Offener
Brief an Istvan Szabó über seinen Film Taking sides – der Fall
Furtwängler |
|
Open letter to Istvan Szabó
on his film
Taking sides – the Furtwängler case
|
|
Lettre ouverte à Istvan Szabó à
propos de son film
Taking sides – le cas
Furtwängler
|
Paris, den 20. August 2002 Sehr geehrter Herr Szabó, Der Zweck des vorliegenden Briefes
besteht nicht nur darin, Ihnen wie so viele Filmkritiker und andere
„kompetente“ Stimmen weitere Lobreden zu übermitteln. Gewiß haben auch wir Ihren Film
geschätzt, allein schon weil nur selten derzeitige Filme oder Bücher das
Thema der Verbindung zwischen Politik und Kunst aufgreifen. Aber dies Thema
möchten wir hiermit etwas weiter entwickeln und vor allem den Bedürfnissen
unserer Zeit näher bringen. Einem amerikanischen
Besatzungsoffizier, der zudem aus der Versicherungsbranche stammte, konnte es
nur schwer fallen zu verstehen, daß Wilhelm Furtwängler, entgegen seinen
eigenen Aussagen, dem Geiste Beethovens eigentlich nicht diente, indem er ein
prestigereiches Aushängeschild des Nazi-Regimes blieb, und daß er wohl dadurch
den freiheitlichen Geist der klassischen Musik eher betrog; aber auch Furtwängler selbst, dem kultivierten Spross
einer alten deutschen Intellektuellenfamilie, und dem besten Interpreten
besagter Musik, war dieses Bewusstsein nicht beschieden, sodaß sich während
dieser Verhöre zwei Gesichtspunkte gegenüberstanden, die gleichermassen einen
ganz wesentlichen Punkt verfehlten. Es scheint nur zu verständlich, daß
sich Nazi-Deutschland dazu eignete, die Frage nach der Verbindung zwischen
Kunst und Politik zu stellen: wie in jedem totalitären Regime hatte es der
Staat unternommen, auch über die Kunst zu regieren, zu entscheiden was Kunst
ist, und was keine ist, und sich die Kunst dienlich zu machen. Somit wurde
diese Fragestellung völlig augenscheinlich und offensichtlich, wo sie doch in
der Regel, unter „normalen Umständen“, eine bloss unterirdische Existenz
fristet. Doch die Tatsache, daß gerade
Beethovens Musik sehr eng mit der politischen
Problematik seiner Zeit verbunden war, wirft ein eigentümliches Licht auf
dieses Thema, weswegen die übliche Formulierung „Politik und Kunst“ nicht
ungeläutert übernommen werden kann. Wie verhält es sich nämlich, wenn die
Politik nicht unbedingt eine bloß aussenstehende Instanz ist, die sich erst
nachträglich mit der Kunst beschäftigt, sondern auch eine ursprüngliche,
innere und authentische Inspirationsquelle der Kunst bilden kann? War die
französische Revolution zum Beispiel nicht ein politisches Ereignis, das die
Fantasie der Kunstschaffenden der gleichen Zeit beflügelte, ein „herrlicher
Sonnenaufgang“, um mit Hegel zu sprechen? Gewiß abstrahierte die beste Musik
aller Zeiten keine einzige Sekunde von der tatsächlichen Lebenserfahrung der
Menschen (welche von Aristoteles berechtigter Weise die „politischen Tiere“
genannt wurden), und selbst die späten Ausläufer der Klassik im 20.
Jahrhundert, wie Mahler und Bartók, kannten kaum einen anderen Inhalt als
diese wesentliche Solidarität mit dem wirklichen Leben, mit der
unerträglichen Knechtschaft der Menschen unter den sogenannten „gegebenen
Verhältnissen“. Faßt man diesen Umstand etwas besser
ins Auge, kommt man nicht umhin, zwischen Politik und Staat zu unterscheiden.
