Pressestimmen zur Urteilsverkündung des BGH in Karlsruhe am 26. Juni 2003
 
 
junge Welt vom 27.06.2003
RalfWurzbacher
Massaker ungesühnt
BGH-Urteil: Keine Entschädigung für Opfer des Naziverbrechens von Distomo
Die Bundesregierung ist von jedweder Haftung gegenüber den Opfern eines der grausamsten Verbrechen während der deutschen Besatzungszeit in Griechenland freigestellt worden. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) in Karlsruhe vom Donnerstag muß Deutschland keinen Schadensersatz an die Hinterbliebenen des von Mitgliedern der Waffen-SS verübten Massakers in dem griechischen Bergdorf Distomo zahlen. Der BGH wies eine entsprechende Klage von vier Geschwistern ab, deren Eltern bei dem Gemetzel im Juni 1944 ermordet wurden. Es bestehe keine Rechtsgrundlage für Schadensersatzforderungen an die Bundesregierung, verkündete gestern der 3. Zivilsenat in Karlsruhe zu Begründung. Die Geschwister können zwar das Bundesverfassungsgericht anrufen, damit wäre das BGH-Urteil aber nicht ausgesetzt.
So bleibt ein Verbrechen ungeheuerlichen Ausmaßes bis auf weitres ungesühnt. SS-Angehörige fielen am 10. Juni 1944 über die Ortschaft Distomo nordwestlich von Athen her und schlachteten mindestens 218 Frauen, Männer und Kinder auf zum Teil bestialische Weise ab. Das älteste Opfer war seinerzeit 85 Jahre alt, das jüngste ein zwei Monate alter Säugling. Nach Recherchen des BGH belief sich die Zahl der Opfer sogar auf 300 Menschen. Nach der Bluttat legten die SS-Schergen das Dorf in Schutt und Asche.
Der Bundesgerichtshof folgte nicht der Auffassung der griechischen Kläger, daß es sich bei dem SS-Massaker um außerhalb des Kriegsgeschehens liegende Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung im Sinne einer bloßen »Polizeiaktion« der Besatzungsmacht gehandelt habe. Dies sei eine »militärische Aktion« gewesen, heißt es in dem Urteil.

Der Vorsitzende des 3. Zivilsenats, Eberhard Rinne, äußerte zwar Verständnis für die Kläger und nannte das Massaker in der mündlichen Urteilsverkündung eines der »abscheulichsten Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkriegs«. Richter müßten den Fall aber mit den beschränkten Mitteln des Rechts lösen. Danach gebe es weder nach dem Völkerrecht noch nach bundesdeutschem Amtshaftungsrecht einen individuellen Anspruch der Opfer auf Schadenersatzleistungen, so der BGH. Das gelte auch bei Verletzung der Menschenrechte durch eine Kriegführende Partei. Daß im Völkerrecht heute teilweise ein individueller Anspruch der Opfer bejaht wird, sei für die Beurteilung des damaligen Falles nicht maßgeblich.

Die Bundesregierung hatte in dem Revisionsverfahren darauf hingewiesen, daß in einem globalen Entschädigungsabkommen mit Griechenland von 1960 bereits 115 Millionen Mark für die Opfer der Naziherrschaft zur Verfügung gestellt worden seien. Der Bundesgerichtshof erwähnte am Donnerstag auch den »2+4-Vertrag«, mit dem im September 1990 der Weg zum Anschluß der DDR an die BRD geebnet wurde. Dessen Ziel sei eine »abschließende Regelung mit Bezug auf Deutschland« gewesen, sagte Rinne.

Martin Klingner, Rechtsanwalt und Mitglied im Arbeitskreis Distomo Hamburg, bezeichnete das BGH-Urteil gegenüber junge Welt als »Skandal«. In der Konsequenz bedeute die Entscheidung zweierlei. So würde ein individueller Rechtsanspruch gegenüber der Bundesregierung für während des Zweiten Weltkriegs begangene Verbrechen an der Zivilbevölkerung verneint. Was das Urteil aber noch schlimmer mache, so Klingner, sei die Begründung, mit der das Gericht die Beurteilung von Kriegsverbrechen nicht nur auf der Grundlage der Rechtsordnung zu Zeiten des Naziregimes bewerte, sondern sich dazu auch noch der seinerzeit herrschenden Rechtsauslegung bediene. Auch Opfer-Anwalt Joachim Kummer äußerte sich im jW-Gespräch »enttäuscht«. Mit dem Urteil stelle der BGH auf die Rechtslage von 1944 ab.

Im Vorfeld der Urteilsverkündung besetzte ein Dutzend Aktivisten der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) vorübergehend die Räume des Goethe-Instituts in Berlin-Mitte. Dazu erklärte Anja Laumeyer von der ALB gegenüber jW: »Wir haben uns bewußt für das Goethe-Institut entschieden, da dessen Eignerin, die Bundesrepublik Deutschland, Rechtsnachfolgerin des Dritten Reiches ist Bereits 2000 sollte das Goethe-Institut in Athen nach einem Urteil des Aeropag, des obersten Gerichtshofes Griechenlands, zwangsversteigert werden, da die Bundesrepublik Entschädigungszahlungen ablehnte.
 
 

http://www.jungewelt.de/2003/06-27/001.php


 

Neues Deutschland vom 27. Juni 2003

BGH lehnt Entschädigung griechischer SS-Opfer ab

Richter berufen sich auch auf Rechtslage im Nazi-Reich/Scharfe Proteste

Jegliche Ansprüche von Hinterbliebenen der Opfer des Massakers der SS im griechischen Dorf Distomo am 10. Juni 1944 auf Entsch?digung durch die Bundesrepublik Deutschland hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) gestern bestritten. ……
 

Ausführlicher Artikel unter http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=37581&IDC=2
 
 

