Inhalt
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

 

Erste Ausfahrt

   Seit dem 16. September, es ist das Jahr 1840, liegt die ‚New York‘ abfahrtbereit am Kai in Bremerhaven.  Widrige Weststürme haben sie nicht aussegeln lassen.  Am Abend des 18. Hat sich jetzt der Wind gedreht, die Luft hat aufgefrischt.  Mit der Flut, in den ersten Morgenstunden, erklärt der Kapitän, wird es so weit sein.

   Herr Richard von Carlowitz, Kaufmann aus Leipzig, hat auf dem Dreimaster einen Kajütplatz zur Überfahrt nach New York belegt.  Er ist von Leipzig mit der eben eröffneten neuen Bahn bis Magdeburg gefahren, und von da über Celle nach Bremen mit der Post gekommen.  Denn Bremen hat die besten Verbindungen mit Nordamerika.  Die Hamburger sind zu sehr mit dem Zucker und Kaffee aus Westindien und Brasilien beschäftigt, als daß sie sich groß um Nordamerika kümmern können; das überlassen sie einstweilen den Engländern.  Das Carlowitz wohlbekannte Leipziger Haus Küstner & Co. hat 1828 zusammen mit Peterson & Mensch in New York in Hamburg eine Linie, die erste regelmäßige Verbindung zwischen den deutschen Landen und den Vereinigten Staaten, einrichten wollen.  Nach vier Jahren unbelohnter Opfer haben sie das Unternehmen wieder aufgegeben.  Ein Herr Robert Miles Sloman, hat Carlowitz jetzt gehört, soll seit 1836 es wieder versuchen; aber die Leipziger Häuser halten sich alle an Bremen, wenn sie mit Nordamerika zu tun haben.  Es ist hauptsächlich Tabak, was Bremen aus Amerika und sie wieder von Bremen beziehen.  Der amerikanische Tabak ist Bremens Reichtum.  Auf allen Kontoren in Bremen, auf denen Carlowitz Grüße von den Harkort zu überbringen hatte, haben sie ihm von Tabak erzählt.

   Die Wartetage hat sich Carlowitz eifrig in der jungen Gründung des Herrn Bürgermeisters Smidt von Bremen umgesehen, die Bremen an das Meer verlegt hat, und die der große Goethe noch als letztes in seinem geheimnisvollen Faust II verherrlicht hat.  Die Verse sind dem jungen Binnenländer eindrucksvoll deutlich geworden, als er bei dem Sturm auf der äußersten Spitze des Deiches stand:

                     Im Innern hier ein paradiesisch Land,

                     Da rase draußen Flut bis auf den Strand!

   Aber noch lieber fast ist er am Kai gestanden und hat dem Ein- und Ausladen zugesehen.  Kiste um Kiste, die weit aus dem Binnenland gekommen waren, wurde da aus den großen Kähnen zum Schiff hinaufgereicht.  Auch Kisten des Hauses Harkort waren darunter; Chemnitzer Strümpfe, vermutete er nach den Anschriften.  Er war ja oft genug dabei gewesen, wenn die verschiedenen Zeichen mit dem großen Pinsel aufgemalt wurden.  Es ist ihm auch nicht entgangen, daß aus dem Bauch des einen Schiffes, das eben aus New Orleans eingelaufen war, außer Tabaklasten unförmliche Baumwollballen ans Licht stiegen.  Er hat sich vorgenommen.  Gustav Harkort noch einmal besonders darauf aufmerksam zu machen; denn es muß doch billiger kommen, Baumwolle aus Bremen statt aus Liverpool zu beziehen.

   Er hat die im Hafen liegenden Schiffe gezählt und sich Herkunft und Heimathafen sagen lassen.  An die 150 Segler dürften jetzt in Bremen zuhause sein, rechnete ihm Gastwirt und Schiffsausrüster Heere Harms aus, bei dem er seine Spaziergänge zu enden pflegte.  Es werden von Jahr zu Jahr mehr, fügte der Wirt hinzu.  Die meisten laufen in der Amerikafahrt, wenn sie auch längst nicht alle nach New York fahren.  Baltimore und New Orleans haben mehr Tabak.  „Vor zehn Jahren sah es noch nicht danach aus“, meinte der Wirt, als er ins Reden kam.  „Jetzt schlägt die Speckflagge, so heißt die bremische Flagge bei allen Seemännern, sogar den Amerikaner in der Fahrt, obwohl er mehr und auch die besseren Schiffe hat.“  „Das macht“, fügte er mit einem pfiffigen Lächeln hinzu, „kein bremisches Schiff, das drüben Tabak geholt hat, braucht leer zurückzufahren.  Es findet bei uns immer lebendes Gut“.  „Auswanderer“, erklärte er, als der Binnenländer ihn nicht gleich verstehen wollte.  „Stimmt“, antwortete der Gast, „auch unsere ‚New York‘ hat das Zwischendeck voll von Auswanderern“.  „Ein großes Geschäft“, sagte Harms befriedigt.

   Auch den letzten Abend geht Carlowitz noch einmal zu Harms in die Leherstraße.  Auf dem Schiff wird er noch viele Abende bei Grog und Tabak sitzen können.  Der letzte Abend in Europa muß gefeiert werden.  Er ist doch erst 23 Jahre alt.  Er hat Herrn Wesemann, auch aus der Kajüte, mitgenommen.  Die Aussicht auf eine gemeinsame lange Reise mit vielleicht vielen Gefahren führt doch rasch zusammen.  Die Schwester Hofdame Adele sollte ihren Bruder sehen können, wie er mit einem waschechten Demagogen (Demokraten) in guter Freundschaft beim Glase sitzt.  Denn Wesemann hält mit seinen Gesinnungen nicht zurück.  Er reist mit einem Freund, der als Teilnehmer am Frankfurter Aufruhr seit 1833 auf der Festung Mainz gesessen hat und jetzt nach seiner Begnadigung von der Familie nach Amerika geschickt wird.

