War die afrikanische Ur-Eva doch nicht unsere Mutter?

von Bettina Seipp (WELT ONLINE, 30. Januar 2007)

Links und Nachbemerkung: Nikolas Dikigoros

Der renommierte Genetiker Peter Forster ist überzeugt: Der Streit um den Einfluss des Neandertalers auf die Menschwerdung rüttelt an den Grundfesten der Anthropologie. Demnach könnte die "Out of Africa"-Hypothese eine Revision erfahren.

Mehr als zwei Meter groß, stark wie zwei Männer und furchtlos wie ein Roboter - so sollte die "verbesserte" Menschenspezies aussehen, die der russische Diktator Josef Stalin bei seinen Wissenschaftlern in Auftrag gab. Die unter strengster Geheimhaltung in den 1920er Jahren auf der Krim vorangetriebenen Experimente mit Menschenaffen misslangen, wie zu erwarten war. Eine Ahnung von Stalins wahnwitzigen Ideen konnte man kürzlich beim Kampf zwischen Nicolai Valuev und Jameel McCline bekommen: Auf der einen Seite der gewaltige russische Boxer, der mit seiner fliehenden Stirn und den mächtigen Augenbrauenwülsten ein wenig an die Physiognomie der Neandertaler erinnert, und ihm gegenüber der deutlich kleinere Amerikaner.

Noch vor wenigen Jahren wären solche Vergleiche für den Riesenrussen Valuev zutiefst ehrenrührig gewesen. Doch seit Wissenschaftler mit immer mehr angeblichen Beweisen für eine Vermischung zwischen Neandertaler und Homo sapiens aufwarten, hat sich die Einstellung zu den ersten Europäern gewandelt - und zwar ins Positive.

Aus grobschlächtigen, gebeugt gehenden Wilden wurden in der öffentlichen Wahrnehmung blonde, hochgewachsene Kulturträger, die - glaubt man einer der letzten Meldungen - wahrscheinlich auch einen nicht geringen Anteil am großen Hirnvolumen des modernen Menschen haben. So verkündete der amerikanische Genetiker Bruce Lahn vor zwei Monaten, das für das Hirnwachstum bedeutsame Microcephalin-Gen sei von den Vormenschen an den modernen Menschen vererbt worden. Inzwischen sei das archaische Gen bei mehr als zwei Dritteln der Erdbevölkerung im Erbgut verankert, insbesondere bei den Europäern. Und das wiederum weise auf den europäischen Neandertaler als ursprünglichen Träger des Gens hin, der dieses dann als Sexpartner an den aus Afrika zugewanderten modernen Menschen weitergab, argumentiert Lahn.

Einen Beweis für seine These konnte er allerdings nicht erbringen, da erst ein Prozent des Neandertaler-Genoms entschlüsselt ist. Doch in zwei Jahren, so hoffen die Vertreter der genetischen Multikulti-Theorie, dürfte die Erkundung des Urmenschenerbgutes abgeschlossen sein. Mehr noch: Sollten sich dann ihre Ansichten bestätigen, könnte das der Beginn einer wissenschaftlichen Revolution sein, nämlich der teilweisen Revision der "Out of Africa"-Theorie, meint der renommierte deutsche Genetiker Dr. Peter Forster.

Der 39jährige ist Gründer der in Cambridge ansässigen Gentest-Firma "Roots for Real", die im Rahmen von Ahnenforschung mütterliche und väterliche Abstammungslinien bestimmt. Forster: "Stark abweichende Gene, die vielleicht von Neandertalern oder anderen Vormenschen stammen, konnten wir noch keine im Erbgut unserer Kunden nachweisen. Bisher umfasst unsere Datenbank etwa 40.000 Proben, es ist die größte geographische Gendatenbank der Welt. Doch es wäre geradezu sensationell, Neandertaler-DNA bei einem modernen Menschen zu finden. Denn damit käme Alan Wilsons bislang unumstrittene Theorie ins Wanken."

Die "Out of Africa"-Hypothese vermutet, dass die Ausbreitung durch eine zweite Auswanderungswelle von Afrika aus in alle anderen Regionen der Erde begann

Der große neuseeländische Genetiker Wilson postulierte vor zwanzig Jahren, dass alle menschlichen mütterlichen Linien auf eine Frau zurückgehen, die vor etwa 200.000 Jahren in Afrika lebte. Diese Annahme ist der Grundpfeiler der "Out of Africa"-Hypothese, wonach sich der Homo sapiens von Ostafrika aus über die Welt verbreitet hat. Mit der biblischen Eva hat die afrikanische Ur-Eva allerdings nichts zu tun; letztere ist vielmehr die genetische Eva, auf die alle mütterlichen Linien unserer Abstammung zurückgehen.

Hintergrund: Statistisch gibt es etwa alle 20.000 Jahre eine Mutation an der Mitochondrien-DNA, die von der Mutter weitergegeben wird. Das gleiche gilt für das nur väterlicherseits vererbte Y-Chromosomen. Und wenn man nun nach Darwins Evolutionsbiologie bedenkt, dass sich das Leben trichterförmig aus einer einzigen Ur-Zelle entwickelt hat, kommt man irgendwann auf die eine Urmutter und den einen Urvater, auf die alle DNA-Mutationen zurückzuführen sind. Europäische Neandertaler oder asiatische Homo Erectus-Vormenschen scheiden demnach als unsere Vorfahren aus.

Diese Theorie ließe sich aber kaum noch halten, würden sich die Annahmen von Bruce Lahn und anderen Genetikern bestätigen, die auf genetische Unterschiede der Gehirnentwicklung zwischen heutigen Völkern hinweisen. Forster: "Die Diskussion ist im vollen Gang, und wir müssen sehr aufpassen, in welche Richtung sie führt. Die wissenschaftliche Seite ist das eine, die ethischen Fragen, die sich daraus ableiten, sind aber womöglich noch viel brisanter. Denn von der These, dass die Menschen womöglich doch nicht alle gleich sind, ist es nur ein kleiner Schritt zu Menschen-Experimenten, wie sie Stalin in Auftrag gab."

Nachbemerkung: B.S. ist offenbar nicht vom Fach, sondern eine Berufsjournalistin, die einiges durcheinander bringt. Die "Out-of-Africa"-Theorie mag falsch sein oder auch nicht; aber sie steht und fällt nicht mit der Frage, ob sich der Cro-Magnon-Mensch und der "Neanderthaler" (bitte nicht "Neandertaler" - als er entdeckt wurde schrieb sich der Fundort noch mit "th"!) vermischt haben. Das sehen die Schreibtischforscher viel zu theoretisch. In der Praxis war es Jahrmillionen so, daß Geschlechtsverkehr nur durch Vergewaltigung statt fand. Dafür hatte die Natur gute Gründe: Ein Schwächling sollte sich nicht mit einer starken Frau paaren können. Kein Cro-Magnon-Mann wäre stark genug gewesen, eine Neanderthal-Frau "flach zu legen". Und umgekehrt? Doch, das wäre wohl gegangen - aber eine Cro-Magnon-Frau wäre schwerlich in der Lage gewesen, ein lebendes Kind von einem Neanderthaler zu gebären - dafür war ihr Becken zu klein. Forscht also schön weiter, liebe Theoretiker; aber denkt ab und zu auch mal praktisch!


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