 
Neues Deutschland vom 27. Juni 2003 (Kommentar)
Beschämendes Bedauern
Von Claus Dümde
Das Urteil, das gestern Richter des höchsten deutschen Zivilgerichts gegen Hinterbliebene der Opfer eines der schrecklichsten Verbrechen fällten, das Deutsche im Zweiten Weltkrieg begangen, kam nicht unerwartet. Leider. Die Bundesrichter haben »nur« die Rechtsauffassungen aller Bundesregierungen seit 1949 bestätigt: Zwar sehen sie immer dann, wenn es für den Staat oder deutsche Banken, Industrie- und sonstige Konzerne von Vorteil ist, die Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs, einschließlich der Nazi-Diktatur, an. Aber wenn es darum geht, für die von Deutschen im Namen desselben Deutschland begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen einzustehen, lehnen Regierungen und Wirtschaft jegliche Verpflichtung ab. Wie im Falle der Zwangsarbeiter. Nur der Druck von Klagen Überlebender in den USA und deren mögliche Folgen für deutsche Profite heute und morgen, brachten – nach einem halben Jahrhundert – das Zugeständnis vermeintlich freiwilliger »Entschädigungen« an die Überlebenden. Nicht mal dazu ist die Berliner Regierung im Falle der Opfer des SS-Massakers in Distomo bereit. Beklagte wie Gericht berufen sich dabei auf die »Rechtslage« von 1944. Als der Senatsvorsitzende in Karlsruhe gestern erklärte, man habe »mit den beschränkten Mitteln des Rechts entscheiden« müssen, klang das bedauern. Wie die vor Gericht verlesene Erklärung der Bundesregierung , in der sie verbal »die große Zahl von Schäden an Leben, Gesundheit, Freiheit und Vermögen zutiefst« bedauert. Schon die Wortwahl lässt daran zweifeln. Wer bestialische Verbrechen von SS-Banditen »Vorgehen deutscher Soldaten« nennt, Massenmord pervers als »Schäden an Leben« bezeichnet, will abwiegeln. Dazu passt die Feststellung des Gerichts, nach Rechtslage von 1944, an die man gebunden sei, »lag... die Vorstellung fern, ein kriegführender Staat könne sich durch Delikte seiner bewaffneten Macht während des Krieges im Ausland (auch) gegenüber den Opfern unmittelbar schadensersatzpflichtig machen«. Wortreichendes Bedauern wirkt da beschämend.
Indymedia
Berlin: Goethe-Institut besetzt
von Antifaschistische Linke Berlin - 26.06.2003 14:39
Als Reaktion auf das heutige Distomo-Urteil, mit dem der Bundesgerichtshof die Enschädigungsansprüche von Opfern des Massakers von Distomo am 10.Juni 1944 ablehnte, haben AktivistInnen der Antifaschistischen Linken Berlin das Berliner Goethe-Institut besetzt.

Sofortige Entschädigung aller NS-Opfer und deren Hinterbliebener! Am heutigen Donnerstag, den 26. Juni 2003 hat ein Dutzend AktivistInnen der Antifaschistischen Linken Berlin [ALB] vorübergehend Räume des Berliner Goethe-Institutes in der Neuen Schönhauser Straße 20 in Berlin-Mitte besetzt. Sie wollten damit ihrer Forderung nach sofortiger Entschädigung aller Opfer des NS-Terrors und deren Hinterbliebener Nachdruck verleihen. Anlass war die heutige Urteilsverkündung des Bundesgerichtshofes (BGH) in Karlsruhe über Schadenersatzansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen eines vor fast 60 Jahren stattgefundenen Verbrechens. Nach einer halben Stunde beendete die ALB die Aktion - die AktivistInnen verließen das Gebäude.

Am 10. Juni 1944 hatte die faschistische Waffen-SS im griechischen Bergarbeiterdorf Distomo in der Nähe von Delphi als "Vergeltungsaktion" für Partisanenaktivitäten ein Massaker unter der Bevölkerung angerichtet, dem 218 Einwohner des Dorfes - überwiegend Frauen und Kinder sowie ältere Menschen - zum Opfer fielen. Das Dorf wurde anschlließend bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Die KlägerInnen, deren Eltern bei dem Massaker ums Leben kamen, fordern von Deutschland, für die in der Nazi-Zeit begangenen Verbrechen zu haften und Schadenersatzansprüche zu begleichen.

„Wir haben uns bewusst für die Besetzung des Goethe-Institutes entschieden, da dessen Eignerin die Bundesrepublik Deutschland, Rechtsnachfolgerin des Dritten Reiches, ist. Bereits im September 2000 sollte unter anderem das Goethe-Institut in Athen nach einem Urteil des obersten Gerichtshofes Griechenlands Aeropag zwangsversteigert werden. Das Gericht hatte damals den Überlebenden und Hinterbliebenen der Opfer des Distomo-Massakers 56 Millionen D-Mark Schadenersatz zugesprochen, die Bundesregierung jedoch jegliche Zahlungen verweigert.“, erklärt eine Aktivistin der ALB. „Auch“, so weiter, „habe die Bundesregierung damals diese Frage politisch klären wollen, passiert ist jedoch bisher nichts.“.

Deutschland muss zahlen! Entschädigung aller NS-Opfer – sofort!

Homepage: http://www.antifa.de

http://germany.indymedia.org/2003/06/55957.shtml


 

Tageszeitung vom 27. Juni 2003

Kein Geld für Distomo

Bundesgerichtshof schließt Anspruch auf individuellen Schadensersatz wegen SS-Massaker in Griechenland aus. Bei Kriegsverbrechen gelten nur die Forderungen der Heimatstaaten der Opfer aus Karlsruhe CHRISTIAN RATH Deutschland muss den ausländischen Opfern von NS-Kriegsverbrechen keinen Schadensersatz bezahlen. Dies stellte jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil fest. Geklagt hatten Angehörige der Opfer eines SS-Massakers im griechischen Distomo. Dort waren 1944 mindestens 200 unbewaffnete Zivilisten von deutschen Soldaten in einer Racheaktion ermordet worden, unter anderem die Eltern der vier KlägerInnen.

"Das Massaker von Distomo war eines der abscheulichsten Verbrechen des Zweiten Weltkriegs", stellte der Vorsitzende Richter Eberhard Rinne gestern klar. Dennoch könne der BGH den Klägern keinen Schadensersatz zusprechen. Das Gericht berief sich auf den völkerrechtlichen Grundsatz, wonach bei Kriegsverbrechen nur der betroffene Staat, nicht aber die Opfer und Angehörigen eine Wiedergutmachung verlangen können. Dies habe zumindest zum Zeitpunkt der Tat noch gegolten.

