Wo schraeges Forschungsverstaendnis und Postmodernismus zusammentreffen
Where Awkward Precepts of Historical Research Meet with Postmodernism

    Die "Kritischen Blaetter..." protestierten juengst gegen die gezielte Ignorierung unpaesslicher Enthuellungen und gegen die Unterschlagung quellenmaessig belegter Ereignisse und historischer Fakten in der Form der  von den verantwortlichen Redakteuren der "Zeitschrift fuer Siebenbuergische Landeskunde" betriebenen Desinformationspolitik /Vgl. DAS RECHT AUF INFORMATION/. Auf die Hintergruende soll hier nicht weiter eingegangen, doch darauf hingewiesen werden, dass das so zugeschnittene Forschungs(un)verstaendnis sich eher zufaellig mit der seit den fruehen 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in Frankreich und in den englischsprachigen Laendern breitmachenden Sichtweise des sogenannten "Postmodernismus" deckt. Und dass die Vorstoesse der letzten Jahre in Richtung England und USA von dieser zufaelligen "Vetternschaft" nur noch ermutigt werden, belegt die unlaengst durch Peter Haslinger auf H-Net praesentierten "Besprechung" von Harald Roths "Politische Strukturen..." (1994).

    The "Critical Pages..." recently protested against the deliberate ignoring of undesired revelations and against the suppression of documentary evidence and historical facts by the editing staff of "Zeitschrift fuer Siebenbuergische Landeskunde" /Compare DAS RECHT AUF INFORMATION/. There must be pointed out that the lack of rather than the presence of craftsmanship in matters of historical research accidentally meets with the postmodernist view which spread from France to the English speaking countries in the early seventies of last century. And the recent advances to Great Britain and the USA were encouraged by this "kinship by chance" and has recently been honoured by Peter Haslinger's review of Harald Roths "Politische Strukturen..." (1994) on H-Net.



    Doch welches sind die bis zur voelligen Uebereinstimmung der Positionen sich erstreckenden Beruehrungspunkte und wahlverwandtschaftlichen Elemente der beiden "Vettern"?

    RICHARD J. EVANS, Professor fuer Neuere Geschichte an der University of Cambridge, liefert in seiner Analyse Ueber die Grundlagen der historischen Erkenntnis, Frankfurt/New York 1998 (englischer Originaltitel In Defence of History, 1997) aufschlussreichen Einblick in die Auswuechse des in die Geschichtsschreibung genannter Laender eingesickerten "Postmodernismus". Die Parallelen und Uebereinstimmungen zwischen dem siebenbuergisch-saechsischen "verlorenen Sohn" und dieser eher modehaften Orientierung verblueffen, vergegenwaertigen aber auch die forschungsmaessigen, ideologischen und politischen Gefahren, die sich dahinter verbergen.

    Der "Postmodernismus" beruht auf der sogenannten "linguistischen Wende", die den Diskurs = Text an die Stelle der Ursachen setzt. Statt auf genauer Untersuchung der Quellen beruhender Ursachenforschung wird eine vergoetternde Absolutisierung (= Fetischisierung) des Textes dargeboten. Damit wird die von Leopold von Ranke im 19. Jahrhundert begruendete unparteiische, universalistische Forschungsmethodik (eines ihrer grundlegenden Prinzipien besagt, dass die Quellen, die das jeweilige Ereignis betreffen, in ihrer Gesamtheit zu sichten sind) in die ewigen Jagdgruende verdammt.

    Die gravierendste Folgeerscheinung der postmodernistischen Text- und Diskurs-"Manie" besteht darin, dass die sonst selbstverstaendliche Unterscheidung zwischen Fakten und Interpretation aufgegeben wird. Es gilt das Postulat: Fakten gelten  nichts, die Interpretation ist alles. Folgerichtig wird der aeusserst selektiven Benutzung des Quellenmaterials und der Quellenzitate Tor und Tuer geoeffnet, die Interpretation tritt an die Stelle der dokumentarisch ueberlieferten Fakten und der historischen Tatsaechlichkeit, wodurch die Geschichte zum Propagandainstrument verkommt. So wird mit dem in der Nachfolge von Rankes "objektivem" Zugriff auf die Geschichte gepflegten Forschungs- und Geschichtsverstaendnis der deutschen Historiker aufgeraeumt.

    Der Postmodernismus foerdert aber noch ein weiteres: das moralische Urteil wird ueber Bord geworfen durch die Forderung, dass Historiker sich dieses Urteils enthalten zu haben. Das hat zur Folge, dass die textuellen Aussage, sei sie auch noch so abwegig (i.e. anti- oder unmoralisch) den Massstab setzt, ja der Massstab selbst ist. Die Postmodernisten meinen, Historiker, die Begriffe wie "boese" oder "schlecht" auf Menschen der Vergangenheit anwenden, sich damit bloss laecherlich machen (Evans, S.56).

