendet. (Und den Rest - mit Ausnahme einiger von Slowaken und Ungarn besiedelter Randgebiete im äußersten Westen - werden sich dann womöglich die Polen krallen :-)


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