Inzwischen lege das Völkerrecht zwar mehr Wert auf den Schutz individueller Menschenrechte, so der BGH. Die Richter ließen aber offen, ob daraus heute finanzielle Ansprüche entstehen könnten. Auf deutsches Recht können sich die ausländischen Opfer deutscher Kriegsverbrechen zwar individuell berufen. Allerdings soll laut BGH die "Amtshaftung" für das Fehlverhalten deutscher Staatsdiener immer dann entfallen, wenn es sich um "Kriegsgeschehen" handelt.

Die Kläger ahnten das und argumentierten deshalb, das Gemetzel in Distomo sei eine "Polizeiaktion" gewesen. Doch auf diesen Dreh ließen sich die Richter nicht ein. Es handele sich auch dann um eine "militärische Operation", wenn Besatzungstruppen wehrlose Zivilisten ermorden, so der BGH. Prozessbeobachter rechnen damit, dass der in Zürich lebende Kläger Argyris Sfountouris Verfassungsbeschwerde einlegen wird.

Was macht Deutschland jetzt? In einem Brief an den Verein "Gegen das Vergessen" erklärte der außenpolitische Kanzlerberater Bernd Mützelburg jüngst, politische Gesten der Bundesregierung seien in diesem Zusammenhang ausgeschlossen. Möglich sei allerdings eine Förderung für private deutsch-griechische Jugendprojekte. (Az. III ZR 245/98)

http://www.taz.de/pt/2003/06/27/a0080.nf/text
 
 
 

Tageszeitung vom 26. Juni 2003 (Kommentar)

DEUTSCHLAND MUSS ENDLICH FÜR SEINE NS-VERBRECHEN GERADESTEHEN Gerichtsurteil ist Sieg und Bürde Alles könnte so einfach sein. Wer einen Krieg beginnt, muss hinterher jedem einzelnen Opfer den Schaden ersetzen. Wer im Krieg Verbrechen begeht, muss später den Misshandelten und den Angehörigen der Getöteten finanzielle Genugtuung leisten. Der Schadensrsatz wäre so hoch wie das Leiden, also in der Regel unermesslich. Kriege wären unbezahlbar und damit nicht mehr führbar.

Doch dazu wird es nicht kommen. Der Bundesgerichtshof hat gestern entschieden, dass die individuellen Opfer nach einem Krieg keinen Anspruch gegen den Täterstaat haben. Nur ihr Heimatstaat kann Ansprüche geltend machen. Dabei ging es um ein SS-Massaker in Griechenland, das stellvertretend für viele andere Gräueltaten des NS-Staates steht.

Die BGH-Entscheidung ist kein Skandal. Jedes andere Gericht auf der Welt hätte vermutlich ebenso entschieden. Überall sind Individualansprüchen nach einem Krieg ausgeschlossen. Dafür gibt es gute Argumente: Denn auch bei voller Schadensersatzpflicht würde es Kriege geben, nur der Frieden würde ungleich schwieriger. Das Eintreiben gigantischer Forderungen würde auf Jahrzehnte hinaus das Entstehen einer neuen gedeihlichen Nachbarschaft belasten. Deshalb spricht viel dafür, dass die beteiligten Staaten sich nach Ende des Gemetzels über ausreichend schwere, aber doch tragfähige Reparationen einigen. Eine solche Lösung kann wohl nur durch politische Verhandlungen, nicht durch eine Vielzahl von Gerichtsentscheidungen erreicht werden.

Formal ist das Urteil ein Sieg der Bundesregierung. Doch es ist zugleich eine Bürde, denn es legt die politische Verantwortung Deutschlands offen. Bisher hat Bonn/Berlin für die Opfer der SS-Massaker so gut wie nichts getan. Der Verweis auf die Vorteile, die Griechenland aus der EU zieht, ist absurd - die EU bringt allen Vorteile, und Deutschland ganz besonders.

Wie man hört, benötigt die Region um Distomo, Ort des Massakers, eine Klinik für Krebspatienten. Hier läge eine nicht ganz billige, aber doch auch im positiven Sinne symbolische, heilende Geste der Bundesregierung nahe - nach immerhin 59 Jahren." CHRISTIAN RATH

http://www.taz.de/pt/2003/06/27/a0139.nf/text


 

Frankfurter Rundschau vom 27. Juni 2003

BGH weist Distomo-Klage ab

Kein Schadenersatz für Hinterbliebene griechischer SS-Opfer

Die Bundesregierung muss Hinterbliebenen der Opfer von SS-Massakern in Griechenland keinen Schadenersatz leisten. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe wies am Donnerstag die Klage von vier Geschwistern ab, deren Eltern im Juni 1944 in Distomo erschossen worden waren. Nur Staaten, nicht Privatpersonen hätten nach dem seinerzeit geltenden Recht Anspruch auf Reparationen wegen Kriegsverbrechen, so das Gericht.


 

Von Ursula Knapp

KARLSRUHE, 26. Juni. Eberhard Rinne, Vorsitzender des 3. Zivilsenats, nannte bei der mündlichen Urteilsverkündung das Massaker von Distomo eines der "abscheulichsten Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkriegs". Richter könnten den Fall aber nicht nach humanitären Gesichtspunkten, sondern "mit den beschränkten Mitteln des Rechts" entscheiden. Danach gebe es weder nach dem Völkerrecht noch nach bundesdeutschem Amtshaftungsrecht einen individuellen Anspruch der Opfer auf Schadenersatzleistungen der Bundesregierung (Az.: III ZR 245/98).

Das Massaker vom Juni 1944 im Bergdorf Distomo war eine Racheaktion von SS-Soldaten. Weil Partisanen in einem Nachbarort die deutsche Wehrmacht angegriffen hatten, wurden in Distomo 218 Frauen, Männer und Kinder erschossen, unter ihnen ein Baby von zwei Monaten. Zu den Opfern gehörten die Eltern des damals vierjährigen Argyris Sfountouris. Er klagte jetzt mit seinen drei Schwestern.

