Auch das Biographisch-bibliographische Kirchenlexikon von den "Experten" aus Gundelsheim am Neckar heimgesucht    !
I.
Wie Ulrich Andreas Wien den sorgfaeltigen Umgang mit historischen Tatbestaenden und das Gebot faktengetreuer Information in Verbindung mit NS-Bischof WILHELM STAEDEL vorsaetzlich verletzt

Vergleich:

Ein weiteres Beispiel von Fakten- und Informationsunterschlagung:
Der Webartikel im Biographisch-bibliographischen Kirchenlexikon ueber Bischof Friedrich Mueller-Langenthal



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            Wenn es kein Entgegenhalten gaebe gegen die programmatische IGNORANZ und INKOMPETENZ, gegen die Pflege einer mit Mythenbildung  und Geschichtsrevisionismus gespickten RESSENTIMENTKULTUR, dann saehe die "Forschungs"-Wirklichkeit so aus wie in dem apologetischen und geschichtsklitternden Beitrag Ulrich Andreas Wiens im Biographisch-bibliographischen Kirchenlexikon des Verlags Traugott Bautz GmbH. in Nordhausen ueber den NS-Bischof Wilhelm Staedel .

            Die "Kritischen Blaetter" sind sich dessen bewusst, dass dem geistlosen Treiben des Kreises, dem Genannter angehoert, nicht Einhalt geboten werden kann, weil "Forscher" des Zuschnitts von U.A. Wien mit einer "Kompetenz" bestueckt sind,



Vgl. unsere frueheren Stellungnahmen zu Wien:
Die siebenbuergisch-saechsische Zeitgeschichtsschreibung auf abwegiger Faehrte. Politisch-propagandistische Mythenkultur geschichtsrevisionistisch ausgebeutet

EIN LEHRSTUECK PAROXYSTISCHER SCHWARZWEISSMALEREI



die ausser Uneinsichtigkeit und Unfaehigkeit, ein Bewusstsein ihrer eigenen Fehlleistungen zu entwickeln, an einem Geflecht von ewiggestrigen Glaubensmaximen festhalten, das sie um keinen Preis aufgeben, weil sie glauben, damit ihrer kulturellen und ethnischen Identitaet "treu" zu bleiben. Sie befuerchten, dass andernfalls das aus lauter undurchsichtigen Vorstellungen, Glaubenssaetzen und Einbildungen zusammengesetzte Konstrukt einer geschichtlichen und nationalen Identitaet der Siebenbuerger Sachsen und/oder der Rumaeniendeutschen droht, sich in nichts aufzuloesen.

            Ein Vorsatz in diesem undurchsichtigen Gewebe von Vorurteilen ist naemlich der, dass das NS-Treiben der Vaeter- und Grossvaetergeneration nicht ein faktischer Bestandteil der eigenen und der Gruppenidentitaet  ist. "Forscher" dieses Schlags wollen die NS-Hypothek ihrer "Volks"-Gruppengeschichte einfach nicht als das zur Kenntnis nehmen, was sie in dokumentarisch verbuergter Form tatsaechlich war, weshalb sie es muessig finden:

        a) die reichlich ueberlieferten Archivbestaende, beispielswiese die des Bundesarchivs, der     Oeffentlichkeit bekannt zu machen;
        b) diese Unterlagen sach- und fachgerecht heranzuziehen und auszuwerten;
        c) auf die NS-Initiativen und NS-Aktivitaeten faktisch einzugehen.

Statt dessen begegnen sie den dokumentierten und historisch erweisenen Fakten mit Unterschlagung,  Totschweigen, Faelschung (=Amputation), Manipulation und gezielter Irrefuehrung der Oeffentlichkeit (= systematischer Desinformation).

            Solange dieser Kreis im Zeitalter der Information auf solche Mittel der Diversion (=Ablenkung)  nicht verzichtet, solange er die dargestellten Identitaetsvorstellungen wie einen Hemmklotz mit sich herumschleppt, wird er
a) von Uneinsichtigkeit gestraft;
b) wird er ueber das  Stadium der ungebuehrlichen Beschaeftigung mit sich selbst und seinen historischen Einbildungen nicht hinauskommen;
c) wird er sich weiterhin in seinen Identitaetsvorstellungen und -problemen, also in Selbstreferentialitatet  verheddern.

Dadurch stellt sich dieser Kreis abseits und ausserhalb des grenz- und nationenueberschreitenden Kulturdialogs eines zusammenwachsenden Europa.

            Die "Kritischen Blaetter" betrachten es als Gebot der Stunde auf  dieses selbsterkorene Sonderdasein und dieses kulturelle Aussenseitertums aufmerksam zu machen. Seine Produkte  spotten jeder historischen Wahrheit und Wahrhaftigkeit und muessen mit sach- und fachgerechten, dokumentarisch unterlegten Beitraegen in die Schranken gewiesen werden. In diesem Sinn geschieht die Veroeffentlichung des folgenden Beitrags, den die Halbjahresschrift fuer suedosteuropaeische Geschichte, Literatur und Politik bereits im Mai 2001 auf S.91-106  brachte.


Gott will es!
Drei Stationen im Leben von Wilhelm Staedel

Von Klaus Popa

Bitte den Dokumentenanhang zu beachten.

            Seit der Publikation des „Tagebuches“ von Bischof Viktor Glondys1  trat eine Belebung der Auseinandersetzung mit
den politischen Verirrungen und Verwirrungen der Siebenbuerger Sachsen der 30er und fruehen 40er Jahre des vorigen
Jahrhunderts ein. Wenn es bis dahin hauptsaechlich darum ging die Gruppe der Nationalsozialisten zu rechtfertigen2  bzw.
archivmaessig ueberlieferte Aussagen zum eigentlichen Tatbestand publik zu machen,3 zeichnet sich seither die Tendenz ab,
das Augenmerk auf fuehrende Persoenlichkeiten zu leiten und diese gleichermassen als Leitfiguren der einen oder anderen
Seite gegeneinander auszuspielen4  oder einfach zu diskreditieren.5 Nun wird die Diskussion auf einen anderen
Spitzenvertreter der Nationalsozialisten, Pfarrer, nachmalig Bischof Wilhelm Staedel (1942-1944) gelenkt.6 Dessen Anbeter
halten weiterhin an dem Bild eines makellosen Pfarrers, Jugendleiters und Bischofs fest. Dass Staedel ganz anderes auftrat
und durch seinen fanatischen Nationalsozialismus eigentlich weiter nichts anderes war als ein Verfuehrer und Verformer
junger Gemueter und ein beflissener Erfuellungsgehilfe des reichsdeutschen Expansionismus soll anhand von Belegstellen aus Staedeltexten veranschaulicht werden. Das daraus ableitbare Persoenlichkeitsprofil darf als symptomatisch gelten fuer
zahlreiche siebenbuergisch-saechsische Pfarrer, die sich bereits in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts
nationalsozialistisch gebaerdeten.7



1. Tagebuch. Aufzeichnungen von 1933 bis 1949, hg. Von Joahnn Boehm und Dieter Braeg, Dinklage 1997.
2.  Es seien nur die Arbeiten von Wolfgang Miege, Das Dritte Reich und die Deutsche Volksgruppe in Rumaenien 1933-1938. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Volkstumspolitik, Bern, Frankfurt a.M. 1972; Karl M.Reinerth u. Fritz Cloos, Zur Geschichte der Deutschen in Rumaenien 1935-1945. Beitraege und Berichte, Bad Toelz 1988; Harald Roth, Politische Strukturen und Stroemungen bei den Siebenbuerger Sachsen 1919-1933, Koeln Weimar Wien 1994 erwaehnt.
3.  Johann Boehm, Die Deutschen in Rumaenien und die Weimarer Republik 1919-1933, Ippesheim 1993; Die Deutschen in Rumaenien und das Dritte Reich 1933-1940, Frankfurt a.M., Berlin, New York, Paris, Wien 1999.
4.  Besonders betont bei Ulrich Andreas Wien, Kirchenleitung ueber dem Abgrund. Bischof Friedrich Mueller vor den Herausforderungen durch Minderheitenexistenz, Nationalsozialismus und Kommunismus (Studia Transylvanica, Bd.25), Koeln Weimar Wien 1998; "Dokumentation" Anmerkungen zu Bischof Viktor Glondys, von Friedrich Mueller, in: Suedostdeutsche Vierteljahresblaetter (SVjbll.), Folge 2/1999, S.157-165.
5.  So Dietmar Mueller in seiner Besprechung des „Tagebuches“ von Viktor Glondys in Suedost-Forschungen 58 (1999), S.645-648.
6.  Das erfolgt in ganz unprofessioneller Manier – ungenaue, aus dem Kontext herausgerissene Zitierweise, ungenaue Quellenangaben – durch Rolf Reiser, „Fatum oder Datum?“. Notwendige Nachbetrachtungen zu einem Buch, in: SVjbll., 49. Jg., Folge 4, 2000, S.350-353. Reisers Bestreben, durch Protest gegen eine fehlerhafte Textstelle das in bestimmten Kreisen kursierende Bild eines makellosen Nationalsozialisten Staedel wiederherzustellen, aendert an der faktisch ungluecklichen, schuldbeladenen Taetigkeit und Persoenlichkeit Staedels nichts.
7.  Unsere Erhebung zeigt, dass zum „harten Kern“ von 26 extrem nationalistisch-nationalsozialistisch orientierten Pfarrern der 20er Jahre in den spaeten 30er und fruehen 40er Jahren noch wenigstens 58 Pfarrer stiessen.

I.

Pfarrer Staedel wurde wegen seiner Weigerung sich dem Rundschreiben 924/1936 des Landeskonsistoriums der ev.
Landeskirche A.B. in Rumaenien zu beugen, das den Kirchenangestellten parteipolitische Betaetigung untersagte, des Amtes
enthoben. Am 18. Januar 1937 trat er vor dem Bezirksdisziplinargericht in Kronstadt auf. Seine Verteidigungsrede8  hatte
ausschließlich den Zweck, sich und seine Gesinnungsgenossen9  zu rechtfertigen und die alte Kirchenfuehrung unter Bischof
Glondys anzuprangern. Staedel bedient die rhetorischen Paradigmen der politische Richtung, fuer die er Rede und Antwort
stehen muss, in ausgezeichneter Weise. Diese beinhalten:

a) wofuer sich Staedel und Gesinnungsgenossen vorgeblich einsetzen;
b) das, was sie als Angeklagte ablehnen; aber eigentlich politisch ansteuern;
c) sie beanspruchen die Rechte, welche sie spaeter untersagen und unter Strafe stellen wuerden;
d) die Infragestellung der Autoritaet der damaligen Kirchenfuehrung und das Projekt der „wahren Volkskirche“.

