Ein weiterer siebenbuergisch-saechsischer Wissenschaftler, der sich bedenkenlos fuer den NS verausgabte

Der Fruehgeschichtler HANS REINERTH


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           Das ist der "Historiker", der wohl wie kein anderer zu dem wurde, wozu ihn auf der einen Seite seine "volksdeutsche", also stockkonservative, deutschnational-deutschnationalistische, selbst chauvinistische Veranlagung, auf der anderen Seite die ab 1930,  also noch in der Weimarer Republik, einsetzenden professionellen Rueckschlaege, vordeterminierten. Der aus Bistritz in Nordsiebenbuergen stammende Reinerth vertrat entgegen der damals in der deutschen Fruehgeschichtsforschung vorherrschenden "roemisch-germanischen" Sicht, wonach die deutsche Fruehgeschichte seit den fruehesten Zeiten vom Sueden her beeinflusst und schliesslich in der Roemerzeit endgueltig durch den Sueden bestimmt wurde, den "autochthonistischen" Standpunkt, wonach die germanische Kultur das Ergebnis ausschliesslich bodenstaendiger, in der "nordischen" Tradition stehenden Werte sei. Da die "Roemlinge", wie Reinerth und seine Gesinnungsgenossen die Anhaenger der roemisch-germanischen Sichtweise bespoettelten, 1930 noch den fruehgeschichtlichen Betrieb kontrollierten, war die Krise der Person und der Bruch Reinerths mit der etablierten Wissenschaft vorausprogrammiert, u.zw. ab Fruehjahr 1930 (Gunter Schoebel, Hans Reinerth. Forscher - NS-Funktionaer - Museumsleiter, in: Praehistorie und Nationalsozialismus. Die mittel- und osteuropaeische Ur- und Fruehgeschichtsforschung in den Jahren 1933-1945, hg. von Achim Leube, in Zusammenarbeit mit Morten Hegewisch (Studien zur Wissenschafts- und Universitaetsgeschichte, hg. von Holger Dainat, Michael Gruettner, Frank-Rutger Hausmann, Bd. 2), Heidelberg 2002, S. 321-396, hier S. 333). Reinerth hatte 1931/32 auch in Berlin keine Chance, der Nachfolger Eberts zu werden. Am 18. Februar 1932 erklaerte zudem die Fakultatet in Tuebingen Reinerth des ueblichen Titels eines a.o (ausserordentlichen Professors) fuer nicht wuerdig (Ebenda). Verfasser bemerkt zurecht, dass damit Reinerths wissenschaftliche Integration gescheitert war (S. 334).

           Seine ideologischen Voraussetzungen brachten Reinerth fruehzeitig mit Alfred Rosenberg in Kontakt, naemlich bereits im Januar 1928. Es leuchtet ein, dass Reinerth damit in seinem "Germanen-" und "Nordfimmel" nur bestaerkt wurde. Im Dezember 1931 wurde Reinerth Mitglied in dem von Rosenberg im Februar 1929 gegruendeten KAMPFBUND FUER DIE DEUTSCHE KULTUR. Am 12. Dezember 1931 trat er in die NSDAP-Ortsgruppe ein (Schoebel, S.335 u. Anm. 12). Am 20. Dezember 1931 entwarf Reinerth ein Thesenpapier zur "deutschen Vorgeschichte im Deutschen Reich", das im Juni 1932 in den durch Rosenberg betreuten "Nationalsozialistischen Monatsheften" erscheint. (Ebenda).

            1932 zaehlte Reinerth zu den ersten acht NSDAP-Mitgliedern innerhalb der Tuebinger Dozentenschaft. Am 2. April 1932 bestaetigt Rosenberg Reinerth als Leiter der Fachgruppe Vorgeschichte im Kampfbund fuer deutsche Kultur (Schoebel, S. 337). Von Reinerth stammt auch ein "Kampfaufruf" gegen Liberalismus und gegen die marxistische Herrschaft (S.341). Dass ein solcher Scharfmacher dazu bestimmt war, im Dritten Reich der Intoleranz, der Gewalt, der Verfolgung und Menschenvernichtung "Karriere" zu machen, versteht sich von selbst. So nimmt es nicht Wunder, dass Reinerth mit Rosenbergs Unterstuetzung im Vorgriff zur Berufung auf den 1. November 1934 - die Ernennung folgt 1935 - die Lehrtaetigkeit als ordentlicher Professor fuer Vor- und Fruehgeschichte an der Universitaet Berlin aufnahm. Schoebel meint zurecht, dass Reinerths Rechnung, mit Hilfe der Politik ein Ordinariat zu bekommen, in weniger als 2 Jahren aufgegangen war (S.342-343).