Was sich in einem Regime wie dem der Nazis zeitigte war daher nicht die
Verbindung zwischen Kunst und Politik, sondern die zwischen Kunst und Staat,
zwischen Kunst und Autorität. Die Notwendigkeit einer solchen
Unterscheidung zeigt sich ferner darin, daß in der heutigen Zeit kein
totalitäres staatliche Regime mehr unsere Gesellschaften beherrscht, aber die
Kunst, oder besser gesagt die Kunstindustrie, sich weit mehr als je zuvor dem
Elend der Zeit unterwirft, mit ihm kollaboriert,
damit die „Künstler“ es vermögen, in ihrem Dasein als groteske aber
verläßliche Höflinge, sich die ungeheuerlichsten Privilegien und Pfründe zu
sichern. Furtwängler, Toscanini, Abendroth,
Kleiber, Klemperer, Scherchen, Walter waren alle Kleinverdiener verglichen
mit Muti, Tennstedt, Chailly, Levine, Abbado, Barenboim et alii. Aber was waren sie erst, vergleicht man sie mit den
Einkünften der Schlagersänger, der Filmschauspieler und der TV-Unterhalter,
geschweige denn mit André Rieu? Wer unter diesen Großverdienern beanstandet
nur das geringste Detail an der Diktatur der Ökonomie, die die Welt
zugrunderichtet, aber zu deren glücklichen Nutznießer sie sich zählen? Wer
unter ihnen erlaubt es sich, zwischen Kunst und Industrie, oder zwischen
Kunst und Wirtschaft eine noch so zaghafte Unterscheidung vorzunehmen? Wer
nimmt hier Abstand von der Autorität? Wer erlaubt es sich festzustellen, daß
die Kunst ganz allgemein nichts mehr ist und nichts mehr sein kann als eine
Ware unter anderen Waren, und daraus Schlüsse zu ziehen, die dem ehemaligen
Inhalt der Kunst gemässer wären? Wer schafft letztlich etwas, das besser
geraten wäre als dieser nichtige Warenstatus? Doch wir wollen einer Darstellung
dieser modernen Knechtschaft nicht vorgreifen, sondern im Gegenteil Sie dazu
aufmuntern und lebhaft encouragieren, einen neuen Film, diesmal über dieses
zeitgenössische Thema zu drehen, dessen Inhalt uns noch viel eindringlicher
betrifft als die verflossene Zeit der Nazidiktatur. Die Nazi-Bonzen könnten
den Finanzmogulen weichen, die NSDAP den weltweiten Medienkonzernen, und die
eingeschüchterten Künstlern den freiwilligen Systemaposteln (den „Stars“). Wäre das nicht ein richtig „heißes
Eisen“? Ein Thema für Sie? Ein Versäumnis Ihrerseits wäre schade,
denn es würde bedeuten, daß Ihre Kritik der staatsgelenkten Kunst identisch
ist mit einer Hinnahme, bzw. einer Apologie der gegenwärtigen Kunst als Ware
– somit würde das Thema platzen wie eine Seifenblase. Mit freundlichen Grüssen, Die Freunde der Nemesis www.geocities.com/nemesisite e-mail: [email protected] |
|
Paris, August 20th, 2002 Dear Mr. Szabó, The purpose of our letter is not to
add some more praises to what has already been said by many film critics and
“competent” voices. Of course, we also liked your film,
let alone that nowadays, there are very few books or films dealing with the
relation between politics and art. But we would like to further pursue this
idea, leading it as close as possible to the needs of our time. How could it be easy for a US
officer, formerly busy as an insurance agent, to understand that Wilhelm
Furtwängler, contrary to his own declarations, was not serving the spirit of
Beethoven while he stayed in Germany and remained a prestigious facade for
the Nazi regime, but, by doing so, rather betrayed the freedom
inherent in classical music? After all, the same lack of consciousness could
be found in Furtwängler’s mind, despite the fact that he was the most
cultured heir of an old family of German intellectuals, and the best
interpreter of this music. Therefore, during the interrogations, two
standpoints were facing each other, but both were missing an essential point,
in the same way. It seems nothing but obvious why
Nazi Germany appeared as very appropriate to portray the question of
relations between art and politics: as in every totalitarian regime, the
State had taken measures to rule art, to decide whether something was art or
not, and to have art serve the State’s own cause. Thus, the question became
quite visible, even obvious, while in “normal times” its existence is rather
hidden. Though, the fact that precisely Beethoven’s
music had been very closely linked with political issues of his time
sheds a special light on this question, and therefore, the customary formula
“politics and art” cannot be maintained unchanged. How are things if politics
are not only an external judgement, dealing ex post with art, but rather a
source for artistic inspiration altogether spontaneous, internal and
authentic? Did the French Revolution not influence its time as a political
event able to stimulate most artistic creators, was it not, to put it in
Hegel’s terms, a “splendid sunrise”? Without any doubt the best music of
all times did not forget for a single second the real life as experienced by
man (whom Aristotle called with good reason a “political animal”), and still
the latest “classics” in the 20th century, Mahler and Bartók, did
not know of any other content than an essential solidarity with real life,
with the unbearable serfdom called “normal life”. If one looks a bit closer at this
circumstance, one cannot avoid making a difference between politics and
State. So, what became obvious under the Nazi regime was not the relation
between art and politics, but the relation between art and the State, between
art and authority. The need for such a difference
appears as necessary due to the fact that nowadays, no totalitarian State
rules any longer our countries, and that nevertheless, art, or rather
artistic industry submits more than ever to the misery of times, collaborates
with it, so as to enable “artists” to harvest unbelievable privileges and
fortunes out of their grotesque but reliable way of life as courtiers. Furtwängler, Toscanini, Abendroth,
Kleiber, Klemperer, Scherchen, Walter were nothing more than small earners,
compared with Muti, Tennstedt, Chailly, Levine, Abbado, Barenboim and others.
