Die Freiheit ist ein totes Tier

von Anabel Schunke {Die Achse des Guten, 30. April 2021}

Kürzungen, Bilder & Links: Nikolas Dikigoros

Es ist eine bedrückende Lethargie, die mich in den letzten Wochen befallen hat, und sie hat ausnahmsweise nicht vorrangig etwas mit den "Corona-Maßnahmen" zu tun.

Vor einigen Tagen hatte ich einen Wildunfall. Es war kurz vor Mitternacht, als im Lichtkegel meiner Scheinwerfer plötzlich ein kleineres Tier auftauchte, das sogleich mit voller Wucht gegen die Frontschürze meines Cabrios knallte, und von dem ich bis heute nicht sagen kann, was es war. Vielleicht ein Marder. Irgendetwas in der Größenordnung. Jedenfalls war es hinüber, weshalb ich weinend erst meinen Freund und dann meine Mutter anrief, um zu beteuern, dass das keine böse Absicht von mir war und es mir unglaublich leid täte. Ich fühlte mich schuldig und elend, obgleich ich wusste, dass ich nicht das Geringste hätte tun können. Selbst wenn ich mich durch ein waghalsiges Ausweichmanöver hätte selbst in Gefahr bringen wollen, wäre keine Zeit dazu gewesen. Vielleicht wühlte mich das Ganze nur so auf, weil ein Wildunfall in Zeiten des Dauer-Lockdowns das Nervenaufreibendste ist, was man mitunter noch erleben kann.

Ein Unfall in Echtzeit

Ich erzähle das nicht, um zu offenbaren, was für ein weinerliches Sensibelchen ich bin, sondern weil das Gefühl, das ich angesichts dieses unausweichlichen Zusammenstoßes hatte, eine gute Analogie zu meiner politischen Gefühlswelt der letzten Wochen darstellt. Ja, im Prinzip kommt mir all das, was in den letzten Wochen passiert ist - von der Heiligsprechung Annalena Baerbocks über einen pinken Handschuh, der Feministinnen erzürnt, bis hin zur öffentlichen Hinrichtung der Protagonisten von #allesdichtmachen -, wie ein einziger Unfall vor, den ich nicht abzuwenden imstande bin.

Vom "verlorenen Kulturkampf" schreibt Ulf Poschardt am vergangenen Montag in der WELT, und genauso fühlt es sich an. Das überfahrene Tier in diesem Szenario ist die Freiheit, die nun doch, nach Jahren des langsamen Sterbens, einen schnellen Tod gefunden hat. Das Auto - auf den ersten Blick unbeschädigt geblieben - offenbart den großen Schaden, den es genommen hat, erst einige Tage später in der Werkstatt in Form eines komplett aufgerissenen Unterbodens und eines Nebelscheinwerfers, der sich durch den Radkasten gedrückt hat. Es fährt zwar noch, aber wirklich verkehrssicher ist es nicht. Es spiegelt die deutsche Gesellschaft wider und den Schaden, den sie bereits durch den linken Totalitarismus genommen hat. Die zwar immer noch läuft, aber deren demokratisches Fundament mittlerweile ähnlich aufgerissen erscheint wie der Unterboden meines BMW.

Ab wann darf man von einer "Meinungsdiktatur" sprechen? Ich habe mich das in den letzten Tagen oft gefragt, weil ich derlei Worte nicht gerne verwende und sie mir dennoch manchmal auf der Zunge liegen. Ein solches Vokabular hat immer einen Hauch von übertreibendem Wutbürger. Von "Lügenpresse" und "Danke, Merkel". Die Frage ist nur, ob es angesichts der aktuellen Lage noch geboten ist, sich immer wieder selbst zu ermahnen, verbal einen Gang herunterzuschalten. Immerhin spart die "andere Seite" nicht an populistischen Übertreibungen und einer zunehmend geschmacklos erscheinenden verbalen Aufrüstung gegenüber allem, was in ihren Augen nicht links bzw. in Bezug auf die Corona-Maßnahmen nicht regierungstreu genug ist.

Die Revolution frisst allmählich ihre eigenen Kinder

Dennoch schrecken wir vor "verbrannten Worten" zurück, als hofften wir drauf, eines Tages doch noch in den illustren Kreis der "Guten" aufgenommen zu werden, wenn wir doch nur an scharfen Worten sparen und als ob wir das überhaupt wollten. Nur, was nützt es uns, wenn wir am Ende den Moment verpassen, an dem die vermeintliche Übertreibung längst zur bitteren Realität geworden ist?

Was war das anderes als eine Vorstellung linker Meinungsdiktatur, was wir die letzten Tage im Zuge der Diskussion um #allesdichtmachen erlebt haben? Ein Meinungsdiktat, das übrigens von Linken ausging und andere, zumeist linke Schauspieler traf. Die Revolution frisst allmählich ihre eigenen Kinder. Ein Zeichen dafür, dass die nächste Eskalationsstufe längst erreicht ist.

Ab jetzt sind nicht nur Konservative und Liberale "rechts" und vertreten AfD-Positionen, sondern jeder, der in den Augen der Corona- und Rassismus-Inquisitoren nicht weit genug links steht. Ob es nun daran liegt, dass er die Corona-Politik der Kanzlerin kritisiert oder seine Ehefrau zu weiß ist, wie im Fall von SPIEGEL-Autor Hasnain Kazim. Die linke Farbenlehre kennt da kein Pardon. Die vermeintliche bunte Vielfalt entpuppt sich als kleinkariertes Schwarz-weiß-Denken. Quelle surprise.