            Reinerth liefert das Beispiel des NS-"Wissenschftlers", der es glaenzend verstand, durch politische Waghalsigkeit seine Karriere zu pflegen. So wurde er am 16. Februar 1934 in allen Fragen der deutschen Vorgeschichte und ihrer Organisation in Forschung und Lehre zu Rosenbergs Vertreter. Der "Reichsbund" betrieb die Gleichschaltung aller Vorgeschichts- und Altertumsvereine auf Geheiss der Reichsleitung der NSDAP. Reinerth wird am 24. März zu Rosenbergs Berater, die germanische Vorgeschichte betreffend, am 6. Mai Leiter der Abteilung Ur- und Fruehgeschichte im Amt Rosenberg, am 9. Mai Bundesfuehrer im Reichsbund. Seine Ernennung zum Hauptlektor fuer Vorgeschichte der Reichsstelle zur Foerderung des Deutschen Schrifttums im Reichsueberwachungsamt am 12. September (Schoebel, S. 343) bedeutet, dass Reinerth zensurmaessig bestimmte, was in dem vorgeschichtlichen Schrifttum ideologiekonform - d.h. auch rassenkonform -, war oder nicht. Am 1. November 1934 wurde Reinerth Direktor des Instituts fuer Vor- und Germanische Fruehgeschichte in Berlin (Schoebel, ebenda).

            Der zuegig vorangetriebene Gleichschaltungsprozess der Altertumsvereine weckte laut Schoebel bereits 1935 den Widerstand der nicht primaer voelkischen, der als "neutral" bezeichneten Wissenschaft. Allerdings sammelte sich die Opposition der Vorgeschichte gegen Reinerth und gegen Rosenberg unter dem Schutz der SS (S. 344).

            Den Gleichschaltungs- und Monopolisierungsabsichten Reinerths widersetzte sich der West- und Sueddeutsche Verband im Jahr 1935. Reinerth antwortete am 9. Januar 1936 mit der Aufforderung an diesen Verband, dem "Reichsbund " beizutreten. So geriet Reinerth in die Kompetenzstreitigkeiten und den Konkurrenzkampf der von Rosenberg vertretenen Stellen und der SS, die ihre eigenen "wissenschaftlichen" Programme, auch in der Altertumsforschung verfolgte und "Fach"-kräfte fuer sich verpflichtete.

            Die Streitigkeiten entbrannten auch um die Pfahlbauten in Unteruhldingen am Bodensee (Schoebel S. 346f.). Es gelingt Reinerth, die Ansprueche des SS-Ahnenerbes auf das Pfahlbaufreilichtmuseum abzuwehren. Am 9. November 1937 wurde er Reichsamtsleiter im Reichsamt fuer Vorgeschichte der NSDAP, indem die Abteilung fuer Vor- und Fruehgeschichte im Amt Rosenberg unter Reinerths Leitung zum Amt fuer Vorgeschichte erhoben wurde. Am 16. Januar 1938 beschloss die Gauversammlung des Pfahlbauvereins einstimmig die Uebergabe der Museumsleitung an den Reichsbund (Schoebel S. 347). Die Pfahlbauten wurden 1938 zum Freilichtmuseum Deutscher Vorzeit.

