| | (1) Zusammenfassung der Handlung
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Die Lage
Im Grunde handelt sich Andorra um
Antisemitismus und seine Folgen. Alles passiert in einem Land, das Andorra
heißt. Es ist nicht der europäische Kleinstaat von Andorra, sondern es ist der
Name eines erfundenen Landes, der symbolisch für jedes Land stehen könnte, um
zu zeigen, dass diese Ereignisse in allen Ländern, Zeiten und Kulturen
passieren könnten.
Die Hauptfigur ist ein junger Mann, der Andri
heißt. Andri lebt bei Dem Lehrer (die meisten Nebenfiguren im Stück haben keine
Namen, sondern heißen nur Der Lehrer, Der Wirt, Der Jemand [ein Charakter, der
die „grauen neutralen Massen“ symbolisiert] und so weiter). Der Lehrer hat
allen gesagt, Andri sei sein jüdischer Pflegesohn, den er von den Schwarzen
gerettet und dann adoptiert hat. Die Schwarzen sind feindliche (vermutlich
antisemitische) Leute eines nahegelegenen Landes, die die gerade damit drohen
in Andorra einzudringen. Deswegen glaubte man das Andri ein Jude sei.
Der Zuschauer findet bald heraus, dass Andri nicht
von Dem Lehrer gerettet wurde, sondern sein wirklicher Sohn ist. Jedoch will
Der Lehrer das nicht bekannt machen, weil er zu feige ist zuzugeben, dass er
ein uneheliches Kind hat. Die einzige Person, die das weiß, ist Der Lehrer
selbst – sogar Andri weiß es nicht. Der Lehrer fühlt sich schuldig und will die
Wahrheit sagen, aber kann es nicht. Er leidet unter seinen Lügen, und trinkt
zuviel.
Am Anfang des Stückes ist Andri heimlich mit
Barblin, der Tochter „des Lehrers“ verlobt. Natürlich wissen sie noch nicht,
dass sie Geschwister sind.
Entwicklungen
in der Handlung
Im Verlauf der ersten sechs Bilder versucht
Andri, seine Träume zu verwirklichen. Er will sich eine Lebensgrundlage
schaffen, indem er eine Tischlerlehre beginnt und eine Familie gründen, indem
er Barblin heiratet. Die Andorraner verhindern diese Träume, genauso wie sein
Vater. Der Tischler will ihm keine Lehre anbieten, weil er nicht will, dass ein
Jude für ihn als Geselle arbeitet. Er ist der Meinung, Juden sollen und wollen
nur mit Geld arbeiten, und deswegen hat er absichtlich viel zuviel Geld für die
Lehre verlangt. Der Lehrer zahlt aber diese übertrieben hohe Summe, und Der
Tischler ist gezwungen Andri zu nehmen. Er tadelt aber Andri für schlechte
Arbeit, obwohl er weiß, dass Andri diese Arbeit nicht getan hat. Er zwingt ihn
stattdessen im Büro mit Geld zu arbeiten („Das ist's, was deinesgleichen im
Blut hat ... du kannst Geld verdienen“) (Drittes Bild).
Das ist das frühste der vielen Beispielen von
Stereotypen, Vorurteilen, Abweisungen und Diskriminierungen im Stück. Im
Allgemeinen glauben die Andorraner, Juden seien geizig, feige, unpopulär; haben
keine Gefühle; und wollen nur mit Geld arbeiten. Zum Beispiel Der (pompöse und
nationalistische) Doktor sagt „Ich kenne den Jud … das Schlimme am Jud ist
sein Ehrgeiz“ und „Auch ich habe Juden gerettet, obschon ich sie nicht
riechen kann“. Man sieht aber, er ist nur neidisch, weil er selbst wenig
Erfolg gehabt hat: „In allen Ländern der Welt hocken sie auf allen
Lehrstühlen“ (alle aus dem Vierten Bild). Sie machen Andri zum Außenseiter
und schieben ihm dann die Schuld für sein Anderssein zu. Wegen dieser
Diskriminierungen fängt Andri allmählich an, an sich zu zweifeln.
