"Ik bin ein Berliner!"
John F. Kennedy & Konrad Adenauer
VERRÄTER  DER  BERLINER

[US-Präsident John F. Kennedy, Herbert Frahm alias Willy 
Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin, Bundeskanzler Konrad Adenauer]

Ein Kapitel aus Dikigoros' Webseite
REISEN  ZUM  ANDEREN  UFER

Verrat und Verräter im 20. Jahrhundert

Wer kennt ihn nicht, den berühmten Satz aus der Titelzeile - und wer hätte ihn nicht mißverstanden, und wer würde ihn nicht zeitlich völlig falsch einordnen? Die Berliner waren dumm genug, und Kennedy verachtete sie dafür - aber der Reihe nach. Dikigoros hat in der Einleitung zu dieser "Reise durch die Vergangenheit" die Frage gestellt, was Kennedy den Berlinern geschuldet haben sollte, daß man ihn im Zusammenhang mit der Berliner Mauer des "Verrats" bezichtigen könnte, und er hat darauf die Antwort gegeben, daß Westberlin nicht zu Deutschland gehörte, sondern alliiertes Protektorat, pardon Schutzgebiet war, auch das der Amerikaner. Der US-Präsident schuldete also seinen dort lebenden Untertanen ebenso Schutz wie etwa den Einwohnern von Hawaii oder Puerto Rico. Stellt Euch vor, liebe Leser, die Japaner hätten einen Teil des ersteren besetzt und die Kubaner einen Teil des letzteren, ihre Besatzungszonen vom jeweiligen Rest durch eine Mauer abgesperrt, und die einzige Reaktion des US-Präsidenten hätte darin bestanden, zwei Jahre später hin zu fliegen und den solchermaßen Abgesperrten zuzurufen: "Aku orang Hawaii" bzw. "Yo soy un Ricano". Letzteres hätten die Eingeborenen nichtmal als Witz verstanden, denn in Lateinamerika werden die US-Amerikaner ja ohnehin abwertend "Ricanos" genannt (so wie sie auf Französisch abwertend "Ricains" genannt werden, damals zur Zeit De Gaulles besonders, aber das ist eine andere Geschichte). Auch der Satz aus der Überschrift war gar nicht als Bonmot gedacht, sondern lediglich Teil eines längeren Satzes: "Und als Bürger der freien Welt bin ich stolz, wenn ich die Worte höre: 'Ich bin ein Berliner'." Nun hatte aber Kennedy nur die letzten vier Wörter auf Deutsch gesprochen, und den Rest auf Englisch, was von den doofen Berlinern niemand verstand (in Berlin sprach man traditionell nur zwei Fremdsprachen: Französisch und Hochdeutsch - auch die Ostberliner haben nie richtig Russisch gelernt :-). Der aufbrausende Jubel - und die Schlagzeilen der Zeitungen, denn auch die Berliner Reporter konnten kein Englisch - brachte nun Kennedy's Berater auf die Idee, diese letzten vier Wörter künftig isoliert von sich zu geben, und so quakte der US-Ire künftig bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit, solange er auf Deutschland-Tournee war, wie ein aufgezogenes Uhrwerk: "Ik bin ein Berliner!"

