Am 7. Juli 1862 wurde Tschernischewsky verhaftet. Da er, wie der Denunziant behauptete, gesagt haben sollte, daß man ihn nie werde überführen können, so beeilten sich die Ritter der Dritten Abtheilung, falsche Beweisstücke zu fabriziren.
Es liegt nichts Unwahrscheinliches in der Vermuthung, daß Tschernischewsky einer revolutionären Verbindung angehörte. Ja, im Gegentheil, eine solche Vermuthung ist durchaus wahrscheinlich. Aber wo in der ganzen zivilisirten Welt gilt eine Wahrscheinlichkeit als ein juridischer Beweisgrund? Nirgends, als in Rußland, und auch dort nur in politischen Prozessen.
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Am 7. Juli 1862 wurde Tschernischewsky verhaftet. Da er, wie der Denunziant behauptete, gesagt haben sollte, daß man ihn nie werde überführen können, so beeilten sich die Ritter der Dritten Abtheilung, falsche Beweisstücke zu fabriziren. Wie sein Prozeß geführt wurde, kann man daraus ersehen, daß der Staatsanwalt so unverschämt war, selbst im Anklageakt den Brief des anonymen Denunzianten zu zitiren, trotzdem das russische Gesetz vorschreibt, »keine Untersuchungen einzuleiten auf Grund von Denunziationen in anonymen Schmähschriften und Briefen«. Noch vor der Verhaftung Tschernischewsky's wurde man eines gewissen Wjetoschkin habhaft, bei dem ein Brief Herzen's an Serno-Solowjewitsch vorgefunden wurde, in dem angeblich folgende Stelle enthalten war: »Ich und Tschernischewsky haben die Absicht, hier (d.h. in London) oder in Genf den »Sowremennik« herauszugeben.« Auf Grund dieser Zuschrift wurde denn auch Tschernischewsky verhaftet. Und doch behauptete Herzen in seinem »Kolokol« (Nr. 193), daß er in seinen Briefen mit keinem Worte von literarischen Plänen gesprochen habe, die er im Verein mit Tschernischewsky ausführen konnte. »Ich konnte nicht schreiben, daß ich und er beabsichtigten, den »Sowremennik« herauszugeben, da ich nicht die geringste Ahnung davon hatte, ob er den »Sowremennik« außerhalb Rußlands herausgeben wolle oder nicht. Das Verbot des »Sowremennik« war in allen Zeitungen angezeigt, und wir boten gleich offen und laut den Herausgebern dieser Zeitschrift an, sie auf unsere Kosten im Auslande drucken zu lassen. Aber unser Anerbieten fand nie die leiseste Zustimmung. Wie konnte ich also darüber affirmativ schreiben, und dazu noch nach Rußland? Oder stehe ich vielleicht auch im Dienste der geheimen Polizei?« -- Wann aber schreckten die eifrigen Diener der russischen Regierung vor Lüge und Fälschung zurück? Bei der Haussuchung fand man bei Tschernischewsky einige nichtssagende Papiere und Briefe; man zog auch damals bereits allgemein bekannte Denunzianten in den Prozeß hinein, wie Wsewolod Kostomarow, man schnüffelte sogar im Tagebuch des Angeklagten herum, wo er noch vor seiner Hochzeit u.A. geschrieben hatte, daß »man ihn jeden Tag festnehmen könne« -- und die Sache war abgemacht. Er wurde dem Senatsgerichte überliefert und angeklagt: 1) des Verkehrs mit Herzen, 2) der Abfassung eines aufreizenden Aufrufs »an die Herrenbauern«, der angeblich dem Denunzianten W. Kostomarow zum Drucken übergeben worden war, und 3) der Vorbereitung zur Empörung. Interessant ist es, daß der einzige Beweis einer »Vorbereitung zur Empörung« ein von demselben Kostomarow gelieferter Brief an einen Alexej Nikolajewitsch war, wo in den allerunbestimmtesten Ausdrücken gesagt wird, daß man ja keine Zeit verlieren solle, es heiße »jetzt oder niemals«, und daß der unbekannte Alexej Nikolajewitsch keine Energie besitze. Tschernischewsky verneinte entschieden, daß dieser Brief von ihm herrühre; wenn er aber auch von ihm stammte, so könnte man daraufhin höchstens seine Theilnahme an der Errichtung einer geheimen Buchdruckerei beweisen aus der Stelle: »schon ein ganzes Jahr ziehen Sie uns mit Ihrer Druckerpresse hin; und jetzt sind wir an einem Augenblick angelangt, wo wir es nicht weiter aufschieben können, wollen wir anders unsere Sache zum Sieg führen.« Von welcher Sache im Brief die Rede war -- ist vollkommen unbekannt. Zwar wird vom Drucken eines Manifestes gesprochen; aber es ist doch nicht jedes Manifest eine »Vorbereitung zur Empörung«. Man sollte meinen, daß selbst die Juristen der Dritten Abtheilung hätten verstehen müssen, daß es von der Einrichtung einer geheimen Buchdruckerei und vom Drucken eines Manifestes noch sehr weit ist zu einer »Vorbereitung zur Empörung«. Und natürlich, sie verstanden es auch. Aber noch besser verstanden sie, daß Tschernischewsky eine kolossale und unersetzliche revolutionäre Kraft darstellte.
