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Ferrara 1526 - 1550

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... nam tot Ferraria vates,
quot ranas tellus Ferrariensis habet!

denn so viele Dichter hat Ferrara,
wie Frösche die Sümpfe um es herum!

In Ferrara, der berühmten Stadt der d'Este, genoß Olympia Fulvia Morata von Kindheit an eine ausgezeichnete Erziehung, erst durch ihren Vater, dann am Hof als Studiengefährt der Prinzessin Anna. Unter diesen höchst günstigen Umständen rät Celio Calcagnini in einem frühen Brief dem Mädchen, dem jene musischen Genüsse von Hause aus vertraut sind, so daß [sie] sie beinahe schon mit der Muttermilch einsog, selbstbewußt ihrer Talente bewußt zu sein und anstelle des Fadens das Schreibrohr, anstelle des Flachses die Bücher, anstelle der Nähnadel den Stift in die Hand zu nehmen (Kößling 42f.).

Olympia scheint vorzüglich gefördert worden zu sein und fand schon früh allgemeine Bewunderung als "Wunderkind". Das geistige Klima der Zeit und des herzöglichen Ferrara ermöglichten es einem Mädchen am Hof durchaus derartige Wege zu gehen. Der idealen Hofdame, wie sie vor allem Baldassare Castiglione (1478 - 1529) im dritten Buch seines höchst einflußreichen Traktats Il libro del Cortegiano (Das Buch vom Hofmann, erstmals 1528) entwarf, galt eine gute Erziehung als unbedingte Voraussetzung: grundsätzlich hatten für die Hofdame die selben Regeln zu gelten wie für den Hofmann; Tugenden des Geistes seien ihr ebenso notwendig wie dem Mann (Cortegiano III 3), ja bei Damen sogar noch erwünschter, da weibliche Gelehrsamkeit, wie später Curione im Widmungsschreiben zur zweiten Auflage der Werke der Olympia Fulvia Morata schreibt, als besonders bewundernswert gilt: Wenn nun dies an Männern wegen der Seltenheit bewundernswert erscheint, dann muß es bei Frauen noch weit höherer Bewunderung würdig erscheinen. (Kößling 23) Die heranwachsende Olympia kann am Hof in Ferrara also gemäß der Vorstellungen des Humanismus lernen und leben; sie lernt aber zugleich auch - im Spannungsfeld zwischen üppigem Renaissanceprunk auf der einen, aber auch Herzogin Renatas Sympathie zum Calvinismus auf der anderen Seite - wie sie selbst schreibt, das, quae vulgo bona vocantur (was das Volk als "Güter" bezeichnet; Caretti 60) zu verachten.

Trevor Dean, Este. In: Die großen Familien Italiens. Hg. v. Volker Reinhardt (1992) 243-258 mit Literatur - Kat. “La prima donna del mondo”. Isabella d’Este. Fürstin und Mäzenatin der Renaissance (Wien KHM 1994) - Kat. Vittoria Colonna. Dichterin und Muse Michelangelos (Wien KHM 1997)

 

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ex istis sive ollis sive aulis...

sei es aus Fleischtöpfen, sei es aus Höfen..

.

Der Glanz von Ferrara verblaßt etwas, zieht man Olympias nachträgliche Meinungen über den estensischen Hof in ihren Briefen aus Deutschland mit in Betracht. In Augsburg angekommen stellt Olympia die Umstände ihres Aufbruchs aus Italien in einem Brief an Curione vom Oktober 1550 als höchst dramatisch dar: Als ich von vielen stürmischen Fluten umhergeworfen, mich nach Deutschland gleichwie in einen Hafen begeben hatte... (Kößling 55). Es ist nicht sicher, was wir uns hinter diesen stürmischen Fluten vorzustellen haben. Sicher ist aber, daß Olympia in ihren letzten Jahren in Ferrara harte Erfahrungen machen mußte: ihr Vater starb, ihre Freundin Anna heiratete nach Frankreich, Herzogin Renata geriet aufgrund ihrer religiösen Anschauungen zusehends unter Druck, Verfolgung der Protestanten begann, Olympia verlor ihre Gönner am Hof,usw.

Dennoch liegen nicht genügend Anhaltspunkte vor, um Olympias Umzug nach Deutschland als religiös motivierte Flucht bezeichnen zu können. Vielmehr begleitete sie ihren Gatten Anreas Grundler zurück in die Heimat. Erst in Deutschland, das schreibt sie an Gregorio Giraldi, beginnt Olympia, sich ausgiebig mit religiöser Literatur zu beschäftigen: Sehr oft widme ich mich religiösen Studien, und aus ihnen schöpfe ich noch mehr Gewinn und Freude als aus [den Musen] (Kößling 52). Eine Tätigkeit, der sie offenbar in Ferrara nicht nachgehen konnte. Wäre sie länger am Hofe verblieben, klagt sie deshalb an Curione, so wäre es um mich und mein Heil wohl geschehen gewesen, denn solange ich mich dort befand, konnte ich nichts Erhabenes oder Göttliches begreifen und auch die Schriften beider Testamente nicht lesen (Kößling 56).

