LÄSTERMAUL AUF REISEN
GROßE SATIREN DER WELTLITERATUR
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"Vergiß nie, daß du kein Mensch bist, sondern ein Tourist.
Laß dich von scheinbaren Gegenbeweisen nicht narren
- die Höflichkeit der Eingeborenen gilt niemals dir,
sondern deiner Brieftasche!" (Ephraim Kishon)

[Rückkehrwillige]

"Das Leben ist dasselbe, wo immer man sich aufhält.
Für uns ist es hart, warum sollten also Touristen
sich nicht auch ihres Lebens wehren müssen,
genauso wie wir?" (ein Nihilist bei Sillitoe)

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EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
REISEN DURCH DIE VERGANGENHEIT
GESCHICHTEN AUS DER GESCHICHTE

Nein, liebe Leser, Dikigoros wird Euch hier keinen Neuaufguß seiner "Reiseschriftsteller des 20. Jahrhunderts" vorsetzen, wiewohl auch deren Werke bisweilen satirisch anmuten mögen - aber das taten sie vielleicht nur, weil sie einige bittere Wahrheiten nicht anders ausdrücken durften. Und obwohl es heutzutage zunehmend gefährlich geworden ist, sich überhaupt mit dem Thema Satire und ihren Erzeugnissen auseinander zu setzen - besonders wenn man in muslimische Länder reist - und sich Dikigoros nicht verkneifen konnte, diese Seite eingangs um einen der vielen Steine des Anstoßes zu ergänzen, will er darüber hier nicht schreiben - das tut er an anderer Stelle. Was er Euch hier vorstellen will, sind Reisen, die in Wahrheit nie statt gefunden haben, wohl aber in der Wirklichkeit, wie er sie wiederum an anderer Stelle definiert hat, nämlich als Wirkung beim Leser - und da oft viel stärker als echte Reisebeschreibungen. Unterschätzt diese schriftstellerische Leistung nicht - eine Reise, die man tatsächlich unternommen hat, mehr oder weniger humorvoll bis witzig zu schildern, ist ein Kinderspiel verglichen mit der Aufgabe, sich eine Reise auszudenken (mitsamt aller Hinter-Gedanken), und zwar mit Verstand.

Bei wem ist solche Art Verstand nun gewesen? Offenbar nicht bei deutschen Muttersprachlern, denn von denen hat Dikigoros keinen in diese Sammlung aufgenommen - weder den Jean Paul ("Dr. Katzenbergers Badereise" ist nicht satirisch, sondern einfach nur unappetitlich), noch den link[isch]en Mode-Autoren Michael Ende (Bücher für Kinder oder auf Kindskopf-Niveau machen noch keine Satire!) noch die vielen Autoren, die sich am Stoff des "Baron Münchhausen" versucht haben. Sebastian Brant? Gewiß ein großer Satiriker; aber von einem Narrenschiff hätte Dikigoros doch erwartet, daß es etwas weiter in der Welt herum gekommen wäre - und darum geht es ihm hier ja. Grimmelshausen? Tja, da hat Dikigoros lange geschwankt, zumal er ihn auch noch an den Anfang hätte stellen können. Aber wiewohl die mutmaßliche Urfassung des Simplicissimus - ohne Kürzungen und Umschreibungen ad usum Delphini - in höchstem Maße satirisch ist, fehlt abermals der Reise-Aspekt; und in der "Continuatio [Fortsetzung]" fehlt, ganz nüchtern betrachtet, die Satire - und überdies hat Grimmelshausen das, wie die Literaturwissenschaftler inzwischen heraus gefunden haben, alles irgendwo abgeschrieben, z.T. fast wörtlich, sei es bei Olearius, bei Freudenhold, bei Garzoni oder bei Neville. (Grimmelshausen war unheimlich belesen - Hut ab, aber damit kann er hier keine Lorbeeren ernten.)

Auch andere bekannte Stoffe mag der Leser vermissen: Daniel Defoes "Robinson Crusoe" - der hat zwar durchaus selbstironische Passagen, ist aber insgesamt als ganz realistischer Erlebnisroman gedacht. Jules Vernes "Reise zum Mond" hat ebenfalls nichts Satirisches - sie ist zwar utopisch, aber durchaus ernst gemeint. "Sindbads Reisen" aus "Tausend und einer Nacht"? Das ist ein Märchen, aber keine Satire - schon Selbstironie ist den Muslimen durch und durch fremd. Und schließlich Cervantes' "Don Quixote"? Ja, das ist eine Satire, aber nicht auf Reisen oder was man auf ihnen erleben kann, sondern auf die Ritterromane seiner Zeit. So bleiben denn zwei Briten (obwohl ihr Humor so gar nicht "typisch britisch" ist), zwei Ungarn (wenngleich keiner der beiden auf Ungarisch geschrieben hat), zwei Franzosen und zwei Russen.

