DER HIMMEL IST GRÜN

Wie Farb-Leugner den Staat ins Chaos stürzen

von Ramin Peymani (Liberale Warte, 17. Januar 1922)

Anmerkungen und ergänzende Links: Nikolas Dikigoros

Stellen Sie sich vor, Sie leben in einem Land, in dem Ihnen die gesellschaftliche Ächtung oder sogar empfindliche Strafen drohen, wenn Sie öffentlich kundtun, es stimme nicht, dass der Himmel grün sei. Sie sind aufgebracht, weil dies ständig erzählt wird und inzwischen viele Menschen, die Sie kennen, dasselbe behaupten. Sie fragen sich, warum etwas verbreitet wird, das jeglicher Realität zuwiderläuft, und wie es sein kann, dass eine große Mehrheit der Falschbehauptung aufsitzt. Unablässig zeichnen Medien und Politik ein anderes Bild als das, was Sie Tag für Tag mit Ihren eigenen Augen sehen. Sie haben den Himmel schon in den unterschiedlichsten Blautönen erlebt, grau, schwarz, sogar blutrot. Dass er aber jemals grün gewesen sei, daran können sich nicht einmal Ihre Großeltern erinnern. Und doch hören Sie unentwegt nur diese eine Erzählung, auf allen TV-Kanälen, überall im Internet und in jeder Zeitung. In den Sozialen Netzwerken finden Sie immerhin Mitstreiter, die ebenfalls nicht fassen können, was Sie da täglich zu hören und zu lesen bekommen. Sie tauschen untereinander persönliche Erlebnisse aus. Einige Ihrer neuen Internetbekanntschaften stellen tolle Aufnahmen ins Netz, doch nie ist die Farbe Grün zu sehen. Die Bilder werden von den Netzwerkbetreibern gelöscht, manchmal auch das dazugehörige Nutzerkonto. Es verstößt gegen die so genannten Gemeinschaftsstandards, Fotos vom Himmel zu veröffentlichen, die andere Farben zeigen als die zulässigen Grüntöne. Je häufiger Sie vom grünen Himmel hören, desto wütender werden Sie. Sie möchten sich nicht mehr hinter die Fichte führen lassen und tun dies öffentlich kund. Gemeinsam mit Gleichgesinnten beschließen Sie, gegen die polit-mediale Falschdarstellung auf die Straße zu gehen.

Den Anspruch der Herrschenden auf die Wahrheit infrage zu stellen, macht Sie zum „Delegitimierer“, der sicher bald zu ganz anderen Mitteln greift

Hier fangen Ihre Probleme aber erst so richtig an. Die Erfinder der himmelweiten Grünfärbung waren darauf vorbereitet, dass Millionen die Wahrheit nicht nur kennen, sondern auch verteidigen würden. Im Fokus steht nun nicht mehr die Diskussion darüber, wer denn Recht habe, obwohl diese Frage für alle Vernunftbegabten längst beantwortet ist, sondern die Kriminalisierung der Proteste. Wer gegen das Dogma vom grünen Himmel zu Felde zieht, gilt als Staatsfeind. Den Anspruch der Herrschenden auf die Wahrheit infrage zu stellen, macht Sie zum "Rechten", der sicher bald auch noch zu ganz anderen Mitteln greifen werde. "Delegitimierer" heißen diese gefährlichen Subjekte ab sofort. Die Gesellschaft müsse wachsam sein gegenüber solchen Extremisten, für deren Bekämpfung man umgehend mehr Steuermittel in die Hand nehmen werde, verkünden die zuständigen Minister. "Gehen Sie nicht dorthin, laufen Sie nicht mit", mahnen führende Politiker nahezu aller Parteien. Die Schlinge zieht sich immer weiter zu: Mit massivem Polizeiaufgebot werden die Demonstranten schon seit Wochen regelrecht in die Flucht geschlagen. Vielerorts werden die "Aufmärsche", wie die Proteste nun heißen, sogar ganz verboten. Erlaubt sind hingegen weiterhin Demonstrationen für die Regierungspolitik. Man müsse das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit einschränken, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen, heißt es, obwohl für Augenzeugen nirgends zu erkennen war, dass die friedlichen Realitätsverteidiger eine Gefahr dargestellt hätten. Eher waren es Gegendemonstranten, die mit körperlichen Angriffen, Sachbeschädigungen und Tätlichkeiten gegen Einsatzkräfte für eine Eskalation gesorgt hatten. Doch wer den Himmel grün färben kann, kann auch friedliche Demonstranten zu Extremisten machen.