Im Nachhinein erscheint der Hof d'Este der von nun stärkerer Religiösität erfüllten Olympia (in den Briefen aus Ferrara ist von religiösem Eifer noch nichts zu merken) wie jene Fleischtöpfe in Ägypten (Exodus 16. 3). Olympia dankt Gott, daß er sie von dort herausführte, wo der Antichrist so große Gewalt hat (Kößling 67). Schweren Schmerz verursachte ihr der tragische Tod des frommen Fanino durch die Inquisition: Vielleicht hast Du gehört, daß er [der Antichrist] im vorigen Jahr (Fanino wurde am 22. August 1550 als Häretiker hingerichtet) befohlen hat, den Fanino, einen frommen Mann und sehr standhaft im Glauben, nachdem er ungefähr zwei Jahre im Gefängnis gelegen hatte - denn niemals wollte er, sei es aus Todesfurcht, sei es aus Liebe zu Frau und Kindern von der Wahrheit lassen - zu erdrosseln, dann seinen Leichnam zu verbrennen und, noch nicht damit zufrieden, seine Asche in den Po zu werfen (Kößling 67). Olympia Fulvia Morata hatte noch von Deutschland aus vergeblich versucht, sich für Fanino einzusetzen.

B. K.

Emanuele Mattaliano, Women, Knights, Arms and Amours of the Estes of Ferrara in the Sixteenth Century. In: Kat. From Borso to Cesare d'Este. The School of Ferrara 1450-1628, London: Matthiesen Fine Art Ltd. (1984) 34-38.

 

 

Ohne Zwirn und Nadel

Nunquam eadem cunctos movit traxitue voluptas
mens eadem cunctis a Iove nulla datur.

Castor equum domitor, Pollux pugil optimus, ovo
cum tamen ex uno natus uterque foret.

Sic ego foemina nata, tamen muliebria liqui,
staminaque et radios, pensaque cum calathis.

Et placuere mihi Musarum florida prata
Parnassusque biceps laetificique chori.

Matronas alias rapiat sua quaequae voluptas:
Haec mihi gloria sunt, haec mihi laetitia.

1562: 248, 1570 & 1580: 242f.
[es gibt auch eine griech. Fassung; vgl. languagehat.com]

 

Niemals erfreute das Herz aller Menschen ein und dasselbe, | niemals gab gleichen Sinn Zeus allen Menschen zugleich.
Rossebezähmer war Kastor, im Faustkampf stark Polydeukes | stammten vom selben Schwan beide Helden doch ab!
Ich, zwar Frau von Geburt, verließ doch die Werke der Frauen: | Körbe und Spulen mit Garn, Fäden zum Zettel gespannt.
Mir schenken Freude die blühenden Auen der Musen, die Chöre | auf dem hohen Parnaß, der sich zweifach erhebt.
Andere Frauen mögen an anderen Dingen sich freuen: | Dies allein bringt mir Ruhm, dies allein ist mein Glück.

Übersetzung Holzberg (1982) 145
[10 nach dem Griechischen: Das eine erregte meinen Zorn, das andre breitet mir Freud st. Dies allein bringt mir Ruhm, dies allein ist mein Glück.]

Dieses Gedicht von Olympia Fulvia Morata stammt wahrscheinlich aus den Jahren 1540 oder 1541, sie war also erst 14 oder 15 Jahre alt, als sie es verfaßte! Für ein junges Mädchen in der damaligen zeit sind solche Gedanken erstaunlich. Im gleichen Maße zu bewundern ist ihr sicherer Umgang mit den Regeln der griechischen Verskunst. Sie beherrscht sie und beweist dadurch, daß sie sie so perfekt anzuwenden versteht, daß ihr Wunsch nach Befreiung von den üblichen Tätigkeiten einer Frau völlig zu Recht besteht. So ergänzen sich in diesen fünf Distichen Form und Inhalt aufs schönste. Olympia war schon vorher durch ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten aufgefallen. Wenn es noch einer Bestätigung dafür bedurft hätte, lag sie in diesen Versen vor.

Das erste und letzte Distichon ist nach Vergil, Ekloge II 65 gebildet. Curione zitiert diesen Vers in der Widmung der Werke der Morata an Königin Elisabeth I. von England.

Stichwortgeber für das dritte Distichon war Celio Calcagnini (1479-1541), der berühmte Diplomat, Astronom und Historiograph der d’Este, mit dem Olympia bereits als junges Mädchen Briefe wechselte (Kößling Nr.4 und 5).

E. N.

 

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