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(2) Die Hauptthemen und Bedeutung von Andorra

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In diesem Teil werde ich die Absicht des Autors erklären, indem ich erwähne was er mit dem Stück sagen wollte. Natürlich wollte Max Frisch ein Zeichen gegen Vorurteile und Diskriminierung setzen, aber er hatte auch genauere Ideen. Die zwei Hauptthemen sind, dass man „kein Bildnis“ (das heißt keine Stereotypen oder Vorurteile) von jemandem haben soll; und auch, dass Menschen die Verantwortung für solche Ereignisse (besonders während der Nazizeit und des zweiten Weltkriegs, obwohl das Stück auf jegliche Situation anwendbar ist) akzeptieren sollten. Hier will er die Schweiz insbesondere kritisieren.

Bildnisse

Dort ist natürlich die wichtige Moral, dass Antisemitismus (wie alle Arten von Verfolgung) keine Rechtfertigung hat: es ist reines Vorurteil und kann nur das Leben zerstören, indem unschuldigen Menschen in die Verzweiflung und ins Abseits getrieben werden (zum Beispiel das Leben von Andri, obwohl er wirklich kein Jude ist). Max Frisch will, dass wir darüber in einem größeren Umfang nachdenken, dass man sich „kein Bildnis“ von anderen Menschen machen soll. Die Andorraner glauben, sie wissen, wie Andri ist. Wenn sie Andri sehen, sehen sie nur ihr Bildnis von einem Juden - und dieses Bildnis besteht nur aus Stereotypen und Vorurteilen. Sie sehen in Andri den typischen Juden und behandeln ihn nach diesem vorgefassten Bild. Sie sehen nicht, wie Andri wirklich ist, und schließlich sind sie die Ursache Andris Todes.

Dieses Thema ist eines der wichtigsten Moralen des Werkes. Es wird in der Bibel gesagt „du sollst dir kein Bildnis machen, von Gott“. Das ist das zweite Gebot. Max Frisch meint, dass das auch für „Gott als das Lebendige in jedem Menschen, das, was nicht erfaßbar ist“ gelten muss: die Seele. Anders gesagt: wir sollen leben und leben lassen.

Diese Bildnisse haben schwere Folgen, indem Andri sich deswegen stark verändert. Am Anfang des Stückes ist er ein normaler, heiterer junger Mann, der Tischler werden will. Aber die Andorraner haben ihr Bild von Andri als Jude gemacht. Sie verfolgen ihn ständig, erlegen ihm ihre Erwartungen und Verhaltensweisen auf, und behandeln ihn ungerecht, indem sie ihn nicht sein lassen, wie er wirklich ist. Sie zwängen ihn in eine bestimmte Rolle hinein, so dass er unter dem Zwang dieser Klischees allmählich diese Eigenschaften annimmt. Sie wollen nicht sehen, und können deshalb nicht sehen. Zum Beispiel am Anfang glaubt Der Tischler, dass Juden nur mit Geld arbeiten wollen, (obwohl Andri wirklich Tischler werden will). Im siebenten Bild sehen wir aber, dass Andri angefangen hat, Geld zu sparen, und er sagt: „ich muss reich werden“. Er fängt auch an, andere Eigenschaften anzunehmen die man Juden nachsagt, zum Beispiel reibt er sich die Hände. Seine Persönlichkeit wird negativ beeinflusst. Er verbittert und glaubt keiner mag ihn: sogar Der Lehrer, der es nicht zulässt, dass Andri Barblin heiraten darf (aber nur, weil er weiß, sie sind Geschwister).

Es ist ja nur menschlich, Stereotypen zu bilden, aber Max Frisch versucht zu sagen, dass sie sehr gefährlich sind, besonders wenn sie dadurch im Umgang mit anderen Menschen beeinflusst werden (sowie die Andorraner Andri verfolgen). Er glaubt, man solle seine Vorurteile durch Kontakte beseitigen.

Verantwortung

Andorra beschäftigt sich mit Antisemitismus, aber es zeigt auch, dass alle Vorurteilen dumm und unmenschlich sind, und oft gefährliche Folgen haben können. Es appelliert aber auch an unsere Verantwortung die wir gegenüber Einzelnen haben, wenn es um das Schicksal missverstandener Minderheiten geht. Wir müssen uns fragen „wer trägt die Verantwortung?“

Dieses Thema der Verantwortung ist wichtig, weil man nicht etwas aktiv machen muss, um verantwortlich zu sein. Zum Beispiel in Der andorranische Jude heißt es: „die meisten Andorraner taten ihm nichts. Also auch nichts Gutes“. Wir sind auch verantwortlich, wenn wir etwas passieren lassen, wenn wir nicht gegen die Ungerechtigkeiten protestieren, und passiver Zuschauer bleiben, dann machen wir auch mit.