Erst als es zu blutigen Auseinandersetzungen kommt, lenken manche Mitläufer ein: Man habe das mit dem grünen Himmel ja nie so richtig geglaubt

Inzwischen beschäftigen sich von der Regierung zertifizierte "Experten" mit der Frage, wie man der zunehmenden Grünfärbung des Himmels entgegenwirken könne. An den Universitäten wurden erste Lehrstühle für Grünapokalypse eingerichtet. Eine ganze Industrie profitiert längst davon, dass alle staatlichen Entscheidungen unter "Himmelsvorbehalt stehen. Die These hat sich durchgesetzt, dass der Mensch mit seiner Lebensweise für den grünen Himmel gesorgt hat. Ein Maßnahmenprogramm, das himmelgefährdendes Handeln unter Strafe stellt und eine Himmelssteuer vorsieht, steht kurz vor der Verabschiedung. Die Zustimmung der Bürger ist überwältigend, wie Umfragen ausweisen. Sie ist zuletzt sogar deutlich gewachsen. Wer will seinen Kindern schon einen grünen Himmel hinterlassen? Tragen wir nicht alle eine Verantwortung für künftige Generationen? Himmelverbände mahnen zur Eile. Sie haben unlängst gerichtlich erzwungen, dass die Himmelsrettung Verfassungsrang erhalten muss. "Wir können nicht einfach so weiterleben wie bisher," heißt es aus dem Umweltministerium, "wer immer noch nicht sieht, dass die Farbkatastrophe bevorsteht, muss die ganze Härte unseres Rechtsstaats zu spüren bekommen." Erste Politiker bringen das Blenden ins Spiel. Farb-Leugner, die nicht sehen wollen, dass der Himmel grün ist, bräuchten doch eigentlich gar nichts mehr zu sehen. Immer radikaler werden die Forderungen, immer unversöhnlicher die Debatte. Erst als es zu blutigen Auseinandersetzungen kommt, lenken manche Mitläufer ein. Man habe das mit dem grünen Himmel ja nie so richtig geglaubt, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Das Eingeständnis kommt allerdings zu spät, der Totalitarismus hat gesiegt. Eine schlimme Vorstellung, nicht wahr? Seien Sie bloß froh, dass Sie nicht in einem Land leben, in dem man Ihnen weismachen will, der Himmel sei grün...!


LESERKOMMENTARE
(ausgewählt und z.T. leicht gekürzt von Dikigoros)

K.H. (17.01.2022)
[...] Eine der besten Beschreibungen des Irrsinns in dem wir z.Z. leben. Ich werde den Beitrag lokal speichern und der Nachwelt erhalten, bevor Anhänger des grünen Himmels ihn löschen. (Anm.: Dem hat sich Dikigoros soeben angeschlossen :-) Denn es wird später energisch bestritten, jemals so einen Schluntz verbreitet zu haben.

Plutonia (17.01.2022)
„Wenn alles gesagt ist, geschieht das, was danach kommt.“ (Gunter Salje) - Als junge Studentin erschloss sich mir dieser Satz, den mein Professor oftmals sagte, nicht. Er sprach ihn stets in einem bedeutungsschwangeren Duktus, so, als handle es sich um etwas Heiliges. Ich empfand diesen Satz damals immer irgendwie als recht banal, etwas inhaltsleer. Doch heute, besonders jetzt im Augenblick, erschließt sich mir die ganze Tragweite und Tiefe seiner Bedeutung. Was soll man noch sagen? Es ist alles gesagt. Lohnt es noch, Zahlen, Daten, Fakten und Analysen zum Beweis einer großen Lüge aufzufahren? Macht es noch Sinn? Erreicht man überhaupt noch etwas mit bisher gängigen Mitteln und Methoden? Oder bildet nicht sogar dieses höchst anschauliche Gleichnis den temporär würdigen Abschluss einer „Erzählung“, bzw. das logische und konsequente Ende allen Bemühens, welches dem, „was danach kommt“, einfach nur leise eine Tür öffnet?

