DAS GEFAEHRLICHE SPIEL MIT DEN TOTALITARISMEN
Dangerous Gambling with Totalitarianisms
Hans Bergel hat sich wieder mal auf sein beliebtes Steckenpferd, den Anti-"Bolschewismnus" geschwungen und verdammt weitsichtigere Leser, die auch ueber ein Quaentchen kritischen Geistes und historischen Sachverstandes verfuegen, zunaechst zur Sprachlosigkeit, dann zu Verwunderung und schliesslich zu bedrueckender Betroffenheit. Ja, Bergel schafft es, mit seinen Weisse(n) Flecken in der Zeitgeschichte. Der Krieg nach dem Krieg in Rumaenien, von dem niemand wusste (Suedostdeutsche Vierteljahresblaetter, 51. Jg., Heft 1, München 2002, S.71-78) beim anspruchsvollen Leser eine drueckende Betretenheit hervorzurufen, ob seiner recht aufdringlich servierten Rezeptur in Sachen der sogenannten "Partisanen", die in absoluter Minderzahl von ein Paar hundert dem kommunistischen Regime bis in die fruehen 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts einen angeblich ehrenhaften, von hehren Freiheitsidealen geleiteten Widerstandkampf in den rumaenischen Gebirgen, vor allem in den Suedkarpaten, Paroli zu bieten glaubten. Ebenso aufdringlich faellt auch Bergels Heroisierungsversuch dieser rechtschaffenen Kaempfer fuer die nationalen Freiheiten der Rumaenen aus.

Der in Rumaenien bereits fortgeschrittenen Verklaerung und Mythisierung dieser politischen und ideologischen Minderheit von Aussenseitern leistet Bergel mit Formulierungen, die jeder Verhaeltnismaessigkeit spotten, einen recht fragwuerdigen Vorschub. Es besteht Kontinuitaet zu frueheren Wortmeldungen Bergels: auch hier kann er von seinem Faible fuer den Menschentyp nicht lassen, der sich in der Zwischenkriegszeit fragwuerdig problematischen Ueberzeugungen verschrieb und sich fuer diese auch nach deren eindeutiger Widerlegung und Entzauberung durch den Ausgang des Zweiten Weltkriegs fanatisch einsetzte.Und in Verbindung mit diesen zum Idealtypus erhobenen Heckenschuetzen mutet Bergel dem Leser manche unueberbietbare Gipfelpunkte der Groteske und des verbalen Zynismus zu. Diese diskursmaessigen Auswuechse werden von der durchgaengigen Schwarzweissmalerei bedingt, die Bergels Text zugrunde liegt. Hier die Boesen, die Teufel, die verbrecherischen Kommunisten, dort die Lichtgestalten der Partisanen.

Diese Bemerkung zieht nicht in Zweifel, dass der Kommunismus viele Untaten zu verantworten hat, doch sie moechte darauf hinweisen, dass die kommunistische Willkuer zuweilen auch die richtigen traf. Bergel zieht die einfachste, unkomplizierteste, beim Durchschnittsleser sicherlich durchschlagende Verurteilung des Kommunismus vor, die alle Opfer dieses Gewaltsystems ueber einen Kamm schert. Er verfaellt einem Pauschalurteil und verfaehrt in derselben pauschalierenden Weise mit den Opfern, die er, weil sie allesamt Opfer des verhassten Kommunismus waren, auch gleich einstuft. Auf diese Weise wird eine Daemonisierung des Kommunismus erzeugt. Doch es bedarf der Differenzierung von den Opfern her. Der Kommunismus hat unzaehlige unschuldige Opfer zu verantworten, aber ebenso gilt, dass manche die Rache dieses Systems sich zurecht zuzogen. Und zu dieser letzteren "Opfer"-Gruppe sind auch die von Bergel mit Lobeshymnen gefeierten "Partisanen" zu zaehlen.