Warum aber ist niemand aus dem literarisch sonst so reichen 19. Jahrhundert dabei? Klafft da nicht eine auffallende zeitliche Lücke zwischen den Autoren des 18. und denen des 20. Jahrhunderts? Sollte es dazwischen wirklich keine Satiriker gegeben haben? Nein, Dikigoros fallen jedenfalls keine ein - vielleicht war jenes Jahrhundert zu "vernünftig" oder jedenfalls zu vernunftgläubig. Aber er läßt sich gerne belehren; Leser, die es besser wissen, können ihm das hier mailen.

Was macht eigentlich den Wert einer Satire aus? Welchen Gewinn können wir daraus für die Wirklichkeit ziehen, den wir aus einer "normalen" Reiseschilderung nicht ziehen könnten? Wie schon eingangs bemerkt, dürfen gewisse Wahrheiten nicht gar zu offen einher kommen, sondern müssen sich in das Gewand des Unseriösen hüllen, um geduldet zu werden. Das war schon im Mittelalter so, als die Herrscher sich so genannte Hofnarren hielten, die ihnen Dinge sagen durften, die sich die "seriösen" Ratgeber nicht auszusprechen trauten, weil sie gar zu unangenehm waren - nämlich für die Herrscher. (Zumindest einen Teil dieser Funktion hat das Kabarett bis in unsere Gegenwart hinüber gerettet - welchem Polit-Bonzen dürfte man sonst noch die peinliche Wahrheit über ihn und seine Machenschaften ins Gesicht sagen oder gar in der Öffentlichkeit verbreiten, ohne sich gleich eine Beleidigungsklage einzufangen und politisch verfolgt zu werden? Bei manchen Hanswürsten, pardon Kandidaten reicht es freilich aus, sie zusammen auf die Fernseh-Bühne zu stellen und über ihre politischen Konzepte disputieren zu lassen - schon hat man eine Lachnummer!)

Aber es müssen ja nicht immer die eigenen Leute sein, denen man den Spiegel vorhalten will, ohne es zu dürfen. Ein ganz besonderes Kapitel sind Äußerungen über unsere lieben ausländischen Freunde in aller Welt, deren Länder man so gerne besucht, und über die doch jeder Daheimgebliebene so gerne etwas hören und lesen möchte - freilich nur das, was er eh schon zu wissen glaubt, um seine Vorurteile bestätigt zu bekommen. Wenn jemand es wagen würde, von diesen vorgefaßten Meinungen abzuweichen, weil er sich etwa unterwegs die Welt mich offenen Augen angeschaut und sich dabei womöglich eine andere Welt-Anschauung gebildet hat (wahrscheinlich, indem er unerlaubterweise vom Pfad der Tugend, d.h. der gut abgeschirmten Touristenhotelburgen und der in seiner eigenen Muttersprache geführten Gruppen-Exkursion abgewichen ist), dann könnte er sich mit einem ernsthaften Reisebericht eine Menge Ärger einhandeln. Also bleibt nur der Ausweg der Satire: Man tut so, als ob man es alles gar nicht so ernst meine, macht sich selber zum Clown, und läßt durch die Hintertür halt doch ein paar Seitenhiebe herein. Oder glaubt Ihr im Ernst, liebe Leser, daß der eingangs zitierte Satz von Kishon von irgend jemandem ungestraft ernsthaft vertreten werden dürfte? Er entspricht zwar der Wahrheit (jedenfalls für die meisten Reisenden, die im übrigen meist selber daran schuld sind :-) aber wenn er mit dem Anspruch auf dieselbe verbreitet würde, gingen womöglich Arbeitsplätze in der Tourismus-Industrie verloren (im In- und Ausland), und wer will das schon verantworten?