            1937 gehoerten 104 Vereine mit rund 26.000 Mitgliedern dem Reichsbund an. Wie Reinerth und Genossen gegen Leute vorgingen, die ihnen unbequem waren, also auch gegen die "Roemlinge", beschreibt Herbert Jankuhn am 30. April 1937: "Sie haengen ihnen irgendwelche weltanschauliche Belastungen an und diffamieren sie in geheimen Berichten." (S. 348)

            Ende 1936 fand in Leipzig ein Treffen fuehrender Praehistoriker mit Vertretern des Stabs Reichsfuehrer SS statt, was dazu fuehrte, dass sich wichtige ehemalige Mitstreiter von Reinerth trennten. Aus dem Briefwechsel Reinerths mit den abgesprungenen Zotz (Schlesien), Petersen und Jankuhn (Breslau), v. Richthofen (alles 1936) scheinen die Gruende auf: befuerchtete Zersplitterung und Zerwuerfnisse, die sich auf den Stil Reinerths und auf den Angriff auf die Marburger Schule und auf v. Merhart beziehen, die im "Voelkischen Beobachter" durch Reinerths Schueler Benecke gefuehrt wurde (S. 348). Im Hintergrund bereitete v. Richthofen ein Parteigerichtsverfahren gegen Reinerth vor. Im Februar 1938 wurden Denkschriften gegen Reinerth auf Himmlers Schreibtisch gelegt. Heydrich, der Polizeichef, wird beauftragt, einen neuen Bericht zu Reinerth vorzulegen, der im August 1938 fertiggestellt war. Im Vordergrund stehen u.a. Charakterlosigkeit und Schaedigung der Wissenschaft im In- und Ausland. Noch im September kam es zur Untersuchung gegen Reinerth durch den Rechtsrat der Berliner Universitaet. Doch Reinerth lehnte am 15. September 1938 die Vernehmung ab. Schliesslich wurde er in der Angelegenheit Benecke am 18. November vernommen. Das Ermittlungsergebnis vom Mai 1939 enthebt Reinerth des Verdachts, am Artikel gegen die Marburger Schule mitgewirkt zu haben, tadelte aber die Form und die Pflichtverletzung eines Hochschullehrers, der diesen ehrverletzenden Aufsatz gebilligt hatte. Die Universitaet ruegte Reinerth und das Oberste Parteigericht in Muenchen schlug Reinerth im Juli 1939 ein Reinigungsverfahren gegen sich selbst vor, was Reinerth am 31. Juli 1939 strikt ablehnte. Am 28. Januar 1943 wurde dann (S. 349/50) bei Bormann (Reichskanzlei) ein Parteiverfahren gegen Reinerth beantragt, das am 29. Oktober 1943 durch Bormann eingeleitet wurde und am 27. Februar 1945 zum Parteiausschluss Reinerths fuehrte.

               Trotz dieser "schmutzigen Waesche"  konnte Reinerth alle seine Vorhaben durchsetzen, ausser dem Reichsinstitut fuer Vorgeschichte. Reinerth publizierte recht fleissig im "Voelkischen Beobachter", Norddeutsche Ausgabe. Auch entfaltete er eine rege Vortragstaetigkeit. 1935 sprach er ueber "Der Kampf um die deutsche Vorgeschichte" oder "Der Reichsbund im Kampf um die deutsche Vorgeschichte" oder ueber "Voelkische Vorgeschichtsforschung, eine Antwort an ihre Gegner"; 1936 "Sueddeutschlands nordisch-germanische Sendung"; 1937 "Das politische Bild Alteuropas"; 1943 "Nordisch-germanischer Schicksalskampf im Ostraum". Allessamt Ausdruck

einer ideologisch fundamentierten und auf die wissenschaftlichen Arbeiten der SS reagierenden Vorgeschichtsforschung (S. 350-351).

Die von Reinerth herausgegebene volkstuemliche wissenschaftliche Zeitschrift "Germanen- Erbe" (1936-1942)

zeigt alle Facetten der damaligen, politisch eingespannten Wissenschaft (S. 352).

Die Ausstellungen und Freilichtmuseen dienten

der Beweisfuehrung germanischer Groesse und als Aequivalent zu giechisch-roemischer Kunst und Architektur, dem eigentlichen Ideal des italienischen und des deutschen Faschismus (S.355).

