Die um das "Schwarzbuch" des Kommunismus losgetretene Debatte zeigt, daß die Unfehlbarkeit, Unverbesserlichkeit der "ewig Gestrigen"1 auf beide Lager zutrifft, die sich selbst nach dem Ende des Kalten Krieges unnachgibig und verbissen gegenüber stehen. Die "Linken" kritisieren und verdammen, die "Rechten" begrüßen das Buch. Doch beiden Seiten entgeht dabei einiges, zunächst, daß sie bei ihren Entlastungsversuchen der eigenen und der Belastung der gegnerischen ideologischen Position den EIGENTLICHEN GEGENSTAND der Auseinandersetzung, nämlich die Auswirkungen des kommunistischen und des nationalsozialistischen TOTALITARISMUS ganz in den Hintergrund drängen bzw. einfach übersehen. Das Für und Wider zeichnet sich leider nicht durch die Einsicht aus, daß beide Totalitarismen sowohl auf ideologischer wie auf sozialer und politischer Ebene ein Hort der Menschenverachtung, der Unmenschlichkeit, der Irrationalität, der Instrumentalisierung und Abstumpfung, der Verrohung und des Verbrechens sind. Und die Berufung auf die jeweiligen 'Leichenberge' des gegnerischen Totalitarismus zeugen weder von Einsicht für die im Namen der eigenen ideologischen Ausrichtung begangenen Greultaten, noch von der Bereitschaft, eine "kritische Einstellung gegenüber Eigenem"2 , d.h. gegenüber den liebevoll gepflegten und starrköpfig bis stur ins ideologische Gefecht geführten Schablonen und Stereotypen zu beziehen.
Die Uneinsichtigkeit beider Lager kommt in der "Schwarzbuch"-Debatte beklemmend zum Ausdruck und veranschaulicht, wie eingefleischt die totalitären Denkmuster beiderseits sind und wie ungeschminkt sie fortwirken. Beide Parteien frönen weiterhin dem Dogma der eigenen IDEOLOGISCHEN und POLITISCHEN Rechtschaffenheit und UNFEHLBARKEIT, das ja die eigentliche Voraussetzung für die verbrecherischen Ausschreitungen beider Totalitarismen war. Brechts Ausspruch"Noch fruchtbar ist der Schoß, aus dem es kroch" gilt folglich für beide Seiten.
Die Instrumentalisierung der Opfer, die die Gegenseite zu verantworten hat, steht als zweiter Fix- und Tiefpunkt in der nun auf theoretischer Ebene stattfindenden Konfrontation der Totalitarismen. Der Versuch, mit dem quantitativen Argument der Menschnopfer sein eigene Schuld zu relativieren, ja selbst von sich zu weisen, zeugt von Verantwortungsscheue und ist blanker Hohn für die Opfer selbst. Es ist doch belanglos, ob das kommunistische System ein Vielfaches an Opfern im Vergleich zum Nationalsozialismus zu verantworten hat, weil die Verhaftungen, Pogrome, Erschießungen, Massendeportationen, Zwangsumsiedlungen und Zwangsarbeit beiderseits auf Vernichtung von Menschenleben zielten.
Courtois, der eine Herausgeber des "Schwarzbuches", möchte zwar zwischen
dem 'Rassen-Genozid' und dem 'Klassen-Genozid' Ähnlichkeiten erkennen,
weil der Tod eines Kulakenkindes genauso schwer wie der Tod eines
jüdischen Kindes wiegt3
. Courtois soll laut Bergel die natürlichen Gefühle derer anrühren,
die die NS-KZ-Hölle überlebten, indem er "ein bisher sakrosanktes
Tabu" infrage stellt. Denn "Tote erster und zweiter Klasse" gibt es nicht4.
Bergel möchte also bei Courtois eine annährende Gleichstellung
zwischen kommunistischen und nationalsozialistischen Verbrechen erkennen.
Doch Bergel hält von der Gleichwertigkeit nationalsozialistischer
und kommunistischer Greultaten, wohl auch vom Ausmaß an geballter,
politisch gesteuerter Kriminalität, die beiden Totalitarismen innewohnt,
nicht viel, wie folgende Aussagen belegen:
Leute wie Malraux, Rolland, Howard Fast, Eluard, Brecht, Gorkij, die von den Schwarzbuch"- Autoren nicht verschont werden, waren es,
"die ganzen Generationen mit "La condition humaine", mit "Vie de Beethoven" und "Michel Ange", mit "The last frontier", aber genauso mit "La rose publique", mit "Der kaukasische Kreidekreis" und "Die Mutter" MENSCHHEITSIDEALE6 wie Gerechtigkeitssinn, Lauterkeit, Nächstenliebe, Würde, Wahrhaftigkeit und Edelmut predigten. Louis Aragon stimmte im Jahre 1931 einen Hymnus auf die berüchtigte politische Polizei des sowjetrussischen Terrorregimes an: "Ich besinge die GPU, die sich jetzt zur Zeit in Frankreich bildet." (Auftakt zur Kirschenzeit)."7
Damit soll der angeprangerten "Intellektualität" kommunistisch-linker Prägung offensichtlich die Berechtigung abgesprochen werden, für Menschenideale einzutreten, solange sie laut Bergel an den Grundsätzern des Kommunismus festhält und den "massenmörderischen Kommunismus" bloß als Verrat an diesen Grundsätzen auslegt8.