            So heisst es, er spreche „um fuer Recht und Wahrheit einzutreten“10  und dass er und seine Gesinnungsgenossen ihren „Weg weitergehen um des Rechtes, der Wahrheit und des Gewissens willen!“11 In kirchlichen Dingen betrachten sie sich „als Luthers Erben“,12 „Gehorsam und Zucht“ sind „Grundpfeiler der neuen Gemeinschaft“, an der sie „bauen“ wollen, doch es gaebe „einen aeusseren und inneren Gehorsam“, wobei „Gehorsam gegenueber Gott“ „sich nicht immer mit dem Auftrag einer irdischen Befehlsstelle und sei es auch die Kirchenleitung“ deckt. An die kirchliche Obrigkeit ist man sittlich gebunden, doch entscheidend sei der „innerste Auftrag unseres Lebens“.13 Das sind Worte eines elitaeren, sendungsbewussten Selbstverstaendnisses mit totalitaeren Konsequenzen, wo der Gottesglaube ausschließlich als Vorwand, als Fassade fuer das dient, was dieser “heilge Lebensauftrag“ beinhaltet. Die Instrumentalisierung des Glaubens zu rein politischen Zwecken, das ist ein Hauptkennzeichen der von Staedel vertretenen Religion. Dieser politisierte Glaube gebaerdet sich bereits darin dogmatisch, dass er von sich behauptet, allein im Sinn des reformatorischen Bekenntnisses zu handeln, waehrend der Runderlass 924/1936 der Kirchenfuehrung „unevangelisch“ sei.14 Staedel setzt sich fuer die sogenannte „Volkskirche“ ein, die „dann und dort“ ist, „wo die Botschaft die Menschen in ihrer Lebenstiefe, in ihrer Existenz trifft, wo die Kirche wieder „heiliges Eigen“ des Volkes wird!“15  Er und seine Mitstreiter haben die Losung „Wir kaempfen innerhalb der Kirche um die neue Kirche!“.16 Was sie sich darunter vorstellen, formuliert Staedel wie folgt:

Die Kirche wird nur dann wieder ihre klare Stellung mitten im Volk haben, wenn der Bau der großen deutschen Volksgemeinschaft in diesem Land gelungen ist, denn sie wird dann auch vom Volk her in neuer Weise das mandatum sacrum erhalten, Hueterin des Heiligtums zu sein! Sie wird aber zweitens diesen heiligen Auftrag nur dann recht erfuellen koennen, wenn sie mitten hinein geht in die lebendigen Kraftstroeme der deutschen Volksbewegung und ihrer wachstuemlichen Gemeinschaftsgestaltung, wissend um das Ziel der Ewigkeit und die Wege dahin weisend.17


8. Meine Verteidigung. Ein Ruf zur Besinnung in unserer Kirche, veroeffentlicht als zweites Heft der Schriftenreihe „Volkstum und Kirche“ im Verlag der Deutschen Volksdruckerei und Verlags-AG in Kronstadt 1937. Diese Verlagsanstalt bediente die radikal-nazistische DVR (Deutsche Volkspartei in Rumaenien), die 1935 durch Abspaltung von der gemaessigten NEDR (Nationale Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumaenien) ins Leben gerufen wurde.
9.  Etwa 60 Pfarrer, Lehrer und Kindergaertnerinnen.
10.  Meine Verteidigung (wie Anm.8), S.7.
11.  Ebenda, S.54.
12.  Ebenda, S.37.
13. Ebenda, S.39.
14.  Ebenda, S.34 und 42.
15.  Ebenda, S.49.
16  Ebanda, S.46.
17. Ebenda, S.46.


Um seinen Abgang spektakulaer zu gestalten, schlaegt Staedel pathetisch-emphatische Toene an:
Und so nehme ich aus diesem Saal erst recht mit mir die Gewissheit des Glaubens, des Glaubens an die kommende Kirche des Volkes, ruhend auf heiligem und ewigem Gottesgrund und gespeist aus dem goettlich-schoepferischen Strahlenkern der
Christuswahrheit und der Christusliebe, die Kirche der lebendigen Gemeinden, die Kirche der Freien und Frommen, die Kirche Gottes der deutschen Nation in diesem Land!18
            Als Leser des 21. Jahrhunderts hat man seine Schwierigkeiten den Aussagen Staedels Aufrichtigkeit zuzubilligen. Staedel hinterlaesst eher den Eindruck eines gewieften Demagogen, dem es ein leichtes war die christlich-evangelische Rhetorik mit den politisch-ideologischen Paradigmen des Nationalsozialismus zu verbinden. Dieser Zwitterdiskurs drang ohne Schwierigkeiten in die Herzen seiner jugendlichen Zuhoerer und Gefolgsleute, konnte aber die gestandenen Theologen der Kirchenfuehrung nicht hinters Licht fuehren. Weil Staedel und seine „Bewegung“ auf der Anklagebank sitzen, lehnen sie zu diesem Zeitpunkt all das ab worauf ihr ideologisches Projekt eigentlich hinzielte: Gewaltmittel, Gewissenszwang, Kadavergehorsam, Willkuer, Orthodoxie, Unwahrheit, Entrechtung. Damit ist die Heuchelei und die Skrupellosigkeit dieser Menschen angesprochen, die bei der Auswahl ihrer Kampfmittel nicht zimperlich waren. Zutiefst unaufrichtig ist Staedels Bemerkung, er komme in diesen Monaten des „Kirchenkampfes“ am schwersten darueber hinweg,
dass in einer christlich-evangelischen Kirche die Austragung eines Gegensatzes auf „christliche“ Weise scheinbar nicht moeglich ist, sondern nur durch Anwendung von Gehwaltmitteln geistlicher, rechtlicher und sonstiger Art: dass es also in unserer Mitte an der Bezeugung des Geistes und der Kraft wahrhaften Christentums weithin fehlt; [...].19


            Staedel wiederholt diesen Gedanken gegen Ende seiner Ausfuehrungen, indem er aus D. Karl Heim zitiert: „Sobald irgend ein aeusserer Druck hinter das Wort gesetzt wird, kann keine lebendige Kirche entstehen“.20



18.  Ebenda, S.57.
19.  Ebenda, S.5.
20. Ebenda, S.54. Karl Heim lehrte an der Universitaet Tuebingen.


Der Vorwurf des Gewissenszwangs in Verbindung mit dem Rundschreiben 924/1936 wird mehrmals laut. Staedel begruendet seine Weigerung diesem Rundschreiben zu folgen damit, dass er auch durch seinen Amtseid „innerlich nicht gezwungen sein kann, allen Anordnungen der Oberbehoerde Folge zu leisten“, weil er „nur denen gegenueber zu Gehorsam verpflichtet“ sei, „die auf Grund der bestehenden Vorschriften erlassen werden, also gesetzlich sind!“ Auch lehne er und seine Mitstreiter den „Kadavergehorsam“ ab.21 Sich an D. Paul Althaus anlehnend verwirft Staedel den Gehorsam, der bereit ist auch schlechte Obrigkeit, ihr Unrecht, ihre Willkuer und Gewalt zu leiden.22 Auch auf Luther beruft sich Staedel, der den geistigen Zwang ablehnte, weil das Herz nicht zu zwingen und die Gedanken „zollfrei“ seien.23 Auch reklamiert Staedel „Freiheit des Geistes und des Vertrauens“, damit die Landeskirche nicht „zu einer hierarchischen Anstalt mit katholischer Praegung“ wird.24 Er wittert in diesem Zusammenhang
die Gefahr der Orthodoxie, einer oft am Buchstaben auch der Bibel haengenden Rechtglaeubigkeit, die so leicht geneigt ist, den Glauben anderer mit dem Richtmass ihrer eigenen frommen Gedanken zu messen. Damit aber ist die Gefahr verbunden, dass sich das Christentum in dieser Form tatsaechlich auf kleinere Kreise beschraenkt, an denen der Strom des Volkslebens mit seinen elementaren Kraeften vorueberrauscht.25
Staedel entwirft also einen Katalog totalitaerer Suenden, den sich die Landeskirche angeblich zuschulden kommen ließ. Dass das aber gerade die Maßstaebe und Begleiterscheinungen der totalitaeren Volksordnung sind, welche das nationalsozialistische Projekt in Deutschland bereits verwirklicht hatte und Staedel auch bei den Rumaeniendeutschen
einfuehren wollte, ist fuer ihn belanglos.

            Staedel reklamiert in seiner Verteidigungsrede Grundsaetze, die nur solange Gueltigkeit haben, bis er und seine
Gesinnungsgenossen ins Zentrum der Macht gerueckt sind. Unter ihrer Fuchtel sollte und konnte nur ein Wille gelten, naemlich der Fuehrerwille. Das Recht auf Selbstentscheidung, das Recht auf Kritik, christlich-soziale Inhalte hatten da nichts mehr zu melden. Doch in seiner jetzigen Lage als Angeklagter beruft er sich auf einen mystisch verbraemten „zukunftstraechtigen ewigen Wille(n)“.26 Staedel plaediert auch fuer das Recht auf Selbstentscheidung, naemlich auf sein Recht, sich fuer die Jugendarbeit nach seinen nationalsozialistischen Vorstellungen zu entscheiden, und nicht die von der Kirche vorgeschriebenen Inhalte zu vermitteln.27  Letzteres war uebrigens. ein Hauptanklagepunkt gegen Staedel. Aehnlich formuliert Staedel in Verbindung mit der bestehenden, an die Gemeinschaft gebundene Ordnung und dem Einzelgewissen und behauptet, in der Jugend- und Erneuerungsbewegung wachse eine „neue Ordnung“, wo „das an Gott gebundene Gewissen einmal auch nicht uebereinstimmt mit dem an die Ordnung gebundenen Gewissen“.28 Staedel lehnt also das ab, was er von der bestehenden, „alten“ Ordnung auferlegten Gewissenszwang nennt. Als aber er und seine Gesinnungsgenossen, sobald sie ab November 1940 ihre „neue“, totalitaere Ordnung durchsetzten, einen neuartigen Gewissenszwang einfuehrten, waren alle frommen Theorien der Verteidigungsrede von 1937 vergessen. Staedel beruft sich auf ein weiteres Recht, das unter seinem
Kirchenregiment zum Erliegen kommen sollte, das Recht auf Kritik, das es in der ev. Landeskirche AB doch gebe. Doch
Kritik ist ihm solange zupass, bis er seine Ziel, naemlich die Machterlangung, erreicht hat. Er fordert jetzt eine oeffentliche
Kritik, die angeblich der „lebendige(n) Selbsterneuerung“ der Kirche diene, zumal die Kirchenleitung glaube, „auf dem
Wahrheitsthron“ zu sitzen und dass es „keine Unfehlbarkeit in der ev. Kirche“ gaebe.29 Staedel bezweifelt also, dass die
Landeskirche samt der Kirchenfuehrung das Wahrheits- und Unfehlbarkeitsmonopool besitzen. Dieses moechte er sich und
seinen Gesinnungsgenossen aber sichern, um das Projekt der „neuen“, „wahren Volkskirche“ verwirklichen zu koennen.

            Dem angeklagten Staedel schwebt „die Kirche Gottes der deutschen Nation in diesem Land“30  vor. Um dahin zu gelangen, sei „die Formung der deutschen Seele in Rumaenien“ uanbdingbar.31 Die Gewaehr dafuer stelle „das klare Ja zum
Nationalsozialismus“ dar,32 was er und seine politische Bewegung laengst getan haben. Sie seien die Auserwaehlten, deren



21.  Ebenda, S.39.
22. Ebenda, S.40. Paul Althaus (1888-1966) war Repraesentant der deutschen lutherischen Tradition und in seiner Theologie konservativ. Er vertrat eine antisekulaere, antiurbane und antimoderne Haltung. Vgl. Robert P. Ericksen, Theologen unter Hitler. Das Buendnis zwischen evangelischer Dogmatik und Nationalsozialismus, Muenchen Wien 1986, S.115-156.
23.  Meine Verteidigung (wie Anm.8), S.43.
24.  Ebenda, S.42.
25.  Ebenda, S.48.
26.  Ebenda, S.8. Die Gleichsetzung dieser Willensform mit dem Fuehrerwillen ist grundsaetzlich fuer die Deutschen Christen, die den evangelischen Glauben ganz in nationalsozialistischen Kultformen aufgehen liessen. Ein aehnliches Erloesungsparadigma formuliert Staedel in Verbindung mit der erstrebten „Kirche Gottes der deutschen Nation in diesem Land“: „[...] denn solches geschieht nur, wenn die Zeit erfuellt ist, wenn Gottes Stunde kommt! Aber dass diese Stunde Gottes kommt, daran glauben wir heissen Herzens [...]“ (S.57).
27.  S.26.
28.  S.56.
29.  S.41f.
30.  S.57.
31.  S.45.
32. S.19.