            Die Lehrtaetigkeit trat der publikumswirksamen Ausstellungs- und Tagungstaetigkeit Reinerths stark in den Hintergrund (S.355). Mit dem Angriff auf die UdSSR wurde Reinerth mit der Feststellung, Sicherung und Erforschung der vor- und fruehgeschichtlichen germanischen und slawischen Funde an einschlaegigen Orten der besetzten Ostgebiete beauftragt (S. 356). In Verbindung mit Reinerths Bereisung der Ostgebiete und der dort entfalteten Taetigkeit des Amtes Rosenberg und der SS, das haupsaechlich im Kunst- und Kulturrraub bestand, stellt Verfasser fest, dass die Ansprueche auf dortiges, doch fremdes Kulturgut in einer "Selbstverstaendlichkeit" in Korrespondenzen, Beschwerden und Befehlen gehandhabt wurden (S. 357-358).

            Reinerth zog am 24. April 1945 auf die Insel Reichenau am Bodensee. Ende 1945 wurde er angezeigt, im Maerz 1946 verhaftet und interniert. 1949 erging der Spruchkammerbescheid. Reinerth wurde in die Gruppe der Schuldigen eingereiht. Das Urteil wurde begruendet mit Reinerths Funktion als Reichsamtsleiter, mit der Politisierung der Wissenschaft und seinem Verhalten als Hochschullehrer. Seinem Einspruch von 1952 wird zunaechst nicht stattgegeben (S. 358). Im September 1953 erfolgte die Aufhebung der Entscheidung der Spruchkammer Freiburg. Die Begruendung formuliert - wir  bemerken, tatsachenwidrig - dass Reinerth in seinem

unerschrockenen Kampf gegen die phantastische Germanenlehre der Forscher im Stabe des Reichsfuehrers SS Himmler bewiesen hat, dass er niemals bereit war, seine  wissenschaftliche Ueberzeugung der Partei zu opfern (S. 359)

            Damit erhielt Reinerth die Moeglichkeit, das Pfahlbaufreilichtmuseum in Unteruhldingen bis zu seinem Tode zu fuehren. Doch seine Wiederbeschaeftigung in Forschung und Lehre wurde durch das Fach Vor- und Fruehgeschichte verhindert. Die von Forscherpersoenlichkeiten gezeichneten Stellungnahmen und Gutachten fuehrten zum Ausschluss des "voelkischen Vorgeschichtsforschers Hans Reinerth" aus der Wissenschaft. Auf der anderen Seite wurde die im Auftrag der SS und des Reichsinnenministeriums betriebene Forschung aus dem Schussfeld genommen und so konnte eine Mitgliedschaft in der SS im Gegensatz zur Arbeit im Amt Rosenberg der Karriere nach 1945 nicht schaedlich sein (S. 359). Reinerth diente also gewissermassen als Bauernopfer, duerfen wir feststellen, denn gerechtigkeitshalber haetten alle SS-engagierten Vorgeschichtler Reinerths Schicksal teilen muessen. Reinerths Aechtung durch sein eigenes Fach beeinflusste auch die berufliche Zukunft der meisten seiner Schueler. Denn den wenigsten gelang es, nach 1945 eine Anstellung zu finden.

            Zu seinen Schuelern zaehlten 1934-1945 in Berlin (Vladimir) Domitrescu [richtig Dumitrescu], der rumaenische Vorgeschichtler, der in der kommunistischen Zeit recht einflussreich war, und F(ritz) Roth (S. 360). Letzterer "wilderte" als Vorgeschichtsfunktionaer im Fruehgeschichtsbetrieb der "Volksgruppe" mit der "Nordisierung" spaetsteinzeitlicher Funde der Petresti (Peterdorfer)  - Kultur in Kelling (dokumentiert in ""Deutsche Forschung im Suedosten" und ideologisch-propagandistisch ausgeschlachtet in "Volk im Osten").

            Dem Fazit Schoebels ist nur beizupflichten:

Hans Reinerth hat sich als Person unter Nutzung der sich bietenden Moeglichkeiten auf der Grundlage der voelkischen und nationalsozialistischen Vorgaben, nachdem seine buergerliche, universitaere Karriere gescheitert war, ganz bewusst 13 Jahre lang federfuehrend in den Dienst der "NS Kulturpolitik", die er als einzige gelten liess und die er mit den Mitteln der Diktatur verfolgte, gestellt. (S. 361).

