Machno-Solidarität Hand in Hand ohne Grenzen - www.machnosoli.de.vu Eine Seite der Zusammenarbeit von AnarchosyndikalistInnen und AnarchistInnen aus der Ukraine und deutschsprachigen Ländern |
Letzte Aktualisierung am 03.03.2004
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UKRAINISCHE
IMPRESSIONEN Anfang
November brach im Gorki-Bergwerk in Donezk ein spontaner Streik aus. Anlaß
waren die wieder einmal nicht gezahlten Löhne. Auch im Kujbyschewskaja-Bergwerk
wurde die Arbeit niedergelegt. Im Donbass – dem Kohlebecken der Ukraine -
kommt es seit den großen Bergarbeiterunruhen von 1996 immer wieder zu solchen
spontanen Arbeitskämpfen. Durch die Hinhaltepolitik der Regierung und
verhandlungsbereite Gewerkschaftsführer enden viele dieser Streiks negativ. In
dieser Situation stößt eine radikale Organisation – die Revolutionäre Konföderation
der Anarcho-Syndikalisten (RKAS) bei den Bergarbeitern auf immer unverhohlenere
Sympathien. Anläßlich eines Besuches bei der RKAS sprach V. T. von der Freien
ArbeiterInnen Union mit J. B., einem anarchistischen Bergarbeiter des
Oktjabrskaja-Bergwerks über die Situation der Bergarbeiter, die Gewerkschaften
und den Anarcho-Syndikalismus. vt:
Wie bist Du zum Anarcho-Syndikalismus gekommen? J.B.
Nun, ich war ständig an den Streiks der Bergarbeiter beteiligt. Ich sah die
Notwendigkeit, wenigstens für mich selbst, zu analysieren weshalb wir ständig
Niederlagen einstecken mußten – ich meine mit unserer Gewerkschaft und den
ganzen Parteien. Vor 1989 hatte ich keine Möglichkeit gehabt anarchistische
Literatur zu lesen, überhaupt war hier ein Informationsvakuum, auch nach '89.
Dann aber erhielt ich von der Redaktion der Künste ein Buch über Batjko Machno[i].
In ihm fand ich all die theoretischen Grundlagen des Anarchismus, und ich merkte
- es ist genau das was wir brauchen. Ich ffffand die Antwort auf unsere langjährige
Bewegung im Kreis – wo wir von einem Punkt weggeführt wurden um beim selben
Punkt wieder anzukommen – durch die Lenkung von oben. Die
Initiative muß eben von unten kommen. Sie kommt auch ständig von unten, die
Arbeiter erheben sich selbst, aber letzten Endes erscheint immer wieder eine
Hand, die die Sache für sich vereinnahmt und in die falsche Richtung lenkt. Ich
habe mir dann eine Fahne genäht und bin zu einer Kundgebung gegangen. Es war übrigens
auch ein 7. November, nur ein bißchen wärmer, und da stand ich mit meiner
schwarzen Fahne neben den roten. vt:
Neben den roten? J.B.
Ja, die Kundgebung wurde von der Kommunistischen Partei organisiert. Überhaupt
befinden sich hier alle linken Bewegungen unter der Haube der Kommunistischen
Partei. Praktisch alle Linken, außer den Anarchisten. Wir selbst können hier
aber keine Kundgebungen veranstalten, die entsprechenden Organe würden uns
sofort auseinandertreiben. Aber die KP hat es leichter – sie braucht nur eine
Anmeldung für eine Kundgebung zu schreiben, und schon ist alles geregelt. Und
so kommen praktisch alle kleineren Gruppen unter ihre Haube. Sogar die WSR, die
Allukrainische Arbeiter Union, befindet sich unter ihrer Haube, trotz daß sie
als Gewerkschaft scheinbar überparteilich ist. Außerdem sind in der Ukraine,
wenn ich mich nicht irre, 50% Rentner – Menschen, unter denen viele
nostalgisch sind. Ihre Erinnerungen an die Zeiten des billigen Wodka und der
billigen Wurst beschäftigen sie ständig. Sie wollen beweisen, daß sie es
waren, die uns damals diesen Wodka und diese Wurst gegeben haben. Sie haben uns
auch unsere Wohnungen gegeben – nicht wir haben alles verdient, nein sie
wollen es uns gegeben haben. vt:
Warst Du damals noch allein? J.B.
Ja, allein. Dann kamen aber noch ein paar Anarchisten dazu, wir machten uns
bekannt und so ging die Sache dann weiter. vt:
Habt Ihr denn Erfolg mit Eurer Arbeit? J.B.
Verstehst Du, die Jugend, ein großer Anteil der Jugend zumindest – das sind Märkte
und kommerzielle Strukturen, d.h. dort wo wir gar nicht arbeiten. In den
Bergwerken und Fabriken gab es in der ganzen Zeit hingegen kaum negative
Reaktionen. Aber die Lage ist sehr, sehr schwierig, besonders in den Bergwerken.
Die Menschen die in den Bergwerken arbeiten, haben meist das Rentenalter
erreicht oder stehen kurz davor. Denn in einem Bergwerk arbeitet man nicht länger
als 20 Jahre. 10 Jahre werden Dir einfach angerechnet, jedes weitere Jahr
dreifach. Aber ich denke daß die Arbeiter sich organisieren wollen. Es muß nur
viel Kraft hineingesteckt werden um das zu erreichen. Vor allem durch persönliches
Beispiel. Denn in den Bergwerken gibt es in der Regel auch Organisationen die
sich als «Pflegemutter der Arbeiterklasse» auffassen. vt:
Welche sind das? J.B.