Exkurs. Mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten ist das so eine Sache; und Dikigoros hat immer mal wieder erwogen, ihnen eine eigene "Reise durch die Vergangenheit" zu widmen; aber vorerst will er sich mit einem Exkurs begnügen. Meist dienten solche Verkürzungen ja nicht der positiven Propaganda, sondern der negativen. Ihr habt sicher schon mal den Satz von Heinrich Treitschke gehört, den vor allem die Nazis immer wieder zitiert haben, nachdem der gute Professor tot war und sich nicht mehr dagegen wehren konnte: "Die Juden sind unser Unglück!" Das hat Treitschke so isoliert nie gesagt oder geschrieben - und jedenfalls hat er es so nicht gemeint; er schrieb vielmehr über Leute, die das gesagt hatten, und konterte dann mit dem Argument, daß assimilierte Juden (wie er wohl selber einer war, auch wenn die Nazis das nie breit traten - und er selber auch nicht :-) ganz im Gegenteil eine große Bereicherung sein könnten. (Kommt Euch das bekannt vor, liebe Kinder des 20. Jahrhunderts? Ja ja, die "Integrations"-Debatte entstand nicht erst gestern; dabei war selbst der am schlechtesten "assimilierte" Jude des 19. Jahrhunderts schwerlich eine größere Gefahr für den inneren Frieden einer Gesellschaft als es der am besten "integrierte" Muslim des 21. Jahrhunderts ist - aber das ist eine andere Geschichte...) Oder wie war das mit der berühmt-berüchtigten "Hunnenrede", die Wilhelm II anno 1900 seinen Soldaten vor der Abfahrt nach China gehalten haben soll, von wegen "Pardon wird nicht gegeben" und "Gefangene werden nicht gemacht"! Er sagte genau das Gegenteil - aber Dikigoros will sich nicht wiederholen, klickt einfach die beiden letzten Links an, dort hat er die Einzelheiten festgehalten. Der vielleicht berühmteste Fall aber ist der Satz - den die so genannte "Friedens"-Bewegung der 1980er Jahre auf ihre Fahnen schrieb: "Stellt Euch vor, es ist Krieg, und keiner geht hin! (Bert Brecht)" Aber jener Satz war gar nicht von Brecht, sondern von Carl Sandburg; von Brecht stammt bloß die - wohlweislich nie mit zitierte - Fortsetzung, die den Sinn jenes Satzes in ihr genaues Gegenteil verkehrt: "... dann kommt der Krieg zu Euch!" Aber manchmal bedarf es gar keines Aus-dem-Zusammenhang-reißens; manchmal erlangt auch ein völlig frei erfundener Satz Berühmtheit und macht sogar Weltgeschichte: "Dann sollen sie doch Kuchen essen!" hat Marie Antoinette nie gesagt - das war eine Erfindung des JudenSchweizers RosenwasserRousseau; aber seine Verbreitung reichte aus, um die Blutorgien der "Französischen Revolution" und der "Napoleonischen Kriege" auszulösen. "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!" hat Gorbatschow nie gesagt; aber seine Verbreitung reichte aus... Nun, liebe Leser, die meisten von Euch haben das ja noch selber in Erinnerung; mag jeder für sich abschätzen, inwieweit er zum "Fall" jener Mauer beigetragen hat, auf deren Bau wir jetzt wieder zurück kommen wollen. Exkurs Ende.

Kennedy zur Seite saßen anno 1963 zwei andere Verräter, ein älterer und ein jüngerer, deren Verrat jedoch ungleich weniger schwer ins Gewicht fiel, ja im Rückblick kaum noch wahr genommen wurde: Konrad Adenauer, der Ex-Oberbürgermeister von Köln am Rhein (nicht zu verwechseln mit Neukölln, dem Stadtteil von Berlin), hatte in den frühen 1920er Jahren versucht, eine Art Neuauflage des Napoleonischen Rheinbunds unter französischem Schutz zu gründen, d.h. sich vom Deutschen Reich los zu trennen. Die Nazis hatten ihn dafür ins KZ gesteckt (völlig zu Unrecht - von Rechts wegen hätte er an die Wand gestellt gehört, meinte jedenfalls sein Gegenspieler, der Patriot Kurt Schumacher von der SPD), so daß er sich nach dem Zweiten Weltkrieg bei den Alliierten als "Widerstandskämpfer" aufspielen, die CDU gründen und Bundeskanzler werden konnte. Der andere, Herbert Frahm, war als kommunistischer Terrorist in den Untergrund gegangen und irgendwann nach Norwegen geflohen, dessen Staatsbürger er unter seinem Ganovennamen "Willy Brandt" wurde. Er kam als Besatzungsoffizier nach Deutschland zurück, wo er Jahre lang als Verbrecher galt und bei den Wählern kein Bein auf die Erde bekam. Doch als Schumacher und sein glück- und farbloser Nachfolger Ollenhauer abgetreten waren, wurde er Vorsitzender der SPD und als solcher zum Regierenden Bürgermeister von Berlin gewählt - was die ohnehin geringe Begeisterung Adenauers für jene Stadt nicht gerade erhöhte.