            Auf das Fach selbst uebertragen stellt Schoebel fest, dass die Germanen- und Pfahlbautenforschung bis in die 70er Jahre hinein stigmatisiert war, wie auch die Freilichtmuseen bis in die 80er Jahre. Die Vor- und Fruehgeschichte war noch lange bilder-, rekonstruktions- und theoriefeindlich, also gegenueber den 20er Jahren der Weimarer Republik methodisch deutlich reduziert. Die "voelkisch-siedlungsarchaelogische Schule" wurde aus der Wissenschaft herausgenommen, weil die tatsaechliche Bedeutung der "Gemanentuemelei" ueberhoeht worden war und weil Kosinna, der Lehrer und Foerderer Reinerths und Begruender einer NS-oreintierten Fuehgeschichtsforschung, und Reinerth selbst, den vorhandenen Rassismus programmatisch verstaerkten mit dem Ziel, das Fach zu beherrschen. (S. 362).

Weitere Einblicke in Reinerths Persoenlichkeit und Taetigkeit

 

           Zunaechst ist vorauszuschicken, dass in dem oben zitierten, der Tagung Die mittel- und osteuropaeische Ur- und Fruehgeschichtsforschung in den Jahren 1933-1945 gewidmeten Band keine Name so oft vorkommt, wie der Reinerths. Er wird auf insgesamt 178 Seiten erwaehnt.

            Reinhard Bollmus, der Verfasser des bekannten Grundlagenwerkes Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im Nationalsozialistischen Herrschaftssystem, Stuttgart 1970, bemerkt in seinem Beitrag Das "Amt Rosenberg", das "Ahnenrebe" und die Praehistoriker. Bemerkungen eines Historikers auf Seite 40:

Die Aussenwirkung des "schwachen "Amtes Rosenberg und die verhaengnisvolle Rolle Reinerths muss also ganz erheblich bei der Behinderung wissenschaftlicher Tatetigkeit angesehen werden.

            Henning Hassmann (Archaeologie und Jugend im "Dritten Reich". Ur- und Fruehgeschichte als Mittel der politisch-ideologischen Indoktrination von Kindern und Jugendlichen (S.107-146) hebt den anti- und unwissenschaftlichen, ausschliesslich ideologisch-propagandistischen Bereich in Reinerths Tatetigkeit hervor. Verfasser stellt fest, dass die populaere Rezeption der Archaeologie bis zum Kriegsende von Reinerths Abteilung im Amt Rosenberg und vom Reichsbund dominiert wurde (S.109). Reinerth gab die Monatszeitschrift "Germanen-Erbe", das "Amtliche Organ des Reichsbundes fuer Deutsche Vorgeschichte und der Hauptstelle des Beauftragten des Fuehrers fuer die gesamte geistige und weltanschauliche Schulung und Erziehung der NSDAP" heraus (S.114).
            Fuer den Schulunterricht wurden von Reinerths Stelle spezielle Diareihen realisiert, wie die umfangreiche Sammlung "Deutsche Vor- und Fruehgeschichte in Lichtbildern" (J.C. Engel, H. Rein (Hgg.): A. Vorgermanische Zeit (3 Serien mit 100 Dias). B. Fruehgermanische Zeit (2 Serien mit 94 Dias). C. Hoch- und Spaetgermanische Zeit (3 Serien mit 106 Dias). Dazu insgesamt 9 Begleitbaende und 6 Erlaeuterungshefte (Stuttgart, o.J.). (S.116)
            Reinerth betrieb auch eine auf seine Privatinitiative 1930 zurueckgehende "Modellwerkstatt des Reichsbundes fuer deutsche Vorgeschichte", die Unterrichtsmaterial und anaschauliche Lebensbilder fuer Schulen, Heimatstuben und Museen produzierte. Der Produktkatalog dieser zunaechst in Berlin, dann in Unteruhldingen ansaessigen Firma trug den Titel "Lebendige Vorzeit". Mit diesen Anschauungsprodukten wurde erreicht, dass sich die Sammlungen im ganzen Reich glichen (S.116).
            Hassmann erwaehnt, dass auch Reinerth in Troja und den griechischen Tempeln den 'urgermanischen Baustil' erblickte. Darstellungen einer mehrgliedrigen Entwicklung vom "nordischen Haus" ueber toenerne Hausmodelle zum griechisch-roemischen Tempel sind Standard in populaeren Archaeologiebuechern, auf Wandtafeln und in Museen jener Zeit (z.B. Museum Heidelberg) (S.136).