In den Vordergrundszenen, die zwischen den Bildern kommen, machen alle Charakteren ein sogenanntes „Bekenntnis“ auf einer sogenannten Zeugenbank. Es heißt ein Bekenntnis, aber mit Ausnahme Des Paters beteuern alle Andorraner ihre Unschuld am Ausgang der Geschichte. Obwohl er sagt „auch ich bin schuldig geworden damals… auch ich habe mir ein Bildnis gemacht von ihm… auch ich habe ihn an den Pfahl gebracht“. Mit diesem „auch“ drückt er neben seiner eigenen Schuld die Kollektivschuld der Andorraner aus, da es ihr Denken, ihr Sagen und ihre Geisteshaltung war, die zu einem Bild des Juden geführt haben.

Die anderen Andorraner haben alle ihre Ausreden, warum sie persönlich keine Verantwortung haben. Diese zeigen uns aber nur ihre Dummheit und Gleichgültigkeit. Keiner denkt über sein Verhalten, seine Feigheit oder seine Vorurteile nach, stattdessen wollen sie sich nicht mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Sie wollen keineswegs die Verantwortung für Andris Tod übernehmen, und (noch schlimmer) bereuen sie noch nicht einmal ihr Verhalten. Zum Beispiel sagt Der Wirt, er hätte „nicht wissen können“ ; und Der Tischler, dass alles „später“ gekommen ist. Der Geselle glaubt, „es lag halt auch an ihm, sonst wär's nie so gekommen“ (und Der Wirt sagt später, er glaubt Andri „macht die Leute rein nervös“). Der Soldat sagt, dass man nicht wusste, „dass er keiner war“, während er selbst „nur seinen Dienst getan“ habe. „Order ist Order. Ich war Soldat“ sagt er. Man muss daran denken, dass er Andri verraten, die Judenschau organisiert, und dem Judenschauer aktiv geholfen hat Andri zu „identifizieren“. Der pompöse Doktor sagt, dass er „nie an Mißhandlungen teilgenommen“ habe, (was eine totale Lüge ist), und, dass „sein [das heißt Andris] Benehmen (was man leider nicht verschweigen kann) mehr und mehr … etwas Jüdisches hatte“. Er glaubt, dass das eine Ausrede ist. Wir wissen aber, dass es eine der Folgen seiner eigenen Taten war. Die Andorraner haben auch andere Motive: Der Wirt wird zum Sündenbock für sein Verbrechen; Der Soldat will Barblin haben.

Vielleicht ist die Meinung, die am besten die Einstellung der meisten Leute nach dem Krieg wiederspiegelt diejenige von Dem Jemand. Er sagt „Nichts ist erwiesen worden“ und „Einmal muss man auch vergessen können, finde ich“. Er will seine Ruhe und seinen Frieden haben, und steht dabei für all jene, die diese Gewalt tolerieren oder nicht sehen wollen, sich dumm stellen oder ganz einfach gleichgültig sind. Jeder Einzelne spielt seine Rolle - sie dürfen nicht etwas einfach geschehen lassen. Wenn eine Person allein Widerstand leistet kann man nicht viel erreichen, aber wenn jeder der glaubte dass das was Andri passierte nicht gerecht war etwas gemacht hätte (wie Barblin), hätte es anders geendet. Natürlich muss man sich auch daran erinnern, dass dies wegen der Propaganda während der Nazizeit nicht einfach gewesen wäre.

Diese Ausreden spiegeln die Ausreden der Soldaten und Deutschen nach dem Krieg wieder, (zum Beispiel glaubten wegen der Propaganda viele, dass die Juden selbst schuldig waren; die Soldaten sagten, die führten nur Befehle aus und so weiter).

Außer Dem Lehrer (der weiß, dass Andri wirklich kein Jude ist), ist Barblin die einzige Person, die kein Bildnis von Andri macht, und ihn nicht verurteilt. Das ist, weil sie Andri liebt (zuerst als seine Freundin, aber sobald sie herausfindet, er ist ihr Bruder, verwandelt sich ihre Liebe in schwesterliche Liebe.) Hiermit meint Frisch, dass man Klischees nur durch Liebe abbauen kann, indem man jeden Menschen als Einzelnen betrachtet und ihn frei entfalten lässt. („Ausgenommen, wenn wir lieben“) (Der andorranische Jude). Es muss aber auch gesagt werden, dass dies zu idealistisch und einfach ist. Man hätte Hitler nicht mit Liebe bekämpfen können. Man muss auch andere Maßnahmen (zum Beispiel Bildung und Gesetze) benutzen.