    Die Abkoppelung des Textes von moralischen Vorgaben ist nur ein Aspekt des postmodernen Text-Fetischismus. Es kommt noch die Ablehnung jeder rationalistischen Aeusserungsform hinzu, wodurch der Irrationalismus und dessen Folgeerscheinungen sich schrankenlos austoben koennen. So nimmt es nicht Wunder, dass in postmoderner Sichtweise die Vergangenheit nicht entdeckt oder gefunden, sondern vom Historiker geschaffen und praesentiert wird (Evans, S.98). Authentizitaet der Fakten gaebe es nur als Illusion, die Wahrhaftigkeit sei ein Hirngespinst.

    Der Postmodernismus zeigt sich von seiner gefaehrlichsten Seite darin, dass er dem Fach Geschichte die Kompetenz abspricht, "Betrug zu entlarven und somit Faelschung aufzudecken" (Roger Chartier, On the Edge of the Cliff. History, Language and Practices. Baltimore, Maryland, bei Evans S.116). Evans stellt in diesem Zusammenhang zurecht fest und wiederholt nachdruecklich, dass "Historiker die Geschichtswissenschaft eher als Zerstoererin denn als Schoepferin von Mythen angesehen" haben (S.147)

    Evans belegt anhand des jungen Historikers David Abraham ("The Collapse of the Weimar Republic", 1981), dass es verfehlt ist, jemanden "fuer einen integren Wissenschaftler zu halten, weil dieser einen Doktortitel erworben hat" (S.117). Sich hier ueber Inhaber des Doktortitels auszulassen, die die siebenbuergisch-saechsische Zeitgeschichtsforschung eher unbewusst in die postmodernistische Sackgasse getrieben haben, eruebrigt sich, weil die "Kritischen Blaetter..." auf deren "peinliche Unfaehigkeit, zwischen Fakten und Fiktionen zu unterscheiden" (Evans 121) bereits hinlaenglich hinwies.

    Den postmodernen Irrweg, der keinem Text, selbst dem aberwitzigsten, die Existenzberechtigung jemals absprechen wuerde, nennt Evans zurecht "unverschaemt" und "ignorant" (S.174).

    Die unverzeihlichen, kahlschlagartigen Auswirkungen des postmodernen Ansatzes machen also vor "der Komplexitaet der menschlichen Natur, der sozialen Umstaende und des kulturellen Lebens" keinen Halt (Evans, S.181).

    Der postmoderne Kernsatz, "jede gesellschaftliche Gruppe schaffe ihre eigene Geschichte, als Mittel der Identitaetsstiftung", den Evans in Verbindung mit Laura Lee Downs' If 'Woman' is Just an Empty Category, Then Why Am I Afraid to Walk Alone at Night? Identity Politics Meets the Postmodern Subject (1993) formuliert, hat beunruhigende Implikationen (Evans, S.199). Und dass die Siebenbuerger Sachsen, vor allem mit ihrem neuzeitlichen Geschichts(un)verstaendnis, ein diesbezuegliches Musterbeispiel bieten, soll nicht weiter betont werden. Die erste Konsequenz der gruppenbezogenen Geschichtsschreibung ist die, dass "an die Stelle von universellen Wahrheiten" "besondere, spezifischen Gruppen angehoerige Wahrheiten treten" (Evans, S.200). Auch die Konsequenz der Konsequenz, naemlich "die Geschichte der Religion den Geistlichen zu ueberlassen, die Geschichte des Krieges den Generaelen, die Geschichte des Faschismus den Faschisten" (Evans, S.201) hat sich bei den Siebenbuerger Sachsen und Banater Schwaben dahingehend ausgewirkt, dass die Erlebnisgeneration die Zwischenkriegszeit auch heute noch als ihre exklusive Spielwiese betrachtet und der Aufarbeitung durch die Nachwuchsgenerationen hoechstens bis 1933 - zu einem recht hohen Preis des Verlusts an Wissenschaftlichkeit - gestattet, sonst grundsaetzlich verbaut (Hoehepunkte: Karl M. Reinerth und Fritz Cloos).

