Wovon sie nicht wollen, dass du es liest

von Dushan Wegner (02. März 2021)

Links und Anmerkungen: Nikolas Dikigoros

Die moderne, digitale Buchverbrennung zündet keine Feuer mehr an. Wenige Klicks, ausgeführt von anonymen Zensoren, und schon ist ein Buch mit störenden Gegenargumenten aus dem Sortiment verschwunden.

Es gibt sie ja doch, diese Sätze und Worte, die wir zwar so ähnlich bereits gehört haben, die wahr und wichtig waren und bleiben – und dann spricht sie einer neu aus, und wir spüren ihre Wahrheit aufs Neue.

Das Gesagte trifft auf eine neue Resonanzwand. Das Motiv findet ein neues Publikum, die Frage ist aufs Neue eröffnet und dringend. Vielleicht, weil sie knapper formuliert ist. Vielleicht, weil das Wesentliche auf genau die richtige Art für diesen Augenblick zugespitzt wurde. Wir fühlen es neu, und so verstehen wir es neu.

Einen solchen Satz twitterte dieser Tage der amerikanische Biotech-Unternehmer Vivek Ramaswamy (Vermögen laut Wikipedia über eine halbe Milliarde US-Dollar):

Name ONE time in human history when the group fighting to ban books and censor speech were the good guys.
I'll wait… (@VivekGRamaswamy, 25.2.2021)

Zu Deutsch etwa:

Nennt mir EINEN Fall der Menschheitsgeschichte, in dem die Gruppe, die für den Bann von Büchern und die Zensur von Sprache kämpfte, die Guten waren.
Ich warte… (@VivekGRamaswamy, 25.2.2021, meine Übertragung ins Deutsche)

Der Tweet genießt aktuell über 20.000 Retweets – und er hat neben der allgemeinen Lage der Gesellschaft auch einen aktuellen Anlass.

2009: 1984

Im Jahr 2009 geschah etwas, das derart hollywoodesk-dystopisch-schurkenhaft erschien, dass ein Hollywood-Script mit diesem Inhalt als geradezu lächerlich klischeehaft belächelt und abgewiesen worden wäre.

Amazon hatte etwa zwei Jahre zuvor sein elektronisches Buchlesegerät Kindle auf den Markt gebracht. Der Kindle unterscheidet sich bis heute von den meisten anderen E-Buch-Lesegeräten dadurch, dass er sein eigenes Dateiformat benutzt und recht eng an die Amazon-Plattform geknüpft ist. Es ist natürlich für die Kunden komfortabel – doch wir wissen, dass heutzutage digitaler Komfort mit Ausgeliefertsein erkauft wird.

2009 dann passierte es, was im Nachhinein nur wie eine Frage der Zeit erschien. Aus internen Rechte-Gründen sah Amazon sich bewegt, via Internet und aus der Ferne zwei Bücher auf den Geräten der Kunden zu löschen (siehe etwa archive.nytimes.com, 17.7.2009).

Eines der Bücher war ausgerechnet 1984 von George Orwell, das andere die Farm der Tiere.

Die Begründung war, so die Berichte, dass der Anbieter, der die Bücher bei Amazon hochgeladen hatte, gar nicht die Rechte daran besaß – doch Amazons Konsequenz der Fernlöschung fühlte sich geradezu gruselig orwellsch an – und dass es ausgerechnet mit 1984 als Gegenstand geschah, das war seine eigene makabre Satire.

Man stelle es sich einmal »realweltlich« vor: Ein Buchhändler verkauft dir ein Buch, stellt dann später fest, dass er es dir doch nicht verkauft haben will, also bricht er bei dir ein und nimmt das Buch von deinem Nachttisch wieder mit (samt deines Lesezeichens und eventueller Notizen). Nein, die Angelegenheit wird wahrlich nicht weniger nervositätsinduzierend dadurch, dass Amazon den Kunden den Kaufpreis erstattete – und ganz gewiss nicht dadurch, dass solches Gebahren rechtlich durch die weggeklickten Geschäftsbedingungen gedeckt war.

Amazon entscheidet

Wir sind heute ein Jahrzehnt weiter, und niemand zählt mehr mit, wieviele Bücher der Online-Alleshändler in Zwischenzeit ausgelistet und manchmal später doch wieder gelistet hat.

In einem meiner frühesten Essays (2016: »Erst war Akif dran«) beschrieb ich, wie der deutsche Staatsfunk und politiknahe Zeitungen eine gefährliche Lüge über Akif Pirinçci verbreitet hatten, woraufhin er im Buchhandel weitgehend ausgelistet worden war (boersenblatt.net, 26.10.2015). Es ist heute ein »neues Normal« geworden, dass Buchhändler immer wieder versuchen, allzu kritische Bücher zu unterdrücken (vor allem, wenn dieses Kritische gewisse Aussicht auf ungewöhnlichen Erfolg hat) – als Strafmaßnahme aber auch harmlose Bücher später störender Autoren, wie die Katzenromane Pirinçcis. (Man denke auch an die Frankfurter Buchmesse, wo der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zuletzt de facto gegen abweichende Meinung agitierte, inklusive lächerlicher Demonstration und offener Schikane gegen Andersdenkende; siehe jungefreiheit.de, 17.10.2017; jungefreiheit.de, 15.10.2019.)