Evamaria (17.01.2022)
@ Plutonia:
[...] Mir geht es genau so. Ich lebe mein Leben und bei mir ist der Himmel blau. Von mir aus ist er bei den anderen grün. Von mir aus kann jeder denken und machen was er will. Selbstverständlich mit allen dazugehörigen Konsequenzen. Auch dieses Spiel wird irgendwann ausgespielt sein, und sie werden verblüfft feststellen, dass der Himmel schon immer blau war und sie leider einem großen Bluff aufgesessen sind. Der Spruch: "Das haben wir alles nicht gewusst" gilt dann bei mir jedenfalls nicht mehr.

Wilhelm Jans (17.01.2022)
Ein Essay, das zum Nachdenken anregt, zum Nachdenken über die Natur des Menschen. In der Natur gibt es unveränderliche Gesetze wie das Gesetz der Schwerkraft. Ein menschliches Gesetz ist das Herdenverhalten. Die Herde läuft dem Leittier hinterher. Das ist im Finanzbereich besonders ausgeprägt. Wenn ein leitenden Prominenter bestimmte Aktien empfiehlt, werden die Aktien gekauft (Börsengang Telekom). Wenn ein Leitmedium das Thema Klima hochspielt, folgen die anderen. Ich führe das menschliche Herdenverhalten auf die Anfänge der Menschheit zurück. Der Mensch konnte früher nur in der Gruppe überleben. Er war gezwungen, sich dem Anführer zu unterwerfen. Was dieser sagte, der Himmel ist grün, war das widerspruchslos hinzunehmen. Ein Ausbrechen war einfach nicht möglich. Nun leben wir schon länger in der Zeit des „mündigen Bürgers“, der es eigentlich wagen dürfen soll auszubrechen. Der „große Sprung“ der Ampel in den Fortschritt erinnert eher an die Urzeit des Menschen als an die Entwicklung des Menschen mit dem Ziel einer besser Bildung und der Befähigung, sich eigene Gedanken zu machen.

K.H. (18.01.2022)
@Wilhelm Jans.
Da haben sie wohl recht, das Herdenverhalten ist immer noch recht ausgeprägt. Doch beim Urmenschen war das unverzichtbar, im Gegensatz zu heute, da uns dies aufgezwungen wird. [...] Erst bringe man die Medien auf eine Linie. Dann spalte man die Gesellschaft in Gut und Böse. Dann erzähle man, nur durch Verzicht und Opfer wird es den nächsten Generationen besser gehen. Soweit waren wir schon mal... Eine Regierung, deren Mitglieder vor einigen Jahren hinter Transparenten mit der Aufschrift "Deutschland verrecke!" oder "Nie mehr Deutschland!" hergelaufen sind, und nun (sehr gut bezahlt) Politik zu machen vorgibt, hat mir nicht zu erzählen, was nun gut und böse ist!

Nadine (18.01.2022)
Schöner Text. Ich habe zur Zeit das Gefühl, daß folgende Fiktionen Wirklichkeit werden:
1) "Des Kaisers neue Kleider": Alle sehen, daß der Kaiser nackt ist, aber niemand macht den Mund auf
2) Das Jugendbuch "Die Welle": Die Hauptfigur Laurie wird ausgegrenzt, weil sie keine sinnlosen Rituale mitmachen will
3) "1984": Die Hauptfigur Winston soll glauben, 2 + 2 sei 5, wenn Big Brother es sagt.


zurück zu Wokeness und Cancel-Culture

zurück zu George Orwell

heim zu Es steht geschrieben