(Zu „Unbezahlbare
Rechnungen“ von Götz Aly, BZ 28.6.03, S.9)
G. Aly resümiert
ganz korrekt im langen ersten Abschnitt die Situation, um dann durch willkürliche
Verknüpfungen, Gedankensprüngen ohne ein Netz von Logik und traumwandlerischen
Ausschweifungen, die nicht der historischen Wahr-heitsfindung, sondern
der ökonomischen Verwirrung dienen, das Kind mit dem Bade auszuschütten
– oder genauer: das Kind auszuschütten und das Bad zu behalten. Das
Kind ist die Gerechtigkeit gegenüber den Nazi-Opfern, welcher
der BGH, d.h. ein deutsches Gericht nach der Nazi-Ära verpflichtet
sein müsste. Das Bad ist die deutsche Ökonomie, in welcher
noch immer viel Nazi-Raubgut verbucht ist und bleiben soll.
Um was ging es bei
diesem BGH-Entscheid – um was geht es bei der Entschädi-gungsfrage
von Nazi-Opfern? G. Aly: „Die Richter folgen damit dem Begehren der
verklagten Bundesregierung, die wegen der ´immensen Konsequenzen´
jede Entschädigung ablehnte.“ Der BGH fällte also einen (ökonomischen)
Gefällig-keitsentscheid und sprach nicht Recht – schon gar nicht Gerechtigkeit.
Der BGH selber formuliert es scheinbar geschickter, indem er von der fehlenden
Gesetz-gebung zur Entschädigung ausgeht, obwohl er (und die BRD-Regierung!)
von Kriegsverbrechen sprechen, die entschädigt werden müssten
– das wohlkling-end-perfide Wort der „Wiedergutmachung“ wird gemieden.
Ob die bestehende Gesetzgebung wirklich nicht ausreicht wird das BVG entscheiden
müssen. (Es gibt sogar ein Bundesgesetz als Folge der D-GRVereinbarungen
von 1961, welches nach der Wiedervereinigung die Entschädigung von
Einzelpersonen vorsieht!) Sollte aber die bestehende Gesetzgebung (inkl.
Grundgesetz) zur grundsätzlichen Entschädigung der Nazi-Opfer
tatsächlich nicht ausreichen, so bedeutet dies, dass die BRD (noch)
kein demokratischer Rechtsstaat ist. Entscheidend aber bei
diesem Entscheid war die Anerkennung der Verbrechen und nicht die
nochmalige Opferung der Opfer. Nachdem in der BRD die aller-meisten Kriegsverbrecher
nie verurteilt wurden, d.h. deren verbrecherische Taten nicht als solche
anerkannt und verurteilt worden sind, wäre dies jetzt für ein
deutsches Gericht eine einmalige Chance gewesen, zu zeigen, dass
der Nazi-Geist und die Nazi-Haltung gegenüber den Opfern der Nazi-Herrschaft
wirklich der Vergangenheit angehören. Und dies scheint nicht der Fall
zu sein. Es muss unterstrichen werden, dass dies jetzt laut gesagt werden
darf und muss: das Nazi-Unrecht ist für deutsche Gerichte höchstens
ein Schönheitsfehler, aber kein strafbares Unrecht. Die mehr
oder weniger vergleichbaren historischen Paralle-len, die G. Aly sich aufzulisten
bemüht, ändern nichts daran: ein Unrechts-Staat ist nicht weniger
Unrechts-Staat, weil es auch andere Unrechts-Staaten gibt! Wie hoch der Preis
eines Unrechts-Staates ist, sollte man in Deutschland nicht so rasch vergessen
– und der Zynismus eines G. Aly (der für seine Regierung spricht),
dass eine Gerechtigkeit für die Opfer unbezahlbar sei, müsste
in einem demokratischen Deutschland ebenso strafbar sein wie die
Auschwitz-Lüge. G. Aly scheint – wie so viele andere – ganz zu verdrängen:
Den Präzedenzfall stellt nicht die Klage der Distomo-Opfer
dar, sondern die Nazi-Verbrechen! Der Gedanke, dass
diese Nazi-Verbrechen ungesühnt bleiben und somit ohne Weiteres wiederholt
werden können, stellt eine Ungeheuerlichkeit dar. Ein wirklich demokratisches
Deutschland hätte alles daransetzen müssen, die nationale, europäische,
internationale Gesetzgebung sowie das Völker- und das sog. Kriegsrecht
zu erneuern und zu vervollständigen, so dass keine Kriegsver-brecher
ungestraft und keine Massenmorde ungesühnt und unentschädigt
bleiben können. Dies war und ist seit der Befreiung von der Nazi-Herrschaft
Deutsch-lands erste und höchste moralische Pflicht. Mit ihrer Klage
gegen die BRD wollen die Distomo-Opfer die deutsche Regierung aber auch
die deutsche Öffentlichkeit daran erinnern. Denn eine solche Gesetzgebung
ist zwar noch keine hinreichende, aber eine äusserst notwendige Voraussetzung
für ein friedliches Zusammenleben der Völker und für den
Aufbau eines demokrati-chen Europa.
