Auf der Fähre

Inges Lebenserinnerungen

Filsen ist ein kleiner Ort am Rhein. Er liegt genau gegenüber von Boppard in der größten Rheinschleife. Heute leben ca. 650 Menschen dort. Hier verbrachte meine Mutter ihre Kindheit. Sie berichtete uns oft über ihre Erlebnisse in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Daher haben wir sie ermuntert, einige kleine Geschichten über die damaligen Vorgänge zu schreiben. Beginnen wollen wir mit einem Bombenabwurf auf Filsen, bei dem 10 Menschen starben.

Auf dem Foto sieht man meine Mutter und meine Großmutter auf der Fähre von Filsen nach Boppard. Das Foto ist ungefähr 1942 entstanden.

Bomben über Filsen

"Hilf Maria, es ist Zeit, Mutter der Barmherzigkeit", laut, fast schreiend, kam dieses Gebet über unsere Lippen. Wir saßen im Keller, eingehüllt in graue Soldatendecken, die fürchterlich kratzten. Es war ein wunderschöner Frühlingstag, die ersten warmen Sonnenstrahlen ließen uns Kinder draußen herumtoben. Wir hatten uns Steine in die Schuhe gelegt und spielten "Damen mit hohen Absätzen": meine Cousine, meine Freundin und ich, alle zwischen vier und fünf Jahre alt. Als plötzlich die Sirenen losheulten, konnten wir auch schon die Flugzeuge hören. Meine Mutter war bei meinen Großeltern, so lief ich mit meiner Cousine in den Keller meiner Tante. Kaum dort unten angekommen, ging das Inferno auch schon los.

Wir hörten, dass irgendwo Bomben einschlugen, Fenster zersprangen klirrend, feiner Staub und Putz rieselte von der Decke. Wir hatten Mühe zu atmen. Die Erwachsenen versuchten, uns Kinder zu beruhigen. Wir saßen zitternd da und hielten uns alle eng umschlungen.

Vorher und nachher hatte ich noch einige Bombenangriffe erlebt mit schlimmen Ausgang, aber dieser Tag und die nachfolgenden Tage blieben bis heute in meiner Erinnerung. Die Bomben hatten das Schulhaus getroffen und einen tiefen Krater gerissen. Viele Menschen suchten im dortigen Keller immer Schutz. An diesem Tag wurde der Keller zu ihrem Grab. Zehn Menschen starben, achtzehn wurden zum Teil schwer verletzt. Unter den Toten war auch die Mutter meines gleichaltrigen Freundes Robert. Auch der Lehrer, wegen ihm erwartete meine Mutter ängstlich den Tag meiner Einschulung, weil er überzeugter Hitler-Anhänger war, starb. Ich konnte für lange Zeit den Anblick der langen Reihe der Särge nicht vergessen. Im Hause meiner Tante waren alle Fensterscheiben zerbrochen. Auf dem Boden im Wohnzimmer lag das große Fischglas, und die Goldfische, die wir Kinder so liebten, waren tot.

Die Sonne schien für uns an diesem Tag nicht mehr.

Hier geht es zur nächsten Geschichte meiner Mutter. Diesmal geht es um das Leben am Rhein. Mehr über das heutige Leben in Filsen erfährt man auch auf dieser Homepage.



Diese Seite wurde von Gudrun Schönfeld ([email protected]) erstellt.







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