Lebensauftrag es sei, in Rumaenien „nach allen Kraeften mitzubauen an der groeßeren deutschen Volksgemeinschaft“,33 die sich durch „neues Leben“,34 durch die „neue Ordnung“ auszeichnet, welche „in den Gemeinschaftsformen der Jugend- und
Erneuerungsbewegung“ waechst.35 Es sei eine junge, „lebendige“ Ordnung, in der die „wahre Volksgemeinschaft“36  zu ihrem Recht gelangt. In ihr kome der „deutsche Mensch“, das diesem eigene „deutsche Rechtsempfinden“37 und das „deutsche Ehrgefuehl“38zur Geltung. Es bedarf laut Staedel der „nationalsozialistischen Reformation des deutschen Gewissens, dem Gewissen der Reformation Gehoer zu verschaffen“.39 Was heißen soll, dass erst unter nationalsozialistischen Bedingungen die Luthersche Reformation zur Vollendung gelangt, auch, weil der Deutschchrist Staedel der Ueberzeugung ist, dass „die Kirche nicht mehr Volkskirche“ sei.40 Der Kampf um die „wahre Volksgemeinschaft“ schließt das Ringen „um den rechten christlichen Glaubensausdruck“,41 um das „neue deutsche Gemeinschaftsgewissen gegen das christlich verbraemte Gemeinschaftsgewissen“42 ein. Was fortan zaehle, sei das „Volk“ als Maßgabe gerechter Obrigkeit und Fuehrung.43

II.

            Wie nun die Realitaet der neuen Volksordnung im Verhaeltnis zur ev. Landeskirche AB anderthalb Jahre nach der
Machtergreifung durch die Nationalsozialisten aussah, beleuchtet die Installationspredigt und Eroeffnungsrede des neu
gekuerten Bischofs Wilhelm Staedel auf der 29. Landeskirchenversammlung vom 31. Mai bis 3. Juni 1942.44

            Der neue Bischof trat hochtrabend und arrogant auf. Seine Festpredigt am 31. Mai 1942 in der Hermannstaedter
Stadtpfarrkirche stand unter der Losung „Freude im Geist“ (Matthaeus 11,25-30). Diese Predigt ist ein Musterbeispiel fuer den Ideologisierungsgrad, den die ev. Landeskirche AB in Rumaenien durch ihre deutschchristlichen Mitglieder mit Staedel an der Spitze erfahren hatte. Die Landeskirchenversammlung vom 31. Mai bis 3. Juni 1942 ist eigentlich eine Jubelfeier dieser Splitterkraefte, die nur dank der politischen Umkrempelung der bis dahin gemaessigt-nationalsozialistisch ausgerichteten „Volksgemeinschaft der Deutschen in Rumaenien“ im November 1940 durch Erlass des Staatsfuehrers Antonescu in die radikalnazistische „Volksgruppe der Deutschen in Rumaenien“ unter dem SS-Angehoerigen Andreas Schmidt auch die oberste Kirchenfuehrung vereinnahmten.

            Staedels Predigt und seine weiteren Ausfuehrungen waehrend der Landeskirchenversammlung belegen zum einen, wie unbedarft, simplistisch, zuweilen vulgaer das deutschchristliche Kauderwelsch von Bibelinhalten,
lyrisierend-beschwoerendem, romantisierendem Geschwafel und reinster NS-Ideologie im Munde des obersten
Deutschchristen Rumaeniens sich anhoert. Zum zweiten gelangt der typisch nationalsozialistische Hang zur Uebertreibung bis
hin zur pathetischen Kraftmeierei voll zur Geltung.

            Staedels Interventionen zeichnen sich zudem durch eine falsche, gekuenstelte Tonlage des unumschraenkten Optimismus aus, die sich schon zu Beginn seiner Predigt gegen „die Schatten der Sorge, des Kleinmuts und des Misstrauens“ wendet.45 Doch Staedel moechte seine Bischofsinstallation als Feier der „Freude im Geist“ begreifen und meint, dass dieses Bibelwort recht geeignet sei, ihm „Leit- und Lebenswort auch in dem neuen Amte“ und „Wegweisung“ fuer die Landeskirche zu sein.46 Fuer ihn und seine Gesinnungsgenossen bestand in der Tat Anlass zur Freude, weil sie durch die Installation dieses Bischofs und durch die in den naechsten Tagen (1.-3. Juni 1942) erfolgten Verabschiedung des Gesamtabkommens. Bestimmungen zur Regelung des Verhaeltnisses der evangelischen Landeskirche Augsburger Bekenntnisses zur Deutschen Volksgruppe in Rumaenien47 einen gewaltigen Schritt in Richtung ihres Projektes einer totalitaere verwalteten Volkskirche tun sollten. Und Staedel hatte durchaus Grund zur Freude, weil er vermeinte, sich diese Fuehrungsposition durch zaehen, harten „Kampf“ verdient zu haben. Damit glaubte er dem „harten Gesetz des Kampfes gerecht geworden zu sein, das er in seiner



33.  Staedel meint die grossdeutsche bzw. grossgermanische Volksgemeinschaft.
34. S.44.
35. S.56.
36. S.45.
37. S.13.
38. S.52.
39. S.55.
40. S.46.
41. S.48.
42. S.55.
43. S.40.
44. Vgl. Kirche und Volk. Bericht ueber die Landeskirchenversammlung der ev. Landeskirche A.B. in Rumaenien vom 31. Mai bis 3. Juni 1942, Hermannstadt 1942.
45. Ebenda, S.5.
46. S.6.
47.  Abgedruckt in Bischof Viktor Glondys, Tagebuch (wie Anm.1), S.536-544.


deutschchristlichen Verbraemung auf Gott zurueckfuehrt.48 Gott soll naemlich „einen hohen und starken Sinn“ fordern, „der sich im tapferen Kampfe und in guter Arbeit bewaehrt“.49 Weil Staedel glaubt, immer ein Kaempfer gewesen zu sein und es auch weiterhin zu bleiben, widmet er den ersten Abschnitt seiner Predigt dem nationalsozialistischen Paradigma des Kampfes.

            Die Natur sei „vom Kampfgesetz durchwirkt“; es kann nicht heißen: „Kraft oder Liebe, Schwert r oder Kreuz, sondern Kraft und Liebe, Schwert und Kreuz.“. In dieser Maxime vermeint Staedel den Sinn des Lebens zu erblicken („Nur auf diese Weise rundet sich das Leben zum wahren, sinnvollen Ganzen“).50 Staedel verwirft also die "alte" Vorstellung des
Nebeneinander von Kampf und Kirche, das die Moeglichkeit des Ausweichens, der Alternative, also der individuellen und
kollektiven Auswahl der Option(en) ermoeglicht und postuliert das ausweglose und alternativlose, deterministisch - einwegige, totalitaere Mit- bzw. Durcheinander von Kampf, Liebe und Kreuz. Trotz der sichtbaren Prioritaet
von Kraftmeierei und Krieg („Kraft“, „Schwert“), welche die „Liebe“ und das „Kreuz“ auf den zweiten Platz verweisen,
erdreistet sich Staedel, dem Heiland, also Christus, eine „Mittlerstellung“ zuzuweisen. Nun, von einem Gedankensystem, das
sich von der Gradlinigkeit rationeller Logik verabschiedet hat, kann man sich auf Schnippchen irrationaler Gewundenheit
gefasst machen. Und diesen Haken schlaegt Staedel getreu seiner nationalsozialistischen Sinnstiftung:

Wer sich aber an der Mittelstellung des Heilands stoesst, der mag sich nur einmal die Frage vorlegen: „Was waere der Nationalsozialismus ohne Adolf Hitler?“,
woraus sich die Frage ergibt: „Was waere der Gottvaterglaube ohne Christus?“51

            Der „Geistliche“ Staedel hat andere Prioritaeten als die traditionellen Theologen, in seiner Werteskala stehen von der nationalsozialistischen Tagespolitik eingeforderte Wertvorstellungen an erster Stelle, also Kampf, Krieg,
Nationalsozialismus und Adolf Hitler, nicht die allzu theologischen und "verstaubten" Werte wie christliche Liebe, das Kreuz, der christliche Glaube und Christus. Deshalb ist es auch nicht das traditionelle, theologisch verbuergte Erloeser- und
Erloesungsverstaendnis, sondern das vom Nationalsozialismus ideologisch und politisch arrondierte propagandistische
Paradigma Hitlers als Erloeser, dem Staedel froent. Die exklusive „Wahrheit“ dieses Glaubens liege „nicht  an der
Oberflaeche“, sie bleibe „meist den Wissensstolzen und den Selbstgerechten“ verschlossen, offenbare „sich dagegen den
kindlich suchenden Herzen“.52 Staedel weist hier den Drang nach Wissen, nach Rationalitaet und Intellektualitaet, nach
Individualismus weit von sich und definiert die Zielgruppe dieser Glaubensform als "„kindlich suchende Herzen“. Das sind
eindeutig Menschen mit kindlichem Gemuet, die intellektuell Anspruchslosen, die grauen Existenzen, die
Durchschnittsmenschen, die sich allein in „ihrer“ Gemeinschaft und Gefolgschaft (lies: Herde) aufgehoben fuehlen. Es ist also der Herdenmensch, der Staedels Zielgruppe war.

            Nachdem Staedel unterstreicht, dass Hitler und Christus „mitten aus dem Volk“ kamen, wuerdigt er die Anhaenger des „Fuehrers“, die „in der ersten Zeit nicht die Grossen und Starken in dieser Welt, nicht die „Gebildeten“ und Ueberfeinen, nicht Wissensstolze und Selbstgerechte, sondern kindlich glaeubige und bis in den Tod getreue Menschen“ waren.53 Die durch das Gesamtabkommen festgeschriebene Zerstoerung der tradierten Schul- und Kirchenordnung versteht Staedel als „ernsten religioesen Neubeginn“, vor der Kirche und Volk stehen, der nicht „mit der landlaeufigen Theologie“ zu meistern sei, „sondern nur mit dem ehrlichen, heissen Herzen, das kindlich nach dem Reiche Gottes ausschaut und die Frohbotschaft Christi in ihrer Reinheit und Tiefe zu fassen versucht“.54

            Staedels Botschaft ist eindeutig: Zu dem, was er „ernste religioese Neubesinnung“ und „Neustellung“ der „Grundfragen unseres Lebens und unseres Glaubens“ nennt,55 sind eigentlich nur Herdenmenschen befaehigt. Die „Neubesinnung“ kommt diesen Menschen zugute. Von ihr sind Menschen „mit dem Wissenstolz des ewigen Schulmeisters“, „mit der Selbstgerechtigkeit und Selbstsicherheit einer falschen Froemmigkeit“ ausgeschlossen.56

            Mit dem Begriff der Froemmigkeit leitet Staedel zum zweiten Abschnitt seiner Installationspredigt ueber. Wo und bei wem die echte Froemmigkeit liegt, duerfte seiner Zuhoererschaft und auch dem modernen Leser einleuchten. Trotzdem betont Staedel, dass man Gott “durch keine frommen Kuenste nahe kommen kann, sondern nur durch ein kindlich suchendes Herz und durch das tapfere Trauen dieses Herzens auf seine vaeterliche Guete“.57 Staedel gibt zwar zu, dieses sei eine „grosse Vereinfachung“, doch diese soll auf der Ebene des „frommen Lebens“ auch in der evangelischen Landeskirche AB
wiedergefunden werden. Diese Vereinfachung erfolgt nicht auf glaubenslaessiger Ebene, wie Staedel sich das vorstellt,
sondern besteht in der Vulgarisierung des christlichen Glaubens durch uebermaeßiges Ideologisieren und Politisieren.