Die Gewerkschaften. Sie sind wahrscheinlich die Gefährlichsten dabei, denn,
verstehst Du – mit der Administration da ist alles klar – da gibt es nur
Kampf - für unsere Löhne, für unsere Forderungen. Die Gewerkschaft aber ist
eine Organisation welche scheinbar mit uns ist, scheinbar aber auch nicht. Das
ist das Gefährliche. vt:
Welche Gewerkschaften gibt es denn hier? J.B.
Nun, bei uns gibt es die NPG – die Unabhängige Gewerkschaft der Bergarbeiter.
Man kann sagen, daß wir diese Gewerkschaft gegründet haben, für sie haben wir
gekämpft als wir aus der offiziellen Gewerkschaft austraten. Die offizielle
Gewerkschaft ist die PRUP, die Gewerkschaft der Arbeitenden der Kohleindustrie.
Und dann gibt es noch die ITP – die Gewerkschaft der Arbeitenden im
ingenieur-technischen Bereich. vt:
Noch einmal zurück zur NPG. Hat diese denn auch Ziele außerhalb der Tageskämpfe? J.B.
Zu Beginn hatte sie welche. Die NPG war nach einer Zeit in welcher die
Gewerkschaften nur die Interessen eines bürokratischen Apparates verteidigten,
eine sehr progressive Gewerkschaft gewesen. Und
heute... Sagen wir mal so – im Prinzip sind die Jungs in Ordnung, aber weil
sie für mehrere Jahre von der Arbeit freigestellt waren, haben sie schon
vergessen was das ist – ein Bergwerk. Und
darum wirken sie bei den Versuchen seine gerechten Forderungen durchzusetzen,
wie eine Bremse, ganz unabhängig von ihrem Willen. vt: Die Streiks brechen meist wegen der Löhne aus. Werden diese gar nicht, nur teilweise oder in Naturalien gezahlt? J.B.
Die Auszahlung in Naturalien ist verboten[ii].
Die Zeiten sind vorbei. Der Lohn wird in unseren Betrieben in zwei Teilen
ausgezahlt, der erste Teil kommt zum 15. des Monats, der zweite müßte zum 30.
eintreffen. Der erste Teil wird ausgezahlt und beim zweiten gibt’s dann häufiger
Verzögerungen. In meinem Bergwerk haben wir aber seit 8 Monaten den ganzen Lohn
bekommen. Die Verzögerungen entstehen dadurch, daß der Verkauf der Kohle über
kommerzielle Strukturen häufig nicht soviel wie nötig einbringt. Mal sind die
Preise zu niedrig, mal dies, mal jenes. Darum wird jedes Bergwerk vom Staat
dotiert. Wir brauchen ungefähr 500 000 Griwna (ca. 220 000 DM) Dotationen
monatlich in unseren Haushalt, um über die Runden zu kommen. Und aufgrund
dieser Gelder konnten wir in den letzten 8 Monaten bei uns auch die Löhne
auszahlen. vt:
Und wie hoch sind diese? J.B.
In Abschnitten wo gefördert wird, aus irgendwelchen Gründen gibt es da immer
noch einen «Plan», beträgt der Lohn 700 Griwna monatlich (ca. 300 DM). Unser
Abschnitt fördert nicht, da liegt der Lohn bei 320 Griwna (ca. 140 DM). Aber
es gibt da noch ein Problem, ein technisches. In unserem Bergwerk sagen wir mal,
ist die Produktion mechanisiert. Auf Grund dessen aber, daß die Wartung der Geräte
nicht in dem Umfang wie nötig vollzogen werden kann, beginnen sie zu rosten und
der Verschleiß erhöht sich. So etwas wie Arbeitsschutz existiert überhaupt
nicht. Während wir noch verhältnismäßig gut dran sind, müssen anderswo
Arbeiter die Kohle individuell, d.h. mit dem Hammer schlagen. Im Gorki-Bergwerk
zum Beispiel. vt:
Seit der großen Streikbewegung von 1996 hört man bei uns nur noch wenig von
den Bergarbeiterprotesten. Es scheint sie aber, wenn auch auf geringerem Level,
immer noch zu geben? J.B.
Ja, Du hast es ja selbst gesehen, das Gorki-Bergwerk streikt. Eine große Hilfe
für uns wäre allerdings, wenn die Informationen darüber auch verbreitet würden,
wenn es geht regelmäßig. Denn gegenwärtig werden sie mit einer Staubschicht
bedeckt. Es wäre wirklich eine reale Hilfe. Damit die Wahrheit bleibt. vt
[i] Nestor Machno (1888-1934) – während der Russischen Revolution organisierte Machno in der Ostukraine die „Revolutionäre Aufstandschaft“, eine anarchistische Bauernbewegung, welche 1921 durch die Bolschewiken niedergeschlagen wurde. [ii] In der Landwirtschaft gibt es die Lohnauszahlung in Naturalien allerdings immer noch. |
Das ABC des revolutionären Anarchisten von Nestor Machno
Die Flamme der Liebe und des Aufstandes - Historischer Roman aus revolutionären Zeiten - eine Buchbesprechung
Spendenstand am 02.03.04 234,00 Euro
Wer war Nestor Machno ?
Rudolf Rocker -
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