Als Dikigoros studierte, lehrte Adenauers Hofhistoriker, ein gewisser Andreas Hillgruber, als Professor für Geschichte an der Universität zu Köln. Er war mit allerlei obstrusen - und zurecht umstrittenen - Thesen über Hitler, das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg bekannt geworden; und einige Jahre nach Adenauers Tod schrieb er ein Buch mit dem Titel "Deutsche Geschichte 1945-72". Da es weder von Hitler noch vom Dritten Reich noch vom Zweiten Weltkrieg handelte, machte es weit weniger Aufsehen, geschweige denn Skandal, als seine früheren Bücher; dabei war das, was er darin andeutete, ungleich brisanter - und ist es bis heute: Der brave Konrad Adenauer machte sich Sorgen um Deutschland, genauer gesagt um das deutsche Volk und seinen Lebensraum. Der war ja infolge der verlorenen Weltkriege ohnehin schon stark geschrumpft; und DDR hin oder her: dort saßen immerhin noch Deutsche, und da Adenauer immer überzeugt war, daß man die "Zone" eines Tages heim ins Reich, pardon in die BRD holen würde (und er sollte ja Recht behalten! :-), mußte diese als deutsches Siedlungsgebiet erhalten bleiben. (Über Ost- und Westpreußen, Pommern und Schlesien machte er sich wohl anderthalb Jahrzehnte nach Kriegsende keine Illusionen mehr; das hatten die Russen und Polen derart herunter gewirtschaftet, daß dort kein Deutscher mehr würde leben wollen - auch wenn er den "Vertriebenen" ihre Illusionen ließ, sie sogar darin bestärkte - schließlich brauchte er doch Wählerstimmen!) Was aber geschah in der Praxis? Täglich flohen hunderte, manchmal gar tausende aus der Sowjetzone in den Westen, genauer gesagt nach West-Berlin; Mitteldeutschland "blutete aus", und wenn das so weiter ging, konnte man sich leicht ausrechnen, wann zwischen Elbe und Oder kein Deutscher mehr lebte. Was würde dann geschehen? Sicher würden die Polen und/oder Russen nachrücken, meinte Adenauer; und das durfte nicht sein. Es mußte etwas geschehen - aber was?

Exkurs. Mußte es wirklich? Sicher, wenn man Adenauers Gedankengang folgte. Aber mußte man das tun? Kaum, liebe Leser, wir wollen es doch endlich einmal klar und deutlich aussprechen: Adenauer war ein Narr. (Dikigoros schreibt bewußt nicht: "Der alte Adenauer war ein Narr", denn schon der junge war einer.) Als studierter Jurist war er noch ganz in der althergebrachten "staatsrechtlichen" Theorie befangen, die auch Dikigoros einst büffeln mußte: "Ein Staat braucht ein Staatsvolk, ein Staatsgebiet und eine Staatsregierung." Das klingt gut und schön, geht aber vom falschen Definitions-Objekt aus, indem es dieses irrtümlich zum Subjekt macht: Wen interessiert denn, was "der Staat" braucht? "Staat" meint ursprünglich den [Verfassungs-]Zustand, und zwar den eines Volkes, deshalb müssen wir richtig fragen: "Was braucht das Volk?" Und noch genauer: "Braucht das Volk einen Staat?" Der heute nicht mehr gar so populäre Friedrich Nietzsche schrieb einmal den Satz: "Das kälteste aller Ungeheuer ist der Staat. Und diese Lüge kriecht aus seinem Mund: 'Ich, der Staat, bin das Volk'." Ein böser Satz, ein kluger Satz, und ein richtiger Satz, aber Adenauer kannte ihn nicht - oder wollte ihn als Chef einer Staatsregierung nicht kennen. Seht Ihr, liebe Leser, die Ihr in einer viel besseren Position seid, das zu beurteilen als Adenauer, da Ihr heute die verhängnisvollen Folgen dieser verfehlten staatsrechtlichen Doktrin überall auf der Welt viel weiter fortgeschritten sehen könnt als er damals: man kann irgendwelche Staatsgrenzen mit einem Lineal auf der Landkarte abstecken, irgendeine Bevölkerung hinein setzen und ihr irgendeine Regierung aufzwingen - notfalls mit militärischer Gewalt -, aber das macht noch kein Volk, jedenfalls keines, mit dem man "Staat machen" könnte, denn wenn die Bevölkerung Schrott ist, weil ein echtes "Volk", das diesen Namen verdient, gar nicht mehr vorhanden ist, dann ist alles andere Makulatur. Wenn dagegen ein Volk intakt ist - und das deutsche Volk war damals, trotz der Kriegsniederlage, noch weitgehend intakt -, dann ist es egal, auf welchem Gebiet mit welchen Grenzen es lebt, und eine Regierung findet sich dann auch schon irgendwie. Wenn also die Deutschen aus der Sowjet-Zone (alias "DDR") - oder zumindest die leistungsfähigen, guten Elemente, nach und nach in den Westen gekommen wären, wäre das kein Verlust, sondern ein Gewinn gewesen: Sie hätten die Überfremdung der BRD mit Millionen Ausländern verhindert, und sie selber wären nicht zu körperlich und geistig minderwertigen, nicht integrierbaren Ossis verkommen. Und die Gebiete östlich der Elbe und Saale? Sch... drauf, die verkamen eh zu "Altlasten", auf die hätte man getrost verzichten können, denn angesichts der sinkenden Geburtenrate wäre man mit dem Gebiet der Alt-BRD gut ausgekommen. Exkurs Ende.