48.  Kirche und Volk (wie Anm.44), S.7.
49. Ebd., S.8.
50. Ebenda.
51.  Ebenda.
52.  Kirche und Volk, S.9.
53.  Ebenda.
54.  S.9f.
55.  S.10.
56.  Ebenda. Hier ist der Demagoge Staedel bestens am Werk.
57.  Kirche und Volk, S.11.


Dann spricht Staedel, zunaechst sehr allgemein, ueber „des Menschen Schuld“, ueber die „Kraft goettlicher und menschlicher Vergebung“, dann spricht er „Gottes Vergebung“ in Bezug auf eine von willkuerlichem Aktivismus bestimmten Haltung und Verantwortung an. Seine Gleichung ist hoechst einfach: selbst wenn „wir“, d.h. die Kirchenfuehrung, suendigen sollten, so geschieht das in Verantwortung „vor uns selbst, vor unserem Volk und im Tiefsten vor unserem Herrgott“, die „wir nicht nur tragen muessen sondern tragen wollen“. Luthers „Suendige tapfer, glaube nur um so tapferer“ soll die Begruendung und gleichzeitige Rechtfertigung dieser „Haltung“ liefern, weil „Allein durch tapferes Handeln, durch die bessere Tat“ „sich eine Schuld suehnen“ laesst. Auch die Gewissheit der „ewigen Liebe“, „die jedem reinen Streben trotz Irrtum und Fehle ihre letzte Zustimmung nicht versagt“,58 dient Staedel zur Rechtfertigung seines Aktionismus. Staedel reimt sich hier mit den ihm zur Verfuegung stehenden rhetorischen Mitteln ein Rechtfertigungsszenario zusammen, in
dem die sogenannte „ewige Liebe“ den als „taetiges Leben“, als „grosses Werk“, als „reines Streben“ verkappten
Aktionismus, selbst den schuldhaften, gutheisst. Mit anderen Worten: man muss vor keiner Handlung und vor keinen Mitteln
zurueckschrecken, die ein „grosses Werk“ wie die Nazifizierung der evangelischen Landeskirche AB in Rumaenien erfordert, weil man ja sowieso der „ewigen Liebe“ gewiss sein kann. Der Zynismus dieser „Haltung“ wird konkret fassbar, wenn wir darauf hinweisen, dass diese Haltung ein verbrecherisches Potential in sich birgt, das bekanntlich im Nationalsozialismus voll zum Tragen kam. Staedel sind folglich alle Mittel recht, um dem gerecht zu werden, was er „Verantwortung“ „vor uns selbst, vor unserem Volk und im Tiefsten vor unserem Herrgott“ nennt.59

            Im dritten und letzten Teil seiner Predigt setzt sich Staedel mit der Frage auseinander, wie „Gottesgehorsam“ mit dem „Gehorsam der staatlichen Obrigkeit gegenueber“ vereinbar ist. Auch dieses Dilemma loest er in der ihm eigenen Weise. Wieder ist es Luther, der den Loesungsansatz bietet: „Niemand zweifle, dass das weltliche Regiment aus Gottes Willen in der Welt sei“,60 woraus Staedel einfach schlussfolgert: „Wenn dem so ist, dann ist der Gehorsam der staatlichen Obrigkeit gegenueber in diesem Sinne Gottesgehorsam und wir erfuellen eine goettliche Pflicht, indem wir ihre Gesetze halten.“ Auf den konkreten Fall des saechsischen Volkes und seiner nun nationalsozialistischen Fuehrung angewendet macht Staedel die im „Lebensgesetz des Blutes und des Herzens“ vorgegebene Bindung geltend: „[...] durch das Lebensgesetz des Blutes und des Herzens, das staerker als bisher im Nationalsozialismus offenbar geworden ist.“61 Daraus leitet Staedel den
Glaubensgrundsatz ab, „dass es nicht unfromm ist, sondern Gottes Willen entspricht, wenn wir dem Lebensgesetz unseres
Volkes dienen.“ Hier offenbart sich die Willkuerlichkeit und Beliebigkeit, welche das Postulat des „voelkischen
Lebensgesetzes“ in sich birgt, weil es Raum zu beliebiger Interpretation bot. Es sei daran erinnert, dass dieses
„Lebensgesetz“-Gefasel als Rechtfertigung fuer die unzaehligen Verbrechen der Nationalsozialisten diente.

            Staedel fuehrt weiter aus, dass Luthers Feststellung, „Gottesdienst sei aber auch und vor allem die treue Erfuellung der Berufspflichten in der Ehe und im Hause wie im oeffentlichen Amt, in der Werkstatt und auf dem Felde, ueberall wohin wir durch Gottes Fuegung und Befehl hingestellt sind“,62 dem Lebensgesetz des Blutes entspricht. Die bereits frueher festgestellte Prioritaet des Politisch-Ideologischen gegenueber dem Religioesen, gegenueber dem Glauben, spricht Staedel nochmals eindeutig aus: „Und der Gottesdienst des Feiertages, die Gottesfeier in der Kirche, soll uns nur Kraft geben fuer den Gottesdienst im Alltag“.63 Es draengt sich unwillkuerlich die Frage auf, ob ein Mann wie Staedel es ueberhaupt verdient, Bischof genannt zu werden, weil er den Glauben, die Kirche als einfaches Anhaengsel der nationalsozialistischen
„Lebensgesetz“-Philosophie, als Instrument politischer Ambitionen auffasst. So nimmt es kein Wunder, wenn Staedel seine
Zuhoererschaft unterweist, sich „bewusst in die neue Gemeinschaftsordnung unseres Volkes hinein(zu)stellen“, um „die
Aufgaben, die uns dort gegeben sind, willig und freudig anpacken (zu koennen), so wie Christus von Herzen Gott gehorsam
war“, wodurch man „im Gottesdienst“ zu stehen kommt.64

            Mit dem Wort der „Liebe“, die „in der Tat des Gesetzes, auch des deutschen Gesetzes“ Erfuellung „ist und bleibt“, und in der sich erst „unser Gottesgehorsam“ vollendet,65 knuepft Staedel an die alles rechtfertigende „ewige Liebe“, deren Ausdruck auch die in der Gemeinschaft verankerte „sorgende, heilende, segnende Liebe“ sei. Die Hohlheit und Falschheit dieses Liebesbegriffs hat der Gang der Geschichte vollauf bestaetigt, womit auch die Heuchelei ihrer Vertreter und Verfechter allzu deutlich wird. Und es wird auch deutlich, dass die „Wegwende der Gegenwart“, die Staedel abschließend anspricht, entgegen seiner Befuerchtung, in Wahrheit eine klare „Weg-Wende“66 „von dem lebendigen Gott und von seinem ewigen Reich“67 war.


58.  Ebenda, S.12.
59. S.11-12.
60.  S.14.
61.  Ebenda.
62.  S.14f.
63.  S.15.
64.  Ebenda. Von „Gottesdienst“ sprach auch Goebbels, der Propagandachef des Dritten Reiches, als er 1943 in einer Rede den „totalen Krieg“ einlaeutete.
65.  Kirche und Volk, S.15.
66.  D.h. „Abwendung“.
67.  Kirche und Volk, S.16.


            Ein weiteres Zeugnis nationalsozialistischer Verbohrtheit ist die Rede, welche Staedel bei der Eroeffnung der 39.
Landeskirchenversammlung am 1. Juni 1942 in Hermannstadt hielt. Er versucht die Zuhoererschaft auf das Gesamtabkommen ...68  einzuschwoeren. Nachdem er sich mit pathetischer Emphase auf den „grossen Entscheidungskampf des Glaubens“ beruft, auf den „Ansturm der neuen Zeit“, der „mancher altgewohnte Gedanke“ weichen musste, auf die „Wehen“, welche diesen Prozess „in dieser wahrhaft grossen Zeit“ begleiten,69 spricht Staedel die Frage des Rechts, der Rechtmaessigkeit des ganzen Prozedere um die Landeskirchenversammlung und das Gesamtabkommen an: „Uns allen muss das Recht eine ernste, ja heilige Sache sein“, weil es „ein Pfeiler jeder gesunden Lebens- und Gemeinschaftsordnung“ ist.70 Da aber „unser Recht vielfach ueberfremdet71 bzw. ueberaltert ist, auch unser Kirchenrecht“,72 sei es unabdingbar sich vom „Buchstaben“ zu verabschieden. Der „Buchstabe“ toete naemlich, waehrend der „Geist“ lebendig mache.73 Die Rechtfertigung dafuer, „am Buchstaben hangen(des)“ Recht abzulehnen und neues Recht zu setzen, liefere die Ueberzeugung „von der Groesse und Notwendigkeit einer Sache, die unserem Volk und unserer Kirche dienen soll", ferner das Sendungsbewusstsein eine geschichtliche Aufgabe zu erfuellen („wenn uns die Einmaligkeit einer geschichtlichen Aufgabe innerlich bezwungen hat“).74 Willkuer und Beliebigkeit wird hier zu Recht, zu Rechtmaessigkeit erklaert. In dieser Sichtweise war es ein Kinderspiel politischer Anmaßung und ideologischem Uubermut Rechtskraft zu verleihen.

            Es folgt die Abhandlung der fuenf Hauptpunkte des „Gesamtabkommens“. Die Widersprueche und Proteste, welche der Nebensatz des 1. Punktes ausloeste (die Freiheit des religioesen Bekenntnissees und der christlichen Verkuendigung wird davon abhaengig gemacht, „soweit dadurch nicht der Bestand der Volksgruppe gefaehrdet oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefuehl der germanischen Rasse verstossen wird“), widerlegt Staedel in bekannter Weise, indem er sich hauptsaechlich auf Luther beruft. Unter anderem weist Staedel darauf hin, dass die Gefahr der Sektiererei den Anlass zur Aufnahme dieses Passus bot, zumal diese „im Reich leider nicht gar zu selten geschehen ist“.75 Den Einwand, die Bestimmung schraenke die „sonst gerade in diesem Punkte zugesicherte Bekenntnisfreiheit“ ein, versucht Staedel mit dem Nachweis zu widerlegen, dass es auch bisher keine uneingeschraenkte Bekenntnisfreiheit gab, weil Artikel 1 des Kultusgesetzes die kultische Freiheit davon abhaengig macht, ob sie im Einklang mit der oeffentlichen Ordnung, mit den guten Sitten und mit den Verwaltungsgesetzen sei. Und das, was man der staatlichen Ordnung als selbstverstaendlich zuerkennt, kann die Kirchenfuehrung der saechsischen Volksordnung doch nicht versagen.76 Die umstrittene Neubestimmung soll laut Staedel auf einer Kontinuitaet beruhen, weil die Kirche im Grundsatz von „Volk und Rasse“ bisher keine Gefaehrdung der Bekenntnisgrundlagen erblickt habe, es also um so weniger jetzt tun koenne, wo „Volk und Rasse“ als „eine Setzung des goettlichen Willens“ gelten.77 Staedel befindet, es sei im Sinne Luthers, wenn die fuer die Juden bestimmten Gesetze Mose (d.h. das Alte Testament) vom „Sachsenspiegel“,78 d.h. vom „Sittlichkeits- und Moralgefuehl der germanischen Rasse“ bzw. von der „deutschen nationalsozialistischen Lebensordnung“ ersetzt wird.79 Der Name Staedels wird also fuer immer mit der Ausrichtung der evangelischen Landeskirche AB in Rumaenien nach rassistischen Grundsaetzen verbunden sein. Ebenso mit der Illusion, Christentum und Nationalsozialismus seien vereinbar.80