Es liegt nichts Unwahrscheinliches in der Vermuthung, daß Tschernischewsky einer revolutionären Verbindung angehörte. Ja, im Gegentheil, eine solche Vermuthung ist durchaus wahrscheinlich. Aber wo in der ganzen zivilisirten Welt gilt eine Wahrscheinlichkeit als ein juridischer Beweisgrund? Nirgends, als in Rußland, und auch dort nur in politischen Prozessen.
Wie wenig wählerisch die Staatsanwaltschaft in Bezug auf Beweisstücke in Tschernischewsky's Prozeß war, zeigt u.A. folgende Thatsache. Die Anklageschrift zitirt einen Brief des Angeklagten, den er an seine Frau geschrieben, als er bereits in die Festung verbracht war: »Mein Leben und das Deinige gehören der Geschichte an« -- heißt es dort: »Jahrhunderte werden vergehen, und unsere Namen werden den Menschen noch theuer bleiben, -- und mit Dankbarkeit wird man ihrer gedenken, wenn Niemand mehr da sein wird, der mit uns gelebt hat.« Außer diesen Worten, welche ja sehr klar auf eine »Vorbereitung zur Empörung« hinweisen, zitirt die Anklage aus demselben Brief noch folgende Zeilen. -- Indem Tschernischewsky seiner Frau sein Vorhaben mittheilt, eine »Encyklopädie des Wissens und des Lebens« zu verfassen, schreibt er ihr: »Seit Aristoteles hat noch Niemand das gemacht, was ich machen will, und wie Aristoteles, werde auch ich auf Jahrhunderte hinaus den Menschen ein guter Lehrer sein.« Was beweisen diese Zeilen? Warum berief sich der Verfasser des Anklageaktes darauf? Es liegt ja auf der Hand! Ein Mensch, der zur Herausgabe einer Encyklopädie bereit ist, ist auch zu einer »Empörung« vollkommen bereit!
Fast zwei Jahre zog sich die Untersuchung in Sachen Tschernischewsky's hin. Er verneinte beharrlich alle wider ihn erhobenen Beschuldigungen und hoffte, wie es scheint, daß es ihm bald gelingen werde, sich aus den Krallen des russischen Adlers loszumachen. Darauf deutet schon die Absicht, eine »Encyklopädie« herauszugeben. Auch sein Roman »Was thun?«, den er schon im Gefängniß schrieb, ist freudiger Hoffnungen voll. Uebrigens beziehen sich in diesem Roman seine Hoffnungen nicht auf juristische Erwägungen, daß er wegen Mangels an Beweisen unmöglich verurtheilt werden könne, sondern auf den baldigen Triumph der Befreiungsbewegung in Rußland. Anspielungen darauf findet man im Roman mehrere. Im Epilog sind sogar einige unklare Hinweise enthalten auf das Jahr 1865 (der Roman wurde im April 1863 beendet), wo in Rußland etwas ganz Besonderes geschehen solle. Eine Dame, die in den letzten Szenen des Romans erscheint und Trauer um einen ihr theuren Menschen trägt, der offenbar im Gefängniß oder in der Verbannung ist, fährt im Jahre 1865 in Petersburgs Straßen heiter und freudevoll in Begleitung ihres befreiten Freundes umher. Wir können natürlich nur vermuthen, was der Verfasser damit sagen wollte.