„Kreativität bevorzugt unordentliche Verhältnisse“

zum Tode von Stud.Dir. a.D. Günther Scholl

von Ralph Schaumann (Beethoven-Gymnasium Bonn, 17.9.2011)

[Günther Scholl]

Die Nachricht von Scholls Tod am 5. September 2011 verbreitete sich sehr schnell, bevor irgendeine Anzeige davon sprach. Ja, er hatte einen großen Freundeskreis unter ehemaligen Schülern, Schülereltern, Kolleginnen und Kollegen, von denen nicht wenige Originalbilder, vor allem Aquarelle von Günther Scholl besitzen. Bilder, die auf diese Weise glücklicherweise dem Brand seines schönen Barocksteinhauses in Hersel im Jahr 1999 entkommen sind.

Geboren im rheinischen Linz am 13. Mai 1923, großgeworden im westfälischen Hagen, Mutter, eine Fotografin, Vater, ein Parfümeur, hat er nach einem kriegsbedingt verzögerten Schulabschluss ein Kunststudium an der staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf begonnen, wo auch seine erste Frau Bühnenbildnerei studierte. Otto Pankok, sein Lehrer, Joseph Beuys, Horst Geldmacher und Günther Grass, seine Mitstudenten und Jazzfreunde im „Csikós“ (dem „Zwiebelkeller“ in Grass' „Blechtrommel“) prägten, waren später immer wieder Anlass für nicht eingepasste Geschichten und assoziative Gedankenfetzen, haben ihn aber nicht von seiner klaren Entscheidung, Zeichenlehrer zu werden, abgebracht. Das war seine Bodenhaftung.

Also ging er ins Referendariat nach Siegburg und Köln-Mühlheim mit seiner Frau und drei Kindern und kam 1955 als Studienassessor ans Beethoven-Gymnasium, vom Modellsaal der Akademie in den Keller.

Vier Räume zwischen Ruderkeller und Vorratsverschlag waren schnell bis unter die Decke voll gekramt mit Wohlstandsmüll, edlem Zeichenpapier, Fotoblättern, Druckerpresse, Radios und den Obstkisten vom Bonner Markt, beschriftet, nach Schuljahren geordnet mit den Zeichenarbeiten seiner dreißig Schüler-Generationen. Das war sein Erinnerungsmaterial, auch die acht langen Bänke aus der Schulaula von 1885 gehörten dazu. Holzfaserstrukturen für „Frottagen“ seiner Schülerinnen und Schüler. Eine „Organstation“, wie Joseph Beuys den Keller Anfang der Achtziger nannte. Den Keller, in dem die unangepassten und der Strenge des Unterrichts der frühen Jahre entfliehenden Schüler Freiraum fanden, jahrgangsübergreifend – so würde man heute sagen – und stundenplansprengend kreativ sein konnten und manchmal zu Scholls Banjo sangen oder Brecht, Hüsch, Hildebrandt hörten. Und man konnte viel lernen im Keller, weil Scholl Toleranz mit Strenge im Namen der Kunst verband, wie ein ehemaliger Schüler in der FAZ 2006 schrieb. Scholl: „Genie ist Fleiß“; etwas Gelungenes noch einmal hinbekommen können, das sei das Ziel.  Einmal hielt ein Goethe-Sonnet her, um unanständige nächtliche Wand-Sprüh-Sprüche auf dem Schulhof zum Sonett-Spruch-Graffiti umzustrukturieren, und die Fläche blieb auf lange Jahre unberührt.

Seine Kursziele (heute: Kursthemen) hingen am Oberstufenbrett aus: „forte-piano“ - „aus starkem und schwachem Strich“ - „geschrieben, wie jeder es kann (könnte)“ - „Morandi zeichnen“ und am Ende des Schuljahrs konnte die Öffentlichkeit die besten Schülerwerke im Jahresbericht nachspüren. Auf der Umschlagsseite des letzten von Scholl gestalteten Jahresberichts (1986/87) kommentierte er wie immer die Aufgabenstellung und philosophierte zum ewigen Thema Bildung kurz vor seiner Pensionierung. „So stelle ich mir vor, dass BILDUNG realisierbar ist: GEFORMTES, GETANES, GESPÜRTES, SICHTBAR GEWORDENES: NEU, EINMALIG, wo alles MESSEN und VERGLEICHEN EITEL ist („ALLES IST EITEL“, PREDIGER)“.

„In den Konferenzen kollert er; man muß ihm zuhören, weil er alles übertönt. Alle halten den Atem an, halten ob der nicht verstandenen Assoziations-Bruch-Ketten seiner Reden stand und ihre Ungeduld mühsam fest und staunen ob seiner Wahrheiten, in Aphorismen des Augenblicks Glanzlichter der Analyse.“ So war Scholl, so sah ihn der Schulleiter Seidler und hielt all die Jahre die Hand über ihn. Rückhalt, Fürsorge, vor allem in späteren Zeiten und Kunst-Dialog bot ihm seine Frau, ebenfalls Künstlerin, Gabriele Alfter-Scholl.

In Scholls toskanischem Haus, das er mit seiner Frau Gabi zu einem mediterranen Refugium gemacht hatte,  entstanden in den letzten Jahren großformatige Ölbilder auf gekreideter Leinwand in frohen, sonnigen, hellen Farben, abstrahierend, aber selten gegenstandslos.


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