DAS GROßE PINGPONG-SPIEL
RICHARD NIXON
VERRÄTER TAIWANS

[Nixon und Mao Tse-tung]

Ein Kapitel aus Dikigoros' Webseite
REISEN  ZUM  ANDEREN  UFER

Verrat und Verräter im 20. Jahrhundert

Zu seinem siebten Geburtstag - also viel zu früh - bekam klein Niko von irgendwem (der wohl wußte, daß ihm das "Dschungelbuch" gut gefallen hatte) ein Buch von Rudyard Kipling geschenkt mit dem simplen Titel "Kim" - natürlich nicht auf Englisch, geschweige denn in einer der Ausgaben von vor 1933, deren Cover noch der Swastik zierte, sondern in einer deutschen Übersetzung ad usum Dummviehi, pardon Delphini. Nach wenigen Seiten Lektüre legte er die langweilige Geschichte eines kleinen Jungen auf der Suche nach irgendeiner obskuren Rindviehfahne beiseite. Bis zum Kern des Romans, dessen Untertitel "Das große Spiel" lauten müßte, drang er damals nicht vor. Worum ging es? Um die Eroberung eines Landes, nein eines ganzen Subkontinents, durch eine Kolonialmacht, genauer gesagt um dessen politische und wirtschaftliche Durchdringung - die ja viel wichtiger und wertvoller ist als alles, was man auf militärischem Wege jemals erreichen kann. In zwei Regionen der Erde legten die Angelsachsen besonderen Ehrgeiz in ihre Versuche, dies zu bewerkstelligen: in Indien - davon handelte "Kim" - und... in China. (Heute findet "das neue große Spiel" in einer Region zwischen China und Indien - und Rußland - statt, aber das ist eine andere Geschichte.)

Der Verrat an Taiwan - der eigentlich ein Verrat an den Süd-Chinesen war - hatte eine lange Vorgeschichte, die mehr als 100 Jahre zurück reicht. Mitte des 19. Jahrhunderts stand das Großreich der Tschin-Dynastie vor dem Zusammenbruch; das sahen nicht nur die Mandschus (die es gegründet hatten), sondern auch andere Völker in China - und selbst einige nicht ganz blinde Beobachter im Ausland sahen es: Ost-Turkestan, die Mongolei, Korea, Tibet, Myanmar und Tonking (Nord-Vietnam) waren auf die Dauer nicht mehr zu halten; und wenn die Tschin gestürzt würden auch die Mandschurei nicht. Sei's drum - aber auch der Rest Chinas war alles andere als "ein Volk, ein Reich" - geschweige denn, daß es einen überall anerkannten Führer gehabt hätte. Woher auch - die rassischen und kulturellen Unterschiede zwischen den Völkern nördlich und südlich des Flusses Yang-tse waren einfach zu groß, und was nicht zusammen gehörte konnte nicht zusammen wachsen, sondern allenfalls mit Gewalt zusammen gehalten werden. China stand durchaus nicht alleine mit diesem Nord-Süd-Problem, das damals in vielen Staaten der Welt virulent war: In den USA, Brasilien, Groß-Britannien, Frankreich, Belgien, Deutschland, Italien, Ägypten - ach was, dem ganzen Osmanischen Reich -, Indien... In manchen gab es darob Kriege oder Bürgerkriege; nur in ganz wenigen fand man die Lösung, die darin bestand, zu trennen, was getrennt gehörte und für sich sein wollte, in den meisten Fällen klammerte man sich an die unvernünftige "Lösung", es mit Gewalt zusammen zu halten. Dabei taten sich die Briten besonders hervor, denn was zu ihrem glorreichen Empire gehörte, durfte nicht getrennt werden; und je weniger sich die Völker und Stämme in den einzelnen Kolonien einig waren, desto besser ließen sie sich gegen einander ausspielen. Wie sagten schon die alten Römer: "Divide et impera [entzweie und beherrsche]". Aber dieser Spruch kann auch in sein Gegenteil umschlagen; er kann nämlich Völker und Stämme, die bis dahin nichts von einander wissen wollten, in dem gemeinsamen Ziel vereinen, die auswärtige Gefahr abzuwehren. (Ist das ein kluges Motiv? Natürlich nicht - denn hinterher, wenn es darum geht, positive Gemeinsamkeiten zu entdecken, gibt es meist keine, und der Streit beginnt von neuem; aber das hilft dem vermeintlich lachenden Dritten, welcher der Koalition erlegen ist, nichts mehr. Was half es denn den Deutschen, daß, sich ihre alliierten Feinde nach den Weltkriegen stets wieder verkrachten? Eben.) Die Briten taten den ersten Schritt, die Chinesen zu einigen, im so genannten "ersten Opiumkrieg", der in Wahrheit ein Krieg um den (zoll-)freien Zugang zum chinesischen Markt war. (Entgegen weit verbreiteter Gerüchte hatte es Opium auch schon vorher in China gegeben, es war halt nur teurer, weil es illegal geschmuggelt werden mußte.) Aber das reichte noch nicht, um die schwer wiegenden Differenzen zwischen Nord- und Süd-China zu beseitigen; die süd-chinesischen Christen erhoben sich gegen die Nord-Chinesen und gründeten ein Reich, das sie "Reich des großen Friedens [Tai-ping]" nannten, und das bis heute Bestand haben könnte - wenn ihnen die ausländischen Mächte nicht in den Rücken gefallen wären. So hatte es nur 14 Jahre Bestand, bis der "Taiping-Aufstand" wie diese Ereignisse in der Darstellung unwissender westlicher Historiker genannt werden, mit Hilfe ausländischer Kanonen nieder gekämpft war; und die Briten waren noch mächtig stolz auf diese Heldentat, die sie als "Zweiten Opiumkrieg" bezeichneten, obwohl es da kaum noch um Opium ging.