[1] Barbara Tuchmann „Die Torheit der Regierenden – von Troja bis Vietnam“, Fischer TB 11235, Frankfurt M, 1992 Argyris Sfountouris,
Nazi- und BGH-Opfer
Athen, 5. Juli 2003
Stellungnahme der Berliner Initiative
Griechenland unterm Hakenkreuz Gedanken zu Götz Aly: „Unbezahlbare
Rechnungen“ in „Berliner Zeitung“ v. 28.6.03, S. 9
In dem Aufsatz
verteidigt Götz Aly das ablehnende Urteil des BGH zu den Schadensersatzforderungen
von Überlebenden des Massakers in Distomo vom 26.Juni 2003. Er macht
sich die Position der Bundesregierung insbesonderehinsichtlich
der Staatenimmunität, der „immensen“ Konsequenzen“ einer Entschädigung
der Terroropfer und dem Hinweis auf bereits geleistete Zahlungen zu eigen.
Deutschland sei wirtschaftlich nicht in der Lage, angesichts der Größe
der NS - Verbrechen, so die Argumentation Alys, die Opfer zu entschädigen. Bei der Ablehnung
der Entschädigungsforderung der Distomo-Opfer geht Aly für einen
Historiker ungewöhnliche Wege: Er setzt Täter und Opfer “juristisch“
gleich, unterläßt es, Ursache und Wirkung zu erläutern,
verschweigt politische und historische Zusammenhänge vornehmlich in
Bezug auf das konkrete Massaker und auf die Problematik der Entschädigung
griechischer Opfer deutscher Besatzungspolitik. Außerdem kreiert
er damit ein in der Geschichte aller Entschädigungsdebatten neues
Argument. Ein von einem Aggressor angerichteter Schaden muß nur groß
genug sein, um eine Wiedergutmachung abzulehnen. Aly nennt die
militärische Attacke einer Einheit der Griechischen Volksbefreiungsarmee
(ELAS) auf eine SS-Kompanie 6 Kilometer von Distomo entfernt, bei der einige
SS-Soldaten gefallen sind, „nach damaligem Kriegsrecht“ ebenso einen Mord
wie das anschließende Massaker der SS in Distomo. Vier wesentliche
Punkte „übersieht“ Aly: -Im
Juni 1944 war die ELAS nicht mehr eine Gruppe von „Freischärlern“,
wie Aly die Soldaten nennt, sondern eine von den Alliierten anerkannte
Armee mit zentralem Oberkommando als Stabs- und Kommandoorgan für
ganz Griechenland. Die Kämpfer trugen in aller Regel Uniform oder
als Minimum Abzeichen. Angriffe solcher Formationen auf die Besatzungstruppen
galten schon damals (seit der Haager Landkriegsordnung von 1907) als vom
Völkerrecht gedeckt (Art. 1 der Anlage zur HLKO). -Das
Massaker in Distomo war nicht nur, wie auch die Richter des BGH konzedieren
mußten, besonders grausam, sondern selbst nach der seit Dezember
1943 geltenden Befehlslage für die deutschen Truppen in Griechenland
in derart grober Weise rechtswidrig, daß die Täter sogar den
“Gefechtsbericht“ fälschten und damit eine Untersuchung des Vorfalles
durch den für Griechenland zuständigen Wehrmachtsoberbefehlshaber
Südost auslösten. -Bei
Aly bleibt wie bei den meisten anderen Diskussionen über die Rechtmäßigkeit
der griechischen Forderungen ein gravierendes völkerrechtliches Argument
außer Betracht. Mit dem heimtückischen Überfall auf Griechenland
am 6. April 1941 beging Deutschland das schwerste Verbrechen im zwischenstaatlichen
Verkehr, ein „Verbrechen gegen den Frieden“, wie der deutsche Angriff im
Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg qualifiziert