Der BGH beurteilte den Fall nach der 1944 geltenden Völkerrechtsprechung. Danach gebe es bei Kriegsverbrechen nur einen Anspruch der Staaten untereinander. Das gelte auch bei Verletzung der Menschenrechte. Dass im Völkerrecht inzwischen teils individuelle Ansprüche der Opfer bejaht werden, ist laut BGH für die Beurteilung des damaligen Falles nicht maßgeblich. Da die Bundesrichter keine verfassungsrechtlichen Zweifel an der völkerrechtlichen Beurteilung hatten, legten sie die Frage nicht dem Bundesverfassungsgericht vor, wie es der Anwalt der griechischen Opfer beantragt hatte.

Auch eine Haftung der Bundesrepublik für die Verletzung von Amtspflichten durch das Deutsche Reich verneinte der BGH. Zu der "Sühneaktion" sei es im, nicht außerhalb des Kriegsgeschehens gekommen. Kriegshandlungen im Ausland seien von der Amtshaftung aber nicht erfasst. Auch hier gelte, dass die Haftung nach der 1944 geltenden Rechtsauffassung nur unter den Krieg führenden Staaten erfolge. Deutschland hatte 1960 Reparationszahlungen in Höhe von 115 Millionen DM an Griechenland bezahlt.

Das Urteil des 3. Zivilsenats ist rechtskräftig und hat grundsätzliche Bedeutung, da in Griechenland tausende ähnlicher Klagen anhängig sind. Die vier Geschwister können aber noch das Bundesverfassungsgericht anrufen. Ob sie es tun, blieb zunächst offen. Auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hatte 2002 Schadenersatzzahlungen der Bundesregierung an Griechen abgelehnt, die ein griechisches Gericht zunächst zugesprochen hatte.

http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/deutschland/?cnt=239412


 
 

Kommentar (FR vom 27. Juni 2003)

Zum Schluss

Von Matthias Arning

Der Schlusspunkt ist gesetzt. Selbst wenn 60 000 weitere Kläger in Griechenland auf ein anderes Signal des Bundesgerichtshofs gehofft haben und die abgewiesenen Nachfahren der Opfer von Distomo noch Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe einlegen sollten - die Abweisung ihrer Ansprüche auf Schadenersatz markiert das Ende der Debatte über Entschädigungen für Unrecht, das die Nationalsozialisten angerichtet hatten.

Das gilt zumindest für die juristische Ebene. Noch einmal verwiesen Vertreter der Bundesregierung in diesem Verfahren wegen eines Massakers der SS aus dem Jahr 1944 auf die Staatenimmunität, die individuelle Ansprüche negiert, Und sie brachten den "2 plus 4"-Vertrag vor. Ein Kontrakt, geschlossen im Zuge der deutschen Vereinigung, der Forderungen einzelner Bürger auf zwischenstaatliche Vereinbarungen zur Versöhnung verweist.


Das gilt allerdings schon nicht mehr für die historische Dimension. Die frühere Absage an die Ansprüche ehemaliger italienischer Militärinternierter auf Entschädigung etwa steckte bereits das Spektrum der Interpretation ab: Betrachteten manche Historiker diese Opfer als nicht anspruchsberechtigte Kriegsgefangene, galten sie anderen als Zwangsarbeiter und also in die Lage versetzt, Ansprüche geltend zu machen. Auf Distomo bezogen stellt sich die Frage, wo Kriegshandlungen enden und Peinigungen von Zivilisten beginnen. Das führt über den Schlusspunkt hinaus. Und dann geht es perspektivisch darum, ob sich individuelle Ansprüche von Opfern völkerrechtlich überhaupt noch ausklammern lassen.

http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/die_seite_3/?cnt=239383




FR-online, 26. Juni 2003

BGH: Keine Entschädigung für griechische SS-Opfer



Karlsruhe (dpa) - Deutschland muss für ein Kriegsverbrechen des Naziregimes in Griechenland keinen Schadensersatz an die Hinterbliebenen zahlen. In einem Grundsatzurteil hat der Bundesgerichtshof (BGH) am Donnerstag die Forderungen vier griechischer Kläger wegen eines vor fast 60 Jahren begangenen SS-Massakers in Griechenland abgewiesen.

Die Eltern des in Zürich lebenden Argyris Sfountouris und seiner drei Schwestern waren am 10. Juni 1944 zusammen mit zahlreichen Bewohnern des griechischen Dorfs Distomo bei Delphi von einer SS-Einheit erschossen worden. Mit einer "Vergeltungsaktion" hatten die Soldaten nach einem Partisanenüberfall Rache an den daran unbeteiligten Zivilisten genommen. Sie töteten mindestens 217 Menschen, überwiegend Frauen und Kinder.

Mit dem BGH-Urteil bleibt das Massaker von Distomo in Deutschland ohne juristische Konsequenzen. Der Vorsitzende des III. Zivilsenats, Eberhard Rinne, sagte bei der Urteilsverkündung: "Das Massaker von Distomo war eines der abscheulichsten Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkriegs." Allerdings müsse der BGH den Fall "mit den beschränkten Mitteln des Rechts zu lösen versuchen". Ansprüche der Hinterbliebenen ließen sich weder aus dem Völkerrecht noch aus deutschem Amtshaftungsrecht ableiten. (Aktenzeichen: III ZR 245/98 vom 26. Juni 2003)

Deutschland, das nach einem Vertrag von 1960 bereits Reparationen in Höhe von 115 Millionen D-Mark an Griechenland gezahlt hatte, lehnt eine Entschädigung der Hinterbliebenen ab.

Zwar hat ein griechisches Gericht 1997 mehr als 200 Nachkommen der Distomo-Opfer knapp 29 Millionen Euro zugesprochen. Der höchste Gerichtshof Griechenlands, der Areopag, bestätigte das Urteil drei Jahre später, und die Kläger betrieben gar die Zwangsversteigerung des Athener Goethe-Instituts, die letztlich an der mangelnden Zustimmung der griechischen Regierung scheiterte.

Aber nach Ansicht des BGH verstößt das griechische Urteil gegen den völkerrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität, wonach ein Staat nicht über einen anderen zu Gericht sitzen darf. Diesen Grundsatz hatten im vergangenen Jahr der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und - in einem ähnlichen Fall - das Oberste Sondergericht Griechenlands bestätigt. Damit entfalte das griechische Urteil in Deutschland keine Rechtskraft, befand das Karlsruher Gericht.