Wie gesagt, eine gute, d.h. wirksame Satire zu schreiben ist ein schwieriges Unterfangen, denn wenn man die Wahrheit allzu sehr verhüllt, wird sie vielleicht nicht mehr von allen Lesern erkannt; und wenn man sie allzu dürftig bekleidet, schreit der gutmenschliche Zensor: "Halt, FFK ist verboten!" und greift zur Schere. Allerdings haben kluge Zensoren durchaus Möglichkeiten, dem Leser Sand in die Augen zu streuen, ohne die unliebsamen Werke gleich ganz vom Markt zu nehmen. Werft doch mal einen Blick auf die Bücher, die Dikigoros für Euch ausgewählt hat und versucht Euch zu erinnern, wann und in welcher Form sie Euch zum ersten Mal begegnet sind: "Gullivers Reisen" von Swift wahrscheinlich schon in jungen Jahren, als Kinderbuch, in dem nur die beiden Reisen zu den Riesen und zu den Zwergen ("Lilliputanern") enthalten waren, nicht aber die beiden - ungleich biestigeren und aktuelleren - Reisen zu den Bildungspolitikern (Pisa läßt grüßen :-) und zu den Pferden. Mit Voltaires "Candide" hat man die Schüler aus Dikigoros' Generation zwar an den neusprachlichen Gymnasien auch in Deutschland pflichtlektüremäßig mehrere Monate traktiert, aber nur in der gekürzten Ausgabe von Larousse, um die armen Schüler sprachlich nicht zu überfordern (merkwürdig nur, daß diese Ausgabe ad usum Delphini auch an französischen Schulen bis heute dominiert)! Radistschews Reise von Sankt Peterburg nach Moskau wurde schlicht verboten und kursierte nur in Samizdat-Ausgaben (nein, liebe Kommunisten-Feinde, das gab es nicht erst unter den Sowjets - die SU war auf vielen Gebieten die direkte Erbin des Zarenreiches!), und wenn Ihr Wessis seid, habt Ihr von diesem Buch wahrscheinlich eh noch nie gehört, ebenso wenig von Szathmárys "Reise nach Kazohinien", einer Neufassung von Swifts "Gulliver". Da brauchte man gar nicht viel zu zensieren, denn wer kann schon Esperanto - man hat es einfach nicht übersetzt. Aber Kishon, den kennt doch jeder. Wirklich? Nun, liebe Leser, lest einfach mal, was Dikigoros bei ihm gefunden hat - vielleicht habt Ihr über einiges vor lauter Lachen hinweg gelesen, wie bei Swift? Sillitoes "Reisen in Nihilon" ist ein schlechtes Buch - wie Sillitoe überhaupt ein schlechter Schriftsteller ist; daß er gleichwohl einigen Erfolg hatte (zumindest in englisch-sprachigen Ländern) zeigt nur, wie sehr die Kunst der Satire im 20. Jahrhundert weltweit auf den Hund gekommen ist, und man sollte sich ja auch einmal fragen, warum das so ist.

Gibt es nichts mehr, das es lohnt auf die Schippe zu nehmen? Oder ist es zu gefährlich geworden, weil der Zensor und der Staatsanwalt eben doch überall Straftaten vermuten und gegen unliebsame Autoren vorgehen? Oder gibt es Dinge, die man weniger kompliziert als in einem Buch einfach in einem Witz ausdrücken kann, wie dem ganz oben abgebildeten Comic ohne Worte? Was will uns der Zeichner damit sagen, und was gibt es an dieser Aussage, das in Buchform besser und vor allem schneller vermittelt werden könnte? Eigentlich nichts, zumal sich der mündige Leser (und die soll es ja auch unter Comic-Betrachtern geben :-) auch mal ein paar Gedanken im eigenen Kopf machen soll, ohne daß ihm gleich alles schön witzig ausformuliert in die Hand gedruckt, pardon gedrückt wird. Einige der hier vorgestellten Bücher gibt es inzwischen auch in Form von gezeichneten Comics, aber ohne großem Erfolg, obwohl wir im Zeitalter der Comics und Sprachblasen leben, die - nicht nur unter Kindern - weit höhere Auflagen erzielen als reine Textausgaben. Wir dürfen uns also mit dem Gedanken trösten, daß es für solche Texte immer noch eine Leserschaft gibt. Auffallend ist allerdings, daß es im Internet zwar eine Menge Seiten über die Satire im allgemeinen und die politische Satire im besonderen gibt, auch einiges Allgemeines über Swift, Voltaire usw., aber kaum etwas Brauchbares über diese ihre Bücher (wie man auch an folgenden Liste der zur Vertiefung empfohlenen Artikel sehen kann). Dikigoros will versuchen, diese bedauerliche Lücke ein wenig schließen zu helfen.

[Satire] [Satire]

VON RIESEN UND LILLIPUTANERN
Jonathan Swift, Gulliver's Travels (1726)

[Satire] [Satire] [Satire]

DIE UNSCHULD IM AUSLAND
François Marie Arouet ["Voltaire"],
Candide ou l'optimisme (1759)

[in Vorbereitung]

FROM RUSSIA WITH LOVE
Aleksandr Nikolajewitsch Radistschew,
Puteschestwie iz Peterburga w Moskwú (1790)

[noch in Arbeit!]