wurde. Diese rechtswidrige Handlung war aber Voraussetzung und vielfach
direkte Folge aller anderen den Griechen zugefügten Leiden und auferlegten
Lasten. -Mit
keinem Wort erwähnt Aly das Skandalon, daß der unbeschreibliche
Mord an 218 völlig Unschuldigen, meist Frauen und Kindern, durch die
bundesdeutsche Justiz nie gesühnt worden ist. Zwar gab es 1972in
München ein Verfahren gegen Teilnehmer des Massakers, aber die Staatsanwaltschaft
stellte das Verfahren „wegen Verjährung“ ein, obwohl auch für
die Staatsanwaltschaft unbestreitbar der Tatbestand des Mordes erfüllt
war. Sie stützte sich auf ein Urteil des BGH, in dem die gerade erst
vom Bundestag beschlossene Nichtverjährung von Mord dann aufgehoben
werden müsse, wenn die Tat den damaligen Strafverfolgungsbehörden
nicht bekannt gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft ignorierte offensichtlich,
daß im Fall Distomo sogar eine Untersuchung des Oberbefehlshabers
Südost stattgefunden hat, die Tat also auch den damaligen Strafverfolgungsbehörden
bekannt war. Bei der Abhandlung
über die Entschädigungsproblematik läßt Aly wesentliche
politische und geschichtliche Fragen unbeachtet: -Im
Londoner Schuldenabkommen von 1953 hatte auch Griechenland der BRD zugestanden,
Reparationsforderungen bis zu einer späteren Regelung, im allgemeinen
war damit eine friedensvertragliche Regelung gemeint, zurück zu stellen.
Die BRD konnte somit unbehelligt von Reparationsforderungen die Wirtschaft
aufbauen. Griechische Opferverbände weisen heute zu recht darauf hin,
daß auch mit der Stundung ihrer als im Grundsatz berechtigt anerkannten
Forderungen das bundesdeutsche „Wirtschaftswunder“ finanziert worden ist,
während die Griechen kein Geld für den Aufbau ihrer von Deutschen
zerstörten Orte und Wirtschaftsbetriebe bekamen. Aufforderungen griechischer
Offizieller an die BRD, den Entschädigungsforderungen nach zu kommen,
lehnten westdeutsche Stellen regelmäßig mit Hinweis auf die
Festlegungen im Londoner Schuldenabkommen ab. Als
mit dem 2+4-Abkommen eine neue Situation geschaffen worden war, reagierten
die bundesdeutsche Seite auf griechische Forderungen mit dem Argument,
nach so langer Zeit seit 1945 hätten sich Reparationsforderungen ja
wohl erledigt. -Aly
verschweigt, daß sich die Bundesregierung jeglichem Dialog mit den
Opfern und Hinterbliebenen arrogant verweigerte und auch eine Lösung
auf politischem Wege, die den Willen zur Sühne und zur tätigen
Reue hätte erkennen lassen, ablehnte. Erst als sich die Haltung der
Bundesregierung derart verhärtete, gingen die Opfer ab 1995 den Weg
über die Gerichte. -Ein
wesentliches Argument Alys für das Urteil und die Haltung der Bundesregierung
ist sein Verweis auf Zahlungen der Bundesregierung aus den Jahren 1960/61.
Er nutzt –offenbar in denunziatorischer Absicht auch gegen seinen Kollegen
in der Berliner Zeitung; R. Heine, - um die Kritik aller Fachleute, die
die damalige Zahlung angesichts des Umfangs der Morde, Zerstörungen
und Plünderungen in Griechenland als lächerlich gering bezeichnen,
als Anhänger eines „geschichtsfernen Antifaschismus“ zu diskriminieren.