Für die Beurteilung der Hinterbliebenenforderungen ist nach den Worten Rinnes die Rechtslage des Jahres 1944 maßgeblich, wobei nationalsozialistisches Gedankengut selbstverständlich unberücksichtigt bleibe. Aus einer Verletzung des Kriegsvölkerrechts - hier ging es um die Haager Landkriegsordnung - könnten nach damaliger Auffassung allein Staaten, nicht aber Einzelpersonen Ansprüche ableiten. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1996, die diesen Grundsatz relativiere, habe für dieses Verfahren keine Bedeutung.

Auch eine Haftung der Bundesrepublik für die Verletzung von Amtspflichten durch das Deutschen Reich lehnte der BGH ab. Für Kriegshandlungen habe das Recht damals keine Einstandspflicht des Staates vorgesehen. "Der Krieg wurde als völkerrechtlicher Ausnahmezustand gesehen, der seinem Wesen nach auf Gewaltanwendung ausgerichtet ist und die im Frieden geltende Rechtsordnung weitgehend suspendiert." Strafrechtliche Ermittlungen zum Massaker von Distomo hatte die Münchner Justiz Anfang der 70er Jahre wegen Verjährung eingestellt. Nach Angaben von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste töteten die deutschen Besatzer in Griechenland bei "Vergeltungsmaßnahmen" etwa 30 000 Menschen und zerstörten 460 Ortschaften.


http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/nachrichten_aktuell/?loc=&cnt=239162



Süddeutsche Zeitung vom 27. Juni 2003
Überlebende des SS-Massakers in Distomo scheitern mit Klage
Kein Schadenersatz für Opfer von Nazi-Kriegsverbrechen
Bundesgerichtshof: Rechtliche Grundlage für Ansprüche Einzelner fehlt / Haftung der Bundesrepublik für Schulden des Deutschen Reichs verneint
Von Helmut Kerscher
und Christiane Schlötzer

Karlsruhe/Istanbul - Opfer von deutschen Kriegsverbrechen imm Zweiten Weltkrieg haben keine eigenen Schadenersatzansprüche gegen Deutschland. Der Bundesgerichtshof (BGH) verneinte auf eine Klage von Überlebenden des Massakers 1944 im griechischen Distomo sowohl direkte Ansprüche gegen die Bundesrepublik als auch eine Haftung für Schulden des Deutschen Reichs. Weder das Völkerrecht noch nationales Recht gäben eine Grundlage für Ansprüche von Einzelpersonen, hieß es in der Begründung des BGH.

Zum einen stünden Schadenersatzansprüche nach der hier maßgeblichen Rechtslage von 1944 nicht einzelnen Geschädigten, sondern nur deren Heimatstaat zu. Zum andern habe es damals keine Amtshaftung eines Staates für Rechtsverletzungen durch Kriegshandlungen im Ausland gegeben. Auch die Voraussetzungen einer Vorlage des Verfahrens an das Bundesverfassungsgericht seien nicht erfüllt, sagte BGH-Richter Eberhard Rinne. Es ist zu erwarten, dass die griechischen Kläger sich mit einer Verfassungsbeschwerde an das höchste deutsche Gericht wenden.

Rinne nannte das Distomo-Massaker "eines der abscheulichsten Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkriegs". Eine in die Wehrmacht eingegliederte Einheit der SS hatte am 10. Juni 1944 nach einem Gefecht mit Partisanen als "Sühnemaßnahme" fast die gesamte Zivilbevölkerung des Dorfes ermordet. Zu den 228 Getöteten gehörten auch die Eltern des klagenden Argyris Sfountouris und seiner drei Schwestern. Die Überlebenden verlangten Schadenersatz wegen beruflicher Nachteile und wegen der Zerstörung ihres Elternhauses. Sie gewannen zwar zunächst vor griechischen Gerichten, das oberste Sondergericht Griechenlands lehnte jedoch eine Zwangsvollstreckung in deutsches Vermögen in Griechenland, etwa in das Goethe-Institut in Athen, ab. Eine dagegen gerichtete Klage an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte blieb ohne Erfolg.

Kläger Sfountouris zeigte sich enttäuscht über das Urteil. Der Süddeutschen Zeitung sagte er, "das historische Wissen des BGH ist 1944 stecken geblieben ". Deutschland sollte "einen befreienden Schritt machen" und die Opfer entschädigen. "Sonst bleibt das eine moralische Zeitbombe", meinte Sfountouris.

Richter Rinne nannte das Vorgehen der Kläger verständlich. Dem Richter sei jedoch der Weg zu moralisch, humanitär und politisch gerechtfertigten Forderungen versperrt. Der BGH habe den Fall "mit den beschränkten Mitteln des Rechts zu lösen versucht", sagte er. Dieses biete der Klage keine Grundlage.

Der BGH begründete dies auch mit der Wirkung des Zwei-plus-Vier- Vertrags von 1990. Er sei zwar "kein Friedensvertrag im herkömmlichen Sinn", habe aber eine abschließende Regelung zum Ziel gehabt. Deshalb sei mit dem Vertrag die im Londoner Schuldenabkommen von 1953 vorgesehene Stundung von Schulden des Deutschen Reiches "gegenstandslos geworden". Der BGH setzte sich auch mit der Haager Landkriegsordnung von 1907 auseinander. Bei Verletzungen dieses Kriegsvölkerrechts habe 1944 das "Prinzip der ausschließlichen Staatenberechtigung" gegolten, weshalb etwaige Schadenersatzansprüche nicht einzelnen Geschädigten zugestanden hätten. Das Völkerrecht stelle zwar heute auch nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts "weitergehende Schutzsysteme zur Verfügung". Dies müsse aber bei einer auf das Jahr 1944 bezogenen rechtlichen Bewertung außer Betracht bleiben. Der BGH folgte nicht der Auffassung des Kläger-Anwalts, bei dem SS-Massaker habe es sich um außerhalb des Kriegsgeschehens liegende Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung im Sinn einer bloßen "Polizeiaktion" gehandelt. (Az:IIIZR245/ 98)

http://www.sueddeutsche.de/sz/politik/red-artikel4669/


 