Es zeigt sich bei naehrere Betrachtung, dass diese Leute den Kommunismus in zweifacher Weise herausforderten und dass es in keinem dieser Faelle berechtigt ist, weder, dass sich diese als Opfer darstellen, noch, dass sie von dritten als solche herausgestellt werden. Das sollte ihnen naemlich ihre ideologische Ansiedlung im politischen Spektrum der aeussersten Rechten und ihr verbissen-fanatischer Widerstand ausgerechnet im Namen dieser extremen Ausrichtung verbieten. Bergel findet daran keinerlei Anstoss. Im Gegenteil: er gibt vor, "Aufklaerungsarbeit" zu leisten bezueglich der "weissen Flecken in der Zeitgeschichte", die er entdeckt haben will, mit z.T. verwirrenden Formulierungen. So sollen sich unter den "Widerstaendlern" "linkssozialistische Arbeiter" befunden haben. Dass sich extrem Linke oder Sozialdemokraten mit Vertretern der faschistischen "Eisernen Garde" zu Widerstandsgruppen zusammenschlossen, ist recht unglaubwuerdig. Es sollen "Glaubensgruende christlicher Gesinnung eine wesentliche Rolle" gespielt haben. Dass es ein radikalnationalistisches und antisemitisches Christentum war, das diese "Helden des Widerstandes" vertraten, ist Bergel der Erwaehnung nicht wert.

In Verbindung mit der eindeutig ueberheblichen Aussage des idealisierten Widerstaendlers Gavrila-Ogoranu:

Solange es uns im Widerstand gab und die Menschen im Land davon wussten, war der Nation noch nicht das moralische Rueckgrat gebrochen, durfte sie von sich sagen, dass sie Wuerde und Selbstachtung noch nicht ganz verloren hatte,

stellt Bergel eine Behauptung auf, die gerade mit verkehrtem Vorzeichen unter Weglassen des "nicht" und von "zeigt das Verhalten..." zu lesen ist. Erst dann sind die Tatsachen in ihrer blanken Wahrhaftigkeit genannt:

Dass ein solches Credo nicht das Hirngespinst weniger Verrueckter, das wahnwitzige Abenteuer politischer Hasardeure oder Fanatiker war, zeigt das Verhalten der mit Ausnahmen zur Hilfeleistung bereiten Bevoelkerung.

Bergel schenkt der selbstrechtfertigenden und vom Pathos der Selbstverherrlichung durchdrungenen Schrift des Ion Gavrila-Ogoranu _Brazii se frang, dar nu se indoiesc_ (Die Tannen brechen, doch sie biegen sich nicht), Timisoara 1993-1996 vorbehaltlosen Glauben bis hin zur uebereifernden Verinnerlichung. Wenn Gavrila nun alles "ohne Pathos und Ruehrseligkeit" aufgezeichnet haben soll, dann schafft es Bergel mit seinem Hang zur Uebertreibung einen Pathos der Wehleidigkeit und Bemitleidung zu erzeugen, der ganz fehl am Platz ist. Das Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen die "Widerstaendler" beschreibt er in den duestersten Farben - er spricht von "Bestialitaet", von "Moerdertruppe in Uniform", ueber die Ausloeschung von "Familien und Sippschaften", von "ganzen Doerfern", die der "Securitate-Terror an den Rand der Existenzverzweiflung getrieben" haben soll -, um sich auf diesem Hintergrund schuldzuweisender Einseitigkeit ueber die Zeithistoriker zu empoeren, die die Zugehoerigkeit der rumaenischen "Partisanen" "zur gesamteuropaeischen Geschichte der Nachkriegsepoche [...] schaendlich vernachlaessigt" haben. Das ganze gipfelt in den Schlusssaetzen, in denen Bergel beklagt, dass die "juengeren und gluecklicheren Generationen" das "ausserhalb der offiziellen Geschichtsschreibung Berichtete" "nicht ohne Haeme" mit der Frage

Ob denn all das nicht nur vermeintliches Leiden und Erleiden, Auflehnen und Kaempfen gewesen sei?

in Frage stellen. Darauf folgt die zugespitzte Schuldzuweisung, darin aeussere sich

nicht nur die Beleidigung der Gefolterten, Verstuemmelten und Ermordeten und deren Familien, auch nicht nur Impertinenz und Arroganz der Ahnungslosen. Solche Haltung bedeutet eine Gefahr fuer unser aller Zukunft in Freiheit und Demokratie.