Dabei unterschlägt Aly, daß die Zahlungen aus der Sicht der
Bundesregierung und gemäß dem Vertragstext ausschließlich
den Opfern der Judenverfolgung durch die deutschen Besatzungsbehörden
zu gute kommen sollten. Selbst gegenüber diesem eingeschränkten
Kreis von Opfern deutscher Besatzer ist die Summe von 115 Millionen DM
noch immer lächerlich gering: Umgerechnet zahlte die Bundesregierung
für jeden ermordeten griechischen Juden 1900,00 DM. Seine Haltung
über das Urteil des BGH und die Position der Bundesregierung stütz
Alyunter Berufung auf die “Unteilbarkeit
des Rechts“ mit einer Argumentationskette die, nicht nur Opfer und Täter
gleichsetzt, sondern auch Ursache und Wirkung verwischen soll. Die deutschen
Opfer von Aktionen der Alliierten -.Aly führt ein angebliches Massaker
sowjetischer Truppen in Allenstein an - , die Vertreibungen der Deutschen
aus den Ostgebieten, die zum größten Teil auf Befehle deutscher
Militärbehörden, die angesichts der Frontlage viel zu spät
erfolgten, geschahen nachdem Deutschland Europa mit einem mörderischen
Eroberungskrieg überzogen, gewaltige Zerstörungen angerichtet
und Millionen von Menschen nach genauem Plan umgebracht hatte und der Krieg
nach einem für die Alliierten ungeheuer verlustreichen Kampf nun in
das Ursprungsland, in das Land des< Aggressors gekommen war. Aly erwähnt
in diesem Zusammenhang auch die Enteignungen in der Sowjetischen Zone Deutschlands
bis 1949 als diskussionswürdig, dh. Eine Maßnahme zur Bestrafung
eines Teil jener Macht- und Einflußeliten , die maßgeblich
dem Faschismus zur Macht verholfen, an exponierter Stelle den ungeheuren
Eroberungs- und Vernichtungskrieg mit vorbereitet und durchgeführt
hatten, , maßgeblich anKrieg
und Ausbeutung eroberter Gebiete verdiente, ein Heer von Zwangsarbeitern
als Sklaven hielt, stellt er in eine Reihe mit den Untaten der Deutschen
in den besetzten Gebieten. In diesem Zusammenhang muß auch auf seinen
Seitenhieb auf die Stellung der DDR zur „Arisierung“ eingegangen werden.
Aus der einschlägigen Literatur ist bekannt, dass nicht erst seit
den Zeiten des Braunbuches, die „Arisierung“ als ein Verbrechen gebrandmarkt
worden ist und in der DDR die Hauptnutznießer dieses Verbrechens
benannt wurden. Dabei ging es der DDR-Historiografie nicht nur um, jene
„kleinen“ Leute, die sich in nicht zu entschuldigender Weise am jüdischen
Mobiliaroder Hausrat vergriffen.
Entscheidend war, darauf hinzuweisen, dass sich unter Assistenz der Großbanken
und unter Ausnutzung des nazistischen Unterdrückungsapparates deutsche
Wirtschaftsführer ganze Industrie- und Minenkomplexe, riesige Grundstücke
und Aktienpakete in Deutschland wie in den besetzten Ländern angeeignet
und damit ihre ohnehin dominierende Stellung in der deutschen Gesellschaft
gefestigt hatten. Aly benutzt
den Urteilsspruch, seine inzwischen mehr als umstrittenen Thesen über
den Charakter des NS-Regimes als einer „jederzeit mehrheitsfähigen“
klassenlosen, für alle Deutschen sozialpolitisch komfortablen „Wohlfühldiktatur“
zu bekräftigen und auch damit die Frage nach Schuld und Verantwortungfür
Krieg und Faschismus auf 80 Millionen Deutsche auszubreiten, zu nivellieren
und dahinter die Hautverantwortlichen wie die wirklich Schuldigen zu verstecken. Berliner
Initiative „Griechenland unterm Hakenkreuz“
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