Berliner Zeitung vom 27. Juni 2003

BGH weist Klage griechischer SS-Opfer ab

Kein Schadenersatz nach Massaker in Distomo

AFP

KARLSRUHE, 26. Juni. Die Hinterbliebenen eines SS-Massakers in dem griechischen Dorf Distomo während des Zweiten Weltkrieges haben keinen Rechtsanspruch auf Schadenersatz durch die Bundesrepublik. Das entschied am Donnerstag der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Die Richter verwiesen zur Begründung auf das Völkerrecht. Danach haben nur Staaten Anspruch auf Schadenersatz, nicht jedoch Einzelpersonen. In Distomo hatten Einheiten der Waffen-SS am 10. Juni 1944 als Vergeltung für einen Partisanenangriff auf deutsche Soldaten mindestens 218 Menschen getötet. Zu den Opfern zählten auch die Eltern des damals vierjährigen Argyris Sfountouris, der nun zusammen mit seinen Schwestern die Bundesrepublik auf Schadenersatz verklagte. Der BGH bezeichnete das Massaker als eines der abscheulichsten Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkrieges. Es sei verständlich, dass die Opfer Entschädigung forderten, die moralisch, humanitär und politisch auch gerechtfertigt sei. Doch solche Wege seien dem Gericht versperrt: Es sei beschränkt auf die Mittel des Rechts, die keine Grundlage für einen Schadensersatzanspruch böten, sagte der Vorsitzende Richter.

Die Kläger hatten den Prozess gegen die Bundesrepublik zunächst in Griechenland geführt und 1997 vom Landgericht Livadeia Schadenersatzanspruch in Höhe von 23 Millionen Euro zuerkannt bekommen. Den Antrag der Bundesregierung auf Aufhebung des Urteils hatte das oberste griechische Zivilgericht im April 2000 zurückgewiesen. Der Versuch, das Urteil durch eine Zwangspfändung von Immobilien des Goethe-Instituts in Athen zu vollstrecken, scheiterte jedoch, weil die griechische Regierung nicht die nach dem dortigen Recht erforderliche Genehmigung erteilte. (AFP)

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/politik/255405.html


 

Spiegel-online, 26. Juni 2003

BUNDESGERICHTSHOF

Klage wegen SS-Massakers abgewiesen

Deutschland muss keinen Schadensersatz an Hinterbliebene eines SS-Massakers in Griechenland zahlen. Der Bundesgerichtshof wies die Klage von vier Griechen ab, deren Eltern am 10. Juni 1944 zusammen mit zahlreichen Bewohnern des Bergdorfs Distomo bei Delphi von einer SS-Einheit erschossen wurden.

Karlsruhe - Mit einer "Vergeltungsaktion" hatten diie Soldaten nach einem Partisanenüberfall Rache an den Zivilisten genommen. Dabei kamen wurden mindestens 217 Menschen getötet. Das älteste Opfer war 85 Jahre alt, das jüngste ein zwei Monate alter Säugling. Das Urteil hat grundsätzliche Bedeutung, da in Griechenland rund 60.000 ähnliche Klagen anhängig sind. Bei der Verhandlung hatte der Vertreter der Bundesregierung argumentiert, die Massenmorde seien Teil kriegerischer Handlungen gewesen. Dass die Taten völkerrechtswidrig gewesen seien, sei unstreitig, das begründe aber nur einen Anspruch des griechischen Staates gegenüber dem deutschen Staat.

Deutschland lehnt bisher Entschädigungszahlungen an Hinterbliebene ab. Zwar hatte ein griechisches Gericht den Nachkommen der Distomo-Opfer 1997 knapp 29 Millionen Euro zugesprochen. Dieses Urteil ist aber in Deutschland aus völkerrechtlichen Gründen nicht vollstreckbar.

Der Anwalt der Opfer bestritt dagegen, dass es sich um eine kriegerische Auseinandersetzung gehandelt habe. Vielmehr habe der Partisanenangriff außerhalb von Distomo stattgefunden und sei bereits abgeschlossen gewesen. Deshalb treffe die Bundesregierung auch eine Schadenersatzpflicht.

Aktenzeichen: Bundesgerichtshof III ZR 245/98

 

http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,254652,00.html


 

Frankfurter Allgemein Zeitung vom 27. Juni 2003

Deutschland haftet nicht für Massaker der Waffen-SS

Nachfahren griechischer Opfer scheitern in Karlsruhe / Bundesgerichtshof: Kein Anspruch des einzelnen

. FRANKFURT, 26. Juni. Die Nachkommen der griechischen Opfer eines Massakers der Waffen-SS haben keine Ansprüche gegen Deutschland. Das hat der Bundesgerichtshof am Donnerstag entschieden. Er setzte damit einen Schlußpunkt unter ein seit 1998 in Karlsruhe anhängiges Verfahren, das zeitweise wegen parallel laufender Prozesse in Griechenland nicht weiterbetrieben worden war. Das Landgericht im griechischen Livadeia hatte den Klägern 1997 Ansprüche in Millionenhöhe gegen Deutschland zuerkannt, was der oberste Gerichtshof im Grundsatz bestätigte. Der Versuch einer Zwangsvollstreckung in deutsches Vermögen in Griechenland (etwa das Goethe-Institut) scheiterte letztlich, weil die griechische Regierung die nötige Genehmigung verweigerte. Die Kläger zogen deshalb vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, wo sie jedoch unterlagen.

In Deutschland hatten sowohl das Landgericht Bonn als auch das Oberlandesgericht Köln die Klage abgewiesen. Auch der Bundesgerichtshof ist der Ansicht, daß es weder einen Anspruch auf Schadensersatz noch einenauf eine Entschädigung wegen des Massakers am 10. Juni 1944 in Distomo gibt. Damals hatte die in die Wehrmacht eingegliederte Einheit nach einem Kampf gegen Partisanen etwa 300 Dorfbewohner und 12 gefangene Partisanen erschossen. Die Tat wurde als "Sühnemaßnahme" bezeichnet.