Diesem den Bestand der westlichen Zivilisation angeblich gefaehrdenden Misszustand muss laut Bergel mit dringlich gewordener "Bewusstmachung" entgegengetreten werden.

Nun, so hoert sich das Plaedoyer eines absoluten Laien in Fragen der Historiographie an, der sich leidenschaftlich einer Menschengruppe annimmt, die sich sowohl durch ihren extrem-rechten, antisemitischen und rassistischen Hintergrund, wie auch durch ihren zum Inbegriff des Heldentums hochstiliserten Heckenschuetzen-Fanatismus ins politische, soziale und historische Abseits manoevrierte.

Und diese absolut minderheitliche Gruppe mit dem Mythos zu umranken, sie bildete

nach Ansicht der Kenner den moralischen Kern der Rumaenen als Nation

- wer diese Kenner sind, bleibt Bergels wohlbehuetetes Geheimnis -; diese Gruppe in Verbindung zu bringen mit der weitgehenden physischen Vernichtung der

akademischen Elite in den Herrschaftsjahren des Ceausescu-Vorgaengers Gheorghe Gheorghiu-Dej (1901-1965)

und ihre "Ausloeschung" der "Zerschlagung von Kulturkontinuitaet" gleichzusetzen, "deren Ausmasse und Folgen den Rumaenen [angeblich] erst jetzt bewusst werden"; schliesslich die Gleichstellung mit den antikommunistischen Kaempfern in der ukrainischen UPA, in der litauischen Untergrundbewegung und in der polnischen AK-Armee unter Berufung auf deren gemeinsame

Verwurzelung der Widerstandsbereitschaft im Volk

anzustrengen, das ist die von einem Ahnungslosen abgezogene Groteske, dem es ausschliesslich an der Rahabilitation einer von der Geschichte laengst verdammten Randgruppe gelegen ist. Und um diesem Rezepte-Verwalter und Gesundbeter etwas nachzuhelfen in geschichtsfaktischen Belangen:
 
            wie haette eine Behoerde, in unserem Fall die kommunistische, auf bewaffnete, in den Hochgebirgen herumstreunende und zweifelsohne im Guerilla- bzw. Kommandokampf gut ausgebildete, dazu noch ideologisch fanatisierte Gruppe vorgehen sollen, wenn nicht mit Waffengewalt? Wohl mit Samthandschuhen?! Und wie liest sich ein emotionales Plaedoyer, in dem die historisch relevanten und fuer  Wahrheitsfindung und Wahrhaftigkeit entscheidenden Momente von Ursache und Wirkung, von Aktion und Reaktion (=Antwort) geflissentlich zu einer Verkettung von Reaktionen abgeflacht erscheinen zu Gunsten der einen, hier der antikommunistischen Randgruppe und zu Ungunsten der anderen, der kommunistischen Seite?

Und damit aufs engste verflochten steht die Frage der Verantwortlichkeit bzw. des Verantwortungsbewusstseins im Raum, die in Bergels Fuersprache fuer die "Partisanen" recht vergessen dasteht. Denn es heisst durchgaengig: hier die sich fuer eine ganze Nation und deren hoechsten Kulturwerte mit dem Preis ihres Lebens aufopfernden, von Verantwortungsbewusstsein strotzenden Heroen; dort die die Erstickung einer ganzen Nation betreibenden, blutruenstigen Verantwortungslosen. Und die Ironie setzt dem emotional geladenen, geisselnden Diskurs Bergels die Krone auf, weil es sich im Falle der beiden ideologisch und politisch unverseohnlichen Gegner ausschliesslich um Minderheiten handelt, die eben deshalb als gleichwertig, auch in ihrem Mass an Verantwortung bzw. Verantwortungslosigkeit abzuwaegen sind.

