Deutsche Wissenschaftler schlagen Alarm:

Political Correctness behindert die Forschung

von Thomas Röper (Anti-Spiegel, 05. Februar 2021)

Bilder, Links und Anmerkungen: Nikolas Dikigoros

70 deutsche Wissenschaftler, fast alle Professoren, haben eine Vereinigung gebildet, die für die Freiheit der Forschung kämpfen will, die durch die Political Correctness und politische Ideologie zunehmend eingeschränkt wird.

Man stelle sich einmal vor, in China oder Russland würden 70 angesehene Professoren davor warnen, dass die politische Ideologie des herrschenden Systems so sehr in die Meinungsfreiheit eingreift, dass sogar die wissenschaftliche Forschung beeinträchtigt wird. Die Empörung wegen politischer Zensur und Unterdrückung der Meinungsfreiheit würde in den deutschen "Qualitätsmedien" keine Grenzen kennen.

Wenn das aber in Deutschland passiert, ist das dem Spiegel nur einen kurzen Artikel wert, in dem im Konjunktiv ein paar der unverfänglichsten Sätze der von 70 führenden deutschen Wissenschaftlern, die dazu das "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit" gegründet haben, geäußerten Beschwerden zitiert werden, was in der Einleitung des Spiegel-Artikels zum Beispiel so klingt:

"70 deutschsprachige Forscher bemängeln, an vielen Universitäten sei ein Klima entstanden, in dem abweichende Meinungen nicht mehr toleriert würden. Sie werben für eine offenere Debattenkultur."

Ich war der Meinung, Deutschland sehe sich als Demokratie, in der die Meinungsfreiheit herrscht. Aber wenn das so ist, dann muss eine offene Debattenkultur doch selbstverständlich sein.

Dass das nicht so ist, ist jedem bekannt. Der Rahmen der zulässigen Meinungen wurde in Deutschland in den letzten Jahrzehnten konsequent immer weiter eingeschränkt. Heute herrscht die Political Correctness, und sie bestimmt, was man sagen darf und was nicht. Es vergeht kaum noch ein Tag, an dem in den Medien nicht gemeldet wird, dass sich irgendjemand für irgendeine Äußerung entschuldigen soll. Wer sich dem verweigert, über den bricht ein medialer Shitstorm herein, der bis zur gesellschaftlichen Ächtung gehen kann.

Das deutlichste Beispiel der letzten Zeit ist der Musiker Michael Wendler. Man muss nicht seiner Meinung sein, aber als er eine vom Mainstream abweichende Meinung geäußert hat, wurde er medial hingerichtet, von RTL gefeuert und er in schon aufgezeichneten Sendungen verpixelt. Nochmal: Man muss nicht seiner Meinung sein, aber wie lässt sich so eine Reaktion mit der Meinungsfreiheit vereinbaren?

Die Meinungsfreiheit endet in einer Demokratie da, wo Extremismus und Volksverhetzung beginnen oder wo man andere Menschen beleidigt. Dann greift das Strafgesetzbuch. Alles andere müsste man ohne Angst vor gesellschaftlichen, finanziellen und beruflichen Konsequenzen äußern dürfen, wenn tatsächlich Meinungsfreiheit herrschen würde. Dass es die in Deutschland nicht mehr gibt, zeigen die Beispiele von Michael Wendler, Xavier Naidoo, Mesut Özil und vielen anderen.

Für mich, der ich in Russland lebe, wo es das Phänomen der Political Correctness und die Schreierei nach Entschuldigungen für irgendwelche Äußerungen nicht gibt, ist das wahrscheinlich noch einmal befremdlicher als für Deutsche, die es gar nicht mehr anders kennen. In Russland reibt man sich bei dem, was da im Westen abläuft, nur entsetzt die Augen, wie ich immer wieder an Beiträgen des russischen Fernsehens zu dem Thema zeige. (Anm. Dikigoros: Wirklich nur die Augen? Oder nicht auch die Hände? Man freut sich doch über jeden Rückschlag der Konkurrenz im Wettlauf der Wissenschaften!)