But what could we say if we compared them with entertainment singers, with TV
hosts, with movie actors, not to say with André Rieu? Who among these men of
huge earnings would feel like objecting to the tiniest detail of an economic
dictatorship that ruins the planet, but pays large profits to them? Who among
them would take into account any kind of opposition between art and industry,
or between art and economy? Who among them would take a distance from the
source of authority? Who is bold enough to acknowledge that art is by now
nothing more than a commodity among other commodities, and cannot be anything
else; and bold enough to make some conclusions that would be more appropriate
to what was the former content of art? Who, finally, creates something that
would deserve a better status as to be a mere, disgusting commodity? But our purpose is not to
anticipate the description of this serfdom, we would rather give you the idea
to shoot now another film, and encourage you do it, a new film this time
dealing with a very current subject, that concerns us more closely than the
obsolete period of Nazi dictatorship. The Nazi officials could become finance
tycoons, the Nazi party could be replaced by international corporate media
groups, and intimidated artists could leave their place to the “stars”, i. e.
the most conforming defendors of the ruling system. Would this not be a pressing
matter, a hot issue, and a subject for you? Your silence on this matter would
mean that your criticism of art ruled by the State becomes an acceptance, if
not a condoning of contemporary artistic commodity – should the question end
this way, it would not be with a bang, but a whimper. Sincerely yours, The Friends of Nemesis www.geocities.com/nemesisite e-mail: [email protected] |
|
Paris, le 20 août
2002 Monsieur, Par la présente lettre, nous n’entendons pas seulement
ajouter encore quelques louanges à celles qui vous ont déjà été adressées par
les critiques de cinéma et autres commentateurs « compétents ». Certes, nous avons nous aussi apprécié votre film, ne
serait-ce qu’en raison de la rareté contemporaine des livres ou des films
posant la question des relations entre art et politique. Mais cette question,
nous souhaitons par la présente lui donner un prolongement qui, surtout, la
rapproche davantage des besoins de notre temps. Comment un officier d’occupation américain, de surcroît
ancien agent d’assurance, aurait-il pu comprendre que Wilhelm Furtwängler,
contrairement à ses propres affirmations, ne servait pas l’esprit de
Beethoven en restant en Allemagne comme faire-valoir prestigieux du régime
nazi, mais qu’il trahissait plutôt, ce faisant, l’esprit de liberté
inhérent à la musique classique ? D’ailleurs Furtwängler lui-même,
rejeton cultivé d’une vieille famille d’intellectuels allemands, et de
surcroît le meilleur interprète de cette musique, n’en avait pas davantage
conscience, de sorte que pendant les interrogatoires, deux points de vue
s’affrontaient, qui identiquement manquaient un point essentiel. Il ne semble que trop compréhensible que l’Allemagne nazie
se prêtait à poser cette question des relations entre art et politique :
comme dans chaque régime totalitaire, l’Etat avait entrepris de régir l’art,
de décider ce qui en était et ce qui n’en était pas, et de l’asservir à ses
fins. De la sorte, la question devenait manifeste et évidente, tandis qu’en
règle générale, dans des « circonstances normales », elle demeure
vouée à une existence souterraine. Cependant, le fait que la musique de Beethoven, très précisément,
avait été fortement liée à la problématique politique de son temps, jette une lumière salutaire sur ce sujet,
raison pour laquelle la formulation habituelle « art et politique »