            Staedel fuehrt weiter aus, das Gesamtabkommen habe der Kirche den ihr in der „neuen deutschen Gemeinschaftsordnung“ gebuehrenden Platz eingeraeumt. Mit dem bisherigen kirchenstaatlichen Verstaendnis, wo der Bischof „in vielen Dingen geistlicher und weltlicher Fuehrer“ war,81 sei es vorbei, weil die Deutschen in Rumaenien „entscheidend durch die Wirkungen der nationalsozialistischen Bewegung [...] auf stuermische Weise zu einer neuen Lebenseinheit und Schicksalsgemeinschaft zusammengefunden“ haetten.82 Auch weil es „deutscher Art und Luthers Geist widerspricht, die Kirche als eigenstaendiges Machtgebilde etwa dem Staat bzw. der voelkischen Fuehrungsautoritaet



68. Vgl. Anm. 17.
69.Kirche und Volk, S.30.
70.  S.33.
71.   D.h. auf Grundsaetzen aufgebaut, die der sogenannten Eigenart des deutschen Volkes fremd sind („artfremd“) und unter kraeftigem Einschlag juedischen Rechtsverstaendnisses. „Ueberfremdung“ benannte im nationalsozialistischen Jargon vor allem das „juedische“ Element oder was fuer juedisch gehalten wurde. .
72.   Kirche und Volk, S.33f.
73.  S.34.
74.   Ebenda.
75.   S.36.
76.  Ebenda.
77.  S.37.
78.  „Sachsenspiegel“ hiess auch die in Kronstadt von den radikalen Nationalsozialisten um den Pfarrer a.D. Viktor H. Moeckesch herausgegebene monatliche Propagandaschrift (1. Jahrgang 1934, 2.-4. Jgg. 1938-1940), in der auch Staedel Aufsaetze brachte. Um den Vorwuerfen zu begegnen, sie sei zu sehr siebenbuergisch-saechsisch, bringt Folge 2 des 2. Jahrgangs (1938) auf S. 10 folgende Erlaeuterung: „“Der Sachsenspiegel“ – hiess die Niederschrift des alten niederdeutschen Bauernrechts aus dem 13. Jahrhundert. „Der Sachsenspiegel“ heisst unsere fuer eine artechte Kulturgesinnung kaempfende Zeitschrift“.
79.  Kirche und Volk, S.41.
80  Ebenda, S.41f.
81.  S.43.
82. Ebenda.


mit ihrer Macht entgegenzustellen“, ferner, weil die Kirchenleitung die Konsequenzen aus „der tiefen Wirkung der nationalsozialistischen Einheitsbewegung des deutschen Volkes“ zieht und mit geschichtlicher und grundsaetzlicher Klarheit das „Wesen und Wirken der Kirche in dieser Welt“ erkennt.83 Das bedeutet fuer die Landeskirche Entmuendigung und Herabwertung der Kirchenleitung zu einem blossen Erfuellungsgehilfen der Volksgruppenfuehrung. Diese Knechtung der Kirche aeusserte sich darin, dass die Kirchenleitung sich dem totalitaeren Fuehrungsanspruch der Volksgruppe beugte - Staedel nennt das „bewusste Unterstellung“ - und „sich der neuen deutschen Gemeinschaftsordnung willig“ einfuegte.84 Damit war die Landeskirche der politisch-ideologischen Willkuer und Beliebigkeit einer totalitaeren politischen Fuehrung ausgeliefert.

            Die im 3. Punkt des Gesamtabkommens vorgesehene UEbergabe der Schulen an die Volksgruppe quittiert Staedel als Abschluss eines wichtigen Kapitels des kirchlichen Lebens.85 Den damit offensichtlich angerichteten moralischen Schaden versucht Staedel mit dem Hinweis kleinzureden, dass er der Volksgruppe eine Schule, die „deutsch geblieben ist“,
uebergeben koenne. Dass Staedel eigentlich keinerlei Verdienst fuer den guten Zustand der Schule hatte, dass sein Argument
entschieden gegen die von ihm und von seinen Gesinnungsgenossen vertretene Notwendigkeit der Schuluebergabe wie der
Unterordnung der Kirche unter die Volksgruppenfuehrung spricht, das alles liegt jenseits von Staedels gewundener Logik.
Denn der gute Zustand der Schulen belegt auch, dass die Kirche bis dahin, auch unter den Bedingungen schwerster Angriffe
seitens der radikalen Nationalsozialisten und der allmaehlichen Unterwanderung des Landeskonsistoriums durch die
Nationalsozialisten bis zu jenem Zeitpunkt des Nationalsozialismus nicht bedurft hatte, um ihr Deutschtum und das der
Schulen zu bewahren.

            In Verbindung mit der Aufloesung der Bruder- und Schwesterschaften, der Nachbarschaften und der evangelischen
Frauenvereine stellt Staedel recht kuriose Betrachtungen an. Die autoritaere Zusicherung des Volksgruppenfuehrers Andreas
Schmidt, er sei gerne bereit, auch nach der Errichtung der „Nationalschule“ mit der Kirche zusammenzuarbeiten und „ihr zu
geben, was ihr gehoert“, 86 habe laut Staedel gar nichts mit Willkuer zu tun, wie auch die Kirchenleitung nicht aus „feindselige(r) Willkuer“ handelt, sondern im Sinne eines „grossen Gestaltwandels der Gemeinschaftsformen infolge der
nationalsozialistischen Revolution“, mit dem Ziel der „Neuordnung unseres voelkischen Lebens“.87

            Als Hoehepunkt zynischer Mystifizierung, Apologetik und Verfaelschung der politisch-ideologischen Dienstbarmachung der evangelischen Landeskirche AB steht die Behauptung Staedels, die Siebenbuerger Sachsen staenden „gewissermassen noch immer im Vollzug der deutschen Reformation“, die durch den Nationalsozialismus weitergefuehrt und verstaerkt wuerde.88 Staedel will darin die Entwicklung „aus einer Art Kirchenstaat bzw. „Kirchenvolk“ ueber unser evengelisch-lutherisches Bekenntnis hinaus“ hin „zu einem wirklichen Volk“ erblicken, „in dessen Mitte die Kirche als Glaubensgemeinde, [...] ihrer hohen Berufung zu dienen haben wird“. Die Auffassung vom „Fuehrer“ Adolf Hitler als „gottgebene(r) „Wundermann““ soll „in Luthers Sinne“ die Gewaehr dafuer sein.89

            Im Schlussteil seiner Rede betont Staedel, dass das Gesamtabkommen ein „Freundschaftsvertrag“ sei, der angeblich dem Wunsch der Landeskirche entspricht, „nicht ausserhalb der neuen deutschen Gemeinschaftsordnung (zu) stehen“, der sie sich  verpflichtet fuehlt und von der sie „nur soviel an eigenstaendigen Gestaltungsmoeglichkeiten“ verlangt, als „ihre christliche Sendung inmitten des Volkes und Staates“ erfordert.90 Damit ist die politisch-ideologische Instrumentalisierung der Kirche, ihre Sekundantenrolle, vorgegeben.

            Wie die Kirche ihre „christliche Sendung“ zu erfuellen gedenkt, umreißt Staedel an der Umgestaltung des Religionsunterrichts,91 die der „geistigen Ueberfremdung“ im Alten Testament92  Rechnung tragen muss. In diesem Geiste der „Entjudung“ sei der Beschluss des Landeskonsistoriums vom 3. November 1941 einzustufen, „koerperschaftlich dem Foerderkreis des „Institutes zur Erforschung des juedischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ in Eisenach beizutreten.93 Vom neuen Dienstverstaendnis der Kirche zeuge die Einfuehrung „besondere(r) Schulungen“, welche eine „tiefgehende, geistige Ausruestung“ der Pfarrer, sprich „ideologische Indoktrination“, gewaehrleisten muessen.94 Staedel stellt ferner die Zusammenfassung der Pfarrer in nationalsozialistischer Manier in Aussicht: sie sollen zu Bruderschaften, Arbeitskreisen und Kameradschaften zusammengefasst werden.95



83.  S.44.
84. S.45.
85  S.50.
86.  S.52.
87.  S.54.
88.  Ebenda.
89.  Ebenda.
90.  S.60.
91.  S.63.
92.  S.65. Das Alte Testament sei, weil es ein Gesetzeswerk der Juden fuer die Juden ist, fortan zu ignorieren (vgl. Anm.71).
93.  Kirche und Volk, S.64f.
94. S.63.
95. Ebenda. Das geschah gluecklicherweise nicht, wie die Tagebuchaufzeichnungen von Hellmut Klima, Aus den Tagebuechern eines siebenbuergischen Studenten aus den Jahren 1930-1945, hg. Von Samuel Liebhart, Saarbruecken-Dudweiler 1999, belegen.


            Auch das Kriegsgeschehen verlange von der Kirche manches: Im Sommer 1941 wurden 8 Kriegspfarrer zur Betreuung der siebenbuergischen Soldaten an die Front ausgesandt, es wurde das Soldatenbuechlein „Gott mit uns“ in einer Auflage von 10.000 Exemplaren versandt, und am 14. Mai 1942 wurden im Einvernehmen mit der Volksgruppenfuehrung und den staatlichen Behoerden 11 Pfarrer zum Dienst nach Transnistrien96  in die Umgebung von Odessa bestellt.

            Schließlich geht Staedel zur Verherrlichung dessen ueber, was er unter „neuem Christentum“ versteht. Es soll sich nach Goethes Wort  von „einem Christentum des Wortes und Glaubens“ zu „einem Christentum der Gesinnung und der Tat“
gewandelt haben.97 Das ist ein eindeutiges Bekenntnis Staedels zum politischen, in nationalsozialistischem Geist
umgebogenen, militanten Christentum. Dieses „neue“ Christentum beansprucht, nicht abzugrenzen, nicht zu zerstreuen,
sondern zu sammeln, zu verbinden und zu vereinen, weil es einfach ist und „gelebt“ wird und „das neue Reich98 mit ganzer
Leidenschaft“ bejaht.99 Staedel schwebte also die einebnende Zusammenfassung aller Kirchenangehoerigen unter der
ideologischen und politischen Zwangskappe des Nationalsozialismus vor. Das war der Massstab, nach dem Staedel die
evangelische Landeskirche AB, ihre Pfarrerschaft, ihre Glaeubigen zu einer grauen, formlosen Masse von Hitleranbetern
zusammenschmelzen wollte, um sie allesamt der Volksgruppenleitung und damit dem „deutschen Frontabschnitt in unserem
Vaterland“100 dienstbar zu machen. Sie sollten „voller Ehrfurcht“ „zum Fuehrer“ Adolf Hitler aufschauen, „der nicht nur durch seine Befehlsgewalt, sondern durch die Gemuets- und Willenskraft seines grossen Herzens die Millionen Soldaten bewegt und durchglutet, in dessen starke Hand der Herrgott auch unser Schicksal gelegt hat“.101 Das sind die Worte eines Mannes, der es als hoechste und edelste Aufgabe seines Lebens ansah, die ehemals autonome, stolze und richtungsweisende evangelische Landeskirche AB in Rumaenien zum einfachen Erfuellungsgehilfen der nationalsozialistischen Volksgruppenfuehrung zu degradieren und damit der verbrecherischen Politik des Hitlerreiches auszuliefern. Er zaehlt also zu jenen „Entmuendigern“, welche die Deutschen Rumaeniens vorbehaltlos den kriegerischen und Vernichtungsinteressen des Dritten Reiches freigaben. Und das begruendeten diese „Entmuendiger“ damit, dass der „Fuehrer“ gottgewollt sei, also auch das sinnlose Verheizen von 60.000 Rumaeniendeutschen auf den laengst verlorenen Fronten nach dem Debakel von Stalingrad von Gott eingefordert sei.