Im letzten Sommer hat das russische Fernsehen darüber berichtet, dass die Political Correctness in den USA bereits die Wissenschaft einschränkt, und über das neue Phänomen der "Cancel Culture" hat das russische Fernsehen erst vor wenigen Tagen berichtet. Da hieß es unter anderem:

Das wichtigste dabei ist meiner Meinung nach das kulturelle Phänomen, das im Englischen als “cancel culture” bezeichnet und auf Russisch in der Regel als “Abschaffungskultur” übersetzt wird. Die Übersetzung ist meiner Meinung nach nicht ganz korrekt. Auf jeden Fall vermittelt sie keine Vorstellung davon, was wirklich hinter dem Phänomen steckt. Viel genauer und verständlicher wird es für uns, wenn wir “cancel culture” als “Liqudierungskultur” übersetzen. Wir haben schon mehr als einmal über Denkmäler historischer Persönlichkeiten gesprochen. Auch über Persönlichkeiten der Filmindustrie: von Harvey Weinstein über Kevin Spacey bis Johnny Depp. Sie wurden liquidiert, diese Helden gibt es heute im amerikanischen Film nicht mehr.

Man kann es nicht bestreiten, inzwischen ist im Westen ein wahrer Bildersturm ausgebrochen und Denkmäler werden zerstört oder abgebaut, weil die historischen Figuren aus heutiger Sicht nicht politisch korrekt waren. Political Correctness wird wichtiger als die Geschichte. Politiker und Prominente müssen sich plötzlich für Äußerungen entschuldigen, die sie vor Jahrzehnten gemacht haben, als diese Äußerungen gar nicht verwerflich waren. Wer konnte denn vor 20 Jahren wissen, was man 20 Jahre später alles nicht mehr sagen darf?

Und wieder: Wie passt die angeblich im Westen herrschende Meinungsfreiheit zu der Tatsache, dass man im Westen bestimmte Dinge nicht mehr sagen, bestimmte Worte nicht mehr benutzen, ja sogar bestimmte Meinungen nicht mehr haben darf, und wenn man dagegen verstößt, gesellschaftliche, finanzielle und berufliche Konsequenzen fürchten muss?

Und diese Phänomene haben auch vor der Wissenschaft nicht Halt gemacht. Heute steht nicht mehr die wissenschaftliche Arbeit im Vordergrund, sondern wichtiger ist die Frage, ob das Forschungsthema oder das (mögliche) Forschungsergebnis der politischen Ideologie des herrschenden Systems entspricht. Und wehe, wenn nicht!

Darüber beklagen sich die 70 Wissenschaftler. In ihrem Manifest heißt es zum Beispiel:

"Wir beobachten, dass die verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit von Forschung und Lehre zunehmend unter moralischen und politischen Vorbehalt gestellt werden soll. Wir müssen vermehrt Versuche zur Kenntnis nehmen, der Freiheit von Forschung und Lehre wissenschaftsfremde Grenzen schon im Vorfeld der Schranken des geltenden Rechts zu setzen."

Im Klartext heit das: Die Forschung wird eingeschränkt - und zwar nicht durch das Gesetz, sondern durch politische Ideologie. Wie passt das zu der Demokratie und der Meinungsfreiheit, die im Westen angeblich herrschen?

Etwas später kann man in dem Manifest lesen:

"Damit wird der Versuch unternommen, Forschung und Lehre weltanschaulich zu normieren und politisch zu instrumentalisieren."

In diesem Zusammenhang finde ich die Forderungen von Politikern, man solle eine auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Politik machen, besonders besorgniserregend. Immerhin wird dabei gesagt, dass man diesen (vorgeblich) wissenschaftlich erwiesenen Fakten nicht widersprechen kann, die Wissenschaft gibt der Argumentation zufolge den richtigen Weg bei vielen politischen Themen vor.