Die Karlsruher Richter mußten beurteilen, inwieweit die Bundesrepublik Deutschland für eine mögliche Schuld des Deutschen Reiches haftet. Denn eine "selbständige Nachkriegsverpflichtung" der Bundesrepublik gebe es nicht: Weder lägen die Voraussetzungen des Bundesentschädigungsgesetzes von 1953 vor, noch ergebe sich ein Anspruch aus dem Londoner Schuldenabkommen aus demselben Jahr, da es im Zuge der Wiedervereinigung mit dem Zwei-plus-vier-Vertrag gegenstandslos geworden sei.

Da es also auf ein mögliche Haftung des Deutschen Reiches ankam, prüfte der Bundesgerichtshof die (Kriegs-)Rechtslage im Jahr 1944. Ausdrücklich heben die Karlsruher Richter hervor, es verstehe sich von selbst, daß hierbei nationalsozialistisches Gedankengut unberücksichtigt bleibe. Doch habe es damals im Fall von Verletzungen des Kriegsvölkerrechts nur Ansprüche des Heimatstaats der Opfer gegen den verantwortlichen Staat gegeben. Anders als in "Schutzsystemen" des heutigen Völkerrechts habe damals der geschädigte einzelne nicht gegen den Staat vorgehen können, wie sich etwa aus der Haager Landkriegsordnung ergebe. Der Bundesgerichtshof wies die Auffassung der Kläger zurück, es habe sich bei dem Massaker um Übergriffe gehandelt, die außerhalb des Kriegsgeschehens gelegen hätten. Es sei unstreitig, daß das Massaker in einem "von der Haager Landkriegsordnung erfaßten Bereich" geschah. Das sei eine militärische Operation gewesen, auch wenn wehrlose Zivilisten dabei getötet worden seien.

Es habe auch keinen Amtshaftungsanspruch gegen das Deutsche Reich gegeben. Denn nach damaligem Verständnis haftete der Staat nicht für Pflichtverletzungen seiner Bediensteten gegenüber Ausländern, die im Ausland durch Kriegshandlungen geschädigt worden seien. Der Krieg habe als völkerrechtlicher Ausnahmezustand gegolten, der mit seinen Folgen auf der zwischenstaatlichen Ebene zu regeln sei. Der Vorsitzende Richter sagte, der Massenmord sei eines der abscheulichsten Verbrechen des Zweiten Weltkriegs gewesen. Doch habe das Gericht "mit den beschränkten Mitteln des Rechts" entscheiden müssen.


 

Die Welt vom 27. Juni 2003


Richter lehnen Schadenersatz-Klage wegen SS-Massakers ab Nachkommen von den Nazis erschossener Griechen unterliegen vor dem

Bundesgerichtshof: Nach dem Urteil beruft sich Deutschland auf die Staatenimmunität

Frauen stehen in Distomo in Griechenland an den Gräbern der 1944 Ermordeten

Foto: AP

Karlsruhe -Deeutschland muss keinen Schadensersatz an Hinterbliebene eines vor fast 60 Jahren begangenen SS-Massakers in Griechenland zahlen. Dies hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe am Donnerstag entschieden. Die Richter wiesen die Klage von vier Griechen ab. Ihre Eltern waren im Jahr 1944 zusammen mit mindestens 215 Bewohnern des griechischen Dorfs Distomo bei Delphi von einer SS-Einheit erschossen worden.

Der 3. Zivilsenat hatte darüber zu entscheiden, ob Deutschland für das Massaker haften muss oder sich bei Kriegsschäden auch gegenüber Privatpersonen auf bisher geleistete Reparationen und den Grundsatz der Staatenimmunität berufen kann. Danach darf ein Staat nicht über einen anderen zu Gericht sitzen.

In der Revisionsverhandlung am 12. Juni hatte die Bundesregierung das Geschehen in Distomo zwar bedauert, aber Schadenersatzzahlungen abgelehnt. Am 10. Juni 1944 hatte eine Einheit der Waffen-SS in einer Vergeltungsaktion nach einem Partisanenüberfall etwa 300 Bewohner des griechischen Dorfes erschossen und ihre Häuser niedergebrannt.

Vor dem Landgericht Bonn und dem Oberlandesgericht Köln war die Klage eines in Zürich lebenden Griechen und seiner drei Schwestern erfolglos geblieben. Ihre Eltern waren bei dem Überfall getötet worden. Bekämen die Kläger Recht, hätte dies immense Konsequenzen, wie der Prozessbevollmächtigte der Bundesrepublik sagte. In ganz Europa seien mehrere tausend ähnlicher Klagen anhängig (Az. III ZR 245/98).WELT.de/ddp/dpa

http://www.welt.de/data/2003/06/26/124996.html


"Jungle World" Nr. 28 vom 02. Juli 2003
Alles, was Recht ist Urteil im Distomo-Prozess
von larsreissmann

Die Linie war von der rot-grünen Bundesregierung vorgegeben. Die Ansprüche von Hinterbliebenen des Massakers vom 10. Juni 1944 im griechischen Ort Distomo wies der dritte Zivilsenat des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe zurück. »Für die Beurteilung der Klageansprüche«, heißt es in der Begründung, »ist die Rechtslage zur Zeit der Tat (.) also des Jahres 1944

(.) maßgebend.« Diese Haltung erinnert an den Ausspruch Hans Filbingers, des vor 25 Jahren zum Rücktritt gezwungenen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und ehemaligen NS-Kriegsmarinerichters: »Was damals Recht war, kann doch heute nicht unrecht sein

Die Richter in Karlsruhe wiesen die Klage der Geschwister Sfountouris, deren Familie 30 der 218 in Distomo ermordeten Menschen angehörten, zurück. Ein Präzedenzfall schien möglich: die Anerkennung eines NS-Massakers an der Zivilbevölkerung, die in Berlin als Bedrohung empfunden wird. Allein für griechische Opfer wären bei 60 000 in Griechenland anhängigen ähnlichen Klagen etwa fünf Milliarden Euro Entschädigung zu zahlen gewesen. Bei Berücksichtigung der Betroffenen vor allem in Osteuropa erreichte die Summe grob geschätzt mindestens das zehn- bis 20fache.