TRIUMFALE REISE IN DIE PROVINZ
Louis Faragoule ["Jules Romains"],
Knock ou le triomphe de la médecine (1924)

[Noch in Arbeit!]

VON JERUSALEM NACH MOSKAU
Michaïl Bulgakow, Master & Margarita (1940)

Satire

DIE HOFFNUNG STIRBT ZULETZT
Sándor [Alexander] Szathmári,
Vojaĝo al Kazohinio (1938)

[Satire]

EIN ISRAELI AUF REISEN
Franz Hoffmann ["Ephraim Kishon"],
The Seasick Whale (1963)

[Satire] [Satire] [Satire]

REIF FÜR DIE INSEL ALLEN ÜBELS
Alan Sillitoe, Travels in Nihilon (1971)
als Anhang: Jet Lag Travel Guides

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UND DIESE SEITEN EMPFIEHLT DIKIGOROS ZUR VERTIEFUNG:

Der bedeutendste englischsprachige Satiriker. Zum 350. Geburtstag von Jonathan Swift (von Manfred Orlick)
Why Socialists Don't believe in Fun (von Eric A. Blair alias "George Orwell")
[eine Kritik an Swift, die noch viel mehr auf Szathmári zuträfe, den Orwell aber wohl nicht kannte]
Imaginary Places (Interview mit Alberto Manguel über Utopia, Robinson und Gullivers Reisen)
Die Monster sind unter uns - viele waren gar kein Seemannsgarn (von Maren Peters)

Candide Website links (die leider nicht alle funktionieren)
Das Erdbeben von Lissabon war ein Medienereignis ersten Ranges (von Jörg Trempler, 2005)
("Vor 250 Jahren geriet Europas Optimismus ins Wanken")
Historical Depictions of the 1755 Lisbon Earthquake (von Jan T. Kozak & Charles D. James)
Der Jesuitenstaat von Paraguay (von Uwe Schmengler)
Voltaire, Nietzsche und die Juden. Waren die Philosophen Hitlers Wegbereiter? (von Ursula Homann)
Illustrations in the 1778 and 1787 Editions of Candide (Universität Chicago)
The Problem with 'Candide' (von Mark Thomas Ketterson)
Querdenker Voltaire... 1741 so verboten wie heute wieder (von Chaim Noll)

Following Radishchev: A Journey From Petersburg to Moscow (von Anthony Cross)
Rußland. Das Dorf Zukunft (von Matthias Schepp)
("Auf dem Land gilt noch immer die Bestandsaufnahme des Schriftstellers Radischtschew... Auch heute ist Buduscheje überall.")

Les malades imaginés. La pathologie des hommes de bonne volonté (von "Amateur")
War die Schweinegrippe bezahlte Panikmache? (Yahoo News Blog 2010)
Coronismus (von Marcus J. Ludwig, 2021)

"Mit mir ist der Humor zuende..." (Interview von Ernst Grabovszki mit Ephraim Kishon)

Lazarus Ludwik Zamenhof und die Geschichte der Esperanto-Bewegung (von Eva-Maria Stuckel)

nur noch bei Dikigoros: Das China-Syndrom (Realsatire von Rolf Schilling/ZYN Satire-Magazin)

[Der "1. Tag" erinnert Dikigoros irgendwie an das 10. Kapitel von "Travels in Nihilon". Ihr meint, liebe Leser, der Rest sei doch etwas übertrieben und könne daher nicht als "Real"-Satire bezeichnet werden? Dann irrt Ihr ganz gewaltig und solltet die zugrunde liegenden Fakten einmal hier nachlesen oder - auf Deutsch - hier oder hier. Satirisch sind allenfalls die wenig zartfühlenden Gedanken und flapsigen Bemerkungen des Ich-Erzählers.]
China - The Long March to Capitalism (In Defence of Marxism)
An Overview of the Famine (Auszüge aus: Jasper Becker, Hungry Ghosts, Mao's Secret Famine)
Hungry Ghosts: Mao's Secret Famine[kurze Besprechung des vorgenannten Buchs von Jasper Becker,
mit einem Seitenhieb auf Harvard-Professor John Fairbank - den Annomario Schimmel der Sinologen]
Who China Lost (von John Derbyshire) [wie vor]
The Great Leap Forward into Starvation (von Arnold R. Isaacs) [wie vor]
Trapped By Their Own Lies. How Mao Zedong plunged China into famine (von Todd Crowell)


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