Daß Theorien und Ideologien, die extremistische Ausschreitungen bis hin zum Massen- und Völkermord ermöglichen, ihr Existenzrecht verwirken, dürfte niemand bezweifeln. Auch deshalb nicht, weil das Prinzip der REINHEIT, Reinhaltung bzw. SÄUBERUNG von beiden Toitalitarismen gleichermaßen brutal und menschenverachtend ein- und zu vollendeten Tatsachen umgesetzt wurde (gegen politisch Andersdenkende und rassisch-national Andersgeartete - in nationalsozialistischem Jargon 'Artfremde'-). In der Summe ist es jedenfalls bedenklich, der "euro-amerikanischen Intellektualität" Doppelzüngigkeit zu unterstellen, während über die vieldiskutierte "Einzigartigkeit" der NS-Verbrechen kaum etwas verlautet, über die "Ideale", die ihr zugrunde liegen, kein Sterbenswort verloren wird. Denn die von den inkriminierten Intellektuellen beanspruchten Ideale hatten in der totalitären Weltsicht des Nationalsozialismus keinerlei Platz, sie wurden als entartet verschrien, als Zeichen der Charakter- und Haltungsschwäche gedeutet. Sie sollten aus dem Volksbewußtsein ausradiert werden, um auf der Schiene rassistischer INTOLERANZ und auf der Einbahnstraße herrenmenschlicher Wertvorstellungen zu Anti-Idealen pervertierten Tugenden9 Platz zu verschaffen. Die Einzigartigkeit des nationalsozialistischen Totalitarismus kommt doch auch darin zum Ausdruck.
Ein grundlegender Unterschied zwischen den beiden Totalitarismen, der von dem "Schwarzbuch" und auch sonst einfach übersehen wird, ergibt sich daraus, daß die rassische SOLIDARITÄT des Nationalsozialismus viel restriktiver ist als die proletarische Solidarität des Kommunismus. Aus dem Postulat der naturgegebenen UNGLEICHHEIT DER MENSCHEN leitet der nationalsozialistische Totalitarismus eine fiktive, deutsch-germanische Herrenmenschenrasse ab, der keinerlei Schranken gesetzt sind und die kraft ihrer rassischen Vorzüglichkeit auch das exklusive Recht besitzt, die Ungleichheit zwischen den Menschen nicht nur zu verschärfen, sondern auch über die physische Vernichtung der rassisch "Minderwertigen" frei zu entscheiden.
Die proletarische Solidarität ist bekanntlich eine Klassensolidarität, die keine nationalen oder rassischen Grenzen kennt und das humanistisch-aufklärerische Postulat der GLEICHHEIT DER MENSCHEN, zwar ausschließlich auf Klassenebene, weshalb in utopischer Weise, vertritt. Hier zeigt sich, daß das von Courtois aufgestellte Oppositionspaar >>'Rassen - Genozid' - 'Klassen-Genozid'<< zu eng gefaßt ist, weil es nur auf die verbrecherische Seite der Totalitarismen zugeschnitten ist, wobei andere wesentlichen Aspekte übersehen werden.
Auf dem Gleichheitspostulat beruht der kommunistische Internationalismus, mag er auch utopisch sein. Damit ist der zweite Bestandteil des kommunistischen UNIVERSALISMUS genannt, in dem der eng angelegte, nationalsozialistisch-rassistische Totalitarismus seinen Erzfeind erblickte und den er mit Mitteln eines narzistisch-überheblichen PARTIKULARISMUS kämpferisch ausschalten wollte. Dabei begriff der Nationalsozialismus den kommunistischen Universalismus als Ausdruck und Ausgeburt jener 'Rasse', die es um jeden Preis zu vernichten galt, des sogenannten "internationalen Judentums" bzw. der "jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung"10 .
So steht auch das Ausmaß an TOLERANZ bzw. Intoleranz in direktem
Verhältnis zum Universalismus des einen und zum Partikularismus des
anderen Totalitarismus. Beide Systeme sind zwar politisch gleichermaßen
intolerant, was das "Schwarzbuch" gebührend herausstellt. Doch der
Unterschied stellt sich auf kultureller Ebene ein: hier ist dem Kommunismus
zuzugestehen, daß sein universalistischer Zug sich beschränkt
positiv auswirkte. Trotz drückender Zensurvorschriften und kulturpolitischer
Vorgaben brach das Band zur humanistisch-aufklärerischen Überlieferung
niemals ganz ab, wohingegen der Nationalsozialismus nur das germanische
Kulturerbe oder das, was er dafür hielt, gelten ließ. Auch gehörten
rassenpolitische Erwägungen grundsätzlich nicht zum Repertoar
der kommunistischen, sondern zu dem der NS-Zensur, der bekanntlich sämtliche
Kulturprodukte jüdischer Urheberschaft zum Opfer fielen.
Selbst wenn der politische Terror und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit
den Kommunismus kaum vom Nationalsozialismus unterscheiden, bestehen zwischen
den beiden Totalitarismen doch grundlegende Unterschiede, die das negative
Bild des Kommunismus einigermaßen auflockern. Aber das "Schwarzbuch"
des Kommunismus und dessen schonungslose Offenlegung des kommunistischen
Verbrechenspotentials als Anlaß und Vorwand zu ergreifen, um entweder
rechts- oder linkslastige Positionen zu rechtfertigen, bzw. das jeweilige
Verschulden herunterzuspielen oder zu leugnen, hat den Nachteil, daß
die Komplexität der Totalitarismen untergeht; Die Stellungnahmen klammern
sich nur an einen - wohl den schmerzlichsten und dunkelsten - Teilaspekt,
woher sie auf die eigentliche Qualität der Totalitarismen schließen
wollen. Damit gehen wesensbestimmende Aspekte der beiden Ideologien und
Systeme wie der Universalismus bzw. Partikularismus unter. Hier stellt
sich das bedauerliche, ganz unwissenschaftliche pars pro toto -
Verfahren ein, das seine Teileinsichten, Teilergebnisse und Teilwahrheiten
der Öffentlichkeit als der Wahrheit letzten Schluß anbietet.
10
Authentisches Nazijargon.
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