Linke Totalitaristen geben den Ton an

Ab diesem Punkt fühle ich mich wie der Fahrer, der nichts gegen den Aufprall tun kann, weil es längst zu spät ist. Es ist dieser Umstand, der diese bedrückende Lethargie auslöst, von der ich zu Anfang erzählt habe.

(Anm.: Wäre Dikigoros ein Linker, dann würde er darauf erwidern: Betrachten Sie das mal aus der Perspektive des Marders. Der war leichtsinnigerweise auf der Straße herum gelaufen, wahrscheinlich weil er seine "Freiheit" genießen wollte und etwas gegen die Ausgangssperre hatte, und dieses naseweise Ansinnen hat er mit dem Leben bezahlt. Das hat er nun davon. Hätte er sich statt dessen rechtzeitig in Quarantäne den Zoo begeben, den treusorgende Menschen für ihn vorgesehen hatten, dann wäre er jetzt zwar gefangen, aber immerhin noch am Leben. Jammern Sie nicht, sondern lernen Sie gefälligst daraus: Lieber schwarz-grün-rot als tot!")

Dabei ist das nicht einmal nur der Tatsache geschuldet, dass die Diskussionskultur für jeden im Land ersichtlich an einem sowohl intellektuellen als auch totalitären Tiefpunkt angelangt ist, was wiederum dem Fakt geschuldet ist, dass jenes Grüppchen von linken Totalitaristen - und mögen sie auch in der Minderheit sein - die mediale Deutungshoheit innehat, sondern vor allem auch der Evidenz, dass die vermeintliche Mehrheit immer noch keine Anstalten macht, wirklich entschieden etwas dagegen zu unternehmen. Statt dessen vollzieht man immer noch zu gerne den öffentlichen Kotau.

Wer aufmerksam liest, der bemerkt nämlich, dass die Furcht vor der "falschen Ecke" immer noch wie ein Damokles-Schwert selbst über jenen schwebt, deren Aussagen auf viele so wirken, als hätten sie sich davon freigemacht. Wenn Dietrich Brüggemann die Aktion #allesdichtmachen und ihre Kritik an den Corona-Maßnahmen damit rechtfertigt, dass man der AfD das Thema doch nicht überlassen dürfe, dann hat er im Kern zwar nicht unrecht, aber auch er schafft es, seine Kritik an den Corona-Maßnahmen nur zu legitimieren, indem er sie letztlich auch und zuvorderst als Kampf gegen die AfD verkauft.

Das spielt dem Klassenfeind in die Hände

Freiheit, so scheint es, ist kein Wert sui generis mehr, den man um seiner selbst willen verteidigen darf und muss. Es bedarf bei allem einer Rechtfertigung, in deren Zentrum nicht die Verteidigung der Freiheit an sich steht, sondern die Verteidigung der Gesellschaft gegen "Rechts", die AfD oder was auch immer gerade dafür gehalten wird.

Der aus Zeiten der DDR reaktivierte Vorwurf "Das spielt dem Klassenfeind (heute: den "Rechten/der AfD") in die Hände" ist der größte diskursive Coup der politischen Linken der letzten Jahre. Nicht, weil er auch nur irgendeine argumentative, inhaltliche Aussage verspricht, sondern, weil er es geschafft hat, sie gänzlich zu ersetzen. Und das eben nicht nur in der Argumentation der linken Gegenseite, die sich durch den moralischen Fingerzeig keine Mühe mehr machen muss, etwas faktisch zu begründen, sondern auch leider allzu oft in der Argumentation jener, die sich eigentlich nicht davon beeindrucken lassen wollen.

Die Ausgangsprämisse ist immer der linke Vorwurf, etwas Rechtes zu sagen oder etwas zu tun, was den Rechten in die Hände spielt, von dem es sich indirekt erst einmal gilt, zu befreien, um überhaupt erst eine Legitimation für die eigenen Aussagen zu erhalten. Das kostet jedes Mal Zeit und Mühe und erfordert zwangsläufig einen Dummen, der "noch rechter" ist als wir selbst, von dem man sich abgrenzen kann und der quasi den Buhmann spielt. Das kann die AfD als Kollektiv sein oder eben einzelne mediale Protagonisten wie ich und andere verstoßene "Schmuddelkinder". All das hat nichts mit der hin und wieder gebotenen Kritik an der AfD zu tun, die durchaus ihre Berechtigung hat und auch vom konservativen Spektrum erfolgen sollte. Hier geht es nur um die AfD als Mittel zum Zweck im Sinne der eigenen Reinwaschung.

Was, wenn es die AfD nicht gäbe?

Noch immer erwähnen wir lieber "Kritiker mit ausländischem Namen, wenn es um die linke Identitätspolitik, die Flüchtlingskrise oder den Islam geht. Als immunisiere uns das vor dem rechten Knüppel. Und noch immer bringen es die meisten, wie Brüggemann, nur fertig, auf ein wenig Akzeptanz für ihren Kampf für das letzte bisschen Meinungsfreiheit zu hoffen, wenn sie es zugleich als Kampf gegen die AfD verkaufen können.


zurück zu Der Kult der Grundrechts-Leugner

zurück zu Die große Säuberung

zurück zu Privatisierung der politischen Propaganda

zurück zu Statistisch verbrämte Propaganda

zurück zu Grüner Totalitarismus

zurück zu George Orwell

heim zu Reisen durch die Vergangenheit