Ich glaube, dass obwohl alle Charakteren behaupten sie seien unschuldig, man wegen ihrer peinlichen und lahmen Ausreden sehen kann, dass sie in Wirklichkeit alle (außer Andri selbst und Barblin) einen Teil der Verantwortung teilen. Insbesondere Der Soldat, weil er genau wissen musste, was die Folgen seiner Taten sind, auch wenn es ihm aufgetragen wurde. Natürlich darf man nicht vergessen, dass wenn Der Lehrer nicht gelogen hätte, und den Mut gehabt hätte später die Wahrheit zu sagen, nichts passiert wäre. Der Lehrer macht kein Eingeständnis, aber seine Ausrede ist „die Lüge ist ein Egel, sie hat die Wahrheit ausgesaugt“ (Fünftes Bild). Die Unterschied ist, dass er weiß, dass seine Ausrede nicht gut ist, und er weiß, dass er verantwortlich ist. Am Ende versucht er dafür zu sühnen, indem er Selbstmord begeht.

Es ist aber sehr leicht, wertend zu sein. Nicht die ganze (fast keiner) der deutschen Bevölkerung war während der Nazizeit böse, sondern wurde nur von Hitler und seiner Propaganda beeinflusst. Obschon es die meisten nicht zugeben würden, ist es möglich, dass, wenn Hitler britisch gewesen wäre, etwas Ähnliches hier hätte passieren können. Niemand will glauben, dass sie an solchen Grausamkeiten teilgenommen hätten - aber vielleicht hätte fast jeder im dritten Reich wegen der Propaganda und der Gewalt und der Diktatur dasselbe gemacht. Wie Der Doktor in Andorra sagt, war es damals „eine aufgeregte Zeit“. Deswegen soll man die damaligen Deutschen nicht hart verurteilen. Aber sie (wie die Andorraner) tragen noch die Verantwortung.

Aber obwohl Der Lehrer offensichtlich einen sehr großen Teil der Verantwortung tragen muss, hat Max Frisch ihn sympathisch dargestellt. Der Autor will, dass wir ihn nicht hart verurteilen, weil er nur ein Charakter in dieser Handlung ist: er symbolisiert keinen der Menschen, die am Krieg beteiligt waren. Im Gegensatz dazu hat er Den Soldaten als ein gefühlloses Tier dargestellt, das Barblin vergewaltigt. Es ist sehr schwer, Mitleid für ihn und auch für Den pompösen Doktor zu haben (im Vergleich zu den anderen wie Der Jemand oder Der Wirt, die auch schuldig sind, aber fast keine Persönlichkeiten haben). Vielleicht, weil Max Frisch selbst glaubt, dass die Soldaten und die Intellektuellen, die die Nazis unterstützten, die meiste Schuld tragen.

Der Symbolismus des Landes Andorra selbst

Es sind nicht nur die Charakteren, die etwas symbolisieren, sondern auch das Land Andorra selbst. Die Andorraner glauben, sie seien unschuldig, aber auch, dass ihr Land „schneeweiß“ (schön, friedlich, fromm) sei (zum Beispiel Der Doktor sagte „Kein Vaterland in der Welt hat einen schöneren Namen und kein Volk auf Erde ist so frei“ (Viertes Bild)). Hier kritisiert Max Frisch die Schweiz, sein Heimatland, denn die Schweiz ist ein neutrales Land und stolz auf ihre Freiheit und Eigenständigkeit, und hat immer gesagt, sie habe keine Vorgeschichte von Verfolgung oder Antisemitismus.

In den letzten Jahren sind aber schweizerische Taten aufgedeckt worden. Im zweiten Weltkrieg hat sie zum Beispiel die Augen weggedreht und nicht gegen die Gräueltaten protestiert. Ein Beispiel dafür ist, dass man glaubt, dass die Schweizer Grenzenpolizei wollte, dass die Nazis ein „J“ in jüdische Reisepässe stempelten, so dass sie erkannt werden konnten, und sie haben 1942 42000 jüdischen Flüchtlingen die Einreise verweigert. Seit 1997 gibt es auch den Skandal der Schweizer Banken, die Geld von Juden und Nazigold gehortet haben. Jetzt haben sie angefangen, ihre Verantwortung zu akzeptieren, indem sie einen Fond in Höhe von 17 Millionen Schweizer Franken  gegründet haben, um Juden zu entschädigen, und versuchen, geplünderte Eigentümer an ihre Besitzer zurückzugeben. Sie haben sich offiziell entschuldigt.

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Zum letzten Mal überarbeitet 13. März 2004

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