In das deutsche Rechtsbewusstsein und in das Urteil des Bundesgerichtshofes fand der besondere Schutz der Zivilbevölkerung, der bereits in der Haager Landkriegsordnung von 1907 verbürgt ist, keinen Eingang. Vielmehr versucht man noch heute, die Massaker der so genannten »Sühnemaßnahmen« gerade mit dem Haager Abkommen zu rechtfertigen, indem immer noch von Vorgängen im Rahmen des »Kriegsgeschehens« gesprochen wird. Die Rechtsgrundlage und die Rechtspraxis der Nürnberger Prozesse, in der solche Verbrechen an der Menschheit verurteilt wurden, werden nicht beachtet. Man weigert sich, NS-Verbrechen juristisch zu fassen und als Straftaten zu verurteilen.

Dabei gibt es sehr wohl Rechtsgrundlagen für die Gewährung individueller Entschädigung bei NS-Massakern. Joachim Kummer, der Anwalt der Opfer, wies diese Tendenz im internationalen Recht nach und machte auf die zivilrechtlichen Ansprüche gegen die Bundesrepublik als Funktionsnachfolger des Deutschen Reiches im Sinne der Amtshaftung aufmerksam. Doch der Bundesgerichtshof folgt zur Abwehr dieser Ansprüche eindeutig der nationalsozialistischen Rechtsauslegung: »Nach damaligem Verständnis war eine Einstandspflicht des Staates (.) nicht gegeben

Der vorsitzende Richter Eberhard Rinne meinte, die Sache ließe sich »mit den beschränkten Mitteln des Rechts« nicht lösen. Eine Überweisung an das Bundesverfassungsgericht wäre ein sehr bescheidener, aber möglicher Schritt gewesen. Die jetzige Entscheidung beweist den uneingeschränkten Willen, Klagen von Opfern des Nationalsozialismus niederzuschlagen. Die bundesdeutsche Gesellschaft und insbesondere ihre Rechtsorgane haben nicht nur den NS-Opfern die Anerkennung und Entschädigung versagt, sondern auch die strafrechtliche Verfolgung der Täter unterlassen und verhindert.

Die rot-grüne Regierung ist auch weiterhin nicht gewillt, mit der griechischen Seite zu verhandeln. Vorschläge zur Einrichtung eines Härtefonds sind zur Zeit noch aussichtslos. Mehr politischer Druck, möglichst internationaler, ist nötig, damit die NS-Opfer entschädigt werden. 
 

Berliner Zeitung 27.06.2003


Lächerliche 115 Millionen als Wiedergutmachung
Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes ist Deutschland nicht verpflichtet, Schadenersatz an Hinterbliebene von SS-Opfern in Griechenland zu zahlen. Mit Blick auf ein anders lautendes griechisches Urteil, beruft sich der BHG unter anderem auf den Grundsatz der Staatenimmunität. Danach kann ein Gericht eines Staates nicht über einen anderen Staat urteilen. 
Die Argumentation des BGH verdeckt den politischen Kern des Problems: Erst die jahrzehntelange Weigerung Deutschlands, umfassende Wiedergutmachnung zu leisten, hat zu den 60 000 Individualklagen vor griechischen Gerichten geführt. Zwischen 1941 und 1944 wurden von den deutschen Besatzern 130 000 griechische Zivilisten getötet oder verschleppt. 1946 bezifferten die Siegermächte die Schadenersatzansprüche Griechenlands auf 7,5 Milliarden US-Dollar, nicht einbezogen die Rückzahlung eines erzwungenen "Kriegskredits". Vierzehn Jahre dauerte es, bis die Bundesrepublik lächerliche 115 Millionen D-Mark zahlte. Weitere Zahlungen wurden mit dem Hinweis auf das Fehlen eines Friedensvertrages verweigert. Doch nachdem 1990 der 2+4-Vertrag geschlossen wurde, erklärte die Bundesregierung plötzlich, nach 50 Jahren habe die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren. Wenn griechische NS-Opfer dies als perfiden Betrug ansehen, so ist das verständlich. Der Fakt, dass die griechische Regierung die Reparations-Ansprüche nicht nachdrücklich verfolgte, ändert die Sachlage wenig. Er ist vor allem Beleg für die wirtschaftliche Abhängigkeit Griechenlands.
Roland Heine Ressort:Politik
 
Berliner Zeitung vom 28.Juni 2003
Ressort:Feuilleton
Autor:Götz Aly
Unbezahlbare Rechnungen
Warum für das SS-Massaker im griechischen Distomo keine Entschädigung geleistet werden soll


Seine Kommentierung anläßlich der Urteilsverkündung  des BGH vom Donnerstag den 26.6.03. 

 Artikel
 


 

AUCH DIE OPFER DES DISTOMO-MASSAKERS MÜSSEN ENTSCHÄDIGT WERDEN
Aus der taz Nr. 7094 vom 3.7.2003

Gegen die Logik des Alles oder nichts

Journalistische Provokationen sind nützlich, vor allem, wenn sie stereotype Haltungen und eingeschliffene Reaktionen bloßstellen. ......
von Christian Semmler
Sein Kommentierung  und weitere Leserbriefe aus der Berliner Zeitung

zum Ursprungsartikel von Götz Aly-Artikel:  Unbezahlte Rechnungen  aus der Berliner Zeitung vom 28.6.03)

 

Berliner Zeitung vom 10. Juli 2003
REPLIK
Opferung der Opfer
Argyris Sfountouris

Am 26. Juni hat der BGH die Schadenersatzklage von vier Klägern aus dem griechischen Distomo abgewiesen. Sie forderten Entschädigung für ein Massaker, das die SS am 10. Juli 1944 beging und dem 218 Einwohner zum Opfer fielen. Der Historiker Götz Aly verteidigte in dieser Zeitung das

BGH-Urteil: "Unbezahlbare Rechnungen" (Feuilleton vom 28.6.) könnten nicht beglichen werden. Wir drucken, leicht gekürzt, die Antwort eines der Kläger, der am 6. September 1940 in Distomo geboren wurde.

Argyris Sfountouris,

Nazi- und BGH-Opfer

Athen, 5. Juli 2003
 

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/feuilleton/258810.html
 

Ungekürzte Stellungnahme  von Agyrius Sfountouris und der Berliern Initiatiive Greichenland unter dem hakenkreuz


 
 

Weitere Pressestimmen vom Verfahren am BGH hier zum Herunterladen
 


 


 
 
 
 
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