Was die nicht wollen

Wir schreiben das Jahr 2021, und es schockt uns kaum noch, wenn Bücher ausgelistet werden. Es bleibt aber zugleich ein informativer Anzeiger für die Ziele und Unsicherheiten »derer da oben«, wenn ein Buch auf eine Weise unterdrückt wird, die es bewusst in Kauf nimmt, durch die Unterdrückung selbst dem Buch zunächst einmal zusätzliche Popularität zu verschaffen. Diese Mao-Momente der sogenannten »Eliten« (»bestrafe Einen, erziehe Tausende« – mehr eine Redensart als belegtes Zitat), sie zeigen uns an, was die-da-oben derzeit motiviert – und was sie ärgert.

2018 hat der US-Philosoph Ryan T. Anderson sein Buch »When Harry Became Sally: Responding to the Transgender Movement« vorgelegt. Es ist, so die Kritiken, eine recht nüchtern argumentierende Streitschrift gegen die Position der Transgender-Ideologie. Und nun hat Amazon, augenscheinlich auf Druck von »Aktivisten«, das Buch aus dem verfügbaren Sortiment entfernt (siehe etwa nationalreview.com, 23.2.2012).

Die moderne Buchverbrennung ist wenig mehr als der kühle Klick eines anonymen Zensoren. Was die Buchhandels-Supermacht Amazon angeht, soll kein Kunde die Argumente lesen, die dagegen sprechen, dass hochdosierte Hormone an Minderjährige ausgegeben werden, damit diese gar nicht erst in die Pubertät gelangen. Was die Amazon-Zensoren betrifft, sind Transgender-Operationen vermutlich ein Klacks und niemand bereut später seine Entscheidung, und jedes Argument gegen die regenbogenbunte Transgender-Heile-Welt ist nichtig und verdient nicht, auch nur gelesen zu werden.

In der Moral der Amazon-Zensoren kann zwar weiterhin »Mein Kampf« verkauft werden, dazu diverse andere Schriften, die Menschen zu Grausamkeit motivierten – nicht aber ein Buch, das die Transgender-Bewegung kritisch prüft.

Dem Geschichtsunterricht aufs Jota

Jene zwanzigtausendmal geteilte Frage von Vivek Ramaswamy, sie trifft das Problem recht präzise: »Nennt mir EINEN Fall in der Menschheitsgeschichte, wann die Gruppe, die für den Bann von Büchern und die Zensur von Sprache kämpfte, die Guten waren. – Ich warte…«

Diejenigen, die sich heute selbst als »die Guten« wahrnehmen, merken ja durchaus bei Gelegenheit, dass und wie sie den »Bösen« ähneln, von denen wir im Geschichtsunterricht lernten – doch sollte ihr Gewissen sie zu quälen drohen (ich würde nicht darauf zählen), retten sie sich vor sich selbst in die Illusion, sie seien ja gerechtfertigt, denn anders als die Bösen damals seien sie ja gut und also sei ihre Handlung legitim und moralisch, obgleich sie den Handlungen der Bösen aus dem Geschichtsunterricht aufs Jota gleicht.

Dass es ist, wie es ist

Nein, es ist nicht alles anders als heute, und es ist keine übernatürliche Hexerei passiert. Die Kompassnadeln zeigen nicht seit gerade eben in die entgegengesetzte Richtung. Zwei und zwei ergibt noch immer nicht wirklich fünf. Manches, was heute geschieht, ähnelt auffällig präzise dem, wovon wir im Geschichtsunterricht lernten, dass die Bösen es so taten – und nein, es ist auch diesmal nicht magischerweise gut.

Es ist, wie es ist, und die, die heute Böses tun, nennen sich auch heute wieder die Guten – und ihre Mittel sind im Geist dieselben, auch wenn das Streichholz von damals immer wieder wenig mehr als ein anonymer Klick ist. – Die, äh, brennende Frage an uns selbst ist, was wir aus dieser Erkenntnis lernen, wie sie praktisch wird.

Ich will heute Niebuhrs bewährtes Gelassenheitsgebet neu paraphrasieren, es neu fürs Jetzt-und-Hier anpassen: Gott gebe mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann. Die Weisheit, die änderbaren Dinge von denen zu unterschieden, die ich nicht ändern kann. Und die Klugheit, jenen Dingen, die ich nicht ändern kann, die aber den bösen Dingen von damals ähneln, rechtzeitig aus der Schusslinie zu gehen.

Es hülfe wenig, noch immer zu leugnen, dass es ist, wie es ist. Wenn es aber heute wieder so ist, wie es früher bereits war, muss dann nicht der Auftrag des Einzelnen lauten, aus der Geschichte zu lernen, und also ähnlich zu handeln, wie damals jene, die sich später als die Klugen herausstellten?


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