III.

            Denselben Tenor weist die Predigt Staedels vom 28. Juli 1943 aus, welche die „Suedostdeutsche Tageszeitung“, das Organ der Volksgruppenfuehrung, am 13. Oktober unter dem Titel „Gott will es!“ abdruckte. Die Verabschiedung der zum
Waffendienst einrueckenden Pfarrer bot Staedel den Anlass, sich festivistisch-triumphalistisch ueber die Moeglichkeit
auszulassen, welche „uns als rumaenischen Staatsbuergern gegeben ist, dem weltgeschichtlichen Kampf um Freiheit und Leben unseres Volkes102 und Vaterlandes, ja ganz Europas durch unmittelbare Eingliederung in deutsche Wehrverbaende
mitzumachen“. Staedel steigert sich zur Behauptung, die Teilhabe der Siebenbuerger Sachsen „an dem Entscheidungsringen
der Gegenwart ueber weite, kuenftige Jahrhunderte“ sei „so bedeutsam, so ausserordentlich, so einmalig, dass diese Tat
allerdings den Charakter epochaler Groesse enthaelt“. Dass dieses der groesste Irrtum der Volksgruppen-, wie auch
reichsdeutscher Politik war, hat der Gang der Ereignissee gezeigt. Es stellte sich heraus, dass ein Krieg nicht mit krankhaft
uebersteigerter Siegeszuversicht, nicht mit hirngespinstigen Parolen, sondern mit materieller Ueberlegenheit auf den
Schlachtfeldern entschieden wird. Und die „Materialschlacht“ war bekanntlich seit Stalingrad entschieden.

            Die Verabschiedung weiterer 3 Pfarrer nach Transnistrien, wo sie die Betreuung deutsch-evangelischer Gemeinden
besorgen sollen, erfolgt, wie die bisherige Taetigkeit der Kirche, im Zuge der „Wandlung zu einer neuen, freien und gesunden Lebensform“ und „in der Gewissheit, dadurch dem neuen Gestaltungswillen Gottes selbst zu dienen“. Staedel empfindet es als selbstverstaendlich, dass „der Platz des jungen deutschen Pfarrers“ dort ist, wo „angesichts solcher Bedrohung“ (durch die Bolschewisten) „heute die wehrfaehige Mannschaft unseres Volkes steht, in den Reihen der hart kaempfenden Volksgenossen und Kameraden“. Damit wird der „heiligen Verpflichtung“ entsprochen, „eine einzige unzerreissbare Gemeinschaft zu sein, unter ein Schicksal gestellt, von einem Willen gestrafft, einem Ziele hingegeben“. Dass diese monolithische, totalitaer ausgerichtete „Gemeinschaft“ so sehr das Ergebnis des Krieges war und dass sie mit Kriegsende zerbrechen wuerde, das war eine Ueberlegung, die fanatischen Nationalsozialisten wie Staedel ganz fremd war.



96.  Das Gebiet jenseits des Dnjester, das zeitweilig Rumaenien zugesprochen wurde. Die bedeutendste Stadt in diesem Gebiet ist Odessa.
97. Kirche und Volk, S.65.
98.  Gemeint ist das Dritte Reich.
99.  Kirche und Volk, S.67.
100.  Ebenda, S.69.
101.  Ebenda.
102.  Damit ist das gesamte deutsche Volk im Deutschen Reich und ausserhalb gemeint.


            Staedel betont, es sei verwerflich, dass ein ungenannter Schweizer Theologe103 bereits im Juli 194103a bemerkte, es sei der Wille Gottes die nationalsozialistische Bewegung mit allen Mitteln zu bekaempfen. „Dagegen baeumt sich in uns auf das deutsche Herz mit aller Kraft und Reinheit, deren es nur faehig ist, mit aller Liebe, die aus dem heiligen Grund unseres Volkes und Gottes stroemt!“ Der Gott Staedels und seiner Gesinnungsgenossen war kein Christengott, sondern der ausschliessliche Gott des deutschen Volkes, d.h. ein Kuemmerling der ruecksichtslosen nationalsozialistischen Politik und Ideologie, ein dieser Ideologie dienstbar gemachtes Anhaengsel. Nun zeigt sich dieser „Volksgott“ von seiner haesslichsten, kriegerischen, Menschenleben verschlingenden Seite. Deshalb ist es eine Verhoehnung alles Menschlichen, wenn Staedel ausgerechnet diesem Volk, welches Europa in den groessten Vernichtungskrieg aller Zeiten stuerzte, Reinheit des Herzens und seinem Gott des Krieges und der Zerstoerung Liebe bescheinigt. Die hier am krassesten sichtbar werdende Umkehrung aller Werte und Wertvorstellungen ist perfekt, die nationalsozialistische Perversion (Verfaelschung) hat auch die Siebenbuerger Sachsen vereinnahmt. Staedels Worte belegen ferner, dass die NS-Weltanschauung dem Gottesbild und Gottesbegriff nur die instrumentale Rolle der Rechtfertigung und der Selbstberuhigung zubilligte. Gott war im Munde und in der Tat eines Staedel, wie auch der deutschen Christen und der Nationalsozialisten zu einem blossen propagandistischen Vorwand geworden.

            Staedels Auslassungen sind ein sprechender Beleg fuer den schaumaessigen Umgang mit Gott, vor allem dort, wo „Gott“ das  Feld mit der Zugabe teilen muss: „Denken wir doch gerade in dieser Stunde einmal an den Fuehrer und an sein Werk“. Darin habe sich „das deutsche Herz wieder gefunden und der deutsche Volkswille seine neue zukunftstraechtige Gestalt gewonnen“, weil

hier der ewige Herrgott selbst aus seiner freien Schoepfertiefe heraus Neues weckend und wirkend in die deutsche Geschichte wundersam hineingesprochen hat, dass er diesem Manne die Vollmacht gegeben, bitterste Notzeit zu wenden und sein Volk aus Ohnmacht zu Kraft, aus fuegsamer Abhaengigkeit zu furchtloser Freiheit, aus mannigfacher Zerrissenheit zu neuer Einheit, aus Sinnlosigkeit zu sinnhaftem Dasein, aus Kleinmut zum Glauben zusammen- und emporzureissen.
            Der instrumentalisierte Gott muss also fuer das tiefe Unglueck, ja fuer den Fluch herhalten, mit dem Hitler und sein kriminelles System die deutsche Geschichte beglueckt hat. Dieses geschmacklose Lobeslied Staedels auf Hitler veranschaulicht, dass Staedel als Vertreter all jener spricht, welche vom  Fuehrerkult mit Verblendung, Kurzsichtigkeit, Verantwortungslosigkeit und Kleingeist geschlagen wurden und die dabei die wahren Interessen des Volkes und Europas opferten.

            Das ist das erschreckende Bild, welches Staedel dem Menschen des 21. Jahrhunderts von sich und seinen
Gesinnungsgenossen liefert. Besonders negativ beruehrt der Leichtsinn und die Unbeschwertheit, mit der diese Leute
glaubten, etwas Neues, Zukunftsweisendes zu vertreten und aufzubauen und die damit verbundenen Verbrechen bedenkenlos
in Kauf nahmen. Voraussetzung dafuer war der Verlust christlicher, humanistischer Wertvorstellungen und die bedenkenlose,
fanatische Anbetung des vernichtenden Deutschnationalismus.

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            Was kann angesichts der Textproben von den Betrachtungen eines Gustav Markus104 oder eines Oswald Teutsch105  anlaesslich von Staedels Tod gehalten werden? Mit Markus‘ Religiositaet kann es nicht sonderlich bestellt gewesen sein, wenn er Staedel „Religiositaet“ bescheinigt, mit der er „alle Schwierigkeiten der immer wirrer werdenden Zeit“ ueberwunden haben soll.106 Wie es mit den „kindlichen Herzen“ bestellt war, wurde oben auseinandergesetzt. Nun heisst es bei Markus, der Erfolg von Staedels Predigten, ihr „Geheimnis“ bestand darin, dass er „die Theologie daheim“ liess und „nur das Herz und die Religion“ mitbrachte.107 Wenn nun das nach Volkes Mund Sprechen und Predigen Religion und Glaube sein soll, verwundert es nicht, dass Staedels „Jugendarbeit“ der „Wiedererweckung der germanischen Goetterwelt“ und von „Sonnenwendfeuern“- und anderen pseudoreligioesen Zeremonien, insgesamt der Formel „Evangelium und Deutschtum“ diente. Letzteres soll laut Markus eine „Synthese“ sein, welche „mit zur Wesenserfassung der saechsischen Volkskirche“ helfe.108 Staedel soll laut Markus gewissenhaft und „ueberspitzt“ genau gewesen sein, „beides Merkmale seines Wesens und seines Ehrgeizes“,109 womit wohl der Fanatismus dieses Mannes umschrieben werden soll. Markus hebt hervor, dass Staedel als Bischof seiner Ueberzeugung treu blieb und davon durchdrungen war,


103.  Gemeint ist zweifelsohne der schweizer reformierte Theologe Karl Barth (1886-1968).
103a Das entspricht zeitlich dem Angriff des Dritten Reiches auf die Sowjetunion.
104.  Altbischof Wilhelm Staedel +. Seine Zeit, sein Wesen und sein Wirken, in: Suedostdeutsche Vierteljahresblaetter, 21. Jg.,
Folge 1, 1972, S.6-11.
105.  Mangelnde Sachlichkeit in Scheerers Biographie ueber Bischof Staedel, in: Suedostdeutsche Vierteljahresblaetter, 30. Jg.,
Folge 3, 1981, S.232. Teutsch nimmt Stellung zu Ludwig Binder und Josef Scheerer, Die Bischoefe der Evangelischen Kirche
A.B. in Siebenbuergen, 2. Teil: Die Bischoefe der Jahre 1867-1969, Koeln Wien 1980.
106.  Markus (wie Anm.104), S.6.
107.  Ebenda, S.8.
108.  Ebenda.
109.  Wie Anm.104, S.9.

es muesse moeglich sein, zwischen der Lehre der Kirche und dem Nationalsozialismus zu einer Synthese zu gelangen“.110
Damit ist Staedels politischer Fanatismus benannt, dem er auch den reinen christlichen Glauben opferte. Markus bedient auch die Legende, Staedel habe in seiner Zeit als Bischof „die Kirche, deren Angestellte und Pfarrer vor Uebergriffen weltlicher Behoerden“ geschuetzt,111 was sich als ungeheuerliche Mystifizierung entpuppt. Was war an dieser Kirche noch zu schuetzen, die Staedel aus eigenen Stuecken der radikalnazistischen politischen Fuehrung auslieferte ? Eine weitere Mystifizierung ist die Behauptung, Staedel habe der „heute modischen These, jede weltliche Erkenntnis, auch die kommunistische (und nationalsozialistische) sei von Gott“, nicht gehuldigt.112

            Aehnliche Lobgesaenge stimmt auch Oswald Teutsch an. Er will  bei Binder und Scheerer konkrete Angaben ueber Staedels „Bedeutung als Geistlicher und Bischof von Ende des Ersten bis Ende des Zweiten Weltkrieges“ vermissent.113 Damit meint Teutsch nicht das objektive Unglueck, den absoluten Tiefstand, welchen die evangelische Kirche unter Staedel erreichte, sondern die vermeintliche „Bedeutung“ dieses Mannes, seine „Leistungen“ als Jugend(ver)fuehrer im Siebenbuergisch-deutschen Jugendbund und seine „aufopferungsvolle Arbeit“ und „Verantwortung“, die er als Bischof „gegenueber Kirche und Volkstum zu tragen hatte“. Rechtfertigend klingt Teutschs Behauptung, die „Beauftragung Staedels mit dem Bischofsamt“ habe „ihn vor schwierige Aufgaben“ gestellt, „deren Erfuellung ihn zu Entscheidungen zwang, die, unter Beruecksichtigung der Zeitumstaende, keine andere Loesungsmoeglichkeiten zuließen“. Wieder haelt der Stereotyp der „Zeitumstaende“, d.h. die augenblickliche politische Zwangslage hin fuer die Verfehlungen der Akteure. Staedel sei zu dieser oder jener Handlung durch aeussere Zwaenge genoetigt gewesen, nicht sein Ringen „um die Synthese von Kirche und Volkstum“ sei dafuer ursaechlich.