   „Auf glückliche Fahrt“, hebt Carlowitz sein Glas, „und daß wir als reiche Leute zurückkommen!“

   „Ich wünsche Europa nicht wiederzusehen“, sagte Wesemann, „ich bin froh, wenn ich erst in das Land der Freiheit gekommen bin.“

   „Freiheit ist ein zweifelhafter Begriff“, widersetzt sich Carlowitz, „und die Franzosen haben mit ihr nicht viel Gutes anzufangen gewußt.  Alte Ordnung hat auch ihren Segen.  Hoffentlich wird es uns drüben nicht nach ihr frieren“.

   Sie streiten wieder bis in die tiefe Nacht, daß sie den Weg nach den sicheren Planken nur schwer zurückfinden.

   Als Carlowitz am späten Morgen erwacht, hat er das ganze Manöver der Ausfahrt verschlafen und ist längst auf grauer See.  Es ist ihm sehr sonderbar zumute; denn die Wellen haben das Schiff mächtig gepackt.  Er muß wie die andern an die Reeling treten und der Natur freien Lauf lassen.  Aber als erzogener Mensch zwingt er sich.  Er verordnet sich frische Luft, bleibt den ganzen Tag an Deck und hat am zweiten Tage alles überwunden.  Jetzt kann er über die anderen Mitfahrenden lachen, die noch viele Tage mit sich nicht zurechtkommen und von Sterben reden.  Das Leben auf dem Segler duldet nämlich kein Geheimnis.  Als eine Frau aus dem Zwischendeck einem Kind das Leben schenkt, ist das fast ein öffentliches Schauspiel.  Die Mutter schwebt einige Tage in Lebensgefahr, kommt aber durch.  Der Säugling übersteht die Mühen nicht.  Der Leichnam wird, nachdem von den Matrosen und den zufällig anwesenden Passagieren ein Vaterunser laut „gebetet, kann man nicht sagen, aber gesprochen worden war“, in einem leinenen Sack über Bord geworfen.

   Die ‚New York‘ hat zunächst eine schwere Fahrt.  Nach vierzehn Tagen sind sie erst auf der Höhe der Insel Wight, also noch immer im Kanal.  Als sie endlich auf den freien Ozean gekommen sind, schüttelt sie ein schwerer Sturm drei Tage.  Der Kapitän bittet in der Kajüte zu bleiben.  Denn es ist bei solchem Sturm schon vorgekommen, daß ein schwerer Brecher Menschen über Bord gespült oder ein stürzender Mast einen Mann erschlagen hat.  Auch auf der ‚New York‘ wird ein Gast so hingeworfen, daß er sich das Bein bricht.  Der Kapitän, auf dem Schiff der mächtige Herrscher und zugleich das Mädchen für alles, schient ihm notdürftig das Bein.  Der Unglückliche muß dann den Rest der Fahrt in seinem Verband in der engen Schlafstelle geduldig ausharren.  Es ist ein großer Genuß, als die See endlich sich beruhigt und alles auf Deck wieder gerade gehen kann.  Das Pökelfleisch und Trockengemüse, am Sonntag und Donnerstag der Pudding zum Schluß schmecken nun wieder doppelt gut.  An einem besonders schönen Tag läßst der Kapitän ein Boot aussetzen und macht mit den Kajütenpassagieren eine Spazierfahrt auf dem großen, weiten Ozean, daß sie den Koloß des Schiffes mit allen seinen Segeln in Muße bewundern können.

   Trotz der widrigen Fahrt zu Anfang macht die ‚New York‘ für jene Zeit eine schnelle Reise.  Am 45. Tag, am 2. November, sieht der Kapitän vom Mastkorb Land.  „Wir Kajütenpassagiere hatten Einsicht in die Seekarten und wußten genau, wo wir waren.  Ich kletterte auf den Ruf Land!  sofort in den Mastkorb und sah das ersehnte Land im Horizonte vor mir liegen.  Dieser Moment ließ alles vergessen.“

   Gegen Mittag kommt der Lotse an Bord, der das Schiff an den führen soll.  Er hat gerade das Kommando übernommen, als der Wind schlafen geht.  Sie müssen ein paar Meilen vor dem nahen Ziel einstweilen Anker werfen.

   In der Frühe des 3. hat sich noch immer kein Wind aufgemacht.  Die Flut wird erst auf elf Uhr erwartet.  Der Kapitän, der ausklarieren will, beschließt, sich mit den Kajütenpassagieren nach Staten Island rudern zu lassen.

   So betreten sie um halb elf Uhr hier amerikanischen Boden.  Aber eben ist das Dampfboot, das die Verbindung mit der Stadt unterhält, abgegangen; das nächste fährt erst gegen zwei Uhr.  Die Passagiere legen zusammen und mieten ein neues Boot.  Es geht langsam, aber um ein Uhr sind sie im eigentlichen Hafen:

„Wie reizend ist die Einfahrt nach dem Hafen, die Inseln Staten island, long island, governors island mit ihren schönen Lufthäusern und Fortifikationen präsentieren sich im Vorgrunde wunderschön, dazwischen die Bucht mit tausend Schiffen und im Hintergrunde die Weltstadt New York!  Der Morgen war reizend und der Genuß einer der schönsten, den ich je gehabt habe.“

 
Hosted by www.Geocities.ws

1