Zunächst fragt Andri Den Lehrer, ob er Barblin
heiraten darf. Der Lehrer ist total überrascht und kann der Verlobung nicht
zustimmen. Andri glaubt, dass sogar sein „adoptierter“ Vater wie alle anderen
sei, und meint, er sei wegen seiner jüdischen Religion nicht gut genug für
seine Tochter. Er fängt an, auch seinem Vater zu misstrauen. Er wird von den
meisten Andorranern öffentlich verfolgt, und leidet unter der ihm
aufgezwungenen Identität. Er wird ernster, verunsichert, misstrauisch,
nachdenklich und verbittert und will Andorra verlassen. Er nimmt allmählich die
Eigenschaften an, die man Juden nachsagt: zum Beispiel spart er Geld, zählt
Münzen und reibt seine Hände. Aber es ist sehr wichtig zu verstehen, dass er
diese Eigenschaften nur entwickelt hat, weil er verfolgt wird - die Andorraner
haben eine sich selbst bewahrheitende Voraussage geschaffen: ein Teufelskreis
aus ihren bestätigten Vorurteilen und seiner Hilflosigkeit. Der Pater will
Andri helfen, aber sogar er hat Vorurteile gegen Juden, auch wenn sie mehr
positiv sind, wie „Juden sind gescheiter“ (Siebtes Bild). Er verweist
auf diese herausragenden Eigenschaften, und sagt Andri, er solle sein
Anderssein akzeptieren - aber weitere Klischees (sogar sogenannte „positive“)
helfen nicht, weil er nicht anders sein will. Andri fühlt sich allein und
verlassen und völlig als Außenseiter. Der Pater trägt deshalb auch zu seinem
Schicksal bei. Andri ist sehr traurig und bricht zusammen; auch, weil Der
(unangenehme und gewalttätige) Soldat Barblin vergewaltigt hat.
Endlich entscheidet Der Lehrer, die Wahrheit zu
sagen, aber er ist immer noch ein Feigling. Er bittet Den Pater mit Andri zu
sprechen, der versucht, Andri zu helfen – aber es ist zu spät. Andri fühlt sich
jetzt als Jude, da er wegen der ständigen Spötteleien der Andorraner sich
selbst beobachtet hat, um herauszufinden, ob er diese sogenannten jüdischen
Eigenschaften hat - und obwohl er es nicht wahrhaben will, ist ihm jetzt
vollkommen klar, dass er anders ist. Sein Selbstbewusstsein ist zerstört
worden. Andri glaubt Dem Pater nicht und will nicht zuhören („Wieviele
Wahrheiten habt ihr?“ (Neuntes Bild)).
Er identifiziert sich völlig mit den Juden, und
hat sein Schicksal als jüdischer Märtyrer akzeptiert. Er weiß, dass er sterben
wird („Ich hab’s angenommen. Jetzt ist es an Euch, Hochwürden, euren Jude
anzunehmen“ (Neuntes Bild)).
Der
Schluss
Bis jetzt hatten alle Angst, dass die Schwarzen
angreifen. Sie sagten alle, dass Andorra nicht überfallen wird, weil es ein
Land des Friedens und der Menschenrechte sei („Unsere Waffe ist unsere
Unschuld“). Trotzdem überfallen Die Schwarzen sie, und alle kapitulieren
einfach, indem sie sich entwaffnen lassen und nicht kämpfen. Die Soldaten
suchen Andri, er wird gefesselt und abgeführt: zum Schluss findet eine
spektakuläre Judenschau statt.
Frisch hat die Judenschau absichtlich grotesk
gemacht, um zu zeigen, wie lächerlich alles ist. Zum Beispiel identifiziert der
Judenschauer Juden, indem er nur auf ihre Füßen schaut - eine schreckliche
Methode, Menschen zu beurteilen. Obwohl solche Verbrechen gegen Juden in der
Nazizeit passierten, wurde diese Methode natürlich nicht benutzt, aber diese
lächerlichere Tat erinnert an die grausame Methoden, die tatsächlich von den
Nazis angewendet wurden. Alle Andorraner müssen sich mit schwarzen Tüchern über
ihre Köpfen vermummen und am Judenschauer vorbeigehen. Der Lehrer protestiert
ein bisschen, aber endlich vermummt er sich auch. Es ist jämmerlich: einige
gehen in die falsche Richtung, weil sie nicht sehen können.
Nur Barblin hat den Mut, sich für Andri
einzusetzen und Widerstand zu leisten, indem sie sich weigert, über den Platz
zu gehen. Sie versucht allen zu sagen, dass Andri kein Jude ist, sondern ihr
Bruder ist, aber die anderen denken nur an sich und wollen sich retten. Der
Jemand wird als erster genauer inspiziert, darf aber mit der Hilfe von Dem
Soldaten weitergehen, bevor der Judenschauer Andri als Jude „identifiziert“,
und von Soldaten abgeführt wird. „Man hört nur einen Schrei“ (Zwölftes
Bild), und muss annehmen, dass Andri ermordet wird. Seine Schuhe stehen während
des Restes des Stückes noch an der Bühne als ein Symbol.
Am Ende finden wir heraus, dass Der Lehrer
Selbstmord begangen hat, weil er glaubt, er ist schuldig. Barblin (die als
„Judenhure“ geschoren worden ist) wird verrückt – somit ist sie auch eine Opfer
des Antisemitismus. Wie am Anfang des Stückes weißelt sie, damit Andorra wieder
„schneeweiß“ werden kann, da weiß die Farbe der Unschuld ist.
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