ne peut pas être maintenue telle quelle. Comment le faire, en effet, s’il
s’avère que la politique n’est pas forcément une instance extérieure, qui ne
s’occupe de l’art qu’a posteriori, mais peut bien plutôt apparaître
comme une source d’inspiration spontanée, interne et authentique pour
l’art ? La révolution française n’était-elle pas, par exemple, un
événement politique capable de stimuler l’imagination des créateurs de son
temps, ou, pour parler comme Hegel, un « magnifique lever de
soleil » ? Sans nul doute la meilleure musique de tous les temps ne
s’abstrayait pas une seule seconde de l’expérience vitale réelle des hommes
(lesquels étaient à juste titre qualifiés d’« animaux politiques »
par Aristote), et même les représentants tardifs du classique au vingtième
siècle, comme Mahler et Bartók, ne connaissaient guère d’autre contenu qu’une
solidarité essentielle avec la vie réelle, avec l’insupportable
asservissement des hommes par la « vie normale ». Pour peu, donc, que l’on accorde plus d’attention à cette
circonstance, il n’est plus possible d’opposer l’art et la politique, mais
plutôt l’art et l’Etat. Ce qui devenait manifeste sous un régime comme celui
des nazis n’était pas la relation entre l’art et la politique, mais celle
entre l’art et l’Etat, entre l’art et l’autorité. La nécessité d’une telle distinction se montre par ailleurs
par le fait que, de nos jours, aucun régime étatique totalitaire ne domine
plus nos sociétés, et que pourtant, l’art, ou plutôt l’industrie artistique,
se soumet plus que jamais à la misère des temps, collabore avec elle, de sorte que les « artistes »
puissent engranger, à partir de leur statut de courtisans grotesques mais
fiables, des privilèges et des émoluments tout à fait extravagants. Furtwängler, Toscanini, Abendroth, Kleiber, Klemperer,
Scherchen, Walter n’étaient que des gagne petit comparés à Muti, Tennstedt,
Chailly, Levine, Abbado, Barenboïm et compagnie. Mais qu’étaient-ils
confrontés aux chanteurs de variétés, aux acteurs de cinéma, aux
présentateurs de télévision, sans parler d’André Rieu ? Qui, parmi ces
accapareurs fortunés, trouverait à redire au plus infime détail d’une
dictature économique qui ruine la planète, mais dont ils sont les bienheureux
usufruitiers ? Qui parmi eux se permettrait la moindre opposition entre
l’art et l’industrie, ou entre l’art et l’économie ? Qui, parmi cette
engeance, prendrait ses distances avec l’autorité ? Qui se permet de
constater que l’art tout entier n’est plus et ne peut plus être qu’une
marchandise parmi d’autres marchandises, et qui en tirerait des conclusions
qui seraient plus conformes à l’ancien projet artistique ? Qui, en
réalité, crée quelque chose qui mériterait un meilleur statut que celui,
lamentable, de marchandise ? Mais nous ne voulons pas anticiper sur la description de
cette servitude, et bien plutôt vous inviter et vous encourager à faire
suivre un autre film, cette fois consacré à ce sujet actuel, qui nous
concerne de bien plus près encore que l’époque révolue de la dictature nazie.
Les fonctionnaires nazis pourraient ainsi céder leur place aux ploutocrates
de la finance, le Parti nazi aux grands groupes de médias internationaux, et
les artistes intimidés aux défenseurs consentants du système que sont les
« stars ». Ne serait-ce pas là un sujet brûlant, tout désigné pour
vous ? Votre silence à cet égard reviendrait à réduire votre
critique d’un art dirigé par l’Etat à une acceptation, voire à une apologie
de la marchandise artistique contemporaine – et toute la montagne
n’accoucherait que d’une souris. Courtoises salutations Les Amis de Némésis www.geocities.com/nemesisite e-mail: [email protected] :Liste des titres en préparation :Comptes-rendus de publications |