            Dass diese phantastische Sichtweise ihre Ableger auch im siebenbuergischen Bereich hatte, nimmt nicht Wunder. Es sei nur der in Danzig lehrende Hermann Phleps erwaehnt, in dessen Aufsaetzen - sogar bis in die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts - es nur so 'nordelte' und "nordisch" spukte - vgl. Ueber den nordischen Stockwerkspeicher und seine Ausstrahlung, in: Suedostdeutsches Archiv, IX. Bd., 1966, S.238-239. Ein weiteres "Werk" dieses Germanenbesessenen: Ost- und Westgermanische Baukultur. Verlag f. Kunstwissenschaften, Berlin 1934. Und Reinerths Schueler Fritz Roth, der den fruehgeschichtlichen Betrieb in der Volksgruppenzeit (1940-1944) fest im Griff  hatte, nordelt in seinem "wissenschaftlichen" Aufsatz Nordische Baukunst im vor- und fruehgeschichtlichen Suedosteuropa (Deutsche Forschung im Suedosten, Zeitschrift des Forschungsinstituts der Deutschen Volksgruppe in Rumaenien, 1. Jg., 1942, S.17-38), oder in Das nordische Steinzeitdorf von Kelling. Ausgrabungern des Forschungsinstituts bei Kelling im Gebiet Bergland (ebenda, S. 199-214), sowie in Abschluss der Ausgrabungen im nordischen Steinzeitdorf von Kelling (ebenda, 2. Jg. 1943, S. 440-459). Als Hauptgewaehrs-"Wissenschaftler" taucht immer wieder Reinerth auf.

            Dass der Reichsbund sich spaetestens ab 1936 mit solcher Macht der Oeffentlichkeitsarbeit zuwandte, hatte laut Martin Schmidt, Die Rolle der musealen Vermittlung in der nationalsozialistischen Bildungspolitik. Die Freilichtmuseen deutscher Vorzeit am Beispiel Oerlinghausen (S. 147- 159) folgende Gruende:

In der "richtigen" Wissenschaftsszene konnte der Reichsbund, konnte Reinerth sich nicht etablieren, hier scheiterten die Versuche realtiv frueh, letztlich war die Sache Mitte 1935 fuer Reinerth bzw. den Reichsbund verloren. Betrachtet man die Hauszeitung des Reichsbundes, das Germanen-Erbe, so wird diese Einschätzung augenfaellig. Zwar wird im allerersten Heft des Jahres 1936 die Oeffentlichkeitsarbeit als primaeres Ziel hervorgehoben. Die Isolierung von der wissenschaftlichen "Szene" wird aber nicht nur darin deutlich, dass in den fortschreindenden Jahrgaengen kaum noch "Wissenschaftler" publizieren, sondern auch in der Tatsache, dass bei den Reichsbundtagungen zunehmend weniger Wissenschaftler auftraten. (S.152).

            Angesichts des bisher Aufgezeichneten, ueberrascht der von Wolfgang Pape, Zur Entwicklung des Faches Ur- und Fruehgeschichte in Deutschland bis 1945 (S.163-226) mitgeteilte "spoettische Kommentar" nicht,

Reinerth habe den Auftrag gehabt, die Vorgeschichte zu einen, das sei ihm gelungen, u. zw. gegen sich (S.179).

            Michael Strobel erwaehnt in Verbindung mit Reinerths Persoenlichkeit (Die Ausgrabungen des Reichsbundes fuer Deutsche Vorgeschichte. Das Beispiel der Schussenrieder Siedlung Taubried I und die wuerttembergische Vorgeschichtsforschung zwischen 1933 und 1945 (S. 277-287) seine

eifernde und notorische Streitlust, Fanatismus, Ehrgeiz, Kompromisslosigkeit und narzisstische Selbstueberschaetzung.
Der fleissige und ehrgeizige, jedoch psychisch labile, [...], politisch radikalisierte Privatdozent.