Bergel versucht seine These von der "Verwurzelung" der "Partisanen" in der "Widerstandsbereitschaft im Volk" darauf zu stuetzen, dass die rumaenischen Kommunisten bei beilaeufig 20 Millionen Landesbewohnern nur etwa 900 an der Zahl waren, also eine verschwindende Minderheit, welche durch die sowjetischen Bajonette an die Macht gehievt wurde. Das entspricht durchaus den Tatsachen, aber ebenso faktisch und unleugbar ist, dass die etwa 1500 "Partisanen" ebenfalls eine verschwindende Minderheit im Vergleich zur Bevoelkerungsmehrheit ausmachten. Und ebenso unleugbar ist, dass das Regime Antonescu, dessen Verhaeltnisse diese "Partisanen" doch dem Land wieder aufoktroyieren wollten, ein diktatorisch-totalitaerer, un- und antidemokratischer Fuehrerstaat, eine antisemitische und rassistische Ordnung war, die sich in ihrem blinden Bolschewistenhass dem Expansionismus des Hitlerreiches mit Haut und Haaren verschrieben hatte.

Also die Abloesung des einen, rechtsextremen Totalitarismusuebels, durch das andere, kommunistische, abzulehnen, hingegen die fanatisch erhoffte und von den "Partisanen" betriebene Verdraengung und Abloesung des kommunistischen Totalitarismus durch den des verblichenen Antonescu-Systems als gerechtfertigt und wuenschenswert darzustellen, das spottet jeder historischen Einsicht. Das deutet darauf, dass aus dem Gang der Geschichte keine Lehren gezogen wurden. Mit einem Wort: die extremistischen Bestrebungen der einen Seite gut zu heissen und im Nachhinein als historisch gerechtfertigt und richtig herausstellen zu wollen, unter gleichzeitiger Verteufelung der anderen extremistischen Auswuechse, das kann nicht hinhauen. Am wenigsten bei einer ausgewogenen Geschichtsbetrachtung, die es keinem der Kontrahenten zutrauen kann, nur Defensiv- und Rueckzugsstellungen bezogen, ausschliesslich die Rolle des missbrauchten Opfers  eingenommen zu haben, ohne auch selbst Verursacher, Angreifer und Verschulder gewesen zu sein.

Wie bereits in Verbindung mit der Debatte um das "Schwarzbuch des Kommunismus" betont (Der Wahrheit letzter Schluss?), aber auch schon frueher (Vgl. "Verlaeumdungen aus kommunistischer Faelscherwerkstatt" (Verlaeumdungen aus kommunistischer Faelscherwerkstatt?), laufen Versuche der Aufrechnung und Gegenrechnung der NS-Verbrechen mit denen des Kommunismus ins Leere, weil beide Systeme gleichermassen verabscheuenswuerdig sind, weil in ihrem Kern gleichermassen menschenverachtend, arrogant, kriminell und demokratiefeindlich. Deshalb liegt die

Gefahr fuer unser aller Zukunft in Freiheit und Demokratie

eher in den Legitimierungsversuchen und in der damit einhergehenden Verharmlosung des einen totalitaeren Extrems auf Kosten des anderen.


Ueber Gavrila-Ogoranu vgl. William Totok, Antonescu - ein Opfer auf dem Altar der Diplomatie? Rechtsradikalismus und Revisionismus in Rumaenien (I), in: Halbjahresschrift fuer suedosteuropaeische Geschichte, Literatur und Politik, Jg. 2001, Heft 2, S.33-51, hier S.42. Ebenso auf der Web-Seite Ehrung und Rehabilitierung antidemokratischer Persönlichkeiten: Publizistische Kampagne 1999; Revizionism, negationism, antisemitism si legionarism. Ofensiva publicistica Polemici. 1999 Proteste: OSZE 10. 11.1999 Brief /Scrisoarea von/ lui Markus Meckel (MdB), allerdings in rumaenischer Sprache.
KritischeBlaetter zur Geschichtsforschung und Ideologie

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Datei: Totalitarismen                    Erstellt: 04.05.2002            Geaendert:                 Alle Rechte, auch  © Klaus Popa


 
 
 
 
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