Adenauer dachte nach, wie er die jeweiligen Interessen auf einen Nenner bringen könnte: Die "DDR" konnte kein Interesse daran haben, daß ihr die Untertanen davon liefen, ebenso wenig die SU, denn die Mitteldeutschen waren ihre tüchtigsten Vasallen - wenn statt dessen zwischen Elbe/Saale und Oder/Neisse faule, aufmüpfige Polen säßen, wäre das ein schlechter Tausch. Frankreich und Großbritannien, die einst alliierten und nun verfeindeten Besatzungsmächte zweiter Ordnung, brauchte man nicht zu fragen; blieben also allein die USA, wo seit Januar 1961 Kennedy Präsident war; den kannte Adenauer zwar noch nicht, aber der hatte sich bereits als Weichei und Umfaller geoutet, als er im April die Invasion in der Schweinebucht vermasselt hatte - den konnte man später überzeugen. Zu Chruschtschëw hatte Adenauer einen guten Draht, seit er 1955 den Kuhhandel um die letzten deutschen Kriegsgefangenen in gegenseitigem Einvernehmen abgeschlossen und propagandistisch groß ausgeschlachtet hatte: Er bescherte Adenauer 1957 einen grandiosen Wahlsieg mit absoluter Mehrheit, und für die UdSSR war eine CDU-regierte BRD natürlich ein viel besseres "kapitalistisches" Feindbild als es eine von der SPD - die vor dem "Godesberger Programm" noch stramm marxistisch orientiert war - regierte gewesen wäre. Auch 1961 standen wieder Wahlen an, und natürlich wollte Adenauer auch die wieder gewinnen. Im Mai 1961 wurden, wiederum mit großem propagandistischem Aufwand, Verhandlungen um ein so genanntes "deutsch-sowjetisches Kulturabkommen" aufgenommen - die von Anfang an nur dazu gedacht waren, Chruschtschëw den Ball zuzuspielen für das, was da kommen sollte: Die BRD verlangte demonstrativ die Einbeziehung West-Berlins in dieses Abkommen, und die UdSSR lehnte es ebenso demonstrativ ab. In Wahrheit verabredeten Adenauer und Chruschtschëw hinter den Kulissen längst einen neuen Kuhhandel - und diesmal ging es nicht um ein paar Tausend Kriegsgefangene, sondern um 17 Millionen Mitteldeutsche, und nicht darum, sie in den Westen zu lassen, sondern um sie im Osten festzuhalten: Chruschtschëw sollte seinen Vasallen Ulbricht anweisen, eine Mauer durch Berlin zu bauen und damit das Schlupfloch Nr. 1 für "Republik-Flüchtlinge" zu verstopfen. Und den Kennedy übernahm er auch: Anfang Juni 1961 traf er ihn in Wien - angeblich zu einem unverbindlichen Gedankenaustausch ohne festes Thema. Tatsächlich wurde zwei Tage lang intensiv verhandelt - über die Zustimmung der USA zum Mauerbau in Berlin. Kennedy erteilte sie ohne mit den Wimpern zu zucken, und er schlug sogar den idealen Zeitpunkt vor: 13. August 1961, da fand nämlich das Football-Spiel der Saison statt, und da würde sich kein Amerikaner für irgend etwas anderes interessieren - schon gar nicht um irgendwelche Steinchenklopfer im fernen Germany. [Billy Wilder hat diese Situation in der Einleitung zu seinem Meisterwerk Eins Zwei Drei in unnachahmlicher Bosheit perfekt eingefangen.]
(...)

[Nikita und John in Wien 1961] [Mauerbau]

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