            Damit nicht genug der Anstands-, Geschmacks- und Wuerdelosigkeiten. Anlaesslich der Ehrung Staedels zu seinem 70. Geburtstag hiess es in geschwollener Formulierung, man ehre „den mutigen Kaempfer, den hinreissenden Redner, den
suchenden Geist und reinen Charakter“, „den Mann, der in lichten und dunklen Tagen zu seinen Landsleuten stand“, „den
Sachsenbischof, der dieses Amtes Wuerde auch als Verfolgter verkoerperte“.114


110.  Ebenda, S.10.
111. Ebenda, S.11.
112.  Ebenda.
113.  Wie Anm.105.
114. Markus (wie Anm.104), S.11. Aufschlussreich ist auch Gerhard Moeckels Briefwechsel mit Staedel in Fatum oder Datum?, Muenchen 1997, S.121-136 und das kritische Rundschreiben des Ehepaares Moeckel „Vaeter und Soehne. Ein Nachruf auf die Nachrufe fuer Wilhelm Staedel (1972)“, ebenda, S.137-146.

Dokumentarischer Anhang114a

            Im Beitrag Seltsame Sympathiebekundungen weltprotestantischer Fuehrer, der im Sachsenspiegel, Jg.III, Folge 7/8, 1939, S.6-16 abgedruckt ist, aeussert sich Staedel zur „Kristallnacht“ des November 1938. Ausgehend von der Presseerklaerung des Erzbischofs von Canterbury zu der Schandtat und seinem Aufruf: im Gottesdienst bei den Feierlichkeiten zum zwanzigjaehrigen Jahrestag des Friedensschlusses von 1918: „Erlaubt mir, dass wir durch ein kurzes Schweigen unserer Sympathie fuer das verfolgte juedische Volk Ausdruck verleihen“, schreibt Staedel:
 

            Man koennte nun meinen, dieses Verhalten des Erzbischofs Dr. Lang sei vor allem vom Willen bestimmt gewesen, gewisse grundlegende Gedanken der von ihm geleiteten Oxforder Weltkirchenkonferenz115 in die Wirklichkeit umzusetzen. Und in der Tat enthaelt das amtliche Werk ueber diese Konferenz „Kirche und Welt in oekumenischer Sicht“ einen ausfuehrlichen und einen kurzen Bericht der I. Sektion – der gerade auch der Vertreter unserer Landeskirche Dr. Konrad Moeckel angehoert hat – in denen u.a. woertlich zu lesen ist: [...] Dem Wiederaufbrechen unbarmherziger Grausamkeit, des Hasses, der Rassenverachtung (einschliesslich des Antisemitismus) in der heutigen Welt „werde nicht bloss die schwache Verurteilung durch das Wort, sondern die machtvolle Verurteilung durch die Tat zuteil“ (S.103 und 113). Demnach hat also der Erzbischof von Canterbury nicht nur, wie er selber sagt, als „Wortfuehrer der gesamten christlichen Bevoelkerung
England(s)“, sondern gewissermassen als Willensvollstrecker der Weltkonferenz von Oxford, also wohl aus seinem christlichen „Weltgewissen“ heraus sich veranlasst gesehen, nicht etwa nur den juedischen Christen, sondern dem ganzen juedischen Volk die Sympathie auszusprechen.
Da draengt sich uns eine ganze Reihe von Fragen unwidersetzlich auf:
Warum hat denn der eifrige englische Erzbischof diese frommen Sympathien niemals unterdrueckten Deutschen zugewendet?! Etwa darum, weil die Juden den Englaendern rassisch ferner stehen, als die Deutschen und weil nach dem oben angefuehrten Wort fuer wahrhaft christliche Menschen fremde Voelker einen Anspruch auf besondere Ruecksicht und Fuersorge haben? Wir hoeren als Antwort: Die Weltkirchenkonferenz selber hat doch gerade deutschen Menschen und zwar den „Bekennern“116  der ev. Kirche und den Katholiken eine Sympathieerklaerung geschickt! Gewiss, aber eben nicht als Deutschen, sondern als Christen, die angeblich in der Verfolgung stehen! Nun fragen wir aber erst recht: Warum fand das christliche Weltgewissen durch den Herrn Erzbischof kein aehnlich klares Wort und keine aehnlich betonte Tat, wie in der Westminster-Abtei angesichts der wirklichen und nicht bloss aufgebauschten und erdichteten Grausamkeiten und blutigen Verfolgungen, denen die spanischen Christen bezw. die deutschen Christen im Sudetengau, oder gar in Sowjetrussland ausgesetzt waren und z.T. noch sind? Was sagt sein christliches Weltgewissen auch nur hinsichtlich der enterbten, der „Habenichtse“ – z.B. der Arbeitslosen – des eigenen Volkes in entsprechender Weise geregt und ausgewirkt, aber nicht etwa nun in der Form des Mitleids und der Almosen-Barmherzigkeit, sondern als helfende Kraft menschlicher Gerechtigkeit und Guete, als positiv-christliche, befreiende Tat?! [...] Wenn nun aber das christliche Weltgewissen sich in so verschiedenartiger und sonderbar-einseitiger Weise aeussert, was ist es dann in Wahrheit um die Existenz der jetzigen „oekumenischen Bewegung“, um die so oft geforderte und „beschlossene“ Einheit, sowie um die universelle Gemeinschaft der Kirche, die gerade auch nach den Worten desselben Dr. Lang in der Eroeffnungsversammlung der Oxforder Konferenz „ueber die Schranken der Rasse und der Nationalitaet hinweg den Reichen dieser Welt die rettende Kraft des Reiches Gottes bringt“? Sieht die rettende Kraft und die Einheitlichkeit des christlichen Geistes so aus? Und kann man unter solchen Umstaenden an die Echtheit der Weltkirchen-Botschaft und des „Weltgewissens“ ueberhaupt noch glauben? Wird hier nicht vielmehr ein gut Stueck modernen, aber „echten“ Pharisaeertums offenbar, indem gerade weltkirchliche Wortfuehrer unter dem Namen des Christentums den bewussten Kampf gegen die autoritaeren Staaten und besonders gegen das nationalsozialistische Deutschtum fuehren?

            Und nicht zuletzt: Die oeffentliche Stellungnahme eines Kirchenmannes vom Range des Erzbischofs von Canterbury zum Judenproblem beschwoert unausweichlich die entscheidende Frage herauf nach dem eigentlichen geistigen Verhaeltnis zwischen Judentum und Evangelium, zwischen Moses und Christus. Verhaelt sich das Evangelium zum Judentum „wie die Bluete zum Baum, oder der Baum zur Wurzel oder die Wurzel zum Samenkorne“, wie Erfuellung zur Weissagung, sodass also Christus bis in sein tiefstes Wesen hinein ein Jude waere und bliebe, die nach ihm benannte Kirche aber folgerichtig auf juedischen Grundlagen auferbaut, - oder besteht hier ein Gegensatz des Geistes bis auf den Grund, der urmaechtig schon in Jesus aufbricht und ebenso folgerichtig die ersten christlichen Jahrhunderte, wie nachher noch das Mittelalter und erst recht
Martin Luther kennzeichnet, nur heute von den besonders frommen Christen scheinbar gar nicht mehr empfunden wird? [...] Und ist es wahr, was Karl Barth117 in einem Aufruf zur Judenfrage zusammenfassend ausgesprochen hat: „Die Judenfrage ist die Christenfrage?“ Oder reift gerade in der Gegenwart die tiefere Erkenntnis, dass das „reine Christentum“ letzten Endes unter den geistigen Auswirkungen eines einmaligen, ebenso grossen, wie geheimnisvollen Geschehens steht, das H.St. Chamberlain118 im Hinblick auf Jesus und sein Sterben in die Worte gefasst hat: „Sein Gegensatz zum Judentum fuehrte ihn ans Kreuz“? Wir spueren es tief: die Weltgeschichte selbst hat hier eine Frage auf ihre Tagesordnung gesetzt, die nicht eher von dort verschwinden wird, als bis sie ihre geschichts- und lebenswahre Loesung von der voelkischen Weltanschauung her
gefunden hat. Und wir wissen, dass diese gewaltige geistesgeschichtliche Frage gleich ein ganzes Buendel weiterer, lebenswichtiger Fragen im Gefolge hat, die uns nicht weniger stark bewegen: so z.B. die Fragen nach der Geltung des Alten Testamentes, besonders des juedischen Gesetzes fuer unsere Sittlichkeit, fuer den Religionsunterricht und als Richtschnur (Kanon) des Glaubens, somit als „heilige“ Schrift, wie auch die Frage der geistigen Verjudung im Gange der christlich-kirchlichen Entwicklung, angefangen vom fremden Wort im frommen Lied und Brauch bis hin zum fremden Geist in der „biblischen Weltanschauung“, in der Glaubenslehre, oder gar in den Buechern des neuen Testamentes.“119

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114a. Dieser Teil wird erstmals veroeffentlicht.
115. Abgehalten im Juli 1937. Die evangelische Landeskirche AB war vom Kronstaedter Stadtpfarrer Konrad Moeckel vertreten.
116.  Gemeint ist die „Bekennende Kirche“, die in Opposition zur Politisierung der evangelischen Glaubensrichtung im Sinn des Fuehrerkults und der Rassenlehre stand Der bekannteste Vertreter dieser Bewegung ist Dietrich Bonhoeffer, der nach langer Kerkerhaft im KZ Floessenburg am 9.4.1945 ermordet wurde.
117. Barth unterstuetzte die „Bekennende Kirche“ in ihrer Opposition gegen den NS.
118. 1855-1927. Vertrat eine biologistisch-rassistische, antisemitische Weltauffassung.
119.  Sachsenspiegel, Jg.III, Folge 7/8, 1939, S.7-10.