Der "Boxer-Aufstand" knapp zwei Generationen später war schon eine gesamt-chinesische Erscheinung (auch wenn er im Norden ausbrach), dessen Gemeinsamkeit der Kampf gegen die "fremden Teufel" war - diesmal schoben die Briten (deren nepalesische Söldner, die Gurkhas, im "Zweiten Opiumkrieg" reihenweise desertiert waren, weshalb sie sich jetzt nicht mehr so recht trauten, die in China einzusetzen - sie hatten Nepal den Chinesen erst nach den Napoleonischen Kriegen entrissen) die Deutschen vor ("The Germans to the front"), und die waren dumm genug, sich instrumentalisieren zu lassen - ebenso die Japaner und noch ein paar andere Neo-Imperialisten. Nun schwanden die letzten Zweifel der Chinesen, daß, sich alle Ausländer gegen sie verschworen hatten, weswegen sie alle zusammen halten mußten. Die Revolution von 1911 - die ein Jahr später zum Sturz der Tschin-Dynastie führen sollte - ging wieder von Süd-China aus (ihr Anführer war der Kantonese Sun Yat-sen), aber sie wollte ganz China zu einer "Republik" machen - ein Fehler, an der sie letztlich scheiterte, weil die "Warlords" im Norden und im Westen gar nicht daran dachten, sich Nanking zu unterwerfen - Jahrzehnte langer Bürgerkrieg war die Folge. Daran änderte sich auch nichts, als Sun starb; denn sein Nachfolger Tschiang Kai-shek - ebenfalls ein christlicher Kantonese - war ebenso wenig bereit, sich auf Süd-China zu beschränken, wie es die Vernunft geboten hätte. Im Westen rühte niemand einen Finger für ihn; und im Osten hatte Japan nur eines im Sinn: sich ein paar möglichst große Happen aus China heraus zu schneiden. Taiwan, Korea und die Mandschurei genügten ihm nicht; auch nicht ganz Nord-China (wie leicht hätte man sich auf diesen gemeinsamen Nenner einigen köNnen!) - sie wollten den Mark ganz für sich alleine. Und so gelang es einem Nord-Chinesen unter dem Banner des Kommunismus (der ihm die Hilfe der Sowjet-Union bescherte), Tschiang Paroli zu bieten und ihn, als die USA ihn nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr brauchten und fallen ließen wie die berühmte heiße Kartoffel, vom Festland zu vertreiben - eben nach Taiwan.

Nun war damit aber noch nicht alles verloren; denn wie sich im Laufe der Jahrzehnte zeigte, blühte das kleine Taiwan unter den Süd-("National"-)Chinesen förmlich auf und wuchs zu einer echten Wirtschaftsmacht heran, während der rot-chinesische Koloß in sozialistischer Mißwirtschaft, Hungersnöten, Korruption und Terror versank.
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Der Verrat Nixons an Taiwan hat einen Namen. Nein, liebe Leser, nicht seinen eigenen, auch nicht den seines jüdischen "Secretary of State" Henry Kissinger. Der war zwar immer und überall dabei, wenn es galt, einen Verbündeten zu verraten (selbst seine eigenen Glaubensbrüder, die Israelis, im Yom-Kippur-Krieg), aber in diesem speziallen Fall erlag er den Einflüsterungen einer Chinesin, und zu allem Überfluß einer Süd-Chinesin aus Shanghai, der Frau seines wichtigsten außenpolitischen Beraters, die knapp ein Jahrzehnt später unter dem Namen "Bette Bao Lord" die Geschichte ihrer Familie in Romanform ("Spring Moon [Frühlingsmond]" veröffentlichen sollte.
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Vermißt hier der eine oder andere Leser ein Kapitel - oder zumindest einen Exkurs - über den Verrat an den Vietnamesen? Tja, das wäre ein schwieriges Kapitel, und Dikigoros wüßte nicht, wo er es einordnen und vor allem, wem er es zuordnen sollte. Er hatte ja in einem anderen Kapitel bereits kurz erwähnt, wo er einen Wendepunkt des Vietnamkriegs sah, nämlich in der von Kennedy veranlaßten Ermordung des südvietnamesischen Präsidenten Ngo Dinh Diem im November 1963. Aber die war weder die Ursache für "den" Vietnamkrieg noch war deren notwendige Folge die Niederlage Südvietnams. Was dann, und wer war "der" Verräter? Schon Kennedy's Nachfolger Johnson wollte den Krieg - angeblich - beenden, tat es dann aber doch nicht. Nixon schloß den Waffenstillstand; aber mußte er damit rechnen, daß der nur zwei Jahre hielt und daß am Ende die Eroberung ganz Vietnams durch die Kommunisten (wenn man denn die Eroberung Annams und Kotschinchinas durch die Tonkinesen so nennen darf) stehen würde? (Sein Nachfolger Ford, in dessen Amtszeit der Untergang Südvietnams dann fallen sollte, konnte daran nichts mehr ändern.) Wahrscheinlich nicht, und das ist ein Treppenwitz der Geschichte: In Sachen Vietnam glaubten die Amerikaner - oder wollten es glauben, redeten sich jedenfalls ein -, daß der Frieden halten und daß Südvietnam schon irgendwie überleben würde - zwei Jahre später war es von der Landkarte verschwunden. Aber in Sachen China nahm Nixon, der Spieler, billigend in Kauf, daß zum Einsatz, um den er mit Rot-China zu spielen bereit war, auch Taiwan gehörte und daß dieses über kurz oder lang vom "großen Bruder" geschluckt werden würde - aber es besteht, dem amerikanischen Verrat zum Trotz, noch immer.

[Taiwan]

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