Wenn die Politik der Wissenschaft aber durch die Political Correctness vorschreibt, was erforscht werden darf und welche Ergebnisse dabei herauskommen müssen, dann bedeutet das de facto, dass die Politik entscheidet, was der Stand der Wissenschaft ist. Und wie wir an vielen Beispielen (Covid, Klimawandel, etc.) sehen, darf man den angeblichen Stand der Wissenschaft nicht anzweifeln, wenn man nicht sofort als "Was-auch-immer-Leugner" diffamiert werden will.

Genau das beklagen auch die Wissenschaftler:

"Wer nicht mitspielt, muss damit rechnen, diskreditiert zu werden. Auf diese Weise wird ein Konformitätsdruck erzeugt, der immer häufiger dazu führt, wissenschaftliche Debatten im Keim zu ersticken."

Wenn sich im Westen schon die Wissenschaft der vom System vorgebenen Ideologie unterwerfen muss, kann von Demokratie und Meinungsfreiheit keine Rede mehr sein. Die Nazis und die Kommunisten haben die Wissenschaft auch aus ideologischen Gründen eingeschränkt und alle Forschungen und Forschungsergebnisse, die nicht zur herrschenden Ideologie passten, unterdrückt. Kein Biologe hätte unter den Nazis laut sagen können, dass ihre These des "arischen Herrenmenschen" oder ihre sogenannte "Rassenlehre" aus wissenschaftlicher Sicht kompletter Unsinn sind. Und im Kommunismus durfte niemand an etwas forschen, was der Ideologie des Kommunismus widersprochen hätte.

Im Westen sind wir inzwischen auch an dem Punkt angekommen, dass die politische Ideologie der Wissenschaft Grenzen setzt oder - siehe Genderlehre - sogar vorschreibt, was nun ein wissenschaftliches Themengebiet sein soll. Wer etwas dagegen sagt, bekommt Probleme, und als Wissenschaftler bedeutet es fast zwangsläufig das Ende der Karriere, wenn man sich gegen die herrschende Ideologie und das, was sie als wahr ansehen will, stellt.

Aber der Spiegel findet das nicht bedrohlich.

Daher wiederhole ich meine Frage vom Anfang des Artikels: Ob die deutschen Medien das wohl auch so gelassen hinnehmen würden, wenn es russische oder chinesische Wissenschaftler wären, die sich so deutlich über ideologisch und politisch bedingte Einschränkungen ihrer Forschungen beschweren würden?

Es kommt aber noch besser: Mittlerweile wandern Forscher aus den USA nach China aus, wenn ihre Forschungen nicht zum ideologisch Gewollten passen. Denn ausgerechnet im ach so diktatorischen China ist die Forschung frei, und Forschungsgelder sind reichlich vorhanden.

Es hat noch kein politisches System lange überlebt, dass sich gegen die Wissenschaft gestellt hat, weil das auf mittlere Sicht dazu führt, dass ein solches System technologisch und gesellschaftlich zurückfällt.

Darauf weist das russische Fernsehen immer wieder hin, wenn es über die ideologisch bedingten Fehler aus Sowjetzeiten berichtet, als man auch unter Verweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse einen neuen Menschen formen wollte. Solche gesellschaftlichen Experimente unter pseudo-wissenschaftlichem Vorgang haben in der Geschichte noch nie funktioniert.

Genau das können wir gerade im Westen aus der ersten Reihe beobachten, wenn die Political Correctness und die Ideologie des Liberalismus in den wissenschaftlichen Diskurs eingreifen, weil die möglichen Ergebnisse dieses Diskurses oder bestimmter Forderungen gegen das verstoßen, was nach der Ideologie des Liberalismus wahr sein muss.

In eigener Sache: Ich bin Ende der 1990er aus Deutschland in ein Land ausgewandert, das sich dem westlichen Trend der Political Correctness widersetzt (Rußland, Anm. Dikigoros), weshalb mir die schleichende Veränderung, die die Political Correctness angerichtet hat, besonders deutlich auffällt. Als ich Deutschland verlassen habe, da wurde so etwas noch im ZDF-Vorabendprogramm gezeigt. Wäre das heute im ZDF noch denkbar? (Anm. Dikigoros: Natürlich nicht - schließlich steht die Abkürzung längst für "Zensiertes Dummdeutsches Fernsehen!)


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