    Fuer die zweite Konsequenz der Konsequenz, dass das Anrecht auf gruppenbezogene Geschichtsschreibung "auch politisch rechtsstehende Positionen stuetzen kann" (Evans, S.202), bietet sich der Siebenbuergisch-Saechsische Kontext wiederum als Probe aufs Exempel an. So wie nationalistische Historiker argumentieren, sie allein besaessen das Anrecht auf die Vergangenheit ihres Landes und kein Fremder (Evans, S.202), manifestiert sich auch der genannte Kontext, der einen besonderen Fremdheitsbegriff kultiviert: als Fremde, sprich Unbefugte, die sich an der siebenbg.-saechsischen Geschichte "vergreifen", gelten auch jene Siebenbuerger, die ein anderes Geschichtsverstaendnis besitzen als das der Gruppe. Damit ist das formuliert, was wir  Allein(vertretungs)anspruch nennen.

    Und wenn die "Kritischen Blaetter" bezueglich Ulrich Andreas Wiens Kirchenleitung ueber dem Abgrund. ..." oder Harald Roths Politische Strukturen... ihre Kritikpunkte aus einem grundsaetzlich unterschiedlichen Geschichts- und Forschungsverstaendnis formulierten, so trifft folgende Wortpraegung von Evans auf das Geschichtsgebaren der beiden Autoren einwandfrei zu: "In vielen Faellen hat die bewusste politische Absicht - durch den postmodernen Relativismus von jenen Fesseln befreit, die Historiker normalerweise an die Fakten binden - aeusserst fehlerhafte Werke hervorgebracht, die im Dienste der gegenwaertigen Ideologie das Quellenmaterial ganz deutlich verzerren oder falsch interpretieren." (Evans, S.210).

    Abschliessend einige weitere Stellen aus Evans:

    "Geschichte muss, wie Roger Chartier gemahnt hat, den "mythischen Konstruktionen der Vergangenheit widerstehen, die beherrscht sind von den Beduerfnissen von Gemeinschaften - imaginierten oder realen, nationalen oder nichtnationalen -, die historischen Erzaehlungen, welche ihren Wuenschen und Erwartungen entsprechen, schaffen oder uebernehmen". Waehrend Historiker bei ihrer Arbeit zweifelsohne von gegenwaertigen moralischen oder politischen Absichten beeinflusst sind, bewusst oder unbewusst, so wird doch ihr Werk am Ende nicht nach der Gueltigkeit oder Wuenschbarkeit dieser Absichten beurteilt, sondern nach dem Ausmass, in dem ihre historischen Argumente den Regeln der Beweisfuehrung folgen und den Fakten, auf denen sie beruhen, entsprechen. "Wenn wir es aufgeben, uns um die Wahrheit zu bemuehen" [Hervorhebung der Krit.Bll.], hat Chartier bilanziert, "eine Ambition, die zwar unerreichbar sein mag, doch mit Sicherheit grundlegend ist, dann ueberlassen wir das Feld allen Arten von Manipulation und all den Faelschern, die das Wissen verraten und damit die Erinnerung beschaedigen." "(Chartier, On the Edge..., Bei Evans, S.211).

    Evans meint auf S.222: "Setzt man die Praemissen des extremen postmodernen Relativismus voraus, so kann Geschichte in der Tat, ohne ihren Charakter als Geschichte zu verlieren, nicht bloss ein radikales oder konservatives, sondern ebenso ein faschistisches oder stalinistisches Unterfangen werden. So kann sie die Vergangenheit etwa in den Kategorien eines Kampfes verschiedener Rassen um die Durchsetzung des Staerksten darstellen, wie es im 'Dritten Reich' geschah, oder als unaufhaltsamen Fortschritt zur stalinistischen Utopie, wie im Russland der 30er Jahre, ohne sich vor Widerspruechen fuerchten zu muessen, die ueber moralische, aesthetische oder politische Aspekte hinausgehen. Die historische Kontroverse wird hier nachdruecklich auf moralische oder politische Debatten reduziert. Gibt das postmoderne Denken also jedermann die Erlaubnis, die Vergangenheit nach Lust und Laune zu unterdruecken, zu verzerren oder zuzudecken? [...]"

    Das Schlusswort: "Der extreme Relativismus eroeffnet, wie Christopher Norris gewarnt hat, rechtsextremen Historikern die Moeglichkeit, "einen massiv verfaelschten Konsens" zu schaffen, "hervorgebracht durch falsche Lesarten oder manipulativen Gebrauch von Belegen, durch die Unterdrueckung entscheidender Fakten und durch die Herstellung einer gewissen selektiven Amnesie bei jenen, deren Erinnerung ansonsten weit zurueckreicht" " (Deconstruction and the Interests of Theory, Norman/Oklahoma 1989; Evans S.227).

Kritische Blaetter zur Geschichtsforschung und Ideologie


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Datei: Post.htm                  Erstellt: 4. Juni 2000  Geaendert: 11.02.2001                         Autor und © Klaus Popa


 
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