            Reinerth trat am 18.2.1932 in die NSDAP ein. Am 18.2.1932 erklaerte ihn die naturwissenschaftliche Fakultaet in Tuebingen

  1.  
      als des ueblichen Titels eines apl. Professors fuer nicht wuerdig (S.280-281)

Ferner:

Der Ressentimentstau des Privatdozenten kleinbuergerlicher Herkunft entlud sich im Juli 1932 in heftigen oeffentlichen Angriffen auf DAI, die RGK und die wuerttembergische Denkmalpflege. (S.281).

            Das abschliessende Urteil der Untersuchungskommission der Tuebinger Universitatet im Herbst 1933/34 lautet, fuer Reinerths "subjektiv-fanatische", "ruecksichtslose" und "schroffe Kaempfernatur" sei an der Universitatet Tuebingen kein Platz (19.9.1933) (ebenda).

            In den Auseinandersetzungen Reinerths mit dem Hannoveraner Vorgeschichtler Jacob-Friesen schrieb Friedrich Behn, seit 1909 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Roemisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz, 1935 ueber Reinerth:

Die  Forderung des Fuehrers, dass jeder, der Fuehrer sein will, nach Charakter und Fachkoennen seiner Gefolgschaft ein Vorbild sein muesse, trifft auf ihn in keiner Weise zu. Sicher aber ist, dass weder der Fuehrer noch sein Stellvertreter Rudolf Hess um die Vorgaenge wissen, denn dann waeren sie nicht unberuecksichtigt geblieben (Guenter Wegener, Auf vielen und zwischen manchen Stuehlen. Bemerkungen zu den Auseinandersetzungen zwischen Karl Hermann Jacob-Friesen und Hans Reinerth, S.408).

            Derselbe Jacob-Friesen bemerkte 1950 in seiner Zeitschrift "Die Kunde" in Verbindung mit der Frage, wie sich die heutige Aufassung ueber die aelteste Kultur von der in der nationalsozialistischen Zeit unterscheide, knapp und buendig:

Hier stehen sich eben schroff Weltanschauung und Wissenschaft gegenueber.

            Wegners Kommentar: "Das war eben der Unterschied zwischen einem Hans Reinerth und einem Karl Hermann Jacob-Friesen.!" (S.414).

                Schliesslich die Taetigkeit Reinerths im "Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg" (ERR), der in den dem "Ostminister" Rosenberg unterstellten Gebieten des slawischen Ostens Kulturraub organisierte und durchfuehrte. Anja Heuss, Praehistoeische "Raubgrabungen" in der Ukraine (S. 545-554) schreibt:

Der "Sonderstab Vorgeschichte" unter der Leitung Reinerths verfuegte allein von seiner territorialen Ausbreitung her ueber ein sehr viel groesseres Gebiet [als das SS-Ahnenerbe]. Insbesondere Kiew und Dnepropetrowsk wurden ausgepluendert. Im Gegensatz zur Sonderkommission Jankuhn [SS] wurde der ERR aber auch im Baltikum und in Weissrussland - hier unter der Leitung von Karl Engel - sehr aktiv (S.549).

                Aus der Ukraine verfrachtete der ERR aus dem Palaeolithikum 269 Kisten und 71 Pakete, aus dem Neolithikum 121 Kisten und 36 Pakete, aus der Tripolje-Kultur 46 Kisten und 121 Pakete (ebenda).

                Ueber die von Reinerth veranstalteten Raubgrabungen stellt A. Heuss fest, dass Reinerth

entgegen seinen eigenen programmatischen Aussagen gegenueber seinem Vorgesetzten Rosenberg - keineswegs nur praehistorische Objekte beschlagnahmte, sondern es befanden sich ebenso Objekte der griechisch-roemischen Zeit und Skythenfunde unter den nach Hoechstedt a.d. Donau verlagerten Objekte (S.550).

                Es wurden ca. 550.000 Einzelobjekte an Museumsbestaenden geraubt (ebenda).

                Weitere Betrachtungen eruebrigen sich!



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Datei:Reinerth.html            Angelegt: 02.03.2002       Geaendert:     03.08.2007                           Autor und © Klaus Popa


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