            Zu der Opposition des Schweizer reformierten Theologen Karl Barth gegen das Muenchner Diktat, infolge dessen die deutsch besiedelten Gebiete der Tschechoslowakei vom Dritten Reich annektiert wurden, der in einem Brief an Professor Hromadka von der theologischen Hus-Fakultaet in Prag im September 1938 schrieb: „Mit der Freiheit Ihres Volkes steht und faellt nach menschlichem Ermessen die Freiheit Europas und vielleicht nicht nur die Europas allein“, aeussert sich Staedel
folgendermassen:
Wir verstehen es durchaus, wenn man Barth den Missbrauch des Namens Christi, ja Gotteslaesterung zum Vorwurf macht.120 Durch diese Tat ist zwischen uns und ihm, der uns vor laengeren Jahren immerhin etwas bedeutet hat,121 eine unueberbrueckbare
Kluft aufgerissen. Hier gibt es um der Sache willen kein Verstehen und kein Stillschweigen mehr. Um der Sache willen, d.h. aber um des Deutschtums und um des Christentums willen. Wenn ein deutschbluetiger Mensch die tiefe Not seiner Volksgenossen, die gegen alles Recht – besonders auch gegen das von den seinerzeitigen Siegermaechten verkuendete Selbstbestimmungsrecht der Voelker – ihrer Freiheit beraubt und vergewaltigt werden, nicht mehr mitempfinden kann, ja sogar seine Sympathien fuer das Unterdrueckervolk122 auszusprechen sich gedrungen fuehlt, dann ist hier im geistigen
Grundgefuege des Lebens etwas nicht mehr in Ordnung, dann muss man schon sagen, dass die Augen dieses Menschen gehalten, bezw. verblendet, das Herz verstockt und sein angeborenes deutsches Urgefuehl erstorben ist! Und nun das Christentum. Barths Worte klingen ja geradezu wie ein Aufruf an das tschechische Volk zum heiligen Kreuzzug der
christlich- demokratischen Freiheit gegen das deutsche Volk, das angeblich diese Freiheit Europas, - ja nicht nur Europas allein – bedroht, zum Schwertkampf fuer die Kirche Jesu! Jeder tschechische Soldat und – ich fuege hinzu – jeder Kommunist, der die Waffen gegen die Deutschen erhebt, der kaempft und leidet, darf es mit dem Bewusstsein tun, auch ein Soldat Christi zu sein. Ich frage: Ist das christlich?! Ja, ist diese Haltung auch nur pazifistisch? Barth beschwoert doch den Pazifismus der Nachkriegszeit herauf, macht aber im selben Zuge den Tschechen Mut und ein gutes Gewissen zum Krieg! Wenn einer ernsthaft „Pazifist“ sein will, vielleicht mit christlichem Vorzeichen, wenn einer im Namen der Menschlichkeit fuer den irdischen Frieden zu kaempfen entschlossen ist und nun gegen jeden Krieg mit Wort und Tat protestiert, bereit, fuer seine unbedingte Kriegsdienstverweigerung auch zu leiden, zu opfern und, wenn’s sein muss, zu sterben, dann mag man das eine Ueberspanntheit oder gar ein Irrsinn heissen, aber es ist wenigstens Haltung darin, die man wie etwa bei Tolstoi als christlich noch halbwegs begreiflich finden koennte, obwohl sie ebenso einem Missverstaendnis der Menschennatur, wie des Christentums selbst entspringt.123 Wenn einer, wie Barth, den Pazifismus herbeisehnt, also scheinbar (und wohl vom christlichen Standpunkt her?!) bejaht, in Wirklichkeit aber nur den Krieg des eigenen Volkes nicht will – sei er auch noch so
gerecht -, dagegen ein fremdes Volk zum Widerstand, ja zum Kriege gegen das eigene Volk ermuntert, dessen Recht – wie in diesem Fall Muenchen124 erwiesen hat – selbst seine grossen weltpolitischen Gegenspieler anerkennen, dann ist das nicht nur eine unueberbietbare Selbsterniedrigung eines Namensdeutschen, sondern es hat auch mit wirklichem Christentum nichts mehr zu tun! Aber wie? Gilt es nicht die Rettung der christlich-demokratischen Freiheit gegenueber der neuheidnisch-nationalsozialistischen Diktatur? Kann man dann aber den Kampf fuer diese Rettung nicht im Namen „der
Kirche Jesu fuehren?!“ Ich stelle den beiden Fragen einige andere Fragen entgegen, in denen zugleich die Antwort auf jene enthalten ist: Laesst sich mit gutem Gewissen behaupten, dass die Tschecho-Slowakei und etwa noch Frankreich, England, Schweden, oder Nord-Amerika, von Sowjet-Russland gar nicht zu reden, in ihrer „positiven Substanz“ christlicher oder wahrhaft freier waeren, als Deutschland? Und dann – gibt es ueberhaupt einen Waffenkampf gegen den „Unglauben“ im Namen des Christentums, ja darf es ihn geben? Hat Christus die Welt etwa mit Gewalt erobern wollen? Hat Luther – trotz mancher
gegenteiliger Aeusserungen und Handlungen (Tuerken und Ketzer!), deren wir uns bewusst sind – nicht immer erneut geradezu darauf gepocht, das Wort allein, also – wie er selber sagt – „die froehliche Predigt des Evangeliums“ muesse in diesem Ringen alles ausrichten, denn das Reich Christi „solle gestiftet werden ... ohne Schwert und Harnisch, allein durch Wort und Glauben.“ Oder sollten Gewehre und Kanonen gueltige Beweise im weltanschaulichen Kampfe sein?125  Die fuer unser Empfinden eindeutigen Antworten auf alle diese Fragen schliessen die restlose Ablehnung der Haltung Karl Barths in sich.
Uns trennt in der Tat eine Kluft!
*
Drei weltprotestantische Fuehrer sind hier zu Wort gekommen.126 Alle drei gehoeren sie zum nordisch-germanischen Kulturkreis, und man wird seltsam beruehrt von der Tatsache, dass sie trotzdem mit einer solchen Verbissenheit sich dem Nationalsozialismus entgegenstellen, der doch gerade die vielfach verschuetteten Werte und verkrueppelten Kraefte des nordisch-germanischen Menschen zu neuem Leben erweckt hat und immer mehr erwecken will. Und alle drei gehoeren sie dem europaeischen Protestantismus an, aber man wird erst recht seltsam beruehrt von der Tatsache, dass sich der Grossteil
dieses Protestantismus je laenger, desto weiter von Wittenberg weg entwickelt und in bedenkliche Naehe Roms rueckt.127 Wir haben gelegentlich der 36. Landeskirchenversammlung 1938 im Zusammenhang mit der Oxforder Kirchenkonferenz 1937 auf diese Katholisierungstendenz des Welt-Protestantismus hingewiesen und muessen nun leider feststellen, dass der Geist der ausserkatholischen Weltkirche gerade in der Beurteilung der grossen deutschen Ereignisse des Vorjahres128 sich mit dem Geist der roemischen Weltkirche nicht nur vielfach beruehrt, sondern weithin deckt. Das beweist – [...] u.a. die Tatsache, dass es den Erzbischof von New Orleans gedraengt hat, namens der amerikanischen Katholiken in „einer Stunde grossen Schmerzes“ ein Sympathietelegramm an Kardinal Innitzer und die oesterreichischen Katholiken zu senden – und das, dass der
tschechisch-katholische Erzbischof von Prag, Kardinal Kaspar, das Schwert des hl. Wenzel in feierlicher Form dem General Sirovy ueberreicht hat.129 Wir vergessen es nicht: In Wahrheit hat Professor Karl Barth dasselbe getan!
Der europaeische und besonders der deutsche Protestantismus mit dem von ihm verkuendeten reinen Evangelium gehoert zu den gestaltenden Grundkraeften der arisch bestimmten Kultur. Er steht heute vor einer gigantischen Entscheidung in einem
schweren Zweifrontenkrieg: einmal gilt es sich zu wehren und zu bewaehren gegenueber dem vom Weltjudentum gefoerderten Bolschewismus und dann gegenueber dem Weltkatholizismus, sowie dem Weltprotestantismus, von dessen Vertretern wir
eben drei Fuehrer kennen gelernt. In diesem Kampf ist nur dann Aussicht auf einen dauernden Sieg, wenn wir entschlossen die geistige Ruestung der voelkischen Weltanschauung anlegen und wenn Luther mit seiner Wehr und Waffe wieder aufsteht unter uns, [...] sondern Luther, der Deutsche, der Freie und Lebendige, dessen groesstes Anliegen auch heute noch nicht vollendet ist: Die Gotteswahrheit Christi aus dem germanisch-deutschen Wesen heraus neu zu schauen und fruchtbar zu machen. [...]
Stark und staerker reckt sich seit einigen Jahren auch in uns die helle und heisse Sehnsucht empor nach einem „Deutschen Christentum“ ohne konfessionelle Scheidewaende, nach einer wahrhaften Volkskirche aller Deutschen ueber die heutigen
Teilkirchen hinaus, nach dem heiligen deutschen Dom! In tausend und abertausend Herzen glaenzt und glueht sein glaeubig erschautes Bild schon leise herauf, - es liegt mit auch an unserer reinen Hingabe, dass es Wirklichkeit werde!
„Wer Ohren hat zu hoeren, der hoere!“130


120. Diese Vorwuerfe brachten die Presseorgane der „Deutschen Christen“.
121. Vgl. Ulrich Andreas Wien, Briefwechsel zwischen Karl Barth und siebenbuergischen Pfarrern in den Jahren 1930-1947. Unter Beruecksichtigung des Briefwechsels zwischen Hans Arnstein und Barth mitgeteilt und kommentiert, in: Zeitschrift fuer Siebenbuergische Landeskunde, Heft2/1995, S.147-172.
122.  Gemeint sind die Tschechen.
123.  Hier kommt Staedels politischer Zynismus und seine nationalsozialistische Arroganz voll zum Tragen. Fuer ihn gibt es das Selbstverteidigungrecht eines bedraengten bzw. an die Schlachtbank gefuehrten Volkes wie das tschechische ueberhaupt nicht, hingegen bereitet ihm die in deutschem Interesse stattfindende Aggression und Unterjochung keinerlei moralische oder politische Schwierigkeiten.
124.  Gemeint ist das Muenchner Abkommen, das die Zerschlagung der Tschechoslowakei als unabhaengiger Staat festschrieb.
125.  Staedel legt unterschiedliche Massstaebe an fuer den von kirchlicher Seite gefuehrten „weltanschaulichen Kampf“, dem er das Recht, zum bewaffneten Widerstand aufzurufen, abspricht, hingegen dem von nationalsozialistischer Seite gefuehrten Kampf alle Mittel, insbesondere das des Krieges, vorbehaltlos zugesteht.
126.  Als zweiter der Erzbischof der ev. Kirche Schwedens, D. Erling Eidem. Die entsprechenden Abschnitte wurden weggelassen.
127.  Ein totalitaeren Denkstrukturen verhafteter Mensch wie Staedel kann ausser seiner Sichtweise keine andere gelten lassen. Deshalb unterstellt er der Protestbewegung des Weltprotestantismus gegen den Nationalsozialismus das Prinzip, das eigentlich seiner eigenen Weltanschauung innewohnt: Totalitarismus, den er und die einschlaegige NS-Propaganda rhetorisch „Katholisierung“ benennen
128.  Gemeint ist das Jahr 1938, das den Anschluss Oesterreichs und das Muenchner Diktat brachte.
129.  Staedel spricht in arroganter Weise dem tschechischen Volk und Staat das Recht ab, seine nationalen Symbole und nationalen Kraefte kraft seiner Staatssouveranitaet zu handhaben. Ausserdem zeugt diese Stelle davon, dass Staedel keine Ahnung von dem im Katholizismus verwurzelten Nationalstolz der Tschechen besass.
130. Sachsenspiegel (wie Anm.119), S.13-16.

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Datei: Unterschlagung Staedel.html            Erstellt: 17.12.2003        Geaendert:06.01.2004